Cäcilie Kowald Das deutschsprachige Oratorienlibretto 1945-2000 Literaturwissenschaftliche Annäherung an eine vernachlässigte Gattung Das deutschsprachige Oratorienlibretto 1945-2000 vorgelegt von Cäcilie Kowald aus Wiesloch von der Fakultät I – Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie - Dr. phil. - genehmigte Dissertation Promotionsausschuss: Vorsitzender: Prof. Dr. Friedhelm Schütte Berichter: Prof. Dr. Norbert Miller Berichter: Prof. Dr. Hans-Dieter Zimmermann Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 25. Januar 2007 Berlin 2007 D 83 2 3 D ANKSAGUNG Mein Dank gilt allen, die diese Arbeit möglich gemacht und unterstützt haben: Marion Schulz-Reese und Albertus Magoley, weil sie nicht nur gegen eine promovierende Teilzeitkraft nichts einzuwenden hatten, sondern dies auch durch entsprechende organisatorische Mitwirkung und Entlastungsangebote förderten, sowie allen Kolleginnen und Kollegen, die akzeptierten, dass ich nicht uneingeschränkt zur Verfügung stand, meiner Familie und meinen Freunde, die verstanden, dass ich nicht zwei Tage die Woche „frei“ hatte, sondern in dieser Zeit eine zwar unbezahlte, aber ebenso ernstzunehmende Arbeit hatte wie den Broterwerb, Herrn Prof. Norbert Miller für die spontane Bereitschaft, eine eigenwillige und eigensinnige Arbeit anzunehmen und ein zügiges Promotionsverfahren zu ermöglichen, Herrn Prof. Hans-Dieter Zimmermann für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Friedhelm Schütte für einen überaus netten Prüfungsvorsitz, allen Komponisten und Verlagen, die mir bereitwillig Texte, Noten und Aufnahmen zur Verfügung stellten, allen Korrekturleser/inne/n und Testprüfer/inne/n: Bruder Simeon OSB Alexander Friedrich, Birgit Breunig, Christa Stoll, Christian Jung, Bettina Meltzer, Christian W. Schaefer, Gabriele Biernath, Holger Schütt, Jens Breitschwerdt, Sabine Diederichs, Viktoria Balensiefen, Volker Nebel, und nicht zuletzt Holger für all seine Unterstützung und Anteilnahme. 4 E IDESSTATTLICHE E RKLÄRUNG Hiermit versichere ich an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit mit dem Titel DAS DEUTSCHSPRACHIGE ORATORIENLIBRETTO 1945-2000 selbstständig, ohne fremde Hilfe und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Ausführungen, die wörtlich oder sinngemäß übernommen wurden, sind als solche gekennzeichnet und mit Quellenangaben nach den fachüblichen Richtlinien versehen. Diese Arbeit wurde bisher weder vollständig noch in Teilen veröffentlicht. Diese Arbeit ist oder war nicht Gegenstand eines anderen Prüfungs- oder Promotionsverfahrens. Ich habe zuvor noch keinen Doktorgrad erlangt oder zu erlangen versucht. 5 A BSTRACT Anders als das Opernlibretto hat das Oratorienlibretto bisher in der literaturwissenschaftlichen Forschung keine Beachtung gefunden. Dabei spielt der Text im Oratorium oft eine wichtigere Rolle als in der Oper. Die vorliegende Arbeit unternimmt deshalb den Versuch, das Oratorium als (auch) literarische Gattung anhand des Textes genauer zu beschreiben. Da das Oratorium insgesamt eine recht offene Gattung ist, die zudem im Laufe der Zeit und regional sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren hat, wurde die Untersuchung auf zwischen 1945 und 2000 entstandene überwiegend deutschsprachige Libretti beschränkt. Zunächst werden die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der zeitgenössischen Oratorienproduktion und die derzeitige Forschungslage beleuchtet. Im zweiten Teil folgt die Untersuchung inhaltlicher Aspekte, wie die Wahl von Titeln und Sujets, sowie darauf aufbauend der Bedeutung der Bibel bei der Texterstellung und -gestaltung. Im dritten Teil wird schließlich die spezifische mehrlagige Erzählstruktur des Oratoriums herausgearbeitet, die sich aus verschiedenen, in Zeit und Perspektive voneinander unabhängigen Ebenen konstituiert. In contrast to the opera libretto, which is an established topic of research on literature, until now the oratorio has not yet been taken even into consideration. But in an oratorio, the text often plays an even more vital role than in an opera. Therefore, this study aims to describe oratorio as a literary genre by examining its text. As oratorio in general is a rather indefinite genre that contains many different historical and regional occurrences, the analysis has been restricted to librettos written between 1945 and 2000 in the German language. The study begins by investigating the cultural conditions of contemporary oratorio production and the current state of research. The second part deals with the content of the oratorio and its presentation, considering titles, subjects and the treatment of the bible. Finally, the third part works out the specific multi-layered structure of the oratorio libretto. This structure is constituted by several independent narrative levels differing in time and perspective. 6 INHALT Danksagung 3 Eidesstattliche Erklärung 4 Abstract 5 EINLEITUNG 8 1 KULTURGESCHICHTLICHER KONTEXT 1.1 Das Oratorium zwischen Gattungskrise und Gattungstradition 13 1.1.1 Probleme der Begriffsbestimmung 1.1.2 Gattungen und Gattungskategorie im 20. Jahrhundert 1.1.3 Das Oratorium als literarische Gattung: Eine Annäherung über den Text 13 14 20 1.2 Musikalische und literarische Rahmenbedingungen 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 Musikgeschichtliche Voraussetzungen: Die Zeit vor 1945 Zwischen Neuer Musik und Tradition: Oratorium nach 1945 Einflüsse populärer Musik Literaturgeschichtliche Voraussetzungen Forschung zum Oratorienlibretto 1.3.1 Musikwissenschaftliche Forschung 1.3.2 Literaturwissenschaftliche Librettologie 1.3.3 Forschung zur literarischen Bibelrezeption 1.4 Der Materialbestand 12 24 24 26 30 33 36 36 38 40 41 1.4.1 Erscheinungsformen des Librettos 1.4.2 Untersuchte Oratorienlibretti 1945-2000 41 43 2 INHALTLICHE AUSGESTALTUNG 46 2.1 Elemente und Funktionen des Titels 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2 Nennung der Hauptperson Referenzen auf Bibelepisoden und Nennung des Aufführungsanlasses Christliche Symbolik Verwendung von Fremdsprachen Fazit: christlich-biblische Bezüge im Titel Variationen der Gattungsbezeichnung 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 Kammeroratorium Rock-, Pop-, NGL-Oratorium Szenisches Oratorium und Oratorische Szenen Individuelle Bezeichnungen Fazit: Untergattungen des zeitgenössischen Oratoriums 47 48 50 51 52 54 56 56 56 57 58 58 7 2.3 Sujets des Oratoriums früher und heute 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.4 Die Frage nach dem Warum oder: Sinnsuche als thematische Konstante 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.5 Stoffe des Neuen Testaments Stoffe des Alten Testaments Nicht-biblische Stoffe Das „weltliche“ Oratorium: Zur Problematik eines Begriffs „Schweig nicht, wenn ich nach dir frage“: Theodizee „Ecce: homo homini lupus“: Das Leid des Menschen durch den Menschen „Schöpfung hinter Gittern“: Entfremdung zwischen Gott, Welt und Mensch „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“: Mensch, Welt und Ewigkeit „Geh und lege seine Spur von morgen“: Christliche Nachfolge heute Bibelrezeption im Oratorium: Zwischen Spurensuche und Verkündigung 2.5.1 Funktionen des Oratoriums 2.5.2 Das Oratorium als spezielle Form der Bibelrezeption 2.5.3 Intertextuelle Verfahren im Oratorienlibretto 3 STRUKTUREN DES ORATORIENLIBRETTOS 3.1 Zeitbehandlung im Oratorium 3.1.1 Textlänge und Aufführungsdauer 3.1.2 Zeit- und Handlungsstruktur 3.2 Die Ebenenstruktur des Oratorienlibrettos 3.2.1 Vielschichtigkeit als Gattungsmerkmal 3.2.2 Die Ebene des Geschehens 3.2.3 Reflexions- und Kommentarebenen 3.3 Strukturformen des Oratoriums 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.4 Paradigmatische Strukturen 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 Erzählen und zeigen: der Bericht Beschreiben und deuten: der Kommentierte Bericht Ein Sonderfall: der Gerahmte Bericht Von allen Seiten betrachtet: die Befragung Gegenseitige Ergänzung: der Dialog Antithetische Struktur Kontrastierende Gegenüberstellung Motivische und thematische Bezüge Hinweise im Nebentext 60 63 68 70 74 76 77 79 81 84 90 93 93 94 98 102 103 103 104 110 110 111 113 119 119 120 123 124 126 130 130 133 135 137 Fazit: Die strukturelle Fortsetzung der Gattungstradition 140 ZUSAMMENFASSUNG: MERKMALE DES ORATORIUMS NACH 1945 143 ANHÄNGE 148 Verzeichnis der Oratorien 1945 - 2003 Alphabetisch nach Komponisten Jahresverzeichnis 149 150 184 Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 192 Literaturverzeichnis 193 Index der Komponisten und Librettisten 208 8 EINLEITUNG „Deutschsprachige Oratorien nach 1945 – gibt es da überhaupt welche?“ Das war die übliche Reaktion, wenn ich von meinem Promotionsvorhaben erzählte. Selbst an der Gattung interessierte Kirchenmusiker wussten in der Regel nur einige wenige Beispiele zu nennen – und alle waren überrascht, wenn ich die Zahl von nahezu 170 Werken in meiner Datenbank nannte. Dies spiegelt die Situation, in der sich das Oratorium heute befindet. Die quantitativ wie qualitativ durchaus ernstzunehmende Produktion ist im kulturellen Leben und im Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit kaum präsent. Dabei ist es nicht einmal so, dass das Oratorium ein Nischendasein im Umfeld der Kirchenmusik führt. Auch „weltliche“ Komponisten sehen das Oratorium als Prüfstein ihres Könnens, nicht unbedingt in musikalischer, umso mehr aber in konzeptioneller und weltanschaulicher Hinsicht. Für die geringe Bekanntheit zeitgenössischer Oratorien mögen andere Umstände verantwortlich sein. Zum einen ist das in Konzerten gegenwärtige Oratorienrepertoire mehr noch als bei anderen Gattungen von den Kassenschlagern aus Barock, Klassik und Romantik geprägt. Auch die Zwitterstellung des Oratoriums als Gattung „zwischen Kirche, Bühne und Konzertsaal“1 mag eine Rolle spielen: für die Kirche sind moderne Oratorien oft zu weltlich, für die bürgerlichen Aufführungsinstitutionen wiederum zu stark weltanschaulich-religiös geprägt. Zum anderen dürfte jedoch die überaus große Vielfalt der Stile und Ausprägungen eine Wahrnehmung als einheitliche Gattungsgruppe 1 So der Untertitel einer Monographie zu großformatigen Vokalwerken des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts, vgl. Steiner 2001. 9 erschweren. Avantgardistische Werke, deren Aufführung selbst an Profis hohe Anforderungen stellt, sind ebenso vertreten wie Werke für Laienchöre, gemäßigt postserielle Experimente ebenso wie neoromantische Klänge. Und nicht zuletzt bildet das von populären geistlichen Musikbewegungen getragene Oratorium einen eigenen Bereich, der, wie die Sacro-Pop- und NGL2-Bewegung insgesamt, von den Institutionen der so genannten „ernsten“ Musik ohnehin nicht als gleichwertig angesehen und dementsprechend im bürgerlichen kulturellen Bewusstsein weitgehend ausgeblendet wird. Wenn man alle Strömungen zusammenfasst, ergibt sich ein ungeheuer vielfältiges und lebendiges Bild des zeitgenössischen Oratoriums. Bei den Komponisten finden sich bekannte Namen wie César Bresgen, Hans Ulrich Engelmann, Bertold Hummel oder Hans Werner Henze. Mit Oskar Gottlieb Blarr, Otfried Büsing, Heinz Martin Lonquich sind praxiserfahrene Kirchenmusiker vertreten, außerdem Szene-Stars wie der Liedermacher Siegfried Fietz oder der vom christlichen Schlager kommende Klaus Heizmann. Auch bei den Librettisten finden sich – neben zahlreichen Pfarrern und Theologen – durchaus bedeutende Schriftsteller, wie Ernst Schnabel, Ingeborg Drewitz und Christa Wolf. Für Komponisten wie Librettisten gilt jedoch, dass häufig entweder ihre Oratorien als innerhalb des Gesamtwerks nebensächlich wahrgenommen oder aber ihr gesamtes Schaffen als tendenziös und epigonal abgetan wird. Natürlich gibt es unter den nachweisbaren Oratorien zahlreiche tendenziöse Werke, Auftragskompositionen, deren Bedeutung über den ursprünglichen Kompositions- und Aufführungsanlass nicht hinausweist. Doch finden sich auch Stücke, deren weltanschauliche, sprachliche und musikalische Ausarbeitung fasziniert und das künstlerische Potenzial der Gattung verrät. Die künstlerische Bewertung des zeitgenössischen Oratoriums steht jedoch in dieser Arbeit im Hintergrund – nicht zuletzt aufgrund der stilistischen Heterogenität und der daraus resultierenden mangelnden Vergleichbarkeit der Werke. Ziel ist vielmehr, die Charakteristika des Oratoriums im 20. Jahrhundert, die zeitgenössische Ausprägung dieser alten Gattung in ihren aktuellen spezifischen Merkmalen zu erfassen. Der Blickwinkel ist dabei ein literaturwissenschaftlicher. Denn einerseits gibt es von musikwissenschaftlicher Seite bereits zahlreiche Untersuchungen zum Oratorium, auch gattungstheoretischer Art; andererseits haben diese bisher keine befriedigende Antwort auf die Frage nach den Besonderheiten der Gattung im 20. Jahrhundert geben können. Der Versuch, bei einer vokalmusikalischen Gattung den Weg über den Text zu gehen, ist – 2 NGL steht für „Neues Geistliches Lied“. Mehr dazu in Abschnitt 1.2.3, S. 30ff. 10 gerade angesichts der sehr viel weiter fortgeschrittenen gattungstheoretischen Forschung und Theoriebildung in der Literaturwissenschaft – zumindest vielversprechend. Dass dabei in methodischer Hinsicht vielfach Neuland betreten werden muss, liegt auf der Hand. Zwar gibt es eine inzwischen durchaus umfangreiche und fundierte Forschungsliteratur zum Opernlibretto. Auf das Oratorienlibretto jedoch lassen sich deren Methoden und Denkansätze nicht ohne weiteres übertragen. Zu sehr spielen besondere Bedingungen, wie weltanschaulich-religiöse Fragen und die spezielle Stellung im Spannungsfeld zwischen Kirchen- und Konzertmusik, eine Rolle. Insofern greift die vorliegende Arbeit vielfach auf musikwissenschaftliche Arbeiten zurück; auch theologische Ansätze kommen zur Berücksichtigung. Literaturwissenschaftliche Ansätze und Methoden helfen überwiegend bei grundsätzlichen Fragen wie der Gattungsbestimmung und der Strukturanalyse weiter. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit dient dazu, zunächst den Rahmen der Untersuchung abzustecken. Dazu gehört ein Blick auf die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der zeitgenössischen Oratorienproduktion ebenso wie einige theoretische Überlegungen und eine Zusammenschau der derzeitige Forschungslage. Eine wichtige Aufgabe des ersten Teils ist darüber hinaus, die Frage zu klären, inwiefern die Kategorien „Gattung“ und „Oratorium“ im 20. Jahrhundert überhaupt noch Anwendung finden können. Der zweite Teil untersucht die inhaltliche Ausgestaltung der zwischen 1945 und dem Jahr 2000 entstandenen deutschsprachigen Oratorien. Bereits beim Überblick über die Titelangaben wird deutlich, wie stark die Bindung des Oratoriums an die biblischchristliche Tradition immer noch ist. Dieser Befund wird durch die Auswertung der verwendeten Stoffe bestätigt. Dass das zeitgenössische Oratorium eine ganz eigene Rezeptionsform biblischer, literarischer oder mythologischer Quellen darstellt, zeigen nicht nur die wichtigsten thematisch-motivischen Elemente, sondern auch die herausragende Bedeutung intertextueller Verfahren für die Textkonstitution. Teil 3 wendet sich schließlich der Struktur des Oratoriums zu. Ausgehend von Erkenntnissen aus der Forschung zum Opernlibretto werden einige typische Merkmale der Zeitund Handlungsstruktur herausgearbeitet. Anhand dieser lässt sich ein allgemeines Strukturmodell der Gattung entwickeln, das sich in wesentlichen Punkten auch mit historische Ausprägungen des Oratoriums in Übereinstimmung bringen lässt. Die Untersuchung umfasst die deutschsprachige Oratorienproduktion aus den Jahren von 1945 bis 2000. Werke aus Österreich und der Schweiz wurden ebenso aufgenommen wie solche aus den beiden deutschen Staaten, vorausgesetzt, der Text ist zumindest 11 überwiegend deutsch. Nicht berücksichtigt wurde das Oratorium sozialistischer Prägung aus der DDR, da sich seine kulturellen und ästhetischen Voraussetzungen erheblich von den übrigen unterscheiden. Diese angemessen zu berücksichtigen, hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Die sich daraus von vorneherein ergebende thematische Verengung ist insofern gerechtfertigt, als dass das Oratorium sozialistischer Prägung zusammen mit den politischen Systemen, die sein Entstehen förderten, wieder verschwunden ist. Innerhalb der Gattungsgeschichte darf damit das sozialistische Oratorium als kleiner Seitenzweig angesehen werden, der wenig Spuren außerhalb seines unmittelbaren Wirkungsbereichs hinterlassen hat. Die Zäsur, die das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Geschichte und Kulturgeschichte Europas darstellt, markiert den Beginn des Untersuchungszeitraums. Das Ende ist mit dem Jahr 2000 durchaus willkürlich gewählt und allein der verbreiteten Neigung geschuldet, Kulturgeschichte in Jahrhunderten zu betrachten. Es wurde bewusst nicht auf das Jahr 1989 gelegt, um die neueren Entwicklungen nach dem Ende des Ost-WestKonflikts und nach der deutschen Wiedervereinigung noch mit zu erfassen. Dass der Untersuchungszeitraum nicht weiter ausgedehnt wurde, ist nur der pragmatischen Notwendigkeit geschuldet, die Materialsammlung irgendwann abschließen zu können. 