Fachhochschule Braunschweig / Wolfenbüttel Fachbereich Sozialwesen Diplomarbeit Benotung: 2,7 Thema: Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit in der therapeutischen Begleitung von Mädchen mit Essstörungen Erstgutachter: Prof. Dr. A. - R. Reinheckel Zweitgutachter: Prof. Dr. phil. MA B. Minte - König Verfasserin: Xenia Schwitzer Abgabetermin: 08.02.2007 Inhaltsverzeichnis Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit in der therapeutischen Begleitung von Mädchen mit Essstörungen. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Anhangsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 1. Einleitung…………………………………………………... 1 2. Entstehung und Epidemiologie von Essstörungen… 4 2.1. Entstehung und Verbreitung von Essstörungen… 4 2.2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie………… 6 3. Formen und Klassifikation von Essstörungen………. 10 3.1. 11 Bulimia nervosa…………………………………….. Inhaltsverzeichnis 4. 3.2. Anorexia nervosa…………………………………… 14 3.3. Binge – Eating – Disorder..............................…… 17 3.4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie………. 18 Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen……………………………………………… 23 4.1. Gesellschaftliche Faktoren………………………… 26 4.1.1. Schönheitsideal – Schlankheitsideal……………… 26 4.2. 29 Psychosoziale Faktoren…………………………… 4.2.1. Störungen bei der Entwicklung des Körper – 5. Selbstbildes…………………………………………. 29 4.2.2. Sexuelle Gewalt…….………………………………. 33 4.3. 34 Familiäre Faktoren…………………………………. Symptomatik und Krankheitsverlauf sowie Folgen von Bulimie und Anorexie………………………………. 5.1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie………………………………………… 5.2. 37 Körperliche und psychische Folgen von Bulimie und Anorexie………………………………………… 6. 37 41 Die Soziale Arbeit in der Beratung von Essstörungen…………………………………………………… 6.1. 43 Die Jugend- und Drogenberatungsstelle „DROBS“ - eine Anlaufstelle für Essgestörte……. 43 Die sozialpädagogische Beratung ……………….. 46 6.2.1. Das Erstgespräch bzw. Vorgespräch…………….. 46 6.2. 6.2.2. Anamneseerhebung und subjektives Krankheits modell………………………………………………… 7. 50 Behandlungsmöglichkeiten und Therapieansätze von Essstörungen……………………………………………… 52 Inhaltsverzeichnis 8. 7.1. Ambulante / teilstationäre Behandlung…………… 52 7.2. Stationäre Behandlung…………………………….. 55 7.3. Psychotherapie…………………….……………….. 57 7.3.1. Kognitive Verhaltenstherapie……….…………….. 60 7.3.2. Gruppentherapie……………………………………. 62 7.4. Ernährungstherapie………………………………… 63 7.5. Kreative Therapien (Kunst-, Tanz- und Konzentrative Bewegungstherapie)……………… 67 7.6. Familientherapie……………………………………. 69 7.7. Selbsthilfegruppen…………………………………. 73 7.8. Therapeutische Wohngruppen……………………. 74 Grenzen in der Sozialen Arbeit - Evaluation sowie Nachsorge in der Behandlung von Essstörungen…. 8.1. 76 Evaluation der Behandlung von Bulimie und Anorexie…………………………………………….. 76 8.1.1. Behandlungsdauer und Ergebnisqualität stationärer und ambulanter Therapien…………… 76 Rückfallprävention…………………………………. 78 Prävention von Essstörungen………………………….. 80 9.1. Schulbezogene Prävention………………………… 80 9.2. Das Projekt „NICE“ – zur Prävention von Ess- 8.2. 9. störungen für Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren der Jugend- und Drogenberatungsstelle „DROBS“ Magdeburg……………………………… 81 Zusammenfassung……………………………………….. 84 Literaturverzeichnis………………………………………………. 85 10. Inhaltsverzeichnis Monographien…………………………………………………….. 85 Zeitschriftenartikel……………………………………………….. 87 Dokumente…………………………………………………………. 88 Internetquellen…………………………………………………….. 88 Anhang……………………………………………………………… I Anhang I……………………………………………………………. I Anhang II……………………………………………………………. II Eidesstattliche Erklärung Anhangsverzeichnis Anhangsverzeichnis Anhang I: Interview zum Thema der Essstörungen, insbesondere der Bulimie und Anorexie, mit Psychotherapeutin Dr. Carmen Kindl – Beilfuss aus Magdeburg. Anhang II: Interview zum Thema der Essstörungen, insbesondere der Bulimie und Anorexie, mit Dipl.– Sozialpädagogin / Fachkraft für Suchtprävention Jana Valentin und Dipl. – Psychologin Katrin Heuer von der Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ in Magdeburg. Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Altersverteilung der Patientinnen mit Anorexie und Bulimie………………………………………… Abbildung 2: Soziale Einflüsse zur Entstehung von Essstörungen bei Frauen…………………………….. Abbildung 3: 9 29 Gesamtberatungen im Bereich der Essstörungen bei Mädchen und Frauen im Jahr 2005………………………………………………… 45 Abbildung 4: Selbstbeobachtungsprotokoll……………………. 59 Abbildung 5: Essprotokoll (Beispiel 1)…………………………. 66 Tabellenverzeichnis Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Epidemiologie von Bulimia nervosa und Anorexia nervosa………………………………… 7 Tabelle 2: Body Mass Index…………………………………. 11 Tabelle 3: Vergleich zwischen Anorexie und Bulimie…….. 20 Tabelle 4: Wichtigster Problembereich…………………….. 25 Tabelle 5: Schwerpunkte der Verhaltenstherapie von Anorexie und Bulimie im Therapieprogramm…. Tabelle 6: 61 Die drei Phasen der Familientherapie bei Bulimie und Anorexie im Überblick……………… 71 Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis BMI Body Mass Index bspw. beispielweise bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa CCT craniale Computertomographie CSA Child Sexual Abuse d. h. das heißt DROBS Drogen – und Jugendberatungsstelle EEG Elektroenzephalografie EKG Elektrokardiogramm Evtl. eventuell DSM – IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders Hrsg. Herausgeber ICD – 10 International Classification of Diseases i. d. R. in der Regel KBT konzentrative Bewegungstherapie kcal Kilokalorien kg Kilogramm KG Körpergewicht KJHG Kinder - und Jugendhilfegesetz L 10 Leitlinie 10 MRT Magnet - Resonanz -Tomographie o. a. oder anderen S. Seite(n) SHG Selbsthilfegruppe(n) sog. sogenannte(n) TCE Therapie – Centrum für Essstörungen u. a. unter anderem Abkürzungsverzeichnis WHO World Health Organisation z. B. zum Beispiel 1. Einleitung 1 KAPITEL 1 1. Einleitung Essstörungen werden nach Killius, Reich und Witte – Lakemann (2005) als seelische Erkrankungen bezeichnet. Zu den beiden wesentlichen Essstörungen gehören die Anorexia nervosa und die Bulimia nervosa. Essstörungen werden als schwerwiegende, langwierige und aufwändige Krankheiten beschrieben (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). „Als essgestört werden Menschen beschrieben, für die das Essen die missbräuchliche Funktion hat, Probleme, die ansonsten unlösbar erscheinen, auf diese Art zu bewältigen.“ (Vgl. Killius, Reich und Witte – Lakemann 2005, Seite 35) Die Prävalenz von Essstörungen hat seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts stark zugenommen und steigt auch weiterhin an. Vor allem die anorektischen und bulimischen Essstörungen sind bei den adoleszenten Mädchen und jungen Frauen inzwischen weit verbreitet. Vorwiegend sind Frauen und seltener Männer bei der Anorexie sowie der Bulimie betroffen (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). In der Bundesrepublik Deutschland steigt in den letzten Jahrzehnten analog zu der Situation in vielen westlichen Industrieländern, die Inzidenz der Anorexia nervosa leicht an, während die Inzidenz der Bulimia nervosa stark zunimmt (Vgl. Bahrke, Bandemer – Greulich, Fikentscher, Klose, Konzag, 2006). Die Essstörungen gelten als multifaktorell bedingte Krankheiten, bei deren Genese sowohl genetische, soziokulturelle, intrapsychische als auch familiäre Faktoren eine Rolle spielen (Vgl. Schönauer – Cejpek und Steinbrenner, 2003). Dargestellt werden die Magersucht und die Ess – Brech – Sucht als eine (bisweilen extreme) Überbewertung von schlanker Figur und des eigenen Gewichts. Sie 1. Einleitung 2 definieren ihren Selbstwert in sehr hohem Maße oder ausschließlich auf der Basis von Figur und Gewicht und ihrer Fähigkeit, ihr Essverhalten unter Kontrolle zu halten. Sie wollen den westlichen Idealen für körperliche Schlankheit entsprechen und gehen oft weit darüber hinaus (Vgl. Fichter, 2005). Zusammenfassend können als generelle Risikofaktoren für die Entstehung einer Essstörung das weibliche Geschlecht, die Adoleszenz und das frühe Erwachsenenalter sowie das Leben in einer entwickelten Industrienation mit Nahrungsüberfluss genannt werden. Spezielle Risikofaktoren stellen die Häufung von Essstörungen, Depressionen, Substanzmissbrauch sowie das Vorkommen von Adipositas in der Familie, die prämorbide Charakteristika wozu u. a. die frühe Menarche, das Übergewicht in der Kindheit, die Angststörungen, ein niedriges Selbstvertrauen und der Perfektionismus zählen, sowie die prämorbiden Erfahrungen und Belastungen u. a. gehören hierzu der sexuelle Missbrauch, ein einschränkendes Verhalten der Eltern mit hohen Erwartungen und wenig Zuwendung, das Diätverhalten bei anderen Familienmitgliedern und der äußere Druck schlank zu sein, ob im Beruf oder in der Freizeit, dar (Vgl. Fichter, 2005). Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Sozialen Arbeit in der therapeutischen Begleitung von Mädchen mit Essstörungen. Zu diesem Thema wurde sich vorwiegend mit den weiblichen Essgestörten, das heißt mit Mädchen und jungen Frauen, auseinander gesetzt, da der Großteil der von Essstörungen Betroffenen weiblich ist. Des Weiteren wurden die an einer Essstörung leidenden männlichen Betroffenen dennoch teilweise mit erwähnt, um diesen Bereich nicht ganz auszuschließen. Im zweiten Kapitel wird erläutert, wie die Essstörungen entstehen und sich weiterhin verbreiten. Klassifiziert und definiert werden die Formen der Essstörungen, spezifisch die Erkrankungen Bulimia nervosa, Anorexia nervosa sowie die „Binge – Eating – Disorder“ nach den internationalen Richtlinien im dritten Kapitel. Demnach folgt ein anschließender Vergleich zwischen der Bulimie und der Anorexie. Die Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen werden im vierten 1. Einleitung 3 Kapitel aufgegriffen und die gesellschaftlichen Faktoren bzw. das Schönheitsideal – Schlankheitsideal beschrieben, die psychosozialen Faktoren anhand der Störungen bei der Entwicklung des Körper – Selbstbildes erläutert, sowie die sexuelle Gewalt und die familiären Faktoren werden ausführlich beschrieben. Im fünften Kapitel werden die Symptomatik, der Krankheitsverlauf sowie die körperlichen und psychischen Folgen von Bulimie und Anorexie behandelt. Die Soziale Arbeit in der Beratung von Essstörungen lautet die Thematik des sechsten Kapitels. Hier erfolgt die Vorstellung der Einrichtung der Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“, als Anlaufstelle für Essgestörte. Die sozialpädagogische Beratung wird bezüglich des Erstgesprächs anhand der Anamneseerhebung und des subjektives Krankheitsmodells beschrieben. Die Behandlungsmöglichkeiten und die Therapieansätze von Essstörungen folgen im siebten Kapitel. Hierbei können die ambulante / teilstationäre Behandlung, die stationäre Behandlung, die Psychotherapie mit der kognitiven Ernährungstherapie, Verhaltenstherapie, die kreativen die Gruppentherapie, Therapien am Beispiel die der Kunsttherapie, Tanztherapie und Konzentrativen Bewegungstherapie, die Familientherapie, die Selbsthilfegruppen und die therapeutischen Wohngruppen genannt werden, welche ausführlich erläutert werden. Die Grenzen in der Sozialen Arbeit, die Evaluation der Behandlung von Bulimie und Anorexie in den stationären und ambulanten Therapien, sowie der Nachsorge bzw. der Rückfallprävention in der Behandlung von Essstörungen, werden im achten Kapitel beschrieben. Bei der Prävention von Essstörungen wird die schulbezogene Prävention sowie das Projekt „NICE“ – zur Prävention von Essstörungen für Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren als Angebot der Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ Magdeburg ausführlich dargestellt. Zum Abschluss folgt die Zusammenfassung, welche im zehnten Kapitel erläutert wird. Im Anhang dieser Arbeit werden zwei Interviews zum Thema der Essstörungen mit einer Psychologischen Psychotherapeutin sowie mit der „DROBS“ als praktischer Teil der wissenschaftlichen Arbeit anschaulich dargestellt. 2. 1. Entstehung und Verbreitung von Essstörungen 4 KAPITEL 2 2. Entstehung und Epidemiologie von Essstörungen 2.1. Entstehung und Verbreitung von Essstörungen Essstörungen entwickeln sich nach Schönauer – Cejpek und Steinbrenner (2003) immer mehr zu einer Erkrankung unserer Zeit. Zu der am längsten bekanntesten und beschriebenen Form der Essstörung zählt die Anorexia nervosa. Bereits im 16. Jahrhundert wurde von Morgan eine Form der bewussten Essensverweigerung genannt, die als eine nervöse Kachexie beschrieben wurde, welche nur junge Frauen befiel. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gaben Lasegue und Gull dieser Störung den bis heute gebräuchlichen Namen Anorexia nervosa. Die Anzahl, der an Magersucht erkrankten Personen, ist seit Jahren stabil und es wird angegeben, dass international etwa 0,5 bis 1 Prozent der weiblichen Bevölkerung betroffen sind (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier, 2005). Mehrheitlich junge und leistungsbewusste Frauen sind, obwohl sich in den letzten Jahren eine leichte Trendumkehr zum männlichen Geschlecht bemerkbar macht, bis heute betroffen. Eine weitere Form der Essstörung, welche den Namen der Bulimia nervosa erhielt, ist im Jahre 1979 durch Russell in England beschrieben worden. Hauptsächlich (junge) Frauen sind auch hier betroffen. Die von der Bulimie erkrankten Personen sind in der Regel normalgewichtig bis mäßig untergewichtig, das heißt, sie haben einen Body Mass Index von 17,5 bis 20. Sie werden als sehr figurbewusst und gewichtsbewusst bezeichnet, streben eine Idealfigur an, und es findet eine extreme Kontrolle des Essens statt (Vgl. Schönauer – Cejpek und Steinbrenner, 2003). Mit etwa 1 – 3 Prozent der internationalen weiblichen Bevölkerung wird die Häufigkeit der Erkrankungsrate der Bulimie 2. 1. Entstehung und Verbreitung von Essstörungen 5 angegeben (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier, 2005). Eine weitere Untergruppe der Essstörungen, die latente Esssucht, die als „Binge – Eating – Disorder“ / „Binge – Eating – Störung“ bezeichnet wird, wurde im Jahr 1999 von der Bulimie und der Adipositas, also der Esssucht beziehungsweise Fettsucht, abgegrenzt. Bei der „Binge – Eating – Disorder“ handelt es sich um eine Störung des Kontrollverhaltens in Bezug auf die Nahrungsaufnahme. Die, von dieser Essstörung erkrankte Personen, leiden ähnlich wie bei der Bulimie unter Heißhungerattacken, Kontrollverlust und den sogenannten „Fressanfällen“. Hier sind die „Binge - Eater“ i. d. R. normalgewichtig bis übergewichtig, aber es wird nicht versucht, mit kompensatorischen Maßnahmen einem Gewichtsverlust vorzubeugen. Bei der „Binge – Eating – Störung“ wurden Prävalenzen von 0,7 bis 4,6 Prozent in verschiedenen Studien gezeigt (Vgl. Schönauer – Cejpek und Steinbrenner, 2003). Zu der Verbreitung von Essstörungen führt insbesondere mitunter ein immenser sozialer Druck in Richtung einer schlanken Körperform auf Mädchen und Frauen, und dass daraus resultierende kollektive Diätverhalten, was daraus zur Folge hat, dass das Hungern unter den Mädchen und Frauen zu der am häufigsten auftretenden Sucht geworden ist. Circa 95 Prozent der Frauen sind nach Killius, Reich und Witte – Lakemann (2005) von einer Bulimie und Anorexie betroffen. In der Altersgruppe von 14 – 35 Jahren liegt die Prävalenz dieser beiden Krankheitsbilder bei bis zu 5 Prozent. Der Hochrisikogruppe für Essstörungen wird ein noch größerer Teil junger Mädchen und Frauen zugeordnet, wobei sich nach den Ergebnissen einer Studie ca. 8 Prozent der Mädchen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren und 14 Prozent der weiblichen Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren von insgesamt 4.389 Schülerinnen in Europa befinden. Eine Diäterfahrung der Mädchen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren hatten bereits erschreckende 50 Prozent gemacht. Von den normalgewichtigen und untergewichtigen Mädchen sowie den weiblichen Jugendlichen im Alter von 11 und 19 Jahren, fühlten sich insgesamt 40 Prozent viel zu dick. Ein gestörtes Essverhalten hängt also deutlich mit der eigenen 2. 2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie Körperunzufriedenheit 6 und einer gestörten seelischen Befindlichkeit zusammen. Es wird zudem angegeben, dass 35 Prozent der Schülerinnen und 12 Prozent der Schüler bei einer Untersuchung von 736 nicht erkrankten weiblichen und männlichen Gymnasiasten und Studenten aus den neuen und alten Bundesländern, eine subklinische Essstörung nachgewiesen wurde. Die Prävalenzrate beträgt bei den Mädchen und Frauen somit 22,4 Prozent und bei den Jungen und Männern insgesamt 7 Prozent. Das Vorkommen von Essstörungen ist bei den männlichen Betroffenen wesentlich seltener. Hier sind in einem Verhältnis ca. 20:1 von einer Magersucht erkranken aber betroffen. häufiger Bei Jungen präpubertalem als bei Krankheitsbeginn einem postpubertärem Krankheitsbeginn (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Die „Binge – Eating – Störung“ wird seit 1994 neben der Bulimie und der Anorexie als ein eigenständiges Krankheitsbild untersucht, worunter in etwa 20 bis 30 Prozent aller Übergewichtigen fallen, die eine Behandlung suchen. Bis zu zwei Drittel der Mädchen und Frauen sind an dieser Form der Essstörung erkrankt, wobei wie bei der Bulimie und der Anorexie auch hier eine erhebliche Komorbidität mit psychiatrischen Erkrankungen vorhanden ist (Vgl. Killius, Reich und Witte – Lakemann 2005). 2.2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie Die Essstörungen Bulimia nervosa und Anorexia nervosa treten bevorzugt in den hochindustrialisierten Ländern, d. h. in den USA, Kanada, Europa, Japan und Australien, auf. Selten kommen Essstörungen dagegen in weniger technisierten Ländern mit einem geringeren Nahrungsangebot vor. Über 90 Prozent der an der Bulimie und Anorexie erkrankten Personen sind weiblichen Geschlechts (Vgl. Absenger, 2005). Bei der Anorexie beträgt die Punktprävalenz, Zeitquerschnitt gemeint, für junge damit ist Mädchen die und Prävalenz im Frauen im Hauptrisikoalter von 15 – 35 Jahre etwa 0,6 Prozent. Meist beginnt diese 2. 2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie 7 Erkrankung in der Adoleszenz. Bei der Bulimia nervosa liegt die Punktprävalenz ebenso zwischen 15 und 35 Jahren und in den westlichen Industrieländern bei 1 – 3 Prozent. Der Krankheitsbeginn bei der Ess – Brech – Sucht ist durchschnittlich etwas später als bei der Magersucht. Etwa gleich verbreitet, wie die Bulimia nervosa, ist die „Binge – Eating – Störung“ bei Mädchen und Frauen im Risikoalter zwischen 15 und 35 Jahren in den westlichen Industrieländern. Hier beträgt die Punktprävalenz ca. 1 – 3 Prozent (Vgl. Fichter, 2005). Laut Feistner (2006) wird beschrieben, dass in unterschiedlichen Studien Prävalenzraten von 5 bis 35 Prozent für das selbst induzierte Erbrechen und von 30 bis 80 Prozent für die Heißhungerattacken in weiblichen Stichproben ermittelt wurden. Etwa ein Prozent der Essgestörten sind weltweit männlich. Zudem wird angegeben, dass keine genauen Häufigkeitsbestimmungen möglich sind, unter anderem durch die hohe Dunkelziffer, und dadurch keine gesicherten Inzidenz – und Prävalenzraten vorliegen. In der folgenden Tabelle 1 sind die Unterschiede hinsichtlich der Epidemiologie zwischen der Bulimie und der Anorexie noch einmal übersichtlich zusammengetragen. Tab.1: Epidemiologie von Bulimia nervosa und Anorexia nervosa Inzidenz Prävalenz Bulimia nervosa Anorexia nervosa 5,5-26,5 pro 100.000 1-14,2 pro 100.000 Einwohner Einwohner in der Risikopopulation In der Risikopopulation 1-4%, generell ist unklar, 0,2-1%, generell ist ob die Erkrankungs – unklar, ob die oder die Erkrankungs – oder die Behandlungshäufigkeit Behandlungshäufigkeit gestiegen ist gestiegen ist 2. 2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie Geschlecht Risikopopulation 8 Ca. 80-99,6% aller Ca. 95% aller Erkrankten sind weiblich Erkrankten sind weiblich Frauen der westlichen Frauen der westlichen Welt zwischen 15 und 35 Welt zwischen 12 und Jahren, zum Teil nach 20 Jahren, zwei einer Episode mit Verteilungsgipfel (bzgl. Anorexie Störungsbeginn): 14. und 18. Lebensjahr, Vertreter bestimmter Sport- /Berufsgruppen, die ein niedriges Gewicht erfordern Quelle: Feistner (2006, S. 11) Nach Cuntz und Hillert (2003) sei die Anorexia nervosa überwiegend eine Erkrankung junger, unverheirateter und in enger Beziehung zur Ursprungsfamilie lebender Frauen in den westlichen Industrienationen. Dagegen sei die Erkrankung in den Ländern der Dritten Welt, beziehungsweise Gesellschaften mit traditionell – hierarchischen Familienstrukturen und Sozialstrukturen, fast unbekannt. Immigrieren Personen aus diesen Ländern, zum Beispiel nach Deutschland oder in die USA, führe dieses deutlich zu einem Anstieg der Erkrankungshäufigkeit. Fraglich erscheint es demnach, ob auch der Sozialstatus einen Einfluss auf die Erkrankungshäufigkeit hat, was aber bisher nicht bestätigt werden konnte. Deutlich häufiger sind Anorexiepatienten in körperexponierten Gruppen wie unter anderem Sportgymnasten, Turnern und Fotomodellen, als in der Normalbevölkerung. Neben der Möglichkeit, dass zur Magersucht disponierte Mädchen (und Männer) bevorzugt solche Sportarten wählen, bestehe in entsprechenden Leistungskadern mitunter ein extremer Druck, der die Aktiven indirekt oder direkt zu strengem 2. 2. Epidemiologie von Bulimie und Anorexie Diätverhalten zwinge. In 9 epidemiologischen Untersuchungen wird für die Anorexie über eine Zunahme der Prävalenzraten in den letzten Jahrzehnten berichtet. Dieser Anstieg bezieht sich vor allem auf die Gruppe der 15 – bis 19jährigen weiblichen Jugendlichen sowie jungen Frauen, wie in epidemiologischen Studien zur Prävalenz von Fällen der Anorexia nervosa aufgezeigt wurde, und in dieser Altersgruppe die höchste Prävalenzrate genannt wird. Der Beginn liegt i. d. R. zwischen dem 18. und 28. Lebensjahr. Ein durchschnittliches Erstmanifestationsalter von 19,7 bzw. 21,2 Jahren ergaben zwei große weitere Erhebungen. Die Prävalenzraten und Inzidenzraten der Bulimie sind hier deutlich höher als die der Anorexie. Bei der Bulimia nervosa ist die Inzidenzrate in den letzten Jahren vor allem in den größeren Städten und in der Bevölkerungsgruppe der 20 – bis 24jährigen angestiegen (Vgl. Buddeberg – Fischer, 2000). Die Inzidenzrate liegt bei etwa bei 12 pro 100.000 Einwohner und in der Gruppe mit dem höchsten Risiko der 20 – bis 24jährigen, lag sie bei 82 pro 100.000 Einwohner. Sowohl für die Anorexie wie auch für die Bulimie beträgt das Verhältnis von Frauen zu Männern etwa 11:1 (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Abb.1: Altersverteilung der PatientInnen mit Anorexie und Bulimie Alter in Jahren 50 bis 60 41 bis 50 Bulimie n = 559 31 bis 40 21 bis 30 Anore xie n = 623 16 bis 20 11 bis 15 0 bis 10 0% 20% 40% 60% Quelle: Absenger (2005, S. 100) 3. Formen und Klassifikation von Essstörungen 10 In der Abbildung 1 zeigt eine deutsche Studie die Altersverteilung der Patientinnen mit Anorexie und Bulimie zu Beginn der Krankheit, welche die Ersterkrankungsrate in der Pubertät, in der frühen sowie mittleren Adoleszenz hervorhebt. Jeweils ein Prozent der Essgestörten ist von der Bulimie sowie der Anorexie im Alter von 0 bis 10 Jahren betroffen. Rapide aufwärts steigen die Werte allerdings im Alter zwischen 11 und 15 Jahren, welche, mit nur einem Prozent Unterschied, 28 Prozent bei der Anorexia nervosa und 29 Prozent bei der Bulimia nervosa betragen. Die in diesem Diagramm nochmals steigenden Werte, schaffen die 16 – bis 20jährigen betroffenen Personen mit insgesamt 48 Prozent bei der Ess – Brech – Sucht und 46 Prozent bei der Magersucht. Bei den 21 – bis 30jährigen Erkrankten sinken die Werte beider Essstörungen etwas, betragen aber immer noch jeweils bis zu 20 Prozent. Bei den 31 – bis 40jährigen AnorektikeriInnen und BulimikerInnen sinken die Werte auffallend ab auf jeweils 4 und 2 Prozent. Gleichbleibend mit 2 Prozent tritt die Magersucht ab dem 40. bis zum 60. Lebensjahr nur noch vereinzelt bei den betroffenen Personen auf. Die Ess – Brech – Sucht tritt im reiferen Alter mit einem Wert von 0 Prozent nicht mehr auf (Vgl. Absenger, 2005). KAPITEL 3 3. Formen und Klassifikation von Essstörungen In den Klassifikationssystemen „International Classification of Diseases“ (ICD – 10) und „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM – IV), die zu den internationalen Richtlinien gehören, ist festgelegt, welche Kriterien beispielsweise für die Diagnose einer Bulimia nervosa oder Anorexia nervosa erfüllt sein müssen. Allerdings sind die Übergänge von „normalem“ und „krankhaftem“ Essverhalten fließend (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Der „Body Mass Index“ (BMI), auch 3. 1. Bulimia nervosa 11 Quetelets – Index genannt, ist der Quotient aus dem Körpergewicht in Kilogramm (kg) zur Körperoberfläche, die durch das Quadrat der Körpergröße in Metern bestimmt ist (Vgl. Cierpka und Reich, 2001). Veranschaulicht wird dies in der folgenden Tabelle 2. Tab. 2: Body Mass Index (BMI) Body Mass Index (BMI – Wert) Gewichtsbereich Bis 17,5 Anorexie 17,6 bis 20 Untergewicht 20,1 bis 25 Normalgewicht Über 25 Übergewicht und Adipositas Quelle: Killius, Reich und Witte – Lakemann (2005, S. 210) 3.1. Bulimia nervosa Die Bulimia nervosa wird als eine Essstörung definiert, die sich durch Heißhungerattacken mit anschließendem selbst induzierten Erbrechen oder Abführen auszeichnet. Die Persönlichkeit von Bulimkerinnen wird im Vergleich zu restriktiv – anorektischen Patientinnen charakteristischerweise als weniger zwanghaft, dafür aber emotional labiler und impulsiver beschrieben. Die Ess – Brech – Sucht entwickelt sich oft aus einer Anorexie und praktisch immer aus einem restriktivem Essverhalten heraus (Vgl. Cuntz und Hillert, 2003). Nach den Diagnosekriterien nach ICD – 10 (F 50.2) werden zu den Hauptmerkmalen eine andauernde Beschäftigung mit Essen und eine unwiderstehliche Gier nach Nahrung beschrieben. Dies führt zu unkontrollierbaren Essattacken, bei denen große Mengen, meist hochkalorischer Nahrungsmittel, in sehr kurzer Zeit konsumiert werden (Vgl. Raabe, 2004). Um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, versucht die Bulimie - Betroffene, 3. 1. Bulimia nervosa dem 12 dickmachenden Verhaltensweisen, Effekt die u. a. der Nahrung durch durch selbstinduziertes verschiedene Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, zeitweilige Hungerperioden, der Gebrauch von Appetitzüglern und Hormonpräparaten gekennzeichnet sind, entgegenzusteuern. Demzufolge besteht eine krankhafte Furcht davor, zu dick zu werden. Das Gewicht von Bulimikerinnen liegt i. d. R. im Durchschnittsbereich und nur in wenigen Fällen leicht darüber oder darunter. Die Betroffene setzt sich dennoch eine scharf definierte Gewichtsgrenze, die weit unter dem prämorbiden oder „gesunden“ Gewicht liegt (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Für das Essverhalten schämen sich die Bulimie – Betroffenen meist sehr und sie versuchen, die „Fressanfälle“ so gut wie möglich heimlich zu gestalten. Ausgelöst werden die sogenannten Stimmungszustände, Essattacken typischerweise zwischenmenschliche durch dysphorische Belastungssituationen, intensive Hungergefühle nach einer diätischen Einschränkung oder auf das Körpergewicht, die Figur oder auch die Nahrung bezogenen Gefühle. Häufig kommt es im Anschluss einer „Fressattacke“ zu vernichtender Selbstkritik und depressiver Stimmung (Vgl. Forster, 2002). Zwischen den Essattacken schränken die Betroffenen die Nahrungsaufnahme stark ein und verzehren vorzugsweise kalorienarme Lebensmittel. Gemieden werden daher Nahrungsmittel, von denen sie glauben, dass sie dick machen oder einen Essanfall auslösen könnten. Häufig lässt sich auch in der Vorgeschichte, mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren, eine Episode einer Anorexia nervosa nachweisen. Diese frühere Episode kann voll ausgeprägt gewesen sein oder war eine verdeckte Form mit mäßigem Gewichtsverlust und / oder einer vorübergehenden Amenorrhoe (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Eine weitere Form nach den Klassifikationen ICD – 10, ist die atypische Bulimia nervosa (F 50.3), welche Stellung dieser Diagnose nicht zu empfehlen ist (VGl. Rettenwander, 2005), da bei einem ansonsten recht typischem klinischen Bild ein oder mehrere Kernmerkmale der Bulimie fehlen (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Nach den 3. 