Offenes Planen. Erweiterung der Lösungsräume für

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Offenes Planen. Erweiterung der Lösungsräume für architektonisches
Entwerfen
Rüdiger Lainer & Ina Wagner
Der Kern des Konzepts offenen Planens ist die Vorstellung, architektonisches Entwerfen möge in einem
offenen Raum möglicher Annäherungen erfolgen anstatt sich frühzeitig auf fixierte Lösungen
hinzubewegen. Als Leitidee für die Entwicklung einer Entwurfsmethodik sollte es Wege aufzeigen, die
Stärken und konzeptuelle Integrität eines Entwurfskonzepts zu bewahren und es gleichzeitig gegenüber
sich verändernden und im Planungsverlauf erst konkretisierenden Anforderungen offen zu halten.
Offenes Planen entspricht einem morphologischen Konzept des Entwurfsprozesses. Dieses geht über das
Arbeiten mit ‘Fakten’ einerseits, die rein subjektiv-intuitive Interpretation von Raumerlebnissen
andererseits hinaus. Es erfordert die Konzeptualisierung von Vorstellungen, auf der Ebene von Bildern,
Metaphern und Analogien, ihre Konfrontation mit den ‘Gegebenheiten’, den Umgang mit
Gegensätzlichkeiten.
Offenheit erfordert, daß Entscheidungen über Lösungspfade nicht zu rasch getroffen werden. Dazu
gehört auch, daß die in den Planungsprozeß einbezogenen Akteure ihre Arbeit in einer Form
präsentieren, die Veränderungen zuläßt und fliessende Übergänge zwischen Festlegen und Beschreiben
ermöglicht. Es erfordert zudem, vom Denken in spezifischen Lösungen zu einem solchen mit Platzhaltern
überzugehen und dabei notwendige Spezifikationen als partiell und vorläufig zu betrachten. Offenes
Planen beruht auf einer Dynamik des Ausweitens, Mobilisierens, vorläufig Festlegens, erneut Öffnens.
Im folgenden werden die spezifischen Qualitäten der Praxis offenen Planens beschrieben:
•
das Mobilisieren vielfältiger Ressourcen
•
das Einkreisen von Problemen
•
das Offenhalten und Erweitern der Lösungsräume.
Mobilisieren vielfältiger Ressourcen
Wir verwenden den Begriff Ressourcen für die vielfältigen inspirationalen Objekte und konkreten
Fakten, die Architekten im Planungsprozeß unterstützen. Im Kino-Projekt Eurocity waren dies etwa die
Kenntnis von Ort und Kontext, eine Vorstellung der Anforderungen (einschließlich jener das neue Objekt
mit einem Altbau zu ‘verbinden’), die Alltagserfahrung von Kino. Hinzu kommen eine Fülle von Bildern
bereits bearbeiteter Projekte, im Kopf und als Spuren an den Bürowänden ausgestellt. Während Ort,
Kontext und Anforderungen zunächst unscharf und im Hintergrund bleiben, werden eine Vielzahl von
Bildern und Metaphern aktiviert. Eines dieser Bilder waren etwa Stapel komprimierten Altpapiers, im
Vorbeifahren mit dem Zug periphär wahrgenommen und aufgefangen als Metapher für das Stapeln von
Volumina. Die Zugreise steht für die Flüchtigkeit vorbeiziehender Impressionen wie auch für den
unkonzentrierten Blick des müden Reisenden.
Zu diesem Zeitpunkt sind Vielfalt und Unschärfe der Vorstellungen und Bilder wichtig. Die Kunst des
Entwerfens besteht darin, mit einer Fülle von Parametern zu jonglieren, sie wie durch ein Sieb zu
schütteln, sodaß ihre Beziehungen sich zwar nicht verfestigen, aber doch allmählich in ein Konzept
fügen. Dieses Konzept muß in der Schwebe gehalten, mit immer neuen Eindrücken und Fakten
konfrontiert werden.
Jede dieser Ressourcen - Pläne, Fotos, Texte, Bilder,
Metaphern, Objekte unterschiedlicher Qualität und
Materialität - mobilisiert den Entwurfsprozeß auf eigene
Weise. Bilder und Metaphern stellen eine reichhaltige Sprache
dar, die hilft, Ideen zu formieren und Qualitäten
auszudrücken: Raumqualitäten (grosses Volumen, hermetisch,
monolythisch,
knappe
Berührung,
Raumstapelung,
transluzente Hülle), Textualität (felsig, steinig, gestockt,
rauh). Licht wird als flutend beschrieben, als schimmernde
Fläche. Diese Metaphorik entwickelt sich dann in der
Konfrontation mit jenen Ressourcen weiter, die im Gespräch im Team und mit Konsulenten erschlossen
werden: transparente Folien werden zu Trägern ‘spannenden Lichts’, für die ‘textile Haut’ werden
beschichtetes, emailliertes, geklebtes Glas sowie unterschiedliche Tragwerkkonstruktionen mobilisiert.
