Schlafbezogene Bewegungs-störungen und Parasomnien

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Thema zum Schwerpunkt
© Schattauer 2009
Schlafbezogene Bewegungsstörungen und Parasomnien
G. Mayer
Hephata Klinik, Schwalmstadt-Treysa
Schlüsselwörter
Keywords
Schlafbezogene Bewegungsstörungen, Parasomnien, Pathophysiologie, Klinik, Diagnostik, Therapie
Sleep related movement disorders, parasomnias, pathophysiology, symptoms, diagnosis,
therapy
Zusammenfassung
Summary
Schlafbezogene Bewegungsstörungen und
Parasomnien sind häufig genetisch bedingt,
treten als komorbide oder assoziierte Erkrankungen bei körperlichen Erkrankungen oder
anderen Schlafstörungen auf und können
durch viele Medikamente ausgelöst werden.
Sie sind meistens klinisch diagnostizierbar,
sollten aber im Schlaflabor untersucht werden, wenn die Standardtherapien nicht erfolgreich sind, selbst- oder fremdgefährdende
nächtliche Verhaltensweisen oder vermehrte
Tagesschläfrigkeit auftreten. Während die
schlafbezogenen Bewegungsstörungen wie
Restless Legs Syndrom und Bruxismus sehr
häufig in der Bevölkerung auftreten, handelt
es sich bei den Parasomnien um weniger häufig auftretende Erkrankungen, die zudem in
ihrer medizinischen Bedeutung oft unterschätzt werden. Die Erforschung der REM
Schlafverhaltensstörung, die zu mehr als 70%
neurodegenerativen Erkrankungen jahrelang
vorausgeht, hat dazu geführt, die Parasomnien in der Neurologie wieder stärker zu beachten.
Sleep related movement disorders and parasomnias are frequently of genetic origin,
occur as comorbid or associated disorders in
organic and sleep disorders, and can be triggered by multiple medications. Their diagnosis
is mainly clinical. Diagnostic evaluation in a
sleep laboratory should be performed if the
standard therapies are not successful, or if
they are accompanied by injurious nocturnal
behavior or excessive daytime sleepiness.
Sleep related movement disorders such as the
restless legs syndrome and nocturnal bruxism
occur frequently in the general population,
whereas the parasomnias are less frequent,
and often underestimated in their medical impact. Recent investigations have shown that
the REM sleep behaviour disorder is preceding neurodegenerative disorders in 70%, and
have raised new interest for this disorder in
the field of neurology.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Geert Mayer
Hephata Klinik
Schimmelpfengstr. 6, 34613 Schwalmstadt-Treysa
Tel. 06691/1820-02, Fax -40
[email protected]
Sleep related movement disorders and
parasomnias
Nervenheilkunde 2009; 28: 267–272
Eingegangen am: 29. Dezember 2008;
angenommen am: 19. Januar 2009
Im Schlaf wird die Aktivität der quergestreiften Muskulatur reduziert. Die Reduktion erfolgt in ultradianen Zyklen, die den NREMREM-Zyklen entsprechen. Der Muskeltonus
steigt im Verlauf der NREM-Phase stetig an
und erreicht sein Maximum kurz vor Beginn
der REM-Phase, in der er fast atonisch ist. In
jedem Zyklus nimmt die Muskelaktivität gegenüber dem Vorzyklus ab (7).
Die Zentren für die Schlaf-wach-Regulation liegen im Hirnstamm. Sie zeigen enge Verbindungen mit den zirkadianen Rhythmusgebern, lokomotorischen, autonomen, limbischen und respiratorischen Zentren. Prinzipiell können alle transienten oder reversiblen
Läsionen unterschiedlichster Ursache in dieser Region zu Schlafstörungen führen, die
nächtliche motorische Ereignisse zur Folge
haben können. Oft sind die nächtlichen Bewegungsstörungen genetisch bedingt z. B.
beim Restless-legs-Syndrom (RLS) oder dem
Schlafwandeln. Es ist daher immer wichtig,
die Familienanamnese gezielt zu erfragen. Da
die nächtlichen Bewegungsstörungen oft
durch Medikamente oder körperliche Erkrankungen verursacht werden oder als komorbide oder assoziierte Erkrankungen auftreten können, kommt der sorgfältigen
Anamnese eine große Bedeutung zu.