1. Bulimia nervosa 13 Diagnosekriterien nach DSM – IV (307.51), wird die Bulimie als eine wiederholte Episode von Essattacken bezeichnet. Hier zählen zu den Hauptmerkmalen der Verzehr einer Nahrungsmenge in einem bestimmten Zeitraum, z. B. innerhalb von 2 Stunden, wobei diese Nahrungsmenge erheblich größer ist, als die Menge, die die meisten Menschen in einem vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen essen würden. Die Bulimie – Betroffenen haben das Gefühl, während der Episode die Kontrolle über das Essverhalten zu verlieren, z. B. das Gefühl, weder mit dem Essen aufhören zu können, noch die Kontrolle über Art und Menge der Nahrungsmittel zu haben. Hier erfolgt die wiederholte Anwendung von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen, wie das selbstinduzierte Erbrechen, der Missbrauch von Laxantien, Diuretika, Klitisieren oder anderen Arzneimitteln, Fasten oder übermäßige körperliche Betätigung. Die „Fressattacken“ und das unangemessene Kompensationsverhalten kommen im Durchschnitt mindestens zweimal in der Woche alle drei Monate vor. Die Figur und das Gewicht der Bulimie – Betroffenen haben einen übermäßigen Einfluss auf die Selbstbewertung. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf von Episoden einer Anorexia nervosa auf (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Je nachdem, ob bei der Bulimia nervosa ein „Purging“ – Verhalten vorliegt oder nicht, erfolgt die Zuordnung zu einem der jeweiligen zwei Subtypen. Der „Purging“ – Typus wird dargestellt, indem die betroffene Person während der aktuellen Episode der Bulimie regelmäßig Erbrechen induziert oder Laxanzien, Diuretika oder Klistiere missbraucht. Der „Nicht – Purging“ – Typus wird durch die Betroffene, die während der aktuellen Episode der Bulimie andere unangemessene Maßnahmen zur Verhinderung einer Gewichtszunahme, wie beispielsweise Fasten oder übermäßig körperliche Betätigung, induziert aber nicht regelmäßig Erbrechen herbeiführt und auch keinen Missbrauch von Laxanzien, Diuretika oder Klistieren betreibt, dargestellt. Vergleichsweise hoch ist unter den betroffenen Personen die Häufigkeit depressiver Symptome, z. B. ein 3. 2. Anorexia nervosa 14 niedriges Selbstwertgefühl, affektive Störungen und es treten vermehrt Angststörungen und Angstsymptome auf. Ca. ein Drittel der Bulimikerinnen missbraucht Suchtmittel, z. B. Alkohol und Stimulanzien. Zum letztgenannten wird zunächst, in dem Versuch, Appetit und Gewicht zu kontrollieren, vielfach gegriffen (Vgl. Nardone, 2003). 3.2. Anorexia nervosa Die Anorexia nervosa ist eine Essstörung, welche sich durch die Weigerung der betroffenen Person, ein Minimum des normalen Körpergewichts zu halten, definiert. Zudem besteht die große Angst vor einer Gewichtszunahme und eine erhebliche Störung der Wahrnehmung der eigenen Figur und des Körperumfanges sowie die Verleugnung der Krankheit und der Gefahr medizinischer Konsequenzen (Vgl. Forster, 2002). Erstmals tritt die Anorexie gehäuft im Jugendalter sowie vor der Pubertät vereinzelt auf und kann im späteren Erwachsenenalter beginnen bzw. rezividieren oder chronifizieren. (Vgl. Steinhausen, 2005). Der Beginn der Erkrankung der Anorexie ist oft nicht genau erfassbar. Als Kind oft „problemlos“, hilfsbereit, freundlich, strebsam und verständig, werden die ersten Anzeichen der Erkrankung von den Angehörigen oft nicht als solche wahrgenommen. Zur Persönlichkeit der Magersüchtigen kann genannt werden, dass sie typischerweise als perfektionistisch, introvertiert und selbstunsicher gelten, was sich laut Cuntz und Hillert (2003) an zahlreichen Betroffenen unterschiedlicher Untersuchungen bestätigen lässt. Nach Raabe (2004) werden die diagnostischen Kriterien der Magersucht nach den Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im ICD – 10 (307.1) wie folgt beschrieben: „Das Körpergewicht liegt mindestens 15 Prozent unter dem erwarteten oder es liegt ein Body Mass Index von 17,5 oder weniger vor. Dabei ist nicht relevant, ob dieses Gewicht durch Abnehmen erreicht wird oder ob die Betroffenen ihr Gewicht während der Pubertät halten, obwohl sie 3. 2. Anorexia nervosa 15 wachsen.“ (Vgl. Raabe, 2004, S. 7) Zu den weiteren Merkmalen der Kriterien zur Diagnose der Anorexia nervosa nach ICD – 10 (F 50.0), gehören, dass der Gewichtsverlust durch die Vermeidung hochkalorischer Nahrungsmittel und / oder selbstinduziertem Erbrechen sowie selbstinduziertem Abführen, eine übertriebene körperliche Appetitzüglern oder Aktivität von und Diuretika auch der Gebrauch herbeigeführt wird. von Eine Körperschemastörung besteht in Form von massiver Angst, zu dick zu werden, sowie einer sehr niedrigen Gewichtsschwelle. Eine endokrine Störung liegt auf der Hypothalamus – Hypophysen – Gonaden – Achse vor, die sich bei den Mädchen z. B. in Form einer Amenorrhoe und bei den Jungen als Libido und Potenzverlust manifestiert. Bei Beginn der Erkrankung ist die pubertäre Entwicklung verzögert oder gehemmt (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Daraus können u. a. ein Wachstumsstopp, eine fehlende Entwicklung der Mammae und eine primäre Amenorrhoe bei den Mädchen entstehen. Bei den Jungen können die Genitalien kindlich bleiben. Die Pubertätsentwicklung der Betroffenen wird nach der Remission häufig normal abgeschlossen, die Menarche tritt aber verspätet ein (Vgl. Rettenwander, 2005). Bei der Anorexia nervosa werden nach ICD – 10 zwei Untertypen unterschieden. Die restriktive Form der Anorexia (F 50.00), d. h. hier erfolgen keine aktiven Maßnahmen zur Gewichtsabnahme wie das Erbrechen oder das Abführen. Die zweite Unterscheidung, ist die bulimische Form der Anorexia (F50.01), mit den aktiven Maßnahmen des Erbrechens und / oder des Abführens in der Verbindung mit Heißhungerattacken. (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Eine weitere Form der Anorexie nach ICD – 10, Anorexie ist die atypische nervosa (50.1). Hier fehlen bei einem ansonsten typischen klinischen Bild ein oder mehrere Kernmerkmale, z. B. Amenorrhö oder ein signifikanter Gewichtsverlust der Anorexie (Vgl. Gerlinghoff, 2003). Diese nicht empfohlen (Vgl. Stellung Backmund und dieser Diagnose wird zudem Rettenwander, 2005). Bei den 3. 2. Anorexia nervosa Diagnosekriterien 16 der Anorexia nervosa nach DSM – IV (307.1), ist ebenfalls eine Weigerung der Magersüchtigen, das Körpergewicht über einem Alter und Größe entsprechenden minimalen Normalgewicht zu halten, vorhanden. Hier liegt das Gewicht deutlich 15 Prozent unter dem zu erwartenden Gewicht. Es bestehen demnach ausgeprägte Ängste vor einer Gewichtszunahme und die Angst davor „fett zu werden“, obwohl die Betroffenen deutlich untergewichtig sind. In der Wahrnehmung der eigenen Figur oder des Körpergewichts liegt eine Störung vor, ein übertriebener Einfluss des Körpergewichts oder der Figur auf die Selbsteinschätzung, oder das Leugnen des Schweregrades des gegenwärtigen geringen Körpergewichtes. Bei Mädchen und Frauen erfolgt eine Menarche, d. h. ein Aussetzen von mindestens 3 aufeinander folgenden Zyklen (Vgl. Cierpka und Reich, 2001). Je nachdem, ob es regelmäßig zu Essattacken oder Erbrechen bzw. Abführen kommt, wird die Anorexie zwei Subtypen zugeordnet. Beim restriktiven Typus, auch asketischer Anorexietyp genannt, hat die Magersüchtige während der aktuellen Episode der Erkrankung keine regelmäßigen „Fressanfälle“ gehabt oder hat kein „Purging“ – Verhalten, d. h. selbstinduziertes Erbrechen oder der Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren, gezeigt. Als zweiter Subtyp wird der „Binge – Eating / Purging“ -, oder auch bulimischer Typus genannt. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass die betroffene Person, während der aktuellen Episode der Anorexia nervosa, regelmäßig Heißhungerattacken hatte oder „Purging“ – Verhalten, also das selbstinduzierte Erbrechen oder der Missbrauch von Laxantien, Diuretika oder Klistieren, besitzt. In einigen Fällen kommt es nicht zu Essanfällen, nach einer Einnahme von kleineren Mengen an Nahrungsmitteln jedoch zu Purging – Verhalten (Vgl. Nardone, 2003). Bei dem restriktiven Typus zeigen die Betroffenen in höherem Maße emotionale Störungen und neigen somit eher zu Depressionen, als der bulimische Subtypus, der im Vergleich eher als extrovertiert, impulsiv und sexuell aktiv beschrieben wird. Bulimikerinnen und Anorektikerinnen mit bulimischen Episoden, zeigten sich im Vergleich mit restriktiven 3. 3. Binge - Eating - Disorder Anorektikerinnen deutlich auffälliger bei der 17 Selbstmordgefahr, der Triebhaftigkeit, bei Diebstahl, Alkoholkonsum und Drogenkonsum, sowie in der emotionalen Labilität (Vgl. Forster, 2002). 3.3. Binge – Eating – Disorder Die latente Esssucht, welche als „Binge – Eating – Störung“ oder auch „Binge – Eating – Disorder“ bezeichnet wird, wurde erst in den letzten Jahren als eine Form der Esssüchte klassifiziert und durch die internationalen Richtlinien ICD – 10 sowie DSM – IV, unter der Kategorie als eine „nicht näher bezeichnete Essstörung“ geführt (Vgl. Raabe, 2004). Solange die „Binge – Eating – Disorder“ noch keine eigenständige diagnostische Kategorie ist, wird sie im DSM – IV – TR unter 307.50 und im ICD – 10 unter F 50.9 subsummiert (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Die „Binge – Eating – Disorder“ beschreibt sich durch immer wiederkehrende Essanfälle ohne anschließender kompensatorischer Maßnahme zur Gewichtskontrolle (Vgl. Nardone, 2003). Zu den Hauptmerkmalen dieser Essstörung nach den Forschungskriterien nach DSM – IV, gehören die wiederholten Episoden von Essanfällen, in denen eine Nahrungsmenge in einer bestimmten Zeitspanne aufgenommen wird und welche erheblich größer ist, als solche, welche die meisten Menschen unter ähnlichen Umständen zu sich nehmen würden. Die Betroffene hat das Gefühl, keine Kontrolle über das Essverhalten während der Essattacke zu haben (Vgl. Raabe, 2004). Gemeinsam mit mindestens drei der folglich genannten Symptome treten die Episoden von sogenannten „Fressanfällen“ auf. Dazu gehören das wesentlich schneller gegessen wird als normal, es werden bis zu einem unangenehmem Völlegefühl Nahrungsmittel verzehrt, vor allem das Essen großer Nahrungsmengen, auch wenn die Betroffene sich körperlich nicht hungrig fühlt, das Alleinige essen aus Verlegenheit über die Zufuhr der großen Menge, die verspeist wird, sowie die anschließenden Ekelgefühle sich selbst gegenüber, 3. 4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie Deprimiertheit oder 18 große Schuldgefühle nach dem übermäßigen Essen. Ebenfalls besteht ein deutliches Leiden wegen der „Fressanfälle“, die im Durchschnitt an mindestens zwei Tagen in der Woche über einen Zeitraum von sechs Monaten auftreten. Die Essattacken gehen auch nicht mit einem regelmäßigem Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher, wie z. B. das „Purging – Verhalten“, das Fasten oder die exzessive körperliche Betätigung, und sie treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Bulimia nervosa oder Anorexia nervosa auf (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Ähnlich wie bei den anderen Essstörungen, hat die latente Esssucht bei der betroffenen Person, da sie unter ihrer Fixierung auf Nahrungsmittel leiden, vor allem seelische Folgen. Sehr oft werden durch die sog. „Fressanfälle“ Stimmungsschwankungen oder Spannungen ausgelöst, die nicht anders bewältigt werden können. Daher sind die als „Binge – Eater“ bezeichneten betroffenen Personen sehr häufig übergewichtig. Im Vergleich zu Menschen mit einem gleichen Körpergewicht, die aber nicht unter dieser Essstörung leiden, werden bei den betroffenen Personen als Empfindungen Ekel und Ablehnung in größerem Ausmaß gegenüber ihrem eigenen Körper, Depressionen, körperliche Erkrankungen sowie zwischenmenschliche Konflikte genannt. Ca. 0,7 – 4 Prozent der Bevölkerung mit einem Frauenanteil von 60 Prozent leiden unter dem Vollbild einer „Binge – Eating – Störung“, die häufig nach einem deutlichen Gewichtsverlust, z. B. durch eine Diät, erst in der späteren Adoleszenz sowie im jungen Erwachsenenalter auftritt (Vgl. Raabe, 2004). 3.4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie Bei der Bulimia nervosa und der Anorexia nervosa ist die Psychopathologie fast identisch. Die Erscheinungsformen können sich auch bei ein und derselben Person abwechseln oder überlappen. Bei Anorexie und Bulimie zeigt sich die Ähnlichkeit deutlich darin, dass 3. 4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie 19 Bulimikerinnen im Verlauf ihrer Krankheit meist genauso viel an Gewicht verlieren wie Anorektikerinnen, Gewichtsniveau mit welche Diätmaßnahmen aber auf begannen. einem Die anderen gedankliche Fixierung auf die Themen Gewicht und Essen, sowie die extreme Abhängigkeit des Selbstwertempfindens des eigenen Aussehens und auch der Figur, sind eindeutige vorhandene Gemeinsamkeiten. Als weitere gemeinsame, zentrale Problembereiche bei allen Essgestörten, werden Störungen der proporio – und interozeptiven Wahrnehmung und ein durchdringendes Gefühl eigener Unzulänglichkeit benannt. Als ein anderes wesentliches Merkmal, wird vor allem eine Vorgeschichte zu zahlreichen fehlgeschlagenen Versuchen der Gewichtsreduktion der Betroffenen gesehen. Die beiden Krankheitsgruppen unterscheiden sich hinsichtlich der medizinischen Komplikationen deutlich voneinander. Bulimie - Betroffene leiden aufgrund des selbstinduzierten Erbrechens typischerweise z. B. an unterschiedlichen Zahnschmelzproblemen und / oder Zahnfleischproblemen, an Magen – Darm – Störungen, an Herzrhythmusstörungen mit Folgen wie sowie Herzschädigungen, einer Nierenerkrankung, die an Hypokalimänie Schädigung der Speiseröhrenwand mit den Folgen von inneren Blutungen oder einem tödlichem Riss in der Speiseröhre. Für die typischen medizinischen Komplikationen der Anorexie werden eine erniedrigte Körpertemperatur und ein niedriger Blutdruck, Störungen des Stoffwechsels und des gesamten Elektrolythaushalts, welche zum Tod oder zum Kreislaufkollaps führen können, eine reduzierte Knochendichte und ein geschwollener Bauch, ein verlangsamter Puls genannt. Auch deutliche Veränderungen im Erscheinungsbild der Haut, Haare und Nägel kann die schwere Unterernährung verursachen. Die folgende Tabelle 3 zeigt, inwieweit sich die beiden Betroffenengruppen grundsätzlich voneinander unterscheiden (Vgl. Forster, 2002). 3. 4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie 20 Tab. 3: Vergleich zwischen Anorexie und Bulimie Anorexie Beide Syndrome Bulimie 90-95% weiblich; Nimmt mit Mehr als 80% etwas jünger; ca. höherem sozio- weiblich; etwas 1-3% aller ökonomischen älter; 5-13% der Mädchen vor der Status zu College- (restriktiver Typus) Epidemiologie Hochschulreife besucherinnen zeigen (prä-) zeigen klinische (prä-) klinische Symptome Symptome Psychischer Kontinuierlicher Angst um die Suboptimales Befund unbezwingbarer Figur Gewicht; Latenter Drang Hungerzustand; abzunehmen, mit Stärkere welchen Mitteln Impulsivität; auch immer; Schuldgefühl; große Eher hysterisch Selbstkontrolle, übermäßige Beherrschung; Depressives Syndrom; Eher zwanghaft Leidensdruck Gering; starke Groß; starke Verleugnungs- Schuldgefühle tendenz Selbstwert Stolz und Selbstachtung Befriedigung über und Scham über die Leistung der das Symptom Gewichtsabnahme 3. 4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie Isolation 21 Soziales Vor der Störung: Vor der Störung Verhalten eher Anpassung eher Konflikte; an die Eltern; Tendenz familiäre Tendenz der Konflikte Leugnung wahrzunehmen.; familiärer Zunehmende Konflikte; Isolation; Weniger Kontaktstörung; misstrauisch; Zunehmender Stärkere Tendenz Rückzug; zu antisozialem Misstrauisch, Verhalten insbesondere gegenüber Fachleuten; Weniger antisozial Essverhalten Verleugnung des Furcht, beim Essen Hungers („Ich nicht mehr brauche nichts“) / aufhören zu Unterdrückung können; des Hungers Anfallsweise (Passiv-restriktive auftretender Form); Zusätzlich unbezwingbarer selbstinduziertes Drang, große Erbrechen; Nahrungsmengen Laxanzien- und in sich hinein zu Diuretikaabusus schlingen (kative Form) (Kontrollverlust); Zeitlich begrenzte „Fressanfälle“ mit bis zu 20.000 kcal / Attacke Krankheits- Häufige Krankheits- Manchmal verlauf Umwandlung in bilder können Umwandlung in 3. 4. Differenzierung von Bulimie und Anorexie chronische Bulimie sich abwechseln 22 eine chronische essenseinschränkende Anorexie Krankheits- Verleugnung der Krankheits- bewusstsein Krankheit erkennung; Schuldgefühle Körper und Störung der Realistische Gewicht Körperwahrnehmung Wahrnehmung und des der Körper- Körperbildes; Immer situation; (Stark) Untergewicht; schwankendes mindestens 15% Gewicht in oder unter dem um den Normalgewicht Normbereich Lehnen traditionell Akzeptieren weibliche Rolle eher traditionell ab; weniger weibliche Rolle Interesse an eher; große Attraktivität Wertlegung auf Frau - Sein Attraktivität Menstruelle Fehlen: Amenorrhoe Normal, Perioden bei 60–100% der unregelmäßig Erkrankten oder ausbleiben: Amenorrhoe bei 40–50% der Erkrankten Therapie- Gering; sind sich der Groß; sind sich verlangen psychologischen der psycholog. Gestörtheit weniger Gestörtheit bewusst stärker bewusst Eher sexuell unreif Eher sexuell und unerfahren erfahrener und Sexualität aktiver 4. Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen 23 Quellen: Absenger (2005, S. 126 ; 127) und Forster (2002, S. 12) KAPITEL 4 4. Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen Laut Killius, Reich und Witte – Lakemann (2005) wirken Ursachen i. d. R. aus mehreren Bereichen in der Entstehung von Essstörungen zusammen. Bei den gesellschaftlichen Einflüssen sind neben dem besonders auf Mädchen und Frauen lastendem Schlankheitsdruck die widersprüchlichen Rollenerwartungen, z. B. mütterlich und gleichzeitig im Beruf durchsetzungsfähig zu sein, und die hohe Leistungserwartungen zu nennen. Die essgestörten Mädchen und Frauen haben u. a. eine stärkere Außenorientierung und eine stärkere Sozialangst als die Nicht Essgestörten. Mit einer kritischen und abwertenden Einstellung zum eigenen Körper sind die Faktoren verbunden. Bei den familiären Einflüssen wird angegeben, dass Essstörungen häufig durch Ablösungsprobleme aus der Familie und ungelösten familiären Konflikten bedingt sind. Essprobleme und Gewichtsprobleme der Eltern und Diätverhalten der Mütter, sowie die Kritik am eigenen Körper der Mädchen in der adoleszenten Entwicklungsphase, können zudem erheblich zur Entstehung von Essstörungen beitragen. Bei Problemen mit der Weiblichkeitsentwicklung als Ursachenfaktor, lehnen die essgestörten Mädchen und jungen Frauen ihren Körper ab und empfinden ihn als unzulänglich. Als ein weiterer, wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von Bulimia nervosa, hat sich das frühe Einsetzen der Menarchie erwiesen. Ein häufig zu findender Entstehungsfaktor ist bei vielen schweren seelischen Erkrankungen ein sexueller Missbrauch und andere traumatisierende Erfahrungen. Bei Bulimikerinnen ist ein sexueller 4. Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen 24 Missbrauch, insbesondere wiederholter schwerer sexueller Missbrauch, häufiger als bei gesunden und psychiatrischen Vergleichspersonen zu finden, während Anorektikerinnen sich hier von gesunden, nicht aber von psychiatrischen Vergleichspersonen unterscheiden. Dass der Einfluss sexueller Traumatisierung auf die Entwicklung von Bulimie erheblicher ist, als der genetische Einfluss, zeigt eine durchgeführte Studie an Zwillingen. Bei den Persönlichkeitsstörungen, als Ursachenfaktor für Essstörungen, sind die essgestörten Mädchen und Frauen häufig leistungsorientiert und perfektionistisch, insbesondere die Anorektikerinnen, und haben Selbstwertprobleme. Zudem sind die Anorektikerinnen oft zwanghaft und kontrollierend, während die Bulimikerinnen häufig impulsiv sind. Neben den genannten Faktoren werden auch die genetischen Einflüsse diskutiert. Insbesondere bei der Anorexie scheinen diese eine Rolle zu spielen, wo bei den eineiigen Zwillingen Konkordanzraten bis zu 57 Prozent und bei den zweieiigen Zwillingen bis zu 9 Prozent und bei der Bulimie entsprechende Raten von insgesamt 35 Prozent bzw. 30 Prozent gefunden wurden. Dies spricht für einen bedeutenden genetischen Beitrag zu beiden Erkrankungen. Weiterhin offen bleiben dabei aber die Fragen auf verschiedenen Eben, z. B. bzgl. der Diagnosestellungen, des Vererbungsweges sowie der Umwelteinflüsse, da in diesem Bereich die Adoptionsstudien immer noch fehlen. Laut einer Untersuchung zu den wichtigsten Problembereichen, die als Faktor einer Ursache zur Entstehung von Essstörungen einhergehen können, wurden durch die Klientinnen am häufigsten das Gewicht, die Essanfälle sowie das Selbstwertgefühl benannt. Neben den zwei zentralen Aspekten der Essstörung selbst, spielen also Probleme mit dem Selbstwertgefühl eine zentrale Rolle sowie das Körpergefühl bzw. die Körperwahrnehmung, das Diätverhalten, das Erbrechen, die insgesamt gedankliche Beschäftigung mit Essen, die Depressivität und die Probleme in der Herkunftsfamilie spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle. Anschaulich ist dies in der folgenden Tabelle 4. 4. Risikofaktoren für die Entstehung von Essstörungen 25 Tab. 4: Wichtigster Problembereich Problembereich Häufigkeit Prozente Gewicht 61 15,3 Selbstwertgefühl 60 15,0 Essanfälle 60 15,0 Körpergefühl und Körperwahrnehmung 51 12,8 Gedankliche Beschäftigung 38 9,5 Erbrechen 22 5,5 Depressivität 18 4,5 Dauerndes Diätverhalten / 16 4,0 Probleme in der Herkunftsfamilie 12 3,0 Partnerbeziehung 8 2,0 Leistungsbereich u. Arbeitsbereich 6 1,5 Grenzüberschreitungen 6 1,5 6 1,5 Soziale Isolation 6 1,5 Ernährungsqualität 5 1,3 Regulierung von Gefühlen 5 1,3 Anderes Problem 5 1,3 Kommunikationsprobleme 3 0,8 3 0,8 Ängste 2 0,5 Zwanghafte Züge 2 0,5 Sonstiger Substanzmissbrauch 2 0,5 mit dem Essen eingeschränkte Nahrungsaufnahme in der Herkunftsfamilie Kommunikationsprobleme in der Herkunftsfamilie in der Partnerbeziehung Laxanzien - / Diuretika - / Appetitzügler - Abusus (Alkohol / Drogen) 4. 1. Gesellschaftliche Faktoren Grenzüberschreitungen 26 2 0,5 Gesamt 399 100,0 Keine Angaben 133 Summe 532 in der Partnerbeziehung Quelle: Killius, Reich und Witte – Lakemann (2005, S. 144) 4.1. Gesellschaftliche Faktoren 4.1.1. Schönheitsideal – Schlankheitsideal Laut Borgart und Meermann (2006) beziehen sich die soziokulturellen Erklärungsversuche darauf, dass die Essstörungen fast ausschließlich in den westlichen Überflussgesellschaften vorkommen und größtenteils nur Frauen betroffen sind. Der gesellschaftliche Druck auf Mädchen und Frauen, attraktiv sein zu müssen, die Gleichsetzung von Schlanksein mit der Schönheit, Gesundheit und Erfolg, sowie die Modellvorgaben in Zeitschriften, Fernsehen und anderen Medien, werden als wichtige Erklärungsfaktoren angesehen. „Das Körpergefühl einer Frau spiegelt unweigerlich ihre Verinnerlichung von vorherrschenden gesellschaftlichen Normen wider. Und je nachdem, wie ihr eigenes Urteil ausfällt (wie „in“ oder „out“ ihr Körper ist, gemessen an den zur Zeit herrschenden Normen weiblicher Attraktivität), steigt oder fällt ihre Selbstachtung.“ (Vgl. Forster, 2002, S. 18) Das Schlankheitsbewusstsein und daher auch die Essstörungen haben sich in jüngster Zeit in allen Schichten und auch unter den Männern stärker ausgebreitet. Unter den Frauen und auch unter den Männern in den westlichen Gesellschaften steigen die Unzufriedenheit und die Sorge 4. 1. Gesellschaftliche Faktoren 27 um das Aussehen, das Gewicht und die Figur, sowie der Druck, gut aussehen zu müssen, stetig. Etwa 5 bis 10 Prozent aller Männer sind dennoch nur von Essstörungen betroffen (Vgl. Cuntz und Hillert, 2003). Besonders an hohen Erwartungen, an körperlicher und sexueller Attraktivität, werden Frauen allgemein gebunden. Was auf die Zunahme der Häufigkeiten von Essstörungen, im Einzelnen auf die soziokulturellen Faktoren zurückzuführen ist, ist das gesellschaftliche (extreme) Schlankheitsideal und der daraus resultierende Druck, die, mit dem eigenen Körper und der Figur allgemeine, weit verbreitete Unzufriedenheit, die Überbewertung der äußeren Erscheinung, vor allem bezüglich bei Frauen, die Stigmatisierung von Übergewicht, divergierende Rollenerwartungen an Frauen (die Rollenüberlastung), der Leistungsdruck, der Anpassungsdruck und die Doppelbelastung für Frauen. In den westlichen industrialisierten Ländern wird die Schlankheit mit Kompetenz, Selbstkontrolle, Erfolg und Schönheit gleichgesetzt. Mit einem Mangel an Intelligenz und mit beruflicher Inkompetenz werden dagegen üppige weibliche Formen assoziiert. Die Basis für die Entwicklung einer Essstörung sind das daraus resultierende Diätverhalten und andere gewichtsreduzierende Maßnahmen. Eine Essstörung gibt es nicht ohne Diät. Den Endpunkt eines Kontinuums stellen die Bulimie und die Anorexie dar. Sog. „kulturgebundene Syndrome“ seien Essstörungen, d. h., dass sie mit zentralen, kulturspezifischen Werten, Normen oder Lebensstilen verbunden sind (Vgl. Forster, 2002). „Das Thema Diät halten ist in der Gesellschaft so allmächtig und präsent, dass es von vielen als völlig normal angesehen wird und mögliche schädliche Folgen nicht bedacht werden.“ (Vgl. Raabe, 2004, S. 28) Besonders besorgniserregend ist unter den weiblichen Jugendlichen das unverhältnismäßig häufige Auftreten unangemessener essstörungstypischer Verhaltensweisen. Bereits sehr junge Mädchen gefährden ihre Entwicklung durch bizarre Essgewohnheiten, da sie sich 4. 1. Gesellschaftliche Faktoren 28 ein Gewicht wünschen, das für ihr Alter und ihre Größe weit unterhalb des angemessenen Normwertes liegt. Bereits vor dem Eintritt in die Pubertät beschäftigen sich viele Mädchen mit ihrem Körpergewicht und führen Diäten durch. In einer Studie des Therapiezentrums (TCE) für Essstörungen am Max – Planck – Institut für Psychiatrie in München im Rahmen eines Präventionsprojektes an bestätigt. An sechs Gymnasien wird dies dieser Untersuchung nahmen 425 Mädchen und 222 Jungen im Alter zwischen 9 und 13 Jahren teil. Im Bereich des Normalgewichts befand sich die Mehrzahl der Kinder, untergewichtig waren 23 Prozent der Mädchen und 17 Prozent der Jungen. Die Ergebnisse zeigten, dass über die Hälfte, mit 51 Prozent der Mädchen und ein Drittel der Jungen, mit 34 Prozent, die Frage, ob sie denn schon einmal den Wunsch hatten, dünner sein zu wollen, bejahten. Dass sie bereits einmal versucht hatten, abzunehmen, gaben etwa 38 Prozent der Mädchen und 28 Prozent der Jungen an. Ca. 16 Prozent der untergewichtigen Kinder wollten schon einmal dünner sein und trotz Untergewichts, haben bereits 8 Prozent eine Diät gemacht. Somit lässt sich anhand der Ergebnisse zeigen, dass Kinder bereits, bevor sie in die Pubertät kommen, mit ihrem momentanen Gewicht unzufrieden sind und zu einem hohen Prozentsatz Diäten durchführen (Vgl. Forster, 2002). Nach Absenger (2005) sind bei Frauen und Männern das Körperbild und die Identifizierung an differenzierte kulturelle Körperbilder gebunden. Über (ein-)geprägte gesellschaftliche Bilder, Normen und Vorstellungen konstituiert sich der Körper. Durch die Sozialisation, die familiären Systeme, die Erziehung, die Schule und die Medien, kann die moderne Frau einen sozialen Druck erfahren, der u. a. ein Schlankheitsbedürfnis in ihr weckt. Rollenkonflikte, sei es z. B. als Partnerin, Hausfrau, Mutter und / oder im Berufsleben, sind ihr zudem nicht fremd. In einem Spannungsverhältnis können Appetit und Hunger zur Angst vor einer Gewichtszunahme Beschäftigung mit stehen, welche dem Essen und sie zu ständiger einer permanenten Diät führen kann. Psychogene Essstörungen, Fressanfälle, Erbrechen und auch das 4. 2. Psychosoziale Faktoren Verweigern, kann die 29 Folge davon sein. Veranschaulicht wird die Abfolge dieser Tendenz in der folgenden Abbildung 2. Abb. 2: Soziale Einflüsse zur Entstehung von Essstörungen bei Frauen Sozialisation, Erziehung, Familie, Schule, Medien SOZIALER DRUCK . Frau Schlankheitsbedürfnis ROLLENKONFLIKTE Partnerin, Hausfrau, Mutter, Beruf APPETENZ – AVERSIONS – KONFLIKTE Appetit versus Angst vor Gewichtszunahme STÄNDIGE DIÄT Überbetonung von Figur und Gewicht Psychogene Essstörungen Verweigern, Fressanfälle Erbrechen Quelle: Absenger (2005, S. 24) 4.2. Psychosoziale Faktoren 4.2.1. Störungen bei der Entwicklung des Körperselbstbildes 4. 