Manager-Magazin 20.09.2005 REGIERUNGSBILDUNG "Große Koalition oder italienische Verhältnisse" Von Matthias Kaufmann Der Wähler hat gesprochen, die Politik ist beredt sprachlos. Gleich fünf Konstellationen der Regierungsbildung sind möglich. Klaus Zimmermann, Präsident des DIW, erklärt im Gespräch mit manager-magazin.de die wirtschaftlichen Folgen jeder Variante. Sein Schluss: An einer großen Koalition führt kein Weg vorbei. mm.de: Herr Zimmermann, das Wahlergebnis lässt verschiedene Varianten der Regierungsbildung zu. Uns interessiert, wie Sie die wirtschaftlichen Aussichten der verschiedenen Konstellationen einschätzen. Fangen wir mit einer schwarz-gelben Koalition an. Im neu konstituierten Bundestag könnte Angela Merkel Kanzlerin werden, zumindest im dritten Wahlgang, wo eine einfache Mehrheit ausreicht. Zimmermann: Eine von der CDU geführte Minderheitsregierung wäre technisch möglich, würde aber nicht lange halten. Sicher, sie hätte eine Mehrheit im Bundesrat, aber kaum Gestaltungsmöglichkeiten im Bundestag, und der muss die Gesetze ja erst beschließen, die der Bundesrat absegnet. Die Parteien links der Mitte würden sich radikalisieren, die SPD sich als soziales Gewissen positionieren. Die Republik liefe in eine scharfe Konfrontation, die in raschen Neuwahlen gipfeln würde. mm.de: Mit einer erneuten Vertrauensabstimmung? Zimmermann: Ja, wenn der Bevölkerung schnell klar würde, dass in der bestehenden Konstellation keine politischen Gestaltungsspielräume bestehen. Bedenken Sie: Unter diesen Bedingungen könnte ja nicht einmal ein ordentlicher Haushalt verabschiedet werden. Da würde sich nichts mehr bewegen. Dann wäre die Vertrauensfrage sogar eine strategische Option für die Union. mm.de: Bei einer rot-grünen Minderheitsregierung sähe es wohl ähnlich aus. Zimmermann: Diese Variante ist noch schwerer vorstellbar. Die Unterstützung bei der Kanzlerwahl müsste ja von der Linkspartei kommen, weil auch Rot-Grün nicht über eine 50-Prozent-Mehrheit verfügt. Das würde heißen: Oskar Lafontaine könnte Gerhard Schröder in den Haushalt hineinregieren. Das ist schon aus atmosphärischen Gründen undenkbar, zu groß ist die Verbitterung in der SPD über Lafontaine. Und auch programmatisch gibt es zu wenige Überschneidungen. Einzig bei der Forderung nach einem höheren Spitzensteuersatz wäre man sich einig, danach hört es schon auf. mm.de: Wie wahrscheinlich sind solche Minderheitsregierungen? Zimmermann: Halten sich die Parteien streng an ihre Aussagen vom Wahlabend, ist gar nichts anderes möglich. Das ist aber schon Teil des Koalitionspokers. Zumindest bleibt das zu hoffen, denn mit einer Minderheitsregierung drohen politisch wie wirtschaftlich italienische Verhältnisse. "Jamaika klingt nach Sonne und Cocktail" mm.de: Was heißt das? Zimmermann: Die Entscheidungen im Bundestag, so sie überhaupt gefällt würden, wären unvorhersehbar. Das schreckt jeden ausländischen Investor ab und die gegenwärtigen Probleme würden sich damit verschärfen: Zwar sind wir international konkurrenzfähig, aber der Funke unserer Auslandserfolge springt nicht auf das Inland über. Die Unternehmen würden ihre Hausaufgaben nicht machen können. mm.de: Welche Hausaufgaben? Zimmermann: Investieren. Damit Arbeitsplätze geschaffen werden und so wegen der steigenden Einkommen wiederum Konsumnachfrage entsteht. Andernfalls würde sich die Abwärtsspirale schneller drehen, die Stagnation sich verfestigen. mm.de: Seit kurzem wird die Jamaika-Koalition diskutiert, bei der Schwarz, Gelb und Grün - die Nationalfarben Jamaikas - sich zusammenraufen. Was ist von dieser Variante zu halten? Zimmermann: Das klingt hübsch, weil jeder bei Jamaika an Sonne und Cocktails denkt. Ich sehe nur nicht, wie CDU und FDP mit den Grünen zusammenkommen, die ihre Wirtschafts-Grünen weitgehend verloren haben. Stabil wäre eine solche Koalition sicher nicht. Thematisch