Die Nürnberger Prozesse 1945 - 1949

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BZ - Materialien, Band 1 Gabi Müller-Ballin
Die Nürnberger Prozesse 1945 - 1949
Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnisse - Dokumente
Einführung
Am 20.11.1945 begann im Nürnberger Justizpalast in der Fürther-Straße 110 im Saal 600 der Prozeß gegen die
Hauptkriegsverbrecher. 21 ehemals führende Vertreter des "1000-jährigen Reiches" saßen auf der Anklagebank. Auch
gegen sechs Gruppen und Organisationen - das Reichskabinett, das Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA und
Gestapo, Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht - wurde Anklage erhoben. Sie lautete auf Verschwörung
und Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach 9 Monaten
wurde am 1.10.1946 das Urteil verlesen: 12 mal die Todesstrafe (Bormann in Abwesenheit), 3 mal lebenslänglich, 4
Zeitstrafen zwischen 10 und 20 Jahren, 3 Freisprüche. Im Anschluß an den internationalen
Hauptkriegsverbrecherprozeß fanden die 12 Nürnberger Nachfolgeprozesse statt. Mit dem letzten Urteil am 11. April
1949 waren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse zu Ende. Sie wurden zu einer umfassenden Darstellung des
nationalsozialistischen Regimes. Anläßlich des 50. Jahrestages des Beginns der Nürnberger Prozesse bietet das
Bildungszentrum, die Volkshochschule der Stadt Nürnberg, interessierten Laien eine Zusammenstellung wichtiger
Inhalte der Prozesse. Den roten Faden bildet dabei die zeitliche Abfolge der Ereignisse: von den ersten Schritten seit
1940 über die Entstehung der Anklageschrift bis zur Eröffnung des Hauptkriegsverbrecherprozesses. Daran schließen
sich Auszüge aus den Beweisvorträgen der amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen
Anklagebehörde an. Es folgt eine kurze Darstellung der Argumente der Verteidigung und ein Überblick über das
Urteil. Exemplarisch werden die Schuldsprüche einschließlich Begründung durch das Gericht für vier der
einundzwanzig angeklagten Einzelpersonen im Wortlaut zitiert. Den Abschluß bildet eine Übersicht über die
Nürnberger Nachfolgeprozesse.
Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß stellte schon allein in organisatorischer Sicht alles bisher Dagewesene
in den Schatten. An 218 Tagen wurde verhandelt. Das Sitzungsprotokoll umfaßt 4 Millionen Wörter und füllte 16 000
Seiten. Von der Anklage wurden 2360 Beweisdokumente vorgelegt, von der Verteidigung 2700. Das Gericht hörte
240 Zeugen und prüfte 300 000 eidesstattliche Erklärungen. Der Prozeß wurde in vier Sprachen geführt: englisch,
französisch, russisch und deutsch.
Die vorliegende Zusammenstellung kann nur eine grobe Skizze sein. Es werden eine Reihe wichtiger Aspekte
angesprochen, andere jedoch, die in der zeitgeschichtlichen Forschung und in der politischen Diskussion nach 1949
bis heute eine wichtige Rolle spielen, konnten - schon aus Platzgründen - nicht berücksichtigt werden.
Nürnberg, Juni 1995
Gabi Müller-Ballin
INHALT
Einführung
Stationen auf dem Weg nach Nürnberg
Zur Vorgeschichte des Hauptkriegsverbrecherprozesses- Die Erklärung von St.
James
- UNWCC und Moskauer Konferenz
- Robert Jackson wird Chef der Anklagebehörde
- Das Londoner Abkommen
Die Anklage
- Anklagevertretung
- Anklageschrift
- Anklagepunkt 1: Verschwörung
- Anklagepunkt 2: Verbrechen gegen den Frieden
- Anklagepunkt 3: Kriegsverbrechen
- Anklagepunkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- Die Angeklagten
- Reaktionen der Angeklagten auf die Anklageschrift
Die Prozeßeröffnung
aus den Beweisvorträgen der Anklagebehörde- Das Hoßbach-Protokoll
- KZ-Filme als Beweismaterial
- Die Schmundt-Notizen
- "Zwangsarbeit - wirtschaftliche Ausplünderung Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen"
- Zeugin Madame Vaillant-Couturier
- Oradour-sur-Glane
- Zeuge der Anklage:
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
- "Das Verpflegen von Kriegsgefangenen
ist eine mißverstandene Menschlichkeit"
- "Technik der Entvölkerung"
- "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen
im Ostraum und die Behandlung der Russen"
- Lidice und andere
- Jüdische Babys in Auschwitz
Die Verteidigung
- Die Zuständigkeit des Gerichts wird in Frage gestellt
- Das "tu quoque" Argument
- Zeuge der Verteidigung:
Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz
Die Schlußplädoyers der Verteidigung und der Anklagebehörde
Die angeklagten Organisationen
Schlußworte der Angeklagten
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde"
Die Presse in Nürnberg
Das Urteil- Die Richter
-
Die Urteilsverkündung
Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens
Zum Begriff der Verschwörung
Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten
Tabelle der Strafausspüche
- Die Vollstreckung des Urteils
Zur Bedeutung von "Nürnberg"
Die Nürnberger Nachfolgeprozesse
- Ärzte und Juristen
- SS und Polizei
- Industrielle und Bankiers
- Militärische Führer
- Minister und hohe Regierungsbeamte
- Tabelle der Strafaussprüche
Zeittafel
Anmerkungen und Literaturnachweis
Dokumente im Wortlaut:A) Das Hoßbach-Protokoll, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, Urkunden und anderes Beweismaterial,
Nachdruck München 1989, Bd. 1,S. 402 ff, Dokument 386-PS,
B) Fritz Sauckel, Das Programm des Arbeitseinsatzes (20.4.1942),
in: Der Prozeß ..., Urkunden ...,Bd. 1, S. 55-71, Dokument 016-PS
C) Entwurf einer Rede Krupps,"Gedanken über den großindustriellen
Unternehmer".., in:Der Prozeß gegen ..., Urkunden ..., Bd. 11,
S. 67 ff., Dokument 317-D
D) Schuldsprüche gegen Keitel, Streicher, Funk und Schacht
im Wortlaut, in: Der Prozeß gegen ..., Protokoll, Bd. 1,
S. 324 ff (Keitel), S. 340 ff (Streicher), S. 243 ff (Funk), S. 346 ff
(Schacht).
Stationen auf dem Weg nach Nürnberg
Zur Vorgeschichte des Hauptkriegsverbrecherprozesses
Bereits 1940 erhoben die britische, tschechische, französische und polnische Regierung offizielle Proteste gegen die
Verbrechen, die von den Deutschen während der Besetzung in Polen und der Tschechoslowakei begangen wurden. Im
Oktober 1941 verdammte Franklin D. Roosevelt öffentlich " die Hinrichtung ganzer Reihen unschuldiger Geiseln"
durch die Deutschen. Winston Churchill, der englische Premierminister, schloß sich diesem Schritt des
amerikanischen Präsidenten an. Die Sowjetunion sandte im November 1941 und im Januar 1942 diplomatische Noten
aus, in denen die deutsche Regierung der "systematischen und bewußten verbrecherischen Verletzung des
Völkerrechts", die durch Brutalitäten und Gewalttaten gegen russische Kriegsgefangene, durch Plünderungen und
Zerstörungen sowie durch Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung begangen worden sei, beschuldigt wurde.
Die Erklärung von St. James
Im Januar 1942 wurde in einer Konferenz in London der erste Schritt zur Formulierung eines Programms für die
Behandlung von Kriegsverbrechern unternommen. An dieser Konferenz nahmen Repräsentanten folgender von den
Deutschen besetzten Länder teil: Belgien, Tschechoslowakei, Frankreich, Griechenland, Holland, Jugoslawien,
Luxemburg, Norwegen und Polen . In der Erklärung von St. James vom 13.1.1942 bezeichneten die
Konferenzteilnehmer "als eines ihrer wichtigsten Kriegsziele die Bestrafung der für die Verbrechen Verantwortlichen,
und zwar im Wege der Rechtsprechung, gleichgültig, ob die Betreffenden alleinschuldig oder mitverantwortlich für
diese Verbrechen waren". (1) Die Unterzeichnermächte verlangten ferner, "daß im Geiste internationaler Solidarität a)
die Schuldigen oder Verantwortlichen ohne Ansehen der Nationalität gesucht und vor Gericht gestellt und abgeurteilt
würden, b) daß die verkündeten Urteile vollstreckt würden"(2). In der Anerkennung der Erklärung von St. James
durch die Vereingten Staaten von Nordamerika, Großbritannien und die Sowjetunion wurde die Ansicht bekräftigt,
daß über die Kriegsverbrechen in Gerichtsverfahren verhandelt werden sollte.
UNWCC und Moskauer Konferenz
Im Oktober 1942 trat die von 17 Nationen - Australien, Belgien, Kanada, China, Frankreich, Griechenland, Holland,
Indien, Jugoslawien, Luxemburg, Neuseeland, Norwegen, Polen, Südafrika, Tschechoslowakei, das Vereinigte
Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika - gebildete
"Kriegsverbrechenskommission der Vereinigten Nationen" erstmals zusammen. Die UNWCC (United Nations War
Crimes Commission) wurde eine wichtige Zentralstelle für Kriegsverbrecher-Angelegenheiten. Sie empfing und
registrierte Anzeigen, die von den Mitgliedsstaaten eingereicht wurden und veröffentlichte Listen von Personen, die
der Kriegsverbrechen verdächtig waren.
Anläßlich der Moskauer Konferenz wurde am 1. November 1943 die "Erklärung über deutsche Grausamkeiten im
besetzten Europa" von Großbritannien, der Sowjetunion und den USA veröffentlicht. Ihrzufolge sollten
Kriegsverbrecher an das Land, in dem sie die Verbrechen verübt hatten, ausgeliefert, und nach dem dort geltenden
Recht verurteilt werden. Die Hauptkriegsverbrecher, deren Taten nicht mehr geographisch lokalisiert werden können,
weil sie in mehreren Ländern Verbrechen begingen, sollten nach einer gemeinsamen Entscheidung der Regierungen
der Alliierten bestraft werden. Das war die Basis für die späteren Übereinkommen, auf Grund deren die Nürnberger
und andere internationale Prozesse (Tokio) abgehalten wurden.
Robert Jackson wird Chef der Anklagebehörde
Als der Krieg in Europa sich seinem Ende näherte, stellte die Behandlung der Kriegsverbrecher eine der wichtigsten
Aufgaben für die Gestaltung des Friedens dar. Während der Konferenz in San Francisco , Anfang Mai 1945, führten
diplomatische Vertreter der vier Alliierten Besprechungen über die Errichtung eines Internationalen Militärgerichts
zur Aburteilung der europäischen Hauptkriegsverbrecher durch. In den USA wurde der Richter am Obersten
Bundesgericht, Robert H. Jackson am 2. Mai von Präsident Truman beauftragt, verbindliche Verhandlungen über die
in Aussicht genommenen Verfahren zu führen. Gleichzeitig wurde er zum Chef der Anklagebehörde bestellt. Richter
Jackson sammelte zunächst einen Stab von Mitarbeitern um sich und überreichte am 6. Juni 1945 nach einer Reihe
von Besprechungen im besetzten Deutschland, in Frankreich und in England einen vorläufigen Bericht an Präsident
Truman. In diesem Bericht, der die öffentliche Aufmerksamkeit in weitem Umfang auf sich zog und Anlaß zu vielen
Debatten zwischen Juristen und Vertretern der öffentlichen Meinung bot, wurden die grundsätzlichen Rechtsbegriffe
und der Plan der Nürnberger Prozesse entwickelt.Sinn und Zweck der Strafverfolgung sei es, so Jackson, "eine gut
dokumentierte historische Darstellung dessen zu erarbeiten, was nach unserer Überzeugung ein großangelegter,
konzentrierter Plan war, die Aggressionen und Barbareien anzuzetteln und zu verüben, die die Welt schockiert haben
...Wir müssen unglaubliche Ereignisse durch glaubwürdige Beweise festhalten." (3)
Das Londoner Abkommen
Bald nach der Veröffentlichung des Jackson-Berichtes kamen die Vertreter der vier Alliierten in London zusammen.
Die Konferenz wurde am 26.6.1945 eröffnet und erarbeitete in den folgenden Wochen ein "Abkommen über die
Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse" sowie eine "Verfassung der
Internationalen Militärgerichte". Trotz ernster Meinungsverschiedenheiten zwischen den vier Delegationen, u.a.
bezüglich der Definition der zur Verhandlung anstehenden Verbrechen, des Gerichtsortes, der voraussichtlichen
Dauer der Verfahren, kam es am 8.8.45 nach insgesamt 15 Sitzungen zur Unterzeichnung des "Londoner
Abkommens", dem sich im folgenden 19 weitere Nationen anschlossen. Das Londoner Abkommen basierte im
allgemeinen auf den Vorschlägen des Jackson-Berichts und regelte die Zusammensetzung, die Zuständigkeit und das
Verfahren des Internationalen Militärgerichtshofs. Berlin wurde Dauersitz des Tribunals und Nürnberg als
Verhandlungsort für den ersten Prozeß ausgewählt. Die Signatarmächte bestimmten sodann die Mitglieder des
Tribunals und die Hauptankläger. Letztere erhoben in Berlin am 18. Oktober 1945 die Anklage gegen 24
Einzelpersonen und sechs "Gruppen oder Organisationen".
Mit der Unterzeichnung des Londoner Statuts stand auch der Gang des Prozesses selbst fest, denn Artikel 24
bestimmte folgenden Verlauf:
a.
Die
b.
Der
nicht.
c.
Die
d.
Der
Anklage wird vorgelesen.
Gerichtshof fragt jeden Angeklagten, ob er sich schuldig bekennt oder
Anklagebehörde gibt eine einleitende Erklärung ab.
Gerichtshof fragt die Anklagebehörde und die Verteidigung, ob und
welche Beweismittel sie dem Gericht anzubieten wünschen, und
entscheidet
über die Zulässigkeit jedes Beweismittels.
e.
Die Zeugen der Anklagebehörde werden vernommen. Nach ihnen die der
Verteidigung.
Danach wird der vom Gericht als zulässig erachtete Gegenbeweis seitens
der
Anklagebehörde oder Verteidigung erhoben.
f.
Der Gerichtshof kann jederzeit Fragen an Zeugen oder Angeklagte richten.
g.
Anklagebehörde und Verteidiger sollen jeden Zeugen und Angeklagten,
der Zeugnis ablegt, verhören und sind befugt, sie im Kreuzverhör zu
vernehmen.
h.
Sodann hat die Verteidigung das Wort.
i.
Nach ihr erhält die Anklagebehörde das Wort.
j.
Der Angeklagte hat das letzte Wort
k.
Der Gerichtshof verkündet Urteil und Strafe.(4)
Die Anklage
Anklagevertreter vor Gericht waren
jeweils als Hauptankläger
- für die USA: Justice Robert H. Jackson
- für Großbritannien: S.M. Generalstaatsanwalt Sir Hartley Shawcross, K.C., .M.P.
- für Frankreich: Francois de Menthon, Auguste Champetier de Ribes
- für die UdSSR: General R.A. Rudenko
Die Anklageschrift
Kernpunkt des Londoner Statuts war Artikel 6, der die Zuständigkeit des Internationalen Militärgerichtshofes regelte.
"Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der
Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich:
•
Verbrechen gegen den Frieden: nämlich Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines
Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen oder
Zusicherungen oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zur Ausführung einer
der vorgenannten Handlungen;
•
Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen der Kriegsgesetze und der Kriegsgebräuche. Solche Verletzungen
umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Ermordung, Mißhandlung oder Verschleppung der
entweder aus einem besetzten Gebiet stammenden oder dort befindlichen Zivilbevölkerung zur Sklavenarbeit
oder zu irgendeinem anderen Zweck, Ermordung oder Mißhandlung von Kriegsgefangenen oder Personen
auf hoher See, Tötung von Geiseln, Raub öffentlichen oder privaten Eigentums, mutwillige Zerstörung von
Städten, Märkten und Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung;
•
Verbrechen gegen die Menschlichkeit: nämlich Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung oder
andere an der Zivilbevölkerung vor Beginn oder während des Krieges begangene unmenschliche
Handlungen; oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Ausführung eines
Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, unabhängig
davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes , in dem sie begangen wurde, verstieß oder nicht.
Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die an der Fassung oder Ausführung eines gemeinsamen
Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben,
sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines solchen
Planes begangen worden sind."(5)
In der 25.000 Wörter umfassenden Anklageschrift, die auf dem eben zitierten Artikel 6 beruhte, wurde aus a)
Verbrechen gegen den Frieden zwei Anklagepunkte, nämlich Anklagepunkt 1 Verschwörung und Anklagepunkt 2
Verbrechen gegen den Frieden.
Worum ging es der Anklagevertretung im einzelnen? Nachfolgend zentrale Ausschnitte aus der Anklageschrift, die
die vier Anklagepunkte näher beschreiben und erläutern.
Anklagepunkt 1: Verschwörung
Dieser Anklagepunkt bezieht sich auf die Teilnahme als Führer, Organisatoren, Anstifter und Mittäter an der
Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung, die darauf zielte oder mit sich
brachte die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen das Kriegsrecht und gegen die Humanität. Mit allen
Mitteln, gesetzlichen und ungesetzlichen, wobei die Verschwörer auch Drohung, Gewalt und Angriffskriege erwogen,
wollten sie erreichen: den Versailler Vertrag und seine Beschränkungen der militärischen Rüstungen zu vernichten
sowie sich die 1918 verlorenen Gebiete und noch weitere anzueignen. Als ihre Ziele immer ungeheuerlicher wurden,
planten sie ihre Angriffskriege unter Verletzung internationaler Verträge und Vereinbarungen. Um andere Personen
für die Teilnahme zu gewinnen und sich ein Höchstmaß an Kontrolle über das deutsche Volk zu sichern, wurden unter
anderem folgende Grundsätze aufgestellt und ausgenutzt: die Lehre vom "deutschen Blut" und von der "Herrenrasse",
von der sie das Recht ableiteten, andere Rassen und Völker zu unterjochen und auszurotten; das "Führerprinzip" mit
unbegrenzter Macht der Führerschaft und bedingungslosem Gehorsam der anderen; die Lehre, daß Krieg eine edle
und notwendige Beschäftigung für die Deutschen sei.
Die Verschwörer zielten darauf ab, durch Terror und mit dem gewalttätigen Heer der SA die deutsche Regierung zu
untergraben und zu stürzen. Sie setzten, nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, die freiheitlichen Artikel der
Weimarer Verfassung außer Kraft und verboten alle anderen Parteien. Sie festigten ihre Macht durch Gleichschaltung,
militärische Erziehung der Jugend, Konzentrationslager, Mord, Zerstörung der Gewerkschaften, Kampf gegen die
Kirchen und pazifistischen Vereinigungen, wobei sie Organisationen wie die SS, die Gestapo und andere einsetzten.
Zur Verwirklichung ihrer Herrenvolklehre erhoben sie die unbarmherzige Verfolgung und Ausrottung der Juden zum
Programm. Von den 9.600.000 Juden, die in Europa unter ihrer Herrschaft lebten, sind nach vorsichtiger Schätzung
5.700.000 verschwunden.
Anklagepunkt 2: Verbrechen gegen den Frieden
Die meisten Angeklagten wirkten dabei mit, die deutsche Wirtschaft zur Ausrüstung der Militärmaschine
umzustellen. Bis März 1935 betrieben sie eine geheime Aufrüstung . Sie verließen die Abrüstungskonferenz und den
Völkerbund, verkündeten die allgemeine Wehrpflicht und besetzten die entmilitarisierte Zone des Rheinlandes. Sie
verleibten sich Österreich und die Tschechoslowakei ein und begannen schließlich den Angriffskrieg gegen Polen,
obwohl sie wußten, daß sie damit auch mit Frankreich und Großbritannien in Krieg geraten würden. Sodann
überfielen sie Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Jugoslawien und Griechenland. Sie
marschierten in die Sowjetunion ein und arbeiteten mit Italien und Japan bei dem Angriffskrieg gegen die Vereinigten
Staaten zusammen.
Insgesamt wurden von ihnen dabei 36 internationale Verträge und Abmachungen 64 mal verletzt oder gebrochen; sie
sind im Anhang C der Anklageschrift aufgeführt. Dazu gehören unter anderem die Haager Konvention zur friedlichen
Regelung von internationalen Streitfragen von 1899 und 1907; die Haager Konvention V über die Respektierung der
Rechte und Pflichten neutraler Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges von 1907; der Garantievertrag von
Locarno zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien und Italien von 1925; zahlreiche Schieds- und
Schlichtungsverträge Deutschlands mit benachbarten Ländern; der Pariser Briand-Kellog-Pakt zur Verdammung des
Krieges als eines Instruments der nationalen Politik von 1928; eine Reihe von Zusicherungen, Erklärungen und
Nichtangriffsverträgen Deutschlands; und die Verletzung des Münchner Abkommens von 1938.
Anklagepunkt 3: Kriegsverbrechen
Abschnitt A dieses Anklagepunktes behandelt die Ermordung und Mißhandlung der Bevölkerung von besetzten
Gebieten, wobei Erschießen, Erhängen, Vergasen, Aushungern, übermäßiges Zusammenpferchen, planmäßige
Unterernährung, systematische Überarbeitung, unzureichende Hygiene, Prügel, Folter und Experimente
hervorgehoben werden. Hinzu kommen Massenmorde an Gruppen bestimmter Rasse oder Nationalität, Verhaftung
und Freiheitsentzug ohne Gerichtsverfahren sowie unmenschliche Haft in Konzentrationslagern. Die nachfolgenden
Einzelheiten sind nur Beispiele aus der Fülle des Materials: In Frankreich kam es zu Massenverhaftungen, denen
Martern folgten wie Eintauchen in kaltes Wasser, Erstickung, Ausrenken von Gliedern und Benutzung von
Folterwerkzeugen wie des eisernen Helms und elektrischen Stroms. In Nizza wurden im Juli 1944 die Gefolterten zur
Schau gestellt. Von 228.000 Franzosen, die in Konzentrationslager gebracht wurden, gab es nur 28.000 Überlebende.
In Oradour-sur-Glane wurde die gesamte Ortsbevölkerung erschossen oder lebendig in der Kirche verbrannt.
Unzählige Morde und Grausamkeiten wurden in Italien, Griechenland, Jugoslawien und in den nördlichen und
östlichen Gebieten begangen. In Polen und in der Sowjetunion gehen die Zahlen in die Millionen. Etwa 1.500.000
Menschen wurden in Majdanek, ungefähr 4.000.000 in Auschwitz umgebracht. Im Lager von Ganow, wo 200.000
Menschen ermordet wurden, kam es zu ausgeklügelten Grausamkeiten wie Bauchaufschlitzen und Erfrierenlassen in
Wasserfässern. Massenerschießungen fanden unter Musikbegleitung statt. Im Gebiet von Smolensk wurden mehr als
135.000 Menschen ermordet, im Gebiet von Leningrad 172.000, im Gebiet von Stalingrad 40.000. In Stalingrad selbst
wurden nach der Vertreibung der Deutschen über tausend verstümmelte Leichen von Ortsbewohnern gefunden, die
Foltermerkmale aufwiesen, darunter 139 Frauen, denen die Arme in schmerzhafter Weise nach hinten gebogen und
mit Draht zusammengeschnürt waren; einigen waren die Brüste abgeschnitten worden, auf den Leichen der Männer
war der fünfzackige Judenstern mit einem Eisen eingebrannt oder mit einem Messer ausgeschnitten, einigen war der
Bauch aufgeschlitzt. In der Krim wurden 144.000 Menschen auf Lastkähne getrieben, aufs Meer gefahren und
ertränkt. In Babi Jar bei Kiew wurden über 100.000 Männer, Frauen und Kinder und Greise ermordet, in Kiew selbst
195.000, im Gebiet Rowno über 100.000, im Gebiet von Odessa 200.000, in Charkow etwa 195.000 erschossen, zu
Tode gefoltert oder vergast. In Dnjepropetrowk wurden 11.000 Frauen, Greise und Kinder erschossen oder lebendig
in eine Schlucht geworfen. Mit den Erwachsenen rotteten die Nazis unbarmherzig auch die Kinder aus. Sie töteten sie
in Kinderheimen und Krankenhäusern, begruben sie bei lebendigem Leibe, warfen sie ins Feuer, erstachen sie mit
Bajonetten, vergifteten sie, führten Experimente an ihnen aus, zapften ihnen Blut zum Gebrauch in der deutschen
Armee ab und warfen sie ins Konzentrationslager, wo sie durch Hunger, Folter und Seuchen ums Leben kamen. Im
Lager Janow in Lemberg töteten die Deutschen 8.000 Kinder in zwei Monaten.
Abschnitt B des dritten Anklagepunktes befaßt sich mit der Deportation von Millionen Menschen aus den besetzten
Gebieten zur Sklavenarbeit und für andere Zwecke, wobei viele wegen der schrecklichen Verhältnisse schon auf den
Transporten starben. Als Beispiele werden unter anderen Belgien angegeben, von wo 190.000 Menschen nach
Deutschland verschleppt wurden, die Sowjetunion mit 4.978.000 und die Tschechoslowakei mit 750.000
Deportierten.
Abschnitt C gilt Mord und Mißhandlung an Kriegsgefangenen, wobei ebenfalls wieder viele Beispiele aufgeführt
werden, zu denen unmenschliche Märsche, Prügel, Hunger, Vergasungen, Foltern, Fesselungen und Erschießungen
gehören.
Abschnitt D stellt fest, daß die Angeklagten im Laufe ihrer Angriffskriege in den von den deutschen Streitkräften
besetzten Ländern dazu übergingen, in weitem Maße Geiseln aus der Zivilbevölkerung herauszugreifen und zu töten,
besonders in Frankreich, Holland und Belgien. In Krajlevo, Jugoslawien wurden einmal 5.000 Geiseln erschossen.
Abschnitt E betrifft die Plünderung öffentlichen und privaten Eigentums. Dazu gehörte es, den Lebensstandard in
den besetzten Gebieten durch Abtransport von Nahrungsmitteln herabzusetzen und Hungersnöte hervorzurufen,
Rohstoffe und Maschinen fortzuschaffen, Geschäftsunternehmungen und industrielle Anlagen zu beschlagnahmen
sowie Eigentümer zu zwingen, ihren Besitz "freiwillig" abzutreten. Ferner wurden der Wert der Landeswährungen
herabgesetzt, hohe Besatzungssteuern auferlegt, Ländereien für deutsche Siedlungszwecke enteignet, ganze
Industriestädte zerstört, Kulturstätten und wissenschaftliche Institute vernichtet, Museen und Galerien geplündert.
Frankreich wurden dabei Werte in Höhe von 1.337 Milliarden Francs entzogen. Die Sowjetunion nennt ebenfalls
enorme Zerstörungen und Ausbeutungen, darunter 1.710 Städte und 70.000 Dörfer, die von den Deutschen zerstört
oder schwer beschädigt wurden, was 25 Millionen Menschen obdachlos machte. Ferner hebt die Sowjetunion hervor,
daß die Deutschen Gut und Museum Leo Tolstois zerstörten, das Grab des großen Schriftstellers entweihten und
ebenso das Tschaikowskij-Museum in Klin vernichteten. Der Gesamtbetrag der der Sowjetunion zugefügten Schäden
wird mit 679 Milliarden Rubel angegeben. Die der Tschechoslowakei entzogenen Werte beliefen sich auf 200
Milliarden Kronen.
Abschnitt F behandelt die Eintreibung von finanziellen Kollektivstrafen. Die Gesamtsumme der Bußen zum Beispiel,
die allein französischen Gemeinden auferlegt wurden, beläuft sich auf 1.157.179.484 Francs.
Abschnitt G betrifft die frevelhafte Zerstörung von großen und kleinen Städten und Dörfern sowie Verwüstungen
ohne militärisch begründete Notwendigkeit. In Norwegen wurde ein Teil der Lofoten zerstört, ebenso die Stadt
Telerag. In Frankreich fielen außer Oradour-sur-Glane zahlreiche andere Orte willkürlicher Zerstörung zum Opfer,
die Stadt Saint-Die wurde niedergebrannt, der Hafenbezirk von Marseille in die Luft gesprengt, Kurorte wurden in
Trümmer gelegt. In Holland wurden Häfen, Schleusen, Deiche und Brücken zerstört und ungeheuere Verwüstungen
durch Überflutungen angerichtet. Griechenland und Jugoslawien werden mit vielen sinnlos zerstörten Ortschaften
erwähnt, so zum Beispiel das Dorf Skela in Jugoslawien, das durch Feuer dem Erdboden gleichgemacht wurde, wobei
die Deutschen alle Einwohner töteten. Das gleiche Schicksal erlitten Lidice und seine Bewohner in der
Tschechoslowakei.
Abschnitt H ist der zwangsweisen Rekrutierung von Zivilarbeitern gewidmet, wobei viele Parallelen zu Abschnitt B
bestehen. Für Frankreich werden 936.813 Personen genannt, die gezwungen wurden, in Deutschland zu arbeiten.
Abschnitt I trägt die Überschrift "Zwang für Zivilbewohner besetzter Gebiete, einer feindlichen Macht den Treueid
zu leisten", womit hauptsächlich die Bewohner von Lothringen und dem Elsaß gemeint sind.
Abschnitt J behandelt die Germanisierung besetzter Gebiete . Auch in diesem Abschnitt werden ausschließlich
Beispiele aus Frankreich angeführt, wie zum Beispiel die Ansiedlung von 80.000 Deutschen aus dem Saargebiet und
Westfalen in Lothringen, wobei 2.000 französische Bauernhöfe Deutschen übertragen wurden, oder die zwangsweise
Germanisierung aller französischen Vor- und Familiennamen im Departement Moselle.
Für alle im Anklagepunkt 3 genannten Taten werden die Bestimmungen, Verträge und Konventionen genannt, die
dadurch verletzt wurden.
Anklagepunkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Dieser Anklagepunkt ist eine Erweiterung des Anklagepunktes 3 und umfaßt folgende zwei Titel: "Ermordung,
Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Handlungen gegen Zivilbevölkerungen vor oder
während des Krieges" sowie "Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen. Neben
Judenausrottungen werden in diesem Punkt auch Verbrechen an einzelnen Persönlichkeiten aufgeführt, wie die
Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß, des Sozialdemokraten Breitscheid und des Kommunisten
Thälmann. (6)
Teil 1 und 2 der Anklageschrift , die Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden betreffend, wurden in erster
Linie von den Engländern und Amerikanern verfasst. Für Robert Jackson bestand der Kern der ganzen Klage
darin,daß Verbrechen gegen den Frieden zum anerkannten Bestandteil des Völkerrechts erklärt wurden. Die Briten
setzten sich gleichfalls für dieses Ziel ein. Die Anklagepunkte "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die
Menschlichkeit" stützten sich hauptsächlich auf das Beweismaterial über spezifische Grausamkeiten, das von den
Sowjets, Franzosen oder den von Deutschen besetzt gewesenen Ländern vorgelegt worden war.
Die Angeklagten
Angeklagt waren 24 Einzelpersonen und 6 Gruppen und Organisationen. Die einzelnen Personen waren (mit
Funktionsangaben):
Hermann Göring
Göring war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsführer der SA, General der SS, Mitglied und
Präsident des Reichstags, Preußischer Innenminister, Präsident der Preußischen Polizei und Chef der Preußischen
Geheimen Staatspolizei, Präsident des Preußischen Staatsrates, Treuhänder des Vierjahresplans,
Reichsluftfahrtminister, Präsident des Ministerrates für die Reichsverteidigung, Oberhaupt des Hermann-GöringKonzerns und designierter Nachfolger Hitlers: Anklagepunkte: 1,2,3,4.
Rudolf Hess
Heß war in der Zeit von 1921 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Stellvertreter des Führers, Reichsminister ohne
Geschäftsbereich, Mitglied des Reichstags, Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung, designierter
Nachfolger des "Führers" nach dem Angeklagten Göring, General der SS und General der SA. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Joachim von Ribbentrop
Ribbentrop war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des Reichstags, Außenpolitischer
Berater Hitlers, Vertreter der NSDAP in auswärtigen Angelegenheiten, Botschafter in London, Organisator und Leiter
der Dienststelle Ribbentrop, Reichsminister für auswärtige Angelegenheiten, Mitglied des politischen Stabes des
"Führers" im Hauptquartier und General der SS. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Robert Ley
Ley war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsleiter, Organisationsleiter der NSDAP, Reichstagsmitglied,
Führer der Deutschen Arbeitsfront, General der SA und Mitorganisator des "Zentralaufsichtsamtes für die Wohlfahrt
der Fremdarbeiter". Anklagepunkte: 1,3,4
Wilhelm Keitel
Keitel war von 1938 bis 1945: Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, Mitglied des Ministerrates für
die Reichsverteidigung und Feldmarschall. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Ernst Kaltenbrunner
Kaltenbrunner war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Mitglied des Reichstags,
General der Polizei, Staatssekretär für Sicherheit in Österreich und Chef der Polizei, Polizeipräsident von Wien,
Nieder- und Oberösterreich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und Chef der Sicherheitspolizei und des
Sicherheitsdienstes. Anklagepunkte: 1,3,4
Alfred Rosenberg
Rosenberg war in den Jahren 1920 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichstagsmitglied, Reichsleiter der NSDAP für
Weltanschauung und Außenpolitik, Herausgeber der nationalsozialistischen Zeitung "Völkischer Beobachter" und der
"NS-Monatshefte", Leiter des außenpolitischen Amtes der NSDAP, Sonderbeauftragter für die gesamte geistige und
weltanschauliche Schulung der NSDAP, Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Organisator des "Einsatzstabes
Rosenberg", General der SS und der SA. Anklagepunkte: 1, 2,3,4
Hans Frank
Frank war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Reichstagsmitglied, Reichsminister
ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz, Präsident der Internationalen
Rechtskammer und der Akademie für deutsches Recht, Chef der Zivilverwaltung von Lodz, Oberster
Verwaltungschef der Militärbezirke von Westpreußen, Posen, Lodz und Krakau und Generalgouverneur der besetzten
polnischen Gebiete. Anklagepunkte: 1,3,4
Wilhelm Frick
Frick war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsleiter, General der SS, Reichstagsmitglied,
Reichsinnenminister, Preußischer Minister des Inneren, Reichswahlleiter, Generalbevollmächtigter für die
Reichsverwaltung, Leiter des Zentralbüros für die Einverleibung des Sudetenlandes, Memel, Danzig, der
einverleibten Ostgebiete, Eupen, Malmedy und Moresnet, Leiter des Zentralbüros für das Protektorat Böhmen und
Mähren, Generalgouverneur für Unter-Steiermark, Ober-Kärnten, Norwegen, Elsaß-Lothringen und für alle anderen
besetzten Gebiete, und Reichsprotektor für Böhmen und Mähren. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Julius Streicher
Streicher war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des Reichstags, General in der SA, Gauleiter von
Franken, Hauptschriftleiter des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer". Anklagepunkte: 1,4
Walther Funk
Funk war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Hitlers Wirtschaftsberater, Reichstagsmitglied,
Pressechef der Reichsregierung, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda,
Reichswirtschaftsminister, Preußischer Wirtschaftsminister, Präsident der Deutschen Reichsbank,
Wirtschaftsbevollmächtigter und Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Hjalmar Schacht
Schacht war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des Reichstags,
Reichswirtschaftsminister, Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Präsident der Deutschen Reichsbank.
