Leistungslohn als neoliberales Projekt Forschungsprojekt für Netzwerk Wissenschaft 1. Problemhintergrund: Das neoliberale Denken und seine Folgen Seit den 70iger Jahren sind neoliberale Ideologien die Leitbilder gesellschaftlicher Entwicklung. In den öffentlichen Debatten wird Neoliberalismus zumeist als ein Set an politischen Praktiken und Maßnahmen verstanden, die auf die Entfaltung privatwirtschaftlicher Logiken und die strukturierende Macht der Märkte abzielen, wie zum Beispiel die Freiheit des Kapital und Güterverkehrs. Diese Betrachtung des Neoliberalismus als vorwiegend politisches und makroökonomisches Projekt, verstellt jedoch oft den Blick auf die (inner-) betriebliche Ebene von Neoliberalisierungsprozessen. (vgl. Roth 2009) Nicht nur auf der Ebene der Politik und der makroökonomischen Steuerung, sondern auch im Unternehmensbereich können große Veränderungen beobachtet werden. Die neoliberale Globalisierung setzt Unternehmen nicht nur einem verschärften Wettbewerb aus, (transnationale) Unternehmen sind gleichzeitig auch die treibenden Faktoren dieses neoliberalen Globalisierungsprozesses. Unter den verschärften Wettbewerbsbedingungen werden sie dazu getrieben Optimierungs- und Wandlungsprozesse permanent voranzutreiben. (vgl. Foster/ Kaplan 2002) „Total Quality Management“ und betriebsinterne Steuerungsmechanismen Strategische und operative Unternehmensoptimierung wird zum Alltagsgeschäft der Unternehmen. Sie basiert nicht mehr allein auf hierarchischen „Top – Down“-Modellen, sondern wird zusehends über neue Managementmethoden realisiert: Vom „projektbasierten Change Managements“, die Veränderungsprozesse im Kern anstoßen und durchführen sollen ,verlagert sich der Trend zusehends zu Managementstrategien die Wandel (strategische Innovation) und Optimierung (auf der betrieblichoperativen Ebene) als permanenten Prozess unternehmerischer Evolution auffassen. Diese Entwicklung wird zum Beispiel in der Philosophie des „Total Quality Managements“ (TQM) zusammengefasst, einer sogenannten „ganzheitlichen“ Unternehmensphilosophie. (vgl. Oetinger, 2003) Der „ganzheitliche“ Charakter von TQM und ähnlichen Managementphilosophien und -praktiken drückt sich unter anderem in der Hinwendung zum/zu der ArbeitnehmerIn aus, der/die nicht nur diese Philosophie akzeptieren soll, sondern sie verinnerlichen und damit selbst zum Träger/zur TrägerIn und MitorganisatorIn dieser Veränderungsprozesse werden soll. Der deutsche Soziologie Ulrich Bröckling fasst die Philosophie und Praxis diese neuen Managements folgend zusammen: „Um als Unternehmen auf dem Markt zu bestehen, soll das Unternehmen auch intern durch Marktmechanismen gesteuert werden.“ (Bröckling/ Krasmann/ Lemke 2000, S. 138) Ziel ist es also durch unterschiedliche betriebsinterne Steuerungsmechanismen wie die Einführung von Leistungslohnmodellen oder Benchmarkingverfahren, das Selbstverständnis von ArbeitnehmerInnen zu verändern. Über die Betonung und Belohnung von individuellen Leistungen sowie durch begrenzte und oft individualisierte Mitsprachemöglichkeiten soll ein marktkonformer Leistungsgedanke, sowie wettbewerbsorientiertes, unternehmerisches Denken (Stichwort: „unternehmerisches Selbst“) befördert werden. Die Mechanismen, die zur Durchsetzung dieser Vorstellung angewandt werden, variieren von Unternehmen zu Unternehmen: Manchmal werden Anreizstrukturen betont, manchmal werden die Ziele auch mit Zwang umgesetzt. (vgl. Kratzer/ Menz/ Nies/ Sauer 2008) Die Folgen dieser neuen Managementstrategien sind mannigfaltig: Erstens wird durch die Betonung von eigenverantwortlichem Handeln, individueller Vorteilsorientierung und unternehmerischen Denken ein Menschen- und Gesellschaftsbild gefördert, bei dem gegenseitige Unterstützung, Solidarität und der Schutz schwächerer keine Rolle mehr spielen. (vgl. Butterwegge, 2008) Zweitens konstatieren ArbeitsmedizinerInnen