Januar 2016 - Frankfurter Vortrag von Herrn Knoll zum Thema

Werbung
Der nicht-infektiöse Positive
und die Folgen für die Sexualität
Ändert eine gelungene HIV-Therapie
unseren Sex?
Christopher Knoll
Dipl.-Psych.
Münchner Aids-Hilfe e.V.
Beginn der Diskussion: Schweiz, EKAF
„Eine HIV-infizierte Person
unter einer antiretroviralen
Therapie, mit vollständig
supprimierter Virämie (sART) ist
sexuell nicht infektiös, gibt das
HI-Virus über Sexualkontakte
nicht weiter.“
Eidgenössische Kommission für Aidsfragen,
30. Januar 2008
Was ist die „Viruslastmethode“?
• Die Nicht-Infektiosität von erfolgreich antiretroviral
behandelten HIV-Positiven (Kriterium: Viruslast unter der
Nachweisgrenze) ist weitgehend wissenschaftlicher
Konsens. Kriterien hierbei sind:
– Behandlung länger als 6 Monate
– Ärztliche Konsultation alle 3 Monate
– Abwesenheit sonstiger sexuell übertragbarer Infektionen (?)
• Ungeschützter Sex eines HIV-Negativen oder
Ungetesteten mit einem HIV-Positiven, auf den obige
Kriterien zutreffen, gilt als Safer Sex. Dies bezeichnen wir
als „Viruslastmethode“.
Einfluss von HIV auf das
Sexualleben von Positiven
• 62%:
• 58%:
• 36%:
HIV mindert meinen Spaß an
Sexualität
HIV hat einen negativen Einfluss
auf meine Libido.
Wegen meiner HIV-Infektion hab
ich aufgehört Sex zu haben
Umfrage in Australien 2009, erreichte 6,6% aller Positiven –
Durchschnittsalter 48 Jahre
Studie Castro et al. 2012 (Frankreich) *
Befragung von 997 positiven Männern und Frauen in
Frankreich:
• 57% kennen die Aussagen des EKAF-Statements
(insbesondere Personen mit besserem sozioökonomischen Status, guter ärztlicher Kontrolle
und guter Integration in die LGBT-Community)
• Davon wurden nur 30% durch ihre Ärzte
informiert, 53% durch Kontakt zu einer HIVOrganisation, 27% Internet, 17% Presse.
• 64% der Informierten hatten weniger Angst, einen
Partner mit HIV zu infizieren.
* The „Swiss Statement“: Who knows about it? How do they know? What are its effects on people living with HIV/AIDS?
In: AIDS Care: Psychological and Socio-medical Aspects of AIDS/HIV 24:8, 1013-1019
Studie Castro et al. 2012 (Frankreich) - 2
• Veränderung/Verbesserung des Sexuallebens:
71% keine Änderung, 14% Verbesserung.
• 56% finden es jetzt leichter, mit dem Partner über
HIV zu sprechen
• Kondomgebrauch: Bei 65% keine Änderung, bei
11% weniger und bei 10% mehr
Kondomgebrauch.
• Zuverlässigkeit der Medikamenteneinnahme:
65% keine Änderung, 15% Verbesserung, 1%
Verschlechterung
Juli 2011
Der Beleg für
HPTN
die erste
die 052
Heteros
Interventionsstudie
© DAH / Armin Schafberger 2015
7
Die große schöne... Interventionsstudie HPTN 052
Nur 37 MSM
Paare (2%)
Therapie sofort
CD4 350-550
Therapie später
CD4 <250 oder Symptome oder AIDS
© DAH / Armin Schafberger 2015
8
HPTN 052 : HIV-Übertragungen am Ende der Studie (Median
1,7 Jahre)
Therapie sofort
Keine Monogamie
Es gab auch STI….
Kontrolle und Therapie alle 3 Monate
Therapie später
Errechneter Schutzeffekt: 96% (linked = vom Partner)
23/28 Übertragungen (82%) in Subsahara Afrika (bei 54% der Teilnehmern)
64% der Übertragungen von Frau zu Mann (bei 50% Frauen)
© DAH / Armin Schafberger 2015
9
HPTN 052 : Nachbeobachtung, Stand Juli 2015 (IAS)
KEINE Infektion…
NEUE DATEN
2015
…wenn der Partner wirkungsvoll behandelt wurde.