Anklagepunkte: 1,2
Karl Dönitz
Dönitz war von 1932 bis 1945: Befehlshaber der U-Boot-Flottille Weddingen, Befehlshaber der U-Boot-Waffe,
Vizeadmiral, Großadmiral und oberster Befehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Hitlers Ratgeber und dessen
Nachfolger als Haupt der deutschen Regierung. Anklagepunkte: 1,2,3
Erich Raeder
Raeder war von 1928 bis 1945: Oberster Befehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Generaladmiral, Großadmiral und
Admiralinspekteur der deutschen Kriegsmarine. Anklagepunkte 1,2,3
Baldur von Schirach
Schirach war von 1924 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des Reichstags, Reichsjugendführer beim Stab der
Obersten SA-Führung, Reichsleiter in der NSDAP für Jugenderziehung, Leiter der Hitler-Jugend,
Reichsverteidigungskommissar, Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien. Anklagepunkte: 1,4
Fritz Sauckel
Sauckel war in den Jahren 1921 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Gauleiter und Reichsstatthalter von Thüringen,
Mitglied des Reichstags, Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz innerhalb des Vierjahresplanes, zusammen
mit dem Angeklagten Ley Leiter der "Reichsdienststelle für die Fürsorge der Fremdarbeiter", General der SS und
General der SA. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Alfred Jodl
Jodl war von 1932 bis 1945: Oberstleutnant in der Operationsabteilung der Wehrmacht, Oberst, Chef der
Operationsabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalmajor, Chef des Wehrmachtführungsstabes und
Generalleutnant. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Martin Bormann
Bormann war in der Zeit von 1925 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichstagsmitglied, Mitglied des Stabes der
Obersten Leitung der SA, Gründer und Leiter der Hilfskasse der NSDAP, Stabsleiter des "Führer"-Stellvertreters Heß,
Leiter des Parteigerichts, Sekretär des "Führers", Mitglied des Ministerrats für die Reichsverteidigung, Organisator
und Leiter des Volkssturms, General der SS und General der SA, Anklagepunkte: 1,3,4
Franz von Papen
Papen war in den Jahren zwischen 1932 und 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des Reichstags, Reichskanzler,
Vizekanzler, Spezial-Bevollmächtigter für die Saar, Unterhändler für das Konkordat mit dem Vatikan, Botschafter in
Wien und Botschafter in der Türkei. Anklagepunkte: 1,2
Arthur Seyß-Inquart
Seyß-Inquart war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Staatsrat in Österreich, Innenminister und
Minister für Sicherheit in Österreich, Bundeskanzler von Österreich, Mitglied des Reichstags, Reichsminister ohne
Portefeuille, Chef der Zivilverwaltung in Südpolen, stellvertretender Generalgouverneur der besetzten polnischen
Gebiete und Reichskommissar für die besetzten Niederlande. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Abert Speer
Speer war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsleiter, Mitglied des Reichstags,
Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Leiter der "Organisation Todt", Generalbevollmächtigter für
Bewaffnung in der Reichsstelle für den Vierjahresplan und Vorsitzender des Rüstungsrates. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Konstantin Freiherr von Neurath
Neurath war zwischen 1932 und 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS, Mitglied des Reichstags,
Reichsminister, Reichsaußenminister, Reichsprotektor für Böhmen und Mähren. Anklagepunkte:1,2,3,4
Hans Fritzsche
Fritzsche war von 1933 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Hauptschriftleiter des offiziellen deutschen
Nachrichtenbüros, Chef des Rundfunksystems und der Presseabteilung des Reichsministers für Propaganda;
Ministerialdirektor im Reichspropagandaministerium, Chef der Rundfunkabteilung der Propagandaabteilung der
Nazi-Partei und Bevollmächtigter für die politische Organisation des Großdeutschen Rundfunks. Anklagepunkte:
1,3,4
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach
Krupp war zwischen 1932 und 1945: Leiter der Friedrich-Krupp-AG, Mitglied des Generalwirtschaftsrates, Präsident
der Reichsvereinigung der Deutschen Industrie, Leiter der Gruppe für Kohle, Eisen und Metallprodukte unter dem
Reichswirtschaftsministerium. Anklagepunkte: 1,2,3,4 (7)
Im Anhang A der Anklageschrift wurden unter dem Namen eines jeden Angeklagten die Tatbestände konkretisiert,
auf die die Anklagevertretung sich bei der Feststellung der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen stützte.
Neben den einzelnen Angeklagten umfaßte die Anklageschrift sechs "Gruppen und Organisationen": die SS, SA, den
"Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht", das "Reichskabinett", das "Führerkorps" der NSDAP und
"Gestapo und SD", gegen die Erklärungen ihrer verbrecherischen Betätigung gerichtet werden sollten.
Im Rückblich erscheint es, so Telford Taylor, Mitglied der amerikanischen Anklagebehörde und später Hauptankläger
bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen, als überaus bemerkenswert, daß vier große Nationen mit unterschiedlichen
Rechtstraditionen und politischen Einstellungen in der Lage waren, sich auf ein Dokument zu einigen,das eine
brauchbare Basis für die gemeinsame Anklage bot.(8)
Reaktionen der Angeklagten auf die Anklageschrift
Wie nahmen die Gefangenen das furchtbare Dokument auf? Der amerikanische Gerichtspsychologe Gustave M.
Gilbert hat die Angeklagten in ihren Zellen beobachtet, mit ihnen gesprochen und ein genaues Tagebuch darüber
geführt. Er bittet die Gefangenen, ihre Stellungnahme zu der Anklageschrift mit ein paar Worten an den Rand des
Dokuments zu schreiben. Diese Bemerkungen spiegeln nach Ansicht des Psychologen die Charaktere am deutlichsten
wider.
Hans Fritzsche: "Es ist die schrecklichste Anklage aller Zeiten. Nur eines ist noch schrecklicher: die Anklage, die das
deutsche Volk gegen den Mißbrauch seines Idealismus erheben wird."
Franz v. Papen: " Die Anklage hat mich entsetzt, und zwar wegen 1. der Unverantwortlichkeit, mit der Deutschland in
diesen Krieg und die weltweite Katastrophe geworfen wurde, 2. der Anhäufung von Verbrechen, die einige
Angehörige meines Volkes begangen haben. Das letztere ist psychologisch unerklärlich. Ich glaube, daß Heidentum
und die Jahre der totalitären Herrschaft die Hauptschuld tragen. Durch beides wurde Hitler im Laufe der Jahre ein
pathologischer Lügner."
Hjalmar Schacht: "Ich verstehe überhaupt nicht, warum ich angeklagt bin."
Frank: "Ich erwarte den Prozeß als ein gottgewolltes Weltgericht, das berufen ist, die furchtbare Zeit der Leiden unter
Adolf Hitler zu prüfen und zum Abschluß zu bringen."
Kaltenbrunner: " Ich fühle mich nicht schuldig an irgendwelchen Kriegsverbrechen, ich habe nur meine Pflicht als
Sicherheitsorgan getan und weigere mich, als Ersatz für Himmler zu dienen."
Dönitz: "Keiner dieser Anklagepunkte betrifft mich letzten Endes. Typischer amerikanischer Humor."
Keitel: "Für einen Soldaten sind Befehle Befehle."
Ribbentrop: " Die Anklage richtet sich gegen die verkehrten Leute."
Speer: "Der Prozess ist notwendig. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung für so schreckliche Verbrechen - auch
unter einem autoritären System."
Heß: "Ich kann mich nicht erinnern."
Göring läßt einen Geistesblitz los: "Der Sieger wird immer der Richter und der Besiegte stets der Angeklagte sein!"
(9)
Es gab nur einen, der unter der Wucht der Anklageschrift zusammenbrach: Dr. Robert Ley, einst mächtiger Führer der
Deutschen Arbeitsfront und als Antisemit höchstens noch von Streicher übertroffen. Ley erhängte sich am 25.10.1945
in seiner Zelle.
Leys Platz auf der Anklagebank war allerdings nicht der einzige, der leer blieb. Zwei weitere Männer blieben dem
Gericht fern. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Martin Bormann. Mit Krupp wollte die Anklagebehörde
symbolisch die deutsche Rüstungsindustrie erfassen. Die Anklageschrift warf dem Industriellen vor:"... daß er die
Machtergreifung der Nazi-Verschwörer förderte und ihre Kontrolle über Deutschland stärkte und festigte; er förderte
die Vorbereitung für den Krieg. Er nahm teil an den militärischen und wirtschaftlichen Plänen und Vorbereitungen
der Nazi-Verschwörer für Angriffskriege; er genehmigte und leitete Kiegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Humanität, besonders Ausbeutung und Mißbrauch von Menschen für Arbeit in der Führung von Angriffskriegen, und
nahm an diesen Verbrechen teil". (10) Gustav Krupp war jedoch nicht verhandlungsfähig. Anträge der
Anklagevertretung, gegen ihn in Abwesenheit zu verhandeln oder an seine Stelle Sohn Alfried zu setzen, wurden von
den Richtern abgewiesen. Krupps Platz auf der Anklagebank blieb leer. Leer blieb auch der Platz des Angeklagten
Martin Bormann, Hitlers Privatsekretär. Gegen ihn wurde in Abwesenheit verhandelt.
Die Prozeßeröffnung
Der Prozeß wurde am 20.11.1945 mit dem Verlesen der Anklageschrift durch Lordrichter Geoffrey Lawrence, dem
Vorsitzenden des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg eröffnet. Nach dem die Anklageschrift im vollen
Wortlaut vorgetragen worden war, wurden die Angeklagten aufgefordert, sich für "schuldig oder nicht schuldig" zu
erklären. Alle Angeklagten mit Ausnahme des abwesenden Bormann erklärten sich für "nicht schuldig". Darauf folgte
Robert Jacksons Eröffnungsrede für die Anklagebehörde. Diese Rede wurde weithin gerühmt, häufig abgedruckt und
wird oft zitiert. Hier ein kurzer Auszug:
" ...Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so
verwüstender Wirkung, daß die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde
sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben. Daß vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und
schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig
dem Richterspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der
Vernunft eingeräumt hat." Wenig später stellte sich Jackson offen der Frage der "Siegerjustiz":" Bevor ich auf die
Einzelheiten des Tatbestandes eingehe, müssen noch einige allgemeine Überlegungen freimütig erwogen werden, die
das Ansehen des Prozesses in der Meinung der Welt beinflussen könnten. Ankläger und Angeklagte sind in einer
sichtlich ungleichen Lage zueinander. Das könnte unsere Arbeit herabsetzen, wenn wir nicht bereit wären, selbst in
unbedeutenden Dingen gerecht und gemäßigt zu sein. Leider bedingt die Art der hier verhandelten Verbrechen, daß in
Anklage und Urteil siegreiche Nationen über geschlagene Feinde zu Gericht sitzen. Die von diesen Männern verübten
Angriffe, die eine ganze Welt umfaßten, haben nur wenige wirklich Neutrale hinterlassen. ... Wir dürfen niemals
vergessen, daß nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der
Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen
Lippen zu bringen. Wir müssen an unsere Aufgabe mit so viel innerer Überlegenheit und geistiger Unbestechlichkeit
herantreten, daß dieser Prozeß einmal der Nachwelt als die Erfüllung menschlichen Sehnens nach Gerechtigkeit
erscheinen möge." (11) Und an anderer Stelle: "Die Gefahr, die wir im Angesicht des sittlichen Urteils der Welt zu
gewärtigen haben, besteht darin, daß die Welt diese Verhandlungen als politischen Prozeß betrachtet, den der Sieger
dazu benutzt, sich an den Besiegten zu rächen. ... Wir müssen allen Deutschen klar machen, daß das Übel, für das ihre
geschlagenen Führer vor Gericht stehen, nicht die Tatsache ist, daß sie den Krieg verloren haben, sondern daß sie ihn
begonnen haben."
Einen Großteil seiner Rede widmete Jackson anschließend einem Überblick über das Beweismaterial, auf das sich der
Vorwurf der Verschwörung zur Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges stützte.
Aus den Beweisvorträgen der Anklagebehörde
Das Hoßbach-Protokoll
In den nächsten Sitzungstagen wurde dazu eine Fülle von Beweisdokumenten zitiert. Eines der Schlüsseldokumente
in diesem Zusammenhang ist das "Hoßbach-Protokoll" vom 5. November 1937. Was geschah an diesem Tag? An
diesem Tag, noch fast ein Jahr vor dem Anschluß Österreichs, fast zwei Jahre vor Kriegsbeginn, enthüllte Hitler die
ganze Reichweite seiner Pläne. Während das deutsche Volk und die Welt noch immer mit Friedensbeteuerungen
beschwichtigt wurden, fand in Berlin eine geheime Sitzung statt. Die Teilnehmer, die sich um Hitler versammelten,
waren Reichskriegsminister Werner von Blomberg, Generaloberst Werner von Fritsch als Oberbefehlshaber des
Heeres, Generaladmiral Erich Raeder als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaloberst Hermann Göring als
Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsaußenminister Constantin von Neurath und der persönliche Adjutant Hitlers,
Oberst Friedrich Hoßbach. Hoßbach fertigte über den Inhalt dieser Sitzung ein Protokoll an. Es überdauerte den
Krieg, wurde von den alliierten Truppen gefunden und lag nun auf dem Tisch der Anklagevertretung in Nürnberg.
"Das Schriftstück", sagte der amerikanische Ankläger Aldermann, "zerstört jeden nur möglichen Zweifel an den
wohlüberlegten Plänen der Nazis bezüglich ihrer Verbrechen gegen den Frieden. Dieses Schriftstück ist von so
ungeheurer Bedeutung, daß ich mich verpflichtet fühle, es in seinem vollen Wortlaut vorzulesen." Das HoßbachProtokoll ist eines der wichtigsten Beweisdokumente im ganzen Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß. Es zeigt
fünf Dinge mit aller Deutlichkeit: 1. Hitlers Aufrüstung war nicht, wie er immer wieder betonte, eine Frage von
nationaler Würde und Gleichberechtigung, sondern die erste Stufe seiner Angriffsabsichten. 2. Seit jener Besprechung
vom 5. November 1937 wußten Wehrmachtsführung und Auswärtiges Amt, wußten die Angeklagten Göring, Keitel,
Raeder und von Neurath,daß Hitler den "unabänderlichen Entschluß" gefaßt hatte, spätestens 1943/45 Gewalt
anzuwenden und Krieg zu führen. 3. Hitler ist entschlossen, auch seine Gesinnungsfreunde Mussolini und Franco zu
verkaufen. Es geht ihm nicht um seine Blutsverwandten, Österreicher und Sudetendeutsche, sondern um Rohstoffe
und Menschenmaterial für neue Divisionen. 4. Alle Beteuerungen Hitlers gegenüber dem deutschen Volk und
gegenüber der Welt sind bewußte Täuschungen: "Wir haben keine territorialen Forderungen in Europa", "Wir wollen
nur den Frieden", "Wir wissen, daß Spannungen in Europa nicht durch Krieg gelöst werden können." 5. Hitler, der
von seinem Propagandaminister Goebbels als "der größte Feldherr aller Zeiten" gepriesen worden ist, hat die
militärische Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Mit den Vereinigten Staaten von Amerika hat er überhaupt nicht
gerechnet. (12) (Das Protokoll ist im vollen Wortlaut im Anhang abgedruckt)
KZ-Filme als Beweismaterial
Dann folgten im Gerichtssaal Filme über die Konzentrationslager Buchenwald, Bergen-Belsen und Dachau. Sie
wurden in dem Zustand gezeigt, in dem amerikanische und britische Truppen sie vorgefunden hatten. Selbst für jene,
die wie Telford Taylor schon eine frühere Besichtigung mitgemacht hatten, waren diese Bilder kaum zu ertragen. Der
furchtbare Zustand der Lebenden und die Berge nackter Leichen, die von Bulldozern in ein gewaltiges Massengrab
geschoben wurden, boten einen erschütternden Anblick.
Die Schmundt-Notizen
Nach der amerikanischen Anklagevertretung, für die ungefähr 50 Personen vor Gericht auftraten, erhielt die britische
Anklagevertretung das Wort. Ihr Vorsitzender, Kronanwalt Sir Hartley Shawcross schilderte unter Anklagepunkt 2
"Verbrechen gegen den Frieden" die Besetzung von Polen, Dänemark, Norwegen, Belgien, Holland, Luxemburg,
Griechenland, Jugoslawien und der Sowjetunion. Die britische Präsentation des Beweismaterials beanspruchte knapp
4 Tage und belastete Ribbentrop, Keitel, Rosenberg, Raeder und Jodl schwer. Zu den Beweisdokumenten gehörte eine
Zusammenstellung und Auslegung der von den Nazis verletzten zwischenstaatlichen Nichtangriffspakte. Ferner
befaßte sich Shawcross mit der Planung und Ausführung der tatsächlichen Angriffe gegen einzelne Länder: Neben
dem schon zitierten Hoßbach-Protokoll berief er sich auf die sogenannten "Schmundt-Notizen", die bereits von den
Amerikanern in den Prozeß eingeführt worden waren und die ein weiteres Schlüsseldokument im Nürnberger
Verfahren waren. Es handelte sich um das Protokoll einer Konferenz, die am 23.5.1939 im Arbeitszimmer des
"Führers" in der neuen Reichskanzlei stattfand. Hitlers Adjudant Schmundt (Nachfolger von Hoßbach) hat die
Aufzeichnungen angefertigt. Von den Angeklagten waren anwesend: Göring, Raeder und Keitel. Letzterer hat die
Echtheit des Dokuments bestätigt. Entscheidend ist das Datum: der 23. Mai 1939. Zwei Monate nach Hitlers
Einmarsch in Prag, zwei Monate nach Beendigung des spanischen Geheimkrieges der Legion Condor, und nicht viel
mehr als drei Monate vor Beginn des 2. Weltkrieges fiel die Entscheidung über das Leben von Millionen Menschen.
"Es heißt, die Umstände den Forderungen anzupassen", erklärte Hitler den Teilnehmern der Berliner
Geheimkonferenz. "Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich. Die
zurückliegende Zeit ist wohl ausgenützt worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet.
Nationalpolitische Einigung der Deutschen ist erfolgt. Weitere Erfolge können ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen
werden". Dann entwickelt Hitler seine Pläne: "Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um
die Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung. In Europa ist keine andere
Möglichkeit zu sehen. Zwingt uns das Schicksal zur Auseinandersetzung mit dem Westen, ist es gut, einen größeren
Ostraum zu besitzen. Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß, bei erster passender
Gelegenheit Polen anzugreifen...". (13)Gleichsam als Resümee zu Anklagepunkt 1 und 2 wurde am 11.12. ein
Dokumentarfilm über den Nationalsozialismus in den Jahren von 1921 bis 1944 im Gerichtssaal vorgeführt.
"Zwangsarbeit - wirtschaftliche Ausplünderung Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen"
Nach der Weihnachtspause eröffnete der französische Hauptankläger Francis de Menthon am 17.1.1946 die
französische Klage. Er warf den Angeklagten hauptsächlich und in erster Linie Kriegsverbrechen vor und wandte sich
nun den Beweisen für die Begehung derartiger Verbrechen in den besetzten westeuropäischen Ländern zu. (Es gab
eine Arbeitsteilung: Rudenko, der sowjet. Hauptankläger konzentrierte sich auf die osteuropäischen Länder). De
Menthon teilte die den Angeklagten zu Last gelegten Kriegsverbrechen in 3 Hauptkategorien ein: "die Zwangsarbeit,
die wirtschaftliche Ausplünderung und die Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen". (14) Sauckel, der
"in Verbindung" mit Göring und Speer handelte, trug laut Anklage die schwerste Last der Schuld für das
Zwangsarbeitsprogramm. (Sauckels Programm ist im Anhang abgedruckt). Unter "wirtschaftlicher Plünderung"
verstand de Menthon "sowohl die Wegnahme von Gütern aller Art wie die Ausbeutung der nationalen Reichtümer an
Ort und Stelle zugunsten des deutschen Krieges". Im Zusammenhang mit den "Verbrechen gegen physische
Personen" behandelte de Menthon die "Exekutionen von Geiseln, die Verbrechen der Polizei, die Deportationen, die
Verbrechen gegen Kriegsgefangene sowie die Terroraktionen gegen die Widerstandsbewegung und die Massaker an
der Zivilbevölkerung". (15) In seinem Resümee hielt de Menthon fest: " .. der Krieg war von langer Hand vorbereitet
und geplant, und bis zum letzten Tag wäre es ein leichtes gewesen, ihn zu vermeiden, ohne auch nur im geringsten
etwas von den berechtigten Interessen des deutschen Volkes zu opfern. Und die Greueltaten sind im Laufe des
Krieges nicht unter dem Einfluß einer wilden Leidenschaft oder eines kriegerischen Zornes oder aus einem Gefühl der
Rache begangen worden, sondern aus kalter Berechnung, in bewußter Anwendung von Methoden und einer schon
früh vorhandenen Lehre." (16) Nach de Menthons Eröffnungsrede begann der stellvertretende französische
Hauptankläger Edgar Faure mit der Präsentation des Beweismaterials. Beweismaterial bezüglich der "Arbeitspflicht"
und der "Ausplünderung der Wirtschaft" wurde für die Länder Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg
und Frankreich vorgelegt. Allein die Zahlen waren niederschmetternd. Über 150.000 Belgier, 430.000 Holländer und
2,6 Millionen Franzosen waren gezwungen worden, "für die Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen
Deutschlands zu arbeiten". (17) .Über 875.000 französische Arbeiter waren nach Deutschland deportiert und fast eine
Million Kriegsgefangene zur Unterstützung militärischer Zwecke herangezogen worden. In der Beweisführung über
die "Ausplünderung der Wirtschaft" stellten die Franzosen dar, wie Fabriken, Maschinen und andere Produktionsgüter
beschlagnahmt und nach Deutschland geschafft wurden. Noch schädlicher aber wirkte sich die Beschlagnahme von
Lebensmitteln sowie von Holz und anderen Brennstoffen aus. Im Laufe des Krieges gingen die französischen
Lebensmittelrationen auf 1.800 bis 1.300 oder weniger Kalorien pro Tag zurück, ein Niveau, das sogar nach Ansicht
der deutschen Regierung "eine Aushungerung bedeutet, die langsam zum Tode führt". Im nächsten Schritt präsentierte
die französische Anklagevertretung Beweismaterialien über die deutschen Konzentrationslager und über die Tötung
von Geiseln. Allein in Frankreich wurden fast 30.000 Geiseln umgebracht. In den Niederlanden waren es insgesamt
3.000 und auch in den anderen westeuropäischen Ländern verhielt es sich ähnlich. Viele Tausende wurden eingesperrt
oder in Konzentrationslager deportiert. 40.000 Franzosen starben in französischen Gefängnissen unter deutscher
Kontrolle. Dubost legte Beweise für viele Einzelfälle vor, bei denen es vor der Tötung zu unaussprechlichen
Folterungen gekommen war. (18)
Die Zeugin Madame Vaillant-Couturier
Eine der Zeuginnen, die die französische Anklagevertretung aufrief, war Madame Vaillant- Couturier. Sie war eine
mehrfach ausgezeichnete Abgeordnete der Konstituierenden Versammlung von Frankreich. Als Mitglied der
Resistance war sie von den Deutschen Anfang 1942 in Paris verhaftet worden und hatte fast ein Jahr in deutschem
Gewahrsam verbracht. Im März 1943 war sie dann mit einem Konvoi von 230 Französinnen nach Auschwitz gebracht
und hier sowie im Lager Ravensbrück bis Kriegsende festgehalten worden. In Auschwitz waren die Französinnen
unter derart entsetzlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen worden, daß nur 49 dieses eine Jahr überlebten.
Madame Vaillant-Couturier beschrieb nun vor dem Internationalen Militärgerichtshof das Selektionsverfahren für
diejenigen, die in die Gaskammern von Auschwitz geschickt wurden. Auch beschrieb sie die mit den Häftlingen
veranstalteten medizinischen Experimente. Bei beiden Tätigkeiten tauchte der Name von Dr. Josef Mengele zum
erstenmal im Prozeßprotokoll auf. (19)
Oradour-sur Glane
Nach dieser Zeugenvernehmung folgten Beweisdokumente für Kriegsverbrechen gegen Kriegsgefangene und
Zivilisten. Darunter befindet sich ein amtlicher Bericht des französischen Generals Bridoux über das Massaker von
Oradour-sur-Glane. Charles Dubost verlaß ihn im Gerichtssaal: "Am Samstag, den 10. Juni (1944) , brach eine
Abteilung SS, die wahrscheinlich der in der Gegend anwesenden Division "Das Reich" angehörte, in den vorher
gänzlich umstellten Ort ein und befahl der Bevölkerung, sich auf dem Marktplatz zu versammeln. Die Männer
wurden aufgefordert, sich in vier oder fünf Gruppen aufzustellen, von denen alsdann jede in eine Scheune eingesperrt
wurde. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche geführt und dort eingeschlossen. Bald darauf krachten MGSalven, und das ganze Dorf sowie die umliegenden Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt. Die Häuser wurden eines
nach dem anderen angezündet. Während dieser Zeit lebten die Frauen und Kinder, welche den Lärm der Feuersbrunst
und der MG-Salven hörten, in höchster Angst. Um 17.00 Uhr drangen deutsche Soldaten in die Kirche ein und stellten
auf der Kommunionbank ein Erstickungsgerät auf, das aus einer Art Kiste bestand, aus der brennende Zündschnüre
hervorragten. In kurzer Zeit wurde die Luft nicht mehr atembar; jemandem gelang es jedoch, die Sakristeitür
aufzureißen, wodurch es möglich wurde, die von der Erstickung betroffenen Frauen und Kinder wieder zu beleben.
Die deutschen Soldaten begannen dann durch die Kirchenfenster zu schießen, sie drangen in die Kirche ein, um die
letzten Überlebenden durch Maschinenpistolenschüsse zu erledigen, und schütteten einen leicht entzündbaren Stoff
auf den Boden. Eine einzige Frau konnte sich retten. Sie war an einem Kirchenfenster emporgeklettert, um zu fliehen,
als die Rufe einer Mutter, die dieser Frau ihr Kind anvertrauen wollte, die Aufmerksamkeit eines Postens auf sie
lenkte. Er gab Feuer und verletzte sie schwer. Sie konnte ihr Leben nur dadurch retten, daß sie sich totstellte. Gegen
18.00 Uhr hielten die deutschen Soldaten die in der Nähe vorbeifahrende Lokalbahn an und ließen die nach Oradour
fahrenden Reisenden aussteigen. Sie streckten sie durch Maschinenpistolen nieder und warfen die Leichen in die
Feuersbrunst." Als nach dem Massaker wieder Menschen den eingeäscherten Ort betraten, bot sich ihnen ein
grauenvolles Bild: " In der teilweise eingestürzten Kirche befanden sich noch verkohlte, von Kinderleichen
stammende menschliche Überreste. Gebeine waren mit der Asche des Holzgetäfels vermengt. Ein Zeuge konnte am
Eingang der Kirche den Leichnam einer Mutter sehen, die ihr Kind in den Armen hielt, sowie vor dem Altar die
Leiche eines knienden Kindeleins und bei dem Beichtstuhl die zweier Kinder, die sich noch umschlungen hielten."
Dieser Bericht stammte keineswegs von der französischen Regierung des ersten Nachkriegsjahres. Er wurde vielmehr
von Bridoux im Auftrag der Vichy-Regierung abgefaßt und dem deutschen Oberbefehlshaber West übergeben. (20)
Oradour war nur eine Begebenheit unter vielen hundert. Tagelang wurden im Nürnberger Gerichtssaal die Namen von
Städten und Dörfern aufgezählt, die das gleiche und oft ein noch schlimmers Schicksal hatten. Stunde um Stunde der
Verhandlung war angefüllt mit den Zeugnissen vom Leid von tausend, zehntausend, hunderttausend namenlosen
Menschen. Die Franzosen beendeten ihren Klagevortrag mit Beweisen hinsichtlich der "Germanisierung.der besetzten
Gebiete" (Elsaß und Lothringen) und bezüglich der "Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen".
Zeuge der Anklage: Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
Nach den Franzosen hielt als letzter der vier Anklagevertreter am 8.2.1946 Roman Rudenko, Hauptankläger für die
Sowjetunion, seine Eröffnungsrede. Der Gerichtssaal war zum erstenmal seit Wochen wieder voll besetzt. Die
Pressevertreter waren vollzählig anwesend. Rudenko schilderte noch einmal die Eroberung der Tschechoslowakei,
Polens, Jugoslawiens und der Sowjetunion. Für große Aufregung sorgte der sowjetische Hauptankläger als er
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus in den Zeugenstand rief. Paulus hatte im September 1940 den Auftrag erhalten,
den Operationsplan für den Angriff auf die Sowjetunion durch eine deutsche Armee von etwa 130 bis 140 Divisionen
auszuarbeiten, mit dem Ziel, die in Westrußland befindlichen Teile der sowjetischen Streitkräfte zu vernichten und
eine Linie zu erreichen, die von Archangelsk entlang der Wolga bis zum Kaspischen Meer verlief. Paulus arbeitete
einen derartigen Plan aus und übernahm in der Folge noch zahlreiche weitere ähnliche Aufgaben. Über diese
Tätigkeiten sollte er in Nürnberg aussagen. Sensationell war sein Erscheinen im Zeugenstand aber vor allem aus
folgendem Grund: Ende 1941 hatte Paulus den Oberbefehl über die Sechste Armee erhalten, die zu dieser Zeit gerade
in Südrußland kämpfte. Es kam zur berühmten Schlacht von Stalingrad, in deren Verlauf die Sechste Armee
eingekesselt wurde. Hitler befahl Paulus, bis zum letzten Mann auszuhalten, und beförderte ihn zum
Generalfeldmarschall. Aber zur tiefsten Empörung von Hitler ergab sich Paulus schließlich mit den Überresten seiner
Truppe den sowjetischen Streitkräften. In der Gefangenschaft bildete Paulus' Untergebener General Walther von
Seydlitz-Kurzbach eine Gruppe, die sich "Nationalkomitee Freies Deutschland" nannte, und die aus emigrierten
deutschen Kommunisten sowie aus einer großen Zahl deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion bestand. Paulus
selbst schwor öffentlich dem Hitler-Regime ab. Die angeklagten Militärs sahen der Aussage von Paulus neugierig,
angespannt und feindselig entgegen. Paulus selbst gab nichts sensationell neues von sich. Aus Aldermanns
Dokumenten und Erklärungen war bereits unstrittig hervorgegangen, daß der deutsche Überfall auf die Sowjetunion
vorsätzlich erfolgt war, und keinesfalls als Verteidigungsreaktion auf sowjetische Initiativen. Paulus Zeugenaussage
lieferte nun das "Fleisch zu den dokumentarischen Knochen" (21). Nachfolgend ein kurzer Auszug aus Rudenkos
Verhör von Paulus:Rudenko: "Unter welchen Umständen wurde der bewaffnete Überfall auf die UdSSR
durchgeführt?" Paulus: " Der Angriff auf die Sowjetunion erfolgte, wie ich ausgeführt habe, nach einem von langer
Hand vorbereiteten und sorgsam getarnten Plan. Ein großes Täuschungsunternehmen, das von Norwegen und von der
französischen Küste organisiert wurde, sollte die Absicht einer Landung in England im Juni 1941 vortäuschen und die
Aufmerksamkeit vom Osten ablenken." Rudenko: "Wie würden Sie die Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem
Überfall auf die Sowjetunion verfolgte?" Paulus: "Die Zielsetzung Wolga-Archangelsk, die weit über die deutsche
Kraft ging, charakterisiert an sich schon die Maßlosigkeit der Eroberungspolitik Hitlers und der
nationalsozialistischen Staatsführung. Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele die Zerschlagung der Streitkräfte
der Sowjetunion bedeutet. Wie sehr es Hitler auf die Gewinnung wirtschaftlicher Ziele in diesem Krieg ankam, dafür
kann ich ein Beispiel anführen, das ich persönlich erlebt habe. Am 1. Juni 1942, gelegentlich einer OberbefehlshaberBesprechung im Bereich der Heeresgruppe Süd in Poltawa, erklärte Hitler: "Wenn ich das Öl von Maikop und Grozny
nicht bekomme, dann muß ich diesen Krieg liquidieren." Zusammenfassend möchte ich sagen: Die gesamte
Zielsetzung bedeutete die Eroberung zwecks Kolonisierung der russischen Gebiete, unter deren Ausnutzung und
Ausbeutung und mit deren Hilfsmitteln der Krieg im Westen zu Ende geführt werden sollte, mit dem Ziele der
endgültigen Aufrichtung der Herrschaft über Europa." ... Rudenko:" Wer von den Angeklagten war aktiver
Teilnehmer an der Entwicklung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion?" Paulus: "Von den Angeklagten, soweit
sie in meinem Blickfeld lagen, die ersten militärischen Berater Hitlers. Das ist der Chef des Oberkommandos der
Wehrmacht, Keitel, der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Jodl, und Göring in seiner Eigenschaft als
Reichsmarschall, als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als Bevollmächtigter auf dem rüstungswirtschaftlichen
Gebiet." (22)
"Das Verpflegen von Kriegsgefangenen ist eine
mißverstandene Menschlichkeit"
Die anschließend von der sowjetischen Anklagevertretung vorgelegten Dokumente über Verbrechen an sowjetischen
Kriegsgefangenen berichteten von entsetzlichen Vorfällen. General Kurt von Oesterreich, der Kommandant der
Kriegsgefangenen des Danziger Wehrkreises, bestätigte in seiner eidesstattlichen Versicherung, er habe den Befehl
bekommen, daß "Kriegsgefangenenlager ... einfach unter freiem Himmel durch Absperrung mit Stacheldrahtzäunen
errichtet werden müßten", und daß es keine Barackenlager für die russischen Gefangenen gegeben habe. In diesen
ungeschützten Internierungslagern verhungerten und erfroren Millionen sowjetischer Gefangener. In
Generalfeldmarschall von Reichenaus Befehl über das "Verhalten der Truppe im Ostraum" hieß es: "Das Verpflegen
von ... Kriegsgefangenen ist eine ... mißverstandene Menschlichkeit." Tausende von Gefangenen wurden in
Sachsenhausen, Majdanek und anderen Konzentrationslagern umgebracht. Gefangene deutsche Soldaten sagten aus,
daß die Generäle Walter Model und Walther Nehring, beides Kommandeure von Panzerdivisionen, den Befehl erteilt
hätten, daß keine Gefangenen gemacht werden sollten - vermutlich um das Vordringen ihrer Truppen zu
beschleunigen. Besonders abscheulich waren die von den Deutschen errichteten Großlazarette für Gefangene, in
denen infolge von vorsätzlicher Überfüllung, Schmutz, Infektionskrankheiten und Hunger täglich Hunderte von
"Patienten" starben. (23)
"Technik der Entvölkerung"
Zum Beweismaterial, das der sowjetische Hauptankläger Roman Rudenko dem Gericht vorlegte, gehörten auch die
Erinnerungen des ehemaligen nationalsozialistischen Senatspräsidenten von Danzig, Hermann Rauschning. Dieser
berichtete, was Adolf Hitler einmal zu ihm sagte, und Rudenko las die ungeheuerliche Stelle im Gerichtssaal vor:
""Wir müssen eine Technik der Entvölkerung schaffen. Wenn Sie mich fragen, was ich unter Entvölkerung verstehe,
so werde ich ihnen sagen, daß ich die Vernichtung ganzer rassischer Einheiten im Auge habe, und dies werde ich tun,
ich sehe darin, grob ausgedrückt, meine Aufgabe. Die Natur ist grausam, daher dürfen auch wir grausam sein. Wenn
ich die Blüte des deutschen Volkes ohne jedes Bedauern über das Vergießen kostbaren deutschen Blutes in die Hölle
des Krieges schicken kann, so habe ich natürlich das Recht, Millionen von Menschen niederer Rasse zu vernichten,
die sich wie Ungeziefer vermehren." (24)
"12 Gebote für das Verhalten der Deutschen im Ostraum
und die Behandlung der Russen"
Im weiteren Verlauf legte Oberjustizrat Smirnow Beweismaterial für deutsche Greueltaten gegen die
Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete der UdSSR, Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei vor. Dieses
Beweismaterial basierte auf eidesstattlichen Aussagen von Augenzeugen deutscher Greueltaten, die der
"Außerordentlichen Staatlichen Kommission der Sowjetunion" vorgelegt worden waren. Wenn man an den Charakter
und an die große Zahl der Dokumente dachte, die zuvor von den amerikanischen und französischen Anwälten
vorgelegt worden waren, dann konnte es scheinbar gar nichts Schlimmeres mehr geben; aber tatsächlich verblaßten
diese früheren Präsentationen im Vergleich zu dem, was Smirnow aufbot. Es stellte sich heraus, warum dies so war:
Den Naziführern war es durch Befehle, Einschüchterungen und die Vorführung von Beispielen gelungen, ihre
Gefolgsleute davon zu überzeugen, daß Slawen tatsächlich "Untermenschen" seien und daß sie - abgesehen von
denen, die einer nützlichen Sklavenarbeit zugeführt werden könnten - auf derartig bestialische Weise umgebracht
werden sollten, daß im ganzen Land nur noch Angst und Schrecken regierten. Dazu war eine entsprechende
Indoktrinierung und Ausbildung erforderlich, wie Smirnow erläuterte: "Es ist selbstverständlich, daß es nicht genügte,
chemische Rezepte für "Zyklon A" (ein Giftgas) auszuarbeiten, Gaskammern und Krematoriumsöfen zu konstruieren
oder Spezialverfahren der Massenerschießung in allen Einzelheiten festzulegen, um Millionen unschuldiger und
hilfloser Menschen zu vernichten, sondern man mußte zu diesem Zwecke viele Tausende von Befehlsvollstreckern
ausbilden, die diese Politik nicht "ihrer Form, sondern ihrem Geiste nach", wie sich Himmler einst ausdrückte,
ausführten. Man mußte Menschen ohne Herz und Gewissen, mit perversen Neigungen, solche die mit den
Grundsätzen der Moral und des Rechts bewußt gebrochen hatten, erziehen." (25) Als Beleg dafür legte Smirnow ein
Dokument vor, das den Titel trug "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen im Osten und die Behandlung der
Russen", unterzeichnet von Herbert Backe, dem ehemaligen Ernährungsminister, der seine Leser ermahnte: " Ihr müßt
Euch bewußt sein, daß Ihr Repräsentanten Großdeutschlands und Bannerträger der nationalsozialistischen Revolution
und des neuen Europa für Jahrhunderte seid. Ihr müßt daher auch die härtesten und rücksichtslosesten Maßnahmen,
die aus Staatsnotwendigkeiten gefordert werden, mit Würde durchführen. Charaktermängel des Einzelnen werden
grundsätzlich zu seiner Abberufung führen." (26) Anschließend veranschaulichte Smirnow die Ergebnisse derartiger
Anweisungen durch eine lange Abfolge von Augenzeugenbeschreibungen, die teils von Gefangenen, teils von
deutschen Soldaten oder Zivilisten stammten. Beispielsweise sagte ein Gefangener aus, der Leichen verbrennen
mußte: " Um das Janovskylager herum war ein Stacheldraht angebracht ... Dahin brachte man Menschen, die dort vor
Kälte und Hunger umkamen, da sie sich von dort nicht retten konnten ... Ein Mensch wurde am Hals, an den Händen
oder Füßen aufgehängt, dann wurden die Hunde auf ihn gehetzt und rissen ihn in Stücke. Der Mensch wurde als
Zielwand bei Schießübungen verwendet. Mit diesen Dingen beschäftigten sich am meisten die Gestapoleute Heine,
Müller, Blum, der Chef des Lagers, Willhaus, und andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere. ... Die Menschen
wurden an den Beinen angefaßt und auseinandergerissen; Kinder im Alter von einem Monat bis zu drei Jahren
wurden in Fässern, die mit Wasser gefüllt waren ertränkt. ... Die Frauen wurden an den Haaren aufgehängt, dabei
wurden sie ausgezogen, hin und her geschaukelt, und so hingen sie, bis sie starben."