2. Psychosoziale Faktoren 30 Als Körperbild bezeichnet Raabe (2004) das: „Auf Grund der Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Grenze zwischen eigenem Körper und Umwelt entstehende Bild.“ (Raabe, 2004, S. 28) Bei der Entwicklung des Körperbildes spielen gerade die Eltern hier eine entscheidende Rolle. Den Eltern fällt es aber auch oft schwer, den Körper ihrer Kinder realistisch einzuschätzen, was sich wiederum auf die Kinder auswirkt. Bspw. kann es dazu führen, dass die Essgewohnheiten und Suchtstrukturen nicht Krankheitsbewusstsein hinterfragt bei den werden, Betroffenen da besteht. keinerlei Z. unberechtigte Gefühl, zu dick zu sein, was zu unnötigem führen kann psychische und und sich die Körperwahrnehmung durch physische Faktoren immer weiter B. das Diäthalten diverse verzerrt. Eine wesentliche Komponente des Körperbildes ist auch die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper. In einer Studie gaben bspw. der 8 – bis 10jährigen Mädchen mit 55 Prozent und 35 Prozent der Jungen an, dass sie mit ihren Körpermaßen nicht zufrieden sind. Vor allem in der Pubertät, wenn sich die Jugendlichen an die Veränderungen ihres Körpers gewöhnen müssen. Ein negatives Körperbild und die Unzufriedenheit haben verschiedene Auswirkungen, was oft ein gestörtes Selbstwertgefühl zur Folge hat. Und oftmals führt dann die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper zu einem Diätverhalten, womit das Risiko, an einer Essstörung zu erkranken, auf lange Sicht erhöht wird (Vgl. Raabe, 2004). Fichter (2005) berichtet, dass sich besonders in der Adoleszenz neue Anforderungen, wie z. B. die Beziehungsfähigkeit und das Vertrauen in Freunde und dem Partner, die Leistungserwartungen in der Schule, in der Ausbildung oder im Beruf sowie die Entwicklung der inneren Reife, zur späteren Übernahme der Rolle als erwachsene Frau, für das Individuum stellen. Die Magersucht stellt nicht selten eine Regression in die Kindheit dar und durch die Erkrankung kann es vermeiden werden, Verantwortung, 4. 2. Psychosoziale Faktoren 31 Pflichten und Risiken des Erwachsenlebens übernehmen zu müssen. Die „Essattacken“ können vorübergehend Probleme und Konflikte unterdrücken. In der Arena des Essens oder des Nichtessens und der völligen gedanklichen Einengung auf die übermäßige Schlankheit, kann sich die Essgestörte ihre Kontrolle über sich leichter beweisen, als für die Komplexität des Lebens insgesamt. Laut Borgart und Meermann (2006) ist die Zeit der Pubertät für viele Jugendliche eine Zeit seelischer Instabilität, Unsicherheit und Angst. Für die heranwachsenden Mädchen ist in dieser Phase die körperliche Selbstfindung und Attraktivität gleichzeitig ein wichtiger Aspekt der findet sich eine starke Propagierung schlanker Modeideale in der Öffentlichkeit, die in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper eine wichtige Moderatorfunktion besitzen. Zusätzlich kann die übertriebene Schlankheit sexuelle Triebimpulse, die als widersprüchlich erlebt werden, steuern, indem sie vergeistigt oder durch Hungern die körperliche Reifung verzögert wird. Die Pubertät ist auch eine Zeit von schwieriger sozialer und familiärer Anpassung mit Auseinandersetzungen in vielen sozialen Feldern. In dieser Zeit, welche als besonders widersprüchlich und konflikthaft erlebt wird, kann eine starke Fixierung auf Schlankheitsnormen, etwa durch ein strenges Diäthalten, dadurch positiv verstärkt werden, dass einerseits ein höheres Maß an Attraktivität erreicht wird. Dadurch, dass die Auszehrung und die körperliche Schwäche eine Möglichkeit bieten, aus sozialen oder zwischengeschlechtlichen Konfliktsituationen flüchten zu können, kann die Gewichtsreduktion andererseits negativ verstärkt werden. Die Erkrankte erhält zusätzlich Macht und Kontrolle über ihre Familie und das soziale System, in dem sie lebt. Diese Konsequenzen, welche als angenehm empfunden werden, bekräftigen Dadurch, dass das selbstkontrollierte Hungern. die Betroffenen häufig bemüht sind, allen Erwartungen anderer gerecht zu werden, bleibt kaum Raum für ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Oft stellt das Hungern dann den einzigen Lebensbereich dar, in dem die Essgestörten von anderen unabhängige Entscheidungen treffen. Somit entwickelt sich das Hungern zu 4. 2. Psychosoziale Faktoren einer vielfältig Vermeidung 32 verstärkten Verhaltensweise, die den Betroffenen die angstauslösender Reize ermöglicht, wie etwa eine Auseinandersetzung mit bevorstehenden kritischen Lebensereignissen wie u. a. der Auszug, die Berufsfindung sowie die Partnerwahl. Oder die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und der Körperlichkeit kann verhindert werden. Im Interaktionsverhalten der Betroffenen gewinnt dieser Prozess des Hungerns damit eine Rolle als breit einsetzbare Verhaltensstrategie zum Ausüben von Kontrolle und Macht. „Der Körper wird verstärkter Kontrolle unterworfen, da er als unberechenbar und bedrohlich fremd erscheint. Der Körper wird vernachlässigt, es wird sorglos und gesundheitsschädlich mit ihm umgegangen, er wird als Schutzwall benutzt, um Stärke oder Schwäche zu signalisieren. Das Individuum fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, ist unfähig, Sicherheit, Geborgenheit und inneren Frieden im eigenen Körper zu finden“ (Vgl. Forster, 2002, S. 37) Oftmals glauben die essgestörten Mädchen und Frauen, sie würden hauptsächlich nach ihrem Äußeren und nicht nach anderen Persönlichkeitsmerkmalen, beurteilt. Für sie stellt das Dünnsein den wichtigsten Aspekt ihres Selbstbildes dar. Das Nicht – Dünnsein bedeutet faul, wenig liebenswert, schwach und inkompetent zu sein. Viele Betroffene machen ihren Körper für ihr Daseinsversagen und die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten verantwortlich. Charakteristisch sind die Gedanken wie z. B. „Wenn ich nicht so dick wäre, dann wäre ich beliebter“ oder „Wäre ich dünner, dann hätte ich auch mehr Erfolg“. Ihr Aussehen, beeinflusst den eigenen Selbstwert mehr als alle anderen Persönlichkeitsmerkmale. Mit einem schönen Körper sollen die Selbstwertprobleme essgestörter Mädchen und Frauen folglich wettgemacht werden. Besonders für die therapeutische Arbeit sind diese Überbewertung des Aussehens und sein enormer Einfluss auf den Selbstwert essgestörter Mädchen und Frauen von großer Bedeutung (Vgl. 4. 2. Psychosoziale Faktoren 33 Forster, 2002). 4.2.2. Sexuelle Gewalt Die sexuelle Kindesmisshandlung (Child Sexual Abuse / CSA) wird im DSM – IV explizit als eine psychische Traumatisierung definiert. Entsprechend den DSM – IV – Kriterien liegt eine sexuelle Traumatisierung im Kindesalter dann vor, wenn ein Kind mit sexuellen Erfahrungen konfrontiert unangemessen sind. wird, CSA wird die seinem beschrieben Entwicklungsstand als eine extreme Lebenserfahrung, welche einen Angriff auf die physische und psychische Integrität des Kindes darstellt, Gefühle der Ohnmacht und der Isolation erzeugt und i. d. R. mit einer Verwirrung, einer Hilflosigkeit, einem subjektiv erlebtem Kontrollverlust und / oder intensiver Angst erlebt wird. Durch eine massive äußere Bedrohung, die Überflutung des Bewusstseins und die Überstimulierung aller Sinne, sind die sexuellen Traumatisierungen so bedrohlich und stressbeladen, dass bestehende affektive und psychomotorische Schutzstrategien und Bewältigungsstrategien sowie vorhandene kognitive Schemata kurzfristig oder langfristig überfordert werden (Vgl. Feistner, 2006). Laut Thiels (2004) wird angegeben, dass etwa 30 Prozent der Essgestörten in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden seien. Zudem wird berichtet, dass Menschen mit Essstörungen häufig Merkmale aufweisen, die sich oft auch bei Opfern von sexueller Gewalt finden, z. B. eine ablehnende Einstellung ihrem eigenem Körper gegenüber, ein durch Schuld und Scham belastendes Selbstgefühl sowie eine ablehnende Haltung gegenüber der Sexualität (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier, 2005). „Mit der Weigerung zu essen oder mit dem Versuch, die Nahrung durch Erbrechen wieder aus ihrem Körper zu entfernen, werden die unangenehmen Gefühle des missbrauchten Körpers abgespalten; der 4. 3. Familiäre Faktoren 34 Körper, der das Schmutzige und Böse symbolisiert, wird abgelehnt und geschädigt.“. (Vgl. Raabe, 2004, S. 33) Durch die Kontrolle des Körpers und des Essens stellen die Essstörungen eine Möglichkeit dar, einen Rest von Autonomie zu bewahren. Es scheint, dass der Schweregrad der Essstörung von dem Schweregrad und der Dauer der sexuellen und körperlichen Misshandlung beeinflusst ist (Vgl. Raabe, 2004). In methodisch sorgfältig durchgeführten Untersuchungen konnte die Hypothese nicht bestätigt werden, dass traumatische Erlebnisse speziell zur Entstehung von Essstörungen führen. Dass sexuelle Traumata generell das Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen erhöhen und damit auch zu der Entwicklung von Essstörungen beitragen können, dass sie aber keinen spezifischen Risikofaktor für Essstörungen darstellen, dafür sprechen die Befunde (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier, 2005). Laut Jacobi, Paul und Thiel (2004) kommen Studien, die zwischen dem Missbrauch in der Kindheit und der Adoleszenz unterscheiden bzw. die zeitliche Abfolge berücksichtigen, einheitlich zum Ergebnis, dass sexueller Missbrauch sowohl bei den bulimischen wie auch den anorektischen Essgestörten im Vorfeld der Essstörung gehäuft beobachtet werden kann. Ebenfalls konnten in einer Längsschnittstudie ein sexueller Missbrauch und eine körperliche Vernachlässigung als Risikofaktoren für spätere Essstörungen bestätigt werden. Laut Feistner (2006) ermittelten empirische Studien im Inland und Ausland CSA – Prävalenzraten zwischen 6 Prozent und 36 Prozent für die Frauen in nichtklinischen Populationen. Nachgewiesen wurden in klinischen Stichproben Prävalenzraten zwischen 18 Prozent und 70 Prozent. 4.3. Familiäre Faktoren Viele Ursachen für die Entwicklung einer Essstörung liegen nach Raabe 4. 3. Familiäre Faktoren 35 (2004) aus der psychoanalytischen und familientherapeutischen Sicht in der Familie, wobei ganz unterschiedliche Faktoren für die Ursache und der Auslöser für Essstörungen nach theoretischer Sichtweise sein können. Der Zusammenhang zwischen den Familienstrukturen und den Essstörungen wird bezweifelt und sei es nicht sinnvoll, den Familien die Schuld für eine Erkrankungsursachen entstandene in der Essstörung Familie werden zu geben. besonders bei Die der Erforschung der Anorexie gesucht. Eine besondere Bedeutung kommt bei der Entstehung einer Anorexie sowohl der Interaktion der einzelnen Familienmitglieder als auch der Interaktion von Mutter und Tochter zu. Es wird berichtet, dass die Essgestörten meist aus ganz normalen Mittelstandsfamilien kommen und dort eine traditionelle Rollenverteilung existiert und die Familien sich sehr bemühen, nicht aufzufallen oder keinen Anlass zu Kritik zu geben. Beim Idealtypus in der „Magersuchtsfamilie“ kann genannt werden, dass hier eine sehr starke Bindung innerhalb der Familie besteht, welche über Generationen oft aufrechterhalten wird. Verklärt und überbewertet werden hier die Werte wie Opferbereitschaft, der Verzicht auf die eigenen Bedürfnisse und die Leistungsorientierung. Dagegen erschwert werden Ablösungsschritte und Individuationsschritte und dies wiederum führt zu einem sehr starken Familienzusammenhalt. „Durch ein starkes Harmoniebedürfnis, eine Überfürsorglichkeit und die Vermeidung von Konflikten, zeichnet sich die Interaktion dieser Familien aus. Als ein Versuch der Abgrenzung gegen die starren Familienstrukturen wird hier die Nahrungsverweigerung beschrieben. Die anorektischen Mädchen und jungen Frauen erlangen somit durch ihr Hungern ein Stück Autonomie und Kontrolle über sich und ihren Körper. Durch ihre Krankheit versuchen die Betroffenen Zuwendung zu erpressen, die sie aber nicht bekommen. Die bereits bestehenden Familienstrukturen werden damit aber noch weiter verfestigt und die Loslösung von der Familie scheitert und letztlich verharren die Eltern in den vertrauten Rollen der Selbstaufgabe und der Aufopferung. Nach Cierpka und Reich (2001) werden die „Bulimiefamilien“ als konfliktreich 4. 3. Familiäre Faktoren 36 beschrieben, die Konflikte werden in der Familie aber offen und lautstark ausgetragen. Als oftmals orientierungslos und unschlüssig werden die Bulimikerinnen bezeichnet, was im Widerspruch zu der besonderen Betonung von gesellschaftlichem Erfolg in ihrer Familie steht. Um anderen, insbesondere den Männern, zu gefallen und dem Urteil anderer zu entsprechen, dazu werden die Bulimikerinnen erzogen. Ähnlich wie bei der „Magersuchtsfamilie“ stellt die „typische Bulimiefamilie“ ein geschlossenes System, in denen rigide Regeln und Normen herrschen, dar und jede Veränderung als bedrohlich wahrgenommen wird, was zur Folge hat, dass die Bildung eigener Standpunkte erschwert wird. Ebenfalls beeinträchtigt, wird die Entwicklung von eigenen Gefühlen durch die fehlende emotionale Zuwendung der Eltern. Dies wiederum hat eine Störung des subjektiven Körpererlebens zur Folge. Nach Beyer (2000) wird betont, dass es sowohl unterstützende (funktionale) als auch entwicklungshemmende (dysfunktionale) Muster und Regeln des Zusammenlebens in Familien und auch in Partnerschaften gibt. Als Suchtsysteme werden hier die Familien mit dysfunktionalen Regeln bezeichnet. In diesem Zusammenhang bedeutet Dysfunktionalität, dass Regeln herrschen, die das süchtige Verhalten der einzelnen Familienmitglieder unterstützen und es erschweren, z. B. dass die Tochter aufhört zu hungern. Die Konfliktunfähigkeit wird hier als ein wesentliches Merkmal dieser Systeme benannt. „Die Art und Weise, wie Suchtfamilien mit Problemen und Konflikten umgehen, ist nicht konstruktiv. Das bedeutet, dass Probleme „unter den Tisch“ gekehrt werden und erst dann als Problem anerkannt werden, wenn es nicht mehr anders geht. Im Bild gesprochen: Wenn der Berg unterm Teppich so hoch geworden ist, dass jeder darüber stolpern muss.“ (Vgl. Beyer, 2000, S. 100) Eine Essstörung kann in einer harmoniedominierenden Familie das Mittel des Protests werden, wenn die Tochter bspw. keine andere Möglichkeit 5. 1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie 37 findet, sich abzugrenzen. In diesen Familien wird der Bewahrung der Harmonie ein hoher Wert zugebilligt. Unterschiede zwischen den einzelnen Familienmitgliedern werden hier nicht zur Kenntnis genommen. Ein weiteres Extrem sind die streitdominierenden Familien, in denen es ständig Auseinandersetzungen gibt und nur selten eine friedliche Stimmung herrscht. In diesen Familien werden die Interaktionsmuster als die „distanz – sensitiven“ bezeichnet. Die Unabhängigkeit des Individuums ist hier das Ideal, das seine Selbständigkeit betont und sich nicht irgendwelchen äußeren Zwängen unterwirft. In diesen Familien scheint die wichtigste Regel die Vermeidung eines Konsens zu sein. Demonstriert wird die individuelle Unabhängigkeit durch die Betonung und das Heraufspielen aggressiven von Konflikten. Indem die beteiligten Personen ihre Gefühle äußern, grenzen sie sich voneinander ab. Gegenseitige Zuneigung zu zeigen, wird vermieden, da Gemeinsamkeiten so betont und eine vorübergehende Einigung erzielt werden könnte. Ein Anderssein wird letztendlich auch in diesen Familien nicht toleriert. Nur die Art und Weise der Auseinandersetzung von den harmonisierenden unterscheidet sich (Vgl. Beyer, 2000). KAPITEL 5 5. Symptomatik und Krankheitsverlauf sowie Folgen von Bulimie und Anorexie 5.1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie Nach Schuhler, Vogelsang und Zielke (2005) sind der Schweregrad sowie der Verlauf der Erkrankungen sehr variabel, z. B. durch ein extrem 5. 1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie 38 niedriges Gewicht oder durch schwere Elektrolytstörungen können lebensbedrohliche Zustände für Essstörungen handelt es die Betroffenen entstehen. Bei den sich um komplexe psychosomatische Erkrankungen, und somit können sich je nach dem Schweregrad und dem Verlauf der Erkrankung, die Symptome ergeben. körperlichen dementsprechend zu verschiedensten Diese psychischen psychischen wiederum wie und können körperlichen Leistungseinschränkungen führen. Die Verlaufsdauer der Erkrankung, die spezifische Symptomatik und mögliche Hinweise auf eine bereits vorliegende Chronifizierung, sind bezüglich der Anamnese zu erfassen. Auch die Frage nach einer Einnahme von Laxantien, Diuretika oder Appetitzüglern sowie das Ausmaß der somatischen Begleiterscheinungen und der Komorbidität muss geklärt werden. Zu nennen sind in erster Linie an psychopathologischen Auffälligkeiten die mental – kognitiven Auffälligkeiten, hierbei vor allem die Konzentrationsstörungen. Häufig lassen sich Hinweise auf eine depressive Stimmung, eine affektive Einengung, eine inhaltliche Fixierung auf die Symptomatik, wo sich alles nur um die Themen des Essens, des Körperschemas und des Gewichts dreht, oder bestimmte Persönlichkeitsstrukturen finden. Daraus ergibt sich schließlich eine Depression, psychiatrische eine Belastungsstörungen, Komorbidität, Persönlichkeitsstörung ein meist oder posttraumatische Suchtmittelmissbrauch Suchtmittelabhängigkeit (Vgl. Feistner, 2006). eine oder die Hervorzuheben ist besonders der BMI - Wert, der muskuläre Kräftezustand, der arterielle und venöse Gefäßstatus einschließlich des Blutdrucks, die körperlichen Funktionseinschränkungen sowie der Zahnstatus bzw. die Inspektion der Ohrspeicheldrüsen. Zahnschäden sowie Schwellungen der Ohrspeicheldrüsen sind als Hinweise auf ein Erbrechen zu werten. Labordaten wie das Blutzuckerprofil, die Serumlipidwerte, Elektrolyte und Schilddrüsenwerte herangezogen. Bei werden bis die Elektroenzephalografie durch zu 50 technische Prozent Untersuchungen der Fälle zeigt (EEG) Veränderungen, vor allem leichte 5. 1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie 39 Allgemeinveränderungen, welche jedoch unspezifisch sind. Ergänzend können eine craniale Computertomographie (CCT) und / oder die Magnet – Resonanz – Tomographie (MRT) mit der Frage einer Hirnatrophie und eine kardiologische Diagnostik mit Hilfe eines Elektrokardiogramms (EKG), eines Belastungs – EKG`s sowie einer Echokardiographie erfolgen. Zum Verlauf der Anorexie nervosa ist zu nennen, dass sie sich typischerweise im mittleren Jugendalter bei scheinbar problemlosen funktionierenden und leistungsorientierten übergewichtigen Mädchen manifestiert. und nicht selten leicht Die Erkrankung kann auf eine spontan remittierende Episode beschränkt bleiben, ohne eine Therapie verläuft sie häufig chronisch ondulierend in Phasen mit dazwischen liegenden Subremissionen bzw. in unterschiedlicher rascher Progredienz, eventuell sogar mit einem letalen Ausgang. Eine primär restriktive Anorexie geht nicht selten in eine Anorexia vom „Binge – Eating – purging – Typus“ und dann in eine Bulimia nervosa über, da die Nahrungsrestriktion auf Dauer so nicht aufrechterhalten werden kann. Bei der Bulimia nervosa dagegen, liegt der Beginn der Erkrankung im späten Jugendalter und im frühen Erwachsenalter. Die vorangegangenen Phasen der Nahrungsrestriktion, häufig in der Form einer anorektischen Symptomatik und oft auch bei Normalgewichtigkeit und Übergewichtigkeit, sind die Wegbereiter für die bulimische Erkrankung. Obwohl auch bei der Bulimie Episoden mit Spontanremissionen vorkommen, nehmen sie meistens einen chronischen Verlauf. Je nach dem vorliegenden Gewichtsbereich, kann die Störung abwechselnd mit einer Anorexie vorkommen oder auch bei Aufgabe der Purging – Maßnahmen in eine „Binge – Eating – Disorder“ übergehen. In den unterschiedlichsten Schweregraden von leicht bis letal verläuft die Bulimia nervosa. Mit einer Komorbidität bezüglich depressiven Störungen, Persönlichkeitsstörungen mit einer mangelnden posttraumatischen Impulskontrolle, Belastungsstörungen, Suchterkrankungen insbesondere nach sowie einem sexuellen Missbrauch, tritt sie gehäuft auf (Vgl. Schuhler, Vogelsang und Zielke, 2005). Laut Cierpka und Reich (2001) liegen Untersuchungen zum 5. 1. Symptomatik und Krankheitsverlauf von Bulimie und Anorexie 40 Krankheitsverlauf der Anorexie über die Langzeitverläufe vor, und die Ergebnisse hängen stark von der Katamnesedauer ab. Insgesamt wird eine Heilung bei ca. 25 Prozent angegeben. Bei 20 bis 30 Prozent der Patientinnen wird eine Besserung erreicht und bei etwa 25 Prozent chronifizieren die Verläufe. Von bis zu 76 Prozent der Patientinnen zeigte sich in Langzeituntersuchungen von über 9 Jahren eine Normalisierung des Gewichts und des Menstruationszyklus. Allerdings beschäftigen sich immer noch bis zu zwei Drittel der Patientinnen stark mit ihrem Gewicht und einer Diät. Bei etwa ein Drittel der Patientinnen entwickelt sich ein normales Essverhalten. Ein hohes Risiko besteht nach 5 Jahren Krankheitsdauer zur weiteren Chronifizierung. Über bulimische Phasen im Langzeitverlauf berichteten zwischen 7 und 40 Prozent der anorektischen Patientinnen. Gehäuft sind Bulimien bei Patientinnen zu finden, die weiterhin gleichzeitig an einer Anorexia nervosa leiden. Zudem finden sich bei Patientinnen, mit einem insgesamt schlechteren Therapieergebnis, bulimische Symptome. Viele anorektischen Patientinnen verlieren auch ihre anfänglichen bulimischen Symptome im weiteren Verlauf, so dass insgesamt nicht gesagt werden kann, dass Anorektikerinnen häufig, statt ihrer Ersterkrankung, eine Bulimie entwickeln. Depressionen kommen bei bis zu 37 Prozent vor, Zwangssymptome bei bis zu 22 Prozent. Alkohol und Drogenmissbrauch kommen bei 11 Prozent der Patientinnen vor, Schizophrenie und soziale Phobien treten bei etwa 2,5 Prozent auf. Nach Jacobi, Paul und Thiel (2004) liegen die Mortalitätsraten unter 5 Prozent in mittelfristig angelegten Katamnesen von 5 bis 8 Jahren. Mit zunehmender Katamnesedauer steigen sie. Die Todesursachen sind häufig die Folgen der Abmagerung, insbesondere der plötzliche Herzstillstand, infektiöse Erkrankungen, Nierenversagen und der Tod durch Suizid (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Bei der Mehrzahl der Betroffenen bleibt anorektisches Essverhalten unbehandelt bestehen. Hier beträgt die Mortalitätsrate bis zu ganzen 12 Prozent. Spontanheilungen in Bezug auf das Körpergewicht, jedoch mit bleibenden schweren psychischen und sozialen Schäden, ergeben sich bei 20 bis 30 Prozent der Betroffenen (Vgl. Schuhler, 5. 2. Körperliche und psychische Folgen von Bulimie und Anorexie 41 Vogelsang und Zielke, 2005). Nach Rettenwander (2005) sind bei der Bulimia nervosa dagegen etwa 50 Prozent der bulimischen Patientinnen nach 10 Jahren symptomfrei und bulimische Symptome einer Untergruppe haben etwa 20 Prozent. 15 Prozent leiden weiterhin an der Erkrankung der Bulimie. Insgesamt ist der Verlauf sehr unstet und die übrigen 30 Prozent der Betroffenen haben entweder einen Wechsel zwischen symptomfreien Intervallen und Rückfällen oder eine subklinische bulimische Symptomatik (Vgl. Cierpka und Reich, 2001). 5.2. Körperliche und psychische Folgen von Bulimie und Anorexie Durch eine Reihe von körperlichen Folgeerscheinungen zeichnen sich Essstörungen laut Borgart und Meermann (2006) aus, die insbesondere bei einer längeren Erkrankungsdauer gravierend bis lebensbedrohlich werden des können. Sowohl Erbrechens die körperlichen und als eine Folge des Hungerns als auch des Missbrauchs von Abführmitteln, treten Beeinträchtigungen auf. Als wichtigste körperliche Folgeerscheinungen der Bulimia nervosa, werden von Steinhausen (2005) Stoffwechselstörungen, Austrocknung, Muskelkrämpfe, Nierenschäden, Anschwellen Schläfrigkeitsgefühle, der Speicheldrüsen, Heiserkeit und Halsschmerzen, Haarausfall, Verletzung der Speiseröhre, Schädigung der Darmwand, Epilepsie, das Aussetzen der Magentätigkeit und ein Riss in der Magenwand, Herzrhythmusstörungen, Schlaflosigkeit, eine erhöhte Infektanfälligkeit, ein aufgedunsenes Gesicht, Erkrankung des Zahnfleisches und entmineralisierte, durch die Magensäure zerstörte Zähne, sowie eine schlechte und langsame Heilung nach Verletzungen, genannt (Vgl. Absenger, 2005). Genannt werden bei der Anorexia nervosa als wichtigste körperliche Folgeerscheinungen Untergewicht, Auszehrung, Kreislaufstörungen, niedriger Blutdruck, Ausbleiben der Regelblutung, Stoffwechselstörungen, Haarausfall, Störungen des Blutbildes, eine 5. 2. Körperliche und psychische Folgen von Bulimie und Anorexie 42 Schädigung der Nieren, Durchfall und Blähungen, Minderwuchs, Trommelschlegelfinger, des Verlangsamung Herzschlages und Herzrhythmusstörungen, Konzentrationsstörungen, Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen und Licht, starke Kälteempfindlichkeit, Blaufärbung der Extremitäten durch die verminderte Durchblutung, sowie das Sinken des Blutzuckerspiegels, Osteoporose als Langzeitfolge, Schlaflosigkeit, eine trockene, schuppige Haut und die Haut verliert an Elastizität (Vgl. Killius, Reich und Witte - Lakemann, 2005 und Steinhausen, 2005) und bekommt dadurch ein greisenhaftes Aussehen, das Haar wird dünn, brüchig und fällt aus, die Nägel werden spröde und splittern, die Gefahr von Leberversagen besteht, sowie das Risiko, an Gebärmutterkrebs zu erkranken, steigt um 50 Prozent (Vgl. Beyer, 2000). Bei den Essstörungen, ist neben den körperlichen Folgeerscheinungen, auch eine Reihe von psychischen Problemen zu nennen, die sowohl als Vorläuferproblem, eine Begleiterscheinung oder Nachfolgeproblem, eine Rolle spielen können. Insbesondere die Bulimia nervosa geht mit Depressionen einher. Zumeist als eine Folge der Essstörung treten depressive Verstimmungen auf, es kann jedoch, in einigen Fällen, auch bereits vorher eine depressive Störung bestanden haben, da sich die Essstörung als ein dysfunktionaler Bewältigungsversuch für Stimmungstiefs kennzeichnen lässt. Sehr häufig wird bei Essstörungen, insbesondere bei den Fressanfällen, Alkohol missbraucht. Bei beiden Störungsbildern handelt es sich um einen Ausdruck von mangelnder Selbstkontrolle, und die schlechte Impulskontrolle von den Essgestörten zeigt sich oft in devianten Verhaltensweisen wie das Stehlen von Nahrungsmitteln und / oder Geld, den Selbstverletzungstendenzen wie dem Ritzen mit scharfen Gegenständen und plötzlichen Wutausbrüchen. Häufig gehen Essstörungen mit Persönlichkeitsstörungen einher, wobei hier zwanghafte Persönlichkeitsstörungen und Borderline – Störungen zu nennen sind. Bei ca. 25 Prozent der Fälle liegen Traumatisierungen durch Gewalt oder sexuellen Missbrauch vor. Sowohl ursächliche Faktoren der Essstörung, als auch der Persönlichkeitsstörung können, diese 6. 1. Die Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ 43 traumatisierenden Erfahrungen darstellen (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). KAPITEL 6 6. Die Soziale Arbeit in der Beratung von Essstörungen 6.1. Die Jugend- und Drogenberatungsstelle „DROBS“ eine Anlaufstelle für Essgestörte Die Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ in Magdeburg ist eine Einrichtung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, vertreten durch das Paritätische Sozialwerk Behindertenhilfe Halle. Die „DROBS“ bietet im Auftrag des Jugendamtes der Stadt Magdeburg und des Landes Sachsen – Anhalt, vertreten durch das Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit, für die gesamte Stadt Magdeburg und in Ausnahmefällen, für die stadtnahen Regionen Hilfen an. Insgesamt hat die Beratungsstelle 195 qm Nutzfläche, drei Beratungsräume, zwei Gruppenräume, drei Büroräume, einen Wartebereich und ein Sekretariat zur Verfügung. Die personelle Besetzung der „DROBS“ Magdeburg besteht aus zur Zeit aus vier Psychologinnen, zwei Sozialpädagogen, zwei Gesundheitswirten, zwei Pädagogen, einer Verwaltungsfachkraft, welche anteilig in Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung arbeiten (Vgl. Drogen – und Jugendberatungsstelle Magdeburg, 2005). Vorwiegend bietet die „DROBS“ die Beratung und die Prävention im Bereich der Sucht an. Zu den Bereichen der Süchte zählen u. a. die Essstörungen, die Drogensucht und Alkoholsucht, die Medikamentenabhängigkeit sowie die Spielsucht. Die Grundversorgung erfolgt im Bereich von Beratung, Information und ambulanter therapeutischer Hilfe bei Suchtmittelmissbrauch und 6. 