12 1 KULTURGESCHICHTLICHER KONTEXT 13 1.1 D AS O RATORIUM 1.1.1 ZWISCHEN G ATTUNGSKRISE UND G ATTUNGSTRADITION Probleme der Begriffsbestimmung Auf den ersten Blick scheint klar zu sein, was ein Oratorium ist: ein abendfüllendes Vokalwerk für Soli, Chor und Orchester zu einem geistlichen Thema. So versteht es das Konzertpublikum, das Feuilleton, und so versteht es im Wesentlichen auch die musikwissenschaftliche Forschung. Und doch ist diese vorläufige Definition ungenügend: ebenso wie auf das Oratorium trifft sie nämlich auch auf die Messe und das Requiem zu. Im Gegensatz zum Oratorium aber vertonen Messe und Requiem traditionell einen kanonischen liturgischen Text, nämlich das lateinische O RDINARIUM M ISSAE bzw. die Totenmesse M ISSA PRO D EFUNCTIS . Die meisten stören sich an diesem Unterschied wenig und fassen alles unter dem Begriff „Oratorium“ zusammen. Tatsächlich fällt vor dem Hintergrund einer wechselhaften Gattungsgeschichte, in der das Oratorium vielfache Veränderungen und Umdeutungen erfahren hat, eine Eingrenzung nicht leicht; eine Gattungseigenschaft des Oratoriums scheint gerade seine Offenheit in Form und Inhalt zu sein.3 Um dieser Offenheit gerecht zu werden, wird in der musikwissenschaftlichen Forschungsliteratur der Begriff „Oratorium“ in der Regel sehr weit gefasst. Das erlaubt es den jeweiligen Autoren, alle Werke in Betracht zu ziehen, die ihrer Einschätzung nach Oratorien sein könnten, ohne mit genauen Auswahlkriterien voreilige Grenzziehungen vorzunehmen. Einige Publikationen verzichten deshalb sogar ausdrücklich auf eine genauere Gattungseingrenzung, so z. B. der Oratorienführer von Silke Leopold und Ullrich Scheideler: Wir haben versucht, dieses Problem pragmatisch anzugehen und allen Werken den Weg in dieses Lexikon zu ebnen, die in den vierhundert Jahren Oratoriengeschichte irgendwann einmal als Oratorium gegolten haben oder gelten – nicht nur im Sinne der Gattungs-, sondern auch der Aufführungsgeschichte.4 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Howard Smither in seiner History of the Oratorio, der neuesten und umfassendsten Publikation zur Geschichte des Oratoriums: For the purpose of the present study, works called oratorios by their composers are included, as are those not so called that are long concert pieces with narrative or dramatic texts set to music for soloists, chorus, and orchestra. A religious subject is not a criterion.5 3 Zum Gattungsbegriff „Oratorium“ und seinem Bedeutungswandel vgl. insbesondere Reimer 1972. 4 Leopold/Scheideler 2000, S. IX. 5 Smither 2000, S. 631. 14 Es lässt sich dabei jedoch beobachten, dass die Einordnung eines Werkes als Oratorium und die Aufnahme in die eigene wissenschaftliche Betrachtung meist auch ein Werturteil birgt. So stammt der größte Teil der in der musikwissenschaftlichen Forschungsliteratur erwähnten Oratorien von anerkannten Komponisten, und umgekehrt werden Vokalwerke anerkannter Komponisten in Rezensionen und Forschungsarbeiten in der Regel sehr bereitwillig als Oratorien tituliert.6 Demgegenüber viel seltener erwähnt werden die zahlreichen Oratorien, die aus der kirchenmusikalischen Praxis kommen und sich nicht in erster Hinsicht an ein Konzertpublikum richten, die beispielsweise zu bestimmten kirchlichen Anlässen, Jubiläen oder Feiertagen geschrieben wurden. Der Bereich des Rock-, Pop- oder NGL-Oratoriums schließlich wird in allen mir bekannten musikwissenschaftlichen Publikationen vollständig ausgeblendet und allenfalls in religionspädagogischen Schriften unter dem Stichwort „Pop und Spiritualität“ erwähnt. Die grundsätzliche Offenheit von Definitionen wie den oben zitierten wird also durch die konkret vorgenommene Auswahl deutlich zurückgenommen. Ein großer Teil der vorhandenen Literatur ist somit keine zuverlässige Grundlage für eine umfassende gattungssystematische Untersuchung, da die tatsächlichen Selektionskriterien in der Regel nicht offengelegt werden. Für die hier vorliegende Untersuchung soll deshalb eine Definition anhand objektiver Kriterien getroffen werden, die einerseits eine ausreichende Trennschärfe gegenüber anderen großformatigen Vokalgattungen besitzt und sich andererseits offen gegenüber möglicherweise voreiligen Selektionen der bisherigen Forschung zeigt. Dabei stellt sich jedoch für den gewählten Untersuchungszeitraum, und hier vor allem für die 1960er und 70er Jahre, ein weiteres Problem: die Fragwürdigkeit der Kategorie Gattung insgesamt. 1.1.2 Gattungen und Gattungskategorie im 20. Jahrhundert In der Blütezeit einer Gattung ist die Gattungsbestimmung einfach, vor allem, wenn die Rezeption von theoretischen Reflexionen und gattungspoetischen Arbeiten begleitet wird. Beispielsweise waren für die Entstehung des deutschen protestantischen Oratoriums die poetologischen Regeln, die der römische Librettodichter Arcangelo Spagna im 17. Jahrhundert aufstellte, von so weit reichender Bedeutung, dass seine Forderungen nahezu 6 Beispielsweise werden in der Forschungsliteratur immer wieder Werke von Klaus Huber oder Wolfgang Fortner als Oratorien eingestuft, obwohl sich diese Gattungsbezeichnung bei den Komponisten selbst nie findet. Verschiedentlich werden sogar Werke als Oratorium bezeichnet, für die der Komponist selbst eine andere Gattungsbezeichnung gewählt hat: Conrad Beck Der Tod zu Basel. Ein großes Miserere (vgl. Massenkeil 1970), Paul Dessau Deutsches Miserere (vgl. Leopold/Scheideler 2000), Johann Nepomuk David Requiem chorale (vgl. Leopold/Scheideler 2000), Johannes Driessler Ikarus. Eine Chorsymphonie (vgl. Reischert 2001), Wilfried Hiller Ijob. Monodram (vgl. Pahlen 1985) und viele andere mehr. 15 vollständig mit der tatsächlichen Gattungsausprägung des frühen Oratoriums in Deutschland übereinstimmen.7 Schwieriger ist die Gattungseingrenzung in Zeiten, in denen bestehende Gattungen und Gattungssysteme stärker in Frage gestellt werden, in denen neue Gattungen entstehen und ihren Platz neben den alten Gattungen suchen. Das 20. Jahrhundert ist eine Zeit, in der nicht nur Gattungskonventionen und Regelpoetiken ihre Gültigkeit abgesprochen wird, sondern sogar die Kategorie Gattung an sich in Frage gestellt wird. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Prämisse, dass es auch für den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg tatsächlich sinnvoll ist, den Zugang zur Gattung Oratorium zu suchen, mehr noch: zu einer literarischen Gattung Oratorium, bedarf also weiterer Rechtfertigung. Dabei ist zunächst auf einen wichtigen Unterschied in der Geschichte literarischer und musikalischer Gattungen hinzuweisen, der in der unterschiedlichen Medialität von Musik und Literatur begründet ist: In der Regel wird Musik gehört; um sie ‚lesen‘ zu können, sind besondere Kenntnisse erforderlich, die im neuzeitlichen Europa stets nur eine kleine Minderheit besessen hat, im übrigen ist die Lektüre meist Vorbereitung auf (und nur selten Ersatz für) eine Aufführung. Mit Sprache, und speziell mit Literatur, verhält es sich anders ... lediglich für die dramatischen Gattungen ist die Aufführung auch heute noch der Regelfall.8 Während sich das literarische Werk in seiner schriftlichen Form vollständig realisiert, ist das Notenbild eines musikalischen Werkes nur ein Behelf, eine Annäherung. Wenn musikalische Kompositionsweisen und Stile veralten und durch Neues abgelöst werden, schwindet mit ihrer Präsenz im Konzertleben auch das Wissen um ihre tatsächlichen Erscheinungsformen (wie Gestaltung, Aufführungspraxis, institutionelle Rahmenbedingungen), weil sie anhand des Notentextes nicht bzw. nur unzureichend rekonstruierbar sind. In der Literaturgeschichte sind und waren Gattungen und Werke früherer Zeiten stets präsent und stellen einen ebenso wichtigen Bezugsrahmen dar wie die zeitgenössische Produktion. Vorbildlich empfundene Werke und die Auseinandersetzungen mit gattungspoetischen Abhandlungen früherer Epochen bis hin zu den Poetiken der Antike spielen 7 Vgl. Artikel „Oratorium“, in Dahlhaus/Eggebrecht 1989, S. 239-241. 8 Albert Gier: Musik in der Literatur. Einflüsse und Analogien, in Zima 1995, S. 11. 16 eine den aktuellen literarische Strömungen und die Diskussionen in den Feuilletons keineswegs untergeordnete Rolle.9 Dagegen bildete in der Musikgeschichte stets das Gattungssystem der jeweiligen Zeit den primären Bezugsrahmen. Zwar hat es auch in der Musikgeschichte während Gattungskrisen oder in Erneuerungs- oder Renaissancebewegungen immer wieder Rückgriffe auf ältere historische Formen gegeben. Doch blieb der primäre Bezugsrahmen bis in das 20. Jahrhundert hinein das aktuell gültige Gattungssystem: weniger die Entwicklungsgeschichte einer Gattung bestimmte ihre jeweils aktuelle Ausprägung, sondern ihr Entwicklungspotenzial und ihr Verhältnis zu anderen Gattungen.10 In der Geschichte der musikalischen Gattungen bahnt sich ein literarischen Bedingungen vergleichbares Bezugssystem erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts an. Durch die historisierenden Bewegungen der Romantik, insbesondere die Bach- und Händel-Renaissance und die Alte-Musik-Bewegung, verlagert sich der Programmschwerpunkt des Konzertbetriebs von überwiegend zeitgenössischen Werken auf Altes und Bewährtes. Zudem verändern sich im 20. Jahrhundert die Voraussetzungen für die mediale Präsenz älterer Musik. Die Möglichkeiten der Tonaufzeichnung und -wiedergabe ermöglichen eine breite Rezeption von Werken früherer Epochen auch außerhalb der Institutionen des bürgerlichen Konzertwesens: Für die Kompositionsgeschichte musikalischer Gattungen bedeutet dies, dass der Gattungshorizont im 19. und vollends im 20. Jh. nicht allein durch die unmittelbare Vorgeschichte eines jeweiligen historischen Momentes (diachroner Aspekt) und durch die Relation zu weiteren Gattungen innerhalb eines bestimmten Gattungssystems (synchroner Aspekt) charakterisiert ist, sondern dass er in wachsendem Maße durch die Präsenz der jeweiligen Gattungsgeschichte insgesamt geprägt scheint, so dass zumal im 20. Jh. die Geschichtlichkeit der Gattungen sich ebenso sehr durch Rückgriffe auf frühere Phasen der Gattung als durch neue Entwürfe darstellt.11 Diese nie da gewesene gleichzeitige Präsenz verschiedener musikalischer Gattungskonzepte und -ausprägungen bildet den Hintergrund, vor dem sich die so genannte Krise der Gattungen überhaupt erst entwickeln konnte. 9 Nur vor diesem Hintergrund sind Aussagen wie die von Jörg-Ulrich Fechner überhaupt möglich: „Literarische Werke werden produziert und existieren als Einzelwerke. Als solche gehören sie einer Gattung an, die gegebenenfalls von ihnen selbst begründet wird. Mit der Geschichtlichkeit ist in jedem literarischen Werk zugleich die Tradition der Literatur und das heißt auch die Tradition der bestehenden Gattungen gegeben. ... Die literarische Entwicklung folgt dem Schema einer permanenten Mutation der Tradition.“ vgl. Jörg-Ulrich Fechner: Permanente Mutation. Betrachtungen zu einer ‚offenen‘ Gattungspoetik, in Rüdiger 1974, S. 11. 10 Wie viel stärker die Bedeutung des aktuellen Gattungssystems als die Gattungsgeschichte war, lässt sich auch an den zahlreichen Kontroversen ablesen, die es in der Geschichte des Oratoriums um seine Abgrenzung zur Oper gegeben hat, vgl. z. B. Kirsch 1986. 11 Herrmann Danuser: Artikel „Gattung“, in MGG(neu), Bd. 3 (1995), Sp. 1064. 17 Der Beginn des 20. Jahrhunderts war in allen Künsten geprägt von einer Krise der traditionellen Formen und Ausdrucksweisen. In der Literatur äußert sie sich überwiegend als allgemeine Sprachkrise, der Hugo von Hofmannsthal in seinem Epoche machenden Brief des Lord Chandos Ausdruck verlieh. Die tradierten Gattungen wurden weniger genutzt und durch individuelle, freie Formen ergänzt; aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt:; „Nur noch prinzipieller wirkt sich in ihnen die Initiative oder Willkür einzelner Individuen und Schriftstellergenerationen oder gesellschaftlicher Ordnungen aus.“ 12 Statt des Endes der Gattungen wird eher das Ende der „Erzählbarkeit der Welt“ postuliert. In der Musik wirkte sich die Traditionskrise umfassender aus. Schon seit der Jahrhundertwende löste sich das funktionsharmonischen System zunehmend auf. Diese Entwicklung mündete unter anderem in die Erfindung der Zwölftonmusik und die Schablonentechnik Stravinskijs. Dabei hielten die Komponisten vor dem Zweiten Weltkrieg grundsätzlich noch am Konzept des autonomen Kunstwerks fest und versuchten innerhalb der tradierten Formen Tonsprache und Kompositionsweise zu erneuern. Erst die Neue Musik der Nachkriegszeit stellte das Kunstwerk an sich und das Form- und Gattungssystem selbst in Frage. Avantgardistische Experimente, die sich der so genannten „Entkunstung der Kunst“ verschrieben, und die Entwicklung serieller Kompositionsverfahren machten Gattungen als „Typen musikalischer Komposition, die an bestimmte Zwecke, an bestimmte Verwendungsweisen, bestimmte Texte oder bestimmte Aufführungspraktiken geknüpft sind“, die „ihrem Gebrauchszweck, ihrer Kategorie von literarischen Texten, ihrer typischen Besetzungsweise usw. verhaftet“ sind,13 zunehmend fragwürdig. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass „die Kategorie der musikalischen Gattung, die einst die Komposition ebenso wie die Rezeption bestimmt hatte ... ihre konstitutive Funktion in unserer Zeit [einbüßte]“14, wäre voreilig. Denn diese Sichtweise missachtet vollständig die Tatsache, dass die avantgardistischen Werke in der musikalischen Produktion des 20. Jahrhunderts letztlich die Minderheit bilden. Zum einen sind populäre Formen wie Pop- und Filmmusik in Produktion und Rezeption schon lange vorherrschend, zum anderen gibt es innerhalb der so genannten E-Musik einen großen Bereich kompositorischen Schaffens, der eher traditionell geprägt ist – sei es nun in 12 Zoltan Kravar: Artikel „Gattung“, in Borchmeyer/Zmegac 1994, S. 175. 13 Friedrich Blume: Artikel „Form“, in MGG, Bd. 5 (1955), Sp. 525. 14 Danuser 1984, S. 3. 