Lidice und andere
Vier Tage lang erklangen im Gerichtssaal Berichte von unvorstellbaren und zahllosen Tötungen in allen von den
Deutschen besetzten Gebieten in der Sowjetunion, Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Als sich Smirnow
mit der Tschechoslowakei befaßte, berichtete er von der Vernichtung von Lidice, einem Dorf in der Nähe von Prag ,
einer Greueltat, die damals überall in Europa und den USA bekannt war. Viele Sowjetdörfer, so Smirnow, hätten
dasselbe Schicksal wie Lidice erlitten. Er nannte die Zahlen der Toten in mehreren Städten.Waren diese Zahlen
überzogen? Waren die Greueltaten erfunden oder übertrieben? Abgesehen vielleicht von Göring ist keiner der Richter,
Verteidiger oder sonstigen Beobachter zu der Schlußfolgerung gelangt, daß man der sowjetischen Beweisführung im
Grunde nicht trauen könne. Aber selbst Göring mußte gegenüber Dr. Gilbert zugeben, daß "es genügt, wenn nur 5
Prozent all dieser Greuelgeschichten wahr sind". (27) Am 19. Februar wandte sich Smirnow den
Massenhinrichtungen in Auschwitz, Majdanek, Chelmno, Treblinka, Sobibor und Belsec zu. Die Glaubwürdigkeit der
Beweisführung wurde durch sichergestellte deutsche Fotografien erhöht. Die abgelichteten Szenen stimmten mit dem
Inhalt der Beweisdokumente überein. Smirnow schloß diesen Teil der sowjetischen Anklage mit einem
Dokumentarfilm über "Die Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eindringlinge" ab. Ausgenommen von Göring,
für den dieser Film kein Beweis war, stellten die anderen Angeklagten die Glaubwürdigkeit des Films nicht in Frage.
Daran anschließend wurden die Naziplünderungen und die Zerstörung von Eigentum geschildert.
Jüdische Babys in Auschwitz
Am 25. Februar präsentierte Smirnow das Beweismaterial für den Anklagepunkt "Verbrechen gegen die
Menschlichkeit". Diese Verbrechen unterschieden sich kaum von den Kriegsverbrechen gegen militärische und zivile
Opfer. Als Unterscheidungsmerkmal wurde angegeben, daß sie sich gegen bestimmte nationale oder religiöse
Gruppen richteten. Beim Beweismaterial über die Judenverfolgung stützte sich Smirnow weitgehend auf die von den
Amerikanern sichergestellten Dokumente über die Einsatzgruppen sowie auf Berichte der sowjetischen und
polnischen Regierungen über die Todeslager. Severina Schmaglewskaja, eine Frau die in Auschwitz gewesen war,
sagte aus: Neugeborene Babys jüdischer Mütter wurden sofort umgebracht, und bei ihrer Ankunft zur Vernichtung
bestimmte Kinder wurden oft in die Verbrennungsöfen geworfen, ohne daß man sie vorher in den Gaskammern
erstickte. Andere Kinder wurden mit unbekanntem Ziel weggebracht. "Im Namen aller Frauen, die im
Konzentrationslager zu Müttern geworden sind", sagte die Zeugin, "möchte ich heute die Deutschen fragen: "Wo sind
diese Kinder?" Dr. Gilbert sah, wie einige Angeklagte und ihre Anwälte den Kopf senkten oder sich auf die Lippen
bissen. Dr. Kranzbühler, der Anwalt von Dönitz, fragte seinen Klienten: "Hat denn niemand irgend etwas von diesen
Dingen gewußt?" Dönitz schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. "Natürlich, jemand wußte davon", sagte Jodl
ruhig. Der Angeklagte Jodl hatte selbstverständlich recht. Wenn niemand von "diesen Dingen" gewußt hätte, dann
wären sie auch nicht passiert. (28)
Die Verteidigung
Am 4.3.1946 kamen die Verteidiger der Angeklagten an die Reihe. In aller Form wurde ihre Seite des Verfahrens vor
dem Internationalen Militärgerichtshof eröffnet. Gemäß Artikel 16 und 23 des Londoner Statuts wurden die
Verteidiger entweder von den in Haft befindlichen Angeklagten selbst gewählt oder auf deren Verlangen vom
Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Verteidiger
und bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der angeklagten Gruppen und Organisationen. Das Generalsekretariat
des Tribunals hatte seit Anfang November 1945 Dokumente und Zeugen, die die Verteidigung haben wollte,
ausfindig gemacht und beschafft. Insgesamt legte die Verteidigung dem Gerichtshof 2.700 Dokumente vor.
Die Zuständigkeit des Gerichts wird in Frage gestellt
Gleich zu Prozeßbeginn legten alle Verteidiger eine gemeinsame Petition vor, die die juristischen Grundlagen des
Prozesses in Frage stellten. Insbesondere ging es um die Strafbarkeit "der Entfesselung des ungerechten Krieges". Die
Verteidigung machte geltend, daß "soweit es sich um Verbrechen gegen den Frieden handelt, ... der gegenwärtige
Prozeß keine gesetzliche Grundlage im internationalen Recht (hat), sondern ein Verfahren (ist), das auf einem neuen
Strafrecht basiert, einem Strafrecht, das erst nach der Tat geschaffen wurde". (29) Der Vorsitzende Richter des
Internationalen Militärgerichtshofs, Sir Geoffrey Lawrence lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, im KellogBriand-Pakt von 1928 hätten sich 15 Staaten, darunter auch Deutschland, dafür ausgesprochen, den Krieg als
"Werkzeug nationaler Politik" zu ächten und zwischenstaatliche Konflikte nur "durch friedliche Mittel" beizulegen.
Allerdings waren zur Einhaltung dieses Paktes keine Zwangsmittel vorgesehen.
Das "tu quoque" Argument
Mehrfach versuchte die Verteidigung in Nürnberg vom "tu quoque" Argument ( d.h. gleiches Maß für gleichen
Tatbestand; der Feind habe sich genauso verhalten) Gebrauch zu machen. Die Richter reagierten darauf mit dem
Hinweis, daß das Londoner Statut die Zuständigkeit des Gerichts darauf beschränke, über deutsche Kriegsverbrechen
zu urteilen, nicht aber über völkerrechtswidrige Handlungen der Siegermächte.Die Reihenfolge der Verteidigung
entsprach der Anklageschrift. Als erster war Görings Verteidiger an der Reihe . Während die Verteidigung Görings 12
Tage in Anspruch nahm, dauerte die der übrigen 20 Angeklagten etwa 4 Tage pro Angeklagter. Insgesamt vergingen
darüber 78 Prozeßtage. Außer Heß betraten alle Angeklagten den Zeugenstand. Die Mehrzahl von ihnen gab zu, daß
grauenhafte Verbrechen begangen worden waren, behauptete aber, daß sie persönlich in gutem Glauben gehandelt
hätten. Die Generale hatten nur Befehle befolgt; die Admirale hatten nichts anderes als andere Admirale getan; die
Politiker hatten nur für das Vaterland gearbeitet, und die Finanzleute hatten sich nur mit Geschäften befaßt. (30) Die
Fülle der Beweisanträge der Verteidiger richtete sich kaum gegen das der Anklage zugrundeliegende Tatgeschehen.
Den Beweisdokumenten der Anklagevertretung wurde nicht widersprochen. Ebensowenig wurde die Prozeßführung
angegriffen. Sie wurde als sachlich, korrekt und fair bewertet. Vielmehr wurde immer wieder die Zuständigkeit des
Gerichts generell in Frage gestellt.
Zeuge der Verteidigung: Rudolf Höß, Kommandant von
Auschwitz
Ein Zeuge, der unverständlicherweise von der Verteidigung und nicht von der Anklagevertretung aufgerufen wurde,
war Rudolf Höß, von 1940-43 Lagerkommandant von Auschwitz. Wie kein anderer verbreitete er lähmendes
Entsetzen im Gerichtssaal. Hier berichtete ein Massenmörder aus erster Hand. Unter anderem sagte Höß aus: "Im
Sommer 1941 wurde ich zum persönlichen Befehlsempfang zum Reichsführer SS, Himmler, nach Berlin befohlen.
Dieser sagte mir dem Sinne nach, ich kann das nicht mehr wörtlich wiederholen, der Führer habe die Endlösung der
Judenfrage befohlen, wir, die SS, haben diesen Befehl durchzuführen. Wenn jetzt zu diesem Zeitpunkt dies nicht
durchgeführt wird, so wird später das jüdische Volk das deutsche vernichten. Er habe Auschwitz deswegen gewählt,
weil es bahntechnisch am günstigsten liegt und auch das ausgedehnte Gelände für Absperrmaßnahmen Raum bietet."
(31) Höß sprach so ruhig und gefühllos als handelte es sich um ganz selbstverständliche Dinge und nicht darum,
Hunderttausende von Menschen in den Tod zu schicken. Höß versuchte Dr. Gilbert seine Sicht der Dinge zu erklären:
"Verstehen Sie nicht, wir SS-Leute sollten nicht über diese Dinge nachdenken; es kam uns nie in den Sinn. Und
außerdem war es gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit geworden, daß die Juden an allem Schuld hatten. ... Es
stand nicht nur in den Zeitungen wie dem "Stürmer", sondern wir hörten es überall. Selbst bei unserer militärischen
und ideologischen Ausbildung wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir Deutschland vor den Juden zu
schützen hätten. ... Wir waren alle darauf gedrillt, Befehle auszuführen, ohne darüber nachzudenken. Der Gedanke,
einen Befehl nicht auszuführen, kam einfach niemandem." (32) Höß Aussage war für die Angeklagten und ihre
Verteidiger niederschmetternd.
Die Schlußplädoyers der Verteidigung und
der Anklagebehörde
Fast der ganze Juli 1946 verging über den Schlußplädoyers der Verteidigung (16 Prozeßtage) und der
Anklagebehörde (3 Tage). Inhaltlich kam nichts mehr neues zu Tage. Die Verteidiger bestritten erneut die
Rechtsgültigkeit der in der Londoner Charta aufgeführten "Verbrechen gegen den Frieden". Gegen die ersten sieben
Angeklagten - Göring, Heß, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg und Frank - lag so vernichtendes
Beweismaterial vor, daß eine Verurteilung und schwere Strafen zu erwarten waren. Bei den restlichen sei der
Ausgang, so Telford Taylor, ungewiss gewesen. Die Verteidiger von Streicher, Funk und Schacht forderten denn auch
jeweils Freispruch für ihre Mandanten.Robert Jackson, der am 26.7.1946 das Schlußplädoyer für die amerikanische
Anklagevertretung hielt, sagte :"Wenn wir nur die Erzählungen der vorderen Reihe der Angeklagten
zusammenstellen, so bekommen wir folgendes lächerliche Gesamtbild von Hitlers Regierung; sie setzte sich
zusammen aus: Einem Mann Nummer 2, der nichts von den Ausschreitungen der von ihm selbst eingerichteten
Gestapo wußte, und nie etwas vermutete von dem Ausrottungsprogramm gegen die Juden, obwohl er der
Unterzeichner von über 20 Erlassen war, die die Verfolgung dieser Rasse ins Werk setzten. Einen Mann Nummer 3,
der nur ein unschuldiger Mittelsmann war, der Hitlers Befehle weitergab, ohne sie überhaupt zu lesen, wie ein
Briefträger oder ein Botenjunge. Einem Außenminister, der von auswärtigen Angelegenheiten wenig und von der
auswärtigen Politik gar nichts wußte. Einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte, jedoch keine Ahnung
hatte, zu welchen praktischen Ergebnissen diese führen würden. Einem Chef des Sicherheitswesens, der unter dem
Eindruck war, daß die polizeiliche Tätigkeit seiner Gestapo und seines SD im wesentlichen derjenigen der
Verkehrspolizei gleichkam. Einem Parteiphilosophen, der an historischen Forschungen interessiert war und keinerlei
Vorstellung von den Gewalttaten hatte, zu denen im 20. Jahrhundert seine Philosophie anspornte. Einem
Generalgouverneur von Polen, der regierte, aber nicht herrschte. Einem Gauleiter von Franken, der sich damit
beschäftigte, unflätige Schriften über die Juden herauszugeben, der jedoch keine Ahnung hatte, daß sie irgend jemand
jemals lesen würde. Einem Innenminister, der nicht wußte, was im Innern seines eigenen Amtes vor sich ging, noch
viel weniger etwas wußte von seinem eigenen Ressort und nichts von den Zuständen im Innern Deutschlands. Einem
Reichsbankpräsidenten, der nicht wußte, was in den Stahlkammern seiner Bank hinterlegt und was aus ihnen
herausgeschafft wurde. Und einem Bevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, der geheim die ganze Wirtschaft für
Rüstungszwecke leitete, jedoch keine Ahnung hatte, daß dies irgend etwas mit Krieg zu tun hätte. ... Angesichts
dieses Hintergrundes verlangen diese Angeklagten heute von diesem Gerichtshof, sie für nichtschuldig zu erklären an
der Planung, Ausführung oder Verschwörung zur Begehung dieser langen Liste von Verbrechen und Unrecht. ...
Wenn Sie von diesen Männern sagen sollten, daß sie nicht schuldig seien, so wäre es ebenso wahr zu sagen, daß es
keinen Krieg gegeben habe, daß niemand erschlagen und kein Verbrechen begangen worden sei." (33) Auf Jacksons
Plädoyer folgte das Plädoyer des britischen Hauptanklägers, der in seiner Rede unmißverständlich zu verstehen gab,
daß jeder der Angeklagten ein Mörder sei. Die französische und die sowjetische Anklage forderte ausdrücklich die
Todesstrafe für alle Angeklagten. Shawcross, der Brite, betonte wiederholt die Legitimität einer solchen
Entscheidung, hoffte aber, daß unterschiedliche Urteile gefällt würden. Jackson gab keine klare Empfehlung ab.
Die angeklagten Gruppen und
Organisationen
Am 30. Juli 1946 begann der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg das Beweismaterial gegen die nach
Artikel 9 der Londoner Charta angeklagten Gruppen und Organisationen anzuhören und entgegenzunehmen.
Angeklagt waren das Reichskabinett, das Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA, Gestapo und Generalstab und
Oberkommando der Wehrmacht. Diese Art der Anklage ( auf Gruppen und Organisationen bezogen) war etwas ganz
neues, und ging auf einen Vorschlag des amerikanischen Obersten Murray Bernays aus dem Jahre 1944 zurück. (34)
In den vergangenen Monaten waren beim Gericht eine Unmenge von Briefen, eidesstattlichen Versicherungen und
Anträgen zugunsten der Organisationen eingegangn. Allein die SS Angehörigen schickten 136 000 Affidavits
(eidesstattliche Versicherungen). Vom Gericht bevollmächtigte Untersuchungsrichter vernahmen 101 Zeugen, aus
denen dann diejenigen ausgewählt wurden, die vor dem Gerichtshof aussagen sollten. Im Hinblick auf das
Führerkorps der NSDAP machte die Verteidigung geltend, daß die meisten der Politischen Leiter, rund 600 000
Parteimitglieder, nichts von den Verbrechen der Partei gewußt hätten oder nicht in sie verwickelt gewesen waren. (35)
Aus dem Beweismaterial gegen SS, SD und Gestapo ging klar hervor, daß viele Tausende ihrer Mitglieder von
grauenvollen Kriegsverbrechen gewußt hatten und darin verstrickt gewesen waren. Die Verteidigung bestritt jedoch,
daß dies pauschal für alle Angehörigen dieser Gruppen galt. Hinsichtlich des Generalstabs und des Oberkommandos
der Wehrmacht konzentrierte sich die Verteidigung darauf, daß dieses keine einheitlichen Gruppen gewesen waren
und deshalb die Anklage als solche nicht gerechtfertigt sei. Das gleiche Argument wurde in Bezug auf das
Reichskabinett angeführt. Die SA, die Sturmabteilung der NSDAP, habe nach dem "Röhm-Putsch" von 1934 an
Prestige und Bedeutung verloren. Nachdem die Schlußplädoyers der Verteidiger der angeklagten Gruppen und
Organisationen am 28. August 1946 abgeschlossen waren, kamen die Anklagevertreter mit ihren Schlußplädoyers an
die Reihe. Tom Dodd, der das Plädoyer für die amerikanische Seite hielt, hob die Bedeutung der Klage gegen die
Organisationen vor: "Dadurch, daß diese Organisationen für verbrecherisch erklärt werden, wird dieser Gerichtshof
nicht nur an das deutsche Volk, sondern an die Völker der ganzen Welt eine Warnung aussprechen. Die Menschheit
soll wissen: Verbrechen bleiben nicht straflos, weil sie im Namen einer politischen Partei oder eines Staates begangen
worden sind, über Verbrechen wird nicht hinweggesehen, weil sie zu umfangreich sind; Verbrecher werden nicht
straflos davonkommen, weil ihrer zu viele sind." (36).
Schlußworte der Angeklagten
Das letzte Wort hatten die Angeklagten. So bestimmte es das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs. Am 31.
August erhalten deshalb alle 21 Angeklagten im Gerichtssaal noch einmal Gelegenheit, ans Mikrophon zu treten und
in eigener Sache zu sprechen. Fast fünfzig Druckseiten des Gerichtsprotokolls nehmen diese Schlußworte ein. (37)
Damit war die Beweisaufnahme im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß beendet. Der Gerichtshof vertagte sich
bis zur Urteilsverkündung.
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde"
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde" war sehr heterogen. Sie war von der einheimischen Bevölkerung getrennt. Da
Nürnberg in der amerikanischen Besatzungszone lag, war die amerikanische Militärregierung für die nötige
Infrastruktur verantwortlich. Sie beseitigte die Kriegsschäden am Prozeßgebäude, hatte die Angeklagten und die
Zeugen nach Nürnberg gebracht und stellte das Wachpersonal im Gefängnis und im Gerichtssaal zur Verfügung. Ihr
oblag die Ausstattung der Prozeßmitarbeiter und der Pressevertreter mit den notwendigen Vervielfältigungs-,
Aufzeichnungs- und Telefongeräten und -einrichtungen. Aus ihren Reihen kam ein Großteil des Verwaltungs- und
Büropersonals. Sie beschaffte und verteilte Nahrung und Getränke, Heizmaterial und sonstige Dienstleistungen für die
Gemeinde. Sie unterhielt einen PX-Laden und stellte den Wagenpark und die Fahrer zur Verfügung. Ferner oblag ihr
die Bereitstellung der Unterkünfte. Die Mitglieder der französischen und der englischen Delegation wohnten vor
allem in Zirndorf. Die US-Quartiere lagen schon wegen der Größe der Delegation - sie war um ein Vielfaches größer
als die der anderen Nationen - über ganz Nürnberg verstreut. Robert Jackson und seine engsten Mitarbeiter waren in
Dambach untergebracht. Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war das Grand Hotel am Nürnberger
Hauptbahnhof. Während die sowjetische, englische und französische Delegation in sich homogen waren, gehörten zur
amerikanischen auch Nichtamerikaner, z.B. Deutsche wie Robert Kempner. Das internationale Spektrum der ProzeßGemeinde wurde noch verstärkt durch kleine Delegationen aus den ehemals von den Nationalsozialisten besetzten
Ländern Polen, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen, Niederlande und Griechenland. Die ersten
drei arbeiteten eng mit der sowjetischen, die anderen mit der britischen Delegation zusammen. Sie fungierten als
Beobachter und als Quelle für zusätzliches Beweismaterial.(38)
Die Presse in Nürnberg
Die Pressevertreter, die über den Nürnberger Prozeß berichteten waren südwestlich von Nürnberg , in Stein, in der
Faber-Castellschen Bleistiftfabrik untergebracht. Die Reporter und Kommentatoren kamen aus über zwanzig
Nationen: rund achtzig aus den USA, fünfzig aus England, vierzig aus Frankreich, fünfunddreißig aus der
Sowjetunion, zwanzig aus Polen und ein Dutzend aus der Tschechoslowakei. Im Gerichtssaal waren 240 Plätze für
die Presse reserviert und in einem großen Presseraum konnte das Verfahren auch über Lautsprecher verfolgt werden.
Im Justizpalast waren die Nachrichtenagenturen RCA, Mackey, press Wireless und Tass untergebracht, und
Fernschreiber wurden zur Nachrichtenübermittlung nach London und Paris installiert. Das Pressekorps behielt
natürlich im Laufe des Prozesses nicht seine anfängliche Stärke bei. Sobald sich immer deutlicher herausstellte, daß
die Verhandlungen noch mindestens mehrere Monate weitergehen würden, reisten viele Reporter ab. Wenn es aber
etwas besonders Berichtenswertes gab, war der Andrang wieder groß. Das war der Fall bei den Eröffnungsreden der
Ankläger, bei der Zeugenvernehmung von General Paulus, bei den Schlußworten der Angeklagten.(39)
Das Urteil
In völliger Abgeschiedenheit arbeiteten die Richter der vier Nationen am Urteil und seiner Begründung. Selbst die
Telefonleitungen zu den Beratungszimmern waren für diese Wochen abgeschaltet. Sicherheitsoffiziere überwachten
die Zugänge, durchsuchten die Papierkörbe, beseitigten jede Spur, aus der ein Außenstehender vorzeitige Schlüsse auf
den Ausgang der Beratung ziehen konnte. Während die Briten, Franzosen und Sowjets selbständig arbeiteten, hatten
sich die amerikanischen Richter qualifizierte Juristen aus den USA als Berater kommen lassen.
Die Richter
Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg setzte sich aus je zwei Vertretern der vier alliierten Mächte
zusammen: Für Großbritannien waren das Lordrichter Geoffrey Lawrence (Vorsitzender) und sein Stellvertreter
Richter Birkett. Für die USA: Francis Biddle und als Stellvertreter Richter John J. Parker. Für Frankreich: Professor
Donnedieu de Vabres, als Stellvertreter Appelationsgerichtsrat R. Falco. Für die Sowjetunion: Generalmajor I.T.
Nikitchenko, als Stellvertreter Oberstleutnant A.F. Wolchkow.Gestützt auf die Aufzeichnungen des amerikanischen
Richters Francis A. Biddle und seines englischen Kollegen Sir Norman Birkett hat der amerikanische Historiker
Bradley F. Smith in seinem 1977 erschienenen Buch "Der Jahrhundert-Prozeß" die Legende zerstört, das Gericht sei
in allen wesentlichen Punkten den Vorstellungen der Anklage gefolgt. Bevor es zu den Urteilssprüchen kam , konnten
alle acht Richter in zwei Beratungsperioden ihre Meinung äußern. In der abschließenden Beratung zählten nur die
Stimmen der vier ordentlichen Mitglieder des Gerichts. Für eine Verurteilung war eine Mehrheit von drei Stimmen
erforderlich. Die Richter verhandelten die Urteile in der Reihenfolge der Anklageschrift; nur die Fälle ,die sich als
schwer zu entscheiden erwiesen hatten, wurden für zuletzt aufgespart. Das waren einmal die möglichen Freisprüche
(Papen, Schacht und Fritzsche), zum anderen die strittigen Fälle Schirach, Bormann, Raeder, Dönitz, Speer und von
Neurath. Der französische Vertreter Donnedieu de Vabres formulierte fast immer das mildeste Urteil, wollte aber
keine Freisprüche. Nikitschenko forderte für alle die Todesstrafe. (40)
Die Urteilsverkündung
Am 30.September und 1.Oktober 1946 fand im vollbesetzten Saal 600 die Urteilsverkündung statt. Am Anfang
erklärten die Richter über ihre Zuständigkeit, die von der Verteidigung immer wieder bestritten wurde und über die
die Meinungen der Völkerrechtler bis heute auseinandergehen: "Dem Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden,
alle Personen abzuurteilen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit nach den im Statut festgelegten Begriffsbestimmungen begangen haben". Die Täter solcher
Verbrechen waren persönlich verantwortlich. Ferner wurde die Zuständigkeit aus der "bedingungslosen Kapitulation
Deutschlands" hergeleitet.Der Hauptteil des Urteils - es umfaßt insgesamt 197 Seiten im Gerichtsprotokoll - bezog
sich auf Punkt 1 der Anklage: Verschwörung zur Planung und Führung von Angriffskriegen. Es wurde die Geschichte
der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die Konsolidierung ihrer Macht im "Dritten Reich" und die
Vorbereitungen für die deutschen Eroberungen durch Waffengewalt geschildert. Das Urteil folgte in seiner
Darstellung den Eroberungszügen, stützte sich dabei auf erbeutete deutsche diplomatische und militärische
Dokumente und kam zu dem Resultat, daß "einige der Angeklagten Angriffskriege gegen 12 Nationen geplant hatten
und durchführten und daher dieses Verbrechens schuldig zu erachten seien". (41). Der Gerichtshof bezeichnete das
Beweismaterial zu Teil 3 und 4 der Anklage - Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - im
Hinblick auf die Grausamkeiten als "überwältigend in seinen Ausmaßen und seinen Einzelheiten". Die Richter
erklärten die Grausamkeiten als "das Ergebnis von kalten und verbrecherischen Überlegungen", die unter den "Begriff
des totalen Krieges" fielen. (42)
Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens
Anschließend behandelte der Gerichtshof die grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens. Unter anderem ging es
um den Antrag der Verteidigung , den Anklagepunkt des Angriffskrieges fallen zu lassen, weil "zur Zeit, als die
angeblichen verbrecherischen Handlungen begangen wurden, keine souveräne Macht Angriffskriege als Verbrechen
ansah" und "daß kein Verbrechen ohne ein bereits vorher in Kraft befindliches Strafgesetz bestraft werden kann",
nulla poena sine lege. Dieser Einwand wurde vom Gericht mit der Begründung abgelehnt, daß Angriffskriege
mindestens seit dem Abkommen von Paris im Jahre 1928, dem Kellog-Briand-Pakt, als Verbrechen im Sinne des
Völkerrechts anzusehen seien. (43) Außerdem wies das Gericht den Einwand der Verteidigung, daß sich Völkerrecht
nur mit den Handlungen souveräner Staaten befasse und keine Bestrafung von Einzelpersonen vorsehe, zurück.
"Verbrechen gegen das Völkerrecht", sagt das Urteil, "werden von Personen begangen, nicht von abstrakten
Einheiten, und nur durch Bestrafung von Einzelpersonen ... kann ... internationales Recht durchgesetzt werden."
Ferner wies das Urteil das Vorbringen der Verteidigung zurück, daß die Angeklagten unter Hitlers Befehlsgewalt
gehandelt hätten und daher nicht für ihre Handlungen verantwortlich seien: "Daß ein Soldat den Befehl erhalten hat,
unter Verletzung des Völkerrechts zu töten oder zu martern, ist niemals als ein Entschuldigungsgrund für solche
brutalen Handlungen anerkannt worden, wenn auch ... der Befehl als mildender Umstand bei der Bestrafung
berücksichtigt werden kann. Der wirkliche Prüfstein ... ist nicht das Bestehen eines solchen Befehls, sondern die
Frage, ob eine den Sittengesetzen entsprechende Wahl tatsächlich möglich war". (44)
Zum Begriff der Verschwörung
Den Begriff der Verschwörung, der der Kernpunkt der amerikanischen Anklage war, ließ das Gericht nur in einem
eng umgrenzten Rahmen gelten, ein Gesichtspunkt, der besonders bei der Entscheidung über die Schuld oder
Unschuld der einzelnen Angeklagten wichtig wurde. Die Verschwörung müßte mit ihrem verbrecherischen Zweck
klar ersichtlich sein. Sie dürfe nicht zu weit vom Zeitpunkt der Entscheidung und Handlung entfernt sein." Das
Gericht entschied jedoch, daß "das Beweismaterial den gemeinsamen Plan einzelner Angeklagter erwiesen habe" und
wies das Argument der Verteidigung zurück, daß "ein gemeinsamer Plan in einer totalen Diktatur nicht bestehen
könne". Es erklärte: "Hitler konnte keinen Angriffskrieg allein führen. Er benötigte die Mitarbeit von Staatsmännern,
militärischen Führern, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wenn diese seine Ziele kannten und ihre Mitarbeit zur
Verfügung stellten, machten sie sich zu Teilnehmern an dem von ihm ins Leben gerufenen Plan. Wenn sie wußten,
was sie taten, so können sie nicht als unschuldig erachtet werden, weil Hitler sie benutzte." (45)Greueltaten, die vor
dem Kriege von den Nationalsozialisten begangen wurden, wie furchtbar sie auch sein mochten - die Verfolgung der
Juden, der Zigeuner und anderer - wurden nach der Sprache des Londoner Statuts als außerhalb der juristischen
Zuständigkeit des Internationalen Militärgerichtshofes erklärt und deshalb nicht geahndet.Das Führerkorps der
NSDAP, SS, SD und Gestapo wurden als verbrecherische Organisationen für diejenigen erklärt, die nach dem 1.
September 1939 (Kriegsbeginn) Mitglieder geworden waren oder blieben. Niemand sollte wegen Mitgliedschaft
verurteilt werden, wenn er nicht entweder "Kenntnis von den verbrecherischen Zwecken oder Handlungen der
Organisation" hatte oder "persönlich in die Ausführung verbrecherischer Akte verwickelt war. Mitgliedschaft allein
ist nicht ausreichend, um in den Rahmen dieser Feststellungen zu fallen." (46). Das Gericht lehnte es ab, die SA, das
Reichskabinett sowie Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht zu verbrecherischen Gruppen oder
Organisationen zu erklären.
Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten
Der Schlußabschnitt des Urteils befaßte sich mit der Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten. Zuerst wurden
die Schuldsprüche mit der Begründung verlesen. Jeder der Angeklagten erfuhr, nach welchen Punkten der
Anklageschrift er schuldig oder nicht schuldig befunden wurde. Danach, am Nachmittag des 1. Oktober 1946 wurden
die Verurteilten noch einmal, und diesmal jeder für sich allein, in den Saal geführt, um die Bekanntgabe des
Strafmaßes zu hören. Die meisten Angeklagten nahmen die Schuldsprüche mit äußerer Unbeweglichkeit entgegen.
