P.b.b. Retouren an PF555, 1008 Wien GZ 09Z038189M ISSN 1997-826X EUR 7,– Jahrgang 22 | 2014 Medizinisches Fachjournal Neurologie & Psychiatrie Aktualisierte Definitionen der MS-Verlaufsformen Seite 6 Die Auswirkungen des Psychotraumas auf das autonome Nervensystem Seite 32 Hypnose in der Schmerztherapie Seite 50 2014/5 JATROS Universimed CMC GmbH Markgraf-Rüdiger-Straße 6–8, 1150 Wien PSYCHIATRIE REFERAT Psychotraumata führen nicht nur zu den bekannten tief greifenden Veränderungen der Gedächtnisstruktur und des Verhaltens und damit zu psychischen Störungen wie etwa der posttraumatischen Belastungsstörung oder der Borderline-Störung. Ein Trauma hat auch typische spezifische Auswirkungen auf die Physiologie, besonders auf das Vegetativum, und ist damit ein ätiologischer Faktor für bestimmte chronische Erkrankungen wie Fibromyalgie, Chronic Fatigue Syndrome und andere funktionelle Körpersyndrome. Definition des Begriffs „Trauma“ Das Trauma wird in der Psychotraumatologie definiert als „ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz oder lang anhaltend), die bei fast jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Nach dem DSM-IV haben die Betroffenen die Erfahrung von Todesbedrohung, Lebensgefahr oder starker Körperverletzung gemacht bzw. die Bedrohung der eigenen körperlichen Unversehrtheit oder der einer anderen Person erlebt. Eine wichtige Erweiterung der Definition lautet: „Trauma ist eine Erfahrung, die die individuellen Fähigkeiten eines Menschen, etwas auszuhalten, massiv überfordert; es übersteigt die individuelle Bewältigungskapazität, die Resilienz.“ Damit unterscheidet sich die Definition von den gewohnten Begriffen in der Psychoanalyse oder Unfallchirurgie. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen Einfachtrauma, Mehrfachtrauma und Entwicklungstrauma: Ein Einfachtrauma ist etwas Einmaliges, das einer Person widerfährt, eine Unterbrechung der Normalität. Bei einem Entwicklungstrauma könnte man die kontinuierliche traumatische Erfahrung, der ein Kind ausgesetzt ist, die von Vernachlässigung bis zu MisshandlunJATROS I Seite 32 gen und sexueller Gewalt im Rahmen der Familie reichen kann, als „traumatische Normalität“ bezeichnen. Auch die Unterscheidung in unpersönliches Trauma (z.B. Naturkatastrophe), interpersonelles Trauma („man-made“) und Bindungstrauma, also durch nahestehende Personen verursacht, ist sinnvoll. Traumatisierend wirkt nicht nur die Bedrohung der körperlichen Integrität, sondern auch die Bedrohung der fundamental menschlichen Erfahrung, eine autonom handelnde und denkende Person zu sein. Auch das Miterleben eines Traumas, das einer anderen Person zustößt oder das ich als Arzt oder Psychotherapeut erzählt bekomme, kann traumatisierend wirken – man spricht hier von einem Sekundärtrauma. Die auf ein Trauma folgende Störung und ihr Ausmaß werden nicht allein durch das Trauma an sich definiert, sondern auch durch die individuelle Reaktion darauf, die eventuell auf eine unzureichende Verarbeitungsfähigkeit hinweisen kann oder aber darauf, dass die für eine günstige Verarbeitung notwendigen Bedingungen nicht gegeben sind. Physiologische Abläufe bei Trauma Hans Selye verdanken wir die Erkenntnis, dass bei Stress eine typische © Schuster Das Trauma und seine Auswirkungen auf das autonome Nervensystem E. Kastenberger, Wien Sequenz physiologischer Reaktionen abläuft: Die Einwirkung