18 konservativer Fortführung des Alten oder durch bewusstes Wieder-Anknüpfen an eine frühere Tradition. Dazu kommt die stärkere mediale Präsenz von Musik früherer Epochen, die den Bezugsrahmen zeitgenössischer Produktion immer mehr überlagert. Die dadurch wachsende Präsenz historischer Erscheinungsformen einer Gattung stärkt die Bedeutung der Gattungskategorie für die Rezeption. Die Gattungsvorstellungen des Publikums, der Kritik und der Verlage sind ohnehin tendenziell konservativer als die der Komponisten – und sie üben einen erheblichen Einfluss auf die Produktions- und Rezeptionsbedingungen von Musik aus. Der Gattungszuweisung bei der Rezeption kann sich kein Kunstwerk, sei es nun avantgardistisch oder traditionell, vollständig entziehen, denn „der Rezeptionsvorgang verlangt danach, die textuellen Gegebenheiten in ihrer nicht selten unübersichtlichen Fülle übergreifenden und damit den Akt des Lesens steuernden Konzepten einzuordnen.“15 So birgt selbst die Gattungsverweigerung der Avantgarde letztlich eine Affirmation der Gattung: Wenn nämlich die Gattungskategorie strikt funktional-pragmatisch gedacht wird, dann tritt sie als eine Prämisse künstlerischen Verstehens überall dort in Kraft, wo Kunst nach intersubjektiv akzeptierten Kommunikationsmaßstäben existiert. Das gilt nun aber für die Avantgarde nicht minder als für die Traditionen artifizieller Kunstmusik. Auch in der Kultur der Avantgarde kann es ein einzelnes Werk oder Anti-Werk, das völlig isoliert künstlerischen Sinn oder auch dunklen Gegen-Sinn stiftete, nicht geben. Dort ganz besonders weist das einzelne Experiment über seinen Kontext hinaus.16 Wenn man nun Gattungen nicht als Regelsysteme auffasst, sondern als Referenzsysteme, als „offene Systeme von Form- und Funktionsmerkmalen ..., an denen die einzelnen Werke in unterschiedlichem Maße partizipieren“17, so erweist sich die „Krise der Gattungen“ auch in der Musik als höchst relativ. Tatsächlich bahnt sich im Bereich der Komposition etwa seit dem Ende der 1970er Jahre, nur kurz nach der vermeintlichen „fast völligen Abdankung ... der hergebrachten Gattungen“18 ein Wandel an. Nachdem die Avantgarde die experimentelle Überschreitung der Gattungsgrenzen ausgereizt hat und im Begriff ist, eine eigene Tradition zu begründen, greifen Komponisten wieder verstärkt auf überlieferte Formen und Besetzungen zurück. Gattung wird 15 Corbineau-Hoffmann 2000, S. 138. 16 Hermann Danuser: Artikel „Gattung“, in MGG(neu), Bd. 3 (1995), Sp. 1066. 17 Corbineau-Hoffmann 2000, S. 139. 18 Danuser, a. a. O., Sp. 1065. 19 dabei jedoch nicht als normativer Anspruch verstanden, sondern als Referenzsystem, in dem das einzelne Werk seinen eigenen, neu geschaffenen Platz sucht.19 Für das Oratorium ist außerdem die Sonderstellung der Gattung zwischen Kirchenmusik und bürgerlichem Konzertwesen zu beachten.20 Auch wenn das Oratorium im 19. Jahrhundert sich weitgehend zu „eine[r] Sache der Musikfeste des bürgerlichen Musiklebens“21 entwickelte, so hat es doch seine Wurzeln nie ganz hinter sich gelassen. Mit der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung und dem Interesse an der Wiederbelebung alter Gattungen war das Bemühen verbunden, das Oratorium in die Kirche zurückzuholen – eine Entwicklung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg noch verstärkte, vermutlich auch begünstigt durch die immer weiter um sich greifende Säkularisierung der Gesellschaft und des öffentlichen Lebens. Dabei war das Oratorium zunächst von der Krise der Gattungen besonders betroffen: „Sein traditionelles Wesen als Kunstform geistlichen Charakters wird von vielen Komponisten zum Teil radikal in Frage gestellt, während ... das öffentliche Konzertleben fast nur von den Klassikern der Gattung Kenntnis nimmt.“22 Gleichzeitig zeigen jedoch kirchenmusikalisch ambitionierte Komponisten eine größere Bereitschaft, traditionelle Gattungen weiterzuführen und mit neuem Leben zu füllen. Dabei bedeutet der Rückgriff auf die Tradition des Oratoriums jedoch zunehmend, dass nun die Gattung nicht mehr generell das religions- und frömmigkeitsgeschichtliche Umfeld, sondern immer mehr die weltlich-geistige und politische Situation und die persönliche Befindlichkeit jedes einzelnen Komponisten reflektiert. 23 Insgesamt ergibt sich im 20. Jahrhundert nicht nur für das Oratorium, aber auch dort, eine große Diversität von gattungstreuen Werken und solchen, die keine Gattungsstrategie befolgen oder sie bewusst unterlaufen. Im letzten Drittel des Jahrhunderts schließlich lässt sich eine bemerkenswerte Validität der Gattungskategorie beobachten, und zwar sowohl aufgrund ihrer breiten Historizität, die im postmodernen Zugriff immer wieder neu 19 vgl. Danuser, a. a. O., Sp. 1066. 20 Dies mag der Grund sein, weshalb das Oratorium in Friedrich Blumes Geschichte der evangelischen Kirchenmusik nur am Rande behandelt wird, vgl. Georg Feder, „Verfall und Restauration“, in Blume u. a. 1965. In den entsprechenden katholischen Darstellungen (vgl. Fellerer 1976) wird das Oratorium nicht einmal erwähnt. 21 Georg Feder, „Verfall und Restauration“, in Blume u. a. 1965, S. 244. 22 Massenkeil 1999, S. 14. 23 Massenkeil 1999, S. 296. 20 als Referenzfundus benutzt wird, als auch aufgrund ihrer prinzipiellen Flexibilität als Rahmenkategorie für künstlerisches Schaffen überhaupt.24 Insofern ist eine Untersuchung einzelner Gattungen im 20. Jahrhundert durchaus gerechtfertigt. Sie muss jedoch berücksichtigen, dass die Ausgangslage sich von der früherer Jahrhunderte unterscheidet. Literatur und Musik sind vielfältiger in ihren Erscheinungen, sie sind stärker von verschiedenen poetologischen, ästhetischen oder programmatischen Strömungen geprägt, die gleichzeitig nebeneinander existieren und unterschiedliche Gattungsvorstellungen haben. Wenn wir uns also wieder der eingangs formulierten Frage zuwenden: Was ist eigentlich ein Oratorium?, so soll die Suche nach der Antwort einem produktionsästhetischen, deskriptiven Ansatz folgen. Zuvor ist das Arbeitsfeld noch genauer einzugrenzen. 1.1.3 Das Oratorium als literarische Gattung: Eine Annäherung über den Text Bei der Bestimmung musikalischer Gattungen spielen neben musikalischen Kriterien wie Form und Besetzung stets auch außermusikalische Kriterien wie beispielsweise Entstehungs- und Aufführungsbedingungen oder die (gesellschaftliche, liturgische etc.) Funktion eine Rolle. Vor allem aber ist der Text ein wichtiges Gattungskriterium: man denke beispielsweise an die Messe, die sich seit ihrer Etablierung als musikalische Gattung ausschlaggebend über den gleich bleibenden Text, das lateinische O RDINARIUM M ISSAE , definiert. Während bei Vokalwerken mit feststehendem oder liturgischem Text – neben Messe und Requiem gehören dazu viele andere geistliche Formen wie Te Deum, Stabat Mater – der Text als Gegenstand einer literaturwissenschaftlichen Studie allerdings wenig ergiebig ist (allenfalls unter theologisch-hermeneutischen Gesichtspunkten), verhält sich die Sache bei Werken anders, für die ein eigener Text erstellt wird. Wenn wir nun die Definitionen des Oratoriums in der musikwissenschaftlichen Literatur betrachten, können wir feststellen, dass sie alle auf den „geistlichen, seltener weltlichen“25, nicht-liturgischen, bisweilen sogar „eigens dafür geschaffenen“26 Text hinweisen. Die aktuelle Ausgabe von MGG beispielsweise definiert: 24 Herrmann Danuser: Artikel „Gattung“, in MGG(neu), Bd. 3 (1995), Sp. 1066. 25 Carl Dahlhaus: Artikel „Oratorium“, in Dahlhaus/Eggebrecht, S. 240. 26 Vgl. Günther Massenkeil: „Zur Terminologie und Vorgeschichte“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 741. 21 Als Gattungsbegriff bezeichnet Oratorium allgemein die zu nichtszenischer Aufführung bestimmte Vertonung eines eigens dafür geschaffenen, meist umfangreichen und in der Regel nichtliturgischen Textes....27 Daneben wird angeführt, dass der Text in der Vertonung auf „mehrere Personen oder Personengruppen verteilt ist“ und das Werk „abendfüllend“ ist.28 Somit sind fünf Kriterien genannt, die sich auf den Text beziehen. Das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft liefert sogar eine ausschließlich textbasierte Definition des Oratoriums: Das Oratorium ist eine Mischgattung, die epische Textteile (biblischer oder weltlicher Bericht in Rezitativform) sowie lyrische (betrachtende Arien) und dialogische Textteile miteinander verbindet. Im Gegensatz zu der szenischen Darstellung der Oper wählt das Oratorium zur Wiedergabe seiner Stoffe die neutralere Form der Erzählvermittlung.29 Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass auch die Komponisten von Oratorien davon ausgehen, dass der Text – beispielsweise als CD-Booklet oder Programmheft – zumindest ergänzend oder sogar simultan zur musikalischen Aufführung mit rezipiert wird. Dies zeigen z. B. die mehrsprachigen Texte Oskar Gottlieb Blarrs, deren hebräische und aramäische Passagen ohne die Übersetzung im Programmheft sich vom Zuhörer wohl kaum in einen Sinnzusammenhang zu den deutschsprachigen Teilen bringen ließen. Viele Librettisten und Komponisten verwenden Zwischenüberschriften30 oder stellen sogar ihrem Werk ein nicht vertontes Motto voran, das ausschließlich in der Textausgabe rezipiert werden kann31. In dieser Arbeit wird deshalb der Versuch unternommen, anhand des Textes gattungstypische Merkmale des Oratoriums herauszuarbeiten. Dabei geht es nicht darum, eine präskriptive Poetik des Oratoriums für das 20. Jahrhundert zu entwickeln; vielmehr wird ein deskriptiver Ansatz verfolgt, der die Merkmale der Gattung Oratorium in ihrer historischen Ausprägung nach dem Zweiten Weltkrieg zu bestimmen versucht. Wenn sich mit literaturwissenschaftlichen Methoden typische Formen und Strukturen des Oratorienlibrettos erarbeiten lassen, kann dies ein fruchtbringender Beitrag zur Eingrenzung der musiko-literarischen und damit auch der musikalischen Gattung Oratorium sein. 27 Vgl. Massenkeil, a. a. O., Sp. 741ff. 28 Massenkeil, a. a. O., Sp. 741. 29 Christoph F. Lorenz: Artikel „Oratorium“, in RDLW, Bd. 2, S. 763. 30 So beispielsweise César Bresgen: De tempore, Karl Schiske: Vom Tode, Helmut Jost u.a.: Ewigkeit fällt in die Zeit, vgl. auch Kapitel 3.1, S. 103ff. 31 Z. B. Henning Frederichs: Petrus. 22 Wie bei jedem Versuch, sich einer Gattung deskriptiv zu nähern, entsteht zunächst ein methodisches Dilemma: Wie soll man den Textkorpus auswählen, anhand dessen man die Kriterien der Gattung herausarbeitet, wenn doch gerade diese Kriterien für die Auswahl relevant sind? Dieses Dilemma ist im Kern unauflösbar. Das übliche Vorgehen ist ein hermeneutischer Zirkel, indem ein aufgrund vorausgesetzter Kriterien ausgewählter Textkorpus zum Ausgangspunkt genommen und dann mit Hilfe der Untersuchungsergebnisse überprüft und gegebenenfalls revidiert wird. Die naheliegende Möglichkeit, als Auswahlkriterium die musikwissenschaftliche Zuordnung des vertonten Librettos zur musikalischen Gattung Oratorium zugrunde zu legen, erweist sich dabei als wenig glücklich. Bezüglich der rein musikalischen Kriterien Form oder Besetzung gleicht das Oratorium ohnehin den benachbarten Gattungen Oper und Kantate. Auch die bereits genannten Kriterien, die sich auf den Text beziehen, sind unscharf und treffen auch auf etliche andere Gattungen zu. Die Forderung nach einem „in der Regel nichtliturgischen Text“ verbessert immerhin die Abgrenzung zu Messe und Requiem; eine große Grauzone stellen jedoch all die Mess- und Requiemkompositionen dar, die – angefangen mit Brahms’ D EUTSCHEM R EQUIEM und Schuberts D EUTSCHER M ESSE – statt des herkömmlichen liturgischen einen eigens angefertigten Text vertonen. Dass Howard Smither und Silke Leopold von einer nur vagen Definition ausgehen, wurde bereits erwähnt.32 Angesichts der Tatsache, dass die von ihnen behandelten Werke aus der ganzen, sich über mehrere Jahrhunderte erstreckenden Geschichte des Oratoriums stammen, ist dies verständlich und durchaus im Sinne einer pragmatischen Herangehensweise. Günther Massenkeil äußert sich in seiner Monographie zu Passion und Oratorium ähnlich unverbindlich: Was das Oratorium angeht, dürfte die Definition ausreichen, dass es allgemein die zu nichtszenischer Aufführung bestimmte Vertonung eines eigens dafür geschaffenen, meist umfangreichen geistlichen, in der Regel nichtliturgischen Textes ist, der einen den Inhalt bezeichnenden Titel trägt und auf mehrere Personen oder Personengruppen verteilt ist. Im einzelnen gibt es jedoch einerseits Oratorien, die nicht alle diese Merkmale aufweisen (szenische Oratorien, weltliche Oratorien); andererseits zählt die Fachwelt auch die große Zahl solcher Werke zur Gattung, die im Untertitel nicht die – eher seltene – Bezeichnung Oratorium tragen, sondern bestimmte andere Begriffe mit einer dem Wortsinn entsprechenden typologischen oder inhaltlichen Konnotation.33 Nun würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, alle Vokalwerke des 20. Jahrhunderts mit nicht-kanonischem Text in einen hermeneutischen Zirkel aus Gattungs- 32 Siehe oben, S. 13. 33 Massenkeil 1998, S. 5. 23 bestimmung und -prüfung einzubeziehen. Um die Ausgangsmenge der Werke einzugrenzen, verfolgt diese Arbeit einen produktionsästhetischen Ansatz. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass die Gattung Oratorium in verschiedenen historischen Ausprägungen in der aktuellen Rezeption präsent ist.34 Wir können deshalb davon ausgehen, dass ein Komponist oder Librettist, der sein Werk mit der Bezeichnung „Oratorium“35 versieht, aus gutem Grund sein Werk in die Gattungstradition stellt, um so die Rezeption des Werkes zu lenken: Ein Gattungsname aber, ‚Kantate‘ oder ‚Symphonie‘, ist ein Zeichen, das den Traditionszusammenhang andeutet, in den ein Werk gehört. Dass es als Exemplar einer Gattung zu verstehen ist, bedeutet, dass es von dem Hintergrund einer Gruppe von Werken abgehoben werden soll, deren Kenntnis der Komponist implizit voraussetzt.36 Wie nun genau die Vorstellung des Librettisten oder Komponisten von der Gattung Oratorium aussieht, ist an dieser Stelle unerheblich. Entscheidend ist – und davon gehe ich aus – dass sich seine Gattungsvorstellung in der Textgestaltung niederschlägt. Dies können bewusste Formkonzeptionen ebenso sein wie die unbewusste Nachahmung von Vorbildern und Adaption verschiedener musikalischer und literarischer Einflüsse. Meine Vorgehensweise war nicht empirisch in dem Sinne, dass ich Komponisten und Librettisten zu ihren Vorstellungen befragt hätte, um die Antworten hinsichtlich einer Gattungsdefinition auszuwerten – das liefe auf eine präskriptive poetologische Beschreibung hinaus. Mein Ansinnen ist, anhand der Texte formale und strukturelle Merkmale und daraus resultierend mögliche Gattungskriterien herauszuarbeiten. Die so gefundenen Kriterien sind zunächst natürlich nicht distinktiv in dem Sinne, dass sie ausschließlich auf Werke zutreffen, die den Titel „Oratorium“ tragen. In einem weiteren Schritt wäre zu prüfen, welche anderen Werke diese Kriterien ebenfalls erfüllen, und wie sich dies auf die Abgrenzung zu anderen Gattungen auswirkt. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und kann deshalb nur angedeutet werden. Die Ergebnisse dieser Arbeit können jedoch als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zum Oratorium und verwandten Gattungen im 20. Jahrhundert dienen. 34 Siehe oben, S. 18 35 Dazu zählen auch Untertitel und Varianten der Gattungsbezeichnung, die einen Bezug zum Oratorium herstellen (wie „Oratorische Szene“, „Kammeroratorium“ u. ä.). 36 Carl Dahlhaus: Zur Problematik der musikalischen Gattungen im 19. Jahrhundert, in Arlt u. a. 1973, S. 842. 24 1.2 M USIKALISCHE UND LITERARISCHE R AHMENBEDINGUNGEN Die Kulturgeschichte des 20. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, dass (in der Literatur ebenso wie in der Musik) nicht mehr von Epochen und Perioden gesprochen werden kann, innerhalb derer sich das künstlerische Schaffen in seinen Voraussetzungen und Prinzipien weitgehend homogen zeigt. Vielmehr spaltet sich die künstlerische Produktion in verschiedene Strömungen, die gleichzeitig nebeneinander existieren und die jeweils eigene Programme, Ausdrucksweisen und Traditionen entwickeln. Das Oratorium erlebt im 20. Jahrhundert alles andere als eine Blütezeit; es ist eher eine Randerscheinung. Im Bewusstsein der Fachöffentlichkeit am präsentesten sind die experimentellen Werke der Avantgarde, die sich in der Regel einer Gattungszuordnung verweigern. Und während Musikliebhaber neuere Instrumentalwerke oder kleinformatige Chormusik zumindest noch namentlich kennen, sind zeitgenössische Oratorien selbst Interessierten nur vereinzelt bekannt. Doch bei genauerem Hinsehen finden sich überraschend viele Komponisten, und bei weitem nicht nur Kirchenmusiker, die sich mit der Gattung auseinandergesetzt haben. Dabei sieht sich das Oratorium den unterschiedlichsten Einflüssen verschiedener musikalischer Strömungen ausgesetzt: von der Erneuerungsbewegung der Kirchenmusik und der Wiederentdeckung der Alten Musik durch die Jugendbewegung zu Beginn des Jahrhunderts, über die durch die avantgardistischen Bewegungen der Neuen Musik ausgelösten viel zitierten „Krise der Gattungen“, bis hin zum verstärkten Eindringen der Popmusik in die Kirchenmusik im letzten Drittel des Jahrhunderts. Literarische Entwicklungen haben demgegenüber nur schwachen Einfluss, wie überhaupt das Oratorienlibretto für die literarische Produktion eine nur geringe, selbst gegenüber seiner Schwester, dem Opernlibretto, geradezu verschwindende Rolle spielt. 1.2.1 Musikgeschichtliche Voraussetzungen: Die Zeit vor 1945 Zu Beginn des Jahrhunderts schien das Oratorium seine kirchenmusikalische Relevanz eingebüßt zu haben. Indem im Laufe der Romantik immer weniger christlich-geistliche, und statt dessen mehr weltliche Sujets wie Märchen, literarische Vorlagen37, Biographien oder Heldengeschichten38 behandelt wurden, entfernte es sich weiter aus dem kirchen- 37 z. B. Robert Schumann Das Paradies und die Peri, Andreas Romberg Das Lied von der Glocke, Max Bruch Das Lied von der Glocke u. a. 38 z. B. Max Bruch Achilleus, Odysseus, Arminius u. a. 25 musikalischen Bezugsrahmen und etablierte sich endgültig als Gattung des bürgerlichen Konzertwesens. Diese inhaltliche „Entgrenzung“39 ging einher mit einer Ausweitung der Formen: Weltanschauliche und geistliche Texte wurden zunehmend in sinfonischen Werken vertont (zu nennen sind beispielsweise etliche Sinfonien Gustav Mahlers oder Arnold Schönbergs G URRELIEDER ); „an einer Handlung entlangkomponierte Werke gelten zunehmend als altmodisch und kleinlich.“40 Die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung, die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte, erfasste zunächst weniger das Oratorium als die Passion: zu weit hatte sich das Oratorium bereits aus dem kirchlichen und gottesdienstlichen Rahmen entfernt. Im Rückgriff auf vor- und frühbarocke Traditionen, insbesondere unter Berufung auf Heinrich Schütz, entstanden eher an älteren Gattungen orientierte Werke, jedoch kaum Oratorien. Durch die Beschäftigung mit der Tradition stieg aber die Sensibilität für die Verwendung des Bibelworts und die Einbeziehung in den gottesdienstlichen und kirchlichen Rahmen. Zwar sollten Werke wie die A-cappella-Oratorien von Kurt Thomas oder Hugo Distlers Choralpassion, die nach dem Vorbild barocker responsorialer Passionsvertonungen entstand, ohne unmittelbare Nachfolger bleiben. Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch stellten sie für die junge Komponistengeneration, die auf der Suche nach unbelasteten Vorbildern war, wichtige Anknüpfungspunkte dar. Andere Komponisten schlossen sich der Erneuerungsbewegung nicht an; sie setzten die Kompositionsweise der Romantik weitgehend fort und übernahmen Neuerungen nur vorsichtig. So entstanden nach dem Ersten Weltkrieg eine Reihe von Oratorien eher traditioneller Machart, z. B. von Conrad Beck und Joseph Haas.41 Zwar gab es in der Schweiz und in Frankreich in der Zwischenkriegszeit verschiedene Ansätze, das Oratorium zu erneuern: Arthur Honegger beispielsweise führte unter dem Einfluss von Brechts epischem Theater einen Sprecher in seine Oratorien ein, und Igor Stravinskij versuchte mit seinem (von ihm so bezeichneten) Opéra-Oratorio O EDIPUS R EX die Nähe zur Oper fruchtbar zu nutzen. Doch scheint sich das Oratorium offenbar aufgrund seines weltanschaulichen Gehalts, seiner Textgebundenheit und seines Verkündigungsanspruchs gegen weitergehende avantgardistische Experimente zu sperren. So ist es nicht verwunderlich, dass diejenigen Komponisten, die sich von dem Erbe der Romantik zu lösen versuchten, es schließlich weitgehend ignorierten und sich 39 Massenkeil 1999, S. 284. 40 vgl. Ulrich Leisinger, Martin Geck: „Das deutsche Oratorium“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 775 41 vgl. Massenkeil 1999, S. 261 26 statt dessen dem Musiktheater zuwandten, das ein geeigneteres Experimentierfeld zu bieten schien. Ein Beispiel hierfür bietet Arnold Schönberg, der sich entschloss, sein großes, unvollendet gebliebenes geistlich-weltanschauliches Werk M OSES UND A RON als geistliche Oper und nicht, wie in ersten Versuchen, als Oratorium zu gestalten. Zu neuer Blüte gelangte das Oratorium in Deutschland erst in den 1930er Jahren. Den Grund dafür legte die „repräsentative Seite der Gattung“42 und ihre Eignung als Verkündigungsmedium ideologischer Propaganda. Nirgendwo sonst entstanden in den 1930er Jahren so viele Oratorien wie im deutschen Sprachgebiet,43 viele davon traditionellvolkstümelnd, etliche deutlich von der faschistischen Ideologie geprägt.44 Avantgardistische Werke wie Ernst Kreneks S IMEON DER S TYLIT (1935/36, mit einem Libretto des Dadaisten Hugo Ball) sind nur vereinzelt zu finden, zumal sich avantgardistische Komponisten in Deutschland der Ächtung und Verfolgung ausgesetzt sahen. Während des Zweiten Weltkriegs kam das kompositorische Schaffen und damit die Oratorienproduktion in Deutschland weitgehend zum Erliegen. Im deutschen Sprachraum brachten nur Komponisten in der Schweiz, wie Arthur Honegger, Willi Burkhard und Frank Martin, noch beachtenswerte Werke hervor, die jedoch in Deutschland und Österreich erst verzögert, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bekannt und rezipiert wurden.45 1.2.2 Zwischen Neuer Musik und Tradition: Oratorium nach 1945 Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von einer zunehmenden Spaltung der Musikkultur.46 Diese begann damit, dass sich die so genannte Neue Musik von der etablierten bürgerlichen Musikkultur und ihren tradierten Formen und Institutionen 42 vgl. Lucinde Lauer, Christian Thorau: „Das Oratorium im 20. Jahrhundert“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 795 43 vgl. Massenkeil 1999, S. 267 44 Exemplarisch ist Das Lied von der Mutter von Joseph Haas aus dem Jahre 1939, das deutlich einer Blutund-Boden-Ideologie huldigt und das „Heldentum der Mutter“ und den „Opfertod“ ihres Sohnes im Krieg verherrlicht. Volkstümlich-unverfänglich geben sich viele Oratorien, die den Jahreskreis behandeln, wie z.B. Armin Knab, Das gesegnete Jahr (1935-43), oder Hermann Reutter, Der große Kalender (1933), die jedoch, indem sie ein anachronistisch verklärtes Bild ländlichen Lebens zeichnen, sicherlich auch ideologisch gewirkt haben dürften. 45 vgl. Massenkeil 1999, S. 274f. 46 vgl. dazu Danuser 1984, S. 350: „Als mit der Uraufführung von Igor Stravinskis The Rake’s Progress ... die Epoche des Neoklassizismus zu einem glanzvollen Ende gekommen war, begann eine Zeit, die für die Oper als musikalische Gattung so ungünstig war wie selten zuvor. Unter den Voraussetzungen einer Musikkultur, die sich in zwei Bereiche – ‚Neue Musik‘ und ‚Tradition‘ – spaltete, blieb, wer Opern schrieb, vom Kern der Neuen Musik ausgeschlossen. Umgekehrt mochte, wer zur Avantgarde gehören wollte, unter den tradierten Gattungen sich am allerwenigsten auf die Oper einlassen.“ 27 löste und sich mit den Darmstädter Ferienkursen und den Donaueschinger Festspielen ihre eigenen Institutionen und ein eigenes Publikum schuf. Die dadurch ausgelöste Auffächerung des musikalischen Spektrums wurde durch die Entwicklung der Rockund Popmusik noch verstärkt. Sich als Komponist zu etablieren war damit nicht mehr an die althergebrachten Institutionen gebunden. Vielmehr entwickelten die verschiedenen Stile und Richtungen ihre Nischen, ein eigenes Publikum, eigene Aufführungsund Publikationsorte. So entstand neben der Neuen Musik, die in der Öffentlichkeit einiges Aufsehen zu erregen verstand, eine rege, aber außerhalb des christlich-engagierten Umfelds wenig bekannte Kirchenmusik-Szene. Die Rockmusik folgt ohnehin ganz anderen kulturellen und kommerziellen Bedingungen; eine eigene Nische hat sich die christliche Rockmusik geschaffen. Doch auch im Konzertleben lässt sich eine immense Vielfalt beobachten: Sinfonien, die den traditionellen Vorgaben in Form, Besetzung und Tonsprache weitgehend folgen, erleben ebenso ihre Uraufführung wie multimediale Konzeptkunst, die den Rahmen des Musikalischen sprengt. Daraus lassen sich im Wesentlichen vier Strömungen identifizieren, die für das Oratorium von Bedeutung sind: die Neue Musik, die mit avantgardistischem Anspruch auftritt, die traditionsverhaftete geistliche Musik (die an die Romantik einerseits, an alte kirchenmusikalische Traditionen andererseits anknüpft), kirchenmusikalische Erneuerungsbewegungen (man denke beispielsweise an das Neue Geistliche Lied) und schließlich die christliche Popularmusik. Der Einfluss der Neuen Musik auf das Oratorium war in der ersten Nachkriegszeit gering; später machte er sich eher indirekt bemerkbar. Ideologisch war das Oratorium belastet durch die Vereinnahmung im Nationalsozialismus, kompositorisch dem Erbe der Romantik verhaftet – auf die junge, aufstrebende Komponistengeneration übte es deshalb nach dem Krieg wenig Anziehungskraft aus. Diese begab sich statt dessen auf eine „fieberhafte Suche nach neuen Klängen, die von der Vergangenheit unbelastet waren, ... mit der Absicht, ganz von vorne ein neues Musikverständnis aufzubauen“47. Dabei wurde nun – verspätet – die bis dato in Deutschland weitgehend unbekannten zeitgenössischen Werke des Auslands rezipiert, wie die Musik Arthur Honeggers, Darius Milhauds, Claude Debussys und Igor Stravinskijs. Zum anderen entsprangen der Wiederanknüpfung an die Zweite Wiener Schule und insbesondere der (Wieder-) Entdeckung der Musik Alban Bergs immer radikalere avantgardistische Ansätze. Der experimentelle Umgang mit dem musikalischen Material, der in den folgenden Jahr- 47 vgl. Ludwig Finscher: „20. Jahrhundert“, in Artikel „Deutschland“, MGG(neu), Bd. 2 (1995), Sp. 1193 28 zehnten über serielle Konzeptionen bis zur „Entkunstung der Kunst“ führte, löste die Suche nach einer individuellen Musiksprache und geeigneten Gattungsformen ab. Je mehr jedoch nicht nur musikalische, sondern auch außermusikalische Elemente wie der Text von seriellen Techniken erfasst wurden, desto stärker wirkte sich die „Unvereinbarkeit serieller Techniken mit der Ausdrucksgebundenheit der oratorischen Gattung“48 aus. Das bedeutet nicht, dass die Neue Musik nicht auch Traditionen des Oratoriums aufgegriffen und verarbeitet hätte. 49 Zahlreiche großformatige Vokalwerke der 1960er und 70er Jahre, z. B. von Karl-Heinz Stockhausen, Dieter Schnebel und Klaus Huber, setzen sich produktiv mit der Divergenz von Tradition und neuen Techniken auseinander. Sie stehen dem Oratorium durchaus nahe und werden in der musikwissenschaftlichen Literatur gerne als Oratorien bezeichnet: Klaus Hubers H IOB 19 und B EATI PAUPERES , Schnebels T OTENTANZ , Karl-Heinz Stockhausens D ER G ESANG F EUEROFEN und DER J ÜNGLINGE IM Dieter andere mehr. Doch findet sich in dieser Zeit kaum ein Werk eines avantgardistischen Komponisten, das sich selbst eine traditionelle Gattungsbezeichnung gibt, schon gar nicht die des Oratoriums. Andererseits fanden Erfindungen der Neuen Musik, wie Lautkompositionen oder der Einsatz von Elektronik und Tonbandeinspielungen, seit den 1970er Jahren ihren Weg ins Repertoire auch der traditionelleren Komponisten. Auch am Oratorium gingen diese Experimente nicht spurlos vorüber. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bei allem Wirbel, den die Vertreter der Neuen Musik in der musikalischen Öffentlichkeit verursachten, diese selbst in ihrer Blütezeit in den 1960er und 1970er Jahren nur einen Teilbereich der musikalischen Produktion ausmachte. Die ältere Komponistengeneration – dazu sind beispielsweise Wolfgang Fortner, Günter Bialas, Carl Orff und Johannes Driessler zu rechnen – stellte ihre bisherigen Kompositionsweisen und stilistischen Mittel nicht grundsätzlich in Frage. Sie setzte die musikalischen Traditionen, darunter auch die Gattungstradition des Oratoriums, weitgehend bruchlos fort. Die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit und mit den neuen musikalischen Strömungen erfolgte auf individuelle Weise und führte nur vereinzelt zu eher gemäßigten Experimenten.50 48 vgl. Lucinde Lauer, Christian Thorau: „Das Oratorium im 20. Jahrhundert“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 798 49 vgl. auch Massenkeil 1999, S. 284 50 vgl. Lucinde Lauer, Christian Thorau: „Das Oratorium im 20. Jahrhundert“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 798 29 Zu dem Bereich traditionell geprägten musikalischen Schaffens sind auch große Teile der Kirchenmusik zu rechnen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder um eine Erneuerung innerhalb der von ihr begründeten Traditionen bemüht. Vor allem in der protestantischen Kirchenmusik fand man ein Vorbild in der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung der Zwischenkriegszeit. Nach dem Beispiel der Werke Hugo Distlers und Kurt Thomas’ entstanden in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten über 60 Vokalwerke, die sich an ältere Gattungsformen und Vorläufer des Oratoriums (wie die Historie oder die motettische Passion) anlehnten, z. B. von Rudolf Mauersberger, Ernst Pepping, Hans Micheelsen, Kurt Fiebig, Eberhard Wenzel, Helmut Degen u. a.51 Die Rückbesinnung auf alte Traditionsstränge und auf das A-cappella-Ideal ging einher mit der Suche nach neuen textlichen Ausdrucksformen: Die Kirchenmusik sollte von der Ausdrucksüberladenheit und dem Pathos der Romantik befreit, wieder stärker in den Dienst des Bibelworts gestellt und aus sich heraus erneuert werden.52 Die traditionellen künstlerischen Ausdrucksformen bekamen mit der so genannten „Krise der Moderne“ neuen Zulauf, als gegen Ende der 1970er Jahre „der Grundsatz, Kunst müsse neu sein, um als authentisch gelten zu können, aufgelöst oder gar in sein Gegenteil verkehrt wurde“53. Zwei Strömungen sind zu beobachten, die beide eine Gegenbewegung zu der in die Sackgasse geratenen Neuen Musik darstellen: einerseits die „neue Innerlichkeit“ als Entwurf einer Kunst mit elitärem Absolutheitsanspruch, andererseits eine Popularisierung und Hinwendung zu einem breiteren, nicht-elitären Publikum. Beide Bewegungen gingen einher mit einem verstärkten Rückgriff auf traditionelle, dem Publikum vertraute und beliebte Gattungen. Dabei wird die Wahl der Gattung nicht mehr als Erfüllung einer poetischen oder musikalischen Gattungsnorm, sondern als Teil des individuellen Werkkonzepts begriffen, als Ausdruck des eigenen weltanschaulichen und ästhetischen Standpunkts.54 Im Gegensatz zur Funktion der Gattungen im Neoklassizismus, einen Weg aus den Aporien expressionistischer Freiheit zu weisen und die kompositorische Subjektivität zu ‚entlasten‘, handelt es sich hier nicht um die Restitution bestimmter historischer Form- und Satzmodelle. Es geht vielmehr darum, unter Aufsprengung des Kanons des Verbotenen zu jener allein von der kompositorischen Subjektivität verantworteten Freiheit zu gelangen....55 51 vgl. hierzu und zum folgenden Massenkeil 1999, S. 276f. 52 vgl. hierzu auch Adam Adrio, „Erneuerung und Wiederbelebung“, in Blume u. a. 1965, S. 279f. 53 Danuser 1984, S. 400 54 vgl. Reimer 1972, S. 9 sowie Massenkeil 1999, S. 296 55 Danuser 1984, S. 400 30 Gleichzeitig mit der Konzertmusik bemühte sich auch die Kirchenmusik, breitere Publikumsschichten zu erreichen. Dadurch wurde eine Öffnung gegenüber musikalischen Einflüssen außerhalb des europäischen Kanons in Gang gesetzt. In der weltlichen Musik wurden vor allem der Jazz und andere außereuropäische Musikstile rezipiert (so führte z. B. bei Philip Glass die Beschäftigung mit indischer Musik zur Entwicklung der Minimal Music), während die Kirchenmusik, vor allem die protestantische, Rockmusik und Schlager als Mittel der Verkündigung entdeckte. 