Fritzsche, Papen und Schacht, die Freigesprochenen und schon Freigelassenen zeigten die beste Laune, lachten und
rauchten genießerisch. Von allen Seiten prasselten die Fragen der Journalisten der ganzen Welt auf sie nieder. Zwölf
Angeklagte wurden zum Tode durch den Strang verurteilt: Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg,
Frick, Frank, Streicher, Sauckel, Jodl, Seyss-Inquart, und Martin Bormann in Abwesenheit. Heß, Funk und Raeder
wurden zu lebenslänglichem Gefängnis, Schirach und Speer zu zwanzig Jahren, Neurath zu fünfzehn und Dönitz zu
zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Dr. Gilbert, dem Gerichtspsychologen konnte sich Sauckel am schlechtesten
mit dem Todesurteil abfinden. Er bestürmte Friseur, Gefängnisarzt und Psychologen mit dem Hinweis, daß alles
zweifellos nur einem Übersetzungsfehler zuzuschreiben sei. Er war fest überzeugt, daß man den Irrtum noch
entdecken und das Urteil revidieren würde.Das sowjetische Mitglied des Gerichtshofes, General Nikitschenko, war
mit dem Freispruch von Schacht, Papen und Fritzsche und mit der Entscheidung, das Reichskabinett und den
Generalstab als nicht verbrecherische Organisationen zu erklären, nicht einverstanden. Außerdem war Nikitschenko
der Meinung, daß Heß zum Tode hätte verurteilt werden müssen. Die "Abweichende Meinung des Sowjetischen
Mitglieds des Internationalen Militätgerichtshofes" wurde im Prozeßprotokoll anschließend an das Urteil abgedruckt.
(Tabelle der Urteilssprüche siehe umseitig (47)).Es können aus Platzgründen nicht alle Schuldsprüche und
Urteilsbegründungen für die 21 Angeklagten zitiert werden. Exemplarisch wurden Keitel (48), Streicher(49), Funk
(50) und Schacht(51) ausgewählt (siehe Dokument D im Anhang).
Tabelle der Strafaussprüche
30. September 1946 * Angeklagter Punkte nach denen die Strafausspruch Verurteilung erfolgt ist Hermann Wilhelm
Göring 1, 2, 3, 4 Tod durch den Strang Rudolf Heß 1,2 Lebenslängliches Gefängnis Joachim von Ribbentrop 1, 2, 3, 4
Tod durch den Strang Wilhelm Keitel 1, 2, 3, 4 Tod durch den Strang Ernst Kaltenbrunner 3, 4 Tod durch den Strang
Alfred Rosenberg 1, 2, 3, 4 Tod durch den Strang Hans Frank 3, 4 Tod durch den Strang Wilhelm Frick 2, 3, 4 Tod
durch den Strang Julius Streicher 4 Tod durch den Strang Walter Funk 2, 3, 4 Lebenslängliches Gefängnis Hjalmar
Schacht nicht schuldig Karl Dönitz 2,3 10 Jahre Gefängnis Erich Raeder 1,2,3 Lebenslängliches Gefängnis Baldur
von Schirach 4 20 Jahre Gefängnis Fritz Sauckel 3, 4 Tod durch den Strang Alfred Jodl 1, 2, 3, 4 Tod durch den
Strang Franz von Papen nicht schuldig Arthur Seyß-Inquart 2, 3, 4 Tod durch den Strang Albert Speer 3, 4 20 Jahre
Gefängnis Constantin von Neurath 1, 2, 3, 4 15 Jahre Gefängnis Hans Fritzsche nicht schuldig Martin Bormann 3, 4
Tod durch den Strang Unterschrift: Geoffry Lawrence Vorsitzender Unterschrift: Francis Biddle Für die Richtigkeit
der Abschrift: Unterschrift: H. Donnedieu de Vabres Unterschrift: JOHN E. RAY Unterschrift: Nikitchenko Oberst,
FA * Dieser Urteilsspruch wurde in öffentlicher Gerichtssitzung durch den Vorsitzenden am 1. Oktober 1946
verlesen. (Punkt 1: Verschwörung zur Planung und Führung von Angriffskriegen; Punkt 2: Verbrechen gegen den
Frieden; Punkt 3: Kriegsverbrechen; Punkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit)
Die Vollstreckung des Urteils
Die von den Verurteilten oder von ihren Angehörigen an den alliierten Kontrollrat, der gemäß Artikel 29 des
Londoner Abkommens die Urteile zu bestätigen hatte, gerichteten Gnadengesuche wurden abgelehnt.Die Hinrichtung
der zum Tode Verurteilten erfolgte in den ersten Stunden des 16. Oktober 1946 in einer Halle im Hof des Nürnberger
Justitzgebäudes in der Fürther-Straße. Als Deutsche waren der bayerische Ministerpräsident , Wilhelm Hoegner und
der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Nürnberg, Friedrich Leistner anwesend. Hermann Göring entzog
sich der Hinrichtung durch Selbstmord, den er zwei Stunden vor dem festgesetzten Termin beging. Die Hinrichtung
erfolgte an zwei Galgen. Die Leichname wurden im Krematorium des Münchner Ostfriedhofes verbrannt; die Asche
in einem lange Zeit geheimgehaltenen Fluß bzw. Bach gestreut. Die zu Freiheitsstrafen Verurteilten wurden in das
unter Vier-Mächte-Verwaltung gestellte Gefängnis in Berlin-Spandau überführt.
Zur Bedeutung von "Nürnberg"
Der historisch gewordene Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in
Nürnberg hatte zunächst den Zweck, die Hauptschuldigen einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Erstmals in der
Geschichte wurden Staatsmänner persönlich für Angriffskriege und organisierte Massenvernichtung zur Rechenschaft
gezogen und bestraft. "Nürnberg" enthüllte durch Tausende amtliche Dokumente das "düstere Panorama des Dritten
Reiches" (Kempner): Die Befehle zum Überfall auf fremde Nationen, zur Ermordung Kriegsgefangener,
abgesprungener Flieger, Juden, katholischer Priester, slawischer "Untermenschen", "nutzloser Esser",
"Minderrassiger" konnten Deutschland und der Welt präsentiert werden. Der Nürnberger Prozeß sollte zur Grundlage
eines neuen Völkerrechts werden.(52) Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson hatte unermüdlich betont, daß
sich die Nürnberger Prinzipien nicht nur auf Deutschland und auf die Nationalsozialisten beziehen sollten: " Die
moderne Zivilisation gibt der Menschheit unbegrenzte Waffen der Zerstörung in die Hand. ... Jede Zuflucht zu einem
Krieg, zu jeder Art von Krieg, ist eine Zuflucht zu Mitteln, die ihrem Wesen nach verbrecherisch sind. Der Krieg ist
unvermeidlich eine Kette von Tötung, Überfall, Freiheitsberaubung und Zerstörung von Eigentum. ... Die Vernunft
der Menschheit verlangt, daß das Gesetz sich nicht genug sein läßt, geringfügige Verbrechen zu bestrafen, die sich
kleine Leute zuschulden kommen lassen. Das Gesetz muß auch die Männer erreichen, die eine große Macht an sich
reißen und sich ihrer mit Vorsatz und in gemeinsamem Ratschlag bedienen, um ein Unheil hervorzurufen, das kein
Heim in der Welt unberührt läßt. ... Der letzte Schritt, periodisch wiederkehrende Kriege zu verhüten, die bei
internationaler Gesetzlosigkeit unvermeidlich sind, ist, die Staatsmänner vor dem Gesetz verantwortlich zu machen. ...
Lassen Sie es mich deutlich aussprechen: Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt,
es schließt aber ein und muß, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht
ausgenommen die, die jetzt hier zu Gericht sitzen". (53) Das Urteil von Nürnberg hat Aggressionskriege und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verhindern können. Aber sie wurden klarer definiert und damit leichter
erkennbar. Seit "Nürnberg" will niemand mehr ein Aggressor sein. Die strafrechtlichen Konsequenzen für
Verletzungen des Völkerrechts und der Nürnberger Prinzipien sind allerdings selten eingetreten, da eine Instanz zur
Verfolgung, ein ständiger Internationaler Strafgerichtshof, fehlte.
Die Nürnberger Nachfolgeprozesse
Die ursprüngliche Absicht der Alliierten, weitere Prozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg
durchzuführen, wurde nicht weiterverfolgt. Durch Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 ermächtigten
die Gouverneure der vier Besatzungszonen die Besatzungsbehörden, zur Aburteilung von Kriegsverbrechern
"geeignete Gerichtshöfe" zu schaffen. In der amerikanischen Zone wurden in Nürnberg zwölf weitere Verfahren
durchgeführt, die auch als Nürnberger Nachfolgeprozesse bekannt wurden.Anklage war gegen insgesamt 185
Personen erhoben worden, verhandelt wurde gegen 177: Vier Angeklagte hatten Selbstmord verübt, vier waren für
verhandlungsunfähig erklärt worden. Die Vorbereitungen für die Nachfolgeprozesse hatten im Mai 1946 begonnen,
während der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher noch im Gange war. Bald nach dessen Beendigung wurde das
Amt der US-Anklagebehörde eingerichtet und Telford Taylor zu seinem Leiter ernannt. Die erste Anklageschrift Vereinigte Staaten gegen Karl Brandt (Der "Ärzteprozeß")- wurde am 25. Oktober 1946 eingereicht, am 9.12. begann
das Verfahren. Das letzte Urteil in den Nachfolgeprozessen erging am 11. April 1949.Die 12 Nachfolgeprozesse
lassen sich in fünf Gruppen untergliedern: Ärzte und Juristen: 39 Angeklagte SS und Polizei: 56 Angeklagte
Industrielle und Bankiers: 42 Angeklagte Militärische Führer: 26 Angeklagte Minister und hohe Regierungsbeamte:
22 Angeklagte.24 Angeklagte wurden zum Tod verurteilt, 20 zu lebenslänglicher Haft und 98 zu Freiheitsstrafen
zwischen 18 Monaten und 25 Jahren. Freispruch erging in 35 Fällen. Von den zum Tod Verurteilten wurden 12
hingerichtet, einer an Belgien ausgeliefert (dort verstorben), 11 zu lebenslanger Haft begnadigt. Mit Gnadenerlaß vom
31. Januar 1951 setzte US-Hochkommissar McCloy zahlreiche Strafen herab.(54)Auf der Grundlage einer von
Telford Taylor, Chefankläger in den Nürnberger Nachfolgeprozessen, erstellten Übersicht (55), folgt eine knappe
Skizze der 12 Verfahren.
Ärzte und Juristen
Der ÄrzteprozeßIm Ärzteprozeß ging es vor allem um die strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Ausführung von
grausamen und häufig mörderischen medizinischen Experimenten, die ohne Zustimmung der betreffenden Opfer an
Konzentrationslagerinsassen, Kriegsgefangenen und anderen Personen (einschließlich Juden und sog. Asozialen)
vorgenommen worden waren. Die am 25. Oktober 1946 eingereichte Anklageschrift enthielt die Namen von 23
Angeklagten. Karl Brandt war eine Zeitlang einer von Hitlers privaten Ärzten gewesen und war im Alter von vierzig
Jahren zur höchsten militärischen Stellung im Deutschen Reich als Reichskommissar für das Sanitär- und
Gesundheitswesen aufgestiegen, wobei er direkt Hitler unterstellt war; er war gleichzeitig Generalleutnant der
Waffen-SS. Seine Behörde hatte die Aufsicht über alle militärischen und zivilen medizinischen Einrichtungen. Nach
der Anklage wurden diese Experimente in Dachau im Interesse der Luftwaffe ausgeführt, um die Grenzen
menschlicher Ausdauer und Lebensfähigkeit in großen Höhenlagen zu erforschen und um die wirksamste Behandlung
für Piloten mit schweren Erfrierungserscheinungen festzustellen. In Dachau, Buchenwald und anderswo wurden
Konzentrationslagerhäftlinge mit Malaria, epidemischer Gelbsucht, Typhus oder anderen Krankheiten infiziert, um
Impfstoffe und Medikamente zu prüfen. Unter den verschiedenen Versuchen, bei denen die Insassen der Lager als
Versuchskaninchem mißbraucht wurden, waren Methoden für Sterilisierung und Techniken, um Seewasser trinkbar
zu machen. Karl Brandt und drei weitere Angeklagte wurden außer der Teilnahme an diesen "Experimenten" auch der
Täterschaft am sogenannten "Sterbehilfe"-Programm angeklagt, das die systematische und geheime Ermordung von
Alten, Geisteskranken, unheilbar Kranken, von Kindern mit Mißbildungen und anderen Personen durch Vergasung,
tödliche Einspritzungen und auf anderem Wege in Altersheimen, Hospitälern und Anstalten vorsah. Diese Personen
wurden als "nutzlose Esser", und als Belastung für die deutsche Kriegsmaschinerie betrachtet. Den Verwandten dieser
Opfer wurde mitgeteilt, daß sie auf natürliche Weise, zum Beispiel an Herzschlag, gestorben seien. (56)Eine Tabelle
mit den Urteilen finden sie auf Seite 43 ff.Der JuristenprozeßDer Hauptpunkt der Anklage im Juristenprozeß gegen
Richter, Staatsanwälte und hohe Ministerialbeamte war die Anschuldigung des "Justizmordes und anderer
Greueltaten, die sie dadurch begingen, daß sie Recht und Gerechtigkeit in Deutschland zerstörten und dann die leeren
Hüllen von Rechtsformen zur Verfolgung, Versklavung und Ausrottung von Menschen in einem Riesenausmaß
benützten." (57) "Die Beschuldigung, kurz gesagt, ist die der bewußten Teilnahme an einem über das ganze Land
verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit und Ungerechtigkeit unter Verletzung der
Kriegsgesetze und der Gesetze der Menschlichkeit, begangen im Namen des Rechts unter der Autorität des
Justizministeriums und mit Hilfe der Gerichte. Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen."
(58)SS (Schutzstaffel der NSDAP) und Polizei 1943 wurde die Zentrale der SS unter der Führung von Heinrich
Himmler in ungefähr ein Dutzend "Hauptämter" eingeteilt. Jeder der drei Nürnberger "SS-Prozesse" befaßte sich mit
einem oder mehreren dieser Hauptämter.Der Prozeß gegen die Leiter des SS-Wirtschafts- und
Verwaltungshauptamtes (WVHA)Das WVHA unter der Leitung von Oswald Pohl war in 5 Amtsgruppen eingeteilt,
von denen drei finanzielle und rechtliche Fragen der SS bearbeiteten, die SS mit Uniformen, Quartieren und anderen
Ausrüstungen versorgten und mit der Errichtung und Pflege der SS-Gebäude, Baracken, Befestigungen und Lager
einschließlich der Konzentrationslager betraut waren. Eine vierte Amtsgruppe hatte die direkte Verantwortung für die
Verwaltung der Konzentrationslager, und die fünfte leitete die Wirtschaftsbetriebe, wie Bergwerke, Steinbrüche,
Ziegeleien, die die SS in der Nähe der Konzentrationslager besaß. Das hervorstechendste Merkmal des Urteils hier
war nach Telford Taylor die uneingeschränkte Verurteilung der Zwangsarbeit durch das Gericht.Der RUSHA-FallDer
zweite "SS-Fall" ist als der RUSHA-(Rassen-und Siedlungshauptamt)-FALL bekannt. Die Angeklagten waren 14
hohe Beamte von verschiedenen SS-Organisationen, deren gemeinsames Ziel es nach der Anklageschrift war, die
angebliche Überlegenheit der "nordischen Rasse" zu fördern und zu beschützen und all diejenigen Kräfte zu
unterdrücken und auszurotten, die sie "verwässern" oder "vergiften" könnten.(59)Der EinsatzgruppenprozeßDie
insgesamt vier Einsatzgruppen (A,B,C,D) waren besondere Einheiten der SS, die die deutsche Armee während des
Überfalls und der Besetzung der Sowjetunion mit dem allgemeinen Auftrag begleiteten, die "politische Sicherheit" in
den besetzten Gebieten zu gewährleisten. Die SS verstand unter der Ausführung dieses Auftrages die sofortige und
völlige Abschlachtung aller Juden in den besetzten Gebieten und ebenso anderer Gruppen, wie kommunistischer
Parteifunktionäre und Zigeuner. Es ist bewiesen worden, daß ungefähr eine Million Juden und andere Personen in der
Sowjetunion von den Einsatzgruppen "liquidiert" wurden. Die 24 Angeklagten waren Befehlshaber oder Offiziere
dieser Einheiten, und die Verhandlung gegen sie wurde nicht zu Unrecht in der Presse als der größte Mordprozeß der
Geschichte bezeichnet. (60) "Die Angeklagten waren keine unzivilisierten Wilden, die nicht die Feinheiten des
Lebens zu schätzen wußten. Jeder dieser vor Gericht stehenden Männer hat den Vorzug einer guten Erziehung gehabt.
Acht waren Juristen, einer ein Universitätsprofessor, ein anderer ein Zahnarzt und wieder ein anderer
Kunstsachverständiger. Einer der Angeklagten gab als Opernsänger Konzerte in ganz Deutschland, bevor er seine
Tour mit den Einsatzgruppen in Rußland begann. Unter diesen gebildeten Männern von guter Herkunft befand sich
sogar ein früherer Geistlicher, der sich selbst seiner geistlichen Würde entkleidet hatte". (61)SS-Generäle im Prozeß
gegen die WilhelmstraßeZwei weitere prominente SS-Führer wurden im Prozeß gegen die Wilhelmstraße (siehe auch
S. 41 ) verurteilt. Zwar wurden sie von der Anklage der Verbrechen gegen den Frieden freigesprochen, jedoch wegen
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Industrielle und Bankiers
Der Flick-ProzeßDer Flick-Prozeß war der zweite Prozeß gegen Angeklagte aus der Privatindustrie im Rahmen des
Kriegsrechts und der erste, in dem ein rechtskräftiges Urteil gefällt wurde. Friedrich Flick und fünf seiner
Hauptmitarbeiter wurden beschuldigt, viele Tausende von ausländischen Staatsangehörigen, und zwar
Konzentrationslager-Insassen und Kriegsgefangene, unter unmenschlichen Bedingungen in die Flick-Bergwerke und Fabriken deportiert zu haben. Der zweite Anklagepunkt beschuldigte alle außer einem Angeklagten der Ausraubung
von Fabriken und anderem Eigentum in Frankreich und Rußland. Im dritten Anklagepunkt ging es unter dem Punkt
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit" um die Teilnahme an der Judenverfolgung und zwar durch Fortnahme
(Arisierung) von begehrenswertem jüdischen Industriebesitz und von Bergwerken. In Punkt vier wurden Flick und
sein Hauptmitarbeiter Otto Steinbrick beschuldigt, an den Verfolgungen und an anderen Greueltaten durch Zahlung
umfangreicher Summen an die SS mitgewirkt zu haben. Die Hauptargumente der Verteidigung waren, daß alle
Industriellen im "Dritten Reich" in Furcht vor der Nazi-Tyrannei lebten und daß sie gezwungen waren,
Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Die Beziehungen der Angeklagten zu Himmler und ihre scheinbare
Übereinstimmung mit der Rassenideologie wurden als Tarnung hingestellt, von Flick beschrieben als "mit den
Wölfen heulen" und nur darauf abgestellt, ihre Stellung zu erhalten. Im Flick-Prozeß hörte man zum erstenmal ganz
deutlich in den Schlußworten der Verteidigung ein Thema, das immer mehr bei der Verteidung in Nürnberg
tonangebend wurde: das deutsche Verhalten während des Zweiten Weltkrieges sei nicht tadelnswerter als das der
alliierten Nationen; Zwangsarbeit und wirtschaftlicher Diebstahl sei nicht strafwürdiger als die Bombardierung von
deutschen Städten durch die Alliierten; deutsche Übergriffe sowie die Greueltaten gegen die Juden könnten mit denen
auf alliierter Seite verglichen werden; als Beispiel wurden die Bombardierungen der letzten Kriegstage angeführt. Das
Urteil wurde am 22. Dezember 1947 verkündet und war äußerst milde und versöhnlich. Das Gericht erkannte die
Argumente der Verteigung und der Angeklagten an.(62)Der Krupp-ProzeßAlfried Krupp war zusammen mit 11 seiner
Beamten angeklagt. Die Anklageschrift legte u.a. dar, daß die Firma Krupp eine führende Rolle in dem geheimen und
illegalen Wiederaufrüstungsprogramm unter der Weimarer Republik gespielt, Hitlers Machtergreifung unterstützt, die
deutsche Industrie nach Naziprinzipien organisiert und bewußt und gewollt an der Wiederaufrüstung Deutschlands
zum Zwecke ausländischer Eroberungen mitgearbeitet habe; ferner "als ein integrierender Teil der
Angriffshandlungen", "Eigentum und Hilfsquellen von besetzten Ländern gestohlen und ausgebeutet sowie
Staatsangehörige dieser Gebiete versklavt habe". (63) ( Siehe dazu das Dokument zu Krupp im Anhang)Der IGFarben-ProzeßDer IG-Farben-Prozeß war der größte der industriellen Prozesse. Alle Angeklagten wurden wegen der
gleichen Verbrechen wie die Krupp-Angeklagten vor Gericht gestellt: Planung und Durchführung von
Angriffskriegen, Verschwörung zu diesem Zwecke, wirtschaftliche Ausraubung und Zwangsarbeit und Versklavung
von Kriegsgefangenen, Deportierten und Konzentrationslagerhäftlingen. Außerdem wurden drei Angeklagte noch
wegen Mitgliedschaft in der SS angeklagt. Nach Auffassung der Anklagebehörde wog das Beweismaterial gegen die
IG-Farben-Angeklagten am schwersten soweit Industrielle auf der Anklagebank saßen. Dies galt besonders für die
Anklagepunkte Angriffskrieg und Verschwörung dazu; die Staatsanwaltschaft war überzeugt, ihr Material beweise,
daß die Leiter von IG-Farben lange vor Hitlers Machtergreifung eine Diktatur wünschten, die "handeln konnte, ohne
Rücksicht auf die Launen der Massen nehmen zu müssen" und, daß sie die Beherrschung der gesamten europäischen
chemischen Industrie anstrebten, wenn möglich auch außerhalb Europas. Noch bevor Hitler die Macht an sich riß,
hatte IG-Farben mit ihm Abmachungen für eine Regierungsunterstützung zur Ausdehnung ihrer Anlagen für
synthetisches Gasolin abgeschlossen. IG-Farben unterstützte Hitlers Machtübernahme und die Festigung seiner
Gewalt durch weitgehende finanzielle Zuwendungen und durch systematische Propaganda. IG-Farben arbeitete aufs
engste mit Hitler und den deutschen militärischen Führern zusammen und nahm bereitwillig an der Planung für den
Aufbau einer gigantischen deutschen Armee und Luftwaffe teil. Im Kampf zwischen Hjalmar Schacht, der fürchtete,
daß die unbegrenzte Wiederaufrüstung Deutschlands finanzielle Stabilität gefährden könne, und Göring, dem
Vorkämpfer einer Wiederaufrüstung, die alle finanziellen Erwägungen beiseite ließ, stellte sich IG-Farben mit dem
ganzen Gewicht hinter Göring. IG-Farbens Hauptangeklagter, Carl Krauch, war Görings direkter Berater und der
führende Mann der gesamten chemischen Industrie. Görings Vier-Jahres-Plan war zu 75 Prozent ein Farben-Projekt.
Die Leiter der IG-Farben wußten infolge ihrer strategischen Position auf dem Gebiet der Produktion von Gummi,
Benzin, Giftgas, daß die Wiederaufrüstung bei weitem jeden vorstellbaren Verteidigungszweck überstieg. IG-Farben
entwickelte seine eigenen Pläne für die Aufsaugung der chemischen Industrie in den von Deutschland zu
überfallenden Ländern, und zwar gleichzeitig mit den militärischen Plänen, und setzte sie sofort in Aktion, nachdem
die einzelnen Eroberungen abgeschlossen waren. IG-Farbens Beratungen mit den militärischen und politischen
Führern überstiegen bei weitem das Gebiet der technischen Angelegenheiten und waren äußerst aggressiv und in jeder
Beziehung auf Krieg gerichtet. (64) All diese Beweise machten jedoch auf zwei der drei Richter wenig Eindruck. Das
Urteil des Gerichts vom Juli 1948 sprach alle Angeklagten vom Vorwurf der Verschwörung, der Planung und
Durchführung von Angriffskriegen frei.
Generalfeldmarschälle und Generale
Zwei der Nürnberger Nachfolgeprozesse beinhalteten Anklagen gegen 25 hohe militärische Führer.Der Prozeß gegen
die Südost-GeneraleIm sogenannten "Geisel-Prozeß" oder Prozeß gegen die Südost-Generale waren zwölf
Armeeführer wegen Kriegsverbrechen angeklagt, die sie während der deutschen Besetzung von Jugoslawien,
Albanien und Griechenland begangen hatten. Der wichtigste Anklagepunkt gegen alle Angeklagten war ihre
Verantwortlichkeit für die Tötung von vielen Tausenden von jugoslawischen und griechischen Zivilisten. Viele dieser
Menschen wurden auf Grund eines Befehls von Generalfeldmarschall Weichs umgebracht, nach dem für einen von
Partisanen getöteten deutschen Soldaten einhundert Zivilisten als "Geiseln" hingerichtet werden sollten. Bei anderer
Gelegenheit wurden alle Einwohner von bestimmten Dörfern, in deren Nähe eine Partisanenaktion vorgekommen
war, ermordet und ihre Dörfer niedergebrannt. Das Urteil im "Geisel-Prozeß" ist in den vorher von Deutschland
besetzten Ländern stark kritisiert worden. (65)Der OKW-ProzeßAlle Angeklagten im Prozeß gegen das
Oberkommando der Wehrmacht (OKW), an der Spitze Generalfeldmarschall Wilhelm von Leeb, waren beschuldigt,
Angriffskriege geplant und geführt zu haben. Das Beweismaterial zeigte auch, daß viele von ihnen den
Hauptkonferenzen beigewohnt hatten, in denen Hitler seine Absichten erklärt hatte, Polen, Holland, die Sowjetunion
und andere Länder zu überfallen. Auf die Teilnahme an diesen Konferenzen hatten die Richter des Internationalen
Militärgerichtshofes ihre Verurteilung von Keitel, Raeder und von Neurath wegen Verbrechens gegen den Frieden
entscheidend gestützt. Einige der Angeklagten, die nicht selbst Teilnehmer der Konferenzen mit Hitler gewesen
waren, hatten an den Entwürfen für die Invasionspläne mitgearbeitet. Trotz dieser Umstände hat das Gericht es
abgelehnt, das entsprechende Beweismaterial zu benutzen. Nach dem Urteil des Gerichts waren die Kenntnis von
Hitlers Angriffsabsichten und die Teilnahme an der Planung und Einleitung von Angriffskriegen "nicht genügend, um
die Teilnahme am Kriege selbst bei Militärführern von hohem Rang zu einem Verbrechen zu stempeln". (66) Ohne
jede Erörterung über die Funktion oder Taten der einzelnen Angeklagten schloß das Gericht, daß "die Angeklagten
sich nicht auf der Stufe der leitenden Politiker befunden hätten und deshalb in diesem Anklagepunkt nicht schuldig
seien." (67) Die Beschuldigungen gegen die Angeklagten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit waren sehr schwer. Es waren in der Wehrmacht Befehle erteilt worden, die die Hinrichtung aller
Kommandos und politischer Kommissare anordneten, selbst wenn sie in Uniform auf dem Schlachtfeld gefangen
genommen wurden. Trotz einigem Widerstand gegen diese Befehle wurden sie in vielen Fällen ausgeführt, der
Kommandobefehl meistens an der Westfront und der Kommissarbefehl an der Ostfront. Das Verhalten der deutschen
Armee gegenüber Zivilisten in den besetzten Gebieten war nicht besser. Die Armeen hatten an der Deportierung von
Hunderten und Tausenden von Zivilisten aus ihren Heimatländern zur Zwangsarbeit teilgenommen; die berüchtigten
SS-Einsatzgruppen, die über eine Million Juden an der Ostfront ermordet hatten, hatten diese Mordtaten in
Zusammenarbeit mit der deutschen Armee ausgeführt, die sie ernährte, transportierte und unterbrachte. Mindestens
drei der Angeklagten hatten persönlich an den Entwürfen solcher verbrecherischen Befehle wie des
Kommissarbefehls und des Kommandobefehls teilgenommen; die meisten anderen Angeklagten hatten direkt mit
deren Ausführung zu tun. Wilhelm Leeb wurde nur unter einem Punkt schuldig gesprochen, erhielt drei Jahre und
wurde unter Anrechnung der Untersuchungshaft entlassen.
Minister und hohe Beamte
Der Prozeß gegen Erhard MilchMilch hatte den Rang eines Generalfeldmarschalls der Luftwaffe und war Görings
Vertreter im Luftfahrtministerium. Der Hauptanklagepunkt beruhte jedoch auf seiner Tätigkeit als Mitglied des
"Amtes Zentrale Planung", das durch eine Verordnung Hitlers vom 29. Oktober 1943 errichtet worden war. Das
führende Mitglied der "Zentralen Planung" war Albert Speer, der vom Internationalen Militärgerichtshof (IMG)
verurteilt worden war. Letzterer hatte festgestellt, daß besagtes Amt "die oberste Autorität für die Aufstellung der
deutschen Produktionspläne und für die Zuteilung und Fertigstellung von Rohmaterialien hatte", ferner daß dieses
Amt Anweisungen an den vom IMG verurteilten Sauckel zur Beschaffung von Arbeitskräften für solche Industrien
geben konnte, die unter der Aufsicht des Amtes standen. Sauckel und Speer wurden beide hauptsächlich deshalb
verurteilt, weil sie am "Zwangsarbeitsprogramm" teilgenommen hatten, und dies war auch der Hauptanklagepunkt
gegen Milch. Er wurde ferner wegen Mittäterschaft an medizinischen Experimenten angeklagt, zum Beispiel Höhenund Kühlversuchen, die im Konzentrationslager Dachau für die deutsche Luftwaffe durchgeführt worden waren. (68)
Das Gericht war der Auffassung, daß Milchs Beteiligung an den medizinischen Experimenten nicht über jeden
vernünftigen Zweifel hinaus erwiesen war, und sprach ihn von diesem Anklagepunkt frei. Seine Mitverantwortlichkeit
für das Zwangsarbeitsprogramm zusammen mit Speer und Sauckel wurde als hinreichend erwiesen angesehen. Er
wurde daher für schuldig befunden und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt (69).Der Prozeß gegen die
WilhelmstraßeDer größte und letzte der Nürnberger Nachfolgeprozesse betraf fast ausschließlich höchste
Regierungsbeamte und wurde daher als der "Ministerien" - oder Prozeß gegen die "Wilhelmstraße" bekannt; amtlich
war es der "Prozeß der Vereinigten Staaten gegen Ernst von Weizsäcker und Genossen". Von den 21 Angeklagten
waren 18 Minister und hohe Beamte in der Zivilverwaltung des "Dritten Reiches". Die drei weiteren Angeklagten
waren die SS-Generale Gottlob Berger und Walter Schellenberg sowie der Bankier Karl Rasche. Die
Zusammensetzung der Anklagebank war der des Hauptkriegsverbrecherprozesses ähnlich, nur daß im Prozeß gegen
die Wilhelmstraße der Anteil der Diplomaten und Wirtschaftsbeamten größer war, jedoch keine Militärs mitangeklagt
waren. Die Anklageschrift beschuldigte 16 Angeklagte der Begehung von Verbrechen gegen den Frieden. Sieben
Angeklagte waren wegen Kriegsverbrechen, einschließlich der Mitschuld am Lynchen von abgesprungenen Fliegern
und der Mißhandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen angeklagt. Sämtliche Angeklagten waren wegen
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, begangen gegen die Zivilbevölkerung nach
Ausbruch des Krieges, einschließlich der Verfolgung und Ausrottung von rassischen und religiösen Gruppen,
wirtschaftliche Ausraubung und Plünderung in besetzten Ländern und Deportierung zur Zwangsarbeit. 15 Angeklagte
waren auch als Mitglieder verbrecherischer Organisationen, wie der SS oder des Führerkorps der NSDAP, angeklagt.
