Zum Programm der 2. Internationalen Gluck-Festspiele: Was den Gluck-Städten Paris und Wien nicht gelang, hat Nürnberg zuwege gebracht: ein Festival für den neben Mozart berühmtesten Opernkomponisten der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ein besonderer Schwerpunkt der Festspiele 2008 liegt auf dem Alceste-Stoff, den wir in nicht weniger als drei verschiedenen Versionen zeigen werden. Geboren wurde Christoph Willibald Ritter von Gluck unweit von Nürnberg, im oberpfälzischen Erasbach, und er ist somit der einzige große Opernkomponist, für den Nürnberg so etwas wie „Heimatrecht“ beanspruchen kann. Zum zweiten Mal finden nach der erfolgreichen „Premiere“ 2005 nun die Internationalen Gluck-Opernfestspiele am Staatstheater Nürnberg statt. Zeigte schon das erste Festival eine breite Palette rund um das Thema Gluck, so hat sich das Programmangebot in diesem Jahr noch erweitert. Eröffnet werden die Festspiele mit einem Galakonzert – und diesmal hat es einen besonderen Bezug zur Meistersingerstadt Nürnberg. Solistin des Abends ist Marina Prudenskaya, die nach dem Gewinn des ARD-Musikwettbewerbs ihre internationale Karriere von der Nürnberger Oper aus startete. Nürnberg ist sie, obschon mittlerweile im Ensemble der Deutschen Oper Berlin, noch immer treu, und daher ist dieses Eröffnungskonzert fast so etwas wie ein Heimspiel der gebürtigen Russin mit dem unverwechselbar samtigen Stimmklang. Als Glucks Orfeo hat sie hier bleibenden Eindruck hinterlassen, sie war eine Klytämnestra von glühender Intensität in der aulidischen Iphigenie, und nun kehrt sie mit einem Arienprogramm ans Staatstheater zurück, das neben Gluck auch Mozart gewidmet ist und so die beiden wichtigsten Komponisten des ausgehenden 18. Jahrhunderts einander gegenüberstellt. Der Dirigent Reinhard Goebel ist einem breiteren Publikum bekannt geworden als Spiritus rector und langjähriger Konzertmeister von Musica antiqua Köln; er galt als einer der rasantesten Barockgeiger weltweit. Seit dem Ende seiner geigerischen Karriere ist Reinhard Goebel als außerordentlich geschätzter Dirigent für die Musik des 17. und 18. Jahrhunderts tätig. Das Galakonzert wird vom Bayerischen Rundfunk im Hörfunk (Bayern 4 Klassik) direkt übertragen. Einen Tag später hat eines der Hauptwerke Glucks – seine „Alceste“ aus dem Jahr 1767 – Premiere am Staatstheater. Zum Inhalt: König Admetos von Thessalien, der einst den Gott Apollon freundlich beherbergte, als dieser aus dem Olymp verbannt wurde, liegt im Sterben. Das Orakel verkündet den Spruch, dass Admetos nur dann gerettet werden könne, wenn ein anderer freiwillig für ihn in den Tod geht, und Admetos’ Frau Alceste fasst den Entschluss, dieses Opfer zu bringen. Admetos stürzt in tiefe Verzweiflung, als er den Preis für seine Genesung erfährt. Er bittet die Götter, das Opfer nicht anzunehmen, doch diese zeigen sich unbeugsam und fordern Alcestes Tod. Den Selbstmord Admetos’ kann nur Apollon verhindern, indem er Alceste aus dem Totenreich zu ihrem Mann zurückführt. Neben der fünf Jahre vorher entstandenen Oper „Orpheus und Eurydike“ gilt „Alceste“ von 1767 als Prototyp von Glucks Opernreform. Der gedruckten Partitur stellte er ein Vorwort voran, in dem er die wesentlichen Absichten dieser Reform skizzierte und in dem es heißt: „Ich versuchte daher, die Musik zu ihrer wahren Bestimmung zurückzuführen, d.h. die Dichtung zu unterstützen, um den Ausdruck der Gefühle und das Interesse der Situationen zu verstärken, ohne die Handlung zu unterbrechen oder durch unnütze Verzierungen zu entstellen.