und -psychologInnen vermehrt psychische und physische Folgen: Der erhöhte Leistungsdruck führt bei ArbeitnehmerInnen unter anderem zu Burn-Out und Erschöpfungszuständen, Depressionen und vermehrten chronischen Krankheiten. (vgl. Ehrenberg, 2000). Drittens weist die Arbeitssoziologie darauf hin, dass neben den körperlichen und seelischen Reaktionen zunehmend auch abweichende und dissidente Praktiken beobachtet werden. Diese verweilen allerdings, aufgrund der der verstärkten Einbindung von ArbeitnehmerInnen in Managementprozesse, oft unter der Oberfläche. Dieses Praktiken legen jedoch die Annahme nahe, dass das individualistische, marktkonforme Menschenbild nicht unwidersprochen übernommen wird. (vgl. Robyn in: Mats/ Bridgman/ Willmot, 2011) Der Leistungslohn als zweifelhafter „Motivationsförderer“ Wie bereits betont können Leistungslohnsysteme als ein Beispiel für neoliberale Managementmethoden beschrieben werden. Sie gelten in der Managementliteratur oftmals als das neueste und beste Mittel zur „Motivation“ von MitarbeiterInnen und sollen zur Erhöhung der Produktivität im Betrieb beitragen. (vgl. Frey/Osterloh, 2001) Im Gegensatz zu alt gediegenden Lohnsystemen, bei denen auf Basis von personen-, arbeits- und produktionsbezogenen Kriterien differenziert wird, wird der Leistungslohn als eine Entlohnung definiert, bei der die „Leistung der ArbeitnehmerInnen unmittelbar und kurzfristig Einfluß auf die Lohnhöhe hat.“ (vgl. Wirtschaftslexikon 24, 2010) Als Formen des Leistungslohns gelten unter anderem der Akkordlohn, der Prämienlohn sowie der Zeitlohn. Leistungslöhne werden in der Managementliteratur vielfach als die „gerechtesten aller Löhne“ bezeichnet, da sie die Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die Leistung an sich und den entsprechenden Lohn in ein „sinnvolles Verhältnis“ setzten könnten. (vgl. Kolm, 2010) Aus ArbeitnehmerInnensicht „Leistungsgerechtigkeit“ ist nicht hier nur allerdings zu relativ schnell beachten, dass dieses Dogma an seine Grenzen stößt der (wenn z.B. ArbeitnehmerInnen aus Krankheitsgründen ausfallen), sondern dass es vor allem dazu dient neoliberale Ideen (wie die Intensivierung der Arbeit oder die Betonung von Eigenverantwortung) im Denken der ArbeitnehmerInnen stärker zu verankern. (vgl. Kolm, 2010) Die Folgen einer zu starken Betonung von „Leistung“ im Betrieb sind bereits vielfach erforscht. So hat der vermehrte Leistungsdruck erstens oftmals psychischen/physischen Folgen für den/die ArbeitnehmerIn (vgl. Ehrenberg, 2000). Zweitens führt der zunehmende Konkurrenzdruck zu Entsolidarisierungstendenzen unter den ArbeitnehmerInnen sowie drittens zu einem Bedeutungsverlust des Kollektivvertrages und damit einer Schwächung von gewerkschaftlichem Handeln. (vgl. Kolm, 2010) Paul Kolm, Gewerkschafter und Sozialwissenschafter hält fest, dass durch die Durchsetzung der Leistungslohnsysteme die ArbeitgeberInnen ihre Rolle als „mächtige Gruppe“ weiter ausbauen können. Da sie die Definitionshoheit über den Charakter der Leistungspakete und die Festsetzung der Entgelthöhe pro Leistungspaket für sich beanspruchen, können sie die ArbeitnehmerInnen hiermit verstärkt kontrollieren und das Arbeitsverhalten besser steuern. (vgl. Kolm, 2010) Leistungslohnsysteme werden von den Beschäftigten allerdings häufig positiv bewertet, da sie durch sie auch neue Chancen ergeben: So muss hierdurch klar definiert werden, welche Leistungen von Arbeitgeberseite eingefordert werden. In den Diskussionen um die für die Erbringung dieser Leistung notwendig Arbeitsbedingungen können sich desweiteren auch neue Spielräume für Interessensvertretungen ergeben. (vgl. Angerler/Kolm, 2007) Darüber hinaus ist der Begriff der Leistung im Alltagsverstand der Menschen oftmals positiv besetzt, geht mit ihm doch die Vorstellung von gerechter Entlohnung sowie „mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Mitspracherechten einher. Die Zusammenhänge zwischen der Durchsetzung der Leistungsideologie (hier am Beispiel der Leistungslohnsysteme), dem verschärften Druck im Betrieb und den gesellschaftlichen/individuellen Folgen (also Entsolidarisierung Krankheit/Depressionen/Burnout) zwischen werden den ArbeitnehmerInnen demgegenüber seltener sowie hergestellt und vermehrte müssten offensichtlicher gemacht werden. 