1.2.3 Einflüsse populärer Musik Der Einfluss populärer Musikrichtungen, der Rock- und Popmusik, des Jazz und des Gospels nach dem Zweiten Weltkrieg ist nicht wirklich neu – schon 1930 komponierte Erwin Schulhoff sein „Jazz-Oratorium“ H.M.S. R OYAL O AK . Neu ist jedoch, dass sich parallel zur althergebrachten Kirchenmusik eine populäre Kirchenmusikkultur entwickelt: Jazzund Gospelchöre in den Gemeinden, christliche Bands und Musicals, eine breite kompositorische Tätigkeit von religiösen Liedermachern und Bandleadern. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildeten sich vielfältige Subkulturen und Szenen heraus, die – ähnlich wie die avantgardistische Neue Musik – eigene Formen und Inhalte, eigene Aufführungsorte, Verlage und Rezeptionsweisen vorweisen können. Das Oratorium als inhaltlich wenig festgelegte, flexible Großform übt dabei offensichtlich eine nicht geringe Anziehungskraft aus. Jedenfalls finden sich im 20. Jahrhundert zahlreiche Oratorien von Komponisten populärer christlicher Musik. Doch sind auch hier die Grenzen fließend: zu offenen Formen der Popmusik und zum christlichen Musical, auf der anderen Seite aber auch zur „E-Musik“, die sich ihrerseits dem Einfluss populärer Musikstile ausgesetzt sieht. In der Rezeption des breiten Publikums spielen popularmusikalische oratorische Formen sicherlich eine größere Rolle als avantgardistische Werke der Neuen Musik. Dennoch werden sie in der musikwissenschaftlichen Literatur zum Oratorium nicht einmal 31 erwähnt, 56 obwohl sich etliche Werke selbst als „Pop-Oratorium“ oder „NGL-Oratorium“ bezeichnen und deutlich in die Gattungstradition stellen (und sicherlich hoffen, dadurch eine gewisse Aufwertung zu erfahren, die ihnen von dem etablierten Feuilleton und der traditionellen Kirchenmusik immer noch verwehrt bleibt). Die christliche Popmusik, das populäre Oratorium gibt es nicht. Vielmehr weist die christliche Musikszene eine Vielzahl von Strömungen auf, die in unterschiedlichem Maße auf verschiedene Wurzeln zurückgehen. Peter Bubmann57 nennt als wichtigste Wurzeln erstens die Jazz- und Rockmusik und den Gospel, zweitens den religiösen Schlager und drittens das Neue Geistliche Lied (NGL). Elemente des Jazz und Rock ’n’ Roll sowie des Spirituals finden sich seit der Mitte der 1950er Jahre in Gottesdienstmusik und Mess-Kompositionen. In Assisi fand 1957 ein „Festival des neuen Gesangs“ statt; gleichzeitig verbreiteten sich in Deutschland deutsche Fassungen amerikanischer religiöser Schlager. Ein Preisausschreiben der Evangelischen Akademie Tutzing löste 1960 einen regelrechten Boom religiöser Schlager aus; das Siegerlied „Danke“ des Kirchenmusikers Martin G. Schneider gelangte sogar in die Hitparaden und wurde ein Evergreen der Gemeindemusik. Gleichzeitig verbreiteten sich das christliche Musical (z. B. Helmut Barbe: H ALLELUJAH B ILLY , 1956) sowie Rock-, Pop-, Beat- und Jazzmessen (z. B. Peter Janssens J AZZ -M ESSE von 1963). In den 1960er und 1970er Jahren etablierte sich die christliche Pop- und Schlagerszene: Sendeplätze im Hörfunk wurden eingerichtet, große Festivals veranstaltet, erste christliche Schallplattenlabels entstanden, und zahlreiche Bands und Gruppierungen konnten sich einen festen Platz im christlichen Musikleben sichern. Auch die Kirchentage boten ein immer wichtigeres Forum für populäre Formen musikalischer Verkündigung. Im Gegensatz zu dem aus den Quellen des Rock und des Schlagers gespeisten „Sacropop“ entsprang das Neue Geistliche Lied dem bereits erwähnten Impuls, die Kirchenmusik aus sich heraus zu erneuern. Wichtige Vorbilder waren wieder einmal die Sing- 56 Nicht nur von musikwissenschaftlicher Seite, sondern insgesamt ist die Literatur zu populärer christlicher Musik sehr spärlich. In MGG wird man gar nicht fündig: selbst der Artikel „Kirchenlied“ erwähnt das Neue Geistliche Lied nur mit zwei Sätzen. Christliche Popmusik wird in der Forschung überwiegend im Rahmen der praktischen Theologie unter dem Stichwort Jugendarbeit behandelt, wobei hier der Schwerpunkt meist auf Fragen der theologisch motivierten Didaktik und Pädagogik liegt. Die wenigen mir bekannten Publikationen, die sich systematisch mit christlicher Popularmusik beschäftigen (vgl. insbesondere Bubmann 1990), stammen ebenfalls aus dem Umfeld der Theologie und nicht der Musikwissenschaft. Diese vermutlich von Werturteilen geleitete Ignoranz der musikwissenschaftlichen Forschung nicht nur gegenüber christlicher Popmusik, sondern gegenüber Rock- und Popmusik insgesamt verwundert angesichts der Tatsache, dass diese inzwischen einen großen Teil der gesamten Musikproduktion ausmacht. 57 vgl. hierzu und zum folgenden Bubmann o. J. 32 bewegung und die kirchenmusikalische Erneuerungsbewegung der Zwischenkriegszeit.58 Das Neue Geistliche Lied orientiert sich bewusst am reformatorischen Choral und dem Volkslied, „verbunden mit einem Schuss Rhythmik“59. Dabei spielt auch der Einfluss der einfachen liturgischen, meditativen Gesänge der Kommunität von Taizé eine Rolle. Seit den 1970er Jahren fand das NGL – ebenfalls mit Hilfe der Kirchentage – seinen Weg in weite Bereiche der Gemeindearbeit bis hin in den Gottesdienst. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden immer mehr Notenhefte und Liederbücher verlegt, und spätestens mit der Einführung des neuen Evangelischen Gesangbuchs Anfang der 1990er Jahre erhielten zahlreiche NGL einen Platz im offiziellen Standardrepertoire des Kirchengesangs und der Gemeindemusik. Auf katholischer Seite bleibt noch abzuwarten, was die derzeitig laufende Überarbeitung und Neuentwicklung des Gotteslobs ergeben wird. Mit dem zunehmenden Erfolg und der Etablierung des Sacropop und des NGL wuchs bei christlichen Komponisten populärer Musik das Interesse an musikalischen Großformen, vor allem an Messe, Musical und Oratorium. Der Schlagersänger Siegfried Fietz produzierte in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Oratorien, angefangen mit P AULUS von 1972. Peter Janssens und Ludger Edelkötter, führende Köpfe der Sacropop- Szene, machten mit christlichen Musicals auf sich aufmerksam. Eine wichtige Rolle spielten auch die großen Jugendchöre, wie der 1968 gegründete Schalom-Chor oder Klaus Heizmanns Jugend-für-Christus-Chor, die Evangelisationsveranstaltungen musikalisch gestalteten. Diesem Umfeld entstammt das populäre christliche Oratorium. Es ist stärker missionarisch ausgerichtet als die herkömmlichen Oratorien, die eher eine individuelle Auseinandersetzung mit dem Glauben artikulieren, und zielt auf ein kollektives religiöses Erlebnis. Deswegen wird üblicherweise eine bewusst einfache, eingängige textliche und musikalische Sprache gewählt, die zum Mitsingen einlädt. Auf der anderen Seite kamen durch das NGL und die Rückbesinnung auf kirchenmusikalische Traditionen im Sacropop- und NGL-Oratorium stärker als in anderen Formen christlicher Popularmusik wieder überlieferte Formen und Ausdrucksweisen ins Spiel. Zahlreiche Komponisten, vor allem die jüngere Generation von Kirchenmusikern und Komponisten (Stefan Heucke, Stefan Jänke u. a.), lassen sich ohnehin nicht eindeutig der „populären“ oder der „ernsthaften“ Musik zuordnen; sie schöpfen in ihren Werken aus der gesamten musikalischen Vielfalt, die sich ihnen bietet, von der alten Musik bis zum modernen Schlager. 58 vgl. Abschnitt 1.2.1 59 Bubmann o. J. 33 1.2.4 Literaturgeschichtliche Voraussetzungen Anders als das Opernlibretto hat das Oratorienlibretto im 20. Jahrhundert die Schriftsteller wenig herausgefordert. Das mag seinen Grund in der bisweilen bitter beklagten allgemeinen „Kirchenfeindlichkeit neuzeitlicher Schriftsteller“ haben.60 Vielleicht liegt es aber auch daran, dass experimentierfreudige und avantgardistische Autoren zwar nicht so sehr den traditionellen Gattungen ablehnend gegenüber stehen, zumindest sehr viel weniger als ihre komponierenden Kollegen, wohl aber den funktionalen Gattungen. In der Oper des 20. Jahrhunderts macht sich dies weniger bemerkbar, weil ihr die kompositorischen Experimente des neuen Musiktheaters, aber auch der Einfluss des absurden und des Brecht’schen epischen Theaters zugute kamen. Auch zeigt das Opernlibretto eine gewisse Verwandtschaft zu literarischen Gattungen wie dem Drama oder dem Hörspiel und übt vielleicht dadurch noch einen stärkeren Reiz aus als das Oratorium. Wo jedoch die Auseinandersetzung mit Gott gesucht und betrieben wird, wählen zeitgenössische Autoren eher rein literarische Gattungen, die mehr intellektuelle Analysen, Differenzierungen und Darstellung von Zwischentönen erlauben, als musiko-literarische Gattungen, die zu einer Personenreduktion und einer kontrastierenden, tendenziell schwarz-weiß-malenden Darstellung zwingen. Anders als bei den Opernlibrettisten finden sich bei den Oratorienlibrettisten nur wenige bekannte Schriftsteller. Andererseits werden Oratorienlibretti auch anerkannter Autoren oft nicht als relevant innerhalb ihres Gesamtwerks angesehen. Wenn Albert Gier über das Opernlibretto sagt: „Natürlich sind die Libretti namhafter Dichter und Schriftsteller in den kritischen Ausgaben ihrer Werke enthalten“61, so trifft das für Oratorienlibretti keineswegs zu!62 Mit dieser mangelnden Wertschätzung hängt wohl zusammen, dass sich auf der Seite der Oratorienlibrettisten vor allem Autoren finden, für die das Oratorium als Medium der Verkündigung eine Rolle spielt: Pfarrer, Kirchenmusiker, Verfasser religiöser Gebrauchsliteratur. Avantgardistische Experimente auf der Textebene fanden freilich statt: In den ersten Nachkriegsjahrzehnten machte die Sprach- bzw. Lautkomposition, die sich im Musiktheater vor allem dort durchsetzte, wo ein „moderner Literatur entsprechende[r] Kunstanspruch“ auch auf Textebene angestrebt ist,63 ihren Einfluss auch auf das 60 vgl. z. B. die heftige Polemik von Hans Bänzinger (Bänziger 1992, S. 112) 61 Gier 2000, S. 54 62 Beispielsweise fehlt in jeder Ausgabe der Werke von Stephan Hermlin sein Mansfelder Oratorium (vertont von Ernst Herrmann Meyer). Vgl. Stefan Bodo Würfel: „Verkündigung als literarische Form“, in Schmidinger 1999 Bd. 2, Fn. S. 219 63 Danuser 1984, S. 364 34 Oratorium geltend. Jedoch wurden diese Werke nur selten von den Autoren bzw. Komponisten als Oratorium betitelt, sondern tragen meist gar keine oder eine eigens geschaffene, oft hybride Gattungsbezeichnung (bekannte Beispiele sind die Werke von Klaus Huber und Dieter Schnebel)64. Als sich dann seit den 1980er Jahren die Versuche mehrten, innerhalb der Gattung sprachliche Möglichkeiten und Grenzen auszuloten, zeigte das Oratorium eine gewisse Anziehungskraft als Medium für eine individuelle Auseinandersetzung mit existenziellen Sinnfragen ohne Einschränkungen durch literarische Gattungskonventionen. Sicherlich spielte dabei auch die emotionale Verdichtung durch die Musik eine Rolle und die Aussicht, ein Publikum außerhalb der Leserschaft religiös motivierter Literatur zu erreichen. Oratorienlibretti namhafter Schriftsteller blieben zwar selten, doch lassen sich viele Librettisten zumindest als professionelle Autoren bezeichnen – etwa der Kölner Lyriker Klaus Lüchtefeld (A UF DEM R AND DER M AUER für Heinz-Martin Lonquich) oder der publika- tionsfreudige Pfarrer Gerhard Engelsberger (S CHÖPFUNG für Krzysztof Meyer). Einen erheblichen Teil der Librettisten machen Geistliche aus: beispielsweise der bereits erwähnte Pfarrer Gerhard Engelsberger, der Benediktiner-Mönch Martin Uhlenbrock65 und der Pfarrer und ehemalige sächsische Superintendent Dietrich Mendt66. Andere sind Religionspädagogen oder in der Wissenschaft tätige Theologen, beispielsweise der Sozialarbeiter und Pfarrer Eugen Eckert67 oder Claus-Peter März68, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Universität Erfurt. Die Oratorien dieser Librettisten sind stark dem kirchlich-geistlichen Umfeld verhaftet, dem sie entstammen; die Verkündigung hat in vielen Fällen Priorität vor dem literarisch-künstlerischen Anspruch. Etliche Librettisten stammen aus Bewegungen im Umfeld christlicher Popularmusik und haben sich im Bereich des Neuen Geistlichen Lieds einen Namen gemacht, wie die schon erwähnten Autoren Claus-Peter März, Eugen Eckert, Klaus Lüchtefeld. Zu einem erheblichen Teil erstellen die Komponisten selbst den Text, wobei sie dann zumeist auf Werke anerkannter Dichter und Denker zurückgreifen.69 Bei etlichen 64 siehe auch oben, Abschnitt 1.2.1, S. 28f. 65 Oratorium Benedictum (Komposition: Matthias Bonitz) 66 Von den Mühen der Heimkehr, Weihnachtsoratorium (Komposition: Matthias Drude) 67 Hiob (Komposition: Jürgen Blume), Daniel (Komposition: Thomas Gabriel), Emmaus (Komposition: Thomas Gabriel) 68 Aufstand der Worte (Komposition: Kurt Grahl) 69 Eine beliebte Begründung von Komponisten, den Text selbst zu erstellen, ist der nach wie vor oft gehörte Vorwurf, es gäbe zu wenig qualitativ zufriedenstellende Libretti. Ob diesem Mangel tatsächlich abgeholfen wird, wenn literarische Dilettanten – und darum handelt es sich bei den meisten Komponisten – zur Feder greifen, darf bezweifelt werden. 