1. Die Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ 44 Suchtmittelabhängigkeit von betroffenen Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und deren Bezugspersonen. Womit gleich die Zielgruppe benannt wurde (Vgl. URL: http://www.drobs-magdeburg.de/). gesetzliche Grundlage für die Arbeit bildet das Die Kinder – und Jugendhilfegesetz (KJHG) im Rahmen des präventiven Kinder – und Jugendschutzes (KJHG; Paragraph 11, 14) und der Erziehungsberatung (KJHG; Paragraph 28). Die „DROBS“ arbeitet u. a. seit fünf Jahren auch im Bereich der Betreuung älterer Drogenkonsumenten und Klienten / Angehöriger im Bereich Essstörungen. Die Schwerpunkte der Arbeit bilden die Beratung, Informationsvermittlung, wozu die insbesondere psychosoziale die Vermittlung, Betreuung sowie die die problemorientierte Beratung gehören, sowie die Prävention, womit speziell u. a. die Schulprävention, die Projekte und die Fachstelle für Suchtprävention genannt werden können. Zudem wird eine angeleitete wöchentliche Selbsthilfegruppe im Bereich der Essstörungen angeboten, welche den Gruppennamen „Der Weg zur Brücke“ trägt und zum festen Bestandteil der „DROBS“ gehört. Der Hauptschwerpunkt der SHG ist hier der Erfahrungsaustausch mit Gleichgesinnten bzw. Menschen, die sich durch eine Erkrankung der Bulimie oder Anorexie Problemlagen befinden. Die gegenseitige in ähnlichen Unterstützung und die gemeinsame Suche nach anderen und neuen Wegen sowie Lösungen, bilden weitere Ziele. Diese SHG besteht aus Mädchen und jungen Frauen im Alter von 16 bis 30 Jahren, und in ihrem Bestehen bildet sie ein einzigartiges Angebot für die Stadt Magdeburg. Die SHG wird von den Mädchen und jungen Frauen genutzt, um eine laufende ambulante oder eine abgeschlossene stationäre Therapie zu unterstützen. Durch die SHG werden z. B. auch die Wartezeiten auf die Therapieplätze überbrückt. Die wichtigsten Vorraussetzungen, sind auch hier die Freiwilligkeit in der Teilnahme an der Gruppe, sowie die Schweigepflicht. Im Bereich der Essstörungen, führte die Jugend – und Drogenberatungsstelle im Jahr 2005 insgesamt 352 Beratungen durch. Davon fanden 342 Beratungsgespräche mit nichtanonymen Betroffenen und 10 der 6. 1. Die Jugend – und Drogenberatungsstelle „DROBS“ 45 persönlichen Beratungsgespräche mit anonymen Betroffenen statt. Nur insgesamt zwei, der persönlichen Beratungsgespräche, wurden von den Angehörigen in Anspruch genommen. Die Errichtung realisierte größtenteils Kontakte mit den Betroffenen und den Angehörigen bei den Essstörungen mit 26 Prozent. Es kann demnach gesagt werden, dass die Komplexität der insbesondere einzelnen der Hilfefälle Beratungsbedarf deutlich im Bereich zugenommen der hat, Essstörungen gestiegen ist. Die Klientel bei den Essstörungen beläuft sich vorrangig auf Mädchen und Frauen. Jungs und Männer sind bei dieser Thematik in der Jahresstatistik von 2005 nicht vorgekommen. Abb. 3: Gesamtberatungen im Bereich der Essstörungen bei Mädchen und Frauen im Jahr 2005 100 80 60 Essstörungen n = 352 40 20 0 <=14 15-16 17-18 19-21 22-27 28-39 40-60 Alter in Jahren Quelle: Jugend - und Drogenberatungsstelle DROBS Magdeburg (2005, S. 22) In der folgenden Abbildung 3 ist ersichtlich, dass das häufigste Vorkommen von Essstörungen im Jugendalter bei den 15 – bis 16jährigen Mädchen und jungen Frauen mit 84 Betroffenen erfolgt. Im Alter der 28 – bis 39jährigen tritt diese Erkrankung mit ganzen 91 Betroffenen am häufigsten auf. Bei den Mädchen bis zum 14. Lebensjahr 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 46 sind 46 von einer Essstörung betroffen. Insgesamt erhöht sich die Anzahl essgestörten jungen Frauen auf 50, die sich im Alter zwischen 17 – bis 18 Jahren befinden. Mit insgesamt 32 der betroffenen 19 – bis 21jährigen jungen Frauen minimiert sich die Anzahl. Bei den 22 – bis 27jährigen erhöht sich die Erkrankungsrate auf 39 Personen. Bei den 22 – bis 27jährigen erhöht sich die Anzahl mit 39 essgestörten Frauen leicht. Schließlich steigt, wie bereits erwähnt, die Anzahl der an einer Essstörung leidenden Frauen im Alter zwischen 28 und 39 Jahren auf 91 Personen an. Im späteren Alter ab dem 40. bis um das 60. Lebensjahr, tritt in dieser Statistik keine Essstörung mehr auf. Männliche Essgestörte kommen nach den möglich genannten Altersangaben, überall mit einer Anzahl von Null, also nicht vor (Vgl. Drogen- und Jugendberatungsstelle Magdeburg, 2005). 6.2. Die sozialpädagogische Beratung 6.2.1. Das Erstgespräch bzw. Vorgespräch Das Erstgespräch bzw. Vorgespräch hat insbesondere das Ziel, zur Betroffenen einen Kontakt aufzubauen und um einen ersten Eindruck von der zutreffenden Symptomatik zu gewinnen. Im ersten Beratungsgespräch, schildert die Klientin ihre Problemlage und die Entwicklung ihrer Störung. Dabei verhält sich die Sozialpädagogin ermutigend und durch konkrete Rückfragen und Vorgaben erleichtert sie die detaillierte Schilderung der Symptome und Begleitumstände der Störung, die Schamgefühle und Schuldgefühle bei der Betroffenen auslösen. Beim Erstgespräch werden Strategien der Gesprächsführung eingesetzt, damit es der Sozialpädagogin gelingt zu der Klientin einen guten Kontakt aufzubauen (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier 2005). Nach Feistner (2006) soll der Klientin im Erstgespräch bzw. Vorgespräch die Möglichkeit gegeben werden über ihre drängendsten 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 47 Probleme zu sprechen und sehen, dass ihre eigene Sichtweise ernst genommen wird. Wenn die Klientin bisher noch keine Therapieerfahrung gemacht hat oder auch vorher negative Erfahrungen erlebt wurden, trägt das Menschenbild der Sozialpädagogin und ihr Umgang mit der Betroffenen entscheidend zum Aufbau der Therapiemotivation bei. Für die Sozialpädagogin ermöglicht das Erstgespräch auch schon eine vorläufige diagnostische Einordnung und vermittelt einen ersten Eindruck über die Klientin, ob eine ausreichende Motivation besteht und wie mit ihr gearbeitet werden könnte. Aufschlussreich ist auch der erste Kontakt mit den Eltern und lässt erste Prognosen zu, wie motiviert sie sind und ob sich mit der Familie eventuell familientherapeutisch arbeiten lässt. Beim Gespräch wird mit der Klientin aber erst einmal alleine gesprochen, ohne die Eltern. Laut Jacobi, Paul und Thiel (2004) fragt die Sozialpädagogin die Klientin, ob sie zur Beratungsstelle freiwillig und mit welchem Ziel sie gekommen ist. Besonders wichtig ist es zu hinterfragen, was ihre eigenen Erwartungen an das Gespräch sind. Die eigene Sicht des Problems soll von der Klientin erläutert werden. Somit erfährt sie, dass sie nicht vorverurteilt wird oder eine Koalition zwischen der Sozialpädagogin und den Eltern besteht und sie als eigenständige Person betrachtet wird. Schließlich stellt die Sozialpädagogin konkrete Fragen bezüglich des derzeitigen Essverhaltens. Sie fragt, was, wie viel und wann sie etwas an einem durchschnittlichen „Esstag“ zu sich nimmt u. a. wann sie erbricht oder Abführmittel nimmt. Und sehr wichtig ist auch nach dem derzeitigen Gewicht, dem Gewicht vor dem Beginn der Essstörung, was ihr Wunschgewicht ist und ob sie evtl. Angst vor einer Gewichtszunahme hat zu hinterfragen. Anschließend klärt die Sozialpädagogin die Klientin über das „normale“ und über ein „gestörtes“ Essverhalten auf. Sie erklärt, dass ein normales Essverhalten u. a. aus einer abwechslungsreichen Ernährung, die dem Körper lebensnotwendige Nährstoffe zuführt, das Essen nach den Körpersignalen des Hungers, dem Geschmack und den Sattsein besteht und vor allem ohne Angst und Schuldgefühle erfolgt. Sie schildert die Auswirkungen des gestörten 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 48 Essverhaltens auf die Gesundheit (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier 2005). Die Sozialpädagogin erklärt außerdem, dass es fließende Übergänge zwischen normalem und gestörtem Essverhalten gibt und dass die Betroffenen häufig denken würden, dass wenn sie wollten, wieder problemlos aus der Essstörung herauskämen. Der Suchtcharakter würde von den Mädchen und jungen Frauen aber unterschätzt. Das „Zunehmen“ wird im Gespräch als „Gesundwerden“ und das Essen als Nährstoffe bezeichnet, um der Klientin die positive Bedeutung nahe zu bringen. Denn beides ist für sie negativ besetzt. Das Essen bedeutet Kontrollverlust und das Zunehmen setzt sie mit bespricht die Sozialpädagogin dem Dickwerden gleich. Danach mit der Klientin, welche Gedanken sie sich schon darüber gemacht hat und was ihre Essstörung als eine verschlüsselte Botschaft ausdrücken möchte. Die verschlüsselte Botschaft wird aufgegriffen und die Vorteile und Nachteile werden aufgezeigt. Meistens handelt es sich dabei um schwerwiegende existenzielle Gründe, weshalb sich dann eine lebensbedrohliche Essstörung entwickelt. Die Sozialpädagogin möchte wissen, wann und wie die Essstörung begonnen hat, welche Veränderungen hierzu genannt werden können und welche sich schon länger oder unmittelbar vor Beginn der Essstörung ereigneten. Ob sich z. B. in ihrem Gefühlsleben, in der Familie oder im Freundeskreis, in der Schule oder in der Ausbildung etwas verändert hat. Zudem wird geklärt, welche Funktion die Essstörung bei der Bewältigung vorhandener Probleme übernommen Lösungen gibt, die hat und aufgeklärt, wirklich zum Ziel dass es bessere führen (Vgl. Feistner, 2006). Die Sozialpädagogin zeigt der Klientin eine ungefähre und auch längerfristige aus dem Perspektive auf, wie Teufelskreis der sie schrittweise lernen Essstörung In einer Langzeittherapie wird in kann, wieder herauszukommen. kleinen Schritten an den psychischen Ursachen, am Essverhalten und an der Körperwahrnehmung gearbeitet. Sie betont, dass es für die Klientin nicht leicht sein wird, aber auch nicht alles auf einmal verändert werden soll, dass ernsthaft daran gearbeitet werden muss und es sich über eine 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 49 längere Zeitspanne erstrecken wird. Möglicherweise fühlt sich die Klientin erleichtert, da von ihr nicht verlangt wird, dass sie das „Symptom“, welches sie schließlich noch „braucht“, d. h. das noch eine Funktion hat, sofort aufgibt. Gleichzeitig wird somit ein Teil des Ambilavenzkonfliktes „Ich will mich ja ändern, aber ich will auch so bleiben, wie ich bin“ entschärft. Demnach fragt die Sozialpädagogin nach, ob die Klientin weiß, wie eine Beratung bzw. Therapie ablaufen könnte. Hier werden die Inhalte, die Methoden und der zeitliche Ablauf erläutert. Sie bietet der Essgestörten z. B. probatorische Sitzungen an, in der sie sich einmal pro Woche bspw. für ca. 50 Minuten treffen, um an ihrer Essstörung zu arbeiten. Ganz wichtig ist hierbei, dass die Klientin nichts machen muss, was sie nicht will. Wenn jederzeit Die Grundvoraussetzungen, wie die regelmäßigen beenden. sie möchte, kann sie die Therapie Arztbesuche, z. B. bei der Magersucht, müssen von der Essgestörten strikt eingehalten werden, um überprüfen zu können, dass das Mindestgewicht nicht unterschritten wird. Ganz wichtig ist dabei, dass nicht mit Bestrafung oder Druck gearbeitet wird. Zunächst teilt die Sozialpädagogin der Klientin ihre derzeitige Einschätzung der Diagnose und die Begründung mit und greift gleichzeitig den erkennbaren Leidensdruck auf. Es wird ihr gesagt, dass sie Hilfe benötigt um aus dieser Essstörung herauszukommen bzw. um nicht noch tiefer hineinzugelangen. Die Sozialpädagogin möchte wissen, welche Gefühle bei der Betroffenen durch diese Mitteilung ausgelöst werden. Die Klientin muss sich zudem auch nicht sofort entscheiden sondern hat ausreichend Zeit um darüber nachzudenken und es gegebenenfalls mit den Personen, die ihr wichtig sind, zu bereden. Hierbei ist es entscheidend, ob sich die Klientin vorstellen kann, mit der Sozialpädagogin zu arbeiten und Vertrauen zu ihr zu finden. Es ist dabei sehr wichtig, dass es die eigene Entscheidung der Klientin ist, denn eine Therapie macht ohne ihre Motivation keinen Sinn (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier 2005). Um die nach Mitteilung dem der Erstgespräch mit Entscheidung zu der Klientin den Eltern berichten, wird zusammen 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 50 mit der Essgestörten abgesprochen, was die Sozialpädagogin den Eltern mitteilen wird. Es wird u. a. die vorläufige Diagnose, die Einschätzung des Behandlungsbedarfes, das Hilfsangebot und eventuell die Aussage der Klientin bezüglich ihrer Entscheidung besprochen. Bestehen seitens der Eltern Fragen, wird erst die Zustimmung der Klientin eingeholt. Dadurch macht sie gleich die Erfahrung, dass nichts hinter ihrem Rücken geschieht. Allgemeine Fragen der Eltern über den Umgang mit Essstörungen können zudem gemeinsam geklärt werden (Vgl. Feistner, 2006). 6.2.2. Anamneseerhebung und subjektives Krankheitsmodell Nach Jacobi, Paul und Thiel (2004) besteht die Zielsetzung einer Anamneseerhebung darin, die Vorgeschichte der Essstörung der Mädchen und jungen Frauen zu erfassen. Die spezifischen Faktoren, welche zur Krankheitsentstehung geführt und deren Entwicklung positiv oder negativ beeinflusst haben und möglicherweise auch heutzutage noch zu der Aufrechterhaltung der Störung beitragen, sollen mit dieser Hilfe identifiziert werden. Die Erhebung der persönlichen Anamnese in der Beratung der weiblichen Jugendlichen dient dazu, die wichtigsten biographischen Daten der Essgestörten sowie ihre soziale und familiäre Situation und auch mögliche familiäre Erkrankungen zu erfassen. Die Erhebung der Vorgeschichte oder Genese der Störung, der Biographie, sowie sozialer und familiärer Aspekte werden im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Vorgehens oft als ein Teil der Problemanalyse aufgefasst. Um eine Gesamtbetrachtung der Klientin mit all ihren Stärken und Schwächen einschließlich ihrer sozialen Bezüge, zu ermöglichen, sollten zudem Informationen erhoben werden, welche über die reine Störungsperspektive hinausgehen. Diese Informationen ermöglichen es, um dann ressourcenorientiert arbeiten zu können. Um spezifisch die Vorgeschichte der Essstörung, ihrer möglichen Funktionalität und des 6. 2. Die sozialpädagogische Beratung 51 Krankheitsmodells und Veränderungsmodells zu erfassen, sind u. a. Fragen wichtig, seit wann die Betroffene an der Essstörung leidet, wann und in welcher Reihenfolge die spezifischen Symptome wie z. B. die Heißhungeranfälle, das Erbrechen, der Gewichtsverlust, die Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und dem Gewicht begannen und wie häufig sie auftreten, wie das Erbrechen herbeigeführt wird, wie oft und in welcher Form bereits eine Diät gemacht wurde, wie viel an Gewicht verloren wurde, inwieweit sich Veränderungen bezüglich der vorhandenen Essstörung ergeben haben und wodurch diese bedingt waren, inwieweit die Klientin sich durch diese Störung beeinträchtigt fühlt, wie ihr Gewicht als Kind und auch die der Eltern gewesen ist und ob eine Essstörung bereits in der Familie vorkam. Um abzuklären welche Auslöser für die Entwicklung der Essstörung verantwortlich sein könnten wird u a. erfragt, welche Probleme, Schwierigkeiten und Konflikte in anderen Bereichen ihres Lebens durch ihre Essstörung mit bedingt sein könnten. Um die Funktionalität der Essstörung zu hinterfragen, werden diesbezüglich Fragen gestellt, wer von den Mitmenschen über ihre Essstörung Bescheid weiß und wie sie darauf reagiert haben, wie sie eventuell reagieren würden, wenn sie keine Essstörung mehr hätte. Vor allem wenn diese Störung nicht mehr bestehen würde, was ihr dann fehlen würde, wenn sie „symptomfrei“ wäre und durch welche Faktoren die Essstörung aufrechterhalten wird (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Um bei der Erhebung der Anamnese den Aspekt der bisherigen Selbsthilfeversuche zu erfahren, wird angesprochen, was die Betroffene bisher unternommen habe, um die Störung selbständig zu beseitigen, was davon besonders hilfreich und / oder kontraproduktiv gewesen ist. Um die Therapieziele und die Erwartungen an die Therapie der Klientin zu erfahren, wird hinterfragt, was sie im Rahmen der Therapie bzgl. ihrer Essstörung genau verändern will, ob sie sich sicher ist, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt die Kraft habe, die Störung anzugehen. Zusätzlich ist es neben dem Gespräch sehr von Vorteil, wenn die Klientin retrospektiv eine anamnestische Gewichtskurve erstellt, um die Entwicklung der 7. 1. Ambulante und teilstationäre Behandlung 52 Essstörung aufzeigen zu können und deren Verlauf, in Zusammenhang mit bestimmten Lebensereignissen oder emotionalen Zuständen, zu bringen. Der Gewichtsverlauf wird vom etwaigen Beginn ihrer Erkrankung bis zum aktuellen Zeitpunkt notiert. So können starke Veränderungen oder Schwankungen im Gewichtsbereich, mit entsprechenden auslösenden Ereignissen in Beziehung gesetzt werden, dies können Veränderungen in der sozialen Situation und / oder bestimmte gefühlsmäßige Verfassungen sein. Durch die Erstellung dieser Gewichtskurve kann sich bei der Klientin zudem ein Gefühl entwickeln, ihre Essstörung bzw. die Veränderungen in ihrem Gewicht, nicht isoliert zu betrachten, sondern in der Beziehung zu anderen Lebensbereichen funktional zu sehen. Zusammenhänge, die aus dieser anamnestischen Betrachtung des Gewichtsverlaufs aufgezeigt werden, können dann auch als Hinweise für die mögliche Funktionalität der aktuellen Essstörung verwendet werden (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). KAPITEL 7 7. Behandlungsmöglichkeiten und Therapieansätze von Essstörungen 7.1. Ambulante und teilstationäre Behandlung Als wichtige Bestandteile vieler Behandlungsprogramme für Essstörungen werden die ambulanten und / oder teilstationären Möglichkeiten, z. B. die Tagesklinik, beschrieben. Im Vergleich zu den stationären Therapien, weisen die tagklinischen und ambulanten Konzepte bei der Behandlung von Essstörungen diverse finanzielle und klinische Vorteile auf. Hierbei erfolgt ein geringerer Bedarf am Klinikpersonal und dem materiellen 7. 1. Ambulante und teilstationäre Behandlung 53 Aufwand, das vertraute Umfeld bleibt erhalten und die Essgestörten müssen sich nicht von ihren Bezugspersonen trennen und die Autonomie sowie die Gefühle werden bewahrt bzw. gefördert, etwas eigenständig bewirken zu können (Vgl. Forster, 2002). Die Beratung in der ambulanten Therapie kann durch Psychologen, Ärzten, Ökotrophologen, durch Beratungsstellen sowie Selbsthilfegruppen erfolgen. Zwischen einer und fünf Stunden liegt hierbei psychotherapeutische der Behandlung Zeitaufwand. kann Die durch ambulante Psychologische Psychotherapeuten, die Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, die Ärzte für Psychotherapeutische Medizin sowie Allgemeinärzte mit einem Zusatztitel der Psychotherapie erfolgen. Hier beträgt der zeitliche Aufwand meist eine wöchentliche Therapiestunde. Bei der intensivierten ambulanten Behandlung erfolgt die Therapie durch Psychologische Psychotherapeuten, den Ärzten für Psychiatrie und Psychotherapie und die Ärzte für die Psychotherapeutische Medizin. Eine bis zwei Gruppentherapiesitzungen in der Woche sowie Einzelgesprächen und die sozialtherapeutische Betreuung erfolgen meistens bei dieser Variante. Die Klientinnen bzw. Patientinnen wohnen sehr oft in spezialisierten Wohngruppen oder Wohngemeinschaften und befinden sich teilzeitig in der Ausbildung, Arbeitsversuchen. in einer Die Berufsförderungsmaßnahme tagesklinische Behandlung erfolgt oder in in den spezialisierten Einrichtungen (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Nach der Entlassung der Patientin kann der hohe Anteil an der Eigenverantwortung für die nicht – stationären Angebote eine psychologische Regression und die Gefahr eines Rückfalles effektiver verhindern. Es wird genannt, dass die mit den Essstörungen verbundene Morbidität und Mortalität den Bedarf an Therapieformen, welche eine Intensivierung der ambulanten und teilstationären Behandlung erreichen, aber die Nachteile stationärer Unterbringung vermeiden, Schwierigkeiten, im verstärken. Verbunden sind auch die Vergleich zum stationären Ansatz mit dem tagklinischen Ansatz, des höheren Risikos für impulsive Handlungen, die Grenzen der klinischen Effektivität bei unmotivierten Patientinnen, welche 7. 1. Ambulante und teilstationäre Behandlung 54 von der Therapie selbst nicht profitieren und anderen Patienten schaden, sowie pathologische Gruppenprozesse wie Cliquenbildungen oder negative Gruppennormen (Vgl. Forster, 2002). Nach Borgart und Meermann (2006) Möglichkeiten, wird welche angegeben, die dass ambulante bei allen Therapie vorteilhaften beinhaltet, die Gewichtszunahme, die Gewichtsstabilisierung und die Erreichung eines prämorbiden oder dem Alter sowie der Körpergröße entsprechenden Mindestgewichts auch im ambulanten Rahmen immer erklärtes Behandlungsziel sein müssen. Bei einer Erkrankung infolge einer Essstörung wird die Indikation für eine ambulante Therapie gestellt, wenn eine kurze Dauer der Erkrankung vorliegt und kein schwerer Gewichtsverlust bei der Patientin droht. Eine Therapiemotivation und eine Kooperation der Essgestörten müssen zudem gegeben sein. Als weiterer Grund kann genannt werden, dass es günstig ist, wenn die Familie kooperativ mitarbeitet, wobei demnach gute Erfolgschancen gegeben sind. Die ambulante Behandlung erfolgt in der Kombination der Ernährungsberatung sowie der Psychotherapie. Die therapeutische Vereinbarung sollte eine festgelegte Gewichtszunahme beinhalten und sie sollte zielgerichtet sein. Unter welchen Umständen die ambulante Therapie als nicht ausreichende Behandlung betrachtet werden muss, so dass eine stationäre Einweisung notwendig wird, z. B. bei einer mangelhaften Gewichtszunahme bei Anorexie, um eine anschließende Chronifizierung zu vermeiden, muss ebenso vereinbart werden. Des Weiteren erfolgt die Beratung der Ernährung, bei der ein Essensplan mit der Essgestörten erstellt wird, der die Nahrungsaufnahme zur Sicherung der Gewichtszunahme unterstützen soll. I. d. R. beinhaltet die ambulante Psychotherapie die Einzelgespräche mit der Klientin und die begleitenden Familiengespräche, welche bei den jüngeren Patientinnen besonders im Vordergrund steht. Methodisch sollte auf eine therapeutische Schule eine störungsspezifische Behandlung erfolgen, in der das Essverhalten, die Kognitionen über die Ernährung sowie das Körperbild mit angesprochen werden. Die Grundlage bildet hier die vertrauensvolle therapeutische 7. 2. Stationäre Behandlung Beziehung 55 mit Augenmerk auf die gesamte Persönlichkeit sowie die sozialen Bezüge der Patientin. Die Gewichtskontrollen erfolgen i. d. R. einmal wöchentlich durch den behandelnden Arzt. Eine wichtige Bedingung für die ambulante Therapie ist die ausführliche somatische Kontrolle und die Behandlung der Komplikationen der Essstörung (Vgl. Steinhausen, 2005). 7.2. Stationäre Behandlung Wenn die ambulante Therapie nicht ausreichend bzw. bei der Essgestörten erfolglos gewesen ist, sollte die stationäre Behandlung zur Verhinderung chronifizierter und komplizierter Verläufe eingesetzt werden (Vgl. Steinhausen, 2005). Die vollständige Heilung der Essgestörten sollte aber nicht das Ziel der stationären Therapie sein, sondern eine Befähigung zur Weiterbehandlung im ambulanten Rahmen sein (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Als Gründe für absolute Indikationen zur stationären Behandlung werden das niedrige Körpergewicht oder der rapide Gewichtsverlust, ein persistierendes Erbrechen und der regelmäßige Einsatz von Purgativa, die pathologischen Laborbefunde, eine ausgeprägte Dehydrierung, kardiovaskuläre Symptome sowie eine ausgeprägte Depression angegeben sowie bei einer bestehenden Suizidgefährdung und wenn die Betroffene zusätzlich an einer schweren psychischen Störung leidet. Auch wenn eine geringe Motivation für die Gesundung und Therapie vorhanden ist und innerhalb der Familie schwere Konflikte bestehen oder die Familie handlungsunfähig bzw. strukturschwach sind, sind dies Gründe für die Indikation einer stationären Therapie. Angegeben wird, dass sich die Vorteile dieser Therapiemaßnahme auf die bessere Kooperation, speziell nach dem Ausbleiben des ambulanten Therapieerfolgs, die bessere Kontrolle von Komplikationen und Therapiemaßnahmen sowie die erweiterten Einflussmöglichkeiten im Rahmen des therapeutischen Milieus beziehen 7. 2. Stationäre Behandlung (Vgl. Steinhausen, 2005). 56 Die stationäre Behandlung erfolgt in Spezialstationen oder Fachkliniken. Ein ganztägiges Therapieangebot mit meistens zwei bis drei Gruppentherapiesitzungen in der Woche sowie der Einzeltherapie, der Sozialtherapie und weiterer komplementären Therapieangebote stehen zur Verfügung. Hier erfolgt die Betreuung durch die multidisziplinäre Betreuung durch die Ärzte, die Psychologen, die Sozialpädagogen, der Ergotherapeuten, Sporttherapeuten und weiteren Berufsgruppen. Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und der inneren Medizin stehen in Krisensituationen auch abends, nachts und am Wochenende zur Verfügung. Ebenso kann die stationäre Therapie auch auf einer der geschlossenen Stationen, wo ein akutpsychiatrisches und / oder intensivmedizinisches internistisches Angebot zum Management von akuter Suizidalität und lebensgefährdenden medizinischen Komplikationen erfolgen (Vgl. Schweiger und Sipos, 2003). Die Patientinnen werden neben der Diagnostik und der Erhebung der Anamnese in Vorgesprächen und Aufnahmeuntersuchungen mit dem Behandlungsverlauf und dem Konzept der Therapie vertraut gemacht. Dabei geht es vor allem darum, den Patientinnen einerseits viel Eigenverantwortung zu belassen und andererseits um mit ihnen die Rahmenbedingungen der Behandlung zu besprechen. Einen wesentlichen Bestandteil stellen hierbei die Überprüfung und oft die Erarbeitung einer ausreichenden Motivation für die Therapie der ersten Kontakte dar (Vgl. Schönauer – Cejpek und Steinbrenner, 2003). Die Anorexia nervosa erfordert einen Gesamtbehandlungsplan, welcher die medizinische Behandlung, die individuelle Psychotherapie und gegebenenfalls die Familientherapie umfasst. Ein zentrales und frühes Behandlungsziel stellt bei den untergewichtigen Patientinnen die Wiederherstellung eines gesunden Gewichts dar. In den verschiedenen Bereichen z. B. in Bezug auf das zwanghafte Verhalten, die Stimmung sowie die Persönlichkeit, kann es dadurch bereits zu Verbesserungen kommen. Als weitere Ziele werden die Wiederherstellung einer zeitlich strukturierten und ausgewogenen Nahrungszufuhr, die Therapie medizinischer Komplikationen, die 7. 3. Psychotherapie 57 Bearbeitung dysfunktionaler Gedanken, Gefühle und Überzeugungen, die Verbesserung der Stimmung und der Verhaltensregulation, die Modifikationen des Familiensystems. Bei der Bulimia nervosa beinhalten die Behandlungsstrategien dagegen die Beratung der Ernährung und die Ernährungsrehabilitation, die Einzelpsychotherapie oder die Gruppenpsychotherapie nach den kognitiv – verhaltenstherapeutischen oder tiefenpsychologischen Prinzipien sowie bei spezieller Indikation die familientherapeutischen oder paartherapeutischen Interventionen. Für alle Patientinnen mit einer Essstörung gelten die Standard – Therapieziele, wozu die Stabilisierung des Essverhaltens unter der Einhaltung von drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten genannt werden können. Des Weiteren muss eine Gewichtszunahme bis zu dem vereinbarten Mindestzielgewicht (BMI 20) erfolgen. Das Vorkommen der Essanfälle sowie das Erbrechen müssen von den Essgestörten bis hin zum vollständigen Verzicht reduziert werden. In die tägliche Ernährung werden die angstbesetzten, kalorienreichen sowie fetthaltigen Nahrungsmittel schrittweise miteinbezogen. Und die Verbesserung der Körperakzeptanz soll parallel zu der Gewichtszunahme erfolgen (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). 7.3. Psychotherapie Die Psychotherapie ist nach wie vor die Methode der Wahl zur Behandlung von Essstörungen. Vielfältig sind die diesbezüglichen Möglichkeiten, die von der analytischen Einzeltherapie bis zu der kognitiven Verhaltenstherapie in den Gruppen durchgeführt werden. Die Behandlungen werden je nach der Schwere der Erkrankung in der vollstationären, teilstationären oder ambulanten Form durchgeführt (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, psychotherapeutischen Praxis 2003). zu Häufig einer sog. kommt es in der Methodenkombination von unterschiedlichen Formen der individuellen Psychotherapie mit 7. 