Philosophische Fakultät Soziologie – Workplace Studies Prof. Dr. Jörg Potthast UNIVERSITÄT SIEGEN Philosophische Fakultät 57068 Siegen To whom it may concern Adolf-Reichwein-Str. 2 57068 Siegen Telefon +49 271 740 - 2983 E-Mail: [email protected] Martina Huttner (Sekretariat) Telefon +49 271 740-3921 E-Mail: [email protected] Siegen, 15. Juli 2015 Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2015-16 (Aushang) Grundlagen und Wandel der Arbeitsgesellschaft Angenommen, wir könnten in alle Arbeitsverträge Einsicht nehmen, was wüssten wir über Gesellschaft? Das Seminar diskutiert, inwiefern Arbeit (noch/wieder/weiterhin) eine Schlüsselkategorie für die Gesellschaftsanalyse ist. Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund: In welchem Verhältnis stehen Erwerbsarbeit und andere Formen von Arbeit? In welchem Verhältnis stehen Arbeitsverhältnisse aus vertraglicher Sicht und Arbeitsprozesse in einer situierten Perspektive? Das Seminar diskutiert sehr grundsätzliche Thesen zu Beharrung und Wandel, zu Integration und Spaltung von Gesellschaft durch Arbeit. Sociology of facework The analyses of facework by Erving Goffman have turned 50 but remain highly influential. How is this possible, provided that, in the meantime, society has undergone massive change? If society has become increasingly determined by structural forces of a global scale (“globalization”), what’s the point with an interactionist framework? If everyday life in societies has been inundated by technical artefacts (“digital society”), why then continue considering “facework” to be a key notion of sociological inquiry? Two extensions of the sociology of facework responding to these changes are put under particular scrutiny: the case of emotional labour (Arlie Hochschild) and the case of human computer-interaction (Sherry Turkle). Within these fields of inquiry, the seminar will serve as a training ground for formulating research questions within a theory-oriented empirical framework. Techniksoziologie zur Einführung Technik determiniert Gesellschaft. Technik ist eine soziale Konstruktion. Technik handelt mit – und kann gar nicht vom Sozialen getrennt werden. Dies sind drei Positionen, die auf sehr unterschiedliche Weise fordern, Technik zu einem Gegenstand der sozialwissenschaftlicher Analyse zu machen. Sie werden im Seminar in ihrer historischen Entwicklung nachgezeichnet und einander systematisch gegenüber gestellt. Ziel der LV ist es, aktuelle Kontroversen um neue Technologien – z.B. Reproduktionstechnologien wie das „social freezing“ – einer sozialwissenschaftlich fundierten Analyse zugänglich zu machen. Die LV fordert und fördert Teamarbeit. Seite 2 von 3 Technik- und Sozialtheorie Das Neue an der neueren Technik- und Sozialtheorie liege in der Hinwendung zur Praxis. Das Seminar diskutiert diese These vom „practice turn“. Es prüft sie auf ihre Reichweite. Sind Sozialund Techniktheorien darüber tatsächlich näher zusammengerückt, wie es etwa die Theorie der Akteursnetzwerke (ANT) behauptet? Grundkenntnisse in einer Variante neuerer Praxistheorien (z.B. Schatzki, Butler, Foucault, Latour) werden vorausgesetzt. Besonders geschult wird in dieser Lehrveranstaltung die Kompetenz zum empirisch motivierten Theorievergleich. Lektürekurs: Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz (F. Dubet) Wie können sich Erwerbstätige einer Arbeitswelt, die als zunehmend vereinnahmend und entgrenzt beschrieben wird, noch entziehen („exit“)? Wie äußern Arbeitskräfte, die zu selbstverantwortlichen „Arbeitskraftunternehmerinnen und Arbeitskraftunternehmern“ erklärt werden und darüber Zwängen zur Subjektivierung ausgesetzt werden, (noch) Kritik („voice“)? Diese Fragen werden im vorliegenden Buch entwickelt und anhand von Fallstudien zu sehr unterschiedlichen Berufsgruppen empirisch untersucht: Landwirte, Lehrerinnen und Lehrer, Krankenhauspersonal, leitende