35 Oratorien, die mehr themen- als handlungsorientiert vorgehen und deren Text aus zahlreichen literarischen Quellen zusammengestellt ist, geht die Textauswahl und -erstellung sicherlich mit der kompositorischen Konzeption Hand in Hand. Oft steht am Anfang die Faszination für einen bestimmten Text, der zur Vertonung anregt, die Auseinandersetzung mit dem „Buch der Bücher“ bzw. die kompositorische Verarbeitung einer individuellen Bibellektüre. Die drei Oratorien von Oskar Gottlieb Blarr (J ESUS P ASSION , J ESUS -G EBURT sowie W ENN DU AUFERSTEHST - WENN ICH AUFERSTEH ’ )70 beispielsweise sind Resultat eines längeren Israel-Aufenthalts und der dadurch ausgelösten Auseinandersetzung mit den theologischen und geschichtlichen Wurzeln der christlichen Botschaft und dem christlich-jüdischen Dialog.71 Viele Weihnachtsoratorien, z. B. von Giselher Klebe oder Otfried Büsing (D AS L ICHT DER E NGEL ), entstehen aus der Beschäftigung mit der Weihnachtsgeschichte oder mit älteren Vorbildern wie J. S. Bachs Weihnachtsoratorium und stellen der Tradition eigene Lesarten und Konzepte gegenüber. Insgesamt steht die Auseinandersetzung mit literarischen Traditionen im Oratorienlibretto deutlich hinter der mit kompositorischen Vorbildern und theologischen Diskursen zurück. Sie ist eine Angelegenheit der individuellen Verarbeitung des Autors. Zwar finden literarische Entwicklungen (mit Verzögerung) Eingang ins Oratorium, indem beispielsweise moderne Texte zitiert oder vollständig übernommen werden. Jedoch herrscht überwiegend ein Kanon vor, der nahezu ausnahmslos der etablierten Literatur zugerechnet werden kann: Gedichte von Rainer Maria Rilke, Paul Celan, Nelly Sachs, Peter Härtling und anderen. Beliebt sind auch Texte dichtender Theologen, allen voran von Kurt Marti und Dietrich Bonhoeffer. Wenn Dieter Borchmeyer das Opernlibretto als „die große Brücke, die über den Kontinuitätsbruch im 18. Jh., welcher die Moderne einleitet, hinwegführt und manches an verdrängten Traditionen fortsetzt“72 bezeichnet, so kann man das zweifellos auch auf das Oratorienlibretto übertragen. Insgesamt ist also festhalten, dass das Oratorienlibretto eher textkonservativ ist und in der Regel die Verkündigung, nicht das künstlerische Experiment, im Vordergrund steht.Forschung zum Oratorienlibretto 70 Da Oskar Gottlieb Blarr Bibeltexte grundsätzlich hebräisch bzw. aramäisch wiedergibt, ist der Text von allen drei Oratorien zu weiten Teilen nicht deutschsprachig. Jesus-Geburt und Jesus-Passion konnten deshalb in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt werden. Einzig in Wenn du auferstehst - wenn ich aufersteh’ wiegen die deutschen Textanteile die fremdsprachlichen in etwa auf. 71 vgl. Programmheft zur Uraufführung von Wenn du auferstehst - wenn ich aufersteh’ am 3.3.1996 in der Christuskirche Mannheim 72 vgl. Dieter Borchmeyer: „Textform“, in Artikel „Libretto“, MGG(neu), Bd. 4 (1996), Sp. 1118 36 1.3 1.3.1 F ORSCHUNG ZUM O RATORIENLIBRETTO Musikwissenschaftliche Forschung Aus musikwissenschaftlicher Sicht scheint das Oratorium in jüngerer Zeit relativ gut erforscht zu sein. Nachdem es über ein Jahrhundert lang keine aktuelle Monographie gab, die mit Arnold Scherings Geschichte des Oratoriums von den Anfängen bis zur Gegenwart (1882) vergleichbar gewesen wäre, liegen aus den letzten zehn Jahren gleich zwei umfangreiche Neuveröffentlichungen vor: Günther Massenkeils zweibändiges Werk Oratorium und Passion73 und Howard Smithers vierbändige History of the Oratorio, deren erste Bände 1977 erschienen und die im Jahr 2000 mit einem Band über das 19. und 20. Jahrhundert abgeschlossen wurde.74 Beide Monographien bieten jedoch nur wenige Ansatzpunkte für die vorliegende Arbeit. Zum einen umfasst ihre Darstellung die gesamte Geschichte der Gattung von den Anfängen bis heute und ist natürlich nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt. Massenkeil setzt zwar den Schwerpunkt seiner Darstellung der Zeit nach 1945 auf Deutschland und die Schweiz; bei Smither hingegen liegt das Hauptaugenmerk auf dem englischsprachigen Raum. Zum anderen spielen für beide Autoren die Libretti nur eine untergeordnete Rolle. Massenkeil misst dem Libretto kaum eigenständige Bedeutung bei; vielmehr sieht er die Entwicklung des Oratoriums im 20. Jahrhundert als „Umgang mit dem oratorischen Erbe, den man wohl am besten als dessen textliche und inhaltliche Entgrenzung bezeichnen kann“75, so dass die vertonten Texte „heute kaum jemand mehr als Libretti bezeichnet“76. Smither scheint den Libretti mehr Gewicht beizumessen; immerhin widmet er den Libretti der Oratorien nach 1914 ein eigenes Kapitel, bevor er sich der Musik zuwendet.77 Doch beim näheren Hinsehen stellt man fest, dass sich die Untersuchung der Libretti auf eine Übersicht der zugrundeliegenden Stoffe beschränkt. Für diese Arbeit sind die beiden Publikationen allerdings schon deshalb wenig ergiebig, weil sie keine eindeutigen Kriterien liefern, was sie als Oratorium klassifizieren und was 73 Massenkeil 1998 und 1999 74 Smither 1977a, 1977b, 1987 und 2000 75 Massenkeil 1999, S. 284 76 Massenkeil 1999, S. 296 77 Smither 2000, S. 632ff. 37 nicht.78 Smither beschränkt sich auf die Minimalforderung „long concert pieces with narrative or dramatic texts set to music for soloists, chorus, and orchestra“79, gleichgültig ob geistlich oder weltlich und gleichgültig, welche Gattungsbezeichnung sie selbst tragen. Massenkeil konstatiert für das 20. Jahrhundert eine grundsätzliche „Infragestellung des Oratoriums im Kontext der gleichzeitigen Krise des musikalischen Gattungsgefüges“80 und spricht fortan nur noch vom „oratorischen Erbe“, in das er auch die meisten Passionsvertonungen mit einbezieht. Zudem räumt er ein, dass die Darstellung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lückenhaft ist: Hier muss es genügen, durch Listen von oratorischen Werken bedeutender Komponisten einen chronologischen Aufriss zu skizzieren und einzelne bemerkenswerte Werke beider Gattungen näher zu betrachten...81 Ähnlichen Einschränkungen unterliegt auch der Artikel Oratorium in der neuen Ausgabe von MGG82; hier zwingt schon die Kürze zu starker Reduzierung des Stoffes. Der Artikel Libretto wiederum bietet keinerlei Ansatzpunkte für die Beschäftigung mit dem Oratorium. Zwar führt er noch – ganz in Übereinstimmung mit der alten Ausgabe von MGG83 – das Libretto als „Textvorlage einer Oper, eines Oratoriums und überhaupt eines größeren Vokalwerkes in Dialogform“, beschränkt sich jedoch – ebenfalls wie sein Vorgänger – im weiteren ganz auf das Opernlibretto. Neben diesen fachwissenschaftlichen Übersichtspublikationen gibt es zahlreiche Handbücher, die sich an Wissenschaftler und mehr noch an Musikpraktiker richten. Die vier wichtigsten sind Kurt Pahlens Oratorien der Welt 84, der unlängst überarbeitete Chormusik- und Oratorienführer aus dem Hause Reclam85, der Harenberg Chormusikführer86 aus dem selben Jahr sowie der 2000 erschienene Oratorienführer von Silke Leopold und Ullrich Scheideler87. All diesen Handbüchern ist gemeinsam, dass sie den Begriff ORATORIUM sehr weit fassen.88 Dies ist im Hinblick auf die Hauptzielgruppe und die 78 zur Gattungsproblematik vgl. auch Abschnitt 1.1.2, S. 14ff. 79 Smither 2000, S. 613 80 Massenkeil 1999, S. 259 81 Massenkeil 1999, S. 14 82 vgl. Lucinde Lauer, Christian Thorau: „Das Oratorium im 20. Jahrhundert“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 798ff. 83 vgl. Artikel „Oratorium“, in MGG, Bd. 10 (1962), Sp. 120 84 Pahlen 1985 85 Oehlmann/Wagner 1999 86 Gebhard 1999 87 Leopold/Scheideler 2000 88 siehe auch Abschnitt 1.1.1, S. 26 38 Zielsetzung dieser Handbücher vollkommen gerechtfertigt, wollen sie doch „nicht nur rückwärtsgewandte Gattungsgeschichte, sondern auch Anregung für die musikalische Praxis“89 sein und „Dirigenten, Sänger und Sängerinnen sowie die Freunde der Chormusik mit viel Anregung für Planung, Singen und Hören ins neue Jahrtausend geleiten.“90 Für gattungsgeschichtliche Untersuchungen ist dieses Vorgehen jedoch zu ungenau. Hinzu kommt, dass sich Werke des 20. Jahrhunderts eher vereinzelt finden; selbst bei Leopold/Scheideler, die sich um eine größtmögliche „Ausgewogenheit ... der Jahrhunderte“91 bemühen, sind sie schnell aufgezählt. Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Geschichte des Oratoriums aus musikalischer bzw. musikwissenschaftlicher Sicht zwar durchaus gut erschlossen ist, für das 20. Jahrhundert jedoch deutliche Lücken und Unzulänglichkeiten aufweist. Erst recht liefert die musikwissenschaftliche Forschung für eine systematische literaturwissenschaftliche Untersuchung der Oratorientexte allenfalls vage Hinweise. 1.3.2 Literaturwissenschaftliche Librettologie So eifrig sich die Literaturwissenschaft die Zuständigkeit für das Libretto erstritten hat, so merkwürdig ist es, dass sie unter „Libretto“ meistens nur das Opernlibretto versteht. Dieter Borchmeyer spricht in seinem MGG-Artikel explizit aus, dass sich „die Bezeichnung seit dem Ende des 19. Jh. im deutschen Sprachraum vor allem für den Operntext durchgesetzt“ habe92. Albert Gier, dessen Monographie93 zwar nicht Vollständigkeit, aber exemplarischen Charakter beansprucht, betrachtet von der ersten Seite an ausschließlich „den Text als Bedeutungsträger innerhalb der Kunstform Oper“94 und zieht andere Libretti gar nicht in Erwägung. Entsprechend definiert er Libretti schlicht als „Texte von Opern, Operetten, Musicals“95. Nun bietet die Oper, im Gegensatz zum Oratorium und anderen Gattungen der Vokalmusik, durch ihre offenkundige Nähe zum Drama viele Anknüpfungspunkte und einen leichten methodischen Einstieg über den Vergleich der beiden Gattungen. Auch sonst lassen sich in der Forschung zum Opernlibretto deutliche Schwerpunkte dort ausma- 89 Leopold/Scheideler 2000, S. IX 90 Gebhard 1999, S. 22 91 Leopold/Scheideler, S. IX 92 Dieter Borchmeyer: „Textform“, in Artikel „Libretto“, MGG(neu), Bd. 4 (1996), Sp. 1116 93 Gier 2000 94 Gier 2000, S. 9 95 Gier 2000, S. 5 39 chen, wo die Nähe zum traditionellen Gegenstandsbereich der Literaturwissenschaft besonders groß ist: zum einen bei der Literaturoper, zum anderen beim librettistischen Schaffen bereits anerkannter Dichter.96 Je weiter sich ein literarisch-musikalisches Werk oder eine Gattung von diesem librettologischen Kernbereich entfernt, desto dünner wird die Forschungslage. Wo das neue Musiktheater sich der Grenze zur Lautkomposition nähert, wird die Forschung nahezu vollständig den Musikwissenschaftlern überlassen, obwohl doch die experimentelle Lyrik sicherlich zahlreiche Anknüpfungspunkte böte. Ohnehin finden sich literaturwissenschaftliche Untersuchungen von musikoliterarischen Gattungen jenseits der Oper nur sehr vereinzelt. Zu nennen wären hier meines Wissens nur Hans-Joachim Kreutzer mit seinen Studien zu den Texten Bachscher Kantaten und der Übersetzung des Händelschen M ESSIAS 97 und A. Forcherts Arbeit zu Mendelssohns E LIAS 98, Martin Albrecht-Hohmaiers Dissertation zu Mendelssohns P AULUS 99 und Irmgard Scheitlers Monographie über deutschsprachige Oratorienlibretti bis 1730; wobei die beiden letzteren Werke erst kurz vor Fertigstellung dieser Arbeit erschienen und deshalb nicht mehr angemessen berücksichtigt werden konnten. Erstaunlicherweise wird es offensichtlich nicht einmal als Mangel angesehen, dass weitergehende literaturwissenschaftliche Versuche fast vollständig fehlen. Einzig das Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft grenzt im Artikel „Libretto“ andere musikalische Gattungen als die Oper nicht aus – eine Neuerung gegenüber der alten Ausgabe des Vorgängerwerkes, des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte, in dem es unter dem Stichwort „Libretto“ lapidar heißt „s. Oper“100. Jedoch hat die literaturwissenschaftliche Librettologie einige grundsätzliche Erkenntnisse hervorgebracht, wie sich die plurimediale Werkkonzeption der Oper und die musikalische Bearbeitung auf den Text auswirken. Inwieweit diese Merkmale auf andere musiko-literarische Gattungen, in diesem Fall das Oratorium, übertragen werden können, wird im Verlauf dieser Arbeit noch manches Mal zur Sprache kommen.101 96 So gibt es beispielsweise zahlreiche Untersuchungen zum librettistischen Schaffen Ingeborg Bachmanns (z. B. Grell 1995) und zur Literaturoper (z. B. Ullrich 1991, Wiesmann 1982, Achberger 1980). 97 vgl. Kreutzer 1994 98 Forchert 1974 99 vgl. Albrecht-Hohmeier o. J. 100 vgl. RDLG 101 vgl. insbesondere Kapitel 3.1 und 3.4 40 1.3.3 Forschung zur literarischen Bibelrezeption Trotz der Tendenz zur „Verweltlichung“, die so viele Autoren konstatieren, nimmt die Bibel für das Oratorium auch im 20. Jahrhundert eine zentrale Stellung ein. Bezüglich der Verarbeitung biblischer Geschichten und Motive und ihrer Interpretation könnte man deshalb Anstöße aus der theologischen Forschung erwarten. Doch es zeigt sich, dass das interdisziplinäre Themenfeld „Bibel und Literatur“ noch stärker als das Feld „Literatur und Musik“ ein Nischendasein führt, und nur wenige Veröffentlichungen von einem relativ begrenzten Autorenkreis zugänglich sind. In der Literaturwissenschaft spielt offensichtlich nur die Bewertung von Bibelzitaten und -referenzen im Kontext des literarischen Werks eine Rolle, nicht aber die Formen des Transfers von Bibelstoffen in andere Gattungen. Und in der Theologie gilt das wesentliche Augenmerk der Auslegung der Bibel im Rahmen der theologischen Hermeneutik und der Homiletik. Das Wenige, was an Arbeiten zu finden ist – zu erwähnen sind hier vor allem die Publikationen von Heinrich Schmidinger und Magda Motté102 – handelt sehr viel von modernen Texten, aber nahezu ausschließlich von nicht-funktionaler Literatur, und hier vor allem von Lyrik und Roman. Von Stefan Bodo Würfel findet sich ein Aufsatz, in dem auch das Oratorium eine Rolle spielt,103 jedoch beschäftigt er sich mit der Aneignung sakraler Formen durch totalitäre Politik. Ferner gibt es theologische Beiträge zu einzelnen Oratorien104 und Oratorienkomponisten, wie Johann Sebastian Bach105 und Willy Burkhard106. Sie untersuchen die Libretti jedoch ausschließlich unter theologisch-hermeneutischen Gesichtspunkten. Insofern bietet die theologische Forschung zum Oratorium und zur Bibelrezeption zwar einige Anregungen, jedoch nur wenige direkte Anknüpfungspunkte. In Abschnitt 2.5.2107 wird darauf näher eingegangen werden. 102 vgl. Schmidinger 1999, Motté 1997 103 Stefan Bodo Würfel: „Verkündigung als literarische Form“, in Schmidinger 1999, Bd. 1, S. 205-226 104 z. B. Nohl 2001 105 z. B. Axmacher o. J. 106 Kohli 1952 107 siehe unten, S. 94ff. 41 1.4 1.4.1 D ER M ATERIALBESTAND Erscheinungsformen des Librettos Die scherzhafte Definition von Peter Hacks, das Opernlibretto sei „eine Menge von Worten und geht gelegentlich bei Reclam zu kaufen“108, lässt sich auf das Oratorienlibretto leider nicht übertragen: letztere werden selten verlegt und vermutlich noch seltener gekauft. Oratorientexte begegnen uns überwiegend in Partituren, Klavierauszügen und anderem Aufführungsmaterial oder auch in Programmheften. Die von Albert Gier postulierte „Autonomie des Librettos als eines Bedeutungsträgers“, der der Vertonung in der Regel vorausgeht,109 ist ein Konstrukt, das sicherlich die Beschäftigung eines Literaturwissenschaftlers mit dieser Gattung rechtfertigen hilft, jedoch keinesfalls der Praxis entspricht. Häufig wird das Libretto noch während der Komposition auf Wunsch des Komponisten vom Librettisten umgearbeitet, gekürzt oder modifiziert, oder sogar vom Komponisten selbst Hand in Hand mit der Komposition erstellt. Da das Oratorium weniger auf eine stringente Handlung angewiesen ist als die Oper und noch viel mehr einzelne, nahezu unabhängige Episoden darstellen kann, gibt es sogar Fälle, in denen ältere Kompositionen mit neuen zu einem Oratorium zusammengestellt werden – ein bekanntes Beispiel aus der Romantik ist das Oratorium Christus von Franz Liszt, das die schon zehn Jahre zuvor komponierten S ELIGPREISUNGEN und ein ebenfalls zuvor separat publiziertes P ATER N OSTER enthält.110 Aufgrund der vielen Bearbeitungsstufen, die zwischen dem ursprünglichen Libretto, das oftmals gar nicht bekannt ist, und der letztendlich vertonten Fassung liegen, geht Albert Gier von einer Ko-Autorschaft des Komponisten aus: Demzufolge ist der Werkstatus, also nicht die vom Librettisten angebotene, sondern die in der Vertonung vorliegende Fassung als maßgeblich anzusehen.111 In dieser Arbeit folge ich Giers Ansatz nur bedingt. Wie weiter oben ausgeführt112, ist die Gattung Oratorium ein Referenzsystem, auf das sich sowohl der Komponist als auch bereits der Librettist bei der Anlage des Werkes beziehen können. In denjenigen Fällen, in denen der Komponist bereits vorhandene Texte, die nicht für diesen Zweck geschrieben wurden, zu einem Oratorium zusammenstellt, ist tatsächlich die vertonte Fassung 108 Peter Hacks: Versuch über das Libretto, in Hacks 1976, S. 209; zit. nach Gier 1986, S. 9 109 vgl. Gier 2000, S. 16 110 vgl. den entsprechenden Artikel von Matthias Schäfers in Leopold/Scheideler 2000, S. 419 111 Gier 2000, S. 16 112 vgl. Abschnitt 1.1.1, S. 13ff. 42 die einzig maßgebliche. In vielen Fällen schreibt jedoch schon der Librettist ein Libretto für ein Oratorium (oft, aber nicht immer, als Auftragswerk), bezieht sich also selbst schon auf die Gattung.113 Wenn der dem Komponisten vorgelegte Text starke Veränderungen erfährt, haben wir es am Ende mit zwei gleichberechtigten Fassungen zu tun. Bekannt wird jedoch üblicherweise nur die spätere, die vertonte Fassung; insofern ist Giers Ansatz durchaus pragmatisch. Selbst von der vertonten Librettofassung liegen nur in Ausnahmefällen edierte Ausgaben vor. Deshalb muss man auf Aufführungsmaterialien und andere Quellen zurückgreifen, die in textkritischer Hinsicht als relativ unzuverlässig gelten dürfen: Bis heute machen Textbücher und Klavierauszüge oft keine Angaben zur Quellenbasis. Dabei können zwischen handschriftlicher und gedruckter Partitur, originalem Klavierauszug, Autograph des Librettisten und erstem Libretto-Druck beträchtliche Differenzen bestehen – ganz abgesehen von jenen komplexen Fällen, in denen außerdem noch der Zensurbehörde eingereichte Libretto-Manuskripte und Ähnliches zu berücksichtigen sind.114 Gier nennt als zu bevorzugende Quellen 1. Partiturautograph, 2. Textbuch der Uraufführung, 3. ältester Klavierauszug – in dieser Rangfolge.115 Wo es möglich war, nutzte ich Texthefte und vorangestellte Textauszüge in Partituren, die als relativ zuverlässig gelten können, weil sie zumindest in Zusammenhang mit der gesamten Herausgabe des Werks redigiert sein sollten. Jedoch wurden die wenigsten Oratorien des relevanten Zeitraums überhaupt in einem Verlag publiziert. Häufig lag mir der Text einzig als Kopie des Manuskripts oder in einer im Internet veröffentlichten Form vor. In diesem Fällen kann man davon ausgehen, dass sie die ursprüngliche oder zumindest eine autorisierte Fassung des Librettisten darstellen. Dies zweifelsfrei für jedes der ausgewerteten Libretti zu klären, war angesichts des hohen Rechercheaufwands nicht möglich. Als unzuverlässige Quellen müssen hingegen Programmhefte gelten; es sei denn, es handelt sich um Programmhefte von Uraufführungen, an denen in der Regel zumindest der Komponist stärker beteiligt ist. Da vielfach die Libretti nur als Abdruck in Programmheften erhältlich waren, wurden auch sie für die vorliegende Untersuchung hinzugezogen, zumal es sich in der Mehrzahl tatsächlich um Programmhefte der Uraufführungen handelt. 