2. Ziel des Forschungsprojektes Ziel dieses Forschungsprojektes ist es genau der (Nicht-) Existenz dieser Verknüpfung im Denken der Beschäftigten nachzugehen. Darüber hinaus sollen Formen der Resistenz gegenüber neoliberalen Ideologien aufgespürt und nachgegangen werden. Im Fokus der geplanten soll der Begriff der Leistung stehen und die sich darum gruppierenden Widerspruchskonstellationen aus Sicht der Belegschaften. Anhand der Debatte um die Implementierung von einem Leistungslohnsystem in einem ausgewählten Betrieb sollen diese folgenden Fragestellungen beantwortet werden: Zentrale Fragestellungen - Allgemein: Wie sehr ist sind neoliberale Denk- und Handlungsmuster im Denken der ArbeitnehmerInnen verankert? An welchen Stellen bricht das subjektive (persönliche) Empfinden mit den alltäglichen Mustern neoliberaler Ideologie? - Speziell: Wie wird der Leistungslohn bewertet? Werden Zusammenhänge zwischen der Durchsetzung der Leistungslohnsysteme und der Intensivierung von Arbeit/wachsendem Konkurrenz- und Leistungsdruck/stärkerer Betonung der Eigenverantwortung hergestellt und wie werden diese bewertet? Werden Zusammenhänge zwischen der Durchsetzung der Leistungslohnsysteme und den gesellschaftlichen/individuellen Folgen (Entsolidarisierung zwischen den ArbeitnehmerInnen, vermehrte Krankheit/Depressionen/Burnout) hergestellt und wie werden diese bewertet? Wie wird die Rolle der betrieblichen Interessensvertretungen in Hinblick auf die Durchsetzung von Leistungslohnsystemen interpretiert? Herrscht die Meinung vor, dass dadurch eher neue Optionen betrieblicher Interessensvertretung entstehen oder wird vermehrt auf die Gefahren der Implementierung von individualistisch angelegten Leistungspaketen hingewiesen? Welche Möglichkeiten der Mitgestaltung am Arbeitsplatz werden durch die Implementierung von Leistungslohnsystemen gesehen? Welche Möglichkeiten der Mitgestaltung werden als gefährdet betrachtet? Zeigen sich bezüglich des intensivierten Leistungsparadigmas auch andere Selbstwahrnehmungen, die im Widerspruch zum Leistungsgedanken stehen und auf andere Selbstverortungen/ -wahrnehmungen schließen lassen (als Alternative zum sogenannten „unternehmerischen Selbst“)? Schließen an etwaige alternative Selbstbilder auch deviante Praxen an? Wie drücken sich solche etwaigen Praxen aus? Methodik Die Untersuchung wird sich methodisch auf theoriegeleitete, erzählgenerierende Tiefeninterviews sowie auf ExpertInneninterviews stützen. - ExpertInneninterviews sollen mit BetriebsrätInnen und GewerkschaftssekretärInnen geführt werden, die sich entweder mit der Thematik beschäftigen (GewerkschaftssekretärInnen) oder als BetriebsrätInnen in ihrem Unternehmen Erfahrung sammeln konnten mit derartigen Managementmethoden und Leistungslohnsystemen. (ca. 6 Interviews sind hier angedacht) - Tiefeninterviews sollen mit betroffenen ArbeitnehmerInnen geführt werden. Hier wird insbesondere darauf geachtet die Ambivalenz der Einstellungen gegenüber Leistungslohnsystemen unter den Beschäftigen darzustellen, das heißt es sollen einerseits BefürworterInnen sowie andererseits SkeptikerInnen zu Wort kommen (ca. 14 Interviews sind hier angedacht) Untersuchungsgebiet In Absprache mit der GPA – djp (Bildungsabteilung/ Abteilung Arbeit und Technik) wurde als Fallbeispiel Siemens ausgewählt. Der Betrieb ist aus folgenden Gründen spannend für eine Untersuchung über „Leistungslöhne als neoliberales Projekt“: - Siemens bietet als