“ Wie im „Orpheus“ konzentrieren sich Gluck und sein Textdichter auf den Handlungskern des Dramas von Euripides. Alle Nebenstränge der Geschichte bleiben ausgespart, und der Musik kommt dabei die neue Aufgabe zu, einen einzigen Affekt in seiner inneren Entwicklung nachzuvollziehen anstatt dem Wechsel der Affekte durch kontrastierende Arien zu folgen. „Schlichte Schönheit“ beanspruchte Gluck für seine Musik, aus der er jegliche Kehlkopfakrobatik verbannte. Unserer Neuproduktion liegt die relativ selten gespielte italienische Erstfassung zu Grunde, die im Vergleich mit der später entstandenen prunkvollen Pariser Fassung auf spektakuläre Effekte verzichtet und lyrischeren Charakters ist. Mit Bruno Klimek kehrt einer der erfolgreichsten Regisseure der Ära Wulf Konolds ans Staatstheater Nürnberg zurück – unvergessen sind seine Inszenierungen von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ und „Jenufa“ an der Nürnberger Oper. Die Premiere wird vom Bayerischen Rundfunk im Hörfunk (Bayern 4) direkt übertragen. Ein Wiedersehen gibt es mit der überaus erfolgreichen Inszenierung des wohl bekanntesten Gluck-Werkes, nämlich „Orfeo ed Euridice“ (Orpheus und Eurydike) in der Inszenierung des Schweizer Regisseurs Olivier Tambosi. Diese Inszenierung wird überdies im November 2007 im Rahmen eines Gastspiels in der Nürnberger Partnerstadt Shenzhen gezeigt. Eine echte Rarität präsentieren die Gluck-Festspiele am 11. März mit Glucks Oper „Ezio“ in einer halbszenischen Aufführung der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Die szenische Einrichtung stammt von Peer Boysen, der sich, aus einer berühmten Theaterfamilie stammend, längst einen Namen als Opernregisseur gemacht hat. Besondere Beachtung verdient die Besetzung der Titelrolle: der argentinische Countertenor Franco Fagioli versetzte beim Bertelsmann-Gesangswettbewerb „Neue Stimmen“ 2003 die Fachwelt in Erstaunen und gewann prompt den 1. Preis des renommierten Gesangswettbewerbs. Es spielt das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Michael Hofstetter. Ob Oper, Schauspiel oder Kino – die Themen sind immer dieselben: Liebe und Eifersucht, Ruhm und Ehre, Mord und Totschlag. Dies gilt auch für die Oper „Ezio“ nach einem Text des berühmten italienischen Librettisten Pietro Metastasio, den – neben Händel – auch Christoph Willibald Gluck vertont hat. Im Zentrum des antiken Stoffs stehen zwei Männer und eine Frau: der römische Feldherr Ezio, Kaiser Valentinian III. und die von beiden Männern begehrte Fulvia. Dass das nicht gut gehen kann, liegt auf der Hand. Zumal auch noch Fulvias Vater eine Rechnung mit dem Kaiser offen hat ... Eine Besonderheit stellt die Oper „Alceste“ des Komponisten Anton Schweitzer dar. Das Libretto stammt von keinem Geringeren als dem deutschen Dichter Christoph Martin Wieland. Dieses Werk gilt als erste deutsche Oper. Es war nicht das erste Ergebnis einer Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, ihr gingen Ballette voraus. Schon während seiner Arbeit an dem Ballett „Aurora“ wird Wieland oft mit dem großen italienischen Dichter Metastasio verglichen. Seine „Alceste“ begleitet der Dichter mit vielen Kommentaren, die er dazu niederschrieb. Gleich zu Beginn seiner Schrift „Versuch über das Deutsche Singspiel“ erklärt Wieland seine Absicht: „Charles Burney, dessen musikalische Reisen durch Frankreich, Italien und Deutschland einige Zeit so viel Aufsehens gemacht, wundert sich mit Recht, dass er in allen Deutschen Landen, die er durchwandert, nirgends ein Deutsches lyrisches Theater angetroffen.