Die Internationale Klassifikation der
Schlafstörungen von 2005 (International
Classification of Sleep Disorders: ICSD2) unterteilt die nächtlichen motorischen Störungen in die schlafbezogenen Bewegungsstörungen und die Parasomnien.
Schlafbezogene Bewegungsstörungen:
● RLS
● Periodic-limb-movement-disorder
(PLMD, Periodische Bewegungen der
Extremitäten)
● nächtliche Beinmuskelkrämpfe
● schlafbezogenes Zähneknirschen
● schlafbezogene rhythmische Bewegungsstörungen
Parasomnien:
● Arousalstörungen (Parasomnien aus dem
NREM-Schlaf):
– Schlafwandeln
– Pavor nocturnus (Nachtterror)
● Parasomnien, die meist mit dem REMSchlaf assoziiert sind:
– REM-Schlaf-Verhaltensstörung
– rezidivierende isolierte Schlafparalyse
– Albträume
● Andere Parasomnien:
– Enuresis nocturna
– schlafbezognes Stöhnen (Katathrenie)
– „Exploding Head Syndrome“
– schlafbezogene Halluzinationen
– schlafbezogene Essstörungen
– Parasomnien durch Drogen, Medikamente und Substanzen
– Parasomnien durch körperliche
Erkrankungen
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Schlafbezogene
Bewegungsstörungen
Es handelt sich um relativ einfache, stereotype, nicht intentionale schlafbezogene Bewegungen, die den Schlaf stören. Sämtliche
Körpermuskeln können involviert sein. Das
RLS wird klassifiziert, da es mit den stereotypen PLMD assoziiert ist. Einige der schlafbezogenen Bewegungsstörungen können auch
im Wachen auftreten. Zum RLS und den
PLMD werden nur die neuesten Daten vorgestellt.
Restless-legs-Syndrom
Leitsymptom ist der unangenehme Bewegungsdrang der Beine, selten auch der Arme
in Entspannung, am Abend oder in der
Nacht. Die sensiblen Missempfindungen der
Extremitäten können durch Bewegung meist
gelindert werden. Nächtliche Schlafstörungen und Tagesschläfrigkeit sind oft die Folge
(1).
Die Prävalenz des idiopathischen RLS ist
bei Angehörigen ersten Grades drei- bis fünfmal so hoch wie bei Personen ohne RLS. Neue
genetische Untersuchungen zeigten eine
hochsignifikante Assoziation von RLS mit
Meis1 und BTBD9 auf den Genen 2p, 6p und
15q, wobei jede genetische Variante ein Risiko
von > 50% für RLS hat. Meis1 ist beteiligt an
der der Extremitätenentwicklung, sodass die
Überlegung nahe liegt, dass es sich bei RLS
um eine genetisch bedingte Entwicklungsstörung handelt (32).
RLS und PLMD werden klinisch diagnostiziert und bedürfen nur in seltenen Fällen einer Bestätigung im Schlaflabor. In den letzten
zwei Jahren wurden zur Therapie Rotigotin
und Ropinirol, für die Studien der höchsten
Evidenz vorliegen, zugelassen. Die Behandlungsempfehlungen sind den Leitlinien der
DGN zu entnehmen (www.dgn.org).
Der schlafbezogene Bruxismus ist mit einer Prävalenz von 6% in der Bevölkerung eine häufige schlafbezogenen Bewegungsstörung (13), die mit dem Alter zunimmt. Er ist
gekennzeichnet durch stereotypes Zähneknirschen bzw. Zusammenbeißen der Zähne,
das polysomnografisch mit schlafstörenden
Arousals einhergehen kann. Der primäre
Bruxismus zeigt keine klar erkennbaren Auslöser. Der sekundäre schlafbezogene Bruxismus wird verursacht durch Gebrauch von
Stimulanzien, Genussmitteln oder körperliche Erkrankungen. Bei Gesunden tritt Bruxismus bevorzugt zu Zeiten von besonderer
psychischer Anspannung auf. Bei unklarer
Diagnose kann gegebenenfalls die EMGAnalyse des M. masseter in der Nacht hilfreich sein (33). Eine Therapie ist indiziert,
wenn der Bruxismus chronische Schmerzen
und muskuläre Verspannungen im Bereich
der Kiefergelenke verursacht oder wenn die
Mahlbewegungen der Zähne im Schlaf das
Gebiss nachhaltig schädigen bzw. Kopfschmerzen verursachen. Zur Anwendung
kommen nicht medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen (16).
