Jung – krank - kriminell UNTERTITEL

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JUNG – KRANK - KRIMINELL
AUFGABEN UND GRENZEN DER
JUGENDFORENSIK
Christian Perler, 27.04.2017
Leitender Arzt, Jugendforensik, Forensisch-Psychiatrische
Klinik
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 02.05.2017
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Themenübersicht
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Jugenddelinquenz
Entstehung von dissozialem Verhalten
Delinquenz und psychiatrische Störungen
Massnahmen
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Fallbeispiel
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17-jähriger Schweizer, Mittelstand, 2 Geschwister
Indexdelikt: Brandstiftung
Andere Delikte: Diebstahl, Handel und Konsum von Betäubungsmitteln,
Drohung, Tätlichkeit
Ab Schulbeginn Verhaltensprobleme, Raufereien, ungeschickt, schwache
schulische Leistungen: Schulpsychologischer Dienst Hyperaktivität Diagnose
Mehrere Umzüge und Schulwechsel, Mobbingerfahrung
Mit 12 J. Beginn Cannabiskonsum, Schulschwänzen, oppositionelles Verhalten
gegenüber Lehrern und Eltern
Mit 14 J. Platzierung, Kurvengänge, delinquente Peers, kleine Diebstähle,
Polizeikontakte
Setzt mit anderen Heimbewohner das Wohnheim in Brand
Gutachten: Störung des Sozialverhaltens und Sucht
 Massnahmezentrum
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Entwicklung der Straffälligkeit
Quelle: Zur Entwicklung der Jugendkriminalität:Jugendstrafurteile von 1946 bis
2004. Bundesamt für Statistik, Neuenburg, 2007
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Welche Art von Delikten?
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Entwicklung einzelner Delikte
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Verbesserung oder Verschiebung?
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Gründe für die Abnahme?
› Erfolg der Präventionspolitik des Bundes
› Stärkere Polizeipräsenz
› Abschreckung durch verschärfte Strafen
› Verbesserte Hilfsmassnahmen durch die Kinderschutzbehörden
› Intensivierte kinderpsychiatrische Versorgung
› Internet – e-Medien
› Sicher nicht
› Abnahme des Alkohol und Drogenkonsums
› Gewaltfreie Medien
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Verhältnismässigkeit
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Lediglich 2 Promille der minderjährigen Wohnbevölkerung werden
wegen Gewaltdelikten verurteilt. Nur ein verschwindend kleiner Teil der
Jugendlichen macht sich also in diesen Bereichen strafbar (Bericht
Innere Sicherheit 2005, S. 71. ).
›
Vollendete Tötungsdelikte 2014: tiefster Wert seit 30 Jahren
› 0,5 Tötungsdelikte pro 100‘000 Einwohner (USA 5,2 )
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Sicherheitsbedürfnis ist grundlegend legitim
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Verbindung zwischen Delinquenz und Psychiatrie
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Ausmass von einzelnen Delikten übersteigt unser Vorstellungsvermögen
 «Wahnsinn»?
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Psychiatrische Gutachten:
› Schuldfähigkeit = Einsichtsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit
› Delikthypothese
› Massnahmebedürftigkeit zwecks Verbesserung Rückfallrisiko
› Entscheidungshilfe für den Richter
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Untersuchungen bei Gefängnisinsassen:
› Bis 70% haben eine psychische Störung
› Suchtproblematik (Alkohol, Cannabis, Amphetamine,…)
› Haftfähigkeit
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Psychische Störungen und Delinquenz
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Schizophrenie
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Störung des Sozialverhaltens bei Jugendlichen
› Persönlichkeitsstörungen
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Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung
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Angststörungen
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Traumafolgestörungen
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Suchterkrankungen
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Zusammenhang psychische Störung und
Tötungsdelikte
Schizophrenie und
Alkoholabhängigkeit
antisoziale
Persönlichkeitsstörung
Alkoholabhängigkeit
Schizophrenie
Depression
0
5
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relative Risikoerhöhung (OR) für Tötungsdelikte
Eronen et al. 1996
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Störungen des Sozialverhaltens bei Minderjährigen
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Häufigste Eintrittsdiagnose auf der Jugendforensischen Abteilung R3
Durchgehendes Muster von oppositionellem, aggressivem oder
dissozialem Verhalten
Einteilung je nach Art und Umfang der Beziehungen, Ort des Auftretens
und Beginn
Subtypen der aggressiven Verhalten:
› Instrumentell-aggressives Verhalten (kalte Aggression)
› Impulsiv-aggressives Verhalten (heisse Aggression)
› Ängstlich-aggressives Verhalten
Häufige Komorbiditäten
› ADHS
› Emotionale Störungen
› Substanzabusus
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Entstehungsbegünstigende Faktoren
Schmeck K, Stadler C.: Störungen des Sozialverhaltens In Fegert, Eggers, Resch
Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. 2012, Springer.
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Mögliche zeitliche Entwicklung
Schmeck K, Stadler C.: Störungen des Sozialverhaltens In Fegert, Eggers, Resch
Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. 2012, Springer.
