Aquaristik aktuell | Viktoriasee-Cichliden Alte neue Viktoriasee-Cichliden Harpagochromis sp. serranus konnte bereits schon mehrfach in Deutschland nachgezüchtet werden. Seit vielen Jahren bemüht sich eine kleine Gruppe Aquarianer, die sich zur Interessengemeinschaft „Viktoriasee-Cichliden“ zusammengeschlossen hat, um die Haltung und Zucht von bedrohten Cichliden aus dem Viktoriasee. Im Vordergrund steht hierbei die Zucht von reinen Arten. Meist stammen die Tiere für unser Erhaltungszuchtprojekt aus verschiedenen Universitäten mit einer verbürgten Herkunft. Die Mitglieder der Interessengemeinschaft bemühen sich, Eine ökologische Katastrophe und kein Ende abzusehen Das Einsetzen von Wasserhyazinthen (Eichhornia crassipes ) und des Nilbarsch (Lates niloticus ) haben zu unzähligen Problemen geführt, da sich die Neuzugänge explosionsartig ausbreiten. Nicht nur die Schifffahrt ist in Teilen des Sees durch die rasant und immer wieder nachwachsende Wasserhyazinthe zum Erliegen gekommen, auch der bis zu 1,80 groß werdenden Nilbarsch stellt die eigentlichen Bewohner des Sees vor existenzielle Probleme. Allerdings leben inzwischen auch etwa 30 Millionen Menschen rund um den See und ein Teil dieser Menschen lebt mittelbar und unmittelbar von der Fischindustrie, die sich durch den Lates entwickelt hat. 16 | VDA-aktuell | 4 - 2015 die vorhandenen Bestände möglichst artenrein zu vermehren und somit in Aquarienbeständen zu erhalten. Seit den 50iger Jahren erlebt der Viktoriasee, der etwa eine Größe wie das Bundesland Bayern hat, eine ökologische Katastrophe. Ein ständig sinkender Wasserspiegel, das Einsetzen fremder Arten, Umweltverschmutzung und Staudammprojekte führen dazu, dass das komplette Ökosystem des Sees zu kippen droht. Entwicklungsbiologisch betrachtet ist der Viktoriasee eine Schatzkammer und ein Musterbeispiel für Artenbildung. So haben sich hier aus nur wenigen Vorfahren innerhalb von rund 10.000 Jahren vermutlich mehr als 500 verschiedene Arten gebildet und an die unterschiedlichsten Lebensbedingungen im See angepasst sowie zahlreiche Spezialisierungen ausgebildet. Im Verlauf der Evolution haben es die Viktoriasee-Buntbarsche geschafft, sich aufgrund der vielfältigen Strukturen ihrer Lebensräume stark zu spezialisieren und viele Nischen zur Nahrungsaufnahme zu besetzen. So sind sie natürlich auch besonders anfällig für Veränderungen in ihrem Lebensraum. Für die evolutionären Schnellstarter, die eigentlichen Bewohner des Sees, sieht die Überlebensprognose derzeit allerdings bitter aus. Das Ökosystem hat sich in den letzten sechzig Jahren derart verändert, dass sie entweder keine geeigneten Laichpartner finden, im sauerstoffarmen Wasser an den Rand ihrer Existenz gedrängt werden oder vom Prädator Nummer eins, dem Nilbarsch, gefressen werden. Auch die mittelfristige Prognose ist für die Erhaltung der vielen Arten vor Ort eher negativ. Etliche Arten, die noch Mitte der 50iger Jahre häufig im See lebten, sind mittlerweile völlig verschwunden und werden heute bereits als ausgestorben eingestuft. Darunter befinden sich viele der sogenannten Freiwasser-Arten, die die unterschiedlichsten Nahrungsnischen besetzten. Hierzu gehören auch viele Fischfresser und Krabbenjäger, Schuppenfresser, Plankton- und Pythoplanktonfresser. Viktoriasee-Cichliden | aktuell Es sprechen also viele Gründe dafür, dass sich Aquarianer mit diesen Arten beschäftigen und vor allem artreine Bestände erhalten möchten. So konzentrieren sich die Mitglieder unserer Interessensgemeinschaft mit ihren Bemühungen auf den Erhalt von bereits vorhandenen Beständen. Natürlich wird immer versucht, neue oder wieder aufgetauchte Arten bzw. Standortvarianten zu erhalten und diese in der Aquaristik zu etablieren. Leider gestaltet sich das oft weit schwieriger als z.B. bei den Verwandten aus dem Malawi- oder