3. Psychotherapie verschiedener 58 theoretischer unterschiedlicher Orientierung Akzentuierung in und Familientherapie verschiedenen Phasen mit der Behandlung. Bei Patientinnen im Kindesalter und im Jugendalter ist der Einbezug der Familie immer erforderlich (Vgl. Steinhausen, 2005). Nach Cuntz und Hillert (2003) steht bei den vital bedrohten Patientinnen die medizinische Behandlung im Vordergrund und zum Thema der Psychotherapie werden der Aufbau eines angemessenen Essverhaltens, gegebenenfalls eine Gewichtszunahme sowie die Stabilisierung der Persönlichkeit. Aus verhaltenstherapeutischer Sicht ist die systematische Beantwortung der Faktoren, welche verhindern, dass die Essgestörte ihre Essstörung aufgeben kann und was sie motiviert die Essstörung aufzugeben unverzichtbar. Zudem wird genannt, dass sich bei der Anorexie eine medikamentöse Behandlung mit Psychopharmaka generell nicht durchgesetzt hat, bei der Bulimie dagegen wurde von entsprechenden Erfolgen berichtet. Zur Minderung von Angst, Spannung und Depression kann die Anwendung von Psychopharmaka begleitend zu einer Psychotherapie notwendig und hilfreich sein (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Wahrnehmung In sowie der die Gesprächspsychotherapie Selbstbeobachtung werden geschult, die ein Symptomverständnis soll entwickelt und die Selbstreflexion gefördert, sowie die selbstexplorativen Fähigkeiten gestärkt werden und die Patientin bzw. Klientin soll sich von den Symptomen distanzieren. Die Fähigkeit zu planendem und zielorientiertem Verhalten soll sich erweitern und ein Krankheitsverständnis einstellen. Die kommunikativen Fähigkeiten werden geschult und das Selbstwertgefühl gestärkt. Zudem werden die individuellen Problemschwerpunkte erarbeitet und der adäquate Umgang mit dem Ausdruck und den Emotionen entwickelt. Die Behandlungsthemen orientieren sich gezielt an den bestehenden Konflikten der essgestörten Mädchen und Frauen. Dies können z. B. die Persönlichkeit, der Körper, die Symptomanalyse, die Beziehungen, die Sexualität, die Familie, die Bedingungsanalyse und Funktionsanalyse sowie die Grenzüberschreitungen sein (Vgl. Forster, 2002). 7. 3. Psychotherapie 59 Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Therapie ist die genaue Beobachtung des Essverhaltens der essgestörten Klientin bzw. Patientin einschließlich der auslösenden und begleitenden Bedingungen für Heißhungeranfälle, Erbrechen und / oder Abführmitteleinnahme, das restriktive Essverhalten sowie die Konsequenzen. Sinnvoll ist es, dass die Betroffene sich einen Überblick darüber verschafft was, wie viel und unter welchen Umständen gegessen wird. Denn die Patientinnen mit einer Essstörung haben des Öfteren ein stark kontrolliertes und einseitiges Verhalten zum Essen, ohne dass dies ihnen bewusst ist. Das Auftreten von Heißhungeranfällen wird neben anderen Faktoren von der ständigen Kontrolle begünstigt. Durch eine genaue Betrachtung des Essverhaltens der Betroffenen werden möglicherweise Anhaltspunkte dafür geliefert, was verändert werden soll. Auch zum Erkennen der Auslöser von Essattacken, Erbrechen und / oder Abführmitteleinnahmen dient die Selbstbeobachtung. In der folgenden Abbildung 4 ist ein solches Selbstbeobachtungsprotokoll dargestellt. Abb. 4: Selbstbeobachtungsprotokoll Selbstbeobachtungsprotokoll Name: …………………….... Hunger Situation (Ort, Aktivität) Datum: …………………… Hunger Nahrung Sättigung HA E LAX/ Gedanken, (in %) DIU Gefühle, Empfindungen * Bitte geben Sie Ihr Hunger - und Sättigungsgefühl in % an: 0% = minimaler Hunger/Sättigung; 100% = maximaler Hunger/Sättigung; HA = Heißhungeranfall; E = Erbrechen, LAX = Abführmitteleinnahme, DIU = Diuretika (Entwässerungstabletten) Quelle: Jacobi, Paul und Thiel (2004, S. 109) 7. 3. Psychotherapie 60 7.3.1. Kognitive Verhaltenstherapie Beschrieben wird die kognitive Verhaltenstherapie von Steinhausen (2005), als eine zeitaufwändige und intensive Form der Psychotherapie. Forster (2002) stellt fest, dass die kognitiv – verhaltenstherapeutischen Verfahren am weitesten verbreitet, am besten untersucht und hinsichtlich ihrer Therapieeffizienz evaluiert sind. Der Ausgangspunkt in der Verhaltenstherapie ist i. d. R. das problematische (Symptom) – Verhalten bzw. in diesem Fall, das gestörte Essverhalten. Im Einzelfall oder im Verlauf der Behandlung kann sich der inhaltliche Schwerpunkt aber verlagern und die Reihenfolge sowie Bedeutung der Therapieelemente kann unterschiedlich sein (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). In der kognitiven Verhaltenstherapie setzen die kognitiven Methoden an den verzerrten Einstellungen und Gedanken über die Nahrungsaufnahme und dem Körpergewicht, der gestörten Selbstwahrnehmung sowie dem defizitären Selbstwertgefühl an (Vgl. Steinhausen, 2005). Fichter (2005) berichtet, dass die kognitive Verhaltenstherapie insbesondere auf die Bereiche irrationaler Gedanken, Überzeugungen und Werthaltungen sowie des gestörten Essverhaltens eingeht. Die essgestörten Patienten bzw. Klienten haben durch das einseitig auf die Figur, die Nahrungsreduktion und die Schlankheit fokussierte Denken und durch die Heißhungerattacken verlernt, sich gegen Zurücksetzungen, Missverständnisse und Verletzungen bzw. Kränkungen wehren zu können. Bei Untergewicht erfolgt, u. a. durch ein kontingentes verhaltenstherapeutisches Gewichtsprogramm, schrittweise der Aufbau des Körpergewichts. Erhebliche Veränderungen bringen allein schon eine Tagesstrukturierung mit drei festen Mahlzeiten und gegebenenfalls Zwischenmahlzeiten sowie eine Gewichtszunahme bei den Magersüchtigen. Steinhausen (2005) gibt an, dass das Programm zu der kognitiven Verhaltenstherapie bei der Bulimie und der Anorexie von Jacobi, Paul und Thiel (2000) als einziges Therapiemanual im deutschsprachigen Raum vorliegt, welches speziell bei erwachsenen 7. 3. Psychotherapie Patienten auf den 61 Nachweisen zu der Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie bei den Essstörungen aufbaut. Für die jugendlichen Patienten liegt jedoch keine Adaption vor. Gemäß diesem Programm, sind die Schwerpunkte der Verhaltentherapie von der Anorexia nervosa sowie der Bulimia nervosa in der folglichen Tabelle 5 aufgeführt. Tab. 5: Schwerpunkte der Verhaltenstherapie von Anorexie und Bulimie im Therapieprogramm Ziele Stabilisierung des Gewichts Behandlungselemente - Informationsvermittlung, und Normalisierung des - Selbstbeobachtung, Essverhaltens - Maßnahmen zur Gewichtsstabilisierung, - Einhalten vorgeschriebener Mahlzeiten, - Stimuluskontrolle, - Spezielle Techniken zur Reduktion von Heißhungeranfällen (HA) und Erbrechen (E), - Kognitive Techniken Bearbeitung der zu Grunde - Selbstbeobachtung, liegenden Konflikte - Problemanalyse, - „goal – attainment – scaling“, - Spezifische Techniken, z. B.: - Soziales Kompetenztraining - Einbezug von Familie/Familientherapie/Familienberatung, - Einbezug des Partners/Partnertherapie/Paarberatung Verbesserung der - Körperübungen, Körpererfahrung, Körperwahrnehmung und - Kognitive Techniken Körperakzeptanz Quelle: Steinhausen (2005, S. 68) 7. 3. Psychotherapie 62 Eine Klärung der Motivation erfolgt zunächst zu Beginn der Behandlung. Die Therapiebausteine umfassen die Vermittlung von Informationen, wobei zu den Essstörungen hierzu das Verständnis vermittelt werden soll, die Veränderung zum Verhalten des Essens und dem Gewicht, in der die Selbstbeobachtung eine zentrale Rolle einnimmt, das Essverhalten modifiziert und die Selbstbelohnung eingebaut werden sowie die Integrierung der Verhaltensverträge für die Gewichtszunahme erfolgt. Als weitere Behandlungselemente der Therapie werden die Veränderung psychosozialer Konflikte, welche mit dem gestörten Verhalten zum Essen einhergehen sowie die Veränderung der Körperschemastörung mit den Elementen der psychomotorischen Therapie und letztlich die Stabilisierung und die Rückfallprävention genannt (Vgl. Steinhausen, 2005). 7.3.2. Gruppentherapie Laut Forster (2002) wird berichtet, dass ein Gruppensetting den Patientinnen einen umfassenderen und vielfältigeren Lernprozess ermöglicht. In der Gruppe können sich die Essgestörten mit anderen Gruppenmitgliedern identifizieren und erfahren, dass sie nicht allein an dieser Störung erkrankt sind und dass sie sich dafür nicht schämen müssen. Durch die Gruppenmethodik können Motivationsprozesse, Selbstexplorationen sowie Gesprächsbereitschaften gegenseitig gefördert werden und helfen, die Krankheitsverleugnung zu „durchbrechen“. Die Teilnehmerinnen unterstützen, motivieren, konfrontieren und kritisieren sich gegenseitig und sie geben ein direktes Feedback ab. Die Atmosphäre von Akzeptanz, Vertrauen und Zusammengehörigkeit erleichtern diese Erwartungen (Vgl. Absenger, 2005). Es wird genannt, dass die essgestörten Patienten an echtem emotionalem Kontakt und nicht am Essen „verhungern“. Um an sozialen Ängsten wie der Angst, anderen zu missfallen, von anderen kritisiert zu werden oder an Berührungsängsten und / oder Kontaktängsten arbeiten zu können, dient die Gruppe 7. 4. Ernährungstherapie 63 zusätzlich als ein ideales Übungsfeld. Ebenso bietet das Einnehmen von Mahlzeiten in einer Gruppe Möglichkeiten der Konfrontation und der Intervention. In der Gruppentherapie können auch Nachteile vorkommen z. B. bei den Mädchen und jungen Frauen untereinander Machtkämpfe ausgetragen werden, welche meist eskalieren und dadurch die Gruppentherapie als sog. „Flucht in die Gesundheit“ enden kann. Als weitere Schwierigkeit können die pathologischen Gruppenprozesse, die zu Cliquenbildungen oder „negative Gruppennormen“ führen, genannt werden. Dies kann soweit führen, dass einzelne Gruppenteilnehmerinnen die Therapie abbrechen. Gruppen können auch für einzelne z. B. extrem schüchterne, introvertierte Patienten eine Anforderung darstellen und viele fühlen sich nicht in der Lage, sich derer zu stellen. Von daher sind diese Patienten dann entsprechend in einer Einzeltherapie unterzubringen (Vgl. Forster, 2002). 7.4. Ernährungstherapie Die Ernährungstherapie wird als ein unerlässlicher Bestandteil in der Behandlung Essgestörter beschrieben. Die essgestörten Mädchen und jungen Frauen haben einen ungestörten Bezug zu Nahrungsmitteln und Essen verlernt und es gibt für sie nur noch Speisen, welche als „verboten“ und „erlaubt“ gelten. Ihre abwegigen Vorstellungen, Befürchtungen und Ängste über die Wirkung einzelner Nahrungsmittel, müssen die Betroffenen in der Therapie korrigieren und erneut lernen, eine Mahlzeit zu sich zu nehmen (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). In der Ernährungstherapie sind die Stabilisierung des Essverhaltens und des Gewichts bei der Bulimie als auch der Anorexie das Hauptziel (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Zu den weiteren wichtigen Aufgaben und Zielen gehören die Ernährungsanamnese, der Nahrungsaufbau, die Förderung einer ausgewogenen Ernährung sowie die Unterstützung der Eigenverantwortung für die Nahrungsaufnahme. In der 7. 4. Ernährungstherapie Ernährungsanamnese, in 64 der die Essgewohnheiten sowie die aufgenommenen Nahrungsmengen im Verlauf der Entwicklung der Erkrankung erfasst werden, sind hierbei die Schwerpunkte die Art und Menge der Ernährung, die Anzahl der eingenommenen Mahlzeiten, die Auswahl der Nahrungsmittel sowie die Nahrungsmittelzusammensetzung sowie das Essverhalten, einschließlich des sozialen Kontextes des Essens, besonders wichtig. Wöchentliche Gewichtszunahmen zwischen 0,5 und 1,5 kg sollen mit der Ernährungstherapie ermöglicht werden, wobei eher niedrige Gewichtszunahmen im ambulanten Bereich und höhere Gewichtszunahmen im stationären Bereich erreicht werden. Bei den 13 – bis 18jährigen weiblichen Jugendlichen besteht normalerweise ein täglicher Energiebedarf von 2000 bis 2400 kcal und für die männlichen Jugendlichen, zum Vergleich, ein Energiebedarf von 2300 bis 3200 kcal. Dementsprechend erfolgt eine allmähliche Steigerung bis zur Etablierung einer Erhaltensenergiezufuhr. Begonnen werden mit 30 bis 40 kcal/kg Körpergewicht (ca. 1000 – 1500 kcal). Während der Gewichtszunahme erfolgt die langsame Steigerung auf 70 bis 100 kcal/kg KG, wobei die maximale tägliche Steigerung um 200 kcal beträgt, und die Erhaltung mit 40 bis 60 kcal/kg KG zur Sicherung von Gewicht und Wachstum erfolgt (Vgl. Steinhausen, 2005). Durch das Erbrechen und Abführen sowie das Fasten ist das Hungergefühl und Sättigungsgefühl gestört und muss durch ein normales Essmuster, z. B. drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten, ersetzt werden. Die Angst vor einer unkontrollierten Gewichtszunahme, welche die Essgestörte dazu veranlasst, lieber wenig als zu viel zu essen, kommt noch hinzu. Deshalb sind Absprachen über die Zeitabstände zwischen den Mahlzeiten und über die Essensmengen notwendig (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Neben der angemessenen Energiemenge ist die Ausgewogenheit der Ernährung von großer Bedeutung. Insbesondere sind die Beratung der Ernährung durch die Diätassistentin, in der die Funktionen u. a. von Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten sowie der Bedarf von Vitaminen und Mineralstoffen und auch die Ausgewogenheit der Zusammensetzung der Mahlzeiten mit der 7. 4. Ernährungstherapie 65 Darstellung der Nahrungsmittelpyramide erläutert werden, sehr wichtig. Auch die gemeinsame Zubereitung einer Essensmahlzeit z. B. in der Gruppe miteinander zu kochen oder einen Salat herzurichten, das sind auch wichtige Aufgaben in der Ernährungstherapie. Zusätzlich wird den Essgestörten nahe gelegt, das Zählen von Kalorien zu vermeiden. Denn versorgt werden müssen sie nach einer Phase hoch selektiven Essens wieder hinlänglich mit calciumreichen Nahrungsmitteln, gesunden Fetten, Proteinen und den erforderlichen Spurenelementen. Bei auftretenden Problemen mit der festen Nahrung während einer stationären Therapie erfolgt die Ergänzung der Nahrung durch energiereiche Trinknahrung z. B. 300 kcal pro 200 ml bzw. durch die Infusionsbehandlung. In schwer bedrohlichen Zuständen wird die Energie per Magensonde bzw. durch eine Infusionsbehandlung zugeführt. Des Weiteren muss die Eigenverantwortung der Patientinnen in der Ernährungstherapie betont und unterstützt werden, was durch die Beteiligung bei der Erstellung des Essenplanes, durch Auswahlmöglichkeiten sowie die Beteiligung der Patientinnen als aktiver Partner im Rahmen der Ernährungsberatung geschieht (Vgl. Steinhausen, 2005). Für eine Behandlung gehört die Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber mit zur ersten Bedingung. Meist ist der Wille zur Ehrlichkeit bei den Essgestörten nicht ausreichend und somit ist das Führen eines Essprotokolls für die gesamte Behandlung zentral und grundlegend, denn darin werden alle therapierelevanten Informationen über das Essverhalten und die damit in Verbindung gebrachten Gefühle der Essgestörten notiert. Die Mädchen und jungen Frauen lernen mit Hilfe dieses ehrlich geführten Essprotokolls und der Rückmeldungen der Therapeuten, sich realistischer einzuschätzen und Erfolge und Misserfolge genauestens zu überprüfen. Die konsequente Führung der Essprotokolle und Stimmungsprotokolle, welche über den gesamten Behandlungszeitraum von den Patientinnen bzw. Klientinnen sorgfältig ausgefüllt und als Therapiegrundlage regelmäßig Therapeuten für den besprochen werden langfristigen Aufbau müssen, eines stabilen ist mit den besonders wichtig Essverhaltens (Vgl. 7. 4. Ernährungstherapie 66 Borgart und Meermann, 2006). Wie ein Essprotokoll einer Essgestörten beispielweise aussehen könnte, wird in der Abbildung 5 dargestellt. Abb. 5: Essprotokoll (Beispiel 1) Essprotokoll Tag/ Uhrzeit 10.02. 7.15 NahrungsH art und - menge + 1 Scheibe Schwarzbrot mit Honig 12.15 1 Kugel Püree, ½ Portion Gemüse, 2x Salat 14.45 Situation Gedanken und Gefühle - Anreise Klinik. Du könntest ja einmal verzichten, aber du willst heute anfangen. Bin dick, Völlegefühl. - - Gemeinsam mit Eltern und Jörg essen. So viel auf dem Teller: zu viel. Vollgefressen, unwohl, Angst, allein zu sein, keinen Anschluss zu finden. 1 Apfel - - Schlechtes Gefühl= Hunger? Essen, sonst klappst du Zusammen. Ein Apfel ist nicht schlimm. 18.00 1 Scheibe Schwarzbrot mit Butter und Käse 3x Salat - - Abendessen Angst, zu viel zu , Bekannte essen. näher kennen gelernt. 21.00 1 Sahnebonbon - - zusammensitzen. Name: ……………………….. E + - Ein Bonbon ist nicht schlimm. Heimweh, froh nicht allein zu sein. Morgen früh musst du gewogen werden. Datum: ……………………… Quelle: Borgart und Meermann (2006, S. 85) und Schweiger und Sipos (2003, S. 186) 7. 5. Kreative Therapien 67 7.5. Kreative Therapien (Kunst-, Tanz- und Konzentrative Bewegungstherapie) Beschrieben wird die Kunsttherapie als ein erkenntnisförderndes sowie erfahrungsorientiertes Üben der Sinne (Vgl. Forster, 2002). Das Ziel dieses therapeutischen Verfahrens ist es, auftauchende Gedanken, Phantasien und Empfindungen sichtbar zu machen, wodurch der Zugang zum Konflikt und zu der Psychodynamik des Prozesses der Krankheit erheblich erweitert und beschleunigt werden kann und somit können u. a. Wut, Verzweiflung, Ängste, Autonomiebestrebungen kraftvoll ausgedrückt werden (Vgl. Absenger, 2005). Von Schönauer – Cejpek und Steinbrenner (2003) wird berichtet, dass sich über den nonverbalen Weg der Kreativität schnell und auf eine spielerische Art ein Zugang zum inneren Erleben des Patienten eröffnet. Laut Backmund und Gerlinghoff (2003) ist die Kunsttherapie zudem eine Anregung zur Selbstreflexion und sie dient zur Förderung der nonverbalen Ausdrucksformen sowie der Unterstützung der Gefühlswahrnehmung. Zur Verfügung stehen hierbei u. a. die Mittel der Farbexperimente und Formexperimente, die Selbstdarstellung in Bildern sowie das Krankheitsverständnis in Skulpturen, die Raumgestaltung und die Gruppenbilder zu Nähe und Distanz zur Verfügung. Ein weiterer wichtiger Bestandteil in der Kunsttherapie ist auch das kreative Gestalten einer Mahlzeit, z. B. das appetitliche Anrichten, einen Tisch eindecken und dekorieren, wobei die Essgestörten hier lernen, dass das Einnehmen der Mahlzeiten kein hastiges oder belastendes Essritual darstellt (Vgl. Forster, 2002). Von Absenger (2005) wird berichtet, dass sich die Tanztherapie erst seit kurzem als vollwärtige „Primär – Psychotherapieform“ in Deutschland durchsetzen konnte. Verstanden wird der Tanz als ein Ausdruck von menschlicher Befindlichkeit, als ein Ausdruck von Emotionen, Zuständen und als eine 2002). Die Bedürfnissen. Zudem wird er Erlebnistherapie im Hier und Jetzt bezeichnet (Vgl. Forster, aktuelle Befindlichkeit in der therapeutischen Situation und das aktuelle Bewegungsmuster des jeweiligen Menschen sind stets 7. 5. Kreative Therapien 68 der Ansatzpunkt und der Ausgangspunkt. Kennzeichnend für die Tanztherapie ist hierbei die partnerschaftliche Therapeut – Patient – Beziehung. Dabei geht der Therapeut grundsätzlich von gesunden Lebensenergien aus und versucht, der Patientin Hilfestellungen zu geben, so dass diese ihre Probleme eigenverantwortlich und mit der Hilfe der angeborenen, vitalen Selbstaktualisierungstendenzen selbst angehen kann, womit ein Selbstheilungsprozess angeregt wird (Vgl. Absenger, 2005). In der Tanztherapie geht es vor allem darum, ein Gespür für die harmonischen und natürlichen Bewegungen zu entwickeln und dass innere Erlebnisse durch das motorische Vorgehen ausgelöst werden. Es heißt, dass der Mensch durch Bewegung zu seinem Unbewussten Zugang erlangt und dass dieser Prozess eine heilende Wirkung hat. Die Patientinnen werden in der Tanztherapie bei Essstörungen z. B. dazu aufgefordert, vorhandenen aggressiven Impulsen wie Ärger, Wut oder Frustration durch energisches Fußstapfen freien Lauf zu lassen. Die authentische und selbstbestimmte Bewegung und das, was sich im Moment gefühlsmäßig abspielt wahrzunehmen und diesem einen angemessenen non – verbalen / körperlichen Ausdruck zu geben, ist das Ziel der Tanztherapie. Die Patientin kann sich über das Medium der Bewegung ganzheitlich erfahren sowie ein neues Selbstvertrauen erlangen (Vgl. Forster, 2002). Die Konzentrative Bewegungstherapie wird als ein nonverbales Körperverfahren beschrieben, welches sich aktiv, tiefenpsychologisch orientiert sowie einzeltherapeutisch und gruppentherapeutisch wirken kann. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Konzentration und der Entspannung. Das Ziel ist hierbei die Beseitigung körperlicher Hemmungen und Anspannungen mit der besonderen Aufmerksamkeit auf die Atmungsfunktion. Das psychische Erlebnisse leibhaftig erfahrbar gemacht werden, ist das zentrale Ziel in der KBT (Vgl. Absenger, 2005). Es wird genannt, dass es hier um eine möglichst intensive und sensible Wahrnehmung des eigenen Körpers mit der Hilfe von Bewegungen oder allein durch die Zuwendung auf den (unbewegten) Körper (Vgl. Forster, 2002). In der KBT lassen sich die wesentlichen 7. 6. Familientherapie 69 Merkmale wie folgt zusammenfassen: „Mit dem „Anspüren“ des eigenen Körpers gewinnt der Übende die Fähigkeit, mit seinem Körper und seinen Funktionen vertraut zu werden, sich in seinem Körper „zuhause zu fühlen“, den Körper, wie er ist, zu akzeptieren, anstatt ihm sorgenvoll und ablehnend gegenüberzustehen.“ (Vgl. Forster, 2002, S. 77) 7.6. Familientherapie Bei Patienten mit Essstörungen wurde laut Schönauer – Cejpek und Steinbrenner (2003) durch kontrollierte Studien belegt, dass die Familientherapie die effektivste Behandlungsform bei Kindern und Jugendlichen ist. Bei den Jugendlichen erfolgt die Einbeziehung der Familie häufig als Beratung der Eltern. Dass die familientherapeutische Behandlung von essgestörten Patientinnen immer häufiger angewendet wird, basiert nicht nur darauf, dass tatsächlich Einfluss auf die gestörten Beziehungen in der Familie als einem der konstituierenden Faktoren für das Krankheitsbild genommen werden kann. Wenn familiäre wirksame Interaktionsmuster zu der Entstehung und der Aufrechterhaltung der Symptomatik und der ihr zugrundeliegenden Konflikte beitragen, besteht die Indikation zu einer familientherapeutischen Behandlung (Vgl. Cierpka und Reich, 2001). Absenger (2005) beschreibt: „Eine familientherapeutische Behandlung impliziert, dass der Patientin und deren Familie eine Möglichkeit geboten wird das gestörte familiäre Beziehungsgeflecht zu verändern und eine neue Chance der Beziehungsgestaltung gegeben wird.“ (Vgl. Absenger, 2005, S. 171) Bei der Familientherapie wird in Bezug auf Essstörungen die Methode des orientierten Familiengesprächs bevorzugt verwendet. Hier verläuft die 7. 6. Familientherapie 70 Eröffnung des Gesprächs unterschiedlich und orientiert sich an der Ausgangssituation des Gesprächs. Jedes Familienmitglied wird i. d. R. nach dem Thema gefragt, über das es gerne sprechen möchte. Bisher versuchten die Familien bereits das Problem aus eigener Kraft zu lösen und diese Lösungsversuche werden detailliert sowie der Unterschied zwischen den Versuchen herausgearbeitet (Vgl. Absenger, 2005). Zudem sind die Eltern häufig selbst gerade bei einer chronifizierten Erkrankung ihres Kindes reaktiv depressiv erkrankt, sodass sie zunächst überfordert sind, angemessene Hilfen für ihr Kind zu leisten. Die Familien werden auch nicht als Teil des Problems sondern ressourcenorientiert als Teil der Lösung gesehen. In diesem Kontext können Lösungen, Bewältigungsstrategien und Ressourcen wahrgenommen, erprobt und auch gegenseitige Stützung und Solidarisierung unter den Familienmitgliedern erlebt werden (Vgl. – Cejpek und Steinbrenner, 2003). Das Krankheitskonzept bzw. die Suche nach der Ursache wird erfragt. Dem Informationsbedürfnis der Familie wird großen Raum gegeben und gleichzeitig werden die Informationen von den Angehörigen der Familie über ihren Umgang mit der Erkrankung der Patientin gesammelt. Der Therapeut richtet sich nach dem „Angebot“ der Familie. Für ein Familiengespräch wird eine Zeitdauer von etwa 1,5 Stunden vorgesehen. Möglich ist es, dass nach ca. 40 Minuten unterbrochen wird, um der Familie und dem Therapeuten eine Distanznahme und Reflexion zu ermöglichen. Anschließend können die Beobachtungen der Therapeuten in einem Resümee mitgeteilt werden, die sich zum einen auf die Ressourcen der Familie, die bereits in Angriff genommenen Lösungsversuche sowie die Unterstützung der Therapie, beziehen. Des Weiteren kann die familientherapeutische Behandlung in drei Phasen erfolgen. In Phase I – der Stabilisierungsphase, bestimmt die Festlegung des Rahmens die Therapie. In Phase II – der Konfliktlösungsphase, werden dysfunktionale familiäre Rollen familiendynamische und Hypothesen der Muster Familie betrachtet erarbeitet. und In der dritten und letzten Phase – der Reifungsphase, wird die familiäre 7. 6. Familientherapie 71 Autonomie gestärkt (Vgl. Absenger, 2005 ). Tab. 6: Die drei Phasen der Familientherapie bei Bulimie und Anorexie im Überblick Phase Bulimie Anorexie Phase I: - Psychodynamisches - Psychodynamisch Stabilisierung Einzelinterview mit der orientiertes Patientin; Familienerstgespräch; - Beratungsphase zu - Festlegung des Stabilisierung des derzeitigen Essverhaltens; Zielgewichts und - Festlegung des Mindestgewichts; Rahmens der Behandlungsarrange- Behandlung; ment mit Arzt des - Konfrontation mit der Pseudoautonomie; - Übergang zur Vertrauens Festlegung der Konsequenzen bei kombinierten Einzel – Nichteinhaltung; und Familientherapie Vereinbarung zur Familientherapie; - Festlegung des Rahmens der Behandlung Phase II: Konfliktlösung In der Familientherapie: - Wie wurde/wird mit der Bulimie zuhause umgegangen?; - Wer hat die Bulimie zuerst bemerkt?; - Was sind die Hypothesen der Familie?; - Welche Rolle spielen - Wann hat sich die Patientin entschlossen zu hungern?; - Wer hat die Anorexie zuerst bemerkt?; - Was sind die Hypothesen der Familie?; - Welche Rolle spielen Essen, Gewicht, 7. 6. Familientherapie 72 Essen, Gewicht, Diäten, Aussehen in Diäten, Aussehen in der Familie?; der Familie?; - Mögliche Auslöser für die Störung?; - Bearbeitung dysfunktionaler Muster in der Familie: - Offene Konflikte in der Phase III: Reifung - Mögliche Auslöser für die Störung?; - Bearbeitung dysfunktionaler Muster in der Familie: - Norm – und Leistungsorientierung, Familie, Impulsivität, Zusammenhalt, geringe affektive Überbehütung, Resonanz, Konfliktvermeidung, Triangulierung, Verstrickung / Grenzenstörung, Grenzstörung, Scham / Geheimnisse, Aufopferung, Ideal der Stärke und Bündnisprobleme und Normorientierung Triangulierung - Neue Balance zwischen Autonomie und Bindung; - Trauerprozesse / Versöhnung; - Weitere Einzeltherapie für die Patientin: - Bearbeitung der Affekt – und Konfliktabwehr; - Bearbeitung der Verschiebung auf den Körper; - Evtl. Kombination Einzeltherapie mit Gruppentherapie; - Evtl. Paartherapie der - Stärkung der Autonomie der Familie; - Neue Balance zwischen Autonomie und Bindung; - Trauerprozesse / Versöhnung; - Weiteres symptomorientiertes Durcharbeiten des Essverhaltens; - Besprechung weiterer Gewichtszunahme; - Evtl. Einzeltherapie für die Patientin; - Evtl. Kombination 7. 7. Selbsthilfegruppen 73 Phase III: Patientin mit ihrem Einzeltherapie mit Reifung Partner; Gruppentherapie; - Evtl. Paartherapie für die Eltern - Evtl. Paartherapie für die Eltern Quelle: Cierpka und Reich (2001, S. 154) 7.7. Selbsthilfegruppen Beyer (2000) teilt mit, dass die Selbsthilfe seit jeher im Gesundheitswesen zu den traditionellen Formen der gesellschaftlichen Bewältigung von Krankheit gehört. Definiert wird die Selbsthilfe durch die autonome gesellschaftliche Gestaltung. „…Das alles Gemeinsame ist die grundlegende gesellschaftliche Verhaltensänderung.“ (Vgl. Beyer, 2000, S. 220) In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich die Selbsthilfegruppen – Unterstützung sehr stark entwickelt. An den bestehenden Einrichtungen der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung findet eine stärkere Angliederung einzelner Funktionen der Selbsthilfegruppen – Unterstützung immer häufiger statt. In den vorgesehenen Kontakt – und Informationsstellen werden als Basisfunktion Räume und gemeinsam nutzbare Ressourcen zur Verfügung gestellt (Vgl. Beyer, 2000). Laut Cuntz und Hillert (2003) kann die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe alternativ oder ergänzend zu einer ambulanten Einzeltherapie erfolgen, welche auch therapeutisch begleitet werden kann und i. d. R. in wöchentlichen Abständen stattfindet. Die beruflichen Unterstützer beraten und begleiten in erster Linie die Personengruppen. Zu den Inhalten und den Zielen der Gruppenarbeit in der Selbsthilfegruppe gehören, dass jede Frau die Möglichkeit erhält, ihre Gefühle zu äußern, sich Zeit für sich 7. 