Der Chef der Auslandsorganisation der NSDAP wurde nur wegen Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps der
NSDAP verurteilt. Er selbst hatte sich der Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps unter Kenntnis ihrer
kriminellen Handlungen für schuldig erklärt. Dies war die einzige Schuldigerklärung, die jemals in einem der
Nürnberger Prozesse abgegeben worden ist. Alle anderen Angeklagten im Wilhelmstraßen-Prozeß wurden auf Grund
von einem oder mehreren Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen den Frieden, wegen Kriegsverbrechen oder
Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Im Hinblick auf die Schwere der Verbrechen waren, so Telford
Taylor, die Strafen zu milde. (70)Vom Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg vom 1.10.1946 bis
zum Urteil im Wilhelmstraßenprozeß am 11.4.1949 war eine lange Zeit vergangen. Es gab nicht mehr die "alliance"
mit der Sowjetunion, die im ersten Urteil mitgewirkt hatte. Die amerikanische Politik ging inzwischen dahin, die
Deutschen zu ihren Verbündeten zu machen. Je weiter weg von den Untaten und dem Mai 1945, um so milder wurden
die Anschauungen - insbesondere über die Strafhöhe. "Die Klarheit über die Taten und das Beweismaterial war
unerhört angewachsen - und sagen wir ruhig - der Mut zur Bestrafung war gesunken." (71)Übersicht über die
Nürnberger Nachfolgeprozesse- zusammengestellt von Robert Kempner (72) (Stand vom 31. Januar 1951)Die
nachstehende Tabelle gibt die Namen der Angeklagten und in der zweiten Spalte die Kategorie der Straftaten an,
deretwegen sie verurteilt wurden.A bedeutet Angriffskrieg V bedeutet Verschwörung zur Planung eines
Angriffskrieges K bedeutet Kriegsverbrechen im engeren Sinne, insbesondere gegen Kriegsgefangene und
Kombattanten M bedeutet Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere Massenmorde wie die Ausrottung von
Minderheiten. S bedeutet Sklavenarbeit P bedeutet Plünderung; S und P sind spezielle Verbrechen gegen die
Menschlichkeit O bedeutet Organisationsverbrechen, d.h. die Mitgliedschaft in einer der vom Internationalen
Militärgerichtshof für verbrecherisch erklärten Organisationen, vor allem der SS
Tabelle der Strafaussprüche
Fall 1: Ärzte
Urteil vom 20. August 1947
Brandt Karl
Siegfried
Rostock Pau
Schröder Oskar
Genzken Karle
Gebhardt Karl
Blome Kurt
Mrugowsky Joachim
Brandt Rudolf
Poppendick Helmut
Sievers Wolfram
Rose Gerhard
Ruff Siegfried
Brack Viktor
Romberg Hans-Wolfgang
Becker-Freysing Hermann
Weltz August
Schäfer Konrad
Hoven Waldemar
Beigelböck Wilhelm
Pokorny Adolf
Oberhauser Herta
Fischer Fritz
K,M,O
K,M
K,M
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M,O
O
K,M,O
K,M
K,M,O
K,M
K,M,O
K,M
K,M
K,M,O
Todesstrafe, hingerichtetHandloser
Lebenslänglich
(20)
Freispruch
Lebenslänglich (15)
Lebenslänglich (20)
Todesstrafe, hingerichtet
Freispruch
Todesstrafe, hingerichtet
Todesstrafe, hingerichtet
10 Jahre
(5 3/4)
Todesstrafe, hingerichtet
Lebenslänglich
(15)
Freispruch
Todesstrafe, hingerichtet
Freispruch
20 Jahre
(10)
Freispruch
Freispruch
Todesstrafe, hingerichtet
15 Jahre
(10)
Freispruch
20 Jahre
(10)
Lebenslänglich (15)
Fall 2: Milch
Urteil vom 17. April 1947
Milch Erhard
S,M
Lebenslänglich
(15)
Fall 3: JuristenUrteil vom 4. Dezember 1947
Altstötter Josef
von Ammon Wilhelm
Barnickel Paul
Cuhorst Hermann
Joel Günther
Klemm Herbert
Lautz Ernst
Mettgenberg Wolfgang
Nebelung Günther
Öschey Rudolf
(20)
Petersen Hans
Rothaug Oswald
Rothenberger Curt
Schlegelberger Franz
Krankheit entlassen)
O
K,M
K,M,O
K,M
K,M
K,M
M,O
M
K,M
K,M
5 Jahre (verbüßt)
(5 3/4)
Freispruch
Freispruch
10 Jahre
(5 3/4)
Lebenslänglich
(20)
10 Jahre
(5 3/4)
10 Jahre (†)
Freispruch
Lebenslänglich
10 Jahre
Freispruch
Lebenslänglich (20)
7 Jahre (verbüßt)
Lebenslänglich
( wegen
Fall 4: Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SSUrteil vom 3. November 1947
Baier Hans
Bobermin Hans
Eirenschmalz Franz
Fanslau Heinz
Frank August
Hohberg Hans
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M
10 Jahre
K,M,O
15 Jahre
Todesstrafe
K,M,O
20 Jahre
Lebenslänglich
10 Jahre
(5 3/4)
(5 3/4)
(9)
(15)
(15)
(5 3/4)
Kiefer Max
Klein Horst
Lörner Georg
Lörner Hans
Mummenthey Karl
Pohl Oswald
Pook Hermann
Scheide Rudolf
Sommer Karl
Tschentscher Erwin
Vogt Joseph
Volk Leo
K,M
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M,O
K,M,O
-
15 Jahre
Freispruch
Lebenslänglich
10 Jahre
K,M,O
Lebenslänglich
Todesstrafe
10 Jahre
Freispruch
Todesstrafe
10 Jahre
Freispruch
10 Jahre
(5 3/4)
(15)
(5 3/4)
(20)
(5 3/4)
(20)
(5 3/4)
(8)
Fall 5: Flick-Urteil vom 22. Dezember 1947
Flick Friedrich
S,P,O
7 Jahre
Steinbrink Otto
O
5 Jahre
Kaletsch Konrad
Freispruch
Weiß Bernhard
S
2 ½ Jahre
Terberger Hermann
Freispruch
Burkhard Odilio
Freispruch
Fall 6: IG-FarbenUrteil vom 30. Juli 1948
Krauch Carl
S
6 Jahre
Schmitz Hermann
P
4 Jahre
von Schnitzler Georg P
5 Jahre
Gajewski Fritz
Freispruch
Hörlein Heinrich
Freispruch
sämtlich verbüßt
von Knieriem August Freispruch
>
oder wegen guterter
Meer Fritz
P,S
7 Jahre
Führung vorzeitig
Schneider Christian Freispruch
entlassen
Ambros Otto
S
8 Jahre
Bürgin Ernst
P
2 Jahre
Bütefisch Heinrich
S
6 Jahre
Häflinger Paul
P
2 Jahre
Ilgner Max
P
3 Jahre
Jähne Friedrich
P
1 ½ Jahre
Kühne Hans
Freispruch
Lautenschläger Carl Freispruch
Mann Wilhelm
FreispruchOster
Heinrich
P
2 Jahre
Wurster Karl
Freispruch
Dürrfeld Walter
S
8 Jahre
Gattineau Heinrich
Freispruch
von der Heyde Erich Freispruch
Kugler Hans
1 ½ Jahre
Fall 7: Südost-GeneraleUrteil vom 19. Februar 1948
Dehner Ernst
M
7 Jahre
Felmy Helmuth
M,P
15 Jahre
Förtsch Hermann
Freispruch
von Geitner Kurt
M,K,S
Freispruch
Kuntze Walter
Lebenslänglich
Lanz Hubert
M,K
12 Jahre
von Leyser Ernst
K,S
10 Jahre
List Wilhelm
M,K
Lebenslänglich
Rendulic Lothar
M,K,S
20 Jahre
Speidel Wilhelm
M
20 Jahre
(5 3/4)
(10)
(5 3/4)
Fall 8: Rasse- und Siedlungshauptamt der SSUrteil vom 10. März 1948
Greifelt Ulrich
M,K,O
Lebenslänglich (†)
Creutz Rudolf
M,K,O
15 Jahre
(10)
Meyer-Hetling Konrad O
2 Jahre, 10 Monate
verSchwarzenberger Otto O
2 Jahre, 10 Monate
büßt
Hübner Herbert
M,K,O
15 Jahre
Lorenz Werner
M,K,O
20 Jahre
(5 3/4)
(10)
(5 3/4)
(5 3/4)
(15)
Brückner Heinz
Hofmann Otto
Hildebrandt Richard
Schwalm Fritz
Sollmann Max
Ebner Georg
Tesch Günther
Viermetz Inge
M,K,O
M,K,O
O
O
M,K,O
15 Jahre
25 Jahre
(15)
25 Jahre (an Polen rücküberstellt)
M,K,O
10 Jahre
2 Jahre, 8 Monate
ver2 Jahre, 8 Monate
>
büßt
O
2 Jahre, 10 Monate
Freispruch
(5 3/4)
(5 3/4)
Fall 9: EinsatzgruppenUrteil vom 10. April 1948
Ohlendorf Otto
Naumann Erich
Schulz Erwin
M,K,O
Six Franz
M,K,O
Blobel Paul
M,K,O
Blume Walter
M,K,O
Sandberger Martin
M,K,O
Seibert Willy
Steimle Eugen
Biberstein Ernst
Braune Werner
Hänsch Walter
Noßke Gustav
M,K,O
Ott Adolf
M,K,O
Strauch Edward
Klingelhöfer Waldemar
Fendler Lothar
von Radetzky Waldemar
Rühl Felix
O
Schubert Heinz
Graf Mathias
O
Jost Heinz
M,K,O
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
20 Jahre
20 Jahre
Todesstrafe
Todesstrafe
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe
Lebenslänglich
(10)
Todesstrafe
M,K,O
Todesstrafe (an Belgien
M,K,O
Todesstrafe
M,K,O
10 Jahre
M,K,O
20 Jahre
10 Jahre
M,K,O
Todesstrafe
3 Jahre
Lebenslänglich
(10)
(15)
(10)
(25)
(lebensl.)
(15)
(20)
(lebensl.)
(15)
(lebensl.)
ausgel.)
(lebensl.)
(8)
(5 3/4)
(5 3/4)
(10)
(verbüßt)
Fall 10: KruppUrteil vom 31. Juli 1948
Krupp von Bohlen
und Halbach Alfried
Löser Ewald
Houdremont Eduard
Müller Erich
Janssen Friedrich
Pfirsch Karl
Ihn Max
Eberhardt Karl
Korschan Heinrich
von Bülow Friedrich
Lehmann Heinrich
Kupke Hans
P,S
P,S
P,S
P,S
P,S
-
S
S
S
12 Jahre
Einziehung des Vermögens
diejenigen, die nicht
7 Jahre
bereits verbüßt,
10 Jahre
durch Ent12 Jahre
scheid vom
10 Jahre
31. Januar
Freispruch
1951 beS
9 Jahre
gnadigt.
P,S
9 Jahre
Vermögens6 Jahre
einziehung
12 Jahre
aufgehoben.
S
6 Jahre
2 Jahre, 10 Mon.
Fall 11: WilhelmstraßeUrteil vom 11. April 1949
von Weizsäcker Ernst M
Steengracht von Moyland
Adolf
Keppler Wilhelm
Bohle Ernst Wilhelm O
Wörmann Ernst
Ritter Karl
K
von Erdmannsdorff Otto
Veesenmayer Edmund
M,S,O
Lammers Hans Heinrich
Stuckart Wilhelm
Darré Richard Walther
5 Jahre *
teilweise
verbüßt
M
5 Jahre*
A,M,P,O 10 Jahre
(5 3/4)
5 Jahre
M
5 Jahre*
teilweise
4 Jahre
verbüßt
Freispruch
20 Jahre
(10)
A,K,M,S,O 20 Jahre
(10)
M,P,O
3 Jahre, 10 M. >
teilweise
M,P,O
7 Jahre
verbüßt
Meißner Otto
Dietrich Otto
Berger Gottlob
Schellenberg Walter
Schwerin von Krosigk
Puhl Emil
Körner Paul
Pleiger Paul
Kehrl Hans
Rasche Karl
-
Freispruch
M,O
7 Jahre
K,M,S,O 25 Jahre
M,O
6 Jahre
LutzM,P 10 Jahre
M
5 Jahre
A,P,S,O 15 Jahre
P,S
15 Jahre
M,P,S,O 15 Jahre
P,O
7 Jahre
(teilw. verbüßt)
(10)
(teilw. verbüßt)
(5 3/4)
(teilw. verbüßt)
(10)
(9)
(5 3/4)
(teilw. verbüßt)
Fall 12: Oberkommando der WehrmachtUrteil vom 27. Oktober 1948
von Leeb Wilhelm
Sperrle Hugo
von Küchler Georg
Hoth Hermann
Reinhardt Hans Georg
von Salmuth Hans
Hollidt Karl
Schniewind Otto
von Roques Karl
Reinecke Hermann
Warlimont Walter
Wöhler Otto
Lehmann Rudolf
K,M
K,M
K,M
K,M
K,M
M
3 Jahre
Freispruch
20 Jahre
15 Jahre
15 Jahre
K,M
20 Jahre
5 Jahre
Freispruch
K,M
20 Jahre (†)
K,M
Lebenslänglich
K,M
Lebenslänglich
8 Jahre
>
K,M
7 Jahre
(verbüßt)
(12)
(12)
(teilw. verbüßt)
(18)
teilweise
verbüßt
Die mehrfach in Klammer erscheinende Zahl 5 ¾ bringt zum Ausdruck, daß die Verurteilten am 1. Februar 1951
entlassen wurden, nachdem sie durchschnittlich 5 ¾ Jahre verbüßt hatten und durch den Gnadenerweis des
Hochkommissars die Strafe "auf die verbüßte Zeit herabgesetzt” war.
* Ursprünglich sieben Jahre. Durch Berichtigungsbeschluß vom 12. Dezember 1949 wurden jedoch die Strafen auf
fünf Jahre herabgesetzt, nachdem die Verurteilung von Weizsäcker und Wörmann wegen Verbrechen gegen den
Frieden und von Steengracht wegen Kriegsverbrechen durch den Beschluß weggefallen war.
ZEITTAFEL
8. 8.1920
Gründung der NSDAP
8.11.1923
Hitler proklamiert "deutsche Nationalregierung" in München unter
seiner Führung
9.11.1923
Zusammenbruch des Hitler-Putsches
1. 4.1924
Hitler zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, vorzeitige Entlassung
bereits am 20.12
1924; in der Haft entstand
Bd. 1 von "Mein Kampf", der im Juli 1925 in München
erschien
9.11 1925
Gründung der SS (Schutzstaffel)
27. 8.1928
Unterzeichnung des Briand-Kellog Paktes in Paris durch 15
Nationen, denen sich
später 45 weitere,
darunter die UdSSR, anschließen. Demnach sollte künftig der
Angriffskrieg geächtet sein. Streitigkeiten sollten intern im Wege der
Schiedsgerichtsbarkeit beigelegt werden. Beitritt
Deutschlands am 25.7.29
1. 6.1932
Ernennung von Papens zum Reichskanzler
3.12.1932
General Schleicher wird Reichskanzler
28. 1.1933
Rücktritt Schleichers
30. 1.1933
Hindenburg beruft Hitler zum Reichskanzler
1. 2.1933
Auflösung des Reichstages
27. 2.1933
Brand des Reichstagsgebäudes
28. 2.1933
"Verordnung zum Schutze von Volk und Staat", Aufhebung der
Freiheits- und Grundrechte
13. 3.1933
Goebbels wird Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda
16. 3.1933
Schacht wird Reichsbankpräsident
20. 3.1933
Himmler läßt in Dachau das erste Konzentrationslager errichten
24. 3.1933
Ermächtigungsgesetz, Ende der parlamentarischen Demokratie
1. 4.1933
Boykott jüdischer Geschäfte
27. 4.1933
Heß wird stellv. Vorsitzender der NSDAP
2. 5.1933
Auflösung der Gewerkschaften, Besetzung der Gewerkschaftshäuser,
zahlreiche Verhaftungen von
Gewerkschaftern und Internierung in Kzs
10. 5.1933
Bücherverbrennung
22. 6.1933
Verbot der SPD, die KPD war schon vorher verboten worden
20. 1.1934
Gesetz "Zur Ordnung der nationalen Arbeit"
20. 4.1934
Himmler wird Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Preußen
24.10.1934
Verordnung über die "Deutsche Arbeitsfront" als "Organisation der
schaffenden Deutschen der Stirn und der Faust", R.
Ley wird ihr Vorsitzender
16. 3.1935
Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht
15. 9.1935
Verkündung der antisemitischen "Nürnberger Gesetze"
7. 3.1936
Hitler läßt die Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland
einmarschieren
18.10.1936
Göring wird mit der Durchführung des Vierjahresplans betraut:
1. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein.
2. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein
1.12.1936
Gesetz über die Hitlerjugend, Reichsjugendführer wird Baldur v.
Schirach
5.11.1937
Hitler enthüllt vor den Oberbefehlshabern und dem
Reichsaußenminister seine
Kriegspläne
(Hoßbach-Dokument)
4. 2.1938
Bildung des Oberkommandos der Wehrmacht, Hitler ist oberster
Führer, Ribbentrop
löst von Neurath als
Reichsaußenminister ab
13. 3.1938
Besetzung und Anschluß Österreichs
9.11.1938
Reichspogromnacht
20. 1.1939
Funk wird Reichsbankpräsident
15. 3.1939
Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren; Bildung des
Protektorats
1. 9.1939
Beginn des deutschen Angriffs auf Polen, der 2. Weltkrieg beginnt
12.10.1939
Frank wird Generalgouverneur des besetzten Polen
9. 4.1940
Deutscher Überfall auf Dänemark und Norwegen
10. 5.1940
Deutscher Angriff auf Holland, Belgien, Luxemburg und Frankreich
18.12.1940
Hitler erteilt die Weisung Nr. 21 ("Fall Barbarossa") betreffend
den Angriff auf die
Sowjetunion
6. 4.1941
Deutscher Angriff auf Jugoslawien und Griechenland
14. 5.19041 Bormann wird Nachfolger von Heß
4. 6.1941
Das Oberkommando der Wehrmacht erläßt den "Kommissarbefehl", nach
dem die
politischen Kommissare der
Roten Armee als Trägerin der bolschewistischen Weltanschauung im demnächst beginnenden Rußlandfeldzug "grundsätzlich sofort
mit
der Waffe zu erledigen" sind
22. 6.1941
Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion
17. 7.1941
Rosenberg wird Reichsminister für die besetzten Ostgbiete
31. 7.1941
Göring beauftragt Heydrich mit der völligen "Evakuierung" der
europäischen Juden
23. 9.1941
erste Versuchsvergasungen im KZ Auschwitz
28. 9.1941
Judenmassaker in Kiew (ca. 34.000 Tote)
20.10.1941
erste Deportierungen von Juden aus dem deutschen Reich
11.12.1941
Deutschland erklärt den Krieg an die USA
13. 1.1942
Londoner Konferenz ( zur Behandlung der Kriegsverbrecher)
20. 1.1942
Wannsee-Konferenz über die "Endlösung der Judenfrage"
9. 2.1942
Speer wird Rüstungsminister
28. 3.1942
Sauckel wird "Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz"
10. 6.1942
Vernichtung von Lidice
24. 1.1943
Roosevelt bezeichnet in Casablanca als Kriegsziel die
"bedingungslose Kapitulation
Deutschlands"
30. 1.1943
Kaltenbrunner wird Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA);
Dönitz wird Oberbefehlshaber der Kriegsmarine
31. 1.1943
Ende der Schlacht um Stalingrad
22. 2.1943
Hinrichtung der Geschwister Scholl (" Weiße Rose")
11. 6.1943
Himmler ordnet die Liquidierung der polnischen Ghettos an
10. 7.1943
Landung der Alliierten auf Sizilien
6. 6.1944
Invasion der Alliierten in Frankreich
20. 7.1944
Hiler-Attentat
4.-11.2.1945
Konferenz von Jalta. Roosevelt, Churchill und Stalin legen
das endgültige militärische Vorgehen fest, sowie
die Bedingungen für Besetzung, Kontrolle und Reparationen des besiegten Deutschland
8. 3.1945
Die Alliierten setzen bei Dormagen über den Rhein
25. 4.1945
Westalliierte und Rote Armee treffen sich bei Torgau
30. 4.1945
Selbstmord Hitlers in Berlin. Dönitz wird neues Staatsoberhaupt
8. 5.1945
bedingungslose Kapitulation Deutschlands
5. 6.1945
Deutschland wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die
Besatzungsmächte übernehmen die oberste
Regierungsgewalt
17. 7.-2.8.1945 Potsdamer Konferenz
6. 8.1945
Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima, am 9.8. folgt Nagasaki
20.11.1945
Beginn des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem
Internationalen
Militärgerichtshof in
Nürnberg
Anmerkungen
1) zit. nach Taylor 1, S.12; 2) ebd.; 3) Taylor 2, S. 74 f.; 4) Heydecker/Leeb, S. 99; 5) Taylor 2, S.746; 6)
Anklageschrift im Wortlaut gekürzt, nach Heydecker/Leeb, S.530-33; 7) zusammengestellt nach Münning, S. 49 ff.,
8) Taylor 2, S.149; 9) zit. nach Heydecker/Leeb, S.101-103; 10) ebd. S.106; 11) zit. nach Taylor 2, S.206; 12)
Heydecker/Leeb, S.167/68; 13) ebd. S.229; 14) Taylor 2, S.349; 15) ebd.; 16) Taylor 2 S. 351; 17) ebd. S.353; 18)
ebd., S.354; 19) ebd., S.355; 20) Heydecker/Leeb, S. 387; 21) Taylor 2, S. 367; 22) Heydecker/Leeb, S. 282/83; 23)
ebd., S. 367/68; 24) ebd., S.293; 25) Taylor 2, S.369; 26) ebd.; 27) Taylor 2, S.371; 28) ebd., S. 374; 29) Zentner,
S.18; 30) Gilbert, S.424; 31) Heydecker/Leeb, S.413; 32) Taylor 2, S.425; 33) ebd., S.570/71; 34) ebd., S.580; 35)
ebd., S.587; 36) ebd., S.609; 37) eine Zusammenfassung findet sich bei Heydecker/Leeb, S.454; 38) Taylor 2, S.250
f.; 39) ebd., S.263; 40) Heydecker/Leeb, S.476; 41) Taylor 1, S.32; 42) ebd.; 43) Taylor 1, S.34; 44) ebd.; 45) Taylor
1, S.35; 46) ebd., S.38; 47) Der Nürnberger Prozeß ..., Protokoll Bd.1, S.414; 48) ebd., S.324-28; 49) ebd, S.340-43;
50) ebd., S.343-46); 51) ebd., S.346-50; 52) Kempner, Vorwort zu Heydecker/Leeb, S.11; 53) aus Jacksons
Eröffnungsrede, zit. nach Heydecker/Leeb S.15; 54) Zentner, S.12; 55) nach Taylor 1, S.50-116; 56) Taylor 1, S.5456; 57) ebd., S.57; 58) ebd., S.58; 59) ebd., S.71, 60) ebd., S.73; 61) aus der Verhandlungsniederschrift, zit. nach
Taylor 1, S.75; 62) Taylor 1, S.80; 63) ebd., S.85; 64) ebd., S.92; 65) ebd., S.99; 66) ebd., S.106; 67) ebd.; 68) Taylor
1, S.108; 69) ebd., S.109; 70) ebd.,S.114; 71) Kempner; S.346; 72) abgedruckt in: Taylor 1, S.160-66.
Literaturnachweis
Gustave M. Gilbert, Nürnberger Tagebuch, Gespräche der Angeklagten mit dem Gerichtspsychologen,
Frankfurt/Main 1993
Joe J. Heydecker/Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozeß, Köln 1979
Robert M.W. Kempner, Ankläger einer Epoche, Frankfurt/Main, Berlin, 1986
Kamilla Münning, Der Nürnberger Prozeß, Materialien zu einem Film von Tore Sjöberg, Duisburg 1989
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse, Zürich 1951 (Taylor 1)
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse, Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München
1994 (Taylor 2)
Christian Zentner, Der Nürnberger Prozeß, Stuttgart 1994
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg 1947, Protokolle,
Nachdruck Reichenbach Verlag Stuttgart 1994, Bd.1 (Anklageschrift und Urteil)
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof, Urkunden und anderes
Beweismaterial, Nürnberg 1947, Nachdruck Delphin Verlag München 1989, Bd. 1, Bd.11
Umfangreiches Bildmaterial enthält Ray D'Addario, Klaus Kastner, Der Nürnberger Prozeß, 1994
Dokumente im Wortlaut
(Abschrift ohne Fehlerkorrektur)
A) Das Hoßbach-Protokoll
B) Fritz Sauckel, Das Programm des Arbeitseinsatzes
C) Entwurf einer Rede Krupps
D) Schuldsprüche gegen Keitel, Streicher, Funk und Schacht
A) Das Hoßbach-Protokoll
DOKUMENT 386-PS
NIEDERSCHRIFT DES OBERSTEN HOSSBACH VOM 10. NOVEMBER 1937 ÜBER DIE BESPRECHUNG
VOM 5. NOVEMBER 1937 IN DER REICHSKANZLEI, AN DER HITLER, VON BLOMBERG, VON FRITSCH,
RAEDER, GÖRING UND VON NEURATH TEILNAHMEN, MIT WIEDERGABE VON HITLERS REDE ÜBER
DIE ZIELE DER DEUTSCHEN POLITIK, DIE HITLER ALS SEINE "TESTAMENTARISCHE
HINTERLASSENSCHAFT" BEZEICHNET UND IN DER ER ERKLÄRT, DASS ES "ZUR LÖSUNG DER
DEUTSCHEN FRAGE NUR DEN WEG DER GEWALT GEBEN KÖNNE" (BEWEISSTÜCK US-25)
BESCHREIBUNG DER HIER ZUGRUNDEGELEGTEN URK:
Phot bgl durch Schreiben des Department of State (Washington D.C.) vom 17. Oktober 1945 U (Ti) James J Byrnes
Berlin, den 10. November 1937
Niederschrift
über die Besprechung in der Reichskanzlei
am 5. 11. 37 von 16,15 - 20,30 Uhr.
Anwesend: Der Führer und Reichskanzler,
der Reichskriegsminister Generalfeldmarschall v. Blomberg,
der Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst Freiherr von Fritsch,
der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Generaladmiral Dr.h.c. Raeder,
der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Generaloberst Göring,
der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath,
Oberst Hoßbach.
Der Führer stellte einleitend fest, daß der Gegenstand der heutigen Besprechung von derartiger Bedeutung sei, daß
dessen Erörterung in anderen Staaten wohl vor das Forum des Regierungskabinetts gehörte, er - der Führer - sähe aber
gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Materie davon ab, diese in dem großen Kreise des Reichskabinetts zum
Gegenstand der Besprechung zu machen. Seine nachfolgenden Ausführungen seien das Ergebnis eingehender
Überlegungen und der Erfahrungen seiner 4 1/2 jährigen Regierungszeit; er wolle den anwesenden Herren seine
grundlegenden Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage
auseinandersetzen, wobei er im Interesse einer auf weite Sicht eingestellten deutschen Politik seine Ausführungen als
seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall seines Ablebens anzusehen bitte.
Der Führer führte sodann aus:
Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Somit
handele es sich um das Problem des Raumes.
Die deutsche Volksmasse verfüge über 85 Millionen Menschen, die nach der Anzahl der Menschen und der
Geschlossenheit des Siedlungsraumes in Europa einen in sich so fest geschlossenen Rassekern darstelle, wie er in
keinem anderen Land wiederanzutreffen sei
- Seite 2 wie er andererseits das Anrecht auf größeren Lebensraum mehr als bei anderen Völkern in sich schlösse. Wenn kein
dem deutschen Rassekern entsprechendes politisches Ergebnis auf dem Gebiet des Raumes vorläge, so sei das eine
Folge mehrhundertjähriger historischer Entwicklung und bei Fortdauer dieses politischen Zustandes die größte Gefahr
für die Erhaltung des deutschen Volkstums auf seiner jetzigen Höhe. Ein Aufhalten des Rückganges des Deutschtums
in Österreich und in der Tschechoslowakei sei ebenso wenig möglich als die Erhaltung des augenblicklichen Standes
in Deutschland selbst. Statt Wachstum setze Sterilisation ein, in deren Folge Spannungen sozialer Art nach einer
Reihe von Jahren einsetzen müßten, weil politische und weltanschauliche Ideen nur solange von Bestand seien, als sie
die Grundlage zur Verwirklichung der realen Lebensansprüche eines Volkes abzugeben vermöchten. Die deutsche
Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt, eine solche Lösung könne naturgemäß nur
für eine absehbare, etwa 1 - 3 Generationen umfassende Zeit gesucht werden.
Bevor er sich der Frage der Behebung der Raumnot zuwende, sei die Überlegung anzustellen, ob im Wege der
Autarkie oder einer gesteigerten Beteiligung an der Weltwirtschaft eine zukunftsreiche Lösung der deutschen Lage zu
erreichen sei.
Autarkie: Durchführung nur möglich bei straffer nationalsozialistischer Staatsführung, welche die Voraussetzung sei,
als Resultat der Verwirklichungsmöglichkeit sei festzustellen:
A. Auf dem Gebiet der Rohstoffe nur bedingte, nicht aber totale Autarkie.
l.) soweit Kohle zur Gewinnung von Rohprodukten in Betracht komme, sei Autarkie durch- führbar.
2.) Schon auf dem Gebiet der Erze Lage viel schwieriger.
Eisenbedarf = Selbstdeckung möglich und Leichtmetall, bei anderen Rohstoffen
- Kupfer, Zinn dagegen nicht.
3.) Faserstoffe - Selbstdeckung, soweit Holzvorkommen reicht.
Eine Dauerlösung nicht möglich.
4.) Ernährungsfette möglich.
B. Auf dem Gebiet der Lebensmittel sei die Frage der Autarkie mit einem glatten "Nein" zu beantworten.
- Seite 3 Mit der allgemeinen Steigerung des Lebensstandartes sei gegenüber den Zeiten vor 30-40 Jahren eine Steigerung des
Bedarfs und ein gesteigerter Eigenkonsum auch der Produzenten, der Bauern, Hand in Hand gegangen. Die Erlöse der
landwirtschaftlichen Produktionssteigerung seien in die Deckung der Bedarfssteigerung übergegangen, stellten daher
keine absolute Erzeugungssteigerung dar. Eine weitere Steigerung der Produktion unter Anspannung des Bodens, der
infolge der Kunstdüngung bereits Ermüdungserscheinungen aufweise, sei kaum noch möglich und daher sicher, daß
selbst bei höchster Produktionssteigerung eine Beteiligung am Weltmarkt nicht zu umgehen sei. Der schon bei guten
Ernten nicht unerhebliche Ansatz von Devisen zur Sicherstellung der Ernährung durch Einfuhr steigere sich bei
Mißernten zu katastrophalem Ausmaß. Die Möglichkeit der Katastrophe wachse in dem Maße der
Bevölkerungszunahme, wobei der Geburtenüberschuß von jährlich 560 000 auch insofern einen erhöhten Brotkonsum
im Gefolge habe, da das Kind ein stärkerer Brotesser als der Erwachsene sei.
Den Ernährungsschwierigkeiten durch Senkung des Lebensstandartes und durch Rationalisierung auf die Dauer zu
begegnen, sei in einem Erdteil annähernd gleicher Lebenshaltung unmöglich. Seitdem mit Lösung des
Arbeitslosenproblems die volle Konsumkraft in Wirkung getreten sei, wären wohl noch kleine Korrekturen unserer
landwirtschaftlichen Eigenproduktion, nicht aber eine tatsächliche Änderung der Ernährungsgrundlage möglich.
Damit sei die Autarkie sowohl auf dem Ernährungsgebiet als auch in der Totalität hinfällig.
Beteiligung an der Weltwirtschaft: Ihr seien Grenzen gezogen, die wir nicht zu beheben vermöchten. Einer sicheren
Fundierung der deutschen Lage ständen die Konjunkturschwankungen entgegen, die Handelsverträge böten keine
Gewähr für die praktische Durchführung. Insbesondere sei grundsätzlich zu bedenken, daß seit dem Weltkriege eine
Industrialisierung gerade früherer Ernährungsausfuhrländer stattgefunden habe. Wir lebten im Zeitalter
wirtschaftlicher Imperien, in welchem der Trieb zur Kolonisierung sich wieder dem Urzustand nähere; bei Japan und
Italien lägen dem Ausdehnungsdrang wirtschaftliche Motive zu Grunde ebenso wie auch für Deutschland die
wirtschaftliche Not den Antrieb bilden würde. Für Länder außerhalb der großen Wirtschaftsreiche sei die Möglichkeit
wirtschaftlicher Expansion besonders erschwert.
Der durch die Rüstungskonjunkturen verursachte Auftrieb in
- Seite 4 der Weltwirtschaft könne niemals die Grundlage zu einer wirtschaftlichen Regelung für einen längeren Zeitraum
bilden, welch letzterer vor allem auch die vom Bolschewismus ausgehenden Wirtschaftszerstörungen im Wege
stünden. Es sei eine ausgesprochene militärische Schwäche derjenigen Staaten, die ihre Existenz auf dem
Außenhandel aufbauten. Da unser Außenhandel über die durch England beherrschten Seegebiete führe, sei es mehr
eine Frage der Sicherheit des Transportes als eine solche der Devisen, woraus die große Schwäche unserer
Ernährungssituation im Kriege erhelle. Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der
Gewinnung eines größeren Lebensraumes, ein Streben, das zu allen Zeiten die Ursache der Staatenbildungen und
Völkerbewegungen gewesen sei. Daß dieses Streben in Genf und bei den gesättigten Staaten keinem Interesse
begegne, sei erklärlich. Wenn die Sicherheit unserer Ernährungslage im Vordergrunde stände, so könne der hierfür
notwendige Raum nur in Europa gesucht werden, nicht aber ausgehend von liberalistisch-kapitalistischen
Auffassungen in der Ausbeutung von Kolonien. Es handele sich nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von
landwirtschaftlich nutzbarem Raum. Auch die Rohstoffgebiete seien zweckmäßiger im unmittelbaren Anschluß an
das Reich in Europa und nicht in Übersee zu suchen, wobei die Lösung sich für ein bis zwei Generationen auswirken
müsse. Was darüber hinaus in späteren Zeiten notwendig werden sollte, müsse nachfolgenden Geschlechtern
überlassen bleiben. Die Entwicklung großer Weltgebilde gehe nun einmal langsam vor sich, das deutsche Volk mit
seinem starken Rassekern finde hierfür die günstigsten Voraussetzungen inmitten des europäischen Kontinents. Daß
jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die
Geschichte aller Zeiten - Römisches Weltreich, Englisches Empire - bewiesen. Auch Rückschläge seien
unvermeidbar. Weder früher noch heute habe es herrenlosen Raum gegeben, der Angreifer stoße stets auf den
Besitzer.
Für Deutschland laute die Frage, wo größter Gewinn unter geringstem Einsatz zu erreichen sei.
Die deutsche Politik habe mit den beiden Haßgegnern England und Frankreich zu rechnen, denen ein starker
deutscher Koloß inmitten Europas ein Dorn im Auge sei, wobei beide Staaten eine weitere deutsche Erstarkung
sowohl in Europa als auch in Übersee ablehnten und sich in dieser Ablehnung auf die Zustimmung aller Parteien
stützen könnten. In der Errichtung deutscher militärischer Stützpunkte
- Seite 5 in Übersee sähen beide Länder eine Bedrohung ihrer Überseeverbindungen, eine Sicherung des deutschen Handels
und rückwirkend eine Stärkung der deutschen Position in Europa.
England könne aus seinem Kolonialbesitz infolge des Widerstandes der Dominien keine Abtretungen an uns
vornehmen. Nach dem durch Übergang Abessiniens in italienischen Besitz eingetretenen Prestigeverlusts Englands
sei mit einer Rückgabe Ostafrikas nicht zu rechnen. Das Entgegenkommen Englands werde sich bestenfalls in dem
Anheimstellen äußern, unsere kolonialen Wünsche durch Wegnahme solcher Kolonien zu befriedigen, die sich z.Zt.
in nicht englischem Besitz befänden - z.B. Angola - . In der gleichen Linie werde sich das französische
Entgegenkommen bewegen.
Eine ernsthafte Diskussion wegen der Rückgabe von Kolonien an uns käme nur zu einem Zeitpunkt in Betracht, in
dem England sich in einer Notlage befände und das deutsche Reich stark und gerüstet sei. Die Auffassung, daß das
Empire unerschütterlich sei, teile der Führer nicht. Die Widerstände gegen das Empire lägen weniger in den eroberten
Ländern als bei den Konkurrenten. Das Empire und das Römische Weltreich seien hinsichtlich der Dauerhaftigkeit
nicht vergleichbar; dem letzteren habe seit den punischen Kriegen kein machtpolitischer Gegner ernsthafteren
Charakters gegenüber gestanden. Erst die vom Christentum ausgehende auflösende Wirkung und die sich bei jedem
Staat einstellenden Alterserscheinungen hätten das alte Rom dem Ansturm der Germanen erliegen lassen.
Neben dem englischen Empire ständen schon heute eine Anzahl ihm überlegener Staaten. Das englische Mutterland
sei nur im Bunde mit anderen Staaten, nicht aus eigener Kraft in der Lage, seinen Kolonialbesitz zu verteidigen. Wie
solle England allein z.B. Kanada gegen einen Angriff Amerikas, seine ostasiatischen Interessen gegen einen solchen
Japans verteidigen!
Das Herausstellen der englischen Krone als Träger des Zusammenhaltes des Empire sei bereits das Eingeständnis, daß
das Weltreich machtpolitisch auf die Dauer nicht zu halten sei. Bedeutungsvolle Hinweise in dieser Richtung seien:
a) Das Streben Irlands nach Selbständigkeit.
b) Die Verfassungskämpfe in Indien, wo England durch seine halben Maßnahmen den Indern die Möglichkeit
eröffnet habe, späterhin die Nichterfüllung der verfassungsrechtlichen Versprechungen als Kampfmittel gegen
England zu benutzen
- Seite 6 c) Die Schwächung der englischen Position in Ostasien durch Japan.
d) Der Gegensatz im Mittelmeer zu Italien, welches - unter Berufung auf seine Geschichte, getrieben aus Not und
geführt durch ein Genie - seine Machtstellung ausbaue und sich hierdurch in zunehmendem Maße gegen englische
Interessen wenden müsse. Der Ausgang des abessinischen Krieges sei ein Prestigeverlust Englands, den Italien durch
Schüren in der mohammedanischen Welt zu vergrößern bestrebt sei.
In summa sei festzustellen, daß trotz aller ideeller Festigkeit das Empire machtpolitisch auf die Dauer nicht mit 45
Millionen Engländern zu halten sei. Das Verhältnis der Bevölkerungszahl des Empire's zu der des Mutterlandes von 9
: 1 sei eine Warnung für uns, bei Raumerweiterungen nicht die in der eigenen Volkszahl liegende Plattform zu gering
werden zu lassen.
