Der nicht-infektiöse Positive und die Folgen für die Sexualität Ändert eine gelungene HIV-Therapie unseren Sex? Christopher Knoll Dipl.-Psych. Münchner Aids-Hilfe e.V. Beginn der Diskussion: Schweiz, EKAF „Eine HIV-infizierte Person unter einer antiretroviralen Therapie, mit vollständig supprimierter Virämie (sART) ist sexuell nicht infektiös, gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter.“ Eidgenössische Kommission für Aidsfragen, 30. Januar 2008 Was ist die „Viruslastmethode“? • Die Nicht-Infektiosität von erfolgreich antiretroviral behandelten HIV-Positiven (Kriterium: Viruslast unter der Nachweisgrenze) ist weitgehend wissenschaftlicher Konsens. Kriterien hierbei sind: – Behandlung länger als 6 Monate – Ärztliche Konsultation alle 3 Monate – Abwesenheit sonstiger sexuell übertragbarer Infektionen (?) • Ungeschützter Sex eines HIV-Negativen oder Ungetesteten mit einem HIV-Positiven, auf den obige Kriterien zutreffen, gilt als Safer Sex. Dies bezeichnen wir als „Viruslastmethode“. Einfluss von HIV auf das Sexualleben von Positiven • 62%: • 58%: • 36%: HIV mindert meinen Spaß an Sexualität HIV hat einen negativen Einfluss auf meine Libido. Wegen meiner HIV-Infektion hab ich aufgehört Sex zu haben Umfrage in Australien 2009, erreichte 6,6% aller Positiven – Durchschnittsalter 48 Jahre Studie Castro et al. 2012 (Frankreich) * Befragung von 997 positiven Männern und Frauen in Frankreich: • 57% kennen die Aussagen des EKAF-Statements (insbesondere Personen mit besserem sozioökonomischen Status, guter ärztlicher Kontrolle und guter Integration in die LGBT-Community) • Davon wurden nur 30% durch ihre Ärzte informiert, 53% durch Kontakt zu einer HIVOrganisation, 27% Internet, 17% Presse. • 64% der Informierten hatten weniger Angst, einen Partner mit HIV zu infizieren. * The „Swiss Statement“: Who knows about it? How do they know? What are its effects on people living with HIV/AIDS? In: AIDS Care: Psychological and Socio-medical Aspects of AIDS/HIV 24:8, 1013-1019 Studie Castro et al. 2012 (Frankreich) - 2 • Veränderung/Verbesserung des Sexuallebens: 71% keine Änderung, 14% Verbesserung. • 56% finden es jetzt leichter, mit dem Partner über HIV zu sprechen • Kondomgebrauch: Bei 65% keine Änderung, bei 11% weniger und bei 10% mehr Kondomgebrauch. • Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme: 65% keine Änderung, 15% Verbesserung, 1% Verschlechterung Juli 2011 Der Beleg für HPTN die erste die 052 Heteros Interventionsstudie © DAH / Armin Schafberger 2015 7 Die große schöne... Interventionsstudie HPTN 052 Nur 37 MSM Paare (2%) Therapie sofort CD4 350-550 Therapie später CD4 <250 oder Symptome oder AIDS © DAH / Armin Schafberger 2015 8 HPTN 052 : HIV-Übertragungen am Ende der Studie (Median 1,7 Jahre) Therapie sofort Keine Monogamie Es gab auch STI…. Kontrolle und Therapie alle 3 Monate Therapie später Errechneter Schutzeffekt: 96% (linked = vom Partner) 23/28 Übertragungen (82%) in Subsahara Afrika (bei 54% der Teilnehmern) 64% der Übertragungen von Frau zu Mann (bei 50% Frauen) © DAH / Armin Schafberger 2015 9 HPTN 052 : Nachbeobachtung, Stand Juli 2015 (IAS) KEINE Infektion… NEUE DATEN 2015 …wenn der Partner wirkungsvoll behandelt wurde. 