10 Jahre
Beobachtung
4 Infektionen…
9822
Personenjahre
….kurz nach dem Start der Therapie (VL noch nicht unter
der Nachweisgrenze)
4 Infektionen…
….bei Therapieversagen mit ansteigen der Viruslast
© DAH / Armin Schafberger 2015
10
Diskurse um die Datenlage
MSM
•Kann man die Ergebnisse von Heterosexuellen auf MSM übertragen?
•Inwieweit ist Analverkehr riskanter?
•Was ist mit STI, die bei MSM häufiger sind (Syphilis, LGV)?
•Spielen andere Faktoren (Poppers, Sexualpraktiken) eine Rolle?
•….daher zwei Studien mit MSM….
© DAH / Armin Schafberger 2015
11
HIV STI und ART: Studien
Australien: Opposites
Attract
Europa: Partner Study
© DAH / Armin Schafberger 2015
12
Europa: Partner Study
“Partners of people on ART: a New
Evaluation of the Risks”
Heterosexuelle und homosexuelle
Paare
www.partnerstudy.eu
© DAH / Armin Schafberger 2015
13
Partner Study
Deutschland:
Hamburg
Ermittlung des HIV-Übertragungsrisikos
Bochum
beim Sex ohne Kondom, wenn der/die
Köln
Partner/in effektiv antiretroviral
Bonn
behandelt ist
Frankfurt
München
Berlin
Zwischenergebnisse
•
Retroviruskonferenz, Boston, 4. 3. 2014
•
Praxen
Driesener Straße (Dupke,
Carganico, Baumgarten,
Krznaric, …)
Motzstraße (Jessen-JessenStein)
© DAH / Armin Schafberger 2015
14
Partner Study
3 Jahre lang alle 6 Monate
•
Risikofragebogen zu Sexualverhalten (vertraulich)
•
Klinische Daten einschl. Viruslast (HIV+)
•
HIV-Test (HIV-)
Teilnehmer/innen am 1. Nov 2013
•
1100 Paare
•
767 Paare tragen zu 894 Paar-Beobachtungsjahren bei
•
Nicht in Rechnung aufgenommen wg. fehlendem follow up (71%), kein HIV-Test
(5%), PEP/PREP (3%), kein kondomloser Sex (3%), VL >200/ml (16%)
© DAH / Armin Schafberger 2015
15
Partner Study
HIV-neg Partner berichten kondomlosen Sex
© DAH / Armin Schafberger 2015
16
Partner Study
Zwischenergebnis
•Keine Übertragung vom Partner
•Einige (wie viele?) Übertragungen von
Partnern außerhalb der Beziehung
(phylogenetisch gesichert)
© DAH / Armin Schafberger 2015
17
Hetero Paare
Übertragunsrate
pro Paar über 10
Jahre maximal
(obere Grenze des
95% Konfidenzintervalls)
3,9%
Partner Study
HIV-Übertragungsrate (=0) für
100 Beobachtungsjahre und
Homo Paare
Übertragunsrate
pro Paar über 10
Jahre maximal
(obere Grenze des
95% Konfidenzintervalls)
9,2%
95%-Konfidenzintervalle
© DAH / Armin Schafberger 2015
18
Partner Study Phase 2:
mehr schwule Teilnehmer
2014 – März 2017
Datenlage bei homosexuellen Paaren soll besser werden
75 Kliniken/Praxen in 14 Europäischen Ländern
Weitere 450 Paare (MSM) gesucht
Ziel: 900
© DAH / Armin Schafberger 2015
19
Australien: Opposites Attract
Zwischenergebnis der MSM Partner
Study
Grulich, CROI, Atlanta, März 2015
© DAH / Armin Schafberger 2015
20
Australien: Opposites Attract
Zwischenergebnis
234 MSM-Paare (keine Hetero-Paare)
•
Sydney, Melbourne, Brisbane
•
Bangkok, Rio de Janeiro
© DAH / Armin Schafberger 2015
21
Australien: Opposites Attract
Zwischenergebnis
6000 Sexualkontakten (3569 insertiv, 2337 rezeptiv)
KEINE Übertragung durch den festen Partner – aber
Übertragungen durch andere Sexualkontakte
Viruslast (VL): Bei 5656 Kontakten lag die nächste
VL<Nachweisgrenze (200/ml), bei 237 darüber
© DAH / Armin Schafberger 2015
22
Australien: Opposites Attract
Wie geht es weiter?