vielschichtiger Konzern die Möglichkeit in unterschiedlichen BusinessUnits, mit verschiedenen Arbeitsprofilen eine Fallstudie zu machen, die der Gefahr der tätigkeitsbezogenen Eindimensionalität entgeht - Siemens betreibt Leistungslohnmodelle - Siemens bietet trotz der Vielzahl an Business-Units eine relativ kohärente Unternehmenskultur, die durch Performance-Orientierung und permanente operative Optimierung auffällt - Der Zugang zu BetriebsrätInnen und in weiterer Folge zu Beschäftigten wird über die GPA – djp gewährleistet 4. Zeitplan Das Projekt ist auf einen Zeitraum von sechs Monaten angelegt. Zwischen August 2011 und Februar 2012 sollen die folgenden Teilbereiche des Projektes durchgeführt werden: August September Literaturrecherche/ Feldzugang Oktober November Dezember Jänner Februar Durchführung der Interviews Auswertung der Interviews Vorstellung erster Ergebnisse Abschlussbericht/ Abschlusstagung 5. Kostenplan Für das vorliegende Projekt wird ein – bereits vom Netzwerk Wissenschaft zugesicherter – Kostenrahmen von 10.000 Euro veranschlagt. Die Ausgaben gliedern sich in folgende Posten: Durchführung von 20 qualitativen Interviews à 40 – 50 min…………………………………… Transkription der Interviews…………………. Auswertung der Interviews……………………. Literaturrecherche/Berichterstellung………….. Insgesamt…………………………………….. 20 * 50 20 * 100 20 * 200 2* 1500 1000 2000 4000 3000 10.000 6. ProjektmitarbeiterInnen Mag. Mario Becksteiner: Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien. Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Internationale Politische Ökonomie, Gewerkschaften und Hegemonietheorie. Forschungsschwerpunkte: Gewerkschaften, Subjektivität, Arbeitsformen und Soziale Bewegungen. Letzte Veröffentlichung: Studie, finanziert durch GPA-djp zur Durchsetzungsfähigkeit von BetriebsrätInnen und Gewerkschaften im Kontext der Globalisierung unter dem Titel „Betriebsratsrealitäten“ (gem. mit Steinklammer und Reiter). Er ist Mitglied im Betriebsrat des wissenschaftlichen Personals der Universität Wien. Mag.a Julia Hofmann: Studium der Soziologie an der Universität Wien (Abschluss: 2011). Diplomarbeit zu kollektivem Handeln von ArbeitnehmerInnen zu Zeiten der Krise in Österreich (Johann-Böhm-Stipendium). Arbeitet derzeit in der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) Bundesvertretung und ist Lehrbeauftragte am Institut für Soziologie (Uni Wien). Forschungsschwerpunkte: Folgen sozialer Ungleichheit, Arbeitssoziologie, Armut/Sozialpolitik. Literaturverzeichnis: Angeler,Eva/ Kolm, Paul, 2007: Mit Zielvereinbarungen zu mehr betrieblicher Demokratie. In: GPA djp: Mitgestalten am Arbeitsplatz, Wien: Eigendruck. Bröckling, Ulrich/ Krasmann, Susanne/ Lemke, Thomas (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. Butterwegge, Christoph, 2008: Kritik des Neoliberalismus. Wiesbaden, VS-Verlag. Ehrenberg, Alain, 2001: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt/Main: Campus Verlag. Foster, Richard/ Kaplan, Sarah/ McKinsey & Company, 2004: Schöpfen und Zerstören. Wie Unternehmen langfristig überleben. Frankfurt/ Wien: Redline Wirtschaft bei Ueberreuter. Kolm, Paul, 2010: Leistungslohn - Eine gerechte Verteilung. Veranstaltung der GBW Wien am 10.3.2010. Zusammenfassung unter:http://www.gbw-wien.at/article591.htm, Zugriff am 26.06.2011. Kratzer, Nick/ Menz, Wolfgang/ Nies Sarah/ Sauer Dieter in PROKLA Nr. 150 (2008): Leistungspolitik als Feld „umkämpfter Arbeit“. Münster: Westfälisches Dampfboot. Robyn, Thomas in: Alvesson, Mats/ Bridgman Todd/ Willmott Hugh (2011): The Oxford Handbook of Critical Management Studies. Oxford: Oxford University Press. Roth, Karl Heinz, 2009: Die globale Krise. Band 1 des Projekts »Globale Krise – Globale Proletarisierung - Gegenperspektiven«. Hamburg: VSA Verlag. V. Oetinger, Bolko (Hrsg.), 2003: Das Boston Consulting Group Strategie Buch. Düsseldorf: Econ Verlag.