Schlafbezogene rhythmische
Bewegungsstörungen
Sie beginnen meist im Kindesalter (bis zum 9.
Lebensmonat bei 33%, im 5. Lebensjahr bei
5%), können selten bis ins höhere Alter persistieren und stören den Schlaf meist nicht
(34). In der Polysomnografie imponieren sie
als rhythmische hypersynchron wirkenden
EEG-Artefakte (씰Abb. 1). Wenn das nächtliche Verhalten zu Selbstverletzungen führt,
können Verhaltenstherapie und/oder Benzodiazepinrezeptoragonisten eingesetzt werden.
Krämpfe
Schlafbezogene Beinkrämpfe verursachen
heftige Schmerzen im Bereich der Waden
bzw. Füße bedingt durch Muskelkontraktionen. Sie treten spontan auf und dauern weniger als einer Sekunde bis zu einigen Minuten.
Meist sistieren sie spontan. Die Therapie besteht in Dorsalflexion des Fußes, Wärmeanwendung oder Massage. Im Kindesalter sind
ca. 7% betroffen, bei den über 80-Jährigen
50%.
Parasomnien
Abb. 1 Rhythmische schlafbezogene Bewegungsstörung aus dem REM-Schlaf; EOG: Elektrookulogramm, li: links, re: rechts. EMG tib: EMG M. tibialis anterior. SaO2: Sauerstoffsättigung
Die IICSD2 klassifiziert die Parasomnien als
unerwünschte körperliche Symptome und
Verhaltensweisen, die in bestimmten Phasen
des Schlafverlaufs im Zusammenhang mit
zentralnervösen Aktivierungsreaktionen auftreten. Sie werden nicht als primäre Schlafstörungen angesehen. Je nach Erkrankung und
Ereignis zeigen die Symptome ein Spektrum
von einfachen, autonomen Reaktionen bis hin
zu kurzen, oft stereotypen oder komplexen,
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zielgerichteten, lang anhaltenden motorischen Aktionen. Diese Ereignisse finden an
den Übergängen vom Wachen zum Schlafen
oder bei Schlafstadienwechseln und umgekehrt aus dem Schlaf heraus statt. Sie sind
nicht willkürlich gesteuert und meist nicht
der äußeren Situation angemessen, das heißt,
sie wirken oft psychogen bis halluzinatorisch.
Bei einzelnen Parasomnien bestehen direkte
Zusammenhänge mit Trauminhalten. Die
nächtlichen Ereignisse können zu Eigen- oder
Fremdverletzung und Gefährdung führen.
Pathogenese und Genetik
Obwohl die Parasomnien an den Wechsel
zwischen Wachen und Schlafen oder verschiedene Schlafstadien gebunden sind, entsprechen sie nicht einfachen „Arousal“, die
nur kurze, definierte Änderungen eines Zustandes anzeigen. Motorische Ereignisse im
Schlaf werden von lokomotorischen Zentren
der Medulla oblongata bis zum Mesenzephalon gesteuert, die ohne direkte kortikale Kontrolle komplexes Verhalten generieren können. Die Zentren projizieren zum Rückenmark, wo ebenfalls unabhängige motorische
Muster generiert werden können (5). Während des REM-Schlafs sind die lokomotorischen Zentren nicht aktiviert, können jedoch
bei entsprechenden Läsionen motorischer
hemmender Zentren aktiv werden (z. B. Locus subcoeruleus). Medikamente führen am
häufigsten zu einer Störung des Gleichgewichts der Neurotransmitter der Schlafwach-Regulation und können eine Instabilität zwischen den Schlafstadien oder der Hemmung/Enthemmung von zentraler Motorik
mit nächtlichen motorischen Phänomenen
erzeugen. Für die Regulation der Motorik
spielen dopaminerge, glutamaterge, glyzinerge und gabaerge Neurone eine große Rolle.