8. Therapeutische Wohngruppen 74 zu nehmen und neue Sichtweisen im Umgang mit sich und anderen zu entwickeln. Auf der Basis der klientenzentrierten Gesprächsführung sowie durch die Einübung der Kommunikationsregeln, können die unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Frauen geachtet und gewürdigt werden. Begünstigt wird dadurch vor allem der Aufbau von tragfähigen Beziehungen innerhalb der Gruppe, die eine intensive und offene Auseinandersetzung mit der Symptomatik und den dahinter liegenden Problemen zulässt. Die teilweise häufig gelebte Isolation vieler Frauen mit einer Essstörung wird durch die Teilnahme an der Gruppe aufgehoben und die Selbstakzeptanz wird durch die Akzeptanz der anderen gefördert. Die Solidarität, die unter den Teilnehmerinnen herrscht, begünstigt bestenfalls die Fortsetzung einer Selbsthilfegruppe. Geprägt ist die Arbeit in der Selbsthilfegruppe mit einer Anleitung von den Variablen der Autonomie bzw. der Selbstbestimmung, der Echtheit in den Beziehungen, der inneren und äußeren Kontinuität, der Grenzsetzung und des konzentrierten Zuhörens, der Hoffnung, der Aktivität und des Optimismus, der Solidarität durch den gemeinsamen Leidensdruck sowie der gegenseitigen Akzeptanz (Vgl. Beyer, 2000). 7.8. Therapeutische Wohngruppen Therapeutische Wohngemeinschaften werden in Betracht gezogen, wenn es einer Patientin nicht gelingt, sich im Rahmen einer stationären Behandlung ausreichend zu stabilisieren oder wenn die häuslichen Bedingungen sehr belastend sind (Vgl. Cuntz und Hillert, 2003). Backmund und Gerlinghoff (2003) berichten, dass eine teilstationäre oder ambulante Therapie für einige Patientinnen am Therapie – Centrum für Essstörungen“ (TCE) am Max – Planck – Institut für Psychiatrie in München allein aus medizinischen und / oder psychiatrischen Gründen nicht ausreichend ist. Dafür sind therapeutische Wohngruppen eingerichtet worden. Für eine Aufnahme in einer solchen Wohngruppe 7. 8. Therapeutische Wohngruppen 75 sind als Gründe, die Schwere der medizinischen Komplikationen oder den psychischen Begleiterscheinungen, Entwicklung die deutlichen Defizite in der der Persönlichkeit sowie in der sozialen Kompetenz, besonders ungünstige Verhältnisse in der Familie oder eine stärkere soziale Isolierung, zu nennen. Am „TCE“ besteht das Programm aus der Intensivierung des Esstrainings, welches in der Kleingruppe und der Großgruppe stattfinden Gruppensitzungen, kann, Gespräche zu den verhaltenstherapeutischen aktuellen Konfliktlösungen oder Kriseninterventionen, die dagegen einzeln erfolgen und des Weiteren die Entwicklung und das Training von den sozialen Kompetenzen wie die Selbstbehauptung, die Abgrenzung, die Toleranz und die gegenseitige Unterstützung. Besonders gefördert wird das Peers – to – peers – System. Am „TCE“ gibt es für die therapeutischen Wohngruppen ein eigenes therapeutisches Team. Für einzelne Wohnungen mit drei bis vier Bewohnerinnen oder in größeren Gruppen werden die therapeutischen Maßnahmen durchgeführt. Zum Essverhalten mit der dazugehörigen Kontrolle des Gewichts, der Führung des Haushalts, der Gestaltung der Freizeit sowie der Bewältigung von Konflikten, erfolgt eine Supervision. Eine ständige ärztliche und therapeutische Rufbereitschaft besteht. Neben den tagesklinischen oder den ambulanten Aktivitäten finden zusätzlich alle therapeutischen Maßnahmen in den Wohnungen statt. Die Ziele dieser Maßnahme der Therapie sind u. a. die Stabilisierung des symptomfreien Verhaltens, die Förderung der Alltagsbewältigung, die Förderung der Fähigkeiten, Beziehungen einzugehen, Konflikte auszutragen und Kritik anzunehmen oder zu geben, das Erlernen von Nähe und Distanz, das Erleben von Gemeinschaft und Solidarität (Vgl. Forster, 2002). Zu weiteren wichtigen Aspekten der Behandlung gehören, außerhalb der Familie das Leben eigenverantwortlich zu leben, die Entwicklung von Sozialkompetenzen, wozu die Abgrenzung, die Unterstützung sowie die Toleranz gehören, das Essverhalten zu stabilisieren, die sozialen Fähigkeiten wie die Führung des Haushaltes, den Umgang mit Geld u. a. zu erlernen, das eigenständige Lösen von verschiedenen 8. 1. Evaluation der Behandlung von Bulimie und Anorexie 76 Problemen im Alltag und auch die Freizeit zu gestalten. Es wird angegeben, dass am „TCE“ dreißig Wohnplätze auf acht Wohnungen verteilt sind und Gemeinschaftsräume und eine Gemeinschaftsküche vorhanden sind. Ca. acht Monate beträgt die durchschnittliche Verweildauer einer essgestörten Bewohnerin in einer Wohnung. An diesem Wohnprogramm haben am „TCE“ bisher mehr als 350 Patientinnen und Patienten teilgenommen (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). KAPITEL 8 8. Grenzen in der Sozialen Arbeit - Evaluation sowie Nachsorge in der Behandlung von Essstörungen 8.1. Evaluation der Behandlung von Bulimie und Anorexie 8.1.1. Behandlungsdauer und Erlebnisqualität stationärer und ambulanter Therapien Laut Schuhler, Vogelsang und Zierke (2005) sind als eindeutige Einflussgrößen auf die stationäre Behandlungsdauer, die wesentlichen soziodemographischen Merkmale und die krankheitsbezogenen Kriterien nachgewiesen wurden. Es ergaben sich somit längere Behandlungszeiten bei ledigen, partnerschaftslosen und jüngeren Patienten mit einer erhöhten psychiatrischen mehrfachern ambulanten Komorbidität oder sowie stationären bei Patienten mit psychotherapeutischen Vorbehandlungen. Ebenso bei den Patientinnen mit einer Essstörung ergaben sich deutlich längere Behandlungszeiten bei den jüngeren oder 8. 1. Evaluation der Behandlung von Bulimie und Anorexie ledigen Patientinnen. Eine längere Behandlungszeit 77 war in der Behandlung von Patientinnen mit einer Persönlichkeitsstörung, einer Essstörung, einer rezidivierenden depressiven Erkrankung sowie bei einer Störung der Impulskontrolle erforderlich. Laut Borgart und Meermann (2006) wird angegeben, dass bei der Anorexie ein stationäres verhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm besonders günstig ist. Die bulimischen Patienten können in der ambulanten Verhaltenstherapie besonders wirksam behandelt werden, wobei bei der Bulimie die psychoanalytische stationäre Therapie positive Effekte bewirkt. Bei einem Vergleich mehrerer Katamnesestudien unterschiedlicher theoretischer Behandlungskonzeptionen, umfassten die Untersuchungszeiträume 1,5 – 2,5 Jahre, 3 – 4 Jahre und 8 – 12 Jahre. Hier erfolgt die Einschätzung, dass Anorexie sowie Bulimie in ihrem Verlauf kurzfristig eher geringe Veränderungen der Symptomatik zeigen. Und erst nach fünf Jahren sind bei der Bulimie und nach zehn Jahren bei der Anorexie meist deutlich positive Entwicklungen zu verzeichnen. In einer eigenen Studie sind anhand der Therapie – Erfolgseinschätzungen der Patientinnen und Therapeuten die Behandlungserfolge bei der Anorexie und der Bulimie überprüft worden. Aus den bisher über 2300 behandelten Patientinnen mit einer Essstörung, wurde eine Teilstichprobe von N = 228 Patientinnen zugrunde gelegt. Die Stichprobe, welche aus N = 107 Patientinnen mit einer Anorexie und N = 121 Patientinnen mit einer Bulimie bestand und die im Zeitraum zwischen 08/96 und 01/99 in der Psychosomatischen Fachklinik Bad Pyrmont stationär behandelt wurden, lag die durchschnittliche Dauer der Behandlung für die Anorexie bei 101 Tagen und bei der Bulimie lag der Wert bei 80 Tagen. Der Gesamttherapieerfolg lässt sich beschreiben, indem 95 % der Patientinnen mehr oder weniger mit dem Therapieerfolg zufrieden sind und 88 % der Therapeuten konnten eine mehr oder weniger deutliche Besserung versehen. Wie sich aus Therapieforschungsstudien zeigt, sind insbesondere bei der Anorexie operante verhaltenstherapeutische Methoden zur Gewichtszunahme erfolgreich. Die zusätzliche Verabreichung antidepressiver Medikamente 8. 2. Rückfallprävention 78 zu der kognitiven Verhaltenstherapie hat bisher nur mäßig oder keine darüber hinausgehenden Effekte gezeigt (Vgl. Fichter, 2005). Bei der Bulimie ist die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie gut belegt und zumindest kurzfristig wirksam sind bei einem Teil der Patientinnen die Medikamente. Bei ca. 60 % der Patientinnen, lässt sich anhand einer Katamnesestudie als Trend feststellen, dass hier eine vollständige Heilung oder zumindest ein günstiger Verlauf zu erzielen ist und ein Drittel der Störungen dabei einen chronischen Verlauf nimmt. Bei 5 – 10% liegt die Sterblichkeitsquote, die Hälfte davon durch Suizid. Die günstigste Prognose liegt bei den Patientinnen unter 18 Jahren des restriktiven Typus der Anorexie, bei denen eine Erkrankungsdauer von weniger als einem Jahr bestehen. Besonders bei jungen Patientinnen mit einer guten familiären Integration und einer bisher eher kurzzeitigen Dauer der Erkrankung, ist die ambulante Therapie prognostisch günstig. Die ambulante Behandlung schafft aber in anderen Fällen erst die notwendige Einsicht zur Krankheit und die Motivation zur Therapie für eine stationäre Therapie. Bei der Behandlung von Anorexie sowie Bulimie wurden mit der ambulanten Gruppentherapie gute Erfahrungen gemacht (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Nach Forster (2002) hat sich die Kombination mehrerer ineinandergreifender Behandlungsstrategien, die Bevorzugung ambulanter und teilstationärer / tagklinischer gegenüber rein stationärer Konzeptionen als hilfreich erwiesen. 8.2. Rückfallprävention Von Cuntz und Hillert (2003) wird wie folgt beschrieben: „Die langfristige Bewältigung von Essstörungen ist ein Balanceakt zwischen den Freiheiten und Risiken des Gesundseins und den sich aus der Dynamik der Essstörung ergebenden Fesseln.“ (Vgl. Cuntz und Hillert, 2003, S. 105) 8. 2. Rückfallprävention 79 Von Cuntz und Hillert (2003) wird angegeben, dass eine vollständige Heilung der Essstörung mittelfristig eher die Ausnahme sei, auch wenn die Patientin die Therapie erfolgreich beendet hat. Das Thema des Essens und der Schlankheit spielt bei den Mädchen und jungen Frauen im Vergleich zu „Gesunden“, wie es sich in Nachuntersuchungen zeigte, auch nach Jahren noch eine relativ große Rolle. Deshalb ist prinzipiell von einer erheblichen Rückfallgefahr auszugehen. Längerfristig hatten sich die im Rahmen der Essstörung praktizierten Verhaltensweisen als psychisch stabilisierende Faktoren bewährt und nur durch erhebliche Kraftanstrengungen ließen sie sich überwinden. Demnach ist das erhöhte Risiko gegeben, dass die Essprobleme in Zeiten von Stress und Konflikten erneut auftreten können und somit ist es wichtig, dass solche Belastungssituationen rechtzeitig erkannt werden, um nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen und um sich einen Lösungsplan zu erstellen. Deshalb ist es von Vorteil, wenn das Thema der Rückfallprävention so früh wie möglich als Bestandteil mit in die Therapie eingebaut wird. Zudem wird den essgestörten Patientinnen empfohlen, dass sie nach dem Abschluss der therapeutischen Behandlung, die erlernten Verhaltensregeln konsequent weiter zu führen und sie bei einem drohenden Rückfall in alte Verhaltensmuster, wieder anzuwenden (Vgl. Borgart und Meermann, 2006). Eingeübt werden müssen vor allem die Formen des Umganges mit den manifesten Rückfällen, mit den Heißhungerattacken sowie dem Erbrechen. Ein Rückfall darf auch nicht als Ausdruck der prinzipiellen Unfähigkeit, die Essstörung in den Griff zu bekommen verstanden werden. Es ist entscheidend, dass es von der Essgestörten zum Anlass genommen wird und sie nach den zu dem Ereignis führenden Gründen mit einem Therapeuten zusammen, im Rahmen einer SHG oder alleine, z. B. im Rückgriff auf die Inhalte des Selbstsicherheitstrainings nach Strategien zur Bewältigung sucht (Vgl. Cuntz und Hillert, 2003). 9. 1. Schulbezogene Prävention 80 KAPITEL 9 9. Prävention von Essstörungen 9.1. Schulbezogene Prävention Nach Backmund und Gerlinghoff (2004) wird folglich genannt: „An der Notwendigkeit zur Prävention von Essstörungen gibt es keinen Zweifel, auch wenn über die Methoden und Wege noch unterschiedliche Vorstellungen bestehen.“ (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2004, S. 249) Das primäre Ziel ist, mit den Jugendlichen über das Thema der Essstörungen ins Gespräch zu kommen, Wissen zu vermitteln und sie sachlich aufzuklären (Vgl. Berger, 2006). Die präventive Intervention sollte zielgruppenspezifisch und nicht störungsspezifisch angelegt sein und die Jugendlichen müssen in ihrem Lebensstil und den altersbedingten und geschlechtsbezogenen Belastungen angesprochen werden (Vgl. Buddeberg – Fischer, 2000). Die präventiven Angebote können in den Schulen als Workshops, Projekttage oder einfach als Diskussionsrunden verwirklicht werden. Berichtet wird, dass die Verminderung von Risikofaktoren und eine Förderung von Schutzfaktoren eine zentrale Aufgabe präventiver Aktivitäten ist. Der Zusammenhang, der zwischen einem niedrigen Selbstwertgefühl und der Entstehung von Essstörungen besteht und dass die Ess – Brech – Sucht und die Magersucht keine Methoden sind, um bestehende Schwierigkeiten und Probleme in ihrem Leben in den Griff zu bekommen, kann den weiblichen Jugendlichen deutlich gemacht werden (Vgl. Backmund und Gerlinghoff (2004). „Denn Essstörungen sind kein Weg zu der „Coolness“, nach der sich so viele Jugendliche sehnen.“ (Vgl. Backmund und Gerlinghoff (2004, S. 250) 9. 2. Das Projekt „NICE“ zur Prävention von Essstörungen 81 9.2. Das Projekt „NICE“ – zur Prävention von EssStörungen für Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren der Jugend- und Drogenberatungsstelle „DROBS“ Magdeburg Die Beratung, Betreuung und Vermittlung von Mädchen und jungen Frauen mit gestörtem Essverhalten ist ein Teil des Angebotes der Jugend– und Drogenberatungsstelle der „DROBS“ in Magdeburg. Auch die präventive Arbeit mit den unterschiedlichen Zielgruppen, d. h. Kinder, Jugendliche und Erwachsene, gehört zur Aufgabe der DROBS. Das Ziel dieser präventiven Arbeit ist es, einer Suchtentwicklung bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen. Das Projekt „NICE“ zur Prävention von Essstörungen, wendet sich gezielt an Mädchen im Alter zwischen dem 13. und 16. Lebensjahr. Neben den Themen des Essens sowie der Essstörungen, geht es vor allem darum, die Schutzfaktoren, welche zur Vorbeugung einer Entwicklung beitragen können, zu stärken. Aufgebaut ist das Projekt „NICE“ nach einem Baukastenprinzip, was heißt, dass sich sowohl einzelne Projekttage als auch Projektwochen mit verschiedenen, individuell planbaren Inhalten und Schwerpunkten realisieren lassen. Durchgeführt werden alle Inhalte durch das zielgruppenorientierte und prozessorientierte Arbeiten auf der Grundlage von erlebnispädagogischen und spielpädagogischen Ansätzen. Das Arbeiten in einer Mädchengruppe bietet die Möglichkeit, einen geschützten Raum zu schaffen, indem eine entspannte, offene und gewaltfreie Atmosphäre herrscht und sich auch sensiblen Themen zugewandt werden kann. Die Interessen, Wünsche und Bedürfnisse der Mädchen können so im Vordergrund stehen. Der Schwerpunkt liegt neben dieser bedarfsorientierten und altersangemessenen Vermittlung von notwendigen Informationen auf der zielgruppenorientierten und erlebnisorientierten Arbeit. Ausgehend von ihren eigenen Erfahrungen können und sollen sich die Mädchen aktiv mit der Thematik auseinandersetzen. Und durch die Integration von 9. 2. Das Projekt „NICE“ zur Prävention von Essstörungen 82 spielpädagogischen und erlebnispädagogischen Elementen ist es möglich, eine angenehme und lockere Atmosphäre zu schaffen, sich den Themen zu nähern und diese zu bearbeiten. Die Prävention zu Essstörungen durch das Projekt „NICE“ können als einzelne oder mehrere Projekttage gestaltet werden, welche u. a. in den Räumen der Beratungsstelle sowie gezielt in den Schulen stattfinden. Im Projekt „NICE“ werden u. a. die Inhalte der Entwicklung eines Bewusstseins dafür, wie Schönheitsideale entstehen, sie kulturell verschieden sein und sich verändern können und sie sehr relativ sind, behandelt. Es sollen eigene Stärken und Schwächen erkannt und akzeptiert sowie der eigene Körper soll akzeptiert werden. Es sollen demnach eigene Maßstäbe in Bezug auf die Körperwahrnehmung entwickelt werden. Das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl sowie die Kooperationsfähigkeiten, Kommunikationsfähigkeit und die Konfliktfähigkeit sollen gestärkt werden. Es wird auf den Umgang mit Stress und die Stärkung von Genussfähigkeit und Entspannungsfähigkeit eingegangen. Es erfolgt die Reflexion des eigenen Verhalten zum Essen und der eigenen Essgewohnheiten sowie die Gewohnheiten des Essens in der Familie. Wichtige Themen sind vor allem die sozialen und emotionalen Funktionen des Essens. Auch die Möglichkeiten der Hilfe und der Unterstützung in schwierigen Situationen sollen kennen gelernt werden. Diese beschriebenen Inhalte werden in fünf Themenschwerpunkten umgesetzt. Bei dem ersten Baustein handelt es sich um „Ich bin ich“. Bei diesem Schwerpunkt soll eine vertrauensvolle Atmosphäre und das Vertrauen aufgebaut werden, sich selbst und die anderen besser kennen zu lernen. Gestärkt werden sollen das Selbstvertrauen und die realistische Selbsteinschätzung sowie die eigenen Stärken und Schwächen der Mädchen erkannt werden. Diesbezüglich können Fragen lauten: „Welche Stärken und welche Schwächen habe ich und wie gehe ich damit um?“ oder „Wie schätze ich mich selbst ein und wie werde ich von den anderen eingeschätzt?“. Der zweite am Themenschwerpunkt wurde zu „Schön – schöner – schönsten?!“ benannt. Hier geht es darum, die Thematik der 9. 2. Das Projekt „NICE“ zur Prävention von Essstörungen 83 Schönheitsideale zu behandeln. Hier erfolgen die kritische Betrachtung sowie die Relativierung der gängigen Schönheitsideale. Es wird sich mit historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Normen der Realität auseinandergesetzt. Mit den Mädchen wird z. B. die Entstehung von Schönheitsidealen besprochen und diskutiert, wer sie eigentlich bestimmt. Zudem sollen die Mädchen überlegen, welche Bedeutung die Schönheit für sie persönlich hat. Zusätzlich wird die Entwicklung eigener Maßstäbe für die Körperwahrnehmung behandelt. Als „Essen und Essgewohnheiten“ wird der dritte Baustein genannt. Hier spielen das Erkennen von emotionalen sowie sozialen Faktoren des Essens bzw. des Nichtessens eine Rolle. Das eigene Essverhalten und die von der Familie werden reflektiert. Es wird u. a. diskutiert, welche Gründe es gibt, zu essen oder nicht zu essen. Gründe hierfür können z. B. Geselligkeit, Langeweile, Stress oder Kummer sein. Die Sozialpädagogin vermittelt Informationen, setzt sich mit Begriffen wie der gesunden und der einseitigen Ernährung, der Diät, dem Heißhunger, dem Jo – Jo – Effekt und den Kalorien auseinander und klärt darüber auf. Im vierten Themenschwerpunkt handelt es sich um „Mädchensein – Frausein“. Hier wird sich mit der Mädchenrolle und der Frauenrolle auseinandergesetzt und Werbeideale werden kritisch betrachtet. Und es werden bei der Gestaltung der eigenen Mädchenrolle bzw. Frauenrolle in der Gesellschaft eigene Möglichkeiten kennen gelernt. Der fünfte und damit letzte Baustein wird als „Genießen und Entspannen“ beschrieben. Besonders das Kennen lernen und das Ausprobieren der Möglichkeiten zu Genuss und Entspannung sowie die Schulung der Sinne sind hierbei zu nennen. Im Vordergrund stehen vor allem der Spaß und das wohl fühlen. Bei den Mädchen sollen die Genussfähigkeit und die Entspannungsfähigkeit sowie der Umgang mit den Gefühlen gestärkt werden. Zudem werden Möglichkeiten der Hilfe und der Unterstützung in schwierigen Situationen kennen gelernt. Zum Ausklang werden schließlich gemeinsam entspannende Übungen erlernt, die die Mädchen und junge Frauen auch hinterher anwenden können, wenn sie einfach entspannen und genießen wollen (Vgl. DROBS, 2005). 10. Zusammenfassung 84 KAPITEL 10 10. Zusammenfassung Resümierend lässt sich feststellen, dass seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts die Prävalenz von Essstörungen vor allem in den westlichen Industriegebieten stark zugenommen hat und auch weiterhin ansteigt (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Zudem kann zusammen gefasst werden, dass die Erkrankung der Bulimie nervosa mit etwa 1 – 3 Prozent im Vergleich zur Anorexia nervosa mit ca. 0,5 bis 1 Prozent der Erkrankungsrate der internationalen weiblichen Bevölkerung in ihrem Vorkommen deutlich überwiegt (Vgl. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier, 2005). Der Krankheitsbeginn bei der Ess – Brech – Sucht ist durchschnittlich etwas später als bei der Magersucht (Vgl. Fichter, 2005). Die Ess – Brech – Sucht und die Magersucht sind vor allem bei den adoleszenten Mädchen und jungen Frauen weit verbreitet. Betroffen sind vorwiegend die Frauen und seltener die Männer (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt sowohl für die Anorexie wie auch für die Bulimie etwa 11:1 (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Nach Schönauer – Cejpek und Steinbrenner (2003) gelten die Essstörungen als multifaktorell bedingte Krankheiten, bei deren Genese sowohl genetische, soziokulturelle, intrapsychische als auch familiäre Faktoren eine Rolle spielen. Essstörungen werden hauptsächlich als eine Überbewertung von schlanker Figur und des eigenen Gewichts dargestellt. Ihren Selbstwert definieren die Mädchen und Frauen in sehr hohem Maße oder ausschließlich auf der Basis von Figur und Gewicht und ihrer Fähigkeit, ihr Essverhalten unter Kontrolle zu halten. Aus der Sicht der Primärprävention ist es notwendig, Essstörungen und auch Zustände frühzeitig zu verhindern, die die Entstehung von Essstörungen begünstigen oder (mit)verursachen (Vgl. Berger, 2006). Literaturverzeichnis 85 Literaturverzeichnis Monographien Absenger, Iris: „Die verkörperte Essstörung.“ Anorexie – Bulimie – Adipositas. Erleben erleiden: umfassender Therapieüberblick und ein Körperausrucksmodell. Centaurus Verlags – GmbH & Co. KG. Herbolzheim. 2005. Beyer, Kathrin: „Esssucht ist weiblich.“ Über die gesellschaftliche Konstruktion weiblicher Konfliktlösungsstrategien. R. T. Verlag Hannover. Hannover. 2000. Borgart, Ernst – Jürgen; Meermann, Rolf: „Essstörungen: Anorexie und Bulimie.“ Ein Therapeuten. kognitiv – verhaltenstherapeutischer Störungsspezifische Psychotherapie. W. 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URL: http://www.drobs-magdeburg.de/ zuletzt abgerufen am 11.01.2007 Anhang I Anhang I Anhang I I Anhang I Das erste Interview zum Thema der Essstörungen, insbesondere der Bulimia nervosa und der Anorexia nervosa bei Mädchen und Frauen, wurde mit der psychologischen Psychotherapeutin Fr. Dr. C. Kindl – Beilfuss am 4. Januar 2007 um 15.30 bis 16.30 Uhr durchgeführt. In ihrer Praxis, in der Rückerstr. 38 in Magdeburg, übt sie die Einzel –, Paar – und Familientherapie aus und wendet die klinische Hypnose an. Des Weiteren ist sie Lehrtherapeutin und Supervisorin. Die Fragen: 1.) Welche Formen der Essstörungen sind bei Ihnen in der Psychotherapie behandelt wurden, welche kommt Ihrer Erfahrung nach am häufigsten vor und wie verhält sich die Häufigkeitszunahme der von Ihnen behandelten Klienten mit einer Essstörung, insbesondere von der Bulimie und der Anorexie heutzutage und im Vergleich der letzten Jahre? Dr. Kindl – Beilfuss: Die meisten behandelten Essstörungen in meiner Praxis sind die Anorexien und da können wir gleich dazu übergehen, dass die in den letzten Jahren sehr stark zugenommen haben. Zu meiner Anfangszeit, Anfang der 90er Jahre, war das noch ein Ausnahmephänomen. Das gab es schon. Seit Anfang der 90er Jahre hat es in der Praxis stetig zugenommen und mittlerweile ist es im Alter zwischen 13 und 17 Jahren das häufigste Erscheinungsbild. Das jüngste Mädchen, das ich hatte, war 11 Jahre alt. Demgegenüber steht aber auch eine Entwicklung, die man eher selten in der Therapie hat, nämlich den dicken Teenager, nämlich Adipositas. Das man sozusagen schön dick wird und sich dann manchmal runterhungert und sich dann eine Anorexie entwickeln kann. Und die Personen sind dann selten in einer Behandlung. Anhang I I Das ist aber auch eine Form von Essstörung und dann ist man halt ein bisschen moppelig und etwas dicker. Das der Mensch dann selber sehr viele Probleme hat und damit verbindet, dass ist dann oft im Hintergrund und unklar. Meiner Ansicht nach, wird es von Ärzten viel zu selten in einer netten und in einer wohlwollenden Form angesprochen, so dass mal die Weichen gestellt werden. Bei der Anorexie besteht der Hintergrund, dass sie sich so stark abmagern, dass etwas getan werden muss. Da kommen die Eltern, die Lehrer, die es wahrnehmen und der Hausarzt unter Druck. Alle wollen dann sozusagen nach dem Motto „Dann füttere dich mal wieder auf“ und dadurch entsteht in der Therapie ein sehr großer Druck. Bei der Adipositas ist das nicht der Fall, da stirbt man ja nicht, da ist man nur „schwerfällig“ im Leben, „das macht ja nichts“, so ungefähr. Und das ist wiederum etwas bedauerlich, wenn man es so sieht, das man sagt, das alles sind Essstörungen, aber damit wird sehr unterschiedlich umgegangen. Und die Bulimie kommt dann in der nächsten Kategorie und ist natürlich in ihrer Ausprägung her auch etwas sehr Unangenehmes, welche letztlich auch im Geheimen stattfindet. Viele Bulimikerinnen halten das vor allen geheim, das merkt gar keiner. Die Angehörigen können somit schwer reagieren. „Essen und dann kotzen auf dem Klo“ – die Nachteile das man in der Speiseröhre, im Magen sowie an den Zähnen Probleme hat und die Mundflora zerstört ist, die treten ja erst nach Jahren auf. In sofern verhalten sich die meisten Betroffenen so, dass sie eher sagen, „Das ist doch eine Lösung, dann kann ich viel essen und danach kotzen“. Und einige von den jüngeren Mädchen sind in einem Schulalter und erzählten mir auch, dass dies sogar als Tipp gegeben wird. „Du kannst ja essen und dann kannst du ja kotzen gehen“, heißt es unter Freundinnen und Mitschülerinnen. 2.) Welche Personen in welcher Altersgruppe sind überwiegend von der Bulimie und der Anorexie betroffen (Mädchen und Frauen, Jungen und Männer), die sich psychotherapeutischer Behandlung befinden? bei Ihnen in Anhang I I Dr. Kindl – Beilfuss: Beim Alter der Bulimikerinnen würde ich mal sagen, von der Versuchsweise her, es versuchen sicher viele, aber das würde ich nicht als eine Bulimie kennzeichnen, weil eine Bulimie, das ist dann schon eine ausgeprägte Erkrankung, wo Fressanfälle bestehen und anschließend gekotzt wird. Die Mädchen sind i. d. R. schlank, aber äußerlich auch nicht auffällig, weil sie nicht zu dünn sind, sie sind normalgewichtig oder eben schlank. Und viele werden es probiert haben, aber es sind wenige, die es über Jahre haben und die Mädchen, die ich gesehen habe, die es über Jahre haben, die sind eher seltener. Ich hatte Klientinnen im Bereich der 13 – bis 17jährigen Mädchen und junger Frauen, aber ich hatte auch viele Bulimikerinnen im Bereich der 20 – bis 30jährigen. Da ist es deutlich problematischer, weil sie es dann schon über zehn Jahre lang machen und man hat eben diese gehörigen Nachteile und Partnerschaftsprobleme und was sich da alles nachzieht. Und es lässt sich schwer behandeln, weil die Einsicht einer Veränderung bei den Essgestörten schwer zu erringen ist und weil die meisten denken, es ist eher eine Lösung als ein Problem. Es gibt fast alle möglichen Formen von Essstörungen, es gibt auch viele, die kippen von einer Diät in eine Anorexie, waren vorher ein bisschen zu dick, dann werden sie immer dünner. Dann gibt es welche, die waren normalgewichtig und kippen in eine Anorexie. Dann gibt es welche, die kommen vom Normalgewicht in die Bulimie, da sieht man äußerlich nichts. Viele Verläufe sind denkbar, aber das anorektische Verhalten ist das auffälligste. Ich meine, das sieht man auch am meisten. Wenn man sie am meisten sieht, fällt das einem auch am meisten auf. „Sind das aber viele geworden, hier muss ja mal was passieren“, oder „Gucke mal, die dünnen Ärmchen an“ und die Bulimie fällt einem deutlich weniger auf. Ich denke persönlich, dass es da eine sehr hohe Dunkelziffer gibt. Gerade im Bereich von der Bulimie. Von den männlichen Erkrankten einer Anorexie hatte ich in den letzten 10 Jahren genau 4 Fälle. Die jungen Männer waren auch im Alter zwischen 15, 16 und 17 Jahren. Zwei der Klienten waren 15 Jahre alt, einer war 16 Jahre alt und der andere 17 Jahre alt. Die Erkrankung ist gar nicht so sehr aufgefallen, weil sie auch oft versucht haben, durch Sport Anhang I I ihren Körper zu stählen. Zwei der Fälle waren normalgewichtig und waren mit ihrem Körper sehr unzufrieden. Und zwei der männlichen Klienten waren moppelige Jungs, die sich richtig runtergehungert haben und es dann in eine Anorexie gekippt ist. Bei der Essstörung ist dann eine starke Kontrolle vorhanden und „Ich darf jetzt nur noch 200 Kalorien pro Tag essen und nur noch Häppchen zu mir nehmen“. Die anderen beiden Klienten waren eher so, dass sie mit ihrem Körper eben sehr unzufrieden waren und in ein Gesundheitscenter und Fitnesscenter gegangen sind, um Muskeln zu stählen und gleichzeitig wird man ja aufmerksam gemacht, sein Ernährungsverhalten zu verändern. Und da werden dann Eiweißdrinks getrunken und fast nichts mehr Normales gegessen. Da denke ich auch, dass es bei jungen Männern doch eine hohe Quote von nicht entdeckten Störfällen gibt, die aber nie in Therapien kommen, und weil sie ja nach außen hin gut aussehen und einen schönen Körper haben. Sie gehen ins Studio und das finden ja alle toll und sie sich aus diesen Gründen eben extrem einseitig und auch fehl ernähren und sich nur mit dem Thema Essen beschäftigen. „Was darf ich heute essen“, „Wie muss mein Tagesplan aussehen“, „Jetzt muss ich genau eine Schüssel Reis essen und dann noch den Eiweißdrink trinken“. Das ist dann letztendlich auch eine Art Essstörung. Das wird dann gar nicht erkannt oder ernst genommen. Eine männliche Bulimie habe ich noch nie gesehen. Vielleicht scheint den Männern „das Kotzen“ nicht zu liegen. 