Tanganjikasee. Da es vom Viktoriasee kaum kommerzielle Exporte von Zierfischen gibt und viele Tiere aus unbekannten Quellen stammen. Bei diesen Tieren kann weder die genaue Herkunft noch die Artreinheit zu 100% Prozent belegt werden. Es tauchen immer wieder Hybriden auf, die durch Zufall entstanden sind oder mit der Absicht zur farblichen „Aufbesserung“ hybridisiert wurden. So ist es sehr schwer für uns, neue Blutlinien in bestehende Bestände einzubringen, da bei unsicheren Quellen die Gefahr besteht, Hybriden einzukreuzen und damit die Art für unser Vorhaben zu verlieren und damit auch ihr artspezifisches Verhaltensrepertoire. Aus unserer Erfahrung können Fische aus Forschungseinrichtungen als relativ sicher angesehen werden, da diese Einrichtungen im Rahmen ihrer Forschungsarbeit die Cichliden selbst fangen, importieren und in ihren Zuchtanlagen weiter pflegen und vermehren. Besonders hervorzuheben ist hier die gute Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ole Seehausen und seinem Team, das an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) in Kastanienbaum in der Schweiz Forschungen zur Evolutionsbiologie der Viktoriasee-Cichliden betreibt. Ohne diese Forschungseinrichtung würden wohl viele der Arten nicht mehr in unseren Aquarien schwimmen. Darüber hinaus gibt es in Europa fast keine Möglichkeiten mehr, an solche Tiere zu kommen, denn es besteht kein kommerzielles Interesse. Die Interessensgemeinschaft bemüht sich deshalb seit Jahren, möglichst viele Arten zu erhalten und an Spezialisten unter den Haltern, aber auch an ganz normale Aquarianer weiter zu geben. Aufgrund unserer Recherchen konnten wir eine geringe Anzahl von neu importierten oder noch vorhandenen Arten in den USA ausfindig machen, und obwohl wir Kontakte zu dortigen Züchtern aufbauten, gelang es uns lange Zeit nicht, die Tiere über den Atlantik zu bringen. Aquaristik Viele Gründe für ein Engagement Pundamilia sp. pink anal fin wird in den USA auch als Pundamilia sp. Black Widow bezeichnet, auch bei dieser Art können wir schon Zuchterfolge nachweisen. Nach der aktuellen IUCN-Redlist ist diese Art (Haplochromis chromogynos ) im Biotop als stark gefährdet eingestuft, allerdings adaptieren sich die Bestände scheinbar an die neue Lebenssituation und nehmen wieder leicht zu. Für Privatpersonen ist es praktisch unmöglich, aufgrund der Vorschriften einen Import selbst durchzuführen. Es ist kaum zu überschauen, alle Papiere für behördliche Genehmigungen, die Abwicklung beim Zoll usw. rechtzeitig und vollständig zu haben. Auch die Kontakte mit verschiedenen Firmen und Importeuren haben keine befriedigenden Ergebnisse gebracht. Eher durch einen Zufall sind wir auf ein Angebot der Firma OF Aquaristik aus Butzbach gestoßen. Hier wurde für Aquarianer die Möglichkeit angeboten, von dem auf Mittel- und Südamerika spezialisierten Großhändler Jeff Rapps aus Phillipsburg (NJ), in den USA Fische zu bestellen. Wir dachten uns, wer mittelamerikanische Groß-Cichliden über den großen Teich schicken kann, der kann doch bestimmt auch ein paar kleine Viktoriasee-Cichliden mitsenden. Nach wenigen Tagen und ein paar gesendeten E-Mails war klar, der Transport ist zu realisieren, die Zeit bis zum geplanten Import war jedoch äußerst knapp bemessen. Also versuchten wir über unsere bestehenden Kontakte in den USA herauszufinden, was möglich ist und welche Tiere wir in der kurzen Zeit bekommen können. So konnten wir sieben Arten aus den USA nach Europa bringen, die nach unserem Wissen noch nicht nach Deutschland oder in die EU eingeführt wurden, bzw. wieder aus den Beständen verschwunden sind. Entsprechend angespannt waren wir, als uns die Tiere am Frankfurter Flughafen an der Animal Lounge übergeben wurden und zu unserer großen Freude alle Tiere den Flug gut überstanden hatten. 