Dopaminerg sind Locus coeruleus und subcoeruleus, glutamaterg Nucleus magnocellularis, glyzinerg der Tractus reticularis spinalis
und gabaerg motorische Interneurone.
Ein gleichzeitiges Auftreten von an den
REM- und NREM-Schlaf gebundenen Parasomnien ist mehrfach beschrieben worden.
Offensichtlich benutzen die Parasomnien bei
unterschiedlicher Pathophysiologie die gleichen motorischen Kerne, sodass die alimentären, defensiven, lokomotorischen, sexuellen und emotionalen Verhaltensweisen oft
sehr ähnlich sein können (31). Epidemiologische Untersuchungen, Zwillingsforschung
und Kohortenstudien geben Hinweise auf einen hohen genetischen Anteil beim kindlichen und erwachsenen Somnambulismus,
bei Schlaflähmungen und dem Pavor nocturnus (12 17). Im Folgenden werden nur die für
die Neurologie relevanten Parasomnien aufgeführt.
Die an den NREM-Schlaf gebundenen Parasomnien haben gemeinsame klinische Charakteristika (6, 19):
● Verwirrtheit und Desorientiertheit,
● automatisches Verhalten,
● herabgesetztes Reaktionsvermögen gegenüber externen Stimuli,
● geringe
Reaktion auf Bemühungen,
Wachheit herzustellen,
● retrograde Amnesie für viele während der
Ereignisse auftretende Vorgänge,
● Auftreten meist im ersten Nachtdrittel aus
dem Tiefschlaf (Non-REM-Stadien 3 und
4) heraus.
Die Prävalenz liegt bei Kindern unter zwölf
Jahren bei bis zu 12,5%, bei Erwachsenen 1
bis 4%.
Schlaftrunkenheit
Schlaftrunkenheit ist eine Form der
Schlafinertheit nach dem Erwachen aus
Nacht- oder Tagschlaf. Schlaftrunkene wirken wach, reagieren aber nur eingeschränkt
auf externe Stimuli und zeigen deutliche kognitive Einschränkungen. Für die Schlaftrunkenheit besteht meist eine Amnesie. Das Verhalten kann zielgerichtet, aber situationsinadäquat sein und ist gelegentlich mit inadäquaten sexuellen Handlungen (Sleep Sex),
Reden, Schreien und Bruxismus assoziiert
(28). Meist dauert die Schlaftrunkenheit Minuten, gelegentlich auch Stunden. In den
meisten Fällen tritt Schlaftrunkenheit isoliert
auf. Sie kann aber auch assoziiert sein mit Hypersomnien, Insomnien, zirkadianen Rhythmusstörungen und psychiatrischen Erkrankungen wie Angststörungen oder bipolaren
Depressionen (21). Schichtarbeit, Medikamentenabusus, Alkoholmissbrauch, Schlafentzug, forciertes Wecken, Schlafapnoe,
PLMD und Schädigungen des ZNS können
das Auftreten von Schlaftrunkenheit begünstigen. Die Schlaftrunkenheit bei Kindern
nimmt mit zunehmendem Alter ab und geht
manchmal in Schlafwandeln über. Bei älteren
Individuen persistiert das Krankheitsbild
und zeigt keine Remission Therapeutisch
müssen potenzielle Auslöser vermieden werden oder die zugrunde liegende Störungen
ursächlich behandelt werden. Inadäquate
Handlungen können gelegentlich forensische
Konsequenzen haben.
Pavor nocturnus/Somnambulismus
Pavor nocturnus und Somnambulismus treten meist gemeinsam auf. Beim Pavor nocturnus kommt es zu einem einfachen Aufrichten, häufig begleitet von einem Schrei und
Aktivierung des autonomen Nervensystems
(Tachykardien, Tachypnoen, Hautrötung)
mit intensiver Angst, unverständlichen Vokalisation, Nesteln oder Bewegungen der Arme.
In seltenen Fällen erfolgt ein abruptes Aufspringen aus dem Bett. Die Zustände dauern
wenige Minuten. Bei voll ausgeprägtem
Schlafwandeln wird das Bett nach einem
Arousal meist aus dem Tiefschlaf verlassen.