10 Jahre Beobachtung 4 Infektionen… 9822 Personenjahre ….kurz nach dem Start der Therapie (VL noch nicht unter der Nachweisgrenze) 4 Infektionen… ….bei Therapieversagen mit ansteigen der Viruslast © DAH / Armin Schafberger 2015 10 Diskurse um die Datenlage MSM •Kann man die Ergebnisse von Heterosexuellen auf MSM übertragen? •Inwieweit ist Analverkehr riskanter? •Was ist mit STI, die bei MSM häufiger sind (Syphilis, LGV)? •Spielen andere Faktoren (Poppers, Sexualpraktiken) eine Rolle? •….daher zwei Studien mit MSM…. © DAH / Armin Schafberger 2015 11 HIV STI und ART: Studien Australien: Opposites Attract Europa: Partner Study © DAH / Armin Schafberger 2015 12 Europa: Partner Study “Partners of people on ART: a New Evaluation of the Risks” Heterosexuelle und homosexuelle Paare www.partnerstudy.eu © DAH / Armin Schafberger 2015 13 Partner Study Deutschland: Hamburg Ermittlung des HIV-Übertragungsrisikos Bochum beim Sex ohne Kondom, wenn der/die Köln Partner/in effektiv antiretroviral Bonn behandelt ist Frankfurt München Berlin Zwischenergebnisse • Retroviruskonferenz, Boston, 4. 3. 2014 • Praxen Driesener Straße (Dupke, Carganico, Baumgarten, Krznaric, …) Motzstraße (Jessen-JessenStein) © DAH / Armin Schafberger 2015 14 Partner Study 3 Jahre lang alle 6 Monate • Risikofragebogen zu Sexualverhalten (vertraulich) • Klinische Daten einschl. Viruslast (HIV+) • HIV-Test (HIV-) Teilnehmer/innen am 1. Nov 2013 • 1100 Paare • 767 Paare tragen zu 894 Paar-Beobachtungsjahren bei • Nicht in Rechnung aufgenommen wg. fehlendem follow up (71%), kein HIV-Test (5%), PEP/PREP (3%), kein kondomloser Sex (3%), VL >200/ml (16%) © DAH / Armin Schafberger 2015 15 Partner Study HIV-neg Partner berichten kondomlosen Sex © DAH / Armin Schafberger 2015 16 Partner Study Zwischenergebnis •Keine Übertragung vom Partner •Einige (wie viele?) Übertragungen von Partnern außerhalb der Beziehung (phylogenetisch gesichert) © DAH / Armin Schafberger 2015 17 Hetero Paare Übertragunsrate pro Paar über 10 Jahre maximal (obere Grenze des 95% Konfidenzintervalls) 3,9% Partner Study HIV-Übertragungsrate (=0) für 100 Beobachtungsjahre und Homo Paare Übertragunsrate pro Paar über 10 Jahre maximal (obere Grenze des 95% Konfidenzintervalls) 9,2% 95%-Konfidenzintervalle © DAH / Armin Schafberger 2015 18 Partner Study Phase 2: mehr schwule Teilnehmer 2014 – März 2017 Datenlage bei homosexuellen Paaren soll besser werden 75 Kliniken/Praxen in 14 Europäischen Ländern Weitere 450 Paare (MSM) gesucht Ziel: 900 © DAH / Armin Schafberger 2015 19 Australien: Opposites Attract Zwischenergebnis der MSM Partner Study Grulich, CROI, Atlanta, März 2015 © DAH / Armin Schafberger 2015 20 Australien: Opposites Attract Zwischenergebnis 234 MSM-Paare (keine Hetero-Paare) • Sydney, Melbourne, Brisbane • Bangkok, Rio de Janeiro © DAH / Armin Schafberger 2015 21 Australien: Opposites Attract Zwischenergebnis 6000 Sexualkontakten (3569 insertiv, 2337 rezeptiv) KEINE Übertragung durch den festen Partner – aber Übertragungen durch andere Sexualkontakte Viruslast (VL): Bei 5656 Kontakten lag die nächste VL<Nachweisgrenze (200/ml), bei 237 darüber © DAH / Armin Schafberger 2015 22 Australien: Opposites Attract Wie geht es weiter? Mehr MSM-Paare in die Studie (bis 700-900 Paare) Nach 3-4 Jahren soll dann ein statistisch belastbares Ergebnis vorliegen (also ca. 2018-2019) © DAH / Armin Schafberger 2015 23 Botschaften müssen kurz und klar sein auch für Staatsanwälte © DAH / Armin Schafberger 2015 24 Mögliche Auswirkungen auf Positive I • Die für viele gravierendsten Auswirkungen