3.) Welchen Weg hatten Behandlungsmöglichkeit die der Essgestörten bis Gesprächspsychotherapie zur zu gehen? Dr. Kindl – Beilfuss: Die Wege der Betroffenen sind oft sehr kompliziert, weil die Frage ist immer, wer darauf aufmerksam wird und was man dann macht. Häufig ist der Hausarzt darauf aufmerksam geworden und die Eltern haben den Hausarzt kontaktiert. „Was machen wir jetzt, unser Kind nimmt immer mehr Gewicht ab“. Dann wurde häufig sofort in eine Klinik eingewiesen und das hat einen Unwillen der Beteiligten hervorgerufen. Anhang I I Meist kamen viele dann schon aus der Klinik oder aus der ambulanten Behandlung. Bei den jungen Männern war es so, dass ich sie ambulant behandelt habe und sie später in die Klinik einweisen lassen musste, weil wir nicht genug Veränderung erzielt haben. Und dann weiterbehandelt habe. So etwas gibt es also auch. Das läuft dann meistens ganz gut, wenn man sagt, man ist erst einmal in Behandlung. Dann spitzt sich mal was zu und dann muss eine andere Behandlungsdosis genommen werden, dann kommt man wieder ambulant. Dann hat man den Durchbruch erzielt. Wobei ich sehr viel Wert darauf lege, dass ich mit den Betroffenen diese Therapie bespreche und abstimme. Ich möchte gerne die Zustimmung. Und sie nicht irgendwie überreden oder das dann gegen ihren Willen zu machen. Weil „Ich möchte entscheiden“, das Thema ist ja die Autonomie. „Ich möchte also entscheiden“, „Ich, ich, ich“. Und wenn man das dann versucht, zu umgehen, zu brechen, dadurch hat man keinen Erfolg. Sie müssen es auch selber wollen. Ich habe in meiner Anfangszeit in der Uniklinik gearbeitet, von 1990 bis 1996, da habe ich einige Leute gesehen, wo sie Jugendliche sozusagen „rausgefüttert“ hatten, also unter einem Zwang und im Beisein von Krankenschwestern und das Essen mussten sie also essen und dann haben sie gegessen und dann hatten wir innerhalb von kürzester Zeit auch Erfolge, weil man ja dicker wird und ein paar Kilos zugenommen hat. Als sie entlassen wurden, haben wir sie in kürzester Zeit wieder runtergehungert gesehen und gedacht, dass es das ja nicht sein kann. Das kann nicht das Ziel sein, sie müssen fürs Essen gewonnen werden, sag ich immer, egal, wie lange das im Kopf dauert. Und es dauert eben oft sehr lange und braucht auch Geduld und in sofern ist eine ambulante Therapie natürlich immer notwendig, entweder vorher oder nachher einer stationären Behandlung oder als Hauptmethode. Also nur bei einer stationären Therapie, ohne eine ambulante Behandlung hat man i. d. R. kaum Chancen. Was mir persönlich sehr am Herzen liegt, ist, dass mehr familientherapeutisch gearbeitet wird, weil die Familien unter einem extremen Druck stehen. Die Eltern haben ein schlechtes Gewissen, weil das Kind nicht ordentlich isst oder zuviel oder zuwenig. „Ja, du bist schuld“, Anhang I I „Du hast ihr das falsche gegeben“ und dann sind sie so hilflos, „Was machen wir jetzt, unsere Tochter will nicht mehr und sie isst immer allein“ usw. Also es hat viele Einflüsse auf die Familien gegeben. In sofern muss die Familie auch mitbehandelt werden oder wenn man so will auch für einen gemeinsamen Weg gewonnen werden. 4.) Wie und wo fand der Erstkontakt statt und wer stellte bzw. wo wurde die Diagnose einer Essstörung gestellt? Dr. Kindl – Beilfuss: Ich würde mal grob sagen, von einer stationären Einrichtung kamen, etwa ein Drittel der Klientinnen. Es könnte ein bisschen mehr zugunsten der stationären Einrichtung gewesen sein. Auch ca. ein Drittel kamen vom Hausarzt aus, ungefähr ein Drittel kam zu mir von alleine. Und das ist ja auch schon mal wichtig. Das die Betroffenen sich selbständig Hilfe suchen und nach jemandem fanden, der damit umgehen kann und klar kommt. Mit denjenigen konnte ich natürlich immer sehr gut arbeiten, weil sie ja schon wie eine Art Vorentscheidung getroffen hatten. Die anderen musste man immer etwas gewinnen, gerade die vom Hausarzt aus kamen, „Was soll ich denn jetzt hier und ich sehe das nicht ein und eigentlich fühle ich mich wohl“, das war oft eine längere Anlaufphase, aber wie gesagt, gut ein Drittel ist dann auch schon selber soweit und sagt „Ich bin gestört, ich habe manches nicht mehr unter Kontrolle und das ist keine Entwicklung, die ich mir so wünsche“. Ich erinnere mich auch an ein paar Fälle, die manchmal auch sehr spät durch körperliche Ausfallerscheinungen zu mir kamen und die sich in einer Lehre befanden oder in der Schule waren, und nicht mehr teilnehmen konnten, und z. B. im Sportunterricht einfach umfielen oder blaue Finger bekamen. Der letzte Fall, den ich hatte, ein junger Mann, in der Lehre, konnte sich überhaupt nicht mehr konzentrieren und saß nur noch apathisch da und war eigentlich mal ein sehr lebendiger junger Mann und hat sich dann nur noch mit dem Thema Essen beschäftigt, nichts mehr gegessen hat und bei über 1,90 m Größe hat das den Körper natürlich fast matt gesetzt. Und den Geist natürlich auch. Anhang I 5.) I Welche Risikofaktoren, die als Ursache einer Entstehung von Essstörungen einhergehen, können hauptsächlich genannt werden? Welcher Faktor spielt als Ursache eine sehr große Rolle für die Entwicklung einer Essstörung? Dr. Kindl – Beilfuss: Also wenn man mal die gesellschaftliche Entwicklung sieht, dass eine Essstörung früher im Grunde eine Modeerscheinung war und es außerdem eine Diagnose ist, die im Zusammenhang mit einem Zeitphänomen auftritt, dann muss man natürlich sagen, es hat erstens mit der Fülle der Ernährung zu tun, das ist ja eine Art Überkonsum und mit dem Schönheitsideal, dass man praktisch viel Nahrung hat, aber keine essen soll. Das macht ja Menschen verrückt. Man hat bergeweise Sachen, die man essen kann, man wird immer wieder verführt. Aber man soll nichts essen oder nur ganz wenig essen oder nur bestimmte Nahrungsmittel. Wenn man mal so auf den Markt guckt, z. B. ein junger Mensch, der sich Nahrung beschafft, der ist mit einer Fülle konfrontiert, z. B. vor dem Kino mit Chips, Popcorn, Cola und solchen Alcopops, der hat alles hochkalorische Sachen, danach soll er noch Pizza oder bei Mc Donald`s essen und gleichzeitig wird dann aber immer gesagt, „Du musst aber schlank bleiben und eigentlich nur Salat, Salat, Salat essen“. Und da tut sich ja so eine Schere auf, die ist ja verrückt. Und das sehe ich als großen Risikofaktor, sich in diesem Weltgefüge zurecht zu finden und dennoch schlank und gesund zu sein und sich gleichzeitig auch zwischen diesen Versuchungen zwischen Alkohol, Cola, Chips u. a., wie eine Jugendkultur isst, auf die Reihe zu kriegen. Dann muss man sagen, es wird sehr wenig in den Schulen oder generell zu wenig Bezug darauf genommen wie sich Jugendliche fühlen und wie es ihnen geht. Es wird z. B. geduldet, dass schlechte Bemerkungen gemacht werden und man mal gleich etwas dicker jetzt aus dem Weihnachtsurlaub kommt, dann ist man gleich fett „Du fette Kuh“ oder so, und da ist auch viel Drama drin. Es gab immer Drama und es wurde immer was bewertet und da hat die Schule auch die Aufgabe, Aufklärungsarbeit zu leisten und nicht nur mit Drogensucht und Anhang I I Alkoholsucht, sondern eben auch „Wie gehe ich mit Essen um?“, „Wie gestalte ich eine Ernährung?“, „Was ist wenn ich mal einen Kilo zuviel habe, bin ich dann noch schön?“. In der Familie selbst gibt es ganz vielfältige Ursachen, häufig Zerwürfnisse, die dann den Teenager vereinsamen lassen und man dann sagt, „essen oder nicht essen“ ist dann irgendwo auch ein Beschäftigungszweig. Manchmal auch im Gruppendruck unter Freundinnen „Ach du bist so schlank und ich bin so fett, jetzt muss das alles runter“. Ich habe auch einmal schon eine Gruppe gehabt, da waren drei Mädchen miteinander befreundet, alle waren magersüchtig, hatten sie also prima hingekriegt und sie kamen dann aber auch alle drei zusammen zu mir und diese Mädchenrunde war auch ganz lustig und sie waren sich auch alle einig und hatten den Wunsch ein Musicalstar zu werden und wollten somit eben schlank und schön werden. Da hat man dann so die Gemeinschaft, und eben díese Wunschvorstellung, dass man nur als eine schlanke und schöne junge Frau überhaupt durch das Leben kommt. Und wie gesagt, vielfältige Ursachen sind auch, wenn die Eltern viel zu tun haben, sie Konflikte haben, abgelenkt sind, vielleicht auch, wenn es manchmal zuviel ums Thema Essen geht. Manche haben auch die Idee mit dem Essen besprochen „Ich will nicht mehr das Zeug essen, was ihr esst“. Oder ein kritischer Teenager der sagt „Was ihr hier esst, das will ich nicht mehr essen“ und geht über die Revolte übers Essen. Aber man kann nicht sagen, außer diesem gesellschaftlichen Phänomen, dass es eine typische Ursache in der Familie gibt. So was wie, dass man global sagen kann, es gibt Kommunikationsstörungen, aber das gibt es in anderen Familien auch. Und haben dann keine essgestörten Teenager, d. h. man muss in jedem Falle genauer hinschauen. Was ein Problemfeld ist, was dadurch entsteht, dass die Familien sich sehr auf das Thema Essen fokussiert, d. h. sie schauen dann immer, wenn das Kind dünner wird, was ist dann mit dem Essen, sie müssen gemeinsam essen, dann wird das Essen leider zum eigenen Thema in Familien und das ist dann ein zusätzliches Problem. Weil das Essen ja eigentlich kein Thema sein soll, es soll nur gut laufen. Zum Teil entzweien sich sogar Familien. Es gibt viele Anhang I I magersüchtige Mädchen, die nach einer Therapie dann besser essen, sich aber oft vegetarisch ernähren. Meistens nicht ein Leben lang, sondern eine Zeit lang. Somit muss sich dieser Essstil in der Familie etablieren und das schaffen Familien natürlich unterschiedlich gut. Sie müssen lernen, damit umzugehen, so „Okay, dann isst du eben fleischlos, dann isst du eben Gemüse und Salat“, und das ist dann ein ewiges Thema in der Familie. Der Psychotherapeut versucht die Themenvielfalt des Lebens zu hinterfragen, da geht es z. B. um die Ausbildung des jungen Menschen, um die Schule, ob die Beziehungen gut sind, wie die Freundschaften sind, ob du dich mit dir wohl fühlst, mit deinem Körper, wie dir das gute Zusammenwirken mit deinen Eltern gelingt, um die Themen wieder auf den Plan zu bringen. Damit sich das Leben wieder füllig anfühlt und um sich nicht nur mit dem Essen zu beschäftigen. 6.) Wie sieht es beim Faktor der Gewalt und des sexuellen Missbrauchs als Ursache für die Entstehung einer Essstörung bei den Klientinnen aus? Dr. Kindl – Beilfuss: Ich habe viele Magersüchtige gesehen, die aus relativ guten Familien und gut ausgestatteten Elternhäusern kamen, aber bei Mädchen, denen überhaupt Gewalt und sexuelle Gewalt widerfahren ist, ist das Thema so augenscheinlich. Wobei ich mehr gesehen habe, bei dicken Mädchen, die sich dann einen schönen Speckmantel zugelegt haben, damit sie dann sozusagen nicht mehr erreicht werden konnten. Selbstverletzende Mädchen, die sich selbst schnippeln oder schneiden, waren eher häufig Mädchen, die dick waren. Die dann in einer Art Kleidersäcken in meine Praxis ankamen, ein bisschen verhüllt, in dem Sinne „Ich will jetzt gar nichts mehr wissen, ich hasse mich, mein Körper ist nicht schön, den verunstalte ich auch“, und dann die Essstörung vielleicht eher am meisten darin besteht, das man dann große Schwankungen hat und dann wieder das zügellose „Fressen“, was ja auch eine Essstörung ist. Und mal mit Brechen, mal ohne Brechen, das ist dann nach dem Diagnosesystem „die Essstörung, nicht näher bezeichnet“. Das passt Anhang I I nicht in diese Klassifikation. Ich würde sagen, das ist ein Mensch, dem sehr viel Leid widerfahren ist und der immer dann eine schwere Störung entwickelt. Aber Essstörungen hat man eben auch bei Menschen, die eigentlich gute Entwicklungsbedingungen haben, dass muss uns auch zu bedenken geben. Jemand, der es im Leben schlecht hatte und dann auch eine psychische Störung entwickelt, das ist eigentlich auch logisch. Aber das jemand, der es im Leben gut hatte, vielleicht in einem netten Elternhaus lebt, in der Schule gute Leistungen bringt, gut vorankommt und dann völlig abdreht. Die Störung kann dann soweit gehen, dass dann alles außer Kontrolle gerät. Denn nach der ersten Stufe der Essstörung der Anorexie kommt die Depression, weil der Körper so ausgemergelt ist, dass die Gefühle nachlassen, man völlig lethargisch und sehr eingeschränkt ist. 7.) Wie ist erfahrungsgemäß der Krankheitsverlauf und welche Symptomatik wird von den Betroffenen genannt? Welche Folgen gehen mit der Anorexie und Bulimie einher? Dr. Kindl – Beilfuss: Die Anorexie kann man sagen, ist in vielen Fällen lebensbedrohlich, weil hier ein sehr starkes Aushungern erfolgt, und das der Körper nachhaltig geschädigt wird. Ein deutliches Zeichen ist das Ausbleiben der Regel, natürlich starkes Untergewicht, Lethargie, Appetitlosigkeit, Kreislaufstörungen, es ist ein lebensbedrohlicher Zustand, ein Mineralmangel und Vitaminmängel sind immer vorhanden. Es kann auch später Probleme mit dem Knochenwachstum bringen, wobei die neueren Erkenntnisse darauf hinweisen, wenn die Erkrankung schnell behandelt wird, dass man nach zehn Jahren auch eine superstabile Entwicklung haben kann. Bei der Bulimie fehlt einem eigentlich nichts, es kommen nur nicht genug Nährstoffe im Körper an und dieses Erbrechen ist eine eigene Sucht. Die Problematik ist, wenn der Mensch erbricht, dann übersäuert der ganze Magen, der Magen – Darm – Trakt arbeitet nicht mehr gut. Häufig sind Kopfschmerzen vorhanden, der gesamte Mund ist entzündet. Was auch oft psychisch ein Problem ist, ist dieses Geheime. Man hat ein Geheimnis. Wenn man sich zurückzieht, keiner darf etwas Anhang I I merken und natürlich diese Scham, dass man wie ein Schollendrescher frisst. Und um brechen zu können, müssen die meisten dann alles essen oder gönnen sich auch alles durcheinander. Wenn man mal bulimische Frauen so hört, was sie alles in sich reinstopfen, vom Joghurt bis zur Salatgurke und Pudding u. a., um das dann wieder alles raus zu kotzen, damit sich es auch lohnt. Ich hatte auch schon Mädchen und junge Frauen, die sagten, sie sprengen völlig ihr Budget, weil sie dann soviel essen und dann völlig umsonst und sie haben dann für ca. 20 € eingekauft, um es in sich rein zu stopfen und es danach wieder auszukotzen. Und in sofern sind da viele Probleme, manchmal auch oft finanziell. 8.) Wie lange dauert es, bis eine Essstörung entdeckt wird? Dr. Kindl – Beilfuss: Das kann ich nicht sagen, es hängt auch sehr von der Aufmerksamkeit der Umwelt ab. Da kann man nur appellieren, das Eltern möglichst schnell handeln sollten und auch sehr zielgerichtet Hilfe in Anspruch nehmen und zwar manchmal auch gegen den Willen des Kindes, weil der Jugendliche oder das Kind ja nicht mitkommen und das die Eltern sich erst mal beraten lassen „Was kann ich jetzt tun“. Das machen eben viele viel zu spät, da bleibt vieles unerkannt. In einem Fall, den ich jetzt abbekommen habe, ist ein Jugendlicher, der seit einem halben Jahr einen starken Gewichtsverlust von über 15 Kilogramm hat und die Eltern erst jetzt reagieren. Also er war schlank und hungert sich darunter und kommt nicht mehr zu den Mahlzeiten und da muss ich sagen, dass muss einfach weitaus schneller gehen. Da muss ich zum Hausarzt gehen und schauen, ob mich ein Psychotherapeut oder Psychiater berät. Und je schneller es bemerkt wird, desto schneller besteht dann auch die Handlungsmöglichkeit. Wenn es dann zur Behandlung kommt, kommt es eben darauf an, wie weit ist die Essstörung vorangeschritten und handelt es sich um eine tendenzielle Essstörung oder ist sie schon sehr ausgeprägt. Die ausgeprägten Essstörungen brauchen i. d. R. immer eine stationäre Behandlung, die nie unter einem Vierteljahr geht und ambulant verläuft sie eins bis zwei Jahre. Das sind schon längere Anhang I I Behandlungsverläufe. 9.) Welche Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze werden für die bulimischen und anorektischen Klientinnen in Betracht gezogen bzw. in Anspruch genommen? Welche am häufigsten? Dr. Kindl – Beilfuss: Hier würde ich sagen, das hängt gar nicht so sehr von den Patienten ab. Sie können i. d. R. gar nicht beurteilen, welche Behandlung sie brauchen, leider. Sie können sich informieren, zukünftig. Im Grunde muss man sehen, was hat überhaupt eine Klinik vorrätig. So was wie Kunst –, Tanz – und Musiktherapien oder die Körpertherapien sind ja sozusagen schon die Highlights von Kliniken. Die wenigsten Kliniken haben solche Therapiemöglichkeiten, dass muss man mal ganz nüchtern sehen. Die meisten sind verhaltenstherapeutisch ausgestattet, was nicht schlecht ist, wenn die Patienten dann noch lernen zu kochen und etwas über Ernährung lernen und in der Gruppe gut geführt sind, haben sie schon oft viel. Das wäre natürlich ein Wunschprogramm die Kunst –, Tanz –, Musik – und Körpertherapie und die Familientherapie. Wie gesagt, aber in den wenigsten Kliniken ist das vorrätig oder wird angeboten. In sofern kann der Patient viel wollen, ist aber nicht im Programm. Und ambulant muss man sagen, haben wir leider auch ein sehr eingeschränktes Programm. Wir sind ja nicht vernetzt mit therapeutischen Kollegen. Die Kunst – oder Musiktherapeuten, jeder von uns ist ein Einzelkämpfer. Man hat dann sozusagen den ambulanten Psychotherapeuten und der übt i. d. R. eine Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse aus. Und es wäre für die Zukunft, das muss man ganz klar sagen, sehr wünschenswert, so ein ambulantes Therapiepaket zu schnüren, wo man sagt, da kämen noch andere Therapieformen zusammen. Dringlichst erscheint mir, wie gesagt, die Familientherapie, aber auch alle Formen von kreativen Therapien wie die Kunst –, Körper – oder Musiktherapien wären toll. Die Essgestörten i. d. R. sehr aufnahmebereite Patienten, kluge und sind leistungsstarke Patienten, ich sage mal, wer eine Anorexie hat, der hat einen starken Anhang I I Willen und i. d. R. sind es ja leistungsbereite junge Frauen, die sehr viel Wert darauf legen, dass sie Top aussehen, dass sie eine Top - Leistung bringen, dass sie leistungsfähig bleiben, und das kann man natürlich nutzen, in dem man sagt, man könnte eben was Kreatives anbieten und das sie etwas an Leichtigkeit lernen und nicht nur aus lauter Disziplin bestehen. Eine gute Behandlungsidee ist, das möchte ich noch hinzufügen, die Selbsthilfegruppe oder das man auch in stationäre Einrichtungen kommt, wo auch andere Mädchen mit Essstörungen sind, weil das immer gut kommt, dass man Gleichgesinnte hat, wo man sich gegenseitig darüber unterhalten kann, wie schwer dieser Weg ist, man kann sich da also gegenseitig prima unterstützen und auch über die Fortschritte und Erfahrungen, die jeder gemacht hat, berichten. Oder generell die Gruppentherapie oder in anderen Vereinen, wo man sich treffen kann, da sind die Betroffenen unter sich sind. Das bringt viel Möglichkeiten oder auch gemeinsam kochen u. a. Sie sind also von großem Vorteil und es entwickelt sich ein Gemeinschaftsgefühl. 10.) Welche der Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze von Essstörungen würden Sie erfahrungsgemäß als geeigneteste und effektivste oder auch als erfolgreichste Methode sehen? Dr. Kindl – Beilfuss: Eine optimale Mischung ist, zwischen einem stationärem Auftakt oder einer ambulanten Behandlung anzufangen. Eine stationäre Therapie ist am effektivsten und sie bringt häufig relativ schnell den Durchbruch, weil man sich da einfach mehr um die Patienten kümmern kann, auch ihre Essgewohnheiten überwachen kann. Sie sind den ganzen Tag unter Kontrolle und werden natürlich auch behandelt und betreut. Das kann sich eine ambulante Behandlung nicht leisten. Wenn dann eine gute Grundlage gelegt ist, kann die ambulante Behandlung darauf aufbauen. Beide Therapieformen sollten unbedingt die Familie miteinbeziehen. Anhang I 11.) Was I sind die psychotherapeutischen wichtigsten Behandlung Aspekte bzw. in Begleitung der der betroffenen Mädchen und jungen Frauen? Dr. Kindl – Beilfuss: Meine Strategie ist, dass wir das Überthema Essen erst einmal relativieren und das andere Themen wieder im Leben aufleuchten. Das man nicht das Gefühl hat, man kommt hierher und man redet jetzt nur davon, wie viel der Klient isst, weil das sind viel mehr die anderen, die das tun, „Wie viel Kalorien, wieso war das heute morgen nur ein halbes Knäckebrot“ u. a. Ich versuche auch eine Art Verhaltensplan mit derjenigen zu entwerfen, wie man so kleine Veränderungen tieftäglich angehen kann oder wie man den erreichten Zustand nach einer stationären Therapie stabil halten kann. Gewichtskontrollen sind dabei absolut notwendig, weil man natürlich schauen muss, dass derjenige nicht wieder stark abbaut und heimlich irgendwie sein Ding macht und dass man sagt, die Vorraussetzung für eine ambulante Therapie ist stabiles Gewicht. Um dann darauf aufzubauen, schauen wir dann gemeinsam, wie sich so ein Leben gestaltet. Und das empfinden die meisten als sehr befreiend, dass sich mal wieder jemand für die Schule interessiert und welche Freunde sie haben. Ein häufiges Thema bei jungen Mädchen ist auch die Angst, keinen adäquaten Partner zu finden. „Bin ich schön genug?“, „Will mich überhaupt jemand?“ Und das man darüber mit ihnen spricht, Mut macht und wieder über das bereits Erreichte eine Rückmeldung gibt. Was ich auch mache, ist, nur das Leben noch mal unter dem Gesichtspunkt des Gelungenen, „Was hast du bisher in deinem Leben schon Gutes geschafft?“, „Wie hast du das hinbekommen?“, „Wer hat dich dabei unterstützt?“, „Worauf kannst du stolz sein?“ und „Worauf kannst du aufbauen?“ anzuschauen. Das sich dadurch einfach das Selbstwertgefühl wieder hebt und zwar ohne, dass man was Neues macht, sondern nur das man erst mal entdeckt, was man schon gemacht hat. Weil das einem ja nicht mehr so bewusst ist. Und dann sind da noch viele andere Aspekte, die berufliche Karriere, will ich mal Kinder, wie soll mein Leben in der Zukunft aussehen und wir reden dann Anhang I I gemeinsam in der fortgeschrittenen Therapie über Zukunftspläne und Zukunftsentwürfe und wie man das auch selbständig hinkriegen kann und möchte. 12.) In welchem Zeitraum und wie viele Sitzungen werden von der Gesprächspsychotherapie in Anspruch genommen? Dr. Kindl – Beilfuss: Ich bin Verhaltenstherapeutin und habe natürlich eine Vorgabe von den Kassen mit 25 Sitzungen, die mir zur Verfügung stehen. Die werden dann bei den Essstörungen meistens auf über 1,5 Jahre verteilt. Am Anfang ist es besonders wichtig, sich relativ häufig zu sehen, einen guten Start hinzulegen, so ungefähr 1,5 Wochen – mäßig oder anderthalb Wochen und das wird dann immer etwas größer, das man sagt, es können sogar bis zu drei Wochen dazwischen liegen, manchmal auch einmal im Monat oder zum Abschluss der Sitzungen hin in den Begleitgesprächen auch mal länger. Ich habe eine junge Frau, wo wir die Therapie eigentlich abgeschlossen haben und sie sagt, dass sie einmal im Vierteljahr dann noch mal kommen und mit mir reden möchte. Vielleicht gibt es irgendwelche Neuigkeiten oder es gibt aktuelle Sorgen. Vielleicht schauen wir aber auch nur, wie es bei der Klientin gut weitergegangen ist. 13.) Welche der Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze von Essstörungen sind bisher evaluiert bzw. welche der möglichen Aspekte wurden von den betroffenen Mädchen vorzeitig abgebrochen? Dr. Kindl – Beilfuss: Ob bisher Therapien abgebrochen sind, weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass Mädchen, die bei mir waren, berichtet haben, was ihnen nicht gut getan hat war, das ihnen entweder die Schuld gegeben wurde, sie würden sich in der Therapie halt bockig zeigen oder nicht genug mitmachen und deshalb hätte man dann keinen Erfolg. Genauso wie man den Eltern einseitig die Schuld gibt und Kinder fühlen sich nicht wohl, wenn man ihren Eltern einseitig die Schuld Anhang I I gibt. Wir müssen erst die ganze Familiengeschichte anschauen, die meisten sind eher interessiert, dass sie sagen „Ich möchte erzählen“ und „Ich möchte einfach schauen, wie es weitergehen kann“. Wenn der Aspekt auf „Ich bestimme selbst“ liegt und „Das ist ein Stück, was mir wichtig ist“. Also wenn ein toleranter Therapeut vor einem sitzt und ein Therapeut, der eher nach Lösungen als nach Problemen sucht. Das ist dann etwas, was häufig gewünscht wird und wenn dies nicht der Fall ist, steigen manche auch aus. Einige sind auch ausgestiegen und sagten „Ich möchte keine Therapie, ohne, dass meine Familie ernst genommen wird und manche waren wiederum froh, wenn die Familie nicht dabei war. Das ist eben sehr unterschiedlich. Aber da muss man ein bisschen hinschauen. Auf jeden Fall kann man als Resümee sagen, jeder wohlgemeinte Therapieansatz muss mit den Klienten besprochen und auf sie noch mal abgestimmt werden. Man kann nicht sagen, dass es die Idealtherapie gibt. Da muss jeder durch und der Mensch muss ein Mitspracherecht haben, gerade in solchen Dingen, die ihn selber betreffen und dazu muss man ja nicht das Therapiekonzept ändern aber abwandeln. Bei den abgebrochenen ambulanten Behandlungen schätze ich in meinem Bereich, dass vielleicht ein Viertel der Klienten mit Essstörungen sind und nachdem sie das abgebrochen haben, sind sie erst mal nirgends hingegangen, weil die Therapeuten es auch ungeschickt angestellt haben. Ich meine manche von den Kollegen reagieren auch sehr unglücklich, ich will da niemandem zu nahe treten, aber im Sinne davon, dass man auf die Betroffenen einredet oder sie drängt. Man muss schon klare Angebote machen und die Eltern zur Unterstützung gewinnen, weil am Ende was passieren muss. Aber man muss denjenigen auch ernst nehmen und eine Art von Geduld investieren und dann sagen, wenn das erste Gespräch nichts gebracht hat, muss es eben ein Zweites und ein Drittes geben. Und nicht „Wenn du nicht willst, dann wirst du schon sehen, was du davon hast“. Oder nur, dass man sagt, „Dann bringen sie sie einfach mal her“. Ich habe bei vielen, die wenig einsichtig oder willig waren, häufiger mal mit ihnen telefoniert, um die Weichen einfach besser zu stellen. Und das würde ich schon für notwendig Anhang I I halten. In meinen Fällen, dass muss man vielleicht auch kalkulieren, sind manche einfach noch nicht soweit. Man kann ja niemanden zur Therapie zwingen. Ich glaube nicht, dass man als Therapeut davon ausgehen kann, dass man alle erreicht. Wir erreichen niemals alle. Aber die meisten und für die meisten müssen wir uns ins Zeug legen. Aber man kann auch nicht sagen, die ist jetzt nicht mehr wiedergekommen, weil der Mensch muss auch eine gewisse Entscheidung über sein eigenes Schicksal haben, sonst ist es aus meiner Sicht auch nicht richtig. Und am Ende haben wir auch gar kein Recht, zwangszutherapieren, was auch nicht richtig ist. 14.) Wie ist die etwaige Anzahl, der von Ihnen psychotherapeutisch behandelten Klienten, die an einer Essstörung leiden, im Jahr? Dr. Kindl – Beilfuss: Ich habe Querbeetpatienten, ich bin ja auch keine ausgewiesene Kinder – und Jugendtherapeutin, sondern eine Psychotherapeutin und dadurch kommt natürlich von den Angstpatienten bis zur Situation der Arbeitslosigkeit alles zu mir. Ich würde mal sagen, der Zugang wird auch erschwert, weil man so schwer Therapieplätze bekommt, dass viele kommen und am Ende kriegen sehr wenige die Möglichkeit zu kommen und gerade dort ist es ja akut und notwendig, dass schnell gehandelt wird. Deshalb muss ich manchen dann einfach einen anderen Kollegen oder in Kliniken vorweisen, weil ich die gar nicht so schnell nehmen kann. Dadurch reduziert sich die Zahl. Das ist natürlich schon erheblich. Ich würde mal sagen und schätzen, in einem Jahr sind es ca. 15 bis 20 Klienten, die bei mir mit einer Essstörung zutun haben. 