Das Verhalten ist zielgerichtet und komplex,
die Motorik vergröbert, das Reaktionsvermögen herabgesetzt. Für das Ereignis besteht eine Amnesie, meist wird das Bett wieder aufgesucht, wenn die Parasomnie in der häuslichen Umgebung auftritt. Da die Orientierung
der Schlafwandler unvollständig ist, treten bei
ca. 20% der Betroffenen gelegentlich Selbstverletzungen auf. Ca. zwei Drittel aller Schlafwandler können sich, wenn sie bei den Ereignissen doch erwachen, an Träume erinnern.
Die Augen sind bei den NREM-Parasomnien
geöffnet, der Blick glasig. Dieses klinische
Zeichen ist zur Unterscheidung von der
REM-Schlafverhaltensstörung (geschlossene
Augen) eindeutig. Schlafwandeln ist häufig
assoziiert mit anderen motorischen Ereignissen im Schlaf (Bruxismus, Enuresis, Somniloquie). Assoziationen zwischen Schlafwandeln
und psychiatrischen Erkrankungen konnten
nicht nachgewiesen werden.
Schlafwandeln tritt bei bis zu 30% aller
Kinder zwischen vier und sechs Jahren und
bei 17% aller Kinder bis zur Pubertät auf. Vorläufer dieser Arousalstörung ist bei prädisponierten Kindern „schlechtes Träumen“
(15). Bis zu 4% aller Erwachsenen sind
Schlafwandler, meist schon seit dem Kindesalter. Tritt Schlafwandeln erst im Erwachsenenalter auf, muss eine Erkrankung des ZNS
ausgeschlossen werden. Stress, Schlafentzug,
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Schlafen in ungewohnter Umgebung, Alkohol und übermäßiger Koffeingenuss können
Auslöser sein. Somatosensible Trigger wie
beispielsweise eine volle Blase, Fieber oder
nächtliche Schmerzen sind weitere potenzielle Auslöser. Einige Medikamente wie Lithium, Phenothiazine, Antidepressiva und Anticholinergika können Schlafwandeln verursachen. Kürzlich sind mehrere Patienten mit
Schlafwandeln (Beginn im Erwachsenenalter) bei Parkinson-Erkrankung beschrieben
worden (24).
Die Prävalenz von Schlafwandeln bei Angehörigen ersten Grades wird zehnmal höher
als in der Allgemeinbevölkerung angenommen. 25% aller Eltern von Patienten mit
Schlafwandeln und Pavor nocturnus hatten
diese Parasomnie im Kindesalter verglichen
mit nur 4% bei Kontrollpersonen (12, 14). In
einer europäischen Untersuchung (17) fand
sich eine signifikant erhöhte Frequenz von
DQB1*0501 bei Schlafwandlern gegenüber
Kontrollpersonen (54,5 vs. 24,4%). Schlafwandeln tritt wie Pavor nocturnus, mit dem
es häufig gemeinsam auftritt, aus einer Tiefschlafphase meist im ersten Nachtdrittel auf
und wird durch zentralnervöse Aktivierungs-
reaktionen getriggert. Bei jüngeren Individuen gehen den Arousals in der Polysomnografie oft hochamplitudigen Deltawellen voraus.
Während der somnambulen Ereignisse ist es
aufgrund der Artefakte meist nicht möglich
Schlafstadien zu registrieren, sodass Bewegungsartefakte registriert werden, danach
kann vorübergehend noch für eine bis mehrere Epochen ein leichtes Schlafstadium fortbestehen. Auch durch Schlafapnoe und erhöhten intrathorakalen Druck (Upper Airway Resistance Syndrom) ausgelöste zentralnervöse Aktivierungsreaktionen können dem
Schlafwandeln vorausgehen (10).