Ein zentrales Problem dabei ist die beschränkte Verfügbarkeit jener vielfältigen Ressourcen, die den
Entwurfsprozeß anregen und unterstützen. Sie entstehen auf Reisen und Stadtgängen, bei Kino- und
Ausstellungnsbesuchen, in Seminaren und periphären Fachgesprächen. Sie sind in Zeitschriften,
Katalogen oder auf einer CD zu finden. Oft bleiben sie jedoch im Kopf versteckt und sind nur beschränkt
zugänglich und kommunizierbar. Ihre Erschliessung bedarf aufwendiger und langwieriger Kontakte mit
einer Vielzahl von Konsulenten, Herstellern und Kollegen. Doch ist das Bemühen um ihre
'Mobilisierbarkeit' in mehrfacher Hinsicht relevant:
•
ein Entwurfskonzept besser (be)greifbar zu machen, es zu 'externalisieren' (in Bildern, Metaphern)
zu beschreiben;
•
die Vielfalt der Parameter und Einflüsse über Prozesse des Filterns, Kontextualisierens, in
Verbindung-Bringens handbarer zu machen;
• und damit neue Wege der Wahrnehmung und Interpretation von 'constraints' zu eröffnen.
Essentiell an diesem Prozeß des Mobilisierens ist das Fehlen vorgedachter Ordnungen und
Interpretationen. Häufig geht es um das Wahrnehmen des Unvertrauten im Vertrauten, das Entdecken
von Beziehungen zwischen scheinbar inkongruenten Objekten und Vorstellungen.
Einkreisen von Problemen
Der nächste Schritt besteht darin, Projektpläne anzufertigen, die die Idee detaillieren und erste
Bearbeitungen erlauben. Die noch schwebende Entwurfsidee muß mit den Gegebenheiten konfrontiert
und weitergedacht werden. Probleme können im Prozeß offenen Planens nur selten sequentiell und ‘in
einem Stück’ abgearbeitet werden. Sie tauchen auf, in der Arbeit an Details, in der sukzessiven
Konfrontation mit den Gegebenheiten, in Arbeitssitzungen mit wechselnden Gesprächspartnern, in
Verhandlungen mit Behörden.
Dem entspricht der Verlauf von Projektbesprechungen, in denen viele Themen angesprochen und
sukzessive eingekreist werden. Während manche von ihnen im Detail diskutiert und dabei erste
Festlegungen vorgenommen werden, bleiben andere offen. Die Arbeit entfaltet sich in einem Rhythmus,
der durch Thematisieren, Faktensuche, Erproben unterschiedlicher Lösungsrichtungen gekennzeichnet
ist.
Mit diesem Einkreisen eines Themas ist häufig ein ‘Gang’ durch das gesamte Objekt verbunden, denn
jede spezifische Lösung, die erörtert wird, beeinflusst die Relationen und Abhängigkeiten zwischen
Parametern: das Konzept der Innenbeleuchtung berührt den Entwurf der Aufgänge und Stiegen, die
Deckenkonstruktion, die Textur der Wände, die Auslegung der Projektionskabinen, usw.
Die Annäherung an ein Thema kann experimentell erfolgen. Dies
läßt sich am Beispiel der Organisation des Innenraums eines
Gebäudes veranschaulichen. Hier mag ein Erschliessen von
Alternativen in vielen kleinen experimentellen Schritten sinnvoll
sein. Erste Inspirationsquellen für den Entwurf eines Inneren von
Volumina, Höfen, Zwischenräumen und Wegen mögen etwa Bilder
von Siedlungsstrukturen und Wegesystemen, tunesischen
Erdhäusern und islamischen Städten bilden. Diese regen vielfältige
Arrangements von Volumina und Leer-Räumen, Zugängen und
Verbindungen an. Integrierte Freiräume im Inneren, als Hof oder
Wintergarten nutzbar, unterstützen die Bildung eines eigenen
Mikroklimas im Binnenraum. Die verschiedenen Freiflächen
mögen dicht bepflanzt werden, in ‘paradiesischer’ Üppigkeit, oder reduziert, asketisch. In eingelagerten
Wasserflächen kann sich das Regenwasser sammeln.
Das experimentelle Herangehen erlaubt ein ‘Freispielen im Kopf’
und damit ganz andere Lösungen als die bereits Vorgedachten.
Wichtig dabei sind Offenheit und Unschärfe und die Konfrontation
mit Gegensätzlichkeiten. Ein Beispiel ist etwa das Spiel mit
Distanz und Nähe. Wenn ein Gebäude als auf engem Raum relativ
nahe und nur knapp berührend gedacht wird, entsteht eine
spezifische
Spannung
zwischen
Autonomie
einerseits,
Bezugnahme auf die Umgebung andererseits. Massive, wie Felsen wirkende Volumina lassen sich mit
offenen und transparenten Wegen zugänglich gestalten.
