Interview | Oktober 2014 | Ausgabe 133 - Körper Denkt nicht so viel ans Essen! Psychologe Dr. Berger. Foto: privat Ist es ungesund, wenn ich schon morgens daran denke, was ich über den Tag essen werde oder wie ich am besten darauf verzichte? Und wie fragt man eigentlich jemanden, ob er eine Essstörung hat? Darüber sprach Schekker-Autorin Julia mit Uwe Berger, Psychologe an der Uni Jena. Julia: Was ist gestörtes Essverhalten? Und wann ist das eine Krankheit? Dr. Berger: In der Psychologie unterscheiden wir zwischen auffälligem Essverhalten und einer klinischen Essstörung. Auffällig bedeutet, wenn sich jemand ständig mit Essen beschäftigt, in kurzer Zeit viel zu- oder abnimmt oder sich ab und zu absichtlich übergibt. Bei klinischen Essstörungen wird in drei Krankheiten unterteilt: Magersucht, Bulimie und die Binge-Eating-Störung. Magersüchtige erkennt man, weil sie sehr dünn sind. Sie nehmen absichtlich kaum noch etwas zu sich, sehen sich oft selbst jedoch nicht als mager. Bulimiekranke haben mindestens einmal pro Woche einen Essanfall. Dann essen sie so viel, wie man über einen ganzen Tag essen würde. Sie verlieren die Kontrolle über das Essen und fühlen sich schuldig oder schämen sich. Deswegen erbrechen sich viele nach dem Essanfall, nehmen Abführmittel oder treiben exzessiv Sport. Die BingeEating-Störung ist der Bulimie ähnlich. Auch hier geht die Kontrolle über das Essen verloren. Jedoch kompensieren die Kranken die Essanfälle nicht, das heißt sie erbrechen sich nicht. Daher neigen sie zum Übergewicht. Essstörungen brechen häufig im Jugendalter aus. Welche Gründe hat das? Die meisten Magersüchtigen sind 15 Jahre alt. Es geht ihnen jedoch nicht darum, auszusehen wie ein Model. Zwar wollen die Betroffenen schlank sein, können jedoch selbst nicht mehr einschätzen, wie mager sie schon sind. Eine wichtige Rolle spielt die Pubertät: der Körper verändert sich und besonders Jugendliche mit einem geringen Selbstwertgefühl können damit nicht umgehen. Sie versuchen durch das Hungern die Kontrolle über ihren Körper zu behalten. Zudem bekommen schlanke Menschen häufiger Komplimente. Das unterstützt die Magersucht. Bulimie und die Binge-Eating-Störung treten etwas später auf, meist nach dem Übergang in eine neue Lebensphase, wie nach dem Ende der Schule oder dem Auszug von Zuhause. Bei ihnen hat Essen die Funktion der Belohnung verloren. Sie essen also immer mehr, weil sie hoffen, dass sich bald ein gutes Gefühl einstellt. Sie bekommen Heißhungeranfälle und verlieren beim Essen die Kontrolle. Studien zeigen, dass Mädchen häufiger unter Essstörungen leiden als Jungen. Haben wir stärkere Rollenerwartungen an sie als an Jungs? Der Schlankheitsdruck ist auf Mädchen größer als auf Jungen. In der Werbung sieht man viel häufiger ideale weibliche Körper. Es heißt: je schlanker, desto besser. Bei männlichen Körper geht es eher um Muskeln als eine schlanke Taille. Außerdem haben Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren ein viel kleineres Selbstwertgefühl als Jungs. Drei Mal so viele Mädchen wie Jungen leiden an einer Essstörung. Woran erkenne ich, dass jemand in meinem Freundeskreis eine Essstörung hat? Wie spreche ich sie oder ihn darauf an? Besonders Bulimie ist schwer zu erkennen, da Betroffene meist eine normal schlanke Figur haben. Sie vermeiden es jedoch, häufiger als nötig mit anderen zu essen und verschwinden meist schnell nach dem Essen, um sich zu übergeben. Magersüchtige sieht man zwar selbst kaum essen, jedoch beschäftigen sie sich übertrieben damit und kochen und backen gerne für andere. Gerade weil viele Betroffene ihre Essstörung vor ihrem Umfeld verstecken wollen, ist es schwer, jemanden darauf anzusprechen. Zu einer Freundin könnte man sagen, dass man sich Sorgen um sie macht und für sie da ist. Mehr kann man erst einmal nicht tun, weil die Freundin selbst erkennen muss, dass sie ein Problem hat. Um ein gesundes Verhältnis zum Essen zu haben: Welchen Stellenwert sollte das Essen im täglichen Leben haben? Essen sollte auf keinen Fall der Lebensmittelpunkt sein. Es ist okay, sich zu überlegen, was man morgens, mittags oder abends essen will, aber man sollte nicht den ganzen Tag an Essen denken. Wenn jemand abnehmen möchte, geht das am besten über Bewegung – zum Leistungssportler sollte man aber auch nicht gleich werden.