eines Stressors auf den Organismus führt (u.a.) zur Aktivierung des Sympathikus und damit zur Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin 1. Stress-Antwort. Bei einer Traumatisierung kommt es dann zu einem weiteren typischen Ablauf: Durch die Ausschüttung von CRH („corticotropin-releasing hormone“) erfolgt die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde (HPA)-Achse 2. StressAntwort. Es erfolgt die Ausschüttung von ACTH (adrenokortikotropem Hormon) und Glukokortikoiden, damit wird die sympathische Aktivierung weiter erhöht – der/die Betroffene befindet sich im „Hyperarousal“. Klinisch zeigt sich das in Übererregung und Panik, beschleunigter Atmung und Pulsfrequenz, erhöhtem Blutdruck, Schwitzen und verminderter Peristaltik, weiters im Anstieg von Blutzucker und Triglyzeriden. Dann, bei unausweichlicher Lebensbedrohung, tritt das „Freeze“, die Erstarrungsreaktion, der Totstellreflex, auf. Diese Reaktion beinhaltet körperliche und emotionale Anästhesie, Immobilität und physiologische Deaktivierung, beim Menschen entsprechend der Dissoziation; diese entsteht durch maximale Aktivierung im dorsal-vagalen System. Das heißt, dass die PhysioloNeurologie & Psychiatrie 5/14 PSYCHIATRIE REFERAT Diese Abläufe konnten an Tieren in freier Wildbahn gut erforscht werden. Diese sind immer wieder lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt, werden dadurch jedoch nicht nachhaltig traumatisiert. Sie verfügen über angeborene Mechanismen, die es ihnen ermöglichen, die hohe, im Überlebenskampf mobilisierte Traumaenergie wieder abzubauen. Wir Menschen sind mit grundlegend gleichen Regulationsmechanismen ausgestattet, doch werden diese instinktgeleiteten Systeme häufig durch kulturelle und soziale Faktoren gehemmt und inaktiviert. Günstige Umweltbedingungen, die Sicherheit, Geborgenheit, Halt und Rückzugsmöglichkeit bieten, ermöglichen die Selbstregulation des Organismus und geben damit die Möglichkeit, diese vegetative Übererregtheit und die Reaktionsstarre wieder abzubauen. Genauso wie die Stressreaktion für uns Menschen eine sinnvolle, notwendige Antwort auf Stressoren darstellt, kann man die Traumareaktion als Überlebensprogramm für extrem bedrohliche Situationen ansehen. Wenn aber die im „Freeze“ aufgetretene maximale Erregung des Sympathikus und Parasympathikus nicht abgeführt werden kann, weil die Umweltbedingungen von Sicherheit, Halten, Rückzugsmöglichkeit nicht gegeben sind, kommt es zur Chronifizierung: Der Organismus bleibt im Zustand des persistierenden Hyperarousal. Eine posttraumatische Störung kann man somit auch als Störung im Ablauf des (normalen) Regulationsmechanismus des autonomen Nervensystems bei extremer Bedrohung interpretieren. Die instinktiven biologischen Überlebensmechanismen (Kampf/Flucht und Immobilität/Erstarrungsreaktion) werden zwar aktiviert, kommen aber nicht zum Abschluss. Bei der daraus entstehenden posttraumatischen BelasNeurologie & Psychiatrie 5/14 tungsstörung (PTBS) können banale Reize erneut den Hyperarousal und die Erstarrungsreaktion aktivieren, und bei jedem neuerlichen Erleben dieser Reaktionen addiert sich die zur „Bewältigung“ dieser neuen Situation bereitgestellte, aber nicht benötigte Energie noch zusätzlich zu der bereits vorhandenen, nicht entladenen Energie. Die Immobilitätsreaktion wird nicht nur chronisch, sondern sie wird immer intensiver. Entsprechend