“ Wieland vertrat die These, dass der italienischen und der französischen Oper Gleichwertiges entgegenzusetzen sei. Zur Zeit Schweitzers existierte die Gattung "Deutsches Singspiel" noch nicht. Fürstin Anna Amalie von Weimar wollte aber genau dies etablieren: eine Nationalbühne (Sprechtheater und Oper), die Vorbildcharakter besaß. Wieland und Schweitzers „Alceste“ gilt als Meilenstein auf dem Weg zu einer deutschen Oper. Wir zeigen eine Produktion aus Weimar, wo das Stück 226 Jahre nach seiner Uraufführung am Ort seiner Entstehung, wieder auf die Bühne kam. Obwohl er Gluck nur mäßiges musikalisches Talent bescheinigt zu haben scheint, zeigen wir bei den Gluck-Festspielen auch eine Oper von Georg Friedrich Händel, und zwar eine weitere Alceste-Version. Das Besondere daran: Es ist eine Uraufführung! Im Herbst 1749 erhielt Händel von Jonathan Rich, Direktor des Covent Garden Theatre, den Auftrag, zu dem Schauspiel „Alceste“ des englischen Satirikers Tobias Smollett die Musik zu schreiben – geplant war ein Werk im Stile der englischen ‚masque‘, wie sie Henry Purcell mit seinem „King Arthur“ vorgelegt hatte – in der Verbindung von Schauspiel und Musik, die das englische Theater so liebte. Innerhalb von wenigen Tagen stellte Händel die Musik fertig; die Uraufführung jedoch, für deren Ausstattung Rich den berühmten Bühnenarchitekten des französischen Hofes Servandoni verpflichtet hatte, wurde abgesagt: Nachdem ein Erdbeben Mitte Januar 1750 die englische Hauptstadt erschüttert hatte und der ganze Adel aufs Land geflohen war, fürchtete Rich offensichtlich ein finanzielles Desaster. In der geplanten Form ist Händels Musik bis heute nicht auf die Bühne gekommen, und Smolletts Text ist verloren. Die Nürnberger Uraufführung kombiniert Händels Musik, die er teilweise in Oratorien wie „Alexander Balus“, „The Choice of Hercules“ und „Belshazzar“ verwendete, mit einem neuen Text, der die alte „Alceste“-Geschichte unter Verwendung barocker Textfragmente aufgreift und neu deutet – gleichwohl keine Rekonstruktion, sondern der Versuch, Händels Musik in ihrer szenischen Funktion endlich auf die Bühne zu holen. Die Handlung kreist um die seit der Tragödie des Euripides 438 v. Chr. immer wieder auf die Bühne gebrachte Gestalt der opferbereiten Alkestis, der Frau des thessalischen Königs Admet, der dem Tode geweiht ist, es sei denn, ein anderer wäre zum Opfer bereit. Niemand findet sich, nicht einmal Admets hoch betagte Eltern; nur seine Gattin Alkestis will sterben. Der Gott Thanatos holt sie, doch Admets Freund Herakles gelingt es, sie aus dem Totenreich zurück zu holen. Alles wieder gut? Schon Euripides interessierte die Psychologie der handelnden Menschen mehr als die alte Mythe, und eine heutige Deutung kommt um die Fragen von Liebesopfer, Todessehnsucht und Rettungsfolgen nicht herum. Einen reizvollen Kontrast dazu bilden „Die Pilger von Mekka“. Dieses Werk, 1764 zwischen „Orpheus“ und „Alceste“ entstanden, zeigen wir in einer Produktion der Bayerischen Theaterakademie August Everding / München. Bei den „Pilgern“ handelt es sich um eine so genannte „Türkenoper“, also eine Oper mit einem ähnliches Sujet wie Mozarts berühmte „Entführung aus dem Serail“, die dem Salzburger Komponisten aber durchaus als Vorbild gedient hat. Mozart hat zu einer Arie aus Glucks Werk, nämlich „Unser dummer Pöbel meint“, Klavier-Variationen geschrieben. Glucks Opernserenade „Le Cinesi“ schrieb dieser 1754 auf einen Text des Wiener Hofdichters Pietro Metastasio und auf Veranlassung des Fürsten von SachsenHildburghausen, der Maria Theresia auf sein Landgut Schlosshof eingeladen hatte. Das Sujet war der Königin