Mehr MSM-Paare in die Studie (bis 700-900 Paare)
Nach 3-4 Jahren soll dann ein statistisch belastbares
Ergebnis vorliegen (also ca. 2018-2019)
© DAH / Armin Schafberger 2015
23
Botschaften müssen kurz und klar sein
auch für Staatsanwälte
© DAH / Armin Schafberger 2015
24
Mögliche Auswirkungen auf Positive I
• Die für viele gravierendsten Auswirkungen der HIV-Infektion,
Stigmatisierung und Diskriminierung, könnte in bestimmten
Bereichen verringert werden.
• Psychischer Profit: Mit der Infektiosität entfällt der
psychodynamisch schwierigste Teil der HIV-Infektion
• Bei vielen lassen Schuldgefühle wegen Ihrer Infektion oder
Infektiosität nach.
• Steigerung des Selbstwertgefühls und des sexuellen
Selbstbewusstseins
• Entspannung in der körperlichen (sexuellen wie nichtsexuellen) Interaktion mit Negativen oder Ungetesteten
Mögliche Auswirkungen auf Positive II
• Aber auch: Sich unter Druck gesetzt fühlen – und Schwierigkeiten,
das Kondom wegzulassen.
• Größere Verpflichtung zur Therapietreue  Schwierig bei
Patienten mit Co-Morbiditäten wie Depression oder
Suchterkrankung
• Unsicherheit, wie man sich nun verhalten soll
• Größere Bereitschaft, die HIV-Infektion zu veröffentlichen
• Größer Versuchung, die HIV-Infektion zu verschweigen
• Trennung der Positiven in „Behandelte“ und „Nicht-Behandelte“
• Eingehen größerer STI-Risiken
• …
Grundbedingung der Viruslastmethode ist Verpflichtung zu
Veröffentlichung des Serostatus (?)
Strafrecht
„Ein auf das HI-Virus positiv getestete Person, die
ohne Wissen und Willen des Partners diesen beim
Sexual-kontakt mit dem Virus ansteckt, macht sich der
gefährlichen
Körperverletzung nach den §§ 223, 224 StGB
strafbar. Dazu ist es nicht notwendig, dass die
Krankheit AIDS unmittelbar nach der strafbaren
Handlung ausbricht und dadurch die Gesundheit
schädigt. Auch der Versuch ist hierbei strafbar.“
RA Dr. Jesko Baumhöfener
Aktion von Positiven auf Facebook:
Gruppe „Wir machen‘s ohne – Safer Sex durch Therapie“
a
Mögliche Auswirkung auf HIV-Negative
• Möglichkeit zum angstfreien Sex ohne Kondom Kommentar auf „barebackcity.de“:
„Bin HIV negativ. Habe aber lieber Sex mit Positiven die
dazu stehen und ihre Viruslast im Griff haben, bevor ich
mich mit angeblich Negativen, die einfach nur nicht
getestet sind, treffe!!!“
• Verunsicherung bis hin zu Angst
• Gefahr dass Angst vom positiven Partner als
Zurückweisung erlebt wird
• Abbau von Angst
• Abgabe von Autonomie
• …
Entscheidendes Kriterium: Information
Mögliche Auswirkung auf diskordante Paare
•
•
•
•
•
•
•
•
Sexuelle Distanz sinkt
HIV wird entdramatisiert, Nomalisierung der Verhältnisse
Die HIV-bedingte Kluft in der Beziehung wird verringert
Wenn beide Partner zustimmen kann beim Sex auf Schutz
verzichtet und damit auch bei heterosexuellen Paare der
Kinderwunsch ohne technische Hilfsmittel realisiert werden
Es kann auch als Druck erlebt werden, das Verhalten
ändern zu müssen
Risiko: Expliziter oder impliziter Druck auf den negativen
Partner, keine Angst mehr haben zu dürfen
Bei Heterosexuellen Reaktivierung
der Fragen zur Empfängnisverhütung
…
In welchem Setting wird die Frage verhandelt?
• In welcher Form von Beziehung stehen die
Partner zueinander?
• Information über Viruslastmethode verfügbar
oder nicht
• Ich vertraue der Information oder nicht
• Infektion offen oder verborgen
• Veröffentl. der Infektion zu früh - (zu) spät
• Setting anonym oder nicht
• Strafrechtlich relevant oder nicht
• Kriterien: Beziehung oder nicht
Fragen
• Wie ist es mit der Informations- bzw.
Veröffentlichungsbereitschaft bei flüchtigen
oder anonymen Sexkontakten?
• Wird der Mut einer erhöhten
Veröffentlichungsbereitschaft belohnt oder
bestraft?
• Soll/muss EKAF für mich eine Relevanz haben?
• …
Vielen Dank!
[email protected]
Herunterladen