113 Ein Beispiel ist das von János Tamás vertonte Libretto Noahs Tochter, das als eigenständige Buchveröffentlichung unter dem Namen der Librettistin Claudia Storz erschienen ist. Der Untertitel lautet dort „Libretto zu einem Oratorium“. Vgl. die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2 114 Gier 2000, S. 56 115 vgl. Gier 2000, S. 57 43 1.4.2 Untersuchte Oratorienlibretti 1945-2000 Auf der Suche nach Oratorien des 20. Jahrhunderts wertete ich zunächst die verfügbare Fachliteratur aus, angefangen von den einschlägigen Artikeln in MGG über die großen Oratorienführer bis hin zu diversen Monographien zur geistlichen Musik, zum Oratorium und zur Musik des 20. Jahrhunderts. Dem folgten ausführliche Recherchen in musikwissenschaftlichen Datenbanken (v. a. Music Search), überregionalen Bibliothekskatalogen und Buchhandelsverzeichnissen sowie die Auswertung von Katalogen größerer oder auf geistliche Musik spezialisierter Musikverlage, z. B. Peters, Bärenreiter, Carus, Strube. Des Weiteren zog ich Rezensionen und Ankündigungen von Uraufführungen in den Zeitschriften M USIK UND K IRCHE und M USICA SACRA hinzu sowie Berichte von Kirchen- tagen. Und schließlich lieferten mir Suchmaschinen im Internet weitere Hinweise, besonders auf Internetseiten von oder über zeitgenössische Komponisten. Diese InternetRecherchen erwiesen sich besonders für die letzten zwanzig Jahre des Jahrhunderts als sehr ergiebig. Zahlreiche Komponisten und Librettisten sind inzwischen mit eigenen Homepages im Internet vertreten und bieten dort Werkverzeichnisse oder sogar Texte ihrer Oratorien zum Herunterladen an (z. B. Hans Georg Bertram116, Stefan Heucke117). Auch über verstorbene Komponisten wird zunehmend Material im Internet veröffentlicht, beispielsweise wenn eine Stiftung die Betreuung des Nachlasses übernimmt (Bertold Hummel118, Johann Nepomuk David119 u. a.). Im Internet finden sich Informationen auch zu Werken, die das Nadelöhr Musikbetrieb (noch) nicht durchlaufen haben – anders als bei Werken früherer Jahrzehnte, bei denen man auf Veröffentlichung oder Erwähnung in Zeitschriften, Sekundärliteratur u. ä. angewiesen ist. Aufgrund der sehr vagen und gegebenenfalls sogar abweichenden Verwendung des Terminus „Oratorium“ bei vielen Autoren habe ich in dieser Arbeit jedoch nur solche Werke berücksichtigt, für die sich nachweisen ließ, dass die Bezeichnung vom Komponisten und/oder Librettisten gewählt oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit autorisiert ist. Dies sah ich als gegeben an, wenn vollständige bibliographische Angaben anhand einer Originalpublikation erhoben oder Verlagsverzeichnissen und Katalogen wissenschaftlicher Bibliotheken entnommen werden konnten. Auch Originalzitate des Komponisten oder Librettisten, in denen das jeweilige Werk als Oratorium bezeichnet wurde (z. B. in Aufsätzen, Pressetexten, auf persönlichen Internet-Seiten), und Werk- 116 www.hans-georg-bertram.de 117 www.heucke-stefan.de 118 www.bertoldhummel.de 119 www.johann-nepomuk-david.org 44 verzeichnisse sah ich als hinreichend zuverlässig an. Nicht in die Untersuchung einbezogen werden konnten jedoch zahlreiche in der musikwissenschaftlichen Zeitraum o. J. nachgewi esen Libretto lag vor 1 0 1945-1950 3 2 1951-1960 30 10 keil120 oder Smither121), für die Publikations- oder Auf- 1961-1970 16 5 führungshinweise fehlten und sich auch keine weiteren 1971-1980 32 16 1981-1990 32 16 1991-2000 51 25 165 74 Forschungsliteratur erwähnte Werke (z. B. bei Massen- Quellen oder Nachweise finden ließen. Ebenfalls nicht berücksichtigt wurden Bearbeitungen des Passionstextes, deren Titel zwar Nähe zum Passionsoratorium gesamt Tabelle 1: Oratorien nach 1945 suggeriert, die jedoch keine Gattungsbezeichnung tragen, die explizit auf das Oratorium verweist. So wurde beispielsweise Waldemar Blochs „Passio Domini. Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester” einbezogen, nicht jedoch Hans Georg Bertrams „Passio Domini. Passion für Solostimmen, Chor und Orchester“. Insgesamt erbrachte die Recherche 165 deutschsprachige (bzw. überwiegend deutschsprachige) Oratorien für die Zeit von 1945 bis 2000, sowie 17 weitere für die Jahre von 2001 bis 2003. Ein vollständiges Verzeichnis einschließlich bibliographischer Angaben (sofern Ausgaben bekannt sind) findet sich im Anhang dieser Arbeit. Daneben fand ich vier ausschließlich literarische Werke, die nie vertont wurden und auch nicht für eine Vertonung konzipiert sind, jedoch das Wort „Oratorium“ im Titel oder Untertitel tragen: Peter Weiss’ Drama Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen (1965), Franz Fassbinds Roman Atom Bombe. Ein gesprochenes Oratorium (1945) sowie zwei Hörspiele, die erst nach 2000 entstanden, nämlich Romuald Karmakars WarheadsOratorium und Martin Speichers Fragmente einer Eroberung. Ein halbdokumentarisches Oratorium. Diese vier Werke werden im Folgenden nicht weiter untersucht, da es sich nicht um funktionale, für die Vertonung bestimmte Texte handelt; sie sollen aber der Vollständigkeit halber hier erwähnt werden. 120 v.a. Massenkeil 1999 121 Smither 2000 45 Von 74 Oratorien aus der Zeit von 1945 bis 2000 lagen mir die Texte vor. Nur in zehn Fällen war dies eine separat edierte und publizierte Textausgabe des Oratoriums. Von 19 Oratorien standen mir Partitur oder Klavierauszug zur Verfügung, von 18 ein Programmheft. Acht Libretti erhielt ich als Kopie, Ausdruck oder Datei von den Komponisten oder Librettisten, fünf konnte ich von Homepages zeitgenössischer Komponisten herunterladen. Sieben Texte wurden mir von Verlagen zugeschickt, jedoch meistens in einer Form, der die ursprüngliche Quelle nicht mehr zu entnehmen war. Vermutlich handelt es sich um Abschriften aus Partituren oder Klavierauszügen. Und schließlich lagen sieben Texte in CD-Booklets vor. Die Thesen und Ergebnisse dieser Arbeit beruhen Klavierauszug/Partitur 19 Programmheft 18 Textausgabe 10 überwiegend auf der Untersuchung dieser 74 Libretti. Bei inhaltlichen Untersuchungen, z. B. Datei/Ms. Komponisten 8 zur Stoffauswahl oder zu Textquellen, wurden Verlagsinfos div. 7 auch Oratorien berücksichtigt, deren Libretto CD-Booklets 7 zwar nicht vorlag, über die aber entsprechende Text Internet 5 Informationen aus Rezensionen o.ä. zur gesamt 74 Tabelle 2: Erscheinungsformen der untersuchten Oratorienlibretti Verfügung standen. Bei der Auswertung der Titel wurden hingegen selbstverständlich alle bekannten Oratorien hinzugezogen. 46 2 INHALTLICHE AUSGESTALTUNG 47 2.1 E LEMENTE UND F UNKTIONEN DES T ITELS Den ersten Eindruck von einem musikalischen Werk vermittelt sein Titel – er steht auf Ankündigungsplakaten, Programmheften, auf der Hülle einer Aufnahme, in CD-Booklets und im Aufführungsmaterial. Der Titel hat dadurch starken Einfluss auf die weitere Rezeption des Werks. Bei Instrumentalstücken früherer Jahrhunderte sind vor allem Kombinationen aus Gattungs- und Besetzungsangaben titelgebend, beispielsweise „Streichquartett“, „Konzert für Violine und Orchester“. Dazu tretende freie Titel haben bis zur Entstehung der Programmmusik eher ausschmückenden Charakter und werden oft erst nachträglich verliehen – man denke beispielsweise an die Streichquartette Joseph Haydns, die Bezeichnungen wie „Sonnenquartette“, „Lerchenquartett“ tragen. Ähnlich steht es bei Vokalwerken mit kanonischem Text. In der Regel galt die Gattungsangabe vollkommen ausreichend; manchmal werden Hinweise auf den Kompositionsanlass oder die Herkunft des verwendeten musikalischen Materials ergänzt. Zum Beispiel ist die M ISSA P APAE M ARCELLI von Palestrina dem Papst Marcellus in memoriam gewidmet; der M ISSA A SSUMPTA EST M ARIA von Monteverdi liegt die Melodie der gleichnamigen Motette zugrunde. Vokalwerke mit freiem Text, wie z. B. Psalmvertonungen oder Madrigale, werden häufig mit einem Hinweis auf den vertonten Text betitelt und durch Gattungs- und/oder Besetzungsangaben ergänzt. Im Laufe der Romantik und der Entwicklung der Programmmusik gewinnen die freien Titel nicht nur in der Vokal-, sondern auch in der Instrumentalmusik gegenüber den Gattungsbezeichnungen an Gewicht. Die Titel moderner Kompositionen sind nicht „willkürliche Benennung“ 122, sondern als Chiffre für jene Impulse zu verstehen, die zur künstlerischen Auseinandersetzung mit bestimmten Ideen - etwa solchen aus Bildender Kunst oder Literatur führten, das musikalische Denken in bestimmte Kanäle lenkten und schließlich durch verstandesmäßige Reflexion die Grundlage zur Hervorbringung wahrnehmbarer Werkgestalten führten.123 Zusätzlich zu freien Titeln sind bis heute Ergänzungen oder Untertitel weit verbreitet, die eine Gattungsbezeichnung enthalten. Dabei mag auch die editorische Praxis eine Rolle 122 Drees o. J. 123 a. a. O. 48 spielen, die spätestens bei der Publikation eine Gattungszuweisung vorzunehmen wünscht, der aber vermutlich die Komponisten meist schon von sich aus nachkommen. Heute enthalten Titel musikalischer Werke üblicherweise mindestens zwei der folgenden drei Elemente: einen frei gewählten Text, der Hinweise auf Inhalt oder Machart des Stücks gibt, eine Gattungsbezeichnung sowie Angaben zur Besetzung. Diese Elemente lenken die Rezeption des Lesers/Hörers in unterschiedlicher Weise. Die Gattungsbezeichnung „Oratorium“ bildet den „Horizont, der die Lektüre umspannt“124; sie weckt die Erwartung, einem Werk mit moralisch-weltanschaulichem Anspruch zu begegnen. Besetzungsangaben spielen eine geringe Rolle für die Rezeptionserwartung. Von der Standardbesetzung (Soli, Orchester und Chor) abweichende Besetzungen, seien es nun Erweiterungen (z. B. um einen Sprecher-Solisten) oder Reduzierungen (Soli fehlen, Instrumentalensemble statt großem Orchester o. ä.) werden nur als Varianten empfunden. Bei sehr reduzierten Besetzungen, wie bei Hans-Georg Bertrams I CH SAGE : JETZT ! für 2 Sprechstimmen und Orgel, weist bisweilen die Verwendung der Orgel darauf hin, dass es sich um ein Stück zur Aufführung im Kirchenraum handelt. Starken Einfluss auf die Rezeptionserwartung hat hingegen der eigentliche, frei gewählte Titel. Meistens gibt er einen Hinweis auf den Stoff oder das Thema des Oratoriums. Wie sich im Folgenden herausstellen wird, enthält er in der Regel weitere, oft sehr starke Signale dahingehend, dass es sich um ein Werk mit geistlichem bzw. biblischem Hintergrund handelt. Den folgenden Abschnitte liegt eine Auswertung der Titel aller 165 Oratorien, die für diese Arbeit berücksichtigt wurden, zugrunde. 2.1.1 Nennung der Hauptperson Über 40 % aller bekannten Titel, nämlich 68, nennen eine Person, in der Regel die zentrale Figur des Werks. Meistens sind biblische Personen titelgebend, wie zum Beispiel in H IOB (gleichnamige Oratorien von Jürgen Blume/Eugen Eckert, Henning Frederichs, Hermann Haller, Hubert Stuppner, Wolfram Wagner), P AULUS (Siegfried Fietz/Johannes Jourdan), D ANIEL (Thomas Gabriel/Eugen Eckert), P ETRUS (Henning Frederichs) sowie J EFTA UND SEINE T OCHTER und J ONA (beide von Wolfgang Stockmeier). Nicht immer stehen die Namen alleine; oft sind sie durch geläufige Beinamen oder typische Attribute ergänzt: 124 Corbineau-Hoffmann 2000, S. 138; vgl. auch oben, S. 14ff. 49 J OHANNES DER T ÄUFER (Fritz Büchtger), E RZENGEL M ICHAEL (Robert Blum), T HOMAS DER Z WEIFLER (Peter Bubmann/Wolfgang Töllner). Fünf Oratorien tragen Gott, Christus oder den Heiligen Geist im Titel: M ARANATHA – U NSER H ERR KOMMT (Heinz Wunderlich), S PIRITUS INTELLIGENTIAE , SANCTUS (Ernst Krenek), S APIENTIA IN C HRISTO (Matthias Kern), H ERR , DA BIN ICH (Diether Noll/Michel Quoist), V ON DER W EISHEIT G OTTES (Harald Heilmann/Wolfgang Lipp). Dazu kommt mit U NIO MYSTICA (Walter Gieseler) ein Titel, der auf die Dreieinigkeit Gottes anspielt. Bisweilen, vor allem für Christus, wird auf eine direkte Namensnennung verzichtet und statt dessen auf Epitheta und Ehrenbezeichnungen zurückgegriffen, z. B. D ER L EBENDIGE (Johannes Driessler), D ER G OTTESKNECHT (Felicitas Kukuck), D ER S EHER VON P ATMOS (Rainer Kunad). Außer biblischen Figuren werden im Titel auch Personen des geistlichen Lebens genannt: Mönche, Nonnen, Heilige und ‚Märtyrer‘ der neueren Zeit. Beispiele sind hier S R . M ARIA E UTHYMIA (Jutta Bitsch/Gisbert Wellerdiek), D IE V ISIONEN DES M ÜNCH VON S ALZBURG (César Bresgen), L EGENDE DER H L . W ALBURGA (Hans Kraus-Hübner/Reinhard Knodt), V ERENA DIE Q UELLE (Carl Rütti/Silja Walter). Zu den titelgebenden Figuren aus der christlichen Legende gehört zudem A HASVER (Volker David Kirchner), der „ewige Jude“. Auch Walter Hollenwegers M ARIA VON W EDEMEYER , das auf dem Briefwechsel Dietrich Bonhoeffers mit seiner Verlobten beruht, lässt sich in diese Gruppe einordnen. Daneben sind auch Kombinationen von Namen mit der Gattungsbezeichnung „Oratorium“ geläufig, wie B ONHOEFFER O RATORIUM (Tom Johnson), C ARL - VON -O SSIETZKY O RATORIUM (Gustavo Becerra-Schmidt), P ETRUS -O RATORIUM und M ARTIN -L UTHER -O RATORIUM (beide von Siegfried Fietz/Johannes Jourdan). Zu den mit dem Namen einer Hauptperson betitelten Oratorium gehören auch diejenigen, in deren Mittelpunkt eine nicht namentlich genannte Person steht. Sie kann im Titel durch ihre Funktion (Rainer Kunad: D ER S EHER INQUISITOR ) VON P ATMOS , Gerhard Schedl: D ER G ROß - oder durch ihre Beziehung zu einer anderen Figur bezeichnet werden (János Tamás/Claudia Storz: N OAHS T OCHTER ). Nur wenige titelgebende Namen gehören nicht in den Kontext christlicher Lehre und Überlieferung. Zum einen sind dies Oratorien zu historischen Personen wie S TELE FÜR G EORG B ÜCHNER (Hans Ulrich Engelmann) und F RANCOIS V ILLON (Anton Heiller). Zum anderen handelt es sich um die Oratorien, die auf Überlieferungen anderer Religionen und Kulturen, insbesondere der klassischen Mythologie, basieren. Zu nennen sind hier vor allem D ER T OD DES A GAMEMNON (Robert Blum), V IRATA (Horst Ebenhöh), D AS F EUER DES P ROMETHEUS (Alfred Koerppen), G ILGAMESCH (Alfred Uhl/ Andreas Liess) sowie M EDEA IN K ORINTH (Georg Katzer/Christa Wolf). 