häufen sich auch die Symptome. finden ist, in Zusammenhang stehen. Weiters finden sich persistierende Muskelkontraktion und Vasokonstriktion sowie erhöhte Gammamotoneuronenaktivität und autonome Dysfunktionen. Traumatisierungen korrelieren auch mit anatomisch fassbaren Veränderungen im Gehirn – oft sind eine Atrophie im Hippocampus sowie eine verbreiterte zentrale Schmerzrepräsentation nachweisbar. Langfristige Veränderungen bei chronischen Verläufen Auf die Veränderungen des Verhaltens und die Störungen auf psychischer Ebene wird in diesem Artikel nur kurz eingegangen (siehe Tab. 1) Auf somatischer Ebene lassen sich folgende Veränderungen feststellen: Auf neuroendokriner und neurochemischer Ebene ist mehrheitlich, aber nicht durchgängig das CRH erhöht, ebenso das ACTH, bei verringerter peripherer Kortisolfreisetzung. Neben noradrenerger Alteration besteht auch eine serotonerge Dysfunktion, man findet erniedrigte Konzentrationen von Tryptophan und Serotonin in Serum und Liquor. Wahrscheinlich mitbedingt durch den reduzierten Kortisolspiegel, kommt es zu vermehrter Produktion von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-1, IL-6, TNF-, Cyclooxygenase 2 (COX2), Prostaglandin E2. Mit diesem Phänomen könnte vielleicht auch die erhöhte Inzidenz von Autoimmunerkrankungen, die bei PTBS-Patienten zu Psychische Veränderungen und Klinik Häufige, klinisch relevante Symptome Je nachdem, ob eher der Sympathikotonus oder der Vagotonus überwiegt, entwickeln sich Symptome, die dem entsprechenden Teil des autonomen Nervensystems zuzuordnen sind. Die Symptomatik kann aber auch zwischen beiden Polen fluktuieren. Als sympathikoton sind chronische Muskelverspannung und eine Imbalance zwischen Agonisten und Antagonisten, Blutdruckerhöhung, gesteigerte Pulsrate und Hyperventilation zu betrachten. Als parasympathikoton gelten gastrointestinale Symptome, Bradykardie bzw. Arrhythmievulnerabilität sowie veränderte Schmerzverarbeitung. Eine Reihe © iStockphoto gie des Traumas durch gleichzeitig extrem hohen Sympathikotonus und Vagotonus bestimmt ist. Es gibt auch Erstarrungsmuster, bei denen die Hyperaktivität des Parasympathikus im Vordergrund steht; hier findet man Bradykardie, Hypotonie und verlangsamte Atmung, niedrigen Blutdruck – bis zum Kollaps. Seite 33 I JATROS PSYCHIATRIE • Angstzustände, bedrängende Vorstellungen, Flashbacks1 • Hypervigilanz (ständiges „Auf-der-Hut-Sein“), Hyperaktivität • Extreme Empfindlichkeit gegenüber Licht und Geräuschen • Übertriebene emotionale Reaktionen und Schreckreaktionen • Alpträume und nächtliches Erschrecken • Abrupte Stimmungsschwankungen, wie Wutund Schamreaktionen • Verringerte Stresstoleranz • Schlafstörungen REFERAT Therapeutische Möglichkeiten Menschen, die unter starker Angst oder anderen Folgen einer Traumatisierung leiden, stehen unter hohem Druck, erleben sich hilflos, ausgeliefert und isoliert. Sie brauchen zunächst Möglichkeiten, mit diesem Druck umzugehen, Möglichkeiten zur Beruhigung und Kontrolle, bevor sie für Therapie oder Beratung wirklich zugänglich sind. Stabilisierung besteht im Wesentlichen in Beruhigung, Selbstermächtigung und Ressourcenaufbau. Traumatherapie Medizinische Maßnahmen – cave: iatrogene Retraumatisierung! • Gefühl von Hilflosigkeit • Dissoziation2 1 Flashback: Meist durch einen Trigger ausgelöst (z.B. Sirene der Rettung, aggressiver Tonfall im Gespräch) kommt es zum immer wieder Durchleben des Traumas. 