15.) Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach die Mortalitätsrate? Dr. Kindl – Beilfuss: Bisher hatte ich zum Glück noch keinen Fall, mit dem Ausgang einer Todesfolge. Was sehr erfreulich ist. Ich würde auch sagen, alle, die bei mir waren, haben auf jeden Fall Fortschritte erzielt, soweit es dann eine dauerhafte Genesung ist. Das müsste man eben nachuntersuchen, das man mal nach so 2 bis 3 Jahren schaut, ob sie noch Anhang I I stabil sind. Oder ob es da wieder Schwankungen gab. Also die, um die ich hart gekämpft habe, da würde ich sagen, die haben sich gut entwickelt. Also meine besonderen Problemklienten, um die ich viel gerungen habe, mit denen ich viel gearbeitet habe, auch mit der Familie und da ist es in jedem Falle gut ausgegangen, da haben wir uns immer mit Erfolg getrennt. Ich entlasse auch niemanden i. d. R. vorzeitig, so dass auch ein Gefühl vorhanden ist, dass sich das stabil halten könnte. Also die Gefahr bei Essgestörten ist immer, dass sie über Jahre noch sagen „Ich bin Essgestört, weil ich eine Essstörung hatte oder so ähnlich wie eine Sucht“, auch wenn die gar nicht mehr so tiefgreifend ist oder in dem Realverhalten gar nicht mehr vorhanden ist und in sofern wirken diese Erfahrungen lange nach und vielleicht ist es ja auch, sag ich mal, für Frauen nahe liegend, sich mit dem Essen zu beschäftigen. Da sieht die Prognose etwas schlechter aus im Sinne davon, dass viele Frauen nach wie vor später damit beschäftigt sind. Oder bei Depressionen. Da sagt ja auch nicht jeder „Ich hatte eine Depression“ oder sagt „Gut, das hatte ich auch mal, eine Depression, aber das ist auch vorbeigegangen“. Und hier wird es viel deutlicher bei „Das hatte ich auch mal und es bewegt mich auch noch“ oder so. Man hat also häufig Nachwirkungen. Es ist auch ein einschneidender Fakt. Mir sind gerade einige Mädchen vor Augen, wo ich sehr hart daran arbeite, dass wir den letzten Rest von Essstörungen jetzt auch verabschieden. Und das wir damit das Thema Gesundheit begrüßen. Die sind eigentlich schon gesund, aber im Kopf ist es noch nicht richtig 100prozentig angekommen. Und das ist oft noch mal ein wichtiger Faktor. „Ich bin jetzt gesund“. 16.) Wie viele von Ihnen therapierte Essgestörte sind von ihrer Erkrankung bisher geheilt? Dr. Kindl – Beilfuss: Die, die mit einer Anorexie bei mir in der Behandlung waren, nah an 100 Prozent, ich will mich mal nicht zuviel loben, vielleicht sagen wir mal 80 bis 90 Prozent. Bei den Bulimien sieht es deutlich schlechter aus, wobei es keine Wiedererkrankungswerte sind. Anhang I I Bulimikerinnen hatte ich oft, die waren also lange Phasen ziemlich clean, „Ich breche nicht mehr, ich lebe ganz gut, mir geht es ganz gut“. Dann kommt irgendeine Krise und dann kotzt man wieder mal eine Weile. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder in so einen Zustand kommen, an einer Anorexie erkranken, die ist ziemlich gering. Und die haben dann i. d. R. viel gelernt. Ich hatte das noch nicht erlebt, dass jemand ein zweites Mal wieder gekommen ist, mit der gleichen Symptomatik. Bei den Bulimien würde ich schätzen, geheilt heißt für mich, das Symptom tritt nicht mehr auf, das auf Dauer ca. 60 Prozent geheilt sind. Viel Wert lege ich darauf, „was sich sonst im Leben ereignet und was bin ich in meinem Leben vorangekommen“, das ist auch in der Therapie wichtig, „habe ich die Störung noch, dieses spezielle Essverhalten“, da haben wir eine Heilungsrate von 100 Prozent, ganz klar. Weil alle, die hier arbeiten, die arbeiten wirklich und die arbeiten daran, dass ihr Leben besser wird. Essgestörte sind auch sehr sensibel, reagieren auf vieles auf der Welt und suchen eben auch nach Antworten. Und wenn sie mehr Antworten finden könnten, würden sie sich auch natürlich besser verhalten und auch etwas glücklicher und zufriedener werden. 17.) Wie hoch ist die etwaige Anzahl der Rückfälle, erneut an einer der Essstörungen zu erkranken und wie viele sind erneut rückfällig geworden? Dr. Kindl – Beilfuss: Bei den Anorexien hatte ich wie gesagt, in meiner Praxis gar keine Rückfälle erlebt und bei den Bulimien würde ich schätzen, ca. ein Drittel. Wobei da auch weniger klare Behandlungsfortschritte erzielt werden, d. h. dieses Verhalten wird auch häufig in Nuancen immer wieder gezeigt. Nehmen wir mal einen typischen Verlauf einer Bulimikerin, die jeden Tag mehrmals kotzt, zwei bis dreimal am Tag. Und dann erzielt man einen Fortschritt in dem die Klientin sagt, drei Tage pro Woche hat sie es geschafft, nicht zu kotzen. Das wäre aus unserer Sicht ein absoluter Behandlungsfortschritt. Deshalb ist trotzdem dieses Verhalten noch da. Wenn sie jetzt nur einen Tag pro Woche schafft, nicht zu kotzen, ist das Anhang I I dann ein Rückschritt? Man kann auch nicht alles an diesen Zahlen festmachen. Dieses Verhalten schwankt eben. Aber für die Betroffenen ist es natürlich selber ein Rückschritt „Ich habe jetzt ein halbes Jahr nicht mehr gekotzt, jetzt kotze ich wieder“. Dann frage ich immer, womit das zusammen hängen könnte und wie sie ihre Erfahrungen nutzen werden, dass es bald wieder aufhört. Und dann kriegt man das meistens wieder ziemlich schnell in den Griff. Und in sofern würde ich das als nicht so dramatisch bewerten, als wenn die Welt zusammenbricht und die Rückfälle sind meistens deutlich schwächer als das Verhalten, wie sie zuerst gekommen sind. Aber sie sind eben bei den Bulimikerinnen weitaus höher einzuschätzen, wie gesagt, ein Drittel hat wieder richtige bulimische Episoden, das es einem wieder richtig schlecht geht, vor allen Dingen vor Prüfungen oder in irgendwelchen anderen Lebensveränderungen. Während die Anorexie am Anfang sehr schwer behandelbar ist aber sie kommt dann ganz schwer wieder in Gang. Aber wenn man dann durch ist, ist man dann scheinbar durch. Dann sind sie eben auch ein bisschen stabiler. Und die Rückfälle, die ich erlebt habe, dass muss man noch hinzufügen, die habe ich in meiner stationären Zeit erlebt, zwar nur an der Stelle, wo man versucht hat, in einer bestimmten Zeit die Menschen „wie zu füttern“. Sie zum Essen also zu zwingen und sie dazu aufzufordern und zu sagen: „Ich bleibe jetzt hier und du nimmst jetzt zu“ oder „Wir sponsern nur, wenn du zunimmst, dann kannst du hier raus“. Dann haben sie vorübergehend zwar gegessen und ich hatte den Eindruck, von hintenrum sagen sie dann „Gut und wenn es vorbei ist, dann werde ich es euch schon zeigen, dass ich das nicht haben muss“. Während ich es bei der ambulanten Therapie nicht kontrollieren kann, ich sitze auch nicht neben meinen Patienten und esse mit ihnen, d. h. ich muss mit ihnen so arbeiten, was sie tun können, um es ein bisschen besser hinzubekommen. Wie können sie sich selber motivieren und wenn sie das dann selber machen, ist es natürlich auch besser, weil es die Entscheidung meines Patienten ist. Und wenn die Entscheidung gefallen ist, dann trägt sie meistens auch. Während bei der stationären Therapie, trägt derjenige sie eben nicht Anhang I I immer. Wobei wir Wert darauf legen, dass gegessen wird, finde ich auch, dass in einer gewissen Weise, wenn man in der stationären Behandlung ist, ist es auch wichtig, wenn es ums Essen geht, dann muss man es auch anbieten und gemeinsam essen. Vergleich mit der Literatur Zur Frage 1, welche Formen der Essstörungen in der Psychotherapie behandelt wurden und welche kommt am häufigsten vorkommt und wie sich die Häufigkeitszunahme heutzutage und im Vergleich der letzten Jahre verhält, wurde geantwortet, dass die meisten behandelten Essstörungen in Ihrer Praxis die Anorexien sind und die in den letzten Jahren seit Anfang der 90er Jahre in der Praxis stetig zugenommen hat. Und das es zu der Zeit noch ein Ausnahmephänomen gewesen ist. Mittlerweile ist das häufigste Erscheinungsbild im Alter zwischen 13 und 17 Jahren. Das jüngste Mädchen, das sie hatte, war 11 Jahre alt. In der Literatur wird desgleichen beschrieben, dass die Anorexie mit einer Anzahl von ca. 95% aller Erkrankten im Gegensatz zu der Bulimie mit ca. 80-99,6% deutlich überwiegt (Vgl. Feistner, 2006). In epidemiologischen Untersuchungen wurde für die Anorexie über eine Zunahme in den letzten Jahrzehnten der Prävalenzraten berichtet. Dieser Anstieg bezieht sich vor allem auf die Gruppe der 15 – bis 19jährigen weiblichen Jugendlichen sowie jungen Frauen, wie in epidemiologischen Studien zur Prävalenz von Fällen der Anorexia nervosa aufgezeigt wurde, und in dieser Altersgruppe die höchste Prävalenzrate genannt wird (Vgl. Buddeberg – Fischer, 2000). Zur Frage 2, welche Personen in welcher Altersgruppe überwiegend von der Bulimie und der Anorexie betroffen sind, die sich in einer psychotherapeutischen Behandlung befinden, wurde gesagt, dass hauptsächlich die Mädchen und Frauen überwiegen. Von den männlichen Anhang I I Erkrankten einer Anorexie in den letzten 10 Jahren genau 4 Fälle vor, welche im Alter zwischen 15, 16 und 17 Jahren waren. In der Literatur wird dies ebenfalls angegeben, dass die Essstörungen vorwiegend bei den adoleszenten Mädchen und jungen Frauen am häufigsten vorkommen und die Männer seltener mit einem Verhältnis von etwa 11:1 (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Zur Frage 7, welche Symptomatik von den Betroffenen genannt wird, wurde mitunter beantwortet, dass bei der Anorexie gesagt werden kann, dass sie in vielen Fällen lebensbedrohlich ist, weil hier ein sehr starkes Aushungern erfolgt, und der der Körper nachhaltig geschädigt wird. Ein deutliches Zeichen ist das Ausbleiben der Regel, natürlich starkes Untergewicht, Lethargie, Appetitlosigkeit, Kreislaufstörungen, es ist ein lebensbedrohlicher Zustand, ein Mineralmangel und Vitaminmängel sind immer vorhanden. Bei der Bulimie fehlt einem eigentlich nichts, es kommen nur nicht genug Nährstoffe im Körper an und dieses Erbrechen ist eine eigene Sucht. Die Problematik ist, wenn der Mensch erbricht, dann übersäuert der ganze Magen, der Magen – Darm – Trakt arbeitet nicht mehr gut. Häufig sind Kopfschmerzen vorhanden, der gesamte Mund ist entzündet. In der Literatur wird berichtet, dass sich Essstörungen durch eine Reihe von körperlichen Folgeerscheinungen auszeichnen, die insbesondere bei einer längeren Erkrankungsdauer gravierend bis lebensbedrohlich werden können. Hungerns als auch des Sowohl Erbrechens Abführmitteln, treten die körperlichen und als des eine Folge des Missbrauchs von Beeinträchtigungen auf (Vgl. laut Borgart und Meermann, 2006). Bei der Anorexia nervosa werden als wichtigste körperliche Folgeerscheinungen u. a. Untergewicht, Auszehrung, Kreislaufstörungen, niedriger Blutdruck, Ausbleiben der Regelblutung, Stoffwechselstörungen, Haarausfall, Störungen des Blutbildes genannt werden (Vgl. Killius, Reich und Witte - Lakemann, 2005 und Steinhausen, 2005). Bei der Bulimie ist die Symptomatik ebenfalls ähnlich wie bei der Anorexie. Als wichtigste körperliche Folgeerscheinungen der Anhang I I Bulimia nervosa, werden demnach von Steinhausen (2005) u. a. Stoffwechselstörungen, Muskelkrämpfe, Schläfrigkeitsgefühle, Anschwellen der Speicheldrüsen, Heiserkeit und Halsschmerzen, Haarausfall, Verletzung der Speiseröhre, Schädigung der Darmwanddas Aussetzen der Magentätigkeit und ein Riss in der Magenwand, Schlaflosigkeit und ein aufgedunsenes Gesicht sowie die Erkrankung des Zahnfleisches und entmineralisierte, durch die Magensäure zerstörte Zähne genannt (Vgl. Absenger, 2005). Anhang II II Anhang II Das zweite Interview zum Thema der Essstörungen, insbesondere der Bulimia nervosa und der Anorexia nervosa bei Mädchen und jungen Frauen, wurde mit der Sozialpädagogin / Fachkraft für Suchtprävention Fr. Jana Valentin und der Psychologin Fr. Katrin Heuer am 12. Januar 2007 um 12.00 bis 13.00 Uhr durchgeführt. In der Jugend – und Drogenberatungsstelle, die sich in der Umfassungsstr. 82 in Magdeburg befindet, zählen zu den Angeboten der „DROBS“ die Arbeitsbereiche der Beratung, Weitervermittlung, Information, Gruppenarbeit, Prävention sowie die Projekte. Die Fragen: 1.) Welche Formen der Essstörungen sind bei Ihnen in der Beratungsstelle bisher behandelt wurden und welche Essstörung kommt nach Ihrer Erfahrung am häufigsten vor? Sozialpädagogin J. Valentin: In der Drogen – und Jugendberatungsstelle „DROBS“ Magdeburg liegt der Schwerpunkt im Bereich der Essstörungen in der Beratung und Vermittlung von Betroffenen von Bulimie und Anorexie. In der „DROBS“ ist das Verhältnis zwischen Bulimie und Anorexie in etwa 50:50. 2.) Wie verhält sich die Häufigkeitszunahme der von Ihnen behandelten Klienten mit einer Essstörung, insbesondere von der Bulimie und der Anorexie heutzutage und im Vergleich der letzten Jahre? Sozialpädagogin J. Valentin: Die Anzahl der Beratungsgespräche mit den Mädchen und Frauen mit Essstörungen beträgt im Jahr 2003 : 285, im Anhang II II Jahr 2004 : 318 und im Jahr 2005 : 342. Insgesamt können wir sagen, dass der Bedarf weitaus höher liegt und die Tendenz weiterhin steigend ist 3.) Welche Personen in welcher Altersgruppe sind überwiegend von der Bulimie und der Anorexie betroffen (Mädchen und Frauen, Jungen und Männer), die sich bei Ihnen in der sozialpädagogischen Beratung sowie psychosozialen Betreuung befinden? Sozialpädagogin J. Valentin: Die Anzahl der Beratungsgespräche mit den Mädchen und Frauen im Bereich der Essstörungen im Jahr 2005 werden in Altersgruppen angegeben: Unter 14 Jahre: 46 15 – 16 Jahre: 84 17 – 18 Jahre: 50 19 – 21 Jahre. 32 22 – 27 Jahre 39 28 – 39 Jahre 91 Hier lässt sich gut erkennen, dass die meisten Betroffenen, die an einer Essstörung leiden, sich in der Altersgruppe der 15 bis 16jährigen sowie der 28 bis 39jährigen befinden. Wir haben derzeit keine männlichen Klienten im Bereich der Essstörungen. 4.) Welchen Weg hatten die Essgestörten zu gehen, bevor sie die Möglichkeit der Beratungsstelle für Essstörungen in Anspruch nahmen? Psychologin K. Heuer: Die Kontaktaufnahme in die „DROBS“ erfolgt durch die Betroffenen selbst, deren Angehörige oder Bezugspersonen, durch niedergelassene Ärzte, dem Gesundheitsamt, den Krankenkassen oder anderen Beratungsstellen. Anhang II 5.) II Wie und wo fand der Erstkontakt statt und wer stellte bzw. wo wurde die Diagnose einer Essstörung gestellt? Psychologin K. Heuer: Die Kontaktaufnahme zur „DROBS“ erfolgt auf unterschiedlichen Wegen: per Email, telefonisch oder persönlich. Der erste persönliche Kontakt zwischen Berater/in und der Betroffenen findet dann in der „DROBS“ Magdeburg statt (das Erstgespräch). Eine Diagnosestellung erfolgt nach ICD 10 i. d. R. durch Mediziner oder Psychologen. 6.) Welche Risikofaktoren, die als Ursache einer Entstehung von Essstörungen einhergehen, können hauptsächlich genannt werden? Welcher Faktor spielt als Ursache eine sehr große Rolle für die Entwicklung einer Essstörung? Psychologin K. Heuer: Die Entstehungsgründe für die Entwicklung einer Essstörung sind sehr vielfältig. Es handelt sich um ein individuell sehr unterschiedliches Ursachengefüge. Es spielen eine Reihe von Faktoren aus dem persönlichen, familiären, sozialen und biologischen Bereich eine Rolle. Wir können nicht „DIE“ Ursache benennen. Ursachen bzw. Risikofaktoren können z. B. sein: unbewältigte Probleme, Störungen des Selbstwertgefühls, depressive Verstimmungen, Konfliktvermeidung, traumatische Erlebnisse, z. B. der sexuelle Missbrauch. 7.) Wie ist erfahrungsgemäß der Krankheitsverlauf und welche Symptomatik wird von den Betroffenen genannt? Welche Folgen gehen mit der Anorexie und Bulimie einher? Psychologin K. Heuer: In unserer Beratungsstelle begegnet uns die ganze Bandbreite, der in der Fachliteratur benannten Symptomatik der Anorexie bzw. Bulimie, sowie ihrer körperlichen, psychischen und sozialen Folgeerscheinungen, die in unterschiedlicher Ausprägung abhängig von der Schwere sowie der Dauer der Essstörung sind. Anhang II 8.) II Welche Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze werden für die bulimischen und anorektischen Klientinnen durch eine Beratung in Betracht gezogen bzw. in Anspruch genommen? Welche am häufigsten? Sozialpädagogin J. Es Valentin: erfolgt immer eine Einzelfallentscheidung, ob eine ambulante, teilstationäre oder stationäre Behandlung durchgeführt wird. Diese Entscheidung erfolgt unter der Berücksichtigung körperlicher, psychischer und sozialer Faktoren der Betroffenen. Bei der Behandlung von Essstörungen ist eine Kombination von verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten sinnvoll, die Schwerpunkte sind die medizinische und psychotherapeutische Behandlung. Im Rahmen der Vermittlung nutzen wir am häufigsten die Möglichkeiten der stationären Therapien – unter anderem aus dem Grund, dass keine ausreichenden ambulanten Möglichkeiten in Magdeburg und Umgebung vorhanden sind. 9.) Welche der Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze von Essstörungen würden Sie erfahrungsgemäß als geeigneteste und effektivste oder auch als erfolgreichste Methode sehen? Sozialpädagogin J. Valentin: Da die Ursachen und Auslöser von Essstörungen individuell sehr unterschiedlich sein können, ist es unserer Erfahrung nach am effektivsten, verschiedene Behandlungsmöglichkeiten in Kombination einzusetzen. Es ist uns nicht möglich, konkret einzuschätzen, ob eine stationäre oder ambulante Behandlung „effektiver“ ist. Beide Möglichkeiten haben Vor – und Nachteile und es ist immer von zahlreichen Faktoren abhängig, ob eine Behandlung erfolgreich abgeschlossen werden kann. 10.) Was sind die wichtigsten Aspekte in der sozialpädagogischen Anhang II II Beratung sowie psychosozialen Betreuung bzw. Begleitung der betroffenen Mädchen und jungen Frauen? Sozialpädagogin J. Valentin: Im Rahmen der Beratung durch die „DROBS“ Magdeburg findet zunächst eine umfassende psychosoziale Diagnostik, d. h. die soziale Situation der Klientin wird abgeklärt. Im weiteren Verlauf geht es um die Klärung und ggf. Stärkung der Behandlungsmotivation der Klientin, die Ermittlung individueller Ressourcen und Nutzung dieser. Die Vermittlung in eine ambulante bzw. stationäre Therapie erfolgt unter Berücksichtigung der Ausprägung der Essstörung, der sozialen Situation und der persönlichen Motivation der Klientin. Ein weiterer Bestandteil des Beratungsprozesses ist die nachsorgende Betreuung und psychosoziale Begleitung der Klientin nach absolvierter Therapie, um die in der Therapie herbeigeführten Veränderungen zu stabilisieren und in den Alltag zu integrieren. 11.) In welchem Zeitraum und wie viele Sitzungen werden von der sozialpädagogischen Beratung sowie psychosozialen Betreuung insgesamt in Anspruch genommen? Psychologin K. Heuer: I. d. R. hat sich eine vorher vereinbarte Anzahl von ca. fünf Terminen als sinnvoll erwiesen, danach erfolgt bei Bedarf die Begleitung bis zum Zeitpunkt der Vermittlung. Der zeitliche Umfang dieser psychosozialen Begleitung ist individuell unterschiedlich und richtet sich z. B. nach dem persönlichen Bedarf der Klientin oder Wartezeiten der Therapieeinrichtung. 12.) Welche der Behandlungsmöglichkeiten bzw. Therapieansätze von Essstörungen sind bisher evaluiert bzw. welche der möglichen Aspekte wurden von den betroffenen Mädchen vorzeitig abgebrochen? Sozialpädagogin J. Valentin: Die Frage, welche Therapieformen von Anhang II II Betroffenen am ehesten vorzeitig abgebrochen werden, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten. Dies ist in ganz entscheidendem Maße abhängig von der Betroffenen selbst, z. B. ihre Interessen, ihre Motivation, die sozioökonomische Situation sowie die Dauer der Erkrankung. 13.) Wie hoch ist Ihrer Erfahrung nach die Mortalitätsrate? Sozialpädagogin J. Valentin: Zur Mortalitätsrate können wir aus der Arbeit mit unseren Klientinnen in der Beratungsstelle glücklicherweise die Aussage treffen, dass uns bislang kein Todesfall aus unserer Beratungspraxis bekannt geworden ist. 14.) Wie viele Essgestörte sind von der Erkrankung bisher geheilt? Psychologin K. Heuer: Man kann unserer Erfahrung nach davon ausgehen, dass es etwa einem Drittel der behandelten Betroffenen gelingt, ihre Essstörung zu überwinden. 15.) Wie hoch ist die etwaige Anzahl der Rückfälle, erneut an einer der Essstörungen zu erkranken und wie viele sind erneut rückfällig geworden? Psychologin K. Heuer: Nach vorliegenden Arbeitserfahrungen kommt es bei etwa einem Drittel der Betroffenen zu einem Rückfall. 16.) Was können als wichtige Aspekte in der Prävention von Essstörungen genannt werden? Sozialpädagogin J. Valentin: Aufgrund der hohen Geschlechtsspezifik von Essstörungen sollte in der Prävention in diesem Bereich immer geschlechtsspezifisch gearbeitet werden. Im Mittelpunkt des Präventionsprojektes „NICE“ zu Essstörungen stehen Themen wie: Förderung eigener Stärken und Fähigkeiten, Stärkung des Selbstbewusstseins und die Entwicklung eines eigenen Selbstbildes, Anhang II II Wahrnehmung von und Umgang mit Gefühlen, Umgang mit dem eigenen Körper. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit den Frauen – und Schönheitsidealen in unserer Gesellschaft. Aber auch der Umgang mit Essen spielt eine Rolle, es geht z. B. auch darum, sich mit dem eigenen Essverhalten auseinander zu setzen, die Funktionalität des Essens (oder Nicht – Essens) zu erkennen und eigene Essgewohnheiten zu reflektieren. 17.) Wie wird das Angebot der Prävention von Essstörungen, z. B. als Projekt in Schulen, von den Mädchen an – bzw. aufgenommen? Sozialpädagogin J. Valentin: Die Thematik der Prävention von Essstörungen trifft bei den meisten Mädchen auf großes Interesse. Durch unsere Arbeitsweise (zielgruppen –, erlebnis – und prozessorientiert) gelingt es, uns an den konkreten Bedürfnissen und Lebenssituationen der Mädchen zu orientieren und dort anzuknüpfen. Im Jahr 2006 konnten wir mit unserem Projekt „NICE“ neun Projekttage und 17 Projektwochen mit Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren durchführen, wobei wir aufgrund unserer personellen Kapazitäten leider nicht alle Anfragen berücksichtigen konnten. 18.) Von etwa wie vielen Mädchen wird, speziell nach einer schulpräventiven Informationsveranstaltung zum Thema Essstörungen, daraufhin ein persönliches Beratungsgespräch bei Ihnen in Anspruch genommen? Sozialpädagogin J. Valentin: Die Anzahl der Mädchen, die aufgrund einer Präventionsveranstaltung Hilfe in Anspruch nehmen, lässt sich aus unserer Sicht nicht beziffern, da dieser Zusammenhang statistisch nicht erfasst wird. Jedoch können wir sagen, dass es im direkten Anschluss an Projekttage oder Projektwochen häufig zu Gesprächen mit einzelnen Teilnehmerinnen kommt (schätzungsweise jede 10. Teilnehmerin), bei Anhang II II denen individuelle Problemlagen intensiver thematisiert werden. Vergleich mit der Literatur Zur Frage 1, welche Formen der Essstörungen in der Jugend – und Drogenberatungsstelle bisher behandelt wurden und welche dieser am häufigsten vorkommen würde, wurde geantwortet, dass der Schwerpunkt im Bereich der Essstörungen in der Beratung und Vermittlung von Betroffenen von Bulimie und Anorexie liegt und das Verhältnis zwischen Bulimie und Anorexie in der „DROBS“ in etwa 50:50 beträgt. Hilbert, Pook und Tuschen – Caffier (2005) beschreiben in der Literatur dagegen, dass die Erkrankung der Bulimie nervosa mit etwa 1 – 3 Prozent im Vergleich zur Anorexia nervosa mit ca. 0,5 bis 1 Prozent der Erkrankungsrate der internationalen weiblichen Bevölkerung in ihrem Vorkommen deutlich überwiegt . Zur Frage 2, wie sich die Häufigkeitszunahme der behandelten Klienten mit einer Essstörung heutzutage und im Vergleich der letzten Jahre verhält, wurde beantwortet, dass die Anzahl der Beratungsgespräche mit den Mädchen und Frauen mit Essstörungen in den letzten Jahren stetig stieg und die Tendenz auch weiterhin steigend ist. Dies wird in der Literatur bestätigt. Laut Backmund und Gerlinghoff (2003) wird berichtet, dass die Prävalenz von Essstörungen seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem in den westlichen Industriegebieten stark zugenommen hat und auch weiterhin ansteigt. Zur Frage 3, welche Personen in welcher Altersgruppe überwiegend von der Bulimie und der Anorexie in der „DROBS“ betroffen sind, wurde gesagt, dass die Beratungsgespräche im Bereich der Essstörungen im Jahr 2005 Anhang II II ausschließlich mit den Mädchen und Frauen geführt wurden. Und die meisten Betroffenen, die an einer Essstörung leiden, befinden sich in der Altersgruppe der 15 bis 16jährigen sowie der 28 bis 39jährigen. Männliche Klienten im Bereich der Essstörungen kamen bisher nicht vor. Im Vergleich zur Literatur, kann ebenfalls genannt werden, dass Bulimie und die Anorexie vor allem bei den adoleszenten Mädchen und jungen Frauen weit verbreitet sind und hier vorwiegend die Frauen und seltener die Männer an einer Essstörung leiden (Vgl. Backmund und Gerlinghoff, 2003). Und das Verhältnis von Frauen zu Männern beträgt für beide Formen der Essstörung ca. 11:1 (Vgl. Jacobi, Paul und Thiel, 2004). Zur Frage 6, welche Risikofaktoren genannt werden könnten, welche als Ursache einer Entstehung einer Essstörung einhergehen kann, wurde gesagt, dass die Entstehungsgründe für die Entwicklung einer Essstörung sehr vielfältig sind. Es handele sich um ein individuell sehr unterschiedliches Ursachengefüge und es spielen eine Reihe von Faktoren aus dem persönlichen, familiären, sozialen und biologischen Bereich eine Rolle. Es könne nicht „DIE“ Ursache genannt werden. Auch in der Literatur bestätigt Backmund und Gerlinghoff (2004), dass bis jetzt eine bestimmte Ursache, welche für die Entstehung einer Essstörung genannt werden kann, nicht gefunden wurde. Es wird von einer multifaktoriellen oder mehrdimensionalen Genese gesprochen. Damit ist das Zusammenwirken biologischer, individueller, familiärer und soziokultureller Faktoren gemeint. Die Wichtung dieser unterschiedlichen Einflussgrößen hängt von ihrer Betrachtungsweise ab. Eine Rolle spielen hierbei auch die persönlichen Eigenschaften der Essgestörten. Zur Frage 8, welche Behandlungsmöglichkeiten für die bulimischen und anorektischen Klientinnen durch eine Beratung in Betracht gezogen werden, wurde mitunter erwähnt, dass immer eine Einzelfallentscheidung erfolgt, ob eine ambulante, teilstationäre oder stationäre Behandlung durchgeführt wird. Diese Entscheidung erfolgt unter der Berücksichtigung Anhang II II körperlicher, psychischer und sozialer Faktoren der Betroffenen. Und dass bei der Behandlung verschiedenen Schwerpunkte von Essstörungen Behandlungsmöglichkeiten hierbei die medizinische eine sinnvoll und Kombination ist und von die psychotherapeutische Behandlung sind. In der Literatur lässt sich dies durch Backmund und Gerlinghoff (2003) bestätigen. Sie berichten, dass die Behandlungen je nach der Schwere der Erkrankung in der vollstationären, teilstationären oder ambulanten Form durchgeführt werden und häufig kommt es in der psychotherapeutischen Praxis zu einer sog. Methodenkombination von unterschiedlichen verschiedener Formen theoretischer der individuellen Orientierung und Psychotherapie mit Familientherapie mit unterschiedlicher Akzentuierung in verschiedenen Phasen der Behandlung. Eidesstattliche Erklärung Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorgelegte Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe angefertigt habe und dass ich alle von anderen Autoren wörtlich übernommenen Stellen wie auch die sich an die Gedankengänge anderer Autoren anlehnenden Ausführungen meiner Arbeit besonders gekennzeichnet und die Quellen ordnungsgemäß angegeben habe. Braunschweig, den Unterschrift