Die Stellung Frankreichs sei günstiger als die Englands. Das französische Reich sei territorial besser gelagert, die
Einwohner seines Kolonialbesitzes stellten einen militärischen Mitzuwachs dar. Aber Frankreich gehe
innenpolitischen Schwierigkeiten entgegen.
Im Leben der Völker nehmen die parlamentarische Regierungsform etwa 10 %, die autoritäre etwa 90 % der Zeit ein.
Immerhin seien heute in unsere politischen Berechnungen als Machtfaktoren einzusetzen : England, Frankreich,
Rußland und die angrenzenden kleineren Staaten.
Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben, dieser niemals risikolos sein. Die Kämpfe
Friedrichs d.Gr. um Schlesien und die Kriege Bismarcks gegen Österreich und Frankreich seien von unerhörtem
Risiko gewesen und die Schnelligkeit des preußischen Handelns 1870 habe Österreich vom Eintritt in den Krieg
ferngehalten. Stelle man an die Spitze der nachfolgenden Ausführungen den Entschluß zur Anwendung von Gewalt
unter Risiko, dann bleibt noch die Beantwortung der Fragen "wann" und "wie". Hierbei seien drei Fälle zu
entscheiden:
Fall l: Zeitpunkt 1943 - 1945.
Nach dieser Zeit sei nur noch eine Veränderung zu unseren Ungunsten zu erwarten.
Die Aufrüstung der Armee, Kriegsmarine, Luftwaffe sowie die Bildung des Offizierskorps seien annähernd beendet.
Die materielle Ausstattung und Bewaffnung seien modern, bei weiterem Zuwarten läge die Gefahr ihrer Veraltung
vor. Besonders der Geheimhaltungsschutz der "Sonderwaffen" ließe sich nicht immer aufrecht erhalten.
- Seite 7 Die Gewinnung von Reserven beschränke sich auf die laufenden Rekrutenjahrgänge, ein Zusatz aus älteren
unausgebildeten Jahrgängen sei nicht mehr verfügbar.
Im Verhältnis zu der bis dahin durchgeführten Aufrüstung der Umwelt nähmen wir an relativer Stärke ab. Wenn wir
bis 1943/45 nicht handelten, könne infolge des Fehlens von Reserven jedes Jahr die Ernährungskrise bringen, zu
deren Behebung ausreichende Devisen nicht verfügbar seien. Hierin sei ein "Schwächungsmoment des Regimes" zu
erblicken. Zudem erwarte die Welt unseren Schlag und treffe ihre Gegenmaßnahmen von Jahr zu Jahr mehr. Während
die Umwelt sich abriegele, seien wir zur Offensive gezwungen.
Wie die Lage in den Jahren 1943/45 tatsächlich sein würde, wisse heute niemand. Sicher sei nur, daß wir nicht länger
warten können.
Auf der einen Seite die große Wehrmacht mit der Notwendigkeit der Sicherstellung ihrer Unterhaltung, das
Älterwerden der Bewegung und ihrer Führer, auf der anderen Seite die Aussicht auf Senkung des Lebensstandartes
und auf Geburteneinschränkung ließen keine andere Wahl als zu handeln. Sollte der Führer noch am Leben sein, so
sei es sein unabänderlicher Entschluß, spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen. Die Notwendigkeit zum
Handeln vor 1943/45 käme im Fall 2 und 3 in Betracht.
Fall 2:
Wenn die sozialen Spannungen in Frankreich sich zu einer derartigen innenpolitischen Krise auswachsen sollten, daß
durch letztere die französische Armee absorbiert und für eine Kriegsverwendung gegen Deutschland ausgeschaltet
würde, sei der Zeitpunkt zum Handeln gegen die Tschechei gekommen.
Fall 3 :
Wenn Frankreich durch einen Krieg mit einem anderen Staat so gefesselt ist, daß es gegen Deutschland nicht
"vorgehen" kann.
Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Fall einer kriegerischen Verwicklung unser l. Ziel
sein, die Tschechei und gleichzeitig Osterreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen Vorgehens
nach Westen auszuschalten. Bei einem Konflikt mit Frankreich sei wohl nicht damit zu rechnen, daß die Tschechei
am gleichen Tage wie Frankreich uns den Krieg erklären würde. In dem Maße unserer Schwächung würde jedoch der
Wille zur Beteiligung am Kriege in der Tschechei zunehmen, wobei ihr Ein- Seite 8 greifen sich durch einen Angriff nach Schlesien, nach Norden oder nach Westen bemerkbar machen könne.
Sei die Tschechei niedergeworfen, eine gemeinsame Grenze Deutschland - Ungarn gewonnen, so könne eher mit
einem neutralen Verhalten Polens in einem deutsch-französischen Konflikt gerechnet werden. Unsere Abmachungen
mit Polen behielten nur solange Geltung als Deutschlands Stärke unerschüttert sei, bei deutschen Rückschlägen müsse
ein Vorgehen Polens gegen Ostpreußen, vielleicht auch gegen P
ommern und Schlesien in Rechnung gestellt werden.
Bei Annahme einer Entwicklung der Situation, die zu einem planmäßigen Vorgehen unsererseits in den Jahren
1943/45 führe, sei das Verhalten Frankreichs, Englands, Italiens, Polens, Rußlands voraussichtlich folgendermaßen zu
beurteilen:
An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich die
Tschechei bereits im Stillen abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch
Deutschland bereinigt würde. Die Schwierigkeiten des Empire und die Aussicht in einen lang währenden
europäischen Krieg erneut verwickelt zu werden, seien bestimmend für eine Nichtbeteiligung Englands an einem
Kriege gegen Deutschland. Die englische Haltung werde gewiß nicht ohne Einfluß auf die Frankreichs sein. Ein
Vorgehen Frankreichs ohne die englische Unterstützung und in der Voraussicht, daß seine Offensive an unseren
Westbefestigungen sich festlaufe, sei wenig wahrscheinlich. Ohne die Hilfe Englands sei auch nicht mit einem
Durchmarsch Frankreichs durch Belgien und Holland zu rechnen, der auch bei einem Konflikt mit Frankreich für uns
außer Betracht bleiben müsse, da es in jedem Fall die Feindschaft Englands zur Folge haben müßte. Naturgemäß sei
eine Abriegelung im Westen in jedem Fall während der Durchführung unseres Angriffs gegen die Tschechei und
Österreich notwendig. Hierbei sei zu berücksichtigen, daß die Verteidigungsmaßnahmen der Tschechei von Jahr zu
Jahr an Stärke zunähmen und daß auch eine Konsolidierung der inneren Werte der österreichischen Armee im Laufe
der Jahre stattfände. Wenn auch die Besiedlung insbesondere der Tschechei keine dünne sei, so könne die
Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5 - 6 Millionen Menschen
bedeuten unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von
einer Million Menschen zur Durchführung gelange. Die Angliederung der beiden Staaten an Deutschland bedeute
militär-politisch eine wesentliche
- Seite 9 Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von Streitkräften für andere Zwecke und der
Möglichkeit der Neuaufstellung von Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen, wobei auf 1 Million Einwohner
eine neue Division entfalle.
Von der Seite Italiens sei gegen die Beseitigung der Tschechei keine Einwendungen zu erwarten, wie dagegen seine
Haltung in der österreichischen Frage zu bewerten sei, entziehe sich der heutigen Beurteilung und sei wesentlich
davon abhängig, ob der Duce noch am Leben sei.
Das Maß der Überraschung und der Schnelligkeit unseres Handelns sei für die Stellungnahme Polens entscheidend.
Gegen ein siegreiches Deutschland wird Polen - mit Rußland im Rücken - wenig Neigung haben, in den Krieg
einzutreten.
Einem militärischen Eingreifen Rußlands müsse durch die Schnelligkeit unserer Operationen begegnet werden; ob ein
solches überhaupt in Betracht kommen werde, sei angesichts der Haltung Japans mehr als fraglich.
Trete der Fall 2 - Lahmlegung Frankreichs durch einen Bürgerkrieg - ein, so sei infolge Ausfall des gefährlichsten
Gegners die Lage jederzeit zum Schlag gegen die Tschechei auszunutzen.
In gewissere Nähe sähe der Führer den Fall 3 gerückt, der sich aus den derzeitigen Spannungen im Mittelmeer
entwickeln könne und den er eintretendenfalls zu jedem Zeitpunkt, auch bereits im Jahre 1938, auszunutzen
entschlossen sei.
Nach den bisherigen Erfahrungen beim Verlauf der kriegerischen Ereignisse in Spanien sähe der Führer deren baldige
Beendigung noch nicht bevorstehend. Berücksichtige man den Zeitaufwand der bisherigen Offensiven Franco's, so
könne eine Kriegsdauer von etwa noch drei Jahren im Bereich der Möglichkeit liegen. Andererseits sei vom
deutschen Standpunkt ein 100 %iger Sieg Francos auch nicht erwünscht; wir seien vielmehr an einer Fortdauer des
Krieges und der Erhaltung der Spannungen im Mittelmeer interessiert. Franco im ungeteilten Besitz der spanischen
Halbinsel, schalte die Möglichkeit weiterer italienischer Einmischung und den Verbleib Italiens auf den Balearen aus.
Da unser Interesse auf die Fortdauer des Krieges in Spanien gerichtet sei, müsse es Aufgabe unserer Politik in
nächster Zeit sein, Italien den Rücken für weiteren Verbleib auf den Balearen zu stärken. Ein Festsetzen der Italiener
auf den Balearen sei aber weder für Frankreich noch für England tragbar und könne zu einem Krieg Frankreichs und
Englands gegen
- Seite 10 Italien führen, wobei Spanien - falls völlig in weißer Hand - an der Seite der Gegner Italiens auf den Plan treten
könne. In einem solchen Krieg sei ein Unterliegen Italiens wenig wahrscheinlich. Zur Ergänzung seiner Rohstoffe
stehe der Weg über Deutschland offen. Die militärische Kriegführung seitens Italiens stelle der Führer sich derart vor,
daß es an seiner Westgrenze gegen Frankreich defensiv bleibe und den Kampf gegen Frankreich aus Lybien heraus
gegen die nordafrikanischen französischen Kolonialbesitzungen führe. Da eine Landung französisch-englischer
Truppen an den Küsten Italiens ausscheide und eine französische Offensive über die Alpen nach Oberitalien sehr
schwierig sein dürfte und sich voraussichtlich an den starken italienischen Befestigungen festlaufen würde, läge der
Schwerpunkt der Handlungen in Nordafrika. Die Bedrohung der französischen Transportwege durch die italienische
Flotte werde in starkem Umfang den Transport von Streitkräften aus Nordafrika nach Frankreich lahm legen, so daß
Frankreich an den Grenzen gegen Italien und Deutschland nur über die Streitkräfte des Heimatlandes verfüge.
Wenn Deutschland diesen Krieg zur Erledigung der tschechischen und österreichischen Frage ausnutze, so sei mit
Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß England - im Kriege mit Italien liegend - sich nicht zu einem Vorgehen gegen
Deutschland entschließen würde. Ohne die englische Unterstützung sei eine kriegerische Handlung Frankreichs gegen
Deutschland nicht zu erwarten.
Der Zeitpunkt unseres Angriffs auf die Tschechei und Österreich müsse abhängig von dem Verlauf des italienischenglisch-französischen Krieges gemacht werden und läge nicht etwa gleichzeitig mit der Eröffnung der kriegerischen
Handlungen dieser drei Staaten. Der Führer denke auch nicht an militärische Abmachungen mit Italien, sondern wolle
in eigener Selbständigkeit und unter Ausnutzung dieser sich nur einmal bietenden günstigen Gelegenheit den Feldzug
gegen die Tschechei beginnen und durchführen, wobei der Überfall auf die Tschechei "blitzartig schnell" erfolgen
müsse.
Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst von Fritsch wiesen bei der Beurteilung der Lage wiederholt auf die
Notwendigkeit hin, daß England und Frankreich nicht als unsere Gegner auftreten dürften, und stellten fest, daß durch
den Krieg gegen Italien das französische Heer nicht in dem Umfange gebunden sei, daß es nicht noch mit
Überlegenheit an unserer Westgrenze auf den Plan treten könne. Die mutmaßlich an der Alpengrenze gegenüber
Italien zum
- Seile 11 Einsatz gelangenden französischen Kräfte veranschlagte Generaloberst von Fritsch auf etwa 20 Divisionen, so daß
immer noch eine starke französische Überlegenheit an unserer Westgrenze bliebe, der als Aufgabe nach deutschem
Denken der Einmarsch in das Rheinland zu unterstellen sei, wobei noch besonders der Vorsprung Frankreichs in der
Mobilmachung in Rechnung zu stellen und zu berücksichtigen sei, daß abgesehen von dem ganz geringen Wert
unseres derzeitigen Standes der Befestigungsanlagen - worauf Feldmarschall von Blomberg besonders hinwies - die
für den Westen vorgesehenen vier mot.Divisionen mehr oder weniger bewegungsunfähig seien. Hinsichtlich unserer
Offensive nach Südosten machte Feldmarschall von Blomberg nachdrücklich auf die Stärke der tschechischen
Befestigungen aufmerksam, deren Ausbau den Charakter einer Maginot-Linie angenommen hätte und unseren Angriff
aufs Äußerste erschwere.
Generaloberst von Fritsch erwähnte, daß es gerade Zweck einer durch ihn angeordneten Studie dieses Winters sei, die
Möglichkeiten der Führung der Operationen gegen die Tschechei unter besonderer Berücksichtigung der
Überwindung des tschechischen Festungssystems zu untersuchen; der Generaloberst brachte ferner zum Ausdruck,
daß er unter den obwaltenden Verhältnissen davon absehen müsse, seinen am 10.11. beginnenden Auslandsurlaub
durchzuführen. Diese Absicht lehnte der Führer mit der Begründung ab, daß die Möglichkeit des Konfliktes noch
nicht als so nahe bevorstehend anzusehen sei. Gegenüber dem Einwand des Außenministers, daß ein italienischenglisch-französischer Konflikt noch nicht in so greifbarer Nähe sei, als es der Führer anzunehmen schiene, stellte der
Führer als den ihm hierfür möglich erscheinenden Zeitpunkt den Sommer 1938 hin. Zu den seitens des Feldmarschalls
von Blomberg und des Generalobersten von Fritsch hinsichtlich des Verhaltens Englands und Frankreichs
angestellten Überlegungen äußerte der Führer in Wiederholung seiner bisherigen Ausführungen, daß er von der
Nichtbeteiligung Englands überzeugt sei und daher an eine kriegerische Aktion Frankreichs gegen Deutschland nicht
glaube. Sollte der in Rede stehende Mittelmeerkonflikt zu einer allgemeinen Mobilmachung in Europa führen, so sei
unsererseits sofort gegen die Tschechei anzutreten, sollten dagegen die am Kriege nicht beteiligten Mächte ihr
Desinteressement erklären, so habe sich Deutschland diesem Verhalten zunächst anzuschließen.
Generaloberst Göring hielt angesichts der Ausführungen des Führers es für geboten, an einen Abbau unseres
militärischen Spanienunternehmens zu denken. Der Führer stimmt dem insoweit zu, als
- Seite 12 er den Entschluß einem geeigneten Zeitpunkt vorbehalten zu glauben solle.
Der zweite Teil der Besprechungen befaßte sich mit materiellen Rüstungsfragen.
Für die Richtigkeit:
gez. Hoßbach.
Oberst d.G.
.
B) Fritz Sauckel, Das Programm des
Arbeitseinsatzes
Dokument 016-PS
SAUCKELS PROGRAMM VOM 20. APRIL 1942 FÜR DEN EINSATZ AUSLÄNDISCHER ARBEITER UND
KRIEGSGEFANGENER IN DIE DEUTSCHE KRIEGSINDUSTRIE; ERKLÄRUNG SEINER ABSICHT, EINE
HALBE MILLION GESUNDER MÄDCHEN GEMÄSS HITLERS ANORDNUNG AUS DEM AUSLAND NACH
DEUTSCHLAND EINZUFÜHREN (BEWEISSTÜCK US -168)
BESCHREIBUNG DER HIER ZUGRUNDEGELEGTEN URK:
zweiteilig
Erstes S: U Ti I unter Datum Eing Stp rot: Ministerbüro Eing. Am 27. April 1942
Nr. 0881 (Ti) Min 28 V vorg. P unl (Kop) (Ti) I unter Stp: Dr. Kp hat Kenntnis (Kop) I u r Stp lila: Kanzlei 01. Mai
1942 Herr/Fr. Mischke. (Blei) Gef......... Gel Hfl/Ks. 4.5.42 (Blei) Abges. 5.5. (durchstrichen) 4 (Ti) 1 - 5 5/5. 42 Pg
(?) (Kop) 1 über diesem Kanzlei-Stp: Abschr. f. H. Wittenberger (Blei) Wachs (Blei) 70x (Kop) | r über Adr (Blei):
Abdruck an Büro 1.) Hauptabteilungen 2.) Chefgruppen 3.) Abteilungen 4.) Büro Minister
5.) Büro Vert.
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz
GBA . . . . .. Berlin W 8, den . . 24. April .. 1942
Mohrenstraße 65
(Thüringenhaus)
Fernruf: 12 65 71
Sehr verehrter und lieber Parteigenosse Rosenberg!
In der Anlage erlaube ich mir, Ihnen mein Programm für den Arbeitseinsatz zu überreichen. Ich bitte zu
entschuldigen, daß in diesem Exemplar noch einige Korrekturen enthalten sind.
Heil Hitler!
Ihr
Fritz Sauckel.
An
den Herrn Reichsminister für die besetzten Ostgebiete,
Pg. Rosenberg
Berlin.
Zweites S: Bk Stp graublau | Datum Stp tiefviolett | Verv. (lila) mit hs-Korrekturen Ti auf Seiten 2,9,10,18, die in der
dann ausgegebenen Verv (schwarz), die dem IMT auch vorgelegen hat, ms durchgeführt sind; diese zweite Verv ist
für die W des T hier verwendet, während Kopf und U der ersten entnommen sind | l n U Stp: Der Beauftragte für den
Vierjahresplan Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
- Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Sckl./We. 20.4.42
Das Programm des Arbeitseinsatzes.
Am Heldengedenktag 1942 hat der Führer dem deutschen Volk den in der Geschichte gewaltigsten und härtesten
Einsatz deutschen Soldatentums offenbart. Neben der heldenhaften und siegreichen Bewährung gegenüber einem an
Zahl und Material unerhört überlegenen und mit dem Mute der höchsten Verzweiflung und bestialischer Brutalität
kämpfenden Gegner steht das Ertragen von in der Geschichte beispiellosen Härten eines seit 140 Jahren nicht mehr
dagewesenen, an Kälte, Eis, Schnee und Sturm unübertroffenen schweren Winters. Das Überwinden der mit einem
solchen Klima und so außergewöhnlich schlechten Wetterbedingungen verbundenen unerhörten Schwierigkeiten
erhob unsere Soldaten an der Ostfront, gemessen an den bisherigen menschlichen und soldatischen Leistungen aller
Zeiten - man darf es ohne Übertreibung sagen - zu Übermenschen.
Diese Soldaten haben es nun verdient, daß die Heimat sich zu einer ähnlichen gewaltigen Konzentration ihrer Kräfte
emporreißt, um den endgültigen, vollständigen und schnellsten Sieg zu ermöglichen.
Alle damit verbundenen Belastungen und nötigen weiteren Einschränkungen, selbst in der Ernährung, müssen gerade
in Berücksichtigung des Vorbildes der Soldaten mit stolzer Entschlossenheit ertragen werden.
Unsere Großdeutsche Wehrmacht hat ein Übermaß an Heldentum, Durchhalten und Überwinden an der Ostfront, in
Afrika, in der Luft und auf den Meeren
- Seite 2 bewiesen. Um ihren Sieg auf alle Fälle zu gewährleisten, gilt es nun, ihr noch immer mehr und bessere Waffen,
Material und Munition durch eine nochmals gesteigerte Anstrengung und Leistung des ganzen deutschen Volkes, d.h.
aller schaffenden Arbeiter der Stirn und der Faust, der Frauen und der ganzen deutschen Jugend, sicherzustellen.
Auf diese Weise wird die deutsche Heimat entscheidend dazu beitragen, damit alle Hoffnungen unserer Gegner, ihre
vollkommene und endgültige Niederlage noch einmal abzuwenden, zuschanden gemacht werden.
Der Zweck des gigantischen neuen Arbeitseinsatzes ist nun, alle jene reichen und gewaltigen Hilfsquellen, die uns das
kämpfende Heer unter der Führung Adolf Hitlers in so überwältigend reichem Ausmaß errungen und gesichert hat, für
die Rüstung der Wehrmacht und ebenso für die Ernährung der Heimat auszuwerten. Die Rohstoffe wie die
Fruchtbarkeit der eroberten Gebiete und ebenso deren menschliche Arbeitskraft sollen durch den Arbeitseinsatz
vollkommen und gewissenhaft zum Segen Deutschlands und seiner Verbündeten ausgenutzt werden.
Trotz der Tatsache, daß die meisten deutschen arbeitsfähigen Menschen in der anerkennenswertesten Weise ihre
Kräfte für die Kriegswirtschaft bereits eingesetzt haben, müssen unter allen Umständen noch erhebliche Reserven
gefunden und freigemacht werden.
Die entscheidende Maßnahme, dies zu verwirklichen, ist der einheitlich geregelte und gesteuerte Arbeitseinsatz der
Nation im Kriege.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen folgende Grundsätze aufgestellt und durchgeführt werden:
A. Alle zur Zeit laufenden wichtigen Fertigungsprogramme dürfen durch neue Maßnahmen unter keinen Umständen
gestört, sondern sollen vielmehr noch gesteigert werden.
- Seite 3 B. Alle Forderungen des Führers, des Herrn Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches und des Ministers für
Munition und Bewaffnung sind schnellstens zu erfüllen. Die hierfür fehlenden Arbeitskräfte müssen in Deutschland
selbst und in den besetzten Gebieten freigemacht und zur Verfügung gestellt werden.
C. Ebenso unaufschiebbar ist die Aufgabe, Saat und Ernte des deutschen Bauerntums und aller unter deutscher
Kontrolle stehender europäischen Gebiete mit dem Ziel höchster Erträge zu sichern. Die fehlenden Landarbeiter
müssen schnellstens bereitgestellt werden.
D. Ein Versorgungsprogramm für die lebensnotwendigsten Bedarfsgüter für das deutsche Volk soll gewährleistet
bleiben.
Die Verwirklichung dieser Grundsätze für den Arbeitseinsatz erfordert :
l. das Zusammenspiel aller Kräfte der Partei, der Wirtschaft und des Staates unter einheitlicher Lenkung;
2. den besten Willen aller deutschen Menschen;
3. die umfassendsten Maßnahmen, um allen eingesetzten deutschen Arbeitern und Arbeiterinnen das höchste
Vertrauen zur Gerechtigkeit in der Behandlung ihres persönlichen Schicksals und ihrer Entlohnung, ebenso wie die
im Kriege bestmögliche Fürsorge für ihre Gesundheit und Unterbringung zu geben;
4. die schnellste und bestmögliche Lösung der Frage des Frauen- und Jugendeinsatzes.
Soll das vom Führer gesteckte Ziel erreicht werden, so ist dies nur möglich durch die gleichzeitige und schnellste
Anwendung zahlreicher verschiedener, aber dem gleichen Zweck anstrebender Maßnahmen. Da aber jede derselben
die andere nicht stören, sondern sie sinnvoll ergänzen muß, ist es unumgänglich notwendig,
- Seite 4 daß alle irgendwie an dieser entscheidenden Aufgabe beteiligten Dienststellen im Reich, seinen Gebieten und
Gemeinden, in Partei, Staat und Wirtschaft nach einheitlichen Richtlinien verfahren.
So trägt der Arbeitseinsatz der Nation zur schnellsten und siegreichen Beendigung des Krieges außerordentlich bei. Er
erfordert die letzte Kraft auch des deutschen Menschen in der Heimat. Für diesen deutschen Menschen, seine
Erhaltung, seine Freiheit, sein Glück und die Verbesserung seiner Ernährung und Lebenshaltung wird dieser Krieg
geführt.
Grundsätzliches.
I. In den Gauen ist die Propaganda und Aufklärung des deutschen Volkes über die Notwendigkeit des
Arbeitseinsatzes und die Durchführung wichtiger Maßnahmen zur Betreuung der eingesetzten Jugend und Frauen,
ebenso die Obsorge für den Zustand von Lagern und Unterkünften, Aufgabe der Gauleiter der NSDAP.
Sie sichern ferner die engste und kameradschaftlichste Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen.
II. Vornehmste Pflicht des Generalbevollmächtigten, ja die einzige Voraussetzung für das Gelingen seines Auftrages
ist, daß er sich der vorbehaltlosen Mitarbeit und des Einvernehmens aller obersten Reichsstellen - besonders auch der
Dienststellen der Wehrmacht - deren Aufgabengebiete in diesen Auftrag hineinreichen, versichert.
III. Ebenso unerläßlich ist das Einverständnis aller Reichsleiter der Partei und ihrer Organisationen, besonders auch
die Mitarbeit der Deutschen Arbeitsfront und der Einrichtungen der Wirtschaft
- Seite 5 IV. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz wird daher mit einem allerkleinsten persönlichen
Mitarbeiterkreis seiner Auswahl sich ausschließlich der vorhandenen Partei-, Staats- und Wirtschaftseinrichtungen
bedienen und durch den guten Willen und die Mitarbeit aller den schnellsten Erfolg seiner Maßnahmen gewährleisten.
V. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz hat daher mit Zustimmung des Führers und im Einvernehmen
mit dem Herrn Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches und dem Leiter der Partei-Kanzlei alle Gauleiter des
Großdeutschen Reiches als seine Bevollmächtigten in den deutschen Gauen der NSDAP. eingesetzt.
VI. Die Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bedienen sich in ihren Gauen ihrer zuständigen Dienststellen der
Partei. Die Leiter der höchsten für ihren Gau zuständigen Dienststellen des Staates und der Wirtschaft beraten und
unterrichten die Gauleiter hinsichtlich aller wichtigen Fragen des Arbeitseinsatzes.
Als besonders wichtig hierfür kommen in Frage:
der Präsident des Landesarbeitsamtes,
der Treuhänder der Arbeit,
der Landesbauernführer,
der Gauwirtschaftsberater,
der Gauobmann der Deutschen Arbeitsfront,
die Gaufrauenschaftsleiterin,
der Gebietsführer der Hitler-Jugend,
der höchste Vertreter der Inneren und Allgemeinen Verwaltung bezw. des
Landeswirtschaftsamtes.
(Umfaßt der Bezirk eines Landesarbeitsamtes mehrere Gaue, dann ist es zweckmäßig, daß der Präsident des
betreffenden Landesarbeitsamtes den Gauleitern, in deren Gauhauptstadt kein Landesarbeitsamt vorhanden ist, seine
nächsten und tüchtigsten Mitarbeiter so zur Verfügung stellt, daß die ständige Unterrichtung der Gauleiter über alle
Maßnahmen der Arbeitseinsatzverwaltung auch dort gewährleistet bleibt.)
- Seite 6 VII. Die vornehmste und wichtigste Aufgabe der Gauleiter der NSDAP in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte in
ihren Gauen ist also die Sicherstellung des besten Einvernehmens aller am Arbeitseinsatz beteiligten Dienststellen
ihres Gaues. Es muß jedoch auf das strengste darauf geachtet werden, daß Hoheitsträger der Partei bezw. die
Dienststellen der NSDAP, ihrer Organisationen, Gliederungen und angeschlossenen Verbände weder Funktionen
übernehmen, für die nur Behörden des Staates, der Wehrmacht oder Institutionen der Wirtschaft zuständig sein und
die Verantwortung übernehmen können, noch daß sie willkürlich sich in den Ablauf von Dienstgeschäften
einmischen, für die sie nach dem Willen des Führers nicht zuständig sind.
Gelingt es aber durch die Mithilfe der Partei, in allen Gauen, Kreisen und Gemeinden alle deutschen Arbeiter der
Stirn und der Faust von der hohen Bedeutung des Arbeitseinsatzes für die Kriegsentscheidung zu überzeugen, alle
Männer, Frauen und die deutsche Jugend, die sich unter äußergewöhnlich schwierigen Verhältnissen im
Arbeitseinsatz befinden, auf das allerbeste hinsichtlich ihres leiblichen und seelischen Durchhaltevermögens zu
betreuen und zu stärken, und gelingt es ferner durch die Mithilfe der Partei, den Einsatz der Kriegsgefangenen und der
Zivilarbeiter und -arbeiterinnen fremden Blutes ohne Schaden für unser eigenes Volk, ja sogar zum größten Nutzen
für unsere Kriegs- und Ernährungswirtschaft durchzuführen, dann ist der schwerste Teil der Aufgabe des
Arbeitseinsatzes gelöst.
- Seite 7 Die Aufgabe und ihre Lösung.
(um den Bedingungen der Geheimhaltung zu entsprechen, werden nachfolgend keine Zahlen genannt. Ich bitte
trotzdem, überzeugt zu sein, daß es sich besonders zahlenmäßig um das größte Arbeiterproblem aller Zeiten handelt.)
A. Die Aufgabe:
l. Die Kriegslage hat die Einziehung neuer Soldaten zu allen Wehrmachtsteilen in gewaltigem Ausmaß notwendig
gemacht.
Das bedeutet
a) die Herausnahme von Arbeitern aus allen gewerblichen Betrieben, vor allem auch von einer sehr großen Anzahl
von Fachkräften aus kriegswichtigsten Rüstungswerken,
b) ebenso die Herausnahme gerade jetzt unentbehrlicher Kräfte aus der Kriegs- ernährungswirtschaft
2. Die Kriegslage erfordert aber auch die Durchführung des vom Führer über den bisherigen Stand hinaus gewaltig
vergrößerten und verbesserten Rüstungsprogramms.
3. Die notwendigsten Bedarfsgüter des deutschen Volkes müssen im allernotwendigsten Umfang auch weiter
produziert werden.
4. Die deutsche Hausfrau, insbesondere die Landfrau, darf besonders als Mutter durch den Krieg in ihrer Gesundheit
nicht geschädigt, sie muß daher, wenn irgend möglich, sogar entlastet werden.
B. Die Lösung:
l. Alle Facharbeiter, die aus kriegswichtigen Betrieben zu den Fahnen einberufen werden, müssen sofort und
unbedingt so ersetzt werden, daß in der Erzeugung kriegswichtigen Gerätes weder eine Stockung noch eine
Minderung eintritt.
- Seite 8 Alle Arbeitseinsatzbehörden sind dafür verantwortlich, daß dieser Bedingung in jedem Falle Rechnung getragen wird.
Aus den Reserven stillgelegter weniger kriegswichtiger Betriebe und aus der stillgelegten Bauwirtschaft müssen daher
die geeignetsten Kräfte herausgefunden und den Betrieben, aus denen Fachkräfte zur Fahne einberufen werden, acht
Wochen vor der Einberufung in der Weise zugeteilt werden, daß ein jeder einberufene Facharbeiter seinen
Ersatzmann gründlich einzuweisen und anzulernen vermag.
Ebenso müssen alle übrigen, durch Stillegungsaktionen freigewordenen Arbeiter, die nicht zum Ersatz von
Fachkräften dienen, den Rüstungsbetrieben, insbesondere zur Auffüllung der Nachtschichten, ohne Zeitverlust zur
Verfügung gestellt werden.
2. Arbeiter und Arbeiterinnen, die etwa durch Zerstörung oder Beschädigung ihrer Betriebe durch feindliche
Luftangriffe frei werden, müssen genau so schnell der Rüstungsindustrie wieder zugeführt und eingesetzt werden.
3. Die Rüstungs- und Ernährungsaufgaben machen nun aber neben der totalen Erfassung aller deutschen Arbeitskräfte
die Hereinnahme fremder Arbeitskräfte zur dringendsten Notwendigkeit.
Ich habe daher das Transportprogramm, das ich bei der Übernahme meines Auftrags vorgefunden habe, sofort
verdreifacht.
Der Schwerpunkt dieses Transportes wurde zeitlich in die Monate Mai/Juni vorverlegt, so daß die Hereinnahme
fremder Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten für eine vermehrte Produktion im Hinblick auf kommende
Operationen des Heeres, wie
- Seite 9 auch für die landwirtschaftlichen Arbeiten im Sektor der deutschen Ernährungswirtschaft noch unter allen Umständen
wirksam werden kann
Alle schon in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen sowohl aus den West- wie den Ostgebieten müssen, soweit
dies noch nicht geschehen ist, ebenfalls restlos der deutschen Rüstungs- und Ernährungswirtschaft zugeführt, ihre
Leistung muß auf den denkbar höchsten Stand gebracht werden.
Es ist zu betonen, daß trotzdem noch eine gewaltige Zahl fremder Arbeitskräfte ins Reich hereingenommen werden
muß. Das größte Reservoir hierfür sind die besetzten Gebiete des Ostens.
Es ist daher unumgänglich notwendig, die in den eroberten sowjetischen Gebieten vorhandenen Menschenreserven
voll auszuschöpfen. Gelingt es nicht, die benötigten Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage zu gewinnen, so muß
unverzüglich zur Aushebung derselben bezw. zur Zwangsverpflichtung geschritten werden.
Neben den schon vorhandenen, noch in den besetzten Gebieten befindlichen Kriegsgefangenen gilt es also vor allem,
Zivil- und Facharbeiter und -arbeiterinnen aus den Sowjetgebieten vom 15. Lebensjahr ab für den deutschen
Arbeitseinsatz zu mobilisieren.
Nach den vorhandenen Möglichkeiten kann dagegen aus den im Westen von Deutschland besetzten Gebieten Europas
ein Viertel des Gesamtbedarfs an fremdländischen Arbeitskräften hereingenommen werden.
Die Hereinnahme von Arbeitskräften aus befreundeten oder auch neutralen Ländern läßt sich nur zu einem Bruchteil
des Gesamtbedarfs ermöglichen. Hier kommen in erster Linie Fach- und Spezialarbeiter in Frage.
- Seite 10 4. Um der deutschen Hausfrau, vor allem der kinderreichen Mutter sowie der aufs höchste in Anspruch genommenen
deutschen Bauersfrau eine fühlbare Entlastung zuteil werden zu lassen und ihre Gesundheit nicht weiter zu gefährden,
hat mich der Führer auch beauftragt, aus den östlichen Gebieten etwa 4 - 500 000 ausgesuchte gesunde und kräftige
Mädchen ins Reich hereinzunehmen.
5. Für die Sicherung der Frühjahrsbestellung ist auf Grund einer Vereinbarung mit dem Reichsjugendführer und den
zuständigen Obersten Reichsbehörden der Einsatz der deutschen Jugend schulklassenweise gemeinsam mit Lehrern
und Lehrerinnen vorgesehen. Die notwendigen Erlasse und Ausführungsbestimmungen sind bereits ergangen.
6. Von sehr großer Bedeutung ist der Arbeitseinsatz der deutschen Frau.
Nachdem ich die grundsätzliche Meinung sowohl des Führers als auch des Herrn Reichsmarschalls des
Großdeutschen Reiches gründlich kennengelernt und durch eigene sorgfältigste Erkundigungen und Feststellungen
dieses sehr schwere Problem gewissenhaft überprüft habe, muß ich grundsätzlich auf eine von staatswegen
vorgenommene Dienstverpflichtung aller deutschen Frauen und Mädchen für die deutsche Kriegs- und
Ernährungswirtschaft verzichten.