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Andere Diagnosen
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Angststörungen
Traumafolgestörungen
Autismus
Intelligenzminderung
Suchterkrankungen
› Beschaffungskriminalität
› Verminderung der Impulshemmung
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Jugendstrafrecht und Massnahmen
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Das Schweizerische Jugendstrafrecht
Grundsätze des Jugendstrafrechts:
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Strafmündigkeitsalter 10 Jahre
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Täterstrafrecht, nicht primär Tatstrafrecht
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Spezialprävention vor Generalprävention
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Erziehungsstrafrecht mit fürsorgerechtlichem Anteil
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Flexible Ausgestaltung der Strafen und Massnahmen
Ziel:
›
Reintegration straffälliger Kinder und
Jugendlicher in unsere Gesellschaft
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Verminderung der Rückfallgefahr
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Rückfallraten je nach Massnahme
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Sanktionen des revidierten Jugendstrafrechts
Verweis
Persönliche Leistung
> 15 J: Bussen
Strafen
> 15 J: Freiheitsentzug bis 1 J.
> 16 J: Freiheitsentzug bis 4 J.
Aufsicht
Schutzmassnahmen
ambulant
Persönliche Betreuung
Ambulante Behandlung
stationär
Mediation
Unterbringung
Behandlung
Strafbefreiung
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Schutzmassnahmen
›
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Ambulant:
› Aufsicht
meist Juga
› Persönliche Betreuung
› Psychotherapien
› Multisystemische Therapie
› Gruppentherapie (Gewalt, Sozialkompetenzen, sexuell
übergriffiges Verhalten, usw.)
› Forensische Einzeltherapie
Stationäre Unterbringung
› Jugendhilfeeinrichtungen
› Jugendforensisch-psychiatrische Abteilung
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Jugendforensische Abteilung R3 Basel
›
Patienten im Alter zwischen 13-18 Jahren, mit Weiterbehandlung bis
zum 22. Lebensjahr
›
männlich & weiblich
›
Diagnostik, Begutachtung, Therapie sowie Kriseninterventionen
›
10 Behandlungsplätze + 1 Kriseninterventionsplatz
›
zugewiesen durch Jugendanwaltschaften & Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde
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Wege in die Jugendforensische Abteilung
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Dysfunktionale Familien, genetische Belastung
Repetitive Traumata
Häufig früh beginnende Verhaltensstörungen, Schulschwierigkeiten
ADHS-Diagnose
› Belegt oder Verdachtsdiagnose
› Medikamentöse Behandlung
› Psychotherapie
›  schlechte Compliance?
Multiple Hilfsmassnahmen inklusive Platzierungen
›  Misserfolge mit Beziehungsabbrüchen
Dissoziale Peergruppen
›  Delinquenz als Identitätselement
Gewalt als Kommunikationsmittel
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Multiaxiale integrierte Behandlung
Psychische
Störung
Delikt
Psychotherapie
Sicherheitsdispositiv
Einzeltherapie / Medikation
Gruppentherapie
Familien (-therapie)
Deliktspezifische Therapie - Risikoevaluation
Arbeitserprobung
Schulische
Defizite
Schule
Soziale
Soziales Kompetenztraining
Risikofaktoren
Autonomie
mangel
Berufliche
Eingliederung
Praktisches Erproben: Gruppe -Freizeit
Angepasste Wohn- und Lebenshilfe - Milieutherapie
t
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Eckpunkte der Behandlung
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Vertiefte Abklärung: körperlich, psychiatrisch, schulisch, sozial
Behandlungsplan gemäss der individuellen Störungs-, Delikt- und
Problemhypothese
Dauer der Behandlung: 3 bis 18 Monate
Ziel: Psychische Besserung, Verbesserung der Selbstständigkeit und
sozialen Integration sowie Deliktfreiheit
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Fazit
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Die meisten Jugendlichen werden nicht straffällig oder hören nach dem
ersten Behördenkontakt auf
Adoleszenz braucht Grenzen, um sich zu testen
Vereinzelte Individuen befinden sich auf dem Weg der Dissozialität und
brauchen Hilfe, um nicht in die intensivere Delinquenz abzudriften
Unreife des Gehirns und Drogen ermöglichen ihnen nicht, die Schwere
der Konsequenzen ihrer Taten (für sich und andere) einzuschätzen
Jede Fremdschädigung verursacht Schmerzen und Verunsicherung und
muss geahndet werden
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Fazit
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Dank gut angelegter Forschung werden wir immer sicherer potentielle
Intensivtäter identifizieren können, damit diesen intensiv und
zielgerichtet geholfen werden kann, um Deliktrückfälle zu verhindern
oder zu vermindern.
Effiziente Behandlungsansätze existieren, doch sie müssen multiple
Ansatzpunkte haben und die positiven Anteile der Personen stärken.
Nur eine intensive Zusammenarbeit zwischen den jugendlichen, den
Familien, den Spezialisten und den Behörden ist erfolgsversprechend.
Unsere Zukunft ist nicht immer rosig, deshalb braucht unsere Jugend
ein optimales Gepäck, um sie zu meistern .
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VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT
Christian Perler, 27.04.2017
Leitender Arzt, Jugendforensik, Forensisch-Psychiatrische Klinik
[email protected]
http://www.upkbs.ch
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