Bei Schlafwandlern ist gegenüber Gesunden die Gesamtmenge an langsamwelliger
Deltaaktivität in der zweiten Hälfte des ersten
Schlafzyklus erhöht (9). Diese vermindert
sich im Laufe der Nacht langsamer als bei Gesunden. Die meist hypersynchrone Deltaaktivität nimmt unmittelbar vor den schlafwandlerischen Ereignissen zu. Der Tiefschlaf ist
stark fragmentiert, sodass beständig eine erhöhte Tiefschlafneigung besteht. Dies manifestiert sich beispielsweise in der schweren Erweckbarkeit während des Schlafwandelns
und der Amnesie am nächsten Tag. Einfache
und komplexe Bewegungen aus dem Tiefschlaf treten bei Patienten mit Schlafwandeln
und Pavor nocturnus signifikant häufiger auf
als bei Kontrollpersonen (20). Schlafentzug
vermehrt die Anzahl von schlafwandlerischen und Pavor nocturnus Ereignissen im
Schlaflabor (18).
Die bisher einzige SPECT-Untersuchungen eines Schlafwandlers zeigten eine Verminderung des regionalen Blutflusses in den
frontoparietalen Assoziationskortices und eine Zunahme im Zingulum und anteriorem
Zerebellum (3). Der Befund kann als motorische, vegetative und emotionale Stimulation
im Zingulum und Verminderung der Selbstwahrnehmung durch Beeinträchtigung des
frontalen Kortex interpretiert werden. Assoziationen zwischen Schlafwandeln und psychiatrischen Erkrankungen konnten nicht
nachgewiesen werden.
Therapeutische Interventionen sind nur
erforderlich, wenn Tagesschläfrigkeit oder eine Gefährdung durch Selbst- oder Fremdverletzung vorliegt. Eine Verhaltensberatung
sollte immer erfolgen, um Verletzungen und
Unfällen vorzubeugen. Nicht pharmakologische Therapien, für die nur ältere Studien mit
niedriger Evidenz vorliegen sind:
● Antizipatorisches Erwecken 1 bis 2,5
Stunden nach dem Einschlafen und
● Vorsatzbildung mit Entspannungstechniken.
Clonazepam 0,5 mg 30 Minuten vor Schlafbeginn ist im Gegensatz zu Antidepressiva,
die Schlafwandeln auslösen können, effektiv.
REM-schlafgebundene
Parasomnien
Abb. 2 Polysomnografie bei REM-Schlafverhaltensstörung mit Aufhebung der Muskelatonie im
REM-Schlaf; EOG: Elektrookulogramm, li: links, re: rechts. EMG tib: EMG M. tibialis anterior. SaO2: Sauerstoffsättigung
Die REM-Schlafverhaltensstörung (REM
sleep behavior disorder, RBD) kann bei 0,5 bis
0,8% der Bevölkerung in unterschiedlicher
Ausprägung auftreten. Sie ist gekennzeichnet
durch die Aufhebung der physiologischen
Muskelatonie im REM-Schlaf. Durch das Ausbleiben der motorischen Hemmung im REMSchlaf kommt es zu intermittierender motorischer Aktivität, die den Trauminhalten entspricht. Die Träume handeln überwiegend
von Angriffen, in deren Folge der Träumer
sich verteidigt oder flieht. Häufiges heftiges
Ausagieren der Trauminhalte kann zu erheblicher Fremd- und Eigengefährdung führen.
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Die Attacken können von einmal wöchentlich
bis mehrfach pro Nacht in aufeinander folgenden Nächten auftreten. Die Augen sind dabei geschlossen. Im Gegensatz zu NREM-Parasomnien sind die Patienten leicht zu wecken
und erinnern sich an Träume. Die stereotypen
Verhaltensweisen sind nicht Folge einer Persönlichkeitsstörung, sondern Folge der psychomotorischen Stereotypien, die durch die
spezifische Läsion im Bereich der motorischen Hirnstammkerne ausgelöst werden (5).
Die akute Form der RBD wird meist ausgelöst durch medikamentöse Intoxikation
oder Entzug von Antidepressiva oder Alkohol. Die chronische Form betrifft vorwiegend
ältere, polymorbide Männer ab 60 Jahre. Ein
Drittel dieser Patienten hat neurologische
Störungen, die vaskulär, toxisch-metabolisch,
infektiös, degenerativ, traumatisch, neoplastisch bedingt sein können. Die RBD ist assoziiert mit neurodegenerativen Erkrankungen
(Parkinsonsyndrom, multiple System Atrophie, Alzheimer-Demenz, Sympathikus-Dysautonomie). Verlaufskontrollen haben gezeigt, dass 69% der intial als idiopathisch
klassifizierten Formen in neurodegenerative
Erkrankungen übergehen (26, 27). Die RBD
kann neurodegenerativen Erkrankungen um
Jahre vorausgehen und wird inzwischen als
Prädiktor angesehen. Als klinische Zeichen
der Neurodegeneration bestehen Riechstörungen (30), in späten Stadien kognitive Störungen.