bekannt, hatte sie es doch fast zwanzig Jahre zuvor in der Vertonung Antonio Caldaras selbst mit zur Aufführung gebracht. Glucks Neuvertonung ist eine spielerisch in chinesisches Gewand gesteckte ästhetische Diskussion über das Trauerspiel, die Pastorale und die komische Oper. Die Koproduktion des Internationalen Opernstudios mit dem Dehnberger Hoftheater (das mit der Produktion der Gluck’schen Ballette „Semiramis“ und „Don Juan“ bereits bei den Gluck-Festspielen 2005 beteiligt war) kombiniert Glucks knappen Einakter mit Jacques Offenbachs chinesischer Burleske „Ba-ta-clan“ zu einer wunderbar unterhaltsamen musikalischen Chinoiserie. Wie bereits bei den ersten Gluck-Festspielen findet auch diesmal in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gluck-Gesellschaft ein umfangreiches Gluck-Symposion statt. Bei einem dreitägigen wissenschaftlichen Kongress werden Wissenschaftler aus aller Welt die aktuellen Forschungsergebnisse zu Gluck und seiner Zeit präsentieren. Anlaufstelle für Wissenschaftler wie Besucher ist – dies eine Neuerung der diesjährigen Festspiele – das Festival-Café im Gluck-Saal. Weitere Einzelheiten werden zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gegeben. Dass die Gluck-Festspiele eine unmittelbare Auswirkung auf Nürnberg und sein Staatstheater haben, zeigt sich nicht zuletzt im Foyer des Opernhauses, das seit den ersten GluckFestspielen „Gluck-Saal“ genannt wird. Die sehr dynamisch wirkende Statue des Komponisten, 2005 von Anna Chromy gestaltet, ist zu einem Marken- und Wahrzeichen des Staatstheaters geworden, und so kann Nürnberg mit Fug und Recht behaupten, das künstlerische und wissenschaftliche Zentrum der internationalen Gluck-Pflege zu sein. Dies beweist auch ein kurzer Rückblick auf die Gluck-Festspiele des Jahrgangs 2005. Den Anfang machte eine glanzvolle Gala mit dem irischen Weltstar Dame Ann Murray. Die irische Mezzosopranistin, die auf allen bedeutenden Opernbühnen der Welt zu Hause ist, sang in einem live vom Bayerischen Rundfunk übertragenen Konzert Arien von Gluck und Mozart. „Ann Murrays Recital begeisterte“, schrieb der Kritiker Jens Voskamp in den „Nürnberger Nachrichten“. Das Staatstheater präsentierte vier Opern Glucks: die Premiere von „Iphigénie en Aulide“ (Iphigenie in Aulis), inszeniert von Reto Nickler mit Ensemblemitglied Frances Pappas in der Titelrolle („Frances Pappas überragte mit einer reinen, ebenmäßigen Stimme die übrigen wiewohl qualifizierten Protagonisten“, schrieb Martin R. Handschuh in der „Österreichischen Musikzeitschrift“); die umjubelte Tauridische Iphigenie, eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen und der Zürcher Oper, „Orpheus und Eurydike“ (auch 2008 wieder zu sehen), sowie als besondere Kostbarkeit „Merlins Insel“ als Koproduktion des Staatstheaters Nürnberg mit dem Theater Erlangen und der Hochschule für Musik Nürnberg-Erlangen. Diese Musikkomödie zeigte Gluck von seiner heiteren Seite; das barocke Juwel des Markgrafentheaters Erlangen bildete den passenden Rahmen. Ein Gastspiel des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit der selten gespielten „Armide“ in der phantasievollen, stark choreografisch inspirierten Regie von Avshalom Pollack und Inbal Pinto vervollständigte das Programm. Beim dreitägigen Symposion der Gluck-Gesellschaft kamen sechzehn Experten zum Thema „Gluck, der Europäer“ zu Wort. Dass die Gluck-Festspiele darüber hinaus auch Podium für Politik und Wirtschaft sind, bewies der festlicher Staatsempfang, zu dem Staatsminister Dr. Günther Beckstein in den Rittersaal der Kaiserburg geladen hatte.