Wenn ich auch selbst anfänglich und mit mir wohl der größte Teil der führenden Männer der Partei und der
Frauenschaft aus bestimmten Gründen glaubte, eine Dienstverpflichtung der Frauen durchführen zu müssen, so
sollten sich hier doch alle verantwortlichen Männer und Frauen aus Partei, Staat und Wirtschaft mit der größten
Ehrfurcht, aber auch in tiefster Dankbarkeit der Einsicht unseres Führers
- Seite 11Adolf Hitler beugen, dessen größte Sorge der Gesundheit der deutschen Frauen und Mädchen und damit der jetzigen
und zukünftigen Mütter unseres Volkes gilt.
Alle die Gründe, die für meinen Entschluß ausschlaggebend gewesen sind, vermag ich hier nicht anzuführen. Ich bitte
aber, mir als altem und fanatischem nationalsozialistischen Gauleiter zu vertrauen, daß eben letzten Endes die
Entscheidung nicht anders ausfallen konnte.
Darüber, daß diese Entscheidung aber gegenüber den Millionen Frauen, die täglich unter sehr schweren Bedingungen
sich im Kriegseinsatz in der Rüstungs- und Ernährungswirtschaft befinden, eine scheinbar sehr große Ungerechtigkeit
und Härte bedeutet, sind wir uns alle vollkommen einig, wohl aber auch darüber, daß man ein Übel nicht dadurch
verbessert, daß man es bis zur letzten Konsequenz verallgemeinert und über alle heraufbeschwört.
Die einzige Möglichkeit, die derzeitigen Härten und Ungerechtigkeiten zu beseitigen, besteht darin, daß wir den Krieg
gewinnen und daß wir alsdann in die Lage kommen, alle deutschen Frauen und Mädchen aus allen Berufen, die wir
dann als unfraulich und für unsere Frauen gesundheitsschädlich, die Geburtenzahl unseres Volkes gefährdend, das
Familien- und Volksleben schädigend, betrachten müssen, herausnehmen.
Es gilt weiter zu überlegen, daß es eben ein ungeheurer Unterschied ist, ob eine Frau oder ein Mädchen schon
frühzeitig an bestimmte Arbeiten in der Fabrik oder in der Landwirtschaft gewöhnt war und ob sie diese Arbeiten
auch schon durchgehalten hat oder nicht.
Neben körperlichen Schädigungen müssen aber deutsche Frauen und Mädchen auch vor Schädigungen ihres
- Seite 12 Seelen- und Gemütslebens nach dem Willen des Führers unter allen Umständen bewahrt bleiben. Insbesondere bei
Massenverpflichtungen und -einsätzen könnte diese Bedingung des Führers wohl kaum erfüllt werden. Hier ist die
deutsche Frau nicht ohne weiteres mit dem deutschen Soldaten vergleichbar. Hier ergeben sich innere Unterschiede
zwischen Mann und Frau, die natur- und rassebedingt sind.
Im Hinblick auf unzählige Männer unseres Volkes, die als tapfere Soldaten an der Front stehen, und insbesondere auf
die Gefallenen könnte eine solche Schädigung unseres gesamten Volkslebens durch hier drohende Gefahren auf dem
Gebiet des Fraueneinsatzes nicht verantwortet werden.
Alle die vielen Millionen Frauen aber, die treu und fleißig innerhalb der deutschen Volkswirtschaft und besonders
jetzt im Kriege eine wertvolle Arbeit leisten, verdienen die beste Fürsorge und Betreuung, die überhaupt denkbar ist.
Ihnen gebührt ebenso wie unseren Soldaten und Arbeitern der größte Dank unserer Nation. Sie müssen durch die
Arbeitsämter und Behörden bestens behandelt und ihre wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belange möglichst
großzügig berücksichtigt werden. Darauf legen sowohl der Führer als auch der Herr Reichsmarschall des
Großdeutschen Reiches den größten Wert. Es wäre vollkommen falsch, Frauen, d. z.B. einer Niederkunft
entgegensehen, mit Strafen oder gar dem Gericht zu drohen - wie es leider schon geschehen ist -, wenn sie aus
Beschwerden hieraus vor der üblichen Schonungsperiode einmal der Arbeit fernbleiben müssen. Trotzdem muß und
wird es möglich sein, die unentbehrliche Arbeitsdisziplin aufrecht zu erhalten.
7. Eine letzte, aber nicht unerhebliche Reserve ergibt sich aus der Möglichkeit der persönlichen
- Seite 13 -
Leistungssteigerung eines jeden deutschen Arbeiters. Es wird die vornehmste Aufgabe der Partei und der Deutschen
Arbeitsfront mit sein, diese Leistungssteigerung zu erreichen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der deutsche
Arbeiter der Stirn und der Faust, wo er nur immer schaffen mag, unter den schwierigen Verhältnissen unserer
heutigen Ernährung sich trotzdem dazu emporreißen wird.
Darin wird am überwältigendsten der Dank der deutschen Arbeiter in der Heimat gegenüber dem Soldaten an der
Front zum Ausdruck kommen können, der in diesem harten Winter die allergrößten Strapazen und die furchtbarsten
Entbehrungen und Härten auf sich genommen hat und über den Gegner deshalb siegreich geblieben ist.
In diesem Zusammenhang bleibt es auch dem Zusammenwirken von Partei, Staat und Wirtschaft vorbehalten, dafür
zu sorgen, daß die gesundheitliche Betreuung in den Betrieben und das verständnisvolle Zusammenwirken von
Krankenkassen und Vertrauensärzten es ermöglicht, den Krankheitsstand um 1 % zu verbessern. Es ist dies im Gau
Thüringen möglich gewesen. Für das ganze Reich würde eine solche allgemeine Verbesserung des Krankheitsstandes
200 000 neue Arbeitskräfte bedeuten.
Gegen das Bummelanten-Unwesen muß an und für sich mit scharfen Mitteln eingeschritten werden, denn es kann
nicht geduldet werden, daß sich Faulenzer auf Kosten der Anständigen und Fleißigen ihren Pflichten in diesem
Schicksalskampf unseres Volkes entziehen.
Unter Punkt B, 1 - 7, habe ich versucht, die äußere Lösung der Aufgabe des deutschen Arbeitseinsatzes gemäß der
derzeitigen Kriegslage festzulegen.
- Seite 14 Es ist selbstverständlich, daß die in diesen Punkten aufgezeigten Möglichkeiten alle vollkommen ausgeschöpft
werden. Der Verzicht auf eine generelle Dienstverpflichtung aller Frauen und Mädchen bedeutet daher keinesfalls,
daß ich überhaupt davon absehe, Frauen und Mädchen, die sich für einen geeigneten Einsatz zur Verfügung zu stellen
in der Lage sind, überall dort einzusetzen, wo sie, ohne daß es gegen die Grundsätze des Führers verstößt, zum
Nutzen unserer Kriegswirtschaft eingesetzt werden können. Es wird dies in engster Zusammenarbeit mit den hierfür
in Frage kommenden Dienststellen der Partei, des Staates, der Wehrmacht und der Wirtschaft gestehen.
Das in Punkt 1 - 7 festgelegte Arbeitseinsatzprogramm bedeutet wohl den gewaltigsten Arbeitseinsatz, der je in einem
Volk und überhaupt in der Geschichte durchgeführt worden ist.
Gerade Adolf Hitler aber hat durch die Idee des Nationalsozialismus uns offenbart, daß im Völkerleben die Zahl nicht
das Entscheidende ist. Neben die ungeheure Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte tritt deren Leistungsvermögen. Dieses
Leistungsvermögen ist wiederum abhängig nicht allein von den Kalorien, die ich in Form von Nahrung ihnen zur
Verfügung stelle, sondern auch von der inneren Verfassung, dem Willen als auch dem Gemüts- und Seelenleben der
eingesetzten Menschen.
Zu den gewaltigen organisatorischen Fragen, die beim Arbeitseinsatz in diesem Kriege gelöst werden müssen,
kommen daher ferner die Fragen der Ernährung, der Unterbringung, der Aufklärung, Propaganda und auch der
seelischen Betreuung.
Die Betreuung der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen.
Für keinen deutschen Menschen und Nationalsozialisten darf ein Zweifel darüber bestehen, daß der schaf- Seite 15 fende deutsche Mensch, wenn er politisch richtig geführt und weltanschaulich betreut wird, in seiner
Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit, in seiner Bereitschaft die größten Anstrengungen auf sich zu nehmen, in seinem
Können und in seiner Leistung turmhoch über allen anderen Arbeitern dieser Erde steht.
Die Gauleiter Adolf Hitlers bieten in den ihnen anvertrauten deutschen Gauen der NSDAP. dafür die Gewähr, daß sie
mit Hilfe aller Einrichtungen und Organisationen der Partei in dem jetzt entscheidenden Stadium des Krieges dem
deutschen schaffenden Menschen die größte politische und weltanschauliche Fürsorge angedeihen lassen, die es je in
der Arbeitsgeschichte der Menschheit und in Kriegszeiten gegeben hat.
Als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz habe ich die Gewißheit, daß in dieser Hinsicht durch die Partei
außerhalb und innerhalb der Betriebe, durch den Einsatz aller Propaganda- und Aufklärungsmittel, durch die
Versammlungswellen und durch die Betriebsappelle alles geschehen wird, um die Haltung und Stimmung der
deutschen Arbeiterschaft auf der Höhe zu halten, wie sie allein in dieser schicksalsentscheidenden Zeit der Würde der
Heimat gegenüber der Front entspricht, und aber auch die alleinige Voraussetzung dafür ist, daß die gigantische
Aufgabe gelöst und der Krieg gewonnen werden kann. Es wird meine ständige Sorge sein, daß die
Arbeitseinsatzbehörden ebenso wie alle Betriebsführer die Partei und vor allem die Deutsche Arbeitsfront, der hier
eine entscheidende und große Aufgabe zukommt, in jeder Weise unterstützen.
Auch wenn die Arbeiter und die Arbeiterinnen in den Rüstungsbetrieben im Heimatort angesetzt sind und in der
eigenen Wohnung bei der Familie schlafen und essen können, müssen sie auf das sorgfältigste betreut werden. Ich
nenne nur: Sicherung der Kohlen- und Kartoffelversorgung, Berücksichtigung der Anmarsch- und Anfahrtswege.
- Seite 18 Mangel an Frühgemüse und sonstige Beschwernisse der Kriegszeit, die an den Nerven und an der Gesundheit unserer
Menschen zehren, müssen dadurch ausgeglichen werden, daß alle anständigen Männer und Frauen desto mehr Kraft
aus der Verwirklichung der nationalsozialistischen Grundsätze der Volksgemeinschaft, der sozialen Gerechtigkeit und
der Notwendigkeit des gemeinsamen Durchhaltens, des Glaubens und des Vertrauens auf den Führer zu schöpfen
vermögen.
Viel schwerer aber wird diese Aufgabe, wenn es sich um die Betreuung von jenen Millionen Arbeitern und
Arbeiterinnen handelt, die fern von ihrem Heimatort dienstverpflichtet ungewohnte Arbeiten verrichten müssen. Es ist
dies kriegsnotwendig.
Ein solcher Einsatz kann weder eingeschränkt, noch können ihm die ihm anhaftenden Härten genommen werden.
Hier gilt es, alles zu tun, um diesen Volksgenossen und Volksgenossinnen ihr Leben nach Möglichkeit zu
verschönern und den Einsatz zu erleichtern. Alle diese deutschen Menschen muß man unterstützen, daß sie, soweit
möglich, in anständigen möblierten Zimmern unter ebenso anständigen Bedingungen untergebracht werden, daß sie in
ihrer Freizeit durch die Partei und durch die Arbeitsfront Anschluß finden, daß sie ihre Marken und dergleichen
rechtzeitig erhalten.
Hier wird insbesondere die Aktion "Höflichkeit" des Reichsleiters Pg. Dr. Goebbels für alle Arbeitsämter, für alle
Wirtschafts- und Ernährungsämter aufs höchste verpflichtend sein.
Dort, wo deutsche schaffende Menschen, Männer oder Frauen, in Lagern untergebracht werden, müssen diese Lager
vollendete Beispiele deutscher Sauberkeit, Ordnung und Gesundheitspflege darstellen. Die deutschen Betriebe und
die deutsche Wirtschaft darf hier kein Opfer scheuen, um allen auf Grund
- Seite 17 von Dienstverpflichtungen in Lagern unterzubringenden Volksgenossen und Volksgenossinnen das Leben fern vom
eigenen Heim und der Familie erträglich zu machen. So wie in der deutschen Wehrmacht der deutsche Soldat in
seiner Kompanie eine vollkommene Ordnung sowohl für seine äußeren Bedürfnisse als auch für seinen Charakter als
deutscher Soldat in einer Weise garantiert erhält, die ihn in seinem Soldatentum über die Soldaten aller anderen
Völker hinaushebt, so muß dies auch in zweckentsprechend übertragener Form beim Arbeitseinsatz für den
schaffenden deutschen Menschen möglich sein
Die Betreuung des schaffenden deutschen Menschen im Rüstungs- und Kriegswirtschaftsbetrieb und in den Lagern
soll daher grundsätzlich von der Deutschen Arbeitsfront im vollendetsten Maße wahrgenommen werden.
Bei größeren Einsätzen von Frauen und Mädchen außerhalb ihrer Heimatorte und Familien muß grundsätzlich nach
dem Vorbild des weiblichen Arbeitsdienstes für Unterbringung und Betreuung verfahren werden.
Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter
Die restlose Beschäftigung aller Kriegsgefangenen sowie die Hereinnahme einer Riesenzahl neuer ausländischer
Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen ist zur undiskutierbaren Notwendigkeit für die Lösung der Aufgaben des
Arbeitseinsatzes in diesem Kriege geworden.
Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem
Einsatz die größtmöglichste Leistung hervorbringen.
Es ist für uns Deutsche von jeher selbstverständlich, daß wir gegenüber dem besiegten Feind, selbst wenn er unser
grausamster und unversöhnlichster Gegner gewesen ist, uns jeder Grausamkeit und jeder kleinlichen Schikane
enthalten, ihn korrekt und menschlich behandeln, auch dann, wenn wir eine nützliche Leistung von ihm erwarten.
- Seite 18 Solange die deutsche Rüstungswirtschaft es nicht unbedingt erforderlich machte, war unter allen Umständen auf die
Hereinnahme sowohl von sowjetischen Kriegsgefangenen, als auch von Zivilarbeitern und -arbeiterinnen aus den
Sowjetgebieten zu verzichten. Allein, dies ist jetzt nicht mehr möglich. Die Arbeitskraft dieser Leute muß in größtem
Maße ausgenutzt werden.
Ich habe daher als meine ersten Maßnahmen die Ernährung, Unterbringung und Behandlung dieser eingesetzten
fremden Menschen mit den zuständigen Obersten Reichsbehörden und im Einverständnis mit dem Führer und dem
Herrn Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches so geregelt, daß auch von ihnen eine optimale Arbeitsleistung
verlangt werden kann und auch herausgeholt werden wird.
Ich bitte, dabei zu bedenken, daß auch eine Maschine nur das zu leisten vermag, was ich ihr an Treibstoff, Schmieröl
und Pflege zur Verfügung stelle. Wieviel Voraussetzungen mehr aber muß ich beim Menschen, auch wenn er
primitiver Art und Rasse ist, gegenüber einer Maschine berücksichtigen.
Ich könnte es gegenüber dem deutschen Volke nicht verantworten, nach Deutschland eine ungeheure Anzahl solcher
Menschen hereinzubringen, wenn diese anstatt einer sehr notwendigen und nützlichen Leistung eines Tages wegen
Fehlern in der Ernährung, Unterbringung und Behandlung das deutsche Volk auf das schwerste belasten oder gar
gesundheitlich gefährden würden.
Auch für die Russenlager müssen daher auf das allersorgfältigste die Grundsätze deutscher Sauberkeit, Ordnung und
Hygiene Geltung haben.
Nur so wird es möglich sein, ohne alle falsche Sentimentalität auch aus diesem Einsatz den höchsten Nutzen für die
Rüstung der kämpfenden Front und für die Kriegsernährungswirtschaft zu gewährleisten.
- Selte 19 Die notwendigen Anweisungen für Ernährung, Unterbringung und Behandlung der Leute aus dem Osten sind an die
zuständigen Behörden der Polizei, Kriegswirtschafts- und Ernährungsämter ergangen; darüber hinaus ergeht hiermit
meine Bitte an die Gaue der NSDAP., mich auch auf diesem Gebiet weitgehendst darin zu unterstützen, daß alles
vermieden wird, wodurch dem deutschen Volk aus diesem Einsatz ein Schaden entstehen könnte.
Die in Deutschland arbeitenden Angehörigen von Völkern artverwandten Blutes und von verbündeten und
befreundeten Völkern sollen ganz besonders sorgfältig behandelt und betreut werden.
Es ist alles zu vermeiden, was über die kriegsbedingten Einschränkungen und Härten hinaus fremden Arbeitern und
Arbeiterinnen den Aufenthalt und die Arbeit in Deutschland erschweren oder gar unnötig verleiden könnte. Wir sind
in starkem Maße auf ihren guten Willen und ihre Arbeitskraft angewiesen.
Es entspricht daher dem Gebot der Vernunft, ihnen Aufenthalt und Arbeit in Deutschland, ohne uns selbst etwas zu
vergeben, so erträglich wie möglich zu machen.
Dies ist z.B. dadurch zu verwirklichen, daß man ihnen hinsichtlich ihrer nationalen oder volkstumsmäßigen
Gewohnheiten in der Ernährung, Unterbringung, Ausgestaltung ihres Feierabends usw., soweit es die Verhältnisse
unter Berücksichtigung der Lage unseres eigenen Volkes zulassen, entgegenkommt.
Es ist durchaus möglich, daß wenn die Arbeitseinsatzbehörden, die Allgemeine und Innere Verwaltung, Partei und
Arbeitsfront beim Einsatz fremder Arbeiter und Arbeiterinnen verständnisvoll und eng zusammenarbeiten, außer dem
gewaltigen Nutzen, den dieser Masseneinsatz von Millionen von Kriegsgefangenen und fremden Zivilarbeitern und arbeiterinnen für die deutsche Kriegsindustrie und Ernährungswirtschaft einbringt, ein ebenso
- Seite 20 großer Vorteil für die Propaganda für das nationalsozialistische Großdeutsche Reich und für sein Ansehen in der Welt
erwachsen kann.
Umgekehrt kann selbstverständlich, ist die Zusammenarbeit aller Kräfte nicht gewährleistet und werden alle diese
Probleme nicht von allen Instanzen auf das peinlichste geklärt, für unsere Kriegswirtschaft der größte Schaden
entstehen.
Ich bitte daher zum Schluß, folgende Grundsätze genau beachten zu wollen:
l.) Alle technischen und verwaltungsmäßigen Vorgänge des Arbeitseinsatzes obliegen ausschließlich der
Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, den Landesarbeitsämtern
und den Arbeitsämtern.
2.) Alle Fragen und Aufgaben der Propaganda, der Aufklärung, der Beobachtung der politischen Auswirkungen, der
Betreuung obliegen der Zuständigkeit
a) außerhalb der Betriebe der Partei,
b) innerhalb aller gewerblichen Betriebe der Deutschen Arbeitsfront,
der landwirtschaftlichen Betriebe dem Amt für Agrarpolitik.
3.) Die Versorgung mit Lebensmittelmarken, Kleiderkarten, der finanziellen Ausgleichs- und Unterstützungszahlung
sind ausschließlich Aufgaben der hierfür zuständigen Behörden oder Institutionen der Wirtschaft.
Die Gauleiter der NSDAP. als meine Bevollmächtigten bitte ich, zwischen diesen Stellen einen reibungslosen
Geschäftsgang, das denkbar beste gegenseitige Einvernehmen und die lückenlose gegenseitige Information zu
gewährleisten.
4.) Die Lösung der Aufgaben für den Kriegseinsatz ist von so kriegsentscheidender Bedeutung, daß auch auf
wichtigste orts- oder gebietsbedingte Interessen und
- Seite 21 auf hervorragendste Friedensaufgaben keine Rücksicht genommen werden kann. Wer dagegen verstoßen würde,
müßte die Verantwortung dafür übernehmen, wenn deutschen Soldaten beim Kampf um die Entscheidung des
Lebensschicksals unseres Volkes es an Waffen oder Munition, an synthetischem Benzin oder Gummi, an Fahrzeugen
oder Flugzeugen fehlen sollte.
Ich möchte daher alle deutschen Männer und Frauen, die beim Arbeitseinsatz im Kriege entscheidend mitzuwirken
haben, aufs herzlichste aber auch auf das nachdrücklichste verpflichten, allen diesen Notwendigkeiten,
Entscheidungen und Maßnahmen Rechnung zu tragen, und zwar nach dem alten nationalsozialistischen Grundsatz :
Nichts für uns, alles für den Führer und sein Werk, d.h. für die Zukunft unseres Volkes !
Fritz Sauckel.
C) Entwurf einer Rede Krupps
DOKUMENT 317-D
ENTWURF EINER REDE KRUPPS, "GEDANKEN ÜBER DEN GROSSINDUSTRIELLEN UNTERNEHMER",
DIE ER ENDE 1943 ODER JANUAR 1944 VOR DER DEUTSCHEN AKADEMIE HALTEN WOLLTE; U. A.
LOB DER RÜSTUNGSINDUSTRIE; HINWEIS AUF DIE VERSCHWIEGENE TÄTIGKEIT DEUTSCHER
UNTERNEHMER IN DEN JAHREN 1919 BIS 1933, UM ZU GEGEBENER STUNDE WIEDER FÜR DIE
RÜSTUNG BEREIT ZU STEHEN; BEGEISTERTE DANKBARKEIT GEGEN HITLER FÜR DIE BESTELLUNG
DES UNTERNEHMERS ZUM FÜHRER SEINER GEFOLGSCHAFT SEIT 1933 (BEWEISSTÜCK US-770)
BESCHREIBUNG:
Verv (Offsetdruck), 20 Seiten", nur teilw wdgb l auf der ersten Seite über Üb:
"Dieser Vortrag des Herrn Dr. Krupp von Bohlen und Halbach s o 11 t e in der Universität - Berlin gehalten werden,
kam aber nicht zustande."; unter der Üb: ,,(Original im persönlichen Verwahr von Herrn K.B.H.)"; l davon am Rd: "l
Ex. an Dr. Fuss, 1 Ex. an Dr. Winschuh. 14/I.44 Kraft." (alles Ti)
- Seite 11 .......
Ich sehe also nicht ein - dieser Gedanke spukt noch gelegentlich in einigen Köpfen -, wieso die Fabrikation von
Kriegsmaterial ein finsteres Gewerbe sein soll! Nein: Kriegsmaterial ist lebensparend für das eigene Volk, und s t o1 z
darf sein, wer auch immer in dieser Sphäre werkt und wirkt; das Unternehmertum zumal findet hier seine höchste
Bewährung. Diese Bewährung - ich darf das hier einflechten - erhärtete sich besonders auch in jener Zeit des
"Interregnums", in den Jahren zwischen 1919 und 1933, als Deutschland entwaffnet darniederlag. Ich habe es schon
oft mündlich und schriftlich wiederholt und möchte auch heute in diesem Kreise daran erinnern, daß nach den
Bestimmungen des Versailler Diktates allein auf der Kruppschen Fabrik Maschinen und Geräte aller Art in größtem
Umfange vernichtet und zerstört werden mußten. Es ist ein einmaliges Verdienst der gesamten deutschen
Wehrwirtschaft, daß sie in diesen bösen Jahren nicht untätig gewesen ist, mochte ihre Wirksamkeit auch aus
erklärlichen Gründen dem Lichte der Öffentlichkeit entzogen sein. In jahrelanger stiller Arbeit wurden die
wissenschaftlichen und sachlichen Voraussetzungen geschaffen, um zu gegebener Stunde ohne Zeit- und
Erfahrungsverlust wieder zur Arbeit für des Reiches Wehrmacht bereitzustehen. Das bedingte
- Seite 12 -
Vielerlei und Mancherlei, das verlangte auch die Aufnahme ganz bestimmter Fabrikationen, die die Fertigkeiten der
alten Konstrukteure und Rüstungsarbeiter aufrechtzuerhalten geeignet waren, diesen ungeheuren Fundus an Wissen
und Erfahrung; das erforderte weiterhin die Einrichtung und Unterhaltung wissenschaftlicher Laboratorien und
Versuchsanstalten usw. usw. So wie damals ein 100 000-Mann-Heer die Tradition der alten ruhmreichen Armee
wahrte, so gab es, bildlich gesprochen, auch ein 100 000-Mann-Heer der Wirtschaft, das die Überlieferung der
Rüstungsindustrie aufrechterhielt. Die Umstände lagen umso schwieriger, als ja die durch den militärischen
Zusammenbruch gebotene Umstellung der alten Rüstungsbetriebe auf Friedensproduktion in politisch so verworrener
Zeit schon an und für sich Sorgen über Sorgen bereitete. Es kam beispielsweise darauf an, die Kruppwerke zu einem
lebens- und wettbewerbsfähigen Gebilde auszubauen, sie aber gleichzeitig auch als Wehrbetrieb für kommende
Zeiten bereit zu halten. Nur durch diese verschwiegene Tätigkeit deutschen Unternehmertums, aber auch auf Grund
der mit dem Friedensmaterial inzwischen gewonnenen Erfahrungen, konnte nach 1933 unmittelbar der Anschluß an
die neuen Aufgaben der Wiederwehrhaftmachung erreicht, konnten dann auch die ganz neuen vielfältigen Probleme
gemeistert werden, die durch die Vierjahrespläne des Führers für die deutsche Unternehmerschaft aufgeworfen
wurden. Da galt es, neue Rohstoffe zu erschliessen, zu forschen und zu experimentieren, Kapitalien zu investieren,
um die deutsche Wirtschaft unabhängig und stark, kurz gesagt: kriegsstark zu machen. Und das darf ich auf Grund
vielfacher Äusserungen von Aussenstehenden, die von hoher Warte aus die
- Seite 13 Gesamtlage zu übersehen vermögen, wohl hier sagen, wiederum bewährte sich hier deutsches Unternehmertum, das
die neuen Probleme mit jenem Schwung, jener - ich möchte sagen: Begeisterung aufgriff und bewältigte, mit der es je
und je an geschichtliche Aufgaben herangetreten war.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eines aufmerksam machen, was wohl bisher noch kaum in weiteren
Kreisen Beachtung gefunden hat: das ist die Tatsache, daß der äussere Erfolg des Vierjahresplans, die Schaffung
neuer Rohstoffe zum Austausch knapp gewordener, die anfänglich nur still und bescheiden erhoffte weitere
Folgewirkung gezeigt hat, daß nunmehr nicht nur die altbekannten Stoffe in ihrem bisherigen Verbrauchsbereich voll
ersetzt wurden, sondern daß diese neuen Rohstoffe vielfach weit über das Ziel eines Ersatzes hinaus für neue
Verwendungszwecke, fast möchte ich sagen, ganz nach Wunsch geformt werden konnten. Das trifft auf den
künstlichen Gummi, auf synthetischen Brennstoff und mancherlei dergleichen zu und eröffnet für die Zukunft noch
weitere heute noch unübersehbare Aussichten.
Solche historischen Aufgaben größten Umfangs und größter Bedeutung hatte der deutsche Unternehmer nach 1933
aber nicht nur in organisatorischer, technischer und kaufmännischer Beziehung übernommen. Die
nationalsozialistische Umwälzung stellte kaum einen anderen Berufsstand vor eine so vielfach neue, mitunter
glückhaft bestürzend neue Lage, wie den Unternehmer. Er wurde nun der F ü h r e r seiner Gefolgschaft.
- Seite 14 Es wäre natürlich höchst ungerecht zu behaupten, vor 1933 hätten die Unternehmer keinen Sinn gehabt auch für diese
Seite ihres Berufes, die Menschenführung und -Betreuung - wie hätten sie denn sonst auch überhaupt wirtschaftliche
Erfolge auf die Dauer erzielen können? Ist es doch gerade der Stolz vieler grosser Unternehmungen, daß sie auf eine
reiche und alte sozialpolitische Tradition zurückblicken können. Aber man hat es weiß Gott doch manches Mal vor
1933 dem Unternehmer recht schwer gemacht, sich als tief innerlich verantwortlich bewußten Leiter seines Betriebs
zu zeigen und zu geben. Diese seit 1933 geradezu mit elementarer Plötzlichkeit eingetretene Wandlung in der
Auffassung über die innerlich begründete Gemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - ich benutze hier
noch einmal bewußt diese alte Formel - ist nur dem einzigartigen Genie des Führers und seiner revolutionären
Bewegung zu danken, des Führers, der durch die Wucht seiner Persönlichkeit und seiner Lehre die Gesamtheit des
deutschen Volkes für die von ihm vertretenen Ideen, für die nationalsozialistische Weltanschauung gewann. Es ist
klar, daß durch sie, daß durch die gesetzliche Bestellung des Unternehmers zum Gefolgschaftsführer, diesem ein viel
breiteres und schöneres wirklich vollen Erfolg verheißenderes Wirkungsfeld, gerade auch nach der menschlichen
Seite hin, abgesteckt wurde als bisher, und ich darf wohl feststellen, daß die deutschen Unternehmer aus vollem
Herzen die neuen Wege gingen, daß sie in edlem Wettstreit und in bewußter Dankbarkeit sich die grossen Intentionen
des Führers zu eigen machten und seine treuen
- Seite 15 Gefolgsmänner wurden. Wie hätten auch anders die Aufgaben zwischen 1933 und 1939 und erst recht die nach 1939
bewältigt werden können?! Nicht unter Zwang, sondern nur aus gutem Willen - ja mehr: nur aus Hingabe und
Begeisterung konnten und können Aufgaben so weltgeschichtlichen Umfangs erfüllt werden. Fragen Sie einmal
unsere Arbeiter, ob sie es nicht verspürt haben: wie ihre Gefolgschaftsführer sich ehrlich um sie und ihr Wohlergehen
bemüht haben, wie man sie betreute in ihren grossen und kleinen, ihren betrieblichen und häuslichen Sorgen, wie ihre
Welt heller und schöner wurde, wie die Betriebs- und Volksgemeinschaft auch in den Werkstätten und Siedlungen
wuchs! Der deutsche Unternehmer darf mit Stolz auch auf diese Arbeit zurückschauen.
.............
D) Schuldsprüche im Wortlaut
Keitel
Keitel ist nach allen 4 Punkten angeklagt. Von 1935 bis zum 4. Februar 1938 war er Stabschef des damaligen
Kriegsministers von Blomberg; am genannten Tage übernahm Hitler den Oberbefehl über die Wehrmacht und
ernannte Keitel zum Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Keitel besaß jedoch keine Befehlsgewalt über die
drei Wehrmachtsteile, diese waren dem Obersten Befehlshaber direkt unterstellt. Das OKW war in Wirklichkeit
militärischer Stab.
Verbrechen gegen den Frieden
Keitel und zwei andere Generale nahmen an der Besprechung mit Schuschnigg im Februar 1938 teil. Er gab zu, daß
ihre Anwesenheit eine "militärische Demonstration” darstellte; da er aber erst gerade eine Woche vorher zum Chef
des OKW ernannt worden war, hätte er nicht gewußt, warum er zur Unterredung zugezogen worden sei. Hitler und
Keitel fuhren daraufhin fort, einen Druck auf Österreich auszuüben und zwar durch falsche Gerüchte,
Rundfunksendungen und Truppenübungen. Keitel sorgte für die militärischen und anderen Maßnahmen; Jodl
vermerkte hierzu in seinem Tagebuch: "Die Wirkung ist schnell und stark.” Als Schuschnigg zur Volksabstimmung
aufrief, erstattete Keitel in jener Nacht Hitler und seinen Generalen Bericht, und Hitler gab den von Keitel
abgezeichneten Befehl für den "Fall Otto” heraus.
Am 21. April 1938 erwogen Hitler und Keitel die Ausnutzung eines etwaigen "Zwischenfalles”, wie z.B. die
Ermordung des deutschen Gesandten in Prag, zur Einleitung des Angriffs auf die Tschechoslowakei. Keitel
unterzeichnete viele Anordnungen und Denkschriften über den "Fall Grün”, einschließlich der Anordnung vom 30.
Mai, Die Hitlers Erklärung enthielt: "Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in naher Zukunft
durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.” - Nach München zeichnete Keitel Hitlers Befehl zum Angriff auf die
Tschechoslowakei und gab zwei Ergänzungen dazu.
Die zweite Ergänzung besagte, daß der Angriff nach außen als "eine reine Befreiungsaktion und nicht als eine
kriegerische Unternehmung erscheinen solle”. Der Chef des OKW war bei den Unterhandlungen zwischen Hitler und
Hacha zugegen, die mit Hachas Unterwerfung endete.
Keitel war am 23. Mai 1939 dabei, als Hitler seinen Entschluß, "Polen bei der ersten geeigneten Gelegenheit
anzugreifen”, bekanntgab. Damals hatte er bereits die Weisung an die Wehrmacht unterzeichnet, die
Aufmarschtabelle für den "Fall Weiß” dem OKW bis zum 1. Mai zu unterbreiten.
Am 12. Dezember 1939 besprach er mit Hitler, Jodl und Raeder die Invasion Norwegens und Dänemarks. Durch
Befehl vom 27. Januar 1940 wurden die Pläne über Norwegen unter Keitels "unmittelbare und persönliche Leitung"
gestellt. Hitler hatte am 23. Mai 1939 erklärt, die Neutralität Belgiens und der Niederlande nicht zu achten; Keitel
unterzeichnete die Befehle für die entsprechenden Angriffe am 15. Oktober, 20. und 28. November 1939. Befehle, die
den Angriff 17 mal, bis zum Frühjahr 1940, verschoben, waren alle von Keitel oder von Jodl unterzeichnet.
Die greifbare Planung für einen Angriff auf Griechenland und Jugoslawien war im November 1940 begonnen
worden. Am 18. März 1941 war Keitel anwesend, als Hitler zu Raeder sagte, die vollständige Besetzung
Griechenlands sei Vorbedingung für eine militärische Endlösung, und ebenso hörte er am 27. März, wie Hitler die
Vernichtung Jugoslawiens "mit unbarmherziger Härte" befahl.
Keitel hat ausgesagt, daß er sich der Invasion der Sowjetunion aus militärischen Gründen, und auch weil dies eine
Verletzung des Nichtangriffspaktes darstellte, widersetzt hätte. Trotzdem signierte er den von Hitler am 18. Dezember
1940 unterzeichneten "Fall Barbarossa" und wohnte der Besprechung im OKW mit Hitler am 3. Februar 1941 bei.
Keitels Ergänzungen vom 13. März regelten das Verhältnis zwischen den militärischen und politischen Funktionären.
Am 6. Juni 1941 gab er seine Aufmarschtabelle für die Invasion heraus und war bei der Besprechung vom 14. Juni,
bei der die Generale ihre endgültigen Berichte vor dem Angriff erstatteten, anwesend. Er ernannte Jodl und
Warlimont zu Vertretern des OKW bei Rosenberg für alle Ostgebiete betreffenden Angelegenheiten. Am 16. Juni
befahl er allen Einheiten des Heeres, die von Göring in der sogenannten "Grünen Mappe" herausgegebenen
wirtschaftlichen Richtlinien für die Ausbeutung von russischen Gebieten, Nahrungsmitteln und Rohprodukten
durchzuführen.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Am 4. August 1942 erließ Keitel einen Befehl, daß Fallschirmspringer dem SD überantwortet werden sollten. Am 18.