Offenhalten und Erweitern der Lösungsräume
Die Metapher des Mäanderns beschreibt das ‘kunstvoll’ fliessende
Oszillieren zwischen Vor-Schreiben und Be-Schreiben, Festlegen
und Öffnen. Für die Praxis offenen Planens bedeutet dies zum
einen, daß es möglich sein sollte, zu einem früheren
Projektstadium zurückzukehren, Bilder, Assoziationen und
Lösungswege zu mobilisieren, die zu diesem Zeitpunkt nicht
weiter verfolgt, gleichsam in Reserve gehalten wurden. Zum
anderen geht es darum, Entscheidungen über Material und
Produkte
(einschliesslich
der
durch
diese
geprägten
Entwurfsparameter) möglichst lange für weitere Veränderungen
offenzuhalten.
Oft ergibt sich der Druck, eine bereits getroffene
Entwurfsentscheidung wieder zu öffnen, aus einer veränderten
Anforderung oder unerwarteten Einschränkung. So entstand etwa
im Projekt Eurocity mit der Notwendigkeit, eines der wuchtigen
Volumina hinauszuschieben, ein zuvor nicht gedachter Platz für
eine (konstruktiv erforderliche) Säule. Deren Vertikalität, verstärkt
durch die konische Form, reflektiert und verstärkt das Konzept des
Monolythischen und doch Schwebenden in dramatischer Weise.
Ein Ansatz dazu, dieses Mäandern von Entscheidungen
vorwegnehmend mitzudenken, ist das Arbeiten mit Platzhaltern,
in die austauschbare Elemente eingefüllt und auf ihre
Implikationen hin überprüft werden können. Ein Platzhalter steht für eine noch offene
Entwurfsentscheidung, er besetzt einen spezifischen Platz innerhalb eines ‘relationalen Raums’. Was als
Platzhalter definiert und offengehalten werden kann, hängt von den Inhalten und dem Kontext eines
Projekts ab.
Das Haus Antonigasse ist ein Beispiel für das Arbeiten mit
Platzhaltern. Es wurde als neutraler Behälter für unterschiedliche
Nutzungen (Klinik- und Verwaltungräume, temporäres Wohnen)
entworfen.
Ein
wesentliches,
bereits
festgelegtes
Gestaltungselement waren die Rythmik der Fensteröffnungen
sowie die Idee eines austeren Gebäudes, das jedoch auch
zugänglich wirkt. Je nach Lichteinfall sollte das Gebäude
schimmern, in sich geschlossen, matt und als Teil der etwas
düsteren Umgebung, oder belebt und von dieser abgesetzt
wirken. Offen hingegen waren Materialien und spezifische
Konstruktion.
Arbeiten mit Platzhaltern heißt, die vorläufige Spezifikation der
Fassade als eine Hypothese zu betrachten. Sie kombiniert
Festlegungen (bezüglich der Tiefe, bestimmter physikalischer
Eigenschaften,
Proportionen)
mit
offenen
Parametern
(Konstruktionsprinzip und Oberflächenmaterial).
Von den an der Planung Beteiligten erfordert dies, mit
unvollständigen Spezifikationen einzelner Elemente oder
Gebäudeteile zu arbeiten. Dies ist ungewohnt, und gerät mit der
durch das Zeichnen, vor allem jener des Zeichnens am Computer,
geprägten Kultur der Detaillierung in Konflikt. Offenes Planen
erfordert es, Pläne und die in ihnen vorgenommenen
Spezifikationen als prinzipiell vorläufig und unvollständig
aufzufassen - ‘Pläne als Schemata’ zu denken.
Methodische Umsetzung
Die Umsetzung eines solchen Konzepts offenen Planens bedarf einer Methode. Darunter verstehen wir
ein Set von Möglichkeiten, Entwerfen und Planen als einen informellen und fliessenden kooperativen
Arbeitsprozeß zu organisieren. Bausteine für eine solche Methode sind:
•
Themenbezogenes Arbeiten - Themen definieren die Grundprinzipien eines Projekts in der Sprache
von Bildern und Metaphern; sie bieten die wesentlichen Orientierungspunkte für das Erarbeiten von
Details und die Gewichtung unterschiedlicher Lösungswege.
•
Reichhaltige Kommunikation - die Kommunikation mit relevanten Anderen (Konsulenten,
Behörden, Bauherr usw.) muß nicht nur intensiviert werden, sondern es bedarf der Erschliessung
zusätzlicher Formen der Kommunikation von Qualitäten, der Konstruktion reichhaltiger
Erzählungen um ein Entwurfskonzept einerseits, die Möglichkeiten von technischen Lösungen und
Produkten andererseits.
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