4 - 2015 | VDA-aktuell | 17 Aquaristik aktuell | Viktoriasee-Cichliden Angekommen sind folgende Arten Harpagochromis sp. „serranus“ ist ein Fischfresser von Juma Island und wurde als Wildfangnachzucht aus den USA importiert. Die Tiere wurden 2012 durch Laif DeMason, einen amerikanischen Importeur, am Viktoriasee bei Juma Island gefangen. Diese Art konnte von uns nun schon mehrmals nachgezogen werden. Pundamilia sp. „pink anal fin“ von Juma Island, F1 Nachzuchten, aus gleicher Quelle wie die H. serranus. Auch diese Tiere haben sich schon erfolgreich vermehrt. Harpagochromis sp. „Golden Duck“ – ein Fischfresser, welcher bei uns in Europa in geringen Beständen schon einmal vorkam, jedoch alle Tiere leider wieder verschwunden waren. Der als Psammochromis cf. riponianus eingeführte Fisch wird in Deutschland als unter Ptyochromis sp. Boyanga geführt, hier müssen die Taxonomen noch einmal genauer hinschauen. Prognathochromis perrieri – ein Jungfischfresser, welcher im Viktoriasee selbst seit Mitte der 80iger Jahre als Ausgestorben gilt. Jedoch wurde diese Art in einem Arterhaltungsprogramm in den USA bis heute für die Aquaristik erhalten und befindet sich nun erstmals auf dem europäischen Kontinent. Psammochromis cf. „riponianus“ – diese Art wird ebenfalls seit mehr als 10 Jahren in Arterhaltungsprojekten in den USA gepflegt. Jedoch sind sich Experten ziemlich sicher, dass es sich hier um eine andere Art als oben angeführt handelt. Es handelt sich hierbei warscheinlich um eine Ptyochromis-Art. Eventuell P. fischeri aus dem nördlichen Teil des Sees oder aber eine noch unbeschriebene Art. Weitere Beobachtungen könnten in Zukunft Aufschluss geben. Diese Tiere sind bei uns nun in ganz geringer Bestandszahl und bereits mit einigen Nachzuchttieren vorhanden. Paralabidochromis (Haplochromis) chromogynos , Zue Island , Viktoriasee. Diese Art ist in den 80igern aufgetaucht und war in Deutschland nur kurz verfügbar. Da es sich hier um einen alten Aquarienstamm handelt, werden zu einem späteren Zeitpunkt noch taxonomische Untersuchungen stattfinden, um die „Echtheit“ sicherzustellen. Aktuell sind die Importtiere auf ca. 7-9 cm herangewachsen und haben auch schon fleißig zur Arterhaltung beigetragen. Xystichromis (Haplochromis) sp. „Flame- back”, Viktoriasee. Da es unterschiedliche Farbmorphen von „Flameback“ von verschiedenen Fangorten gibt, die meist aus unbekannten Quellen stammen, bleibt abzuwarten, wie sich 18 | VDA-aktuell | 4 - 2015 Subadultes Männchen von Prognathochromis perrieri, diese Art befindet sich seit unserem Import erstmals auf europäischem Boden. Im Viktoria-See gilt diese Art seit 1996 als ausgestorben. die Tiere entwickeln. Da es sich auch hier um einen alten Aquarienstamm handelt, müssen weitere Untersuchungen erfolgen. Da unter den importierten Tieren nur 2 Weibchen waren, sind wir über die bisher ausgetragenen drei Bruten sehr erfreut. Wir hoffen, dass wir diese und viele andere bedrohten Cichliden-Arten aus dem Viktoriasee zumindest in unseren Aquarien erhalten können. Daher sind interessierte Aquarianer immer herzlich willkommen, sich diesem ehrgeizigen Ziel anzuschließen. Bedanken möchten wir uns bei allen Beteiligten, die zur Verwirklichung dieses Projektes beigetragen haben. Ganz besonders herzlichen Dank auch an den Verein der Aquarien- und Terrarienfreunde Hohenlohe e.V., die das Vorhaben finanziell unterstützt haben. Auf der vom 13. bis 16. Mai 2016 stattfindenden Aquarienausstellung des Vereins werden voraussichtlich manche dieser Arten zu sehen sein. Weitere Informationen zum Thema unter: www.ig-Viktoriasee-cichliden.de oder über das Forum www.cichlidenwelt.de das der IgV als Plattform dient. Text und Fotos: Thomas Elsässer, Marco Welß Literatur: BÖHNER, AXEL: Die Viktoriasee-Cichliden in Deutschland (2010), Books on Demand GmbH, Norderstedt, ISBN 978-3-83913286-9