Oktober erließ Hitler den in mehreren Fällen ausgeführten Kommandobefehl. Nach der alliierten Landung in der
Normandie bestätigte Keitel diesen Befehl und dehnte ihn späterhin auf die mit den Partisanen kämpfenden alliierten
Verbände aus. Er gibt zu, nicht an die Rechtmäßigkeit des Befehls geglaubt zu haben, behauptet jedoch, er hätte
Hitler von der Herausgabe nicht zurückhalten können.
Als das OKW am 8. September 1941 seine unbarmherzigen Richtlinien für sowjetische Kriegsgefangene erließ,
schrieb Canaris an Keitel, daß auf Grund des Völkerrechts der SD nichts damit zu tun haben dürfe. Auf dieser
Denkschrift findet sich - in Keitels Handschrift mit dem Datum des 23. September und von ihm signiert - folgende
Anmerkung: "Die Bedenken entspringen den soldatischen Auffassungen von ritterlichem Krieg. Hier handelt es sich
um die Vernichtung einer Weltanschauung. Deshalb billige ich die Maßnahme und decke sie." Keitel hat ausgesagt,
daß er in Wirklichkeit Canaris' Auffassung teilte, mit Hitler jedoch erfolglos gestritten habe. Der Chef des OKW
befahl den Militärbehörden, mit dem Einsatzstab Rosenberg zwecks Plünderung von Kulturgütern in den besetzten
Gebieten zusammenzuarbeiten.
Lahousen hat bekundet, Keitel habe ihm am 12. September 1939 in Hitlers Hauptquartier - Führerzug - erklärt, die
polnische Intelligenz, der polnische Adel und die Juden sollten ausgerottet werden. Am 20. Oktober sagte Hitler zu
Keitel, die polnische Intelligenz müsse daran gehindert werden, eine beherrschende Klasse zu bilden, der
Lebensstandard müsse niedrig bleiben und Polen könne nur als Quelle für Arbeitskräfte gebraucht werden. Keitel
erinnert sich nicht an dieses Gespräch mit Lahousen, gibt jedoch zu, daß eine solche Politik tatsächlich getrieben
worden sei und er habe in dieser Hinsicht ohne Erfolg bei Hitler protestiert.
Am 16. September 1941 befahl Keitel, um Überfällen auf Soldaten im Osten zu begegnen, daß für einen deutschen
Soldaten 50 bis 100 Kommunisten umzubringen seien, er fügte hinzu, im Osten gelte ein Menschenleben nichts. Am
1. Oktober befahl er den militärischen Kommandeuren, stets Geiseln in Bereitschaft zu halten, damit sie bei
Überfällen auf Soldaten hingerichtet werden könnten. Als Terboven, der Reichskommisar für Norwegen, an Hitler
schrieb, Keitels Vorschlag, die Angehörigen von Arbeitern für Sabotagehandlungen verantwortlich zu machen, könne
nur dann Erfolg haben, wenn Erschießungskommandos zugelassen würden, schrieb Keitel auf dieses Schreiben: " Ja,
das ist das beste."
Am 12. Mai 1941, fünf Wochen vor der Invasion der Sowjetunion, drängte das OKW bei Hitler darauf, einen Befehl
an das OKH zu geben, wonach politische Kommissare durch das Heer zu erledigen seien. Keitel gab zu, diesen Befehl
an die Befehlshaber im Felde weitergeleitet zu haben. Am 13. Mai unterzeichnete Keitel einen Befehl, daß
Zivilpersonen, welche Vergehen gegenüber der Truppe verdächtig seien, ohne Gerichtsverfahren erschossen werden
sollten, und eine Strafverfolgung deutscher Soldaten wegen gegen Zivilisten begangener Vergehen unnötig sei. Am
27. Juli wurden alle Exemplare dieser Anordnung auf Befehl vernichtet, ohne daß die Anordnung ihre Gültigkeit
verlor. Vier Tage zuvor hatte er einen Befehl unterzeichnet, eine gesetzliche Bestrafung sei unzulänglich und die
Truppe habe Terrormethoden anzuwenden.
Am 7. Dezember 1941 bestimmte - wie bereits in diesem Urteil besprochen - der sogenannte "Nacht- und NebelErlaß", der Keitels Unterschrift trug, daß in besetzten Gebieten gegen Zivilpersonen, die eines Verbrechens des
Widerstands gegen die Besatzungsmacht beschuldigt waren, nur dann verhandelt werden sollte, falls ein Todesurteil
zu erwarten sei; im anderen Falle sollten sie der Gestapo zur Verschickung nach Deutschland ausgeliefert werden.
Keitel hat angeordnet, russische Kriegsgefangene in der deutschen Kriegsindustrie einzusetzen. Am 8. September
1942 befahl er, daß französische, niederländische und belgische Staatsbürger beim Bau des Atlantikwalls zu arbeiten
hätten. Als Hitler am 4. Januar 1944 Sauckel befahl, aus den besetzten Gebieten 4 Millionen neue Arbeitskräfte
herauszupressen, war Keitel anwesend.
Angesichts dieser Urkunden leugnet Keitel seine Beziehungen zu diesen Handlungen nicht. Seine Verteidigung stützt
sich vielmehr auf die Tatsache, er sei Soldat, und auf den Grundsatz des "Befehls von oben", welcher aber auf Grund
von Artikel 8 des Statuts nicht als Entschuldigung zugelassen ist.
Mildernde Umstände liegen nicht vor. Befehle von oben, auch wenn einer Militärperson erteilt, können nicht als
mildernder Umstand betrachtet werden, wenn derart empörende und weitverbreitete Verbrechen bewußt, rücksichtslos
und ohne militärische Notwendigkeit oder Rechtfertigung begangen worden sind.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof findet Keitel nach allen 4 Anklagepunkten schuldig.
Streicher
Streicher ist unter Punkt 1 und 4 angeklagt. Als eines der frühesten Mitglieder trat er im Jahre 1921 der Nazi-Partei
bei und nahm am Münchner Putsch teil. Er war Gauleiter von Franken von 1925 bis 1940. 1933 wurde er in den
Reichstag gewählt; er hatte den Ehrenrang eines Generals der SA. Er war berüchtigt für seine Verfolgung der Juden.
Von 1923 bis 1945 war er der Herausgeber einer judenfeindlichen Wochenschrift " Der Stürmer", dessen Schriftleiter
er bis 1933 war.
Verbrechen gegen den Frieden
Streicher war ein unerschütterlicher Nazi und Anhänger Hitlers und seiner wesentlichen politischen Ziele. Es liegt
kein Beweis dafür vor, daß er je zum inneren Kreis der Ratgeber Hitlers gehört hat. Auch war er während seiner
Laufbahn nicht eng mit der Planung der Politik verbunden, die zum Krieg geführt hatte. Zum Beispiel war er niemals
bei einer der wichtigen Besprechungen zugegen, wenn Hitler seinen Führen seine Entschlüsse erklärte. Obwohl er
Gauleiter war, liegen keine Beweise dafür vor, daß er von diesen politischen Plänen Kenntnis hatte. Nach Ansicht des
Gerichtshofs wird die Verbindung mit der Verschwörung, so wie diese Verschwörung an einer anderen Stelle des
Urteils umrissen ist, oder mit dem gemeinsamen Plan zum Betreiben des Angriffskrieges, durch das Beweismaterial
nicht belegt.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Auf Grund der 25 Jahre des Redens, Schreibens und Predigens des Judenhasses war Streicher als "Judenhetzer
Nummer Eins" weithin bekannt. In seinen Woche um Woche, Monat um Monat erscheinenden Reden und Artikeln
verseuchte er die Gedankengänge der Deutschen mit dem Giftstoff des Antisemitismus, und hetzte das deutsche Volk
zur aktiven Verfolgung auf. Jede Ausgabe des Stürmers, der 1935 eine Auflage von 600 000 erreichte, war mit
solchen oft pornographischen und widerlichen Artikeln angefüllt.
Streicher war der Leiter des Judenboykotts vom 1. April 1933. Er befürwortete die Nürnberger Gesetze des Jahres
1935. Er war für die Zerstörung der Synagoge in Nürnberg am 10. August 1938 verantwortlich, und am 10.
November setzte er sich öffentlich für den Judenpogrom, der zu diesem Zeitpunkt stattfand, ein.
Jedoch nicht nur in Deutschland allein vertrat dieser Angeklagte seine Lehren. Schon 1938 begann er, die Ausrottung
der jüdischen Rasse zu fordern. 23 verschiedene Artikel aus Ausgaben des "Stürmers" aus den Jahren 1938 bis 1941,
die die Ausrottung "mit Stumpf und Stiel" predigen, sind als Beweismittel vorgelegt worden. Ein Leitartikel im
September 1938 war typisch für seine Lehren, in denen der Jude als Bazillus und Pest bezeichnet wird, und nicht als
menschliches Wesen, sondern als "ein Schmarotzer, ein Feind, ein Übeltäter, ein Krankheitsverbreiter, der im
Interesse der Menschheit vernichtet werden muß". Andere Artikel heben hervor, daß erst nach Vernichtung des
Weltjudentums das jüdische Problem als gelöst zu betrachten sei und sagten voraus, daß in 50 Jahren die Judengräber
"beweisen werden, daß endlich dieses Volk der Mörder und Verbrecher sein verdientes Schicksal erfahren hat". Im
Februar 1940 veröffentlichte Streicher einen Brief eines Lesers des "Stürmers", der Juden mit
Heuschreckenschwärmen verglich, die völlig ausgerottet werden müßten. Das war die Art, wie Streicher die
Gedankengänge Tausender von Deutschen vergiftete, und dies war der Anlaß dafür, daß die Deutschen der
nationalsozialistischen Politik der Verfolgung und Vernichtung der Juden Folge leisteten. Ein Leitartikel der Zeitung
"Stürmer" vom Mai 1939 beweist klar sein Ziel:
"Ein Strafgericht muß über die Juden in Rußland kommen, ein Strafgericht, das ihnen das gleiche Schicksal bereitet,
das jeder Mörder und Verbrecher erwarten muß: Todesstrafe und Hinrichtung. Die Juden in Rußland müssen getötet
werden. Sie müssen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden."
Als der Krieg in seinen erfolgreichen Anfangsphasen dem Reich immer mehr und mehr Gebiete zuführte, verstärkte
Streicher noch seine Anstrengungen, das deutsche Volk zum Hass gegen die Juden aufzureizen. Die Akten enthalten
26 Artikel aus dem "Stürmer" aus der Zeit vom August 1941 bis September 1944; 12 von diesen sind von Streicher
selbst verfaßt und verlangen in unmißverständlichen Ausdrücken die Vernichtung und Ausrottung. Am 25. Dezember
1941 schrieb und veröffentlichte er folgendes:
"Wenn die Gefahr der Fortpflanzung dieses Fluches Gottes im jüdischen Blut endlich zu einem Ende kommen soll,
dann gibt es nur einen Weg: die Ausrottung dieses Volkes, dessen Vater der Teufel ist."
Und im Februar 1944 erklärte sein eigener Artikel:
"Wer immer tut, was ein Jude tut, ist ein Lump, ein Verbrecher. Und der, der ihm nachspricht oder ihm nachmachen
will, verdient das gleiche Schicksal, Vernichtung, Tod."
In Kenntnis der Ausrottung der Juden in den besetzten Ostgebieten fuhr der Angeklagte fort, seine Mordpropaganda
zu schreiben und zu veröffentlichen. In seiner Aussage in diesem Prozeß leugnete er aufs energischste jegliche
Kenntnis von den Massenhinrichtungen der Juden ab. Das Beweismaterial ergibt jedoch klar, daß er unausgesetzt
laufend Kenntnis von den Fortschritten der "Endlösung" erhielt. Sein Photograph wurde im Frühjahr 1943, dem
Zeitpunkt der Zerstörung des Warschauer Ghettos, zum Besuch der Ghettos nach Osten geschickt. Die jüdische
Zeitung "Israelitisches Wochenblatt", die Streicher erhielt und las, brachte in jeder ihrer Ausgaben Berichte über die
Greueltaten gegen die Juden im Osten und Angaben über die Zahl der Juden, die deportiert und getötet wurden. Zum
Beispiel berichteten die im Sommer und Herbst 1942 erschienenen Ausgaben über den Tod von 72 729 Juden in
Warschau, 17 542 in Lodz, 18 000 in Kroatien, 125 000 in Rumänien, 14 000 in Litauen, 85 000 in Jugoslawien, 700
000 in ganz Polen. Im November 1943 zitierte Streicher wörtlich einen Artikel aus dem "Israelitischen Wochenblatt",
in dem es hieß, daß die Juden tatsächlich aus Europa verschwunden seien, und bemerkte hierzu: "Das ist keine
jüdische Lüge". Im Dezember 1942 sagte Streicher mit Bezug auf einen Artikel in der Londoner "Times" über die die
Ausrottung bezweckenden Greueltaten, daß Hitler davor gewarnt hätte, daß der zweite Weltkrieg zur Vernichtung des
Judentums führen werde. Im Januar 1943 schrieb und veröffentlichte er einen Artikel, in dem es hieß, daß Hitlers
Prophezeiung nun in Erfüllung gegangen sei und daß das Judentum der Welt nun ausgerottet würde und daß es
herrlich sei, zu wissen, daß Hitler die Welt von ihren jüdischen Quälern befreie.
Angesichts der dem Gerichtshof vorliegenden Beweise ist es für Streicher nutzlos zu behaupten, daß die von ihm
begünstigte Lösung des jüdischen Problems strengstens auf die Kennzeichnung der Juden als Fremde und den Erlaß
einer Ausnahmegesetzgebung, wie die Nürnberger Gesetze, beschränkt gewesen sei, wenn möglich ergänzt durch die
im Wege internationaler Abkommen erreichte Schaffung eines jüdischen Staates irgendwo in der Welt, wohin alle
Juden auswandern sollten.
Streichers Aufreizung zum Mord und zur Ausrottung, die zu einem Zeitpunkt erging, als die Juden im Osten unter den
fürchterlichsten Bedingungen umgebracht wurden, stellt eine klare Verfolgung aus politischen und rassischen
Gründen in Verbindung mit solchen Kriegsverbrechen, wie sie im Statut festgelegt sind und ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit dar.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof stellt daher fest, daß Streicher unter Anklagepunkt 1 nicht schuldig, jedoch unter Punkt 4 schuldig ist.
Funk
Funk ist unter allen 4 Punkten angeklagt. Funk, der früher Wirtschaftsjournalist gewesen war, trat 1931 in die NaziPartei ein, und wurde bald darauf einer von Hitlers persönlichen Wirtschaftsberatern. Am 30. Januar 1933 wurde er
Pressechef der Reichsregierung, am 11. März 1933 Unterstaatssekretär im Propagandaministerium und bald darauf
eine führende Persönlichkeit in den verschiedenen Nazi-Organisationen, die zur Kontrolle der Presse, des Films, der
Musik und der Verlage benutzt wurden. Zu Beginn des Jahres 1938 übernahm er die Ämter des
Reichswirtschaftsministers und Generalbevollmächtigten für Kriegswirtschaft und im Januar 1939 das des
Reichsbankpräsidenten. In diesen drei Stellungen war er Schachts Nachfolger. Er wurde zum Mitglied des
Ministerrats für die Reichsverteidigung im August 1939 und im September 1943 zum Mitglied des zentralen
Planungsrates ernannt.
Verbrechen gegen den Frieden
Nachdem der Nazi-Plan, Angriffskriege zu führen, klar festgelegt worden war, wurde Funk auf dem Gebiete der
Wirtschaft aktiv. Einer seiner Vertreter wohnte in einer Sitzung am 14. Oktober 1938 bei. Auf dieser Sitzung kündigte
Göring eine ungeheure Rüstungssteigerung an und wies den Wirtschaftsminister an, die Ausfuhr zu steigern, um die
notwendigen Devisen zu erlangen. Am 28. Januar 1939 sandte einer der Untergebenen Funks an das OKW ein
Memorandum über die Verwendung von Kriegsgefangenen zum Ausgleich des Arbeitermangels, der im Falle einer
Mobilisierung entstehen würde. Am 30. Mai 1939 war der Unterstaatssekretär des Wirtschaftsministeriums bei einer
Sitzung anwesend, auf der genaue Pläne für die Finanzierung des Krieges entworfen wurden.
Funk schrieb am 25. August 1939 einen Brief an Hitler, in welchem er seine Dankbarkeit dafür zum Ausdruck
brachte, daß er an solch welterschütternden Ereignissen teilnehmen dürfe, und worin er berichtete, daß seine Pläne zur
"Kriegsfinanzierung", für die Lohn- und Preiskontrolle und für die Stärkung der Reichsbank fertiggestellt seien und
daß er unauffällig alle in Deutschland verfügbaren Devisenguthaben in Gold verwandelt habe. Nach Kriegsbeginn,
am 14. Oktober 1939, hielt er eine Rede, in welcher er feststellte, daß diejenigen deutschen Wirtschafts- und
Finanzbehörden, die dem Vierjahresplan unterstanden, schon über ein Jahr geheime wirtschaftliche Vorbereitungen
für den Krieg getroffen hätten.
Funk nahm an der dem Angriff auf die Sowjetunion vorausgehenden wirtschaftlichen Planung teil. Sein Stellvertreter
hielt täglich Besprechungen mit Rosenberg über die wirtschaftlichen Probleme ab, die sich aus der Besetzung
sowjetrussischen Gebietes ergeben würden. Funk selbst nahm an dem Plan des Druckens von Rubelscheinen in
Deutschland vor dem Angriff teil, die als Besatzungswährung in der Sowjetunion dienen sollten. Nach dem Angriff
hielt er eine Rede, in welcher er die Pläne darlegte, die er für die wirtschaftliche Ausnutzung der "riesigen Gebiete der
Sowjetunion" gemacht hatte, welche als Rohmaterialquellen für Europa dienen sollten.
Funk war keine der Hauptpersonen bei der Nazi-Planung des Angriffskrieges. Seine Tätigkeit im Wirtschaftsleben
unterstand Göring in dessen Eigenschaft als Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan. Er wirkte jedoch an den
wirtschaftlichen Vorbereitungen gewisser Angriffskriege mit, vor allem an jenen gegen Polen und die Sowjetunion.
Aber seine Schuld kann in ausreichender Weise unter Punkt 2 der Anklage dargetan werden.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
In seiner Eigenschaft als Unterstaatssekretär im Propagandaministerium und als zweiter Vorsitzender der
Reichskulturkammer spielte Funk eine Rolle in dem frühen Nazi-Programm der wirtschaftlichen Entrechtung der
Juden. Am 12. November 1938, nach den Novemberpogromen, war er bei einer Besprechung zugegen, die unter dem
Vorsitz Görings die Lösung der Judenfrage zu erörtern hatte, und er schlug eine Verordnung vor, welche alle Juden
aus dem gesamten Geschäftsleben entfernen sollte, eine Verordnung, die am gleichen Tag von Göring als
Bevollmächtigten des Vierjahresplanes erlassen wurde. Zwar hat Funk ausgesagt, daß er von den Ausbrüchen des 10.
November erschüttert gewesen sei. Aber am 15. November hat er eine Ansprache gehalten, in welcher er diese
Ausbrüche als eine "Gewaltige Explosion des Abscheus des deutschen Volkes über den verbrecherischen jüdischen
Anschlag auf das deutsche Volk" erklärte. Er behauptete, daß die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben
logisch ihrer Ausschaltung aus dem politischen Leben folge.
Im Jahre 1942 traf Funk mit Himmler ein Abkommen, auf Grund dessen die Reichsbank gewisses Geld, Juwelen und
Barmittel von der SS erhalten sollte, und gab seinen Untergebenen, die die Einzelheiten auszuarbeiten hatten,
Anweisung, keine unnötigen Fragen zu stellen. Als Ergebnis dieses Abkommens lieferte die SS an die Reichsbank die
persönliche Habe und Wertgegenstände, die den Opfern, welche in Konzentrationslagern umgebracht worden waren,
abgenommen ware, ab. Die Reichsbank behielt die Münzen und Banknoten zurück und schickte die Juwelen, Uhren
und persönlichen Gegenstände an die städtischen Pfandleihämter in Berlin. Das von Brillen stammende Gold, sowie
Goldzähne und Plomben wurden in den Gewölben der Reichsbank aufbewahrt. Funk hat den Einwand gemacht, daß
er nicht gewußt habe, daß die Reichsbank Gegenstände dieser Art erhalten habe. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß
er entweder wußte, welche Gegenstände eingingen, oder daß er bewußt seine Augen demgegenüber verschloß. Als
Wirtschaftsminister und Reichstagspräsident nahm Funk an der wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete
teil. Er war für die Beschlagnahme der Goldreserven der Tschechoslowakischen National-Bank und für die
Liquidierung der Jugoslawischen National-Bank verantwortlich. Sein Stellvertreter sandte am 6. Juni 1942 ein
Schreiben an das OKW mit der Bitte, Gelder des französischen Besatzungskosten-Fonds für Schwarz-Markt-Käufe
zur Verfügung zu stellen. Durch seine Anwesenheit bei einer Sitzung am 8. August 1942 ist bewiesen, daß er mit den
deutschen Besatzungsmethoden vertraut war; Göring wandte sich damals an eine Anzahl deutscher
Besatzungsbeamten, gab ihnen zu verstehen, welche Erzeugnisse aus ihren Gebieten benötigt würden und fügte hinzu:
"Es ist mir völlig gleichgültig, ob sie mir daraufhin sagen, daß ihre Leute hungern werden."
Im Herbst 1943 war Funk Mitglied des Ministerrats für Zentrale Planung, der über die Gesamtzahl der von der
deutschen Industrie benötigten Arbeiter entschied und von Sauckel verlangte, sie zu liefern, meist mittels Deportation
aus besetzten Gebieten. Funk schien sich nicht besonders für diesen Teil des Zwangsarbeiterprogramms zu
interessieren, und schickte meistens einen Stellvertreter zu diesen Besprechungen, oft den SS-General Ohlendorf, den
früheren Chef des SD innerhalb Deutschlands und früheren Befehlshaber der Einsatzgruppe D. Aber Funk war sich
doch der Tatsache bewußt, daß der Ministerrat, dessen Mitglied er war, die Einfuhr von Sklavenarbeitern verlangte
und dieselben verschiedenen seiner Kontrolle unterstehenden Industrien zuwies.
Als Präsident der Reichsbank war Funk auch mittelbar verantwortlich für die Verwendung von KZ-Arbeitern. Unter
seiner Führung hat die Reichsbank ein Bankkonto von 12 Millionen Reichsmark eröffnet für die SS, zur Erstellung
von Fabriken, die KZ-Arbeiter verwenden sollten. Trotz der Tatsache, daß Funk hohe Posten innehatte, war er doch
nie eine dominierende Figur in den verschiedenen Programmen, an denen er mitwirkte. Dies ist ein Milderungsgrund,
den der Gerichtshof in Erwägung zieht.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof erkennt, daß Funk nicht schuldig ist unter Anklagepunkt 1, daß er aber unter Punkten 2, 3 und 4
schuldig ist.
Schacht
Schacht ist angeklagt nach Punkt ,1 und Punkt 2 der Anklage. Schacht diente in den Jahren 1923 bis 1930 als
Währungskommissar und Präsident der Reichsbank; am 17. März 1933 wurde er von neuem zum Präsidenten der
Reichsbank ernannt, im August 1934 zum Wirtschaftsminister und im Mai 1935 zum Generalbevollmächtigten für die
Kriegswirtschaft. Im November 1937 trat er von diesen zwei Ämtern zurück und wurde zum Minister ohne
Geschäftsbereich gemacht. Am 16. März 1937 wurde er wiederum zum Reichsbankpräsidenten auf ein Jahr bestellt,
und am 9. März 1938 für einen Zeitraum von vier Jahren; er ist jedoch am 20. Januar 1939 entlassen worden. Als
Minister ohne Geschäftsbereich wurde er am 22. Januar 1943 entlassen.
Verbrechen gegen den Frieden
Schacht hat die Nazi-Partei, bevor sie am 30. Januar 1933 zur Macht gelangte, aktiv unterstützt und befürwortete die
Ernennung Hitlers zum Kanzler. Danach spielte er eine wichtige Rolle bei dem energisch durchgeführten
Aufrüstungsprogramm, das aufgestellt wurde, wobei er die Hilfsquellen der Reichsbank für die deutschen
Aufrüstungsanstrengungen weitestgehend einsetzte. Die Reichsbank, in ihrer traditionellen Eigenschaft als
Finanzvertretung der deutschen Regierung, legte langfristige Regierungsanleihen auf, deren Ertrag für die Aufrüstung
benutzt wurde. Er erfand ein System, bei dem fünfjährige Schuldverschreibungen, bekannt als MEFO-Wechsel, die
von der Reichsbank garantiert, aber in Wahrheit durch nichts weiter gedeckt waren, als deren Stellung als
Ausgabebank, und die dazu benutzt wurden, um vom kurzfristigen Geldmarkt große Summen für die Aufrüstung zu
erhalten. Als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft war er bei der Organisierung
der deutschen Wirtschaft für den Krieg tätig. Er entwarf ins einzelne gehende Pläne zur industriellen Mobilisierung
und für das Zusammenwirken der Wehrmacht mit der Industrie im Kriegsfalle. Er hat sich besonders mit der
Knappheit an Rohstoffen befaßt und leitete einen Plan zur Ansammlung von Vorräten ein, sowie ein System der
Devisenkontrolle, um zu verhüten, daß Deutschlands schwache Devisenlage den Erwerb von ausländischen für die
Aufrüstung benötigten Rohmaterialien verhindere. Am 3. Mai 1935 sandte er an Hitler eine Denkschrift des Inhaltes:
"Daß die Durchführung des Aufrüstungsprogrammes mit Schnelligkeit und in großem Umfange das Ziel der
deutschen Politik sei, dem alles andere untergeordnet werden sollte".
Im April 1936 begann Schacht, seinen Einfluß als Zentralfigur bei den deutschen Aufrüstungsanstrengungen zu
verlieren, nachdem Göring die Kontrolle der Rohstoffe und Devisen übertragen worden war. Göring befürwortete ein
stark erweitertes Programm zur Produktion von synthetischen Rohstoffen, dem sich Schacht mit der Begründung
widersetzte, daß die daraus erwachsende finanzielle Überspannung eine Inflation zur Folge haben könnte. Schachts
Einfluß verminderte sich weiter, als Göring am 16. Oktober 1936 zum Generalbevollmächtigten für den
Vierjahresplan ernannt wurde mit der Aufgabe, "die Gesamtwirtschaft innerhalb vier Jahren in einen Zustand der
Kriegsbereitschaft zu versetzen". Schacht hatte sich der Ankündigung dieses Planes und der Ernennung Görings zum
Leiter desselben widersetzt, und offensichtlich bedeutete Hitlers Vorgehen die Entscheidung, daß Schachts
Wirtschaftspolitik für die drastische Aufrüstungspolitik, die Hitler einschlagen wollte, zu konservativ war.
Nach Görings Ernennung wurden Schacht und Göring bald in eine Reihe von Auseinandersetzungen verwickelt.
Obgleich eine gewisse persönliche Gegnerschaft bei diesen Zwistigkeiten mit im Spiel war, so wich doch Schacht
auch in seiner Auffassung von gewissen, grundsätzlichen politischen Fragen von Göring ab. Aus finanziellen
Gründen befürwortete Schacht eine Ausdehnung des Aufrüstungsprogrammes und widersetzte sich einem großen Teil
der vorgeschlagenen Ausdehnung der Produktionsmöglichkeiten, besonders in Bezug auf synthetische Stoffe, weil sie
unwirtschaftlich seien und drängte auf eine drastische Einschränkung des Regierungskredites und eine zurückhaltende
Politik hinsichtlich der deutschen Devisenreserven. Als Folge dieser Auseinandersetzungen und eines bitteren
Streites, bei dem Hitler Schacht beschuldigte, daß er mit seinen finanziellen Methoden seine Pläne störe, nahm
Schacht am 5. September 1937 Urlaub vom Wirtschaftsministerium und trat am 16. November 1937 von seinem
Posten als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft zurück.
Als Reichsbankpräsident wurde Schacht noch in Streitigkeiten verwickelt. Während des Jahres 1938 fuhr die
Reichsbank fort, bei der Auflegung von langfristigen Regierungsanleihen zur Finanzierung der Aufrüstung als
Finanzvertretung der deutschen Regierung zu wirken. Aber am 31. März 1938 hörte Schacht auf, kurzfristige, von der
Reichsbank garantierte Wechsel für die Rüstungsaufgaben aufzulegen. In einem Versuch durch die Reichsbank, die
Kontrolle über die Finanzpolitik wieder zu gewinnen, verweigerte Schacht Ende 1938 die Gewährung eines vom
Reichsfinanzminister dringend geforderten Sonderkredites zur Bezahlung von Beamtengehältern, die aus den
vorhandenen Mitteln nicht gedeckt werden konnten. Am 2. Januar 1939 hatte Schacht eine Konferenz mit Hitler, in
der er ihn dringend bat, die Ausgaben für Rüstungen herabzusetzen. Am 7. Januar 1939 legte Schacht Hitler einen von
den Direktoren der Reichsbank unterzeichneten Bericht vor, der eine drastische Beschränkung der Rüstungsausgaben
und ein ausgeglichenes Budget als das einzige Mittel zur Verhütung einer Inflation forderte. Am 19 Januar entließ
Hitler Schacht als Präsidenten der Reichsbank und am 22. Januar 1943 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich
wegen seiner "ganzen Einstellung während des augenblicklichen Schicksalskampfes des deutschen Volkes". Am 23.
Juli 1944 wurde Schacht von der Gestapo verhaftet und bis zum Ende des Krieges in einem Konzentrationslager
eingesperrt.
Es ist klar, daß Schacht eine Zentralfigur bei Deutschlands Wiederaufrüstungsprogramm darstellte und die
Maßnahmen, die er ergriff, besonders in den ersten Tagen des Nazi-Regimes, waren für Nazi-Deutschlands schnellen
Aufstieg als Militärmacht verantwortlich.
Aber die Aufrüstung an sich ist nach dem Statut nicht verbrecherisch. Wenn sie ein Verbrechen gegen den Frieden
laut Artikel 6 des Statuts darstellen sollte, so müßte gezeigt werden, daß Schacht diese Aufrüstung als einen Teil des
Nazi-Plans zur Führung von Angriffskriegen durchführte.
Schacht hat behauptet, daß er nur deshalb an dem Aufrüstungsprogramm teilnahm, weil er ein starkes und
unabhängiges Deutschland aufbauen wollte, das eine Außenpolitik führen würde, die auf der Basis der
Gleichberechtigung mit anderen europäischen Ländern Achtung genießen würde; daß er, als er entdeckte, daß die
Nazis für Angriffszwecke aufrüsteten, versuchte, das Tempo der Aufrüstung herabzusetzen, und daß er nach der
Verabschiedung von von Fritsch und von Blomberg an Plänen zur Entfernung Hitlers, zuerst durch seine Absetzung
und später durch Ermordung, teilnahm.
Schon im Jahre 1936 begann Schacht eine Begrenzung des Aufrüstungsprogramms aus finanziellen Gründen zu
befürworten. Wenn die von ihm befürwortete Politik in die Tat umgesetzt worden wäre, so wäre Deutschland auf
einen allgemeinen europäischen Krieg nicht vorbereitet gewesen. Das beharren auf seiner Politik führte schließlich zu
seiner Entlassung aus allen Stellen von wirtschaftlicher Bedeutung in Deutschland. Auf der anderen Seite war Schacht
mit seiner gründlichen Kenntnis der deutschen Finanzen in einer besonders günstigen Lage, um die wahre Bedeutung
Hitlers wahnsinniger Aufrüstung zu verstehen, und um zu erkennen, daß die Wirtschaftspolitik, wie sie verfolgt
wurde, nur mit dem Krieg als Ziel vereinbar war.
Außerdem fuhr Schacht fort, am deutschen Wirtschaftsleben teilzunehmen und selbst, wenn auch in geringerem
Maße, an einigen der anfänglichen Nazi-Angriffe. Vor der Besetzung Österreichs legte er einen Wechselkurs für die
Mark und den Schilling fest. Nach der Besetzung Österreichs hat er die Einverleibung der österreichischen
Nationalbank in die Reichsbank durchgeführt und eine stark nazifreundliche Rede gehalten, in der er ausführte, daß
die Reichsbank, solange er mit ihr zusammenhänge, immer nazistisch sein würde, Hitler rühmte, die Besetzung
Österreichs verteidigte, die Einwände gegen die Art und Weise ihrer Durchführung verspottete und die dann mit
"unserem Führer ein dreifaches Sieg-Heil" endete. Er hat nicht behauptet, daß diese Rede seine damalige Meinung
nicht wiedergebe. Nach der Besetzung des Sudetenlandes hat er die Währungsumwandlung durchgeführt und für die
Einverleibung der örtlichen tschechischen Notenbanken in die Reichsbank gesorgt. Am 29. November 1938 hielt er
eine Rede, in der er mit Stolz auf seine Wirtschaftspolitik hinwies, die den hohen Grad der deutschen Rüstung
ermöglicht habe und fügte hinzu, daß diese Aufrüstung die deutsche Außenpolitik ermöglicht habe.
Schacht war bei der Planung der nach Anklagepunkt 2 besonders aufgeführten Angriffskriege nicht beteiligt. Seine
Beteiligung an der Besetzung Österreichs und des Sudetenlandes (die nicht in der Anklage als Angriffskriege
aufgeführt werden) war derartig beschränkt, daß sie nicht als Teilnahme an dem unter Anklagepunkt 1 genannten
gemeinsamen Plan zu bezeichnen ist. Es ist klar geworden, daß er nicht zu dem inneren Kreis um Hitler gehörte, der
am engsten an diesem gemeinsamen Plan beteiligt war. Er wurde von dieser Gruppe sogar mit unverhüllter
Feindseligkeit betrachtet. Die Aussage Speers zeigt, daß Schachts Verhaftung am 23. Juli 1944 ebenso sehr auf
Hitlers Feindseligkeit gegenüber Schacht beruhte, die auf dessen Haltung vor dem Kriege zurückzuführen war, wie
auf dem Verdacht seiner Teilnahme an dem Bombenattentat. Der Tatbestand gegen Schacht hängt demnach von der
Annahme ab, daß Schacht tatsächlich von den Angriffsplänen wußte.
Mit Bezug auf diese außerordentlich wichtige Frage ist Beweismaterial für die Anklagebehörde vorgelegt worden,
sowie eine beträchtliche Menge von Beweismaterial für die Verteidigung. Der Gerichtshof hat die Gesamtheit dieses
Beweismaterials aufs sorgfältigste erwogen und kommt zu dem Schluß, daß diese oben erwähnte Annahme nicht über
einen vernünftigen Zweifel hinaus erwiesen worden ist.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof entscheidet, daß Schacht nach dieser Anklage nicht schuldig ist und ordnet an, ihn durch den
Gerichtsmarschall zu entlassen, sobald der Gerichtshof sich jetzt vertagt.
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