2 Dissoziation: Geistige Leere oder das Gefühl, losgelöst über den Dingen zu schweben, Gefühllosigkeit, das Gefühl, stumpf, apathisch zu sein, „nicht wirklich da“ zu sein. Die Dissoziation ist ein zentraler Begriff in der posttraumatischen Störungssymptomatik. Sie führt dazu, dass die Person nicht wirklich erreichbar ist; die Dissoziation zu erkennen ist daher für die Kommunikation und für jeden therapeutischen Kontakt mit traumatisierten Personen wesentlich. Tab. 1: Psychische Veränderungen als Folge von Traumatisierung weiterer Symptome, die oft erst später auftreten, ist in Tabelle 2 aufgelistet. Zusätzlich zur oben angeführten psychovegetativen Symptomatik können mit der Zeit auch psychosomatische Beschwerden und Krankheitsbilder entstehen. Dazu gehören Kopfschmerzen, Nacken- und Rückenprobleme, Asthma, Beschwerden im Verdauungsapparat, Darmkrämpfe, chronisches Beckenschmerzsyndrom, schweres prämenstruelles Syndrom, chronisches Müdigkeitssyndrom, Fibromyalgie, somatoforme Störungen, insbesondere somatoforme Schmerzstörungen. Ein Einfluss des PTBS auf Autoimmunprozesse ist ebenfalls wahrscheinlich. Die Symptomatik kann auch nach jahrelanger Latenz, dann meist nach einer weiteren schweren Belastung, auftreten; die Auslöser können z.B. der Verlust einer wichtigen Bezugsperson, ein Unfall, eine Operation oder eine schwere Erkrankung sein. JATROS I Seite 34 medikamentöse Therapie, wenn sie ohne trauma- oder psychotherapeutische Maßnahmen erfolgt, oft nach einigen Monaten ihre Wirksamkeit. Ausdauertraining, das allerdings extrem langsam und vorsichtig aufgebaut werden soll, kann durch seine Stress reduzierende und Ressourcen aufbauende Wirkung auf verschiedensten Ebenen zu einer Stabilisierung beitragen; wichtig ist ein individuelles Vorgehen mit genauem Hinhören auf ein eventuelles, oft kaum hörbares „Nein“ der Patienten. Die medizinische Betreuung von Patienten, deren Beschwerden auf komplexe, chronische Traumatisierungen zurückzuführen sind, ist schwierig; da im Allgemeinen selbst bei großem Leidensdruck keine relevanten Befunde zu erheben sind, haben sie meist eine regelrechte Arzt-Odyssee hinter sich. Die Wahrscheinlichkeit, durch immer neue, zunehmend invasive Untersuchungen und verzweifelte Therapieversuche eine iatrogene Retraumatisierung zu verursachen, ist groß und macht eine besondere Achtsamkeit der Behandelnden nötig. Diese Dynamik entsteht einerseits durch den Wunsch der Behandelnden, die Patienten von den unerklärlichen Symptomen zu befreien, und die Schwierigkeit, die eigene Machtlosigkeit zu ertragen. Andererseits können Ärzte, wenn sie unbewusst in der Gegenübertragung agieren, in der Inszenierung des Wiederholungszwangs neuerlich eine Traumatisierung, dann in Form eines medizinischen Eingriffs, setzen. Eine stabile, wertschätzende Beziehung zwischen (Haus-)Arzt und Patient, mit Akzeptieren unserer begrenzten therapeutischen Möglichkeiten, ist hier ein wichtiges Korrektiv. Möglich medizinische Maßnahmen: Zur Beeinflussung der Schlafstörung hat sich Trazodon als hilfreich erwiesen. Antidepressiva, bei Schmerzstörungen in Kombination mit Novalgin, Paracetamol oder eventuell auch NSAR, können einige Zeit wirksam sein; Opioide sind kontraindiziert. Meiner Erfahrung nach verliert die Da körperliche und seelische Verletzungen, „schockierende“ Erlebnisse und schreckliche, grauenvolle