gibt es zu viele Differenzen, denken Sie nur an die Kernkraft oder die Frage des EU-Beitritts der Türkei. Nachdem man weiß, wie viele CDU-Anhänger sich diesmal für die FDP entschieden haben, brächten sich auch die Liberalen in schwere Rechtfertigungsnöte. Das gilt noch stärker für eine Ampelkoalition, in der ihr Wunschpartner CDU gar nicht vorkäme. mm.de: Also bleibt nur noch eine große Koalition. Zimmermann: Ich präferiere diese Möglichkeit. Und zwar aus dem entscheidenden Grund, dass dann breite Mehrheiten da sind. Vor allem ist das die Konstellation, in der weitere Reformen am ehesten zu realisieren sind. Man muss ja inzwischen daran erinnern: Schröder hat Neuwahlen herbeigeführt, um seinen Reformkurs bestätigen zu lassen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Wahlprogramm diesen Reformkurs eher verstecken will. Trotzdem könnte die SPD in einer großen Koalition sagen, sie knüpfe an die Erfolge der bisherigen Reformen an, die CDU könnte antreten, um das Reformtempo zu erhöhen und zum Teil die Richtung zu korrigieren. Wenn man die großen Linien der beiden Programme vergleicht und sieht, welche Präferenzen die Parteiführungen haben, dann ist hier wohl am ehesten ein breiter Konsens herzustellen. Mehr Gemeinsamkeiten als Union und SPD zugeben mm.de: Welche Maßnahmen könnte man von solch einer Regierung erwarten, bevor die Gemeinsamkeiten aufgezehrt sind? Zimmermann: Beispielsweise eine der wichtigsten Reformmaßnahmen, nämlich die Föderalismusreform. Die große Koalition hätte eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die nötig ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Bei diesem Projekt war bereits weitgehender Konsens zwischen SPD und CDU hergestellt worden, keine andere Regierung könnte es zu Ende führen. Zweiter Punkt: die Unternehmensteuer. Hier ist die SPD sogar wirtschaftsfreundlicher als die Union. Beim Thema Subventionsabbau liegen die Blaupausen längst auf dem Tisch. Sie scheiterten bisher daran, dass jede Partei die eigene Klientel vor Einschnitten schützen wollte. Kompromisse, die hier erzielt würden, könnten weiter reichen als die Entscheidungen einer einzelnen Partei, nach dem Prinzip: "Ich belaste meine Klientel, wenn du deine belastest." Und nicht zuletzt sind sich beide Parteien darin einig, dass die Lohnnebenkosten sinken müssen. mm.de: Im Moment sieht es aber nicht nach einer Einigung auf die große Koalition aus. Zimmermann: Richtig, Schröder ist der Meinung, ohne ihn gehe es nicht, während Merkel darauf besteht, dass sie die Wahl gewonnen hat. Das kann aber nicht ewig so bleiben, denn diese Art von Stillstand muss man vor dem Land rechtfertigen. Es bestehen Vorbehalte gegenüber einer großen Koalition, aber 1966 hat man damit das Land aus einer Krise führen können. Und vor allem: Wenn die beiden Parteien das nicht hinkriegen, stürzt das Land in eine wirklich ernste Krise, eine Krise des politischen Systems. mm.de: Wie lautet ihre Wirtschaftsprognose, wenn sich CDU und SPD auf eine große Koalition einigen? Zimmermann: Wenn sie das Machbare anpacken, dann halte ich 2 Prozent Wachstum oder ein wenig mehr am Ende der Legislaturperiode für möglich. Deutschland könnte das EU-Defizitkriterium einhalten und die Arbeitslosenzahl um eine halbe bis dreiviertel Million senken. Selbst mit einer großen Koalition geschehen keine Wunder. In jedem Fall braucht die Rückkehr auf den Wachstumspfad Zeit. Klaus F. Zimmermann (53) leitet mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin eines der führenden ökonomischen Institute der Bundesrepublik. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Statistik in Mannheim und arbeitete unter anderem an den Universitäten von Pennsylvania, München und Kyoto. Seit 1998 ist er Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in Bonn, seit 2001 Honorarprofessor für Volkswirtschaft an der FU Berlin.