der HIV-Infektion, Stigmatisierung und Diskriminierung, könnte in bestimmten Bereichen verringert werden. • Psychischer Profit: Mit der Infektiosität entfällt der psychodynamisch schwierigste Teil der HIV-Infektion • Bei vielen lassen Schuldgefühle wegen Ihrer Infektion oder Infektiosität nach. • Steigerung des Selbstwertgefühls und des sexuellen Selbstbewusstseins • Entspannung in der körperlichen (sexuellen wie nichtsexuellen) Interaktion mit Negativen oder Ungetesteten Mögliche Auswirkungen auf Positive II • Aber auch: Sich unter Druck gesetzt fühlen – und Schwierigkeiten, das Kondom wegzulassen. • Größere Verpflichtung zur Therapietreue Schwierig bei Patienten mit Co-Morbiditäten wie Depression oder Suchterkrankung • Unsicherheit, wie man sich nun verhalten soll • Größere Bereitschaft, die HIV-Infektion zu veröffentlichen • Größer Versuchung, die HIV-Infektion zu verschweigen • Trennung der Positiven in „Behandelte“ und „Nicht-Behandelte“ • Eingehen größerer STI-Risiken • … Grundbedingung der Viruslastmethode ist Verpflichtung zu Veröffentlichung des Serostatus (?) Strafrecht „Ein auf das HI-Virus positiv getestete Person, die ohne Wissen und Willen des Partners diesen beim Sexual-kontakt mit dem Virus ansteckt, macht sich der gefährlichen Körperverletzung nach den §§ 223, 224 StGB strafbar. Dazu ist es nicht notwendig, dass die Krankheit AIDS unmittelbar nach der strafbaren Handlung ausbricht und dadurch die Gesundheit schädigt. Auch der Versuch ist hierbei strafbar.“ RA Dr. Jesko Baumhöfener Aktion von Positiven auf Facebook: Gruppe „Wir machen‘s ohne – Safer Sex durch Therapie“ a Mögliche Auswirkung auf HIV-Negative • Möglichkeit zum angstfreien Sex ohne Kondom Kommentar auf „barebackcity.de“: „Bin HIV negativ. Habe aber lieber Sex mit Positiven die dazu stehen und ihre Viruslast im Griff haben, bevor ich mich mit angeblich Negativen, die einfach nur nicht getestet sind, treffe!!!“ • Verunsicherung bis hin zu Angst • Gefahr dass Angst vom positiven Partner als Zurückweisung erlebt wird • Abbau von Angst • Abgabe von Autonomie • … Entscheidendes Kriterium: Information Mögliche Auswirkung auf diskordante Paare • • • • • • • • Sexuelle Distanz sinkt HIV wird entdramatisiert, Nomalisierung der Verhältnisse Die HIV-bedingte Kluft in der Beziehung wird verringert Wenn beide Partner zustimmen kann beim Sex auf Schutz verzichtet und damit auch bei heterosexuellen Paare der Kinderwunsch ohne technische Hilfsmittel realisiert werden Es kann auch als Druck erlebt werden, das Verhalten ändern zu müssen Risiko: Expliziter oder impliziter Druck auf den negativen Partner, keine Angst mehr haben zu dürfen Bei Heterosexuellen Reaktivierung der Fragen zur Empfängnisverhütung … In welchem Setting wird die Frage verhandelt? • In welcher Form von Beziehung stehen die Partner zueinander? • Information über Viruslastmethode verfügbar oder nicht • Ich vertraue der Information oder nicht • Infektion offen oder verborgen • Veröffentl. der Infektion zu früh - (zu) spät • Setting anonym oder nicht • Strafrechtlich relevant oder nicht • Kriterien: Beziehung oder nicht Fragen • Wie ist es mit der Informations- bzw. Veröffentlichungsbereitschaft bei flüchtigen oder anonymen Sexkontakten? • Wird der Mut einer erhöhten Veröffentlichungsbereitschaft belohnt oder bestraft? • Soll/muss EKAF für mich eine Relevanz haben? • … Vielen Dank! [email protected]