Jahrbuch 2003/2004 | Meijer, Gerard | Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik New Methods and Perspectives in Molecular Physics Meijer, Gerard Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Die Molekülphysik hat mit der Entw icklung neuartiger experimenteller Methoden zur Abbremsung und zum Speichern neutraler Moleküle sow ie der Anw endung von Infrarotstrahlung eines Freie-Elektronen-Lasers zur Bestimmung der Schw ingungsmoden komplexer Moleküle und Molekülaggregate w ichtige neue Impulse erhalten. Dieser Bericht beschreibt einige der verw endeten experimentellen Techniken und deren physikalische Grundlagen, sow ie einige der Projekte auf diesem Feld in der neuen Abteilung Molekülphysik des Fritz-Haber-Instituts. Summary The field of molecular physics has received a new impetus from the development of novel techniques to decelerate and trap neutral molecules, as w ell as from the application of pulsed infrared radiation from a free electron laser source for the determination of vibrational properties of (bio-) molecules, molecular complexes, and clusters. This report describes some of the techniques and their underlying physics, and projects being pursued in the new Department of Molecular Physics in the Fritz Haber Institute. Im Fritz-Haber-Institut w urden mit der Berufung von Gerard Meijer zum W issenschaftlichen Mitglied und Direktor der Abteilung Molekülphysik zw ei neue Forschungsrichtungen etabliert. Zum einen w erden experimentelle Methoden entw ickelt, um eine vollständige Kontrolle über die internen und externen Freiheitsgrade neutraler Moleküle zu gew innen. Mit zeitlich variierenden elektrischen Feldern w erden neutrale polare Moleküle abgebremst, eingefangen und gespeichert. Mit der erfolgreichen Realisierung des StarkDecelerators für neutrale Teilchen, in vielerlei Hinsicht dem Äquivalent eines linearen Beschleunigers (LINAC) für geladene Teilchen, eröffnet sich ein ganz neues Feld der Molekülphysik. Mit dieser Methode können langsame neutrale Moleküle in einem elektrostatischen Speicherring oder einer dreidimensionalen elektrostatischen Falle gespeichert w erden. In einer w eiteren Forschungsrichtung w erden die optischen Eigenschaften von Molekülen, Clustern und Nanokristallen in der Gasphase im Infrarot-Wellenlängenbereich charakterisiert und deren Dynamik untersucht. Diese Arbeiten w erden zum Teil am freien Elektronenlaser FELIX am FOM-Institut für Plasmaphysik in Rijnhuizen in den Niederlanden durchgeführt, w elcher einzigartige Möglichkeiten für die spektroskopische Charakterisierung von Molekülen bietet. Die Möglichkeit, Atome mit Licht abzubremsen und zu kühlen, um sie in einer Falle zu speichern, ermöglicht Untersuchungen der Eigenschaften der gespeicherten Atome und ihrer Wechselw irkungen untereinander in © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2003/2004 | Meijer, Gerard | Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik Untersuchungen der Eigenschaften der gespeicherten Atome und ihrer Wechselw irkungen untereinander in ungeahntem Detail. Dies hat zu beeindruckenden und oftmals unvorhergesehenen Resultaten geführt, w ie z.B. der Interferometrie mit Atomen, der Realisierung von Bose-Einstein-Kondensaten, sow ie Atomlasern, um nur einige zu nennen. Solche Experimente können im Prinzip auch mit Molekülen durchgeführt w erden, die solchen Studien eine neue Dimension eröffnen, da sie in einer Vielzahl von rotatorischen und vibronischen Quantenzuständen präpariert und räumlich manipuliert w erden können. Die bereits für Atome sehr hohen experimentellen Herausforderungen sind jedoch bei Molekülen noch w esentlich größer, und die komplexen Strukturen von Molekülen haben bisher die Manipulation ihrer externen Freiheitsgrade mit Lasertechniken, w ie sie im Fall von Atomen verw endet w erden, verhindert. Dennoch haben einige Forschungsgruppen Anstrengungen begonnen, um Moleküle in den Temperaturbereich von Mikrokelvin zu kühlen, sie einzufangen oder auf andere W eise ihre Translationsfreiheitsgrade zu manipulieren. In den Arbeiten am