Angestellte, Lehrbeauftragte, Taxifahrerinnen und Taxifahrer. Das Seminar vermittelt, übt und vertieft – über die Diskussion einer bemerkenswerten Zeitdiagnose – Techniken der wissenschaftlichen Lektüre. Mobile Arbeitsplätze I: Fragen an die soziologische Theorie Welchen Platz nimmt die Wirtschaft in modernen Gesellschaften ein? Die Antworten auf diese Frage gehen stark auseinander. Theorien kapitalistischer Gesellschaften sehen gesellschaftliche Verhältnisse durch wirtschaftliche Kräfte determiniert. Theorien funktionaler Differenzierung betrachten die Wirtschaft als ein gesellschaftliches Teilsystem, das sich neben anderen und wie andere auch auf eigensinnige Weise weiterentwickelt. Das Seminar setzt beide Positionen wieder in Bezug. Dafür zieht es ein unübersehbares empirisches Phänomen heran: Was heißt es, dass Arbeitsplätze zunehmend mobil werden? Ziel der Lehrveranstaltung ist es, beide Theorietraditionen über den Bezug zu einer aktuellen Problemstellung zu erschließen und zu hinterfragen. Diese Rückfragen an die Theoriebildung werden im Sommersemester (im Rahmen des Seminars Mobile Arbeitsplätze II) wieder aufgegriffen. Ziel dieser komplementär angelegten Veranstaltung wird es sein, Fragen für die empirische Forschung zu formulieren. Werkstatt: Ethnographische Perspektiven auf Störungen Ethnographische Sozial- und Medienforschung ist mit dem Phänomen der Störung in doppelter Weise konfrontiert: Zum einen sind Forscherinnen und Forscher, um überhaupt teilnehmend zu beobachten, gezwungen, sich einen Zugang zum empirischen Feld (der beforschten Kultur, Organisation etc.) zu eröffnen. Auch wenn sie dort nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht sein mögen, so werden die Feldforscherinnen oder Feldforscher – allein durch ihre Präsenz – als Störungsquelle von den Beforschten als Störungsquelle wahrgenommen. Um die Anzahl der Fehltritte möglichst gering zu halten, wird den Feldforscherinnern und Feldforschern abverlangt, die Spielregeln des Feldes sehr schnell zu lernen. Was sich zunächst als ein Problem darstellt, das Feldforscherinnen und Feldforscher mitunter unter Druck setzt und ihre ganze Aufmerksamkeit fordert, erweist sich in den klassischen ethnografischen Forschungen als eine Ressource. Von Harold Garfinkels Krisenexperimenten über Erving Goffmans Analysen von missglückten Selbstdarstellungen bis hin zu Marie Jahodas Studie zu den Arbeitslosen von Marienthal lässt sich durchgängig zeigen, wie Störungen von der Sozialforschung zur Erkenntnisgewinnung genutzt wurden. Die Lehrveranstaltung fertigt selbst kleine ethnographische Skizzen zu „Störungen“ an. Sie verfolgt damit das Ziel, das Potential dieser Methode einzuschätzen. Inwiefern las- Seite 3 von 3 sen sich soziale Regeln, Handlungsschemata, verschwiegenes Wissensbestände, die in der Normalität, im Normalbetrieb, in den Routinen kaum wahrnehmbar sind, über die Beschreibung von Störungen offen legen? Innovation und Gesellschaft: theoretische und empirische Zugänge Innovation sollte einer wissenschaftliche Disziplin, die sich maßgeblich mit Prozessen sozialen Wandels beschäftigt, nicht fremd sein. Aber wo gehen sozialwissenschaftlich informierte Zugänge – theoretisch und empirisch – über das Alltagsverständnis hinaus, das Innovationen zum Beispiel mit Konsumneuheiten gleichsetzt? Das Seminar diskutiert verschiedene Ansätze der Innovationsforschung, die sich dieser Herausforderung stellen und verlangen, Innovationsprozesse nicht als Einbahnstraße (linear), sondern über eine Wechselwirkung (rekursiv) zu konzipieren. Dann lautet die übergeordnete Forschungsfrage: Wie entstehen durch Innovationen soziale Beziehungen und wie bringen diese wiederum Innovationen hervor? Ziel der Lehrveranstaltung ist es, diese Perspektive über die Anfertigung kleiner Innovationsstudien durch die Studierenden selbst zur Anwendung zu bringen.