Ereignisse sehr viele Menschen, und das manchmal mehrmals im Leben, treffen, wäre die Welt voller Menschen in einem chronischen Schockzustand, hätte nicht die Evolution einen natürlichen Weg zur Lösung des Schockzustandes in Form physiologischer Entladung angelegt. Diese Entladung lässt sich bei Tieren gut beobachten, insbesondere bei Fluchttieren (Reh, Gazelle, Pferd): Bei Gefahrensignalen (Rascheln, Witterung) orientieren sie sich erst und erstarren in einer Aufmerksamkeitshaltung. Oder sie grasen beruhigt weiter, aber dann laufen deutlich sichtbar Erregungswellen wie ein Zittern über den Körper. Im schlimmsten Fall werden sie vom Raubtier geschlagen und erstarren im Totstellreflex (Freezing), mit der Chance, dass die Aufmerksamkeit des auf Jagd programmierten Raubtiers nachlässt. Dann können sie plötzlich davonrennen und sich durch diese Flucht entladen. Freezing ist in der Tierwelt ein weit verbreiteter Überlebensmechanismus. Die Entsprechung beim Menschen ist, dass es, wenn die bedrohliche Situation mit dem „Erstarren“ im Schockzustand vorüber ist, durch intensive Bewegung, z.B. zielloses, ungerichtetes Umherlaufen, durch eine zielgerichtete Aktivität oder durch eine physiologische Abreaktion, z.B. starkes Zittern im ganzen Körper, zu einer Entladung kommt. Sicherheit und emotionale Unterstützung durch nahestehende Personen oder geschulte professionelle Helfer erNeurologie & Psychiatrie 5/14 PSYCHIATRIE REFERAT lauben, den Hyperarousal der akuten Traumareaktion abzubauen. Für Patienten mit Traumafolgeerkrankungen sind generelle Informationen zu Traumaphysiologie und Psychotraumatologie wichtig: Zu erfahren, dass die aufgetretenen Symptome und Verhaltensweisen normale Reaktionen auf eine abnormale Situation darstellen, wirkt entlastend. Genauso wichtig ist es, in allen Formen der Arbeit mit traumatischen Erfahrungen eine stabile Vertrauensbasis herzustellen, die dem Patienten Sicherheit vermittelt, und besonders darauf zu achten, dass die Konfrontation mit den Traumainhalten nicht neuerlich das Gefühl von Überwältig werden und Ausgeliefertsein zur Folge hat; sonst entstünde wieder dieselbe physiologische Reaktion wie in der ursprünglichen traumatischen Situation, was nicht zu einer Aufarbeitung, sondern zur Retraumatisierung führt. Besonders wichtig in der Traumatherapie ist auch die Arbeit mit Ressourcen. Eine Ressource ist jede positive, stützende, stabilisierende Erinnerung, jede Person, jeder Ort, jede Handlung und • Unerklärliche Schmerzsyndrome • Panikanfälle und Phobien • Depression jede persönliche Fähigkeit, die auf den Körper und die Psyche beruhigend wirkt. Spezielle traumatherapeutische Methoden Mit der Entwicklung der Traumaforschung haben sich auch spezifische Traumatherapien entwickelt. Besonders bei komplexen Traumata und Entwicklungstraumata kann es aber nie um die reine Anwendung einer Technik gehen. Traumatherapie kann nur im Rahmen einer sicheren psychotherapeutischen Beziehung heilsam sein. Zusammenfassung Somatic Experiencing Das Somatic Experiencing (SE), von Peter Levine auf der Grundlage der Körperpsychotherapie entwickelt, fasst Trauma nicht als Krankheit auf, sondern als Störung des Ablaufs des Regulationsmechanismus des vegetativen Nervensystems bei einer starken Bedrohung. „Das Nervensystem eines Traumatisierten ist nicht geschädigt, sondern wie beim Winterschlaf erstarrt“, so