Fritz-Haber-Institut w erden neutrale Moleküle mittels zeitlich variierender inhomogener elektrischer Felder gebremst und eingefangen. Die Möglichkeit, Moleküle mit einem elektrischen Dipolmoment mittels statischer inhomogener elektrischer Felder räumlich zu beeinflussen, ist gut bekannt. Die Gruppe um Professor Meijer konnte nun zeigen, dass geschaltete elektrische Felder verw endet w erden können, um volle Kontrolle über die externen Freiheitsgrade von neutralen polaren Molekülen zu erhalten. Die Methode nutzt die Tatsache, dass ein Molekül in einem Quantenzustand, in dem sein Dipolmoment antiparallel zu einem äußeren elektrischen Feld steht, in eine Region geringeren elektrischen Feldes angezogen w ird. Daher w erden Moleküle in einem derartigen Zustand ("low field-seeker") beim Übergang von einer Region mit niedrigem elektrischen Feld zu einer solchen mit hohem Feld abgebremst. Nun w ird das elektrische Feld schnell umgeschaltet, w enn sich die Moleküle in einer Region hoher elektrischer Feldstärke befinden. Die Moleküle erlangen die verlorene Bew egungsenergie nicht w ieder und sind effektiv gebremst w orden. Dieser Prozess kann w iederholt w erden, bis die mittlere Geschw indigkeit zu einem beliebigen Wert verringert ist. Durch geeignete Anordnung der Elektroden und Schaltsequenzen der Felder w ird ein Bündel von Molekülen fokussiert und phasenraumstabil zusammengehalten. Obw ohl die Kräfte, die auf diese Art auf die Neutralteilchen ausgeübt w erden, um viele Größenordnungen kleiner sind als solche auf geladene Teilchen, ermöglichen diese Methoden den Einsatz der Manipulationsmöglichkeiten auf neutrale polare Moleküle, die in vielfältiger W eise bereits für geladene Teilchen verw endet w erden [1]. Um eine möglichst Anfangstemperatur hohe zu Anfangsdichte erreichen, w ird der der zustandsselektierten Prozess des Moleküle adiabatischen bei Kühlens möglichst in einer niedriger gepulsten Gasexpansion genutzt. In solch einer Expansion können Dichten von 1012 Molekülen pro cm3 in einem bestimmten Quantenzustand bei einer Temperatur von 1 K erreicht w erden. Typische Geschw indigkeiten in einem derartigen Molekülstrahl liegen jedoch im Bereich von 250 - 2.000 m/s - zu schnell, um direkt eingefangen w erden zu können. Wenn man nun aber diesen Strahl in den oben beschriebenen zeitlich variierenden Feldern (Stark-Decelerator) abbremst, schneidet man ein Paket von Molekülen mit einer schmalen Geschw indigkeitsverteilung aus dem ursprünglichen Strahl. Die Geschw indigkeit des Paketes, das aus dem Stark-Decelerator austritt, kann kontinuierlich durchgestimmt w erden. So ein Paket kann nun eingefangen und näher untersucht w erden. Um die Ähnlichkeit zu den Manipulationsmöglichkeiten bei geladenen Teilchen zu verdeutlichen, soll hier die Konstruktion eines "Bunchers" erw ähnt w erden, eines in der Physik der geladenen Teilchen w ohl bekannten Elements, um die longitudinale Ausdehnung und Geschw indigkeitsverteilung eines Teilchenbündels zu manipulieren. Ein Buncher für neutrale Moleküle besteht aus einer (evtl. vergrößerten) Sektion des konventionellen Stark-Decelerators; er w urde in bisherigen Arbeiten an neutralen Molekülen zur longitudinalen Kühlung eines Strahls von ND3-Molekülen auf 300 mK angew andt, sow ie zur Erhöhung der Detektionsintensität durch die longitudinale räumliche Fokussierung des Strahls [2]. Kalte Moleküle ermöglichen spektroskopische Untersuchungen mit w esentlich größerer Präzision als bisher © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2003/2004 | Meijer, Gerard | Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik möglich. In vielen Untersuchungen an Molekülen in der Gasphase w ird die erreichbare Auflösung durch die endliche Wechselw irkungszeit der Moleküle mit der Nachw eisapparatur bestimmt. Daher kann man durch Abbremsung des Molekülstrahls die spektroskopische Auflösung deutlich erhöhen. Dies w urde in einem Experiment nachgew iesen, in w elchem Übergänge zw ischen den durch quantenmechanisches Tunneln aufgespaltenen Inversionsniveaus von deuteriertem Ammoniak (15ND3) untersucht w urden. In diesen Experimenten ist es gelungen, zum ersten Mal die Hyperfein-Aufspaltung in 15ND3 voll aufgelöst zu messen. Die genaue Kenntnis der Energien dieser Zustände sind notw endig, um fortgeschrittene Kühltechniken, z.B. erzw ungene Verdampfungskühlung, anw enden zu können. Gepulste Strahlen von Molekülradikalen, w ie z.B. OH und NH, können ebenfalls erzeugt w erden. Nach der Abbremsung der Moleküle bis zum Stillstand können sie über einen spin-verbotenen Übergang in den elektronischen Grundzustand gebracht w erden; die NHRadikale können dann in einer magnetischen Falle gespeichert w erden. Ein besonderes Highlight unserer Forschung ist der Aufbau eines Speicherringes für neutrale Moleküle (Abb. 1). Komprimierte Pakete von Molekülen w erden in den Speicherring injiziert und können dort viele Umläufe erfahren [3]. P hotogra phie de s a us e ine m He x a pol-Torus be ste he nde n Spe iche rringe s für ne utra le pola re Mole k üle . © G.Me ije r, Fritz-Ha be r-Institut Der zw eite Schw erpunkt unserer Arbeiten ist die Molekülspektroskopie im Infrarot-Wellenlängenbereich mit dem freien Elektronenlaser FELIX. Dieser dient als leistungsstarke, gepulste Lichtquelle, w elche über den w eiten Wellenlängenbereich von 5 mm bis 250 mm abgestimmt w erden kann. Mit der Strahlung von FELIX können neutrale oder geladene Moleküle oder Molekülkomplexe in der Gasphase angeregt w erden, um Änderungen im Quantenzustand oder die Dissoziation des Moleküls oder Molekülkomplexes hervorzurufen. Die Messung der Ausbeute als Funktion der Anregungsw ellenlänge gibt dann das Infrarotspektrum, dessen Interpretation Einblicke in die Struktur und Dynamik des zu untersuchenden Teilchens gibt. In Dissoziationsexperimenten an schw ach gebundenen Komplexen ist nur die Absorption von 1 oder 2 Photonen pro Komplex erforderlich. FELIX kann jedoch auch benutzt w erden, ein einzelnes Molekül mit mehreren hundert Photonen resonant anzuregen [4]. In den meisten Fällen w erden Moleküle dadurch dissoziiert; sehr stark gebundene Spezies können jedoch zur Emission eines Elektrons angeregt w erden, und das daraus resultierende Ion kann leicht nachgew iesen w erden. Die Messung der Ionenausbeute als Funktion der Anregungsw ellenlänge ergibt dann das Infrarotspektrum des neutralen Moleküls. Mithilfe von FELIX kann eine Vielzahl von Systemen untersucht w erden. Sehr interessant sind dabei biologische Systeme w ie zum Beispiel Proteine, w ichtige Bausteine in allen Lebew esen. Die Eigenschaften von Proteinen hängen stark von ihren spezifischen Formen ab. Diese sekundäre Struktur des Proteins, also die räumliche Anordnung der Aminosäuren untereinander, w ird durch die Wechselw irkungen innerhalb des Moleküls sow ie durch die Wechselw irkungen mit seiner Umgebung bestimmt. Mit der von FELIX erzeugten © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2003/2004 | Meijer, Gerard | Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik Infrarotstrahlung haben w ir die unterschiedlichen Konformationen der Aminosäure Tryptophan untersucht. Die Spektren der einzelnen Konformere sind besonders im Bereich größerer Wellenlängen stark unterschiedlich. Durch Vergleich mit quantenchemischen Rechnungen kann man detaillierten Einblick in die Struktur und Dynamik dieser komplexen Moleküle gew innen [5]. Die durchstimmbare Infrarotstrahlung von FELIX kann auch benutzt w erden, um astrophysikalisch w ichtige Systeme zu untersuchen. In den Infrarot-Emissionsspektren vieler interstellarer Objekte w erden starke Emissionslinien bei Wellenlängen beobachtet, die ungefähr denen von typischen Schw ingungsmoden neutraler und ionisierter polyzyklischer aromatischer Kohlenw asserstoffe (PAH) entsprechen. Liegen derartige Moleküle im interstellaren Raum vor? Um dies festzustellen, sind Laboruntersuchungen der ionisierten Moleküle notw endig. Da diese nur in geringen Dichten erzeugt w erden können, sind solche Messungen schw ierig. W ir haben eine Methode entw ickelt, um große Molekül-Ionen in der Gasphase spektroskopisch zu untersuchen [6]. Die Ionen w erden in einer Falle eingefangen und dann der intensiven Infrarotstrahlung von FELIX ausgesetzt. Dadurch kann das Ion Fragmentationsausbeute in als Fragmente Funktion mit der niedrigerer Masse Anregungsw ellenlänge dissoziieren. gibt dann Die Messung Einblicke in der die Infrarotspektroskopie des geladenen Teilchens. Eine Anw endung betraf das Koronen-Ion C24 H12+, das bisher größte Gasphasen-Ion, von dem ein Infrarotspektrum gemessen w urde. In Abbildung 2 ist das Spektrum des Koronen-Ions zusammen mit dem Emissionsspektrum vom "Orion Bar", einer Gegend im Orion Nebel w elche stark ioniziert ist, zu sehen. Ex pe rim e nte lle s Infra rotspe k trum vom Korone n-Ion C 24 H12+ (unte re Kurve ) ve rgliche n m it de m Em issionsspe k trum von "O rion ba r" (obe re Kurve , ge m e sse n m it de m "Short W a ve le ngth Spe ctrom e te r" a uf de m "Infra re d Spa ce O bse rva tory" Sa te llite n). Als Hinte rgrund ist e ine Abbildung de s O rion Ne be ls (M42), ge m e sse n m it de m "Hubble Spa ce Te le scope ", zu se he n. © G.Me ije r, Fritz-Ha be r-Institut Ein anderes Anw endungsgebiet der Infrarotanregung betrifft die Aufklärung der Dynamik von Energietransferprozessen in Molekülen und Molekülkomplexen. W ir untersuchen hier die Dynamik der © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2003/2004 | Meijer, Gerard | Neue Methoden und Perspektiven in der Molekülphysik Dissoziation von Molekülkomplexen, die durch Van der Waals-Kräfte gebunden sind. Um solch einen Komplex zu dissoziieren, muss Energie von einer intramolekularen Schw ingungsmode in die Van der Waals-Bindung transferiert w erden. Dieser Energie-Transfer kann gemessen w erden, indem der Molekülkomplex mit einem kurzen, nur einige Pico-Sekunden dauernden Infrarotpuls angeregt und der zerfallende Komplex danach mit einem UV-Laserpuls nachgew iesen w ird. Die beobachteten Lebensdauern sind um mehrere Größenordnungen höher als erw artet [7]. Schließlich haben w ir die chemischen und strukturellen Eigenschaften von isolierten Nanopartikeln in der Gasphase untersucht. Solche Teilchen spielen z. B. eine w ichtige Rolle als aktiver Bestandteil in Katalysatoren. Mittels Infrarot-Dissoziationspektroskopie haben w ir die Bindung von Kohlenmonoxid an kleinen Metallclustern und hier insbesondere den Einfluss von Clustergröße und -ladung analysiert. Aus Untersuchungen an kalten Metallcluster-Edelgaskomplexen und Vergleich der experimentellen Infrarot-Spektren mit berechneten Spektren konnte die räumliche Struktur dieser Teilchen in der Gasphase aufgeklärt w erden [8]. Referenzen 1) H.L. Bethlem and G. Meijer: "Production and application of translationally cold molecules." Int. Rev. Phys. Chem. 22, 73-128 (2003). 2) F.M.H. Crompvoets, R.T. Jongma, H.L. Bethlem, A.J.A. van Roij, and G. Meijer: "Longitudinal focusing and cooling of a molecular beam." Phys. Rev. Lett. 89, 093004 (2002). 3) F.M.H. Crompvoets, H.L. Bethlem, R.T. Jongma, and G. Meijer; "A prototype storage ring for neutral molecules." Nature 411, 174-176, (2001). 4) G. von Helden, D. van Heijnsbergen, and G. Meijer:"Resonant ionization using IR light: A new tool to study the spectroscopy and dynamics of gas-phase molecules and clusters", J. Phys. Chem. A, 107, 1671-1688 (2003). 5) J. Bakker, L. Mac Aleese, G. Meijer, and G. von Helden: "Fingerprint IR spectroscopy to probe amino acid conformations in the gas phase", Phys. Rev. Lett., 91, 203003 (2003). 6) J. Oomens, A.G.G.M Tielens, B.G. Sartakov, G. von Helden, and G. Meijer: "Laboratory infrared spectroscopy of cationic polycyclic aromatic hydrocarbon molecules", Astrophys. J., 591, 968-985 (2003). 7) R.G. Satink, J.M. Bakker, G. Meijer, and G. von Helden: "Vibrational lifetimes of aniline - noble gas complexes", Chem. Phys. Lett., 359, 163-168 (2002). 8) A. Fielicke, A. Kirilyuk, C. Ratsch, J. Behler, M. Scheffler, G. von Helden, and G. Meijer: "Structure determination of isolated metal clusters via far-infrared spectroscopy", Phys. Rev. Lett. (in Druck) © 2004 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5