Die RBD tritt häufig auf bei psychiatrischen Erkrankungen wie Tourette Syndrom,
posttraumatische Stressstörung, Angsterkrankung, Alkohol- oder Substanzmissbrauch, affektive Erkrankungen und bei Einnahme von psychotropen Substanzen (trizyklischen Antidepressiva, SSRI, Venlafaxin,
Mirtazapin, Viloxazin, Dopaminergika, Betablocker, Clonidin). Bei Narkolepsiepatienten
tritt sie mit einer Häufigkeit von 18% auf.
Psychosoziale Auslöser sind nicht bekannt.
Genetisch besteht eine Assoziation mit HLA
DQB1*06 und/oder DQB1*05. Vermutlich ist
der genetische Einfluss außer bei idiopathischen Formen gering. Auffällig ist die hohe
60%ige Prävalenz von RBD bei ParkinsonPatienten mit Park2-Mutationen. Polysomnografisch typisch ist die Aufhebung der
Muskelatonie im REM-Schlaf (씰Abb. 2).
Autonome Arousal treten im Gegensatz zu
den NREM-Parasomnien nicht auf. Ursache
der fehlenden Aktivierung sind autonome In-
nervationsstörungen, die bereits auf die Neurodegeneration hinweisen. 75% aller Patienten haben PLMD. Die Schlafmikrostruktur ist
nicht verändert. Kognitive Einschränkungen
finden sich häufig bei Patienten mit klinischer RBD. Ferini-Strambi und Kollegen
(11) fanden eine visuospatiale, konstruktive
Fehlfunktion und verändertes visuelles,
räumliches Lernen bei Patienten ohne Demenz. Olsen und Koautoren (23) beobachteten bei 7,5% von 93 untersuchten Patienten
eine Demenz ohne Parkinson-Erkrankung
und bei 10,8% eine Demenz mit ParkinsonErkrankung. RBD ging dem kognitiven Abbau entweder voraus oder fiel damit zusammen.
Die Therapie erster Wahl besteht in der
Gabe niedrigdosierten Clonazepams (0,5
mg) vor dem Schlafengehen (26). Clonazepam unterdrückt phasische Muskelaktivität
im REM. Auch bei langjähriger Clonazepameinnahme tritt keine Toleranzbildung oder
Wirkverlust ein. Einige Patienten scheinen
von einer Therapie mit Melatonin zu profitieren, das die Muskelatonie im REM-Schlaf
wiederherstellen soll (4).
Isolierte Schlaflähmungen, die nicht
durch eine Narkolepsie verursacht sind, können beim Einschlafen (hypnagoge Schlaflähmung) oder beim Erwachen (hypnopompe
Schlaflähmung) vorwiegend in Rückenlage
auftreten und sind durch komplette Bewegungsunfähigkeit charakterisiert. Eine Bewusstseinstrübung liegt währenddessen nicht
vor. Die Schlaflähmung kann Sekunden bis
Minuten dauern und endet spontan. Begleitende Halluzinationen treten bei 25 bis 75%
aller Betroffenen auf und können zusätzliche
Ängste verursachen. Die meisten, nicht gut
durchgeführten, Untersuchungen gehen davon aus, dass ca. 15 bis 40% junger Menschen
mindestens einmal in ihrem Leben eine isolierte Schlaflähmung gehabt haben (21). Die
Diagnose erfolgt klinisch. Außer einer Aufklärung über den Charakter der Störung ist
keine weitere Therapie indiziert. Gelegentlich
kann es bei häufig auftretenden, angstbesetzten Schlaflähmungen erforderlich sein, niedrige Mengen von Clomipramin oder einem
anderen potenten Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer vor dem entsprechenden
Auftreten zu verordnen. Hierfür liegen keine
evidenzbasierten Studien vor.
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Nervenheilkunde 5/2009
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