die Grundthese. Mit dieser Technik wird der Körper eingeladen, den physiologischen Zyklus mit der Entladung der „Trauma-Energie“ zu vollenden und damit wieder vom chronischen Hyperarousal auf ein ausgeglichenes physiologisches Niveau zu kommen. • Vermeiden bestimmter Plätze, Situationen • Vorliebe für gefährliche Situationen • Häufiges Weinen • Übertrieben starke oder verringerte sexuelle Aktivität • Unfähigkeit, zu lieben, andere Menschen zu umsorgen oder dauerhafte Beziehungen zu entwickeln • Angst vor dem Tod, vor dem Verrücktwerden oder Überzeugung, nur kurz zu leben • Essstörungen • Versagensgefühle • Tendenz zur Gewalt/Fanatismen • Migräne, Schwindel, Tinnitus • Unfallanfälligkeit wegen reduzierter Orientierungsreaktion • Suchterkrankungen Tab. 2: Klinische Symptome und Syndrome, die mit PTBS in Zusammenhang gebracht werden Neurologie & Psychiatrie 5/14 Francine Shapiro entdeckte und entwickelte Methode, die durch Linksrechts-Bewegung der Augäpfel und des Blickes oder andere rhythmisch zwischen rechts und links abwechselnde Stimuli charakterisiert ist. Wichtig, bevor diese einfache, aber sehr wirksame Technik angewendet wird, sind die Stabilisierung des Patienten, die Schaffung eines „sicheren Ortes“ und einer sicheren Vertrauensbasis. EMDR ist besonders bei akutem Trauma indiziert, weniger bei Entwicklungs- und Bindungstrauma. Psychodynamisch imaginative Trauma-Therapie Die psychodynamisch imaginative Trauma-Therapie (PITT) wurde von Dr. Luise Reddemann zur Behandlung von Traumafolgestörungen entwickelt und hat sich daher insbesondere in der Behandlung von komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen, dissoziativen Störungen und Persönlichkeitsstörungen klinisch bewährt. PITT kombiniert Elemente von angewandter Psychoanalyse mit solchen aus der kognitiven Verhaltenstherapie und imaginativen Verfahren sowie Prinzipien der Achtsamkeitsmeditation. Leitend ist das Konzept der Selbstregulation und Selbstheilung. Eye Movement Desensitization and Reprocessing Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) ist eine von Schwer traumatisierende Erfahrungen führen einerseits zu tief greifenden Veränderungen der Gedächtnisstruktur und des Verhaltens und damit zu psychischen Störungen wie Post Traumatic Stress Disorder oder Borderline-Störungen, andererseits auch zu typischen spezifischen Veränderungen im Vegetativum, an der HPA-Achse und an den Transmittern. Daraus können die bekannten Traumafolgeerkrankungen auf psychischer Ebene entstehen, aber auch unerklärliche Schmerzsyndrome und funktionelle Krankheiten. Besonders Menschen, die Entwicklungstraumata durchmachen oder komplexe Traumata erleben mussten, brauchen Unterstützung in einem langfristigen Prozess mit einer verlässlichen, verständnisvollen, geduldigen (haus-)ärztlichen Begleitung. Im Rahmen einer sicheren psychotherapeutischen Beziehung kann mittels Traumatherapie langfristig das erlebte Trauma seine allgegenwärtige tödliche Bedrohung verlieren und das Bewusstsein, es überlebt und integriert zu haben, zur Stärkung der Betroffenen beitragen. ■ Literatur bei der Verfasserin Autorin: Dr. Elfriede Kastenberger Ärztin für Allgemeinmedizin, Psychotherapeutin Medizinische Leitung der Interdisziplinären Praxis für Fibromyalgie und chronischen Schmerz Vorsitzende der Austrian Association for Body Psychotherapy E-Mail: [email protected] Seite 35 I JATROS