50 2.1.2 Referenzen auf Bibelepisoden und Nennung des Aufführungsanlasses Über die Hälfte der Oratorien enthalten im Titel einen direkten Verweis auf einen Bibeltext. Häufig erfolgt dies durch die Nennung einer biblischen Figur, wie im vorigen Abschnitt bereits ausgeführt. Wiederum in fast 40% der Fälle, nämlich 63 Mal, findet sich ein Hinweis auf eine bestimmte Bibelgeschichte. Auf Geschichten aus dem Alten Testament deuten Titel wie R EISE Clemencic), D ER S ÜNDENFALL (Harald Heilmann), D ER T URMBAU ZU NACH N INIVEH (René B ABEL (Ernst Helmut Flammer, Heinrich Gattermeyer), S CHÖPFUNG (Krzysztof Meier/Gerhard Engelsberger) oder D IE F LUT (Rudolf Kelterborn) hin. Fünf Oratorientitel spielen auf die Passionsgeschichte an, beispielsweise Waldemar Blochs P ASSIO D OMINI und Anton Vögeles P ASSION . Andere gerne verwendete Episoden aus dem Neuen Testament sind A UFERSTEHUNG (Marcel Rubin, Max Georg Baumann, Fritz Büchtger), sowie V ERKLÄRUNG und H IMMELFAHRT (beide von Fritz Büchtger). Auch finden sich Hinweise auf das Wirken Jesu (Hans Georg Bertram: D ER REICHE M ANN UND DER ARME L AZARUS ) und des Apostels Paulus (Rupert Gottfried Frieberger: D IE B EKEHRUNG DES H L . P AULUS ). Der entscheidende Hinweis auf eine Bibelgeschichte kann durch die Nennung des Schauplatzes erfolgen. Babel wird immer in Zusammenhang mit dem Turmbau genannt: Oratorien mit dem Titel D ER T URMBAU ZU B ABEL komponierten Alfred Koerppen, Heinrich Gattermeyer und Ernst Helmut Flammer. L ICHT ÜBER D AMASKUS von Marcel Rubin spielt auf die Bekehrung des Saulus/Paulus an, der auf dem Weg nach Damaskus durch Gott geblendet wurde. Hingegen hat Jerusalem in J ERUSALEM S CHALOM (Klaus Heizmann/ Johannes Jourdan) eher symbolische Bedeutung; bei Rainer Kunad (D AS NEUE J ERUSALEM ) steht es als eindeutiger Hinweis auf die Offenbarung des Johannes125. Eine weitere Möglichkeit, im Titel auf eine Bibelepisode zu verweisen, sind Zitate biblischer Sentenzen oder die Verwendung typischer Motive. Auf die Schöpfungsgeschichte spielen D IES UNUS von Rudolf Kelterborn und D IES SEPTIMUS von Frederik Schwenk an.126 Johannes Driesslers D E P ROFUNDIS zitiert den Beginn eines Klagepsalms;127 Thomas 125 Offenbarung 21, 2: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.“ (Die deutschen Bibelzitate folgen dem Wortlaut der revidierten Luther-Übersetzung von 1975, vgl. EKD 1978.) 126 vgl. den Text von 1. Mose 1, 5 in der Vulgata: „Factumque est vespere et mane, dies unus.“ – „Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ (Die Zitate aus der Vulgata sind der „Volksbibel 2000.2“ entnommen, vgl. Wollek 2000.) 127 Psalm 130, 1: „De profundis clamavi ad te, Domine.“ – „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ 51 Krämers K INDER DES L ICHTS einen Brief des Apostel Paulus.128 D AS KOMMENDE R EICH (D IE S ELIGPREISUNGEN ) von Felicitas Kukuck verweist auf die Bergpredigt, ebenso wie Joseph Haas’ D IE S ELIGEN .129 Nur noch selten weist ein Oratorientitel auf einen Festtag im Kirchenjahr als Kompositions- oder Aufführungsanlass hin; die traditionellen Titel Weihnachtsoratorium, Osteroratorium, Pfingstoratorium finden sich bei gerade einmal einem knappen Dutzend Werke. Dies bedeutet nun keineswegs, dass es kaum noch solche Oratorien gibt: vielmehr ist die Zahl der Passions-, Oster- und Weihnachtsoratorien gegenüber dem 19. Jahrhundert etwa konstant geblieben.130 Doch begnügen sich die Autoren und Komponisten nicht mehr mit dem nahe liegenden Titel. Nur zwei Komponisten, nämlich Helmut Barbe und Walter Schindler, nennen ein Werk O STERORATORIUM . Statt dessen wird häufiger der Titel A UFERSTEHUNG verwendet, beispielsweise von Max Georg Baumann, Fritz Büchtger und Marcel Rubin. Von Oskar Gottlieb Blarr findet sich ein Osteroratorium (so immerhin der Untertitel) W ENN DU AUFERSTEHST – WENN ICH AUFERSTEH ’ , und Günter Becker gibt seinem Oratorium M AGNUM M YSTERIUM den Untertitel „Zeugenaussagen zur Auferstehung“. Bei den Weihnachtsoratorien gibt es immerhin fünf, die auch so heißen (Fritz Büchtger, Matthias Drude/Dietrich Mendt, Giselher Klebe, Heinrich Gattermeyer, Walter Schindler); dazu kommt Paul Eberhard Kreisels W EIHNACHTSGESCHICHTE . Oskar Gottlieb Blarr verlagert die Nennung des Aufführungsanlasses wieder in den Untertitel: J ESUS G EBURT . W EIHNACHTSORATORIUM IN 10 T EILEN ÜBER L UKAS I UND II nennt er sein Werk. Otfried Büsing lässt D AS L ICHT DER E NGEL als Anspielung auf die Erscheinung der Engel bei den Hirten nicht alleine stehen, sondern fügt mit dem Untertitel „Oratorische Weihnachtsszenen“ eine eigene Variante der Gattungsbezeichnung hinzu. Ingmar Zemzaris’ deutschlateinisches Liedoratorium O V IRGA AC D IADEMA ist hingegen, wie der Untertitel „Oratorium in adventum redemptoris“ ausdrückt, eher ein Advents- als ein Weihnachtsoratorium. 2.1.3 Christliche Symbolik Diejenigen Oratorien, die keinen direkten Verweis auf die Bibel im Titel tragen, signalisieren dennoch häufig ihre Nähe zur biblisch-christlichen Tradition, indem sie bestimmte Schlüsselwörter, christliche Symbole oder geläufige Redewendungen verwenden. Das Wort Licht wird gerne benutzt, beispielsweise im Titel von Otfried Büsings Weihnachts128 vgl. Epheser 5, 8: „Einst wart ihr Finsternis. Jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. Wandelt nun als Kinder des Lichtes.“ 129 Matthäus 5 130 vgl. auch Abschnitt 2.3.1, S. 63ff. 52 oratorium D AS L ICHT DER E NGEL , Marcel Rubins L ICHT ÜBER D AMASKUS sowie K UGEL IM L ICHT von Jutta Bitsch und Silja Walter, dessen Untertitel „Oratorium zu Ehren des Heiligen Benedikt“ den christlichen Kontext ganz unmissverständlich herstellt. Auch der bereits genannte Titel K INDER DES L ICHTS von Thomas Krämer131 evoziert Sinnhaftigkeit, Erleuchtung und Gnade, wie in der Apostrophierung Christi als das „Licht der Welt“. Starke Assoziationen zu christlich-biblischem Gedankengut wecken auch Titel, die Wörter aus dem Begriffsfeld Zeit und Ewigkeit verwenden: Der endlichen menschlichen Zeit wird die Ewigkeit als Zeit Gottes gegenübergestellt. Zu nennen wäre hier zunächst das „Pop-Oratorium zur Christusgeschichte“ (so der Untertitel) E WIGKEIT FÄLLT IN DIE Z EIT von Helmut Jost und Johannes Nitsch. Bei Heino Schuberts „Gryphius-Oratorium“ D ER M ENSCH , DAS S PIEL DER Z EIT wiederum, dessen Libretto mir leider nicht vorlag, kann mit gutem Grund vermutet werden, dass es Leben und Sterben im Spannungsfeld des barocken „Carpe diem“ und „Memento mori“ thematisiert, ebenso bei Z EITENWENDEN von bei Hans Kraus-Hübner und Reinhard Knodt. Die Wege des Menschen und der Lauf der Welt klingen in etlichen Titeln an: zu nennen sind U NTERWEGS ( Helmut Hoeft/Wolfgang Fietkau), ... Ernst/Klaus Meyer-Bernitz) und D IE S PUR VON MORGEN NOCH SIND DIE W EGE OFFEN (Siegrid (Gregor Linßen). Andere betonen weniger das Unterwegs-Sein als die einzelnen Stationen des menschlichen Lebens, zum Beispiel V OR LANGER Z EIT . S TATIONEN EINER S TADT von Jens Josef und S TATIONEN (M EMENTO H OMO ) von Augustin Kubizek und Herbert Vogg. Begriffe, die mit Heiligkeit oder (göttlicher) Weisheit konnotiert sind, verwenden Harald Heilmann (V ON DER W EISHEIT G OTTES ) und Otto Jochum (C ANTICA SACRA ). Auch der Begriff Frieden spielt, der christlichen Botschaft gemäß, eine Rolle: Jochen A. Modeß und Wilhelm Biermann nennen ihr Oratorium schlicht und einfach F RIEDEN ; von Siegfried Matthus gibt es ein fünfteiliges Werk L AUDATE P ACEM . 2.1.4 Verwendung von Fremdsprachen 24 Oratorientitel, d.h. 16 % der ausgewerteten Titel, sind in den alten Sprachen der Bibel und der Kirche gehalten, auch wenn der eigentliche Text (zumindest überwiegend) auf deutsch verfasst ist. Führend ist das Lateinische, das in 22 Titeln vorkommt. Zwei Titel verwenden das Hebräische bzw. Aramäische, nämlich Klaus Heizmanns J ERUSALEM S CHALOM 131 siehe oben, S. 51 53 und Heinz Wunderlichs M ARANATHA – U NSER H ERR KOMMT . Andere Fremdsprachen kommen nicht vor. Ebenso wie bei den deutschen handelt es sich bei den lateinischen Titeln häufig um Bibelzitate oder Anspielungen auf den Vulgatatext – beispielsweise die oben bereits erwähnte Schöpfungsgeschichte D IES Passionsoratorium E CCE HOMO 132 UNUS von Rudolf Kelterborn, Felicitas Kukucks oder das den Heiligen Geist akklamierende Pfingst- oratorium S PIRITUS I NTELLIGENTIAE , S ANCTUS von Ernst Krenek. Andere übernehmen Zeilen aus mittelalterlichen Hymnen, Liedern oder Gebetstexten, wie Ingmars Zemzaris’ O V IRGA AC D IADEMA , das eine Zeile aus einem im Oratorium verwendeten Lied von Hildegard von Bingen zitiert, oder Axel Ruoffs programmatischer Titel C REDO . Oft sind die lateinischen Titel Zusammenstellungen mit den alten Gattungsbezeichnungen „Oratorium“ und „Passio“. Hierher gehören Matthias Bonitz’ O RATORIUM E VANGELIUM und O RATORIUM B ENEDICTINUM , Kurt Rapfs P ASSIO A ETERNA , Waldemar Blochs P ASSIO D OMINI ; ferner auch Otto Jochums C ANTICA SACRA . Ganz freie lateinische Titel tragen Walter Gieselers U NIO MYSTICA , Günter Beckers M AGNUM M YSTERIUM sowie César Bresgens L UMEN (D ER B LINDE ) und D E TEMPORE . Bei diesen Titeln gilt auch, was oben zur Verwendung christlicher Symbolik gesagt wurde: Gieseler und Becker gemahnen an das „Geheimnis des Glaubens“, das „Mysterium Dei“ bzw. „Mysterium Christi“; César Bresgen greift auf die Lichtsymbolik zurück bzw. spielt auf das „Omnia tempus habent“ des Prediger-Textes133 an. Nur drei lateinische Oratorientitel verwenden keine christlichen Texte und Motive. Zwei davon greifen auf klassische lateinische Autoren zurück: Daniel Glaus’ S UNT RERUM zitiert Vergils A ENEIS 134, Helmut Eder/Herbert Vogg verwenden in N ON LACRIMAE SUM QUALIS ERAM eine Zeile aus den Oden des Horaz135. Johannes Driesslers G AUDIA M UNDANA ist, wie der Titel nahe legt, eines der wenigen gänzlich unreligiösen, so genannten weltlichen136 Oratorien: es schildert eine mittelalterlich-bacchantisch anmutende Suche nach dem Sinn des Lebens in Wein, Weib und Gesang. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Sprache des Titels und der des Oratorientextes besteht übrigens nicht. Ebenso wie die eben genannten Werke zwar einen latei- 132 vgl. Johannes 19, 5: „Exiit ergo Iesus foras, portans spineam coronam et purpureum vestimentum. Et dicit eis: ‘Ecce homo!‘.“ – „Und Jesus kam heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Da sagte Pilatus zu ihnen: Seht, welch ein Mensch!“ 133 Prediger 3, 1: „Omnia tempus habent, et momentum suum cuique negotio sub caelo.“ – „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ 134„Sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt.“ – „Tränen rinnen dem Leid, ans Herz rührt sterbliches Dasein“. Vergilius, Aeneas, I. 462; vgl. Vergil 1980 135 „Ich bin nicht, der ich einst war.“ Horaz, Carmina 4,1,3; vgl. Horaz 1981 136 zur Problematik des Begriffs vgl. Abschnitt 2.3.4, S. 74ff 54 nischen Titel, jedoch einen überwiegend deutschsprachigen Text haben, so gibt es auch Oratorien mit deutschem Titel, aber lateinischem Text. Als Beispiel sei die „Oratorische Szene nach dem Text der Vulgata“ I SAAKS O PFERUNG von Wolfgang Fortner genannt. 2.1.5 Fazit: christlich-biblische Bezüge im Titel Nicht einmal ein Viertel der Titel lässt keinerlei Bezüge auf biblische Überlieferung und christliches Gedankengut erkennen. In den meisten von ihnen schwingt dennoch ein hoher moralisch-philosophischer Anspruch mit. Einige spielen auf existenzielle Fragen und Erfahrungen oder Grenzsituationen an (z. B. Rainer Kunad: S TIMMEN Martin Lonquich/Klaus Lüchtefeld: A UF Glaus: H ÜLLEN DES DEM DER V ÖLKER , Heinz R AND DER M AUER , Roland Löbner: T ITANIC , Daniel A BGRUNDS ). Nur wenige der betrachteten Oratorien (nicht einmal 10 %), wie D IE K ITSCHPOSTILLE von Rainer Kunad oder D IE S TADT HINTER DEM S TROM von Hermann Kasack, haben völlig neutrale beschreibende Titel, in denen sich keine weltanschaulichreligiöse Botschaft andeutet. Durch die zahlreiche Anspielungen auf die Bibel und christliches Gedankengut oder den Hinweis auf existenzielle Fragestellungen wird die durch die Gattungsbezeichnung hergestellte Rezeptionserwartung, es mit einem geistlichen Werk mit hohem moralischen Anspruch zu tun zu haben, noch verstärkt. Umgekehrt aber bedeutet ein Titel mit starken biblischen Bezügen nicht, dass es sich bei dem Anzahl Namensnennung 70 so bezeichneten Werk um ein Oratorium han- Biblische Namen 44 delt. Literarische Werke, die bei Oratorien wie Nicht-biblische Namen aus religiösem Kontext 13 Gerhard Schedls D ER G ROßINQUISITOR (nach Sonstige Namen 13 Bibelepisoden allgemein 74 Dostoevskij) oder Rainer Kunads S TIMMEN DER V ÖLKER (nach Herder) titelgebend sind, könnten Direkte Nennung und Aufführungsanlass 49 ebenso in einer Oper, einer Kantate oder einer Motive, Zitate, Orte 25 anderen Vokalgattung adaptiert werden. Auch können alttestamentliche Namen genauso gut eine geistliche Oper betiteln wie ein Oratorium - Christlich konnotierte Symbolik 50 Fremdsprachen 24 Titel ohne christlichen Bezug 40 man denke beispielsweise an Arnold Schönbergs gesamt geistliche Oper M OSES Tabelle 3: Titelgebung UND A RON . Zudem lassen 165 sich zahlreiche Werke anführen, hinter deren Titel sich ohne weiteres ein Oratorium verbergen könnte, die jedoch anderen Gattungen angehören. Die O STERGESCHICHTE von Helmut Barbe beispielsweise ist als Kantate veröffentlicht. Von Hans Georg Bertram liegt sogar eine Sinfonie mit dem Titel D IE S ELIGPREISUNGEN 55 vor. Richard Rudolf Klein bezeichnet seine Weihnachtsgeschichte D AS ERFUHR ICH UNTER M ENSCHEN als „Sinfonia sacra“. Von Kurt Hessenberg, Karl-Michael Komma und Ernst Pepping gibt es jeweils eine W EIHNACHTSGESCHICHTE ohne Gattungsangabe, die auf Vorbilder Hugo Distlers und Kurt Thomas’ zurückzuführen sind, die sich wiederum an alte Vokalgattungen des 17. und 18. Jahrhunderts anlehnen. Schließlich gibt es noch zahlreiche Werke, die dem Oratorium sicherlich nahe stehen, deren Komponisten sich jedoch in ihrer Titelwahl bewusst einer traditionellen Gattungszuweisung verweigern. Wilfried Hiller bezeichnet seinen I JOB als „Monodram“, Helmut Zapf seine L ILITH als „Kammermusik in Bildern“, und Gerhard Wimberger schreibt mit M EMENTO V IVERE „Gesänge vom Tod“. Dass solche Werke in der musikwissenschaftlichen Forschungsliteratur gerne auch als Oratorien angesehen und behandelt werden, zeigt, dass ein entsprechend gewählter Titel eine ähnliche Rezeptionshaltung erzeugt wie die Gattungsbezeichnung „Oratorium“, auch wenn dies streng genommen für eine Gattungszuordnung nicht ausreicht. Im Idealfall verstärken Titel und Gattungszuweisung gegenseitig die Rezeptionserwartung des Hörers bzw. Lesers. Es lässt sich also festhalten, dass ein christlich-biblisch konnotierter Titel allein keine Gattungszuordnung ermöglicht. Die Bestandsaufnahme der Titel zeigt jedoch, dass das Oratorium im 20. Jahrhundert als überwiegend geistliche Gattung begriffen wird, und die Kombination aus Gattungszuweisung und Titel dementsprechend die Erwartung des Rezipienten lenkt. 56 2.2 V ARIATIONEN DER G ATTUNGSBEZEICHNUNG Dass die meisten untersuchten Oratorien einen Untertitel tragen, der in etwa „Oratorium für Soli, Chor und Orchester“ lautet, oder aber die Bezeichnung „Oratorium“ bereits im Titel verwenden, ist nicht verwunderlich; schließlich war genau das mein Auswahlkriterium. Häufig jedoch variieren die Komponisten die Gattungsbezeichnung und setzen dadurch eigene, neue Akzente. 2.2.1 Kammeroratorium Die häufigste Variante stellt die Gattungsbezeichnung „Kammeroratorium“ dar. Sie kommt vierzehn Mal vor: z. B. Helmut Barbe 1648 , Augustinus Franz Kropfreiter A LTDORFER -P ASSION , Wolfgang Nening E IN ANDERES H OHELIED , Horst Ebenhöh V ON DER H OFFNUNG , Heinz Kratochwil D IE E RSCHAFFUNG DER W ELT . Wenn man die fünf separat erschienen Teile von Fritz Büchtgers W EIHNACHTSORATORIUM 137 einzeln zählt, werden sogar 18 Werke als Kammeroratorium bezeichnet. Diese Gattungsvariante weist in der Regel auf eine verkleinerte Besetzung hin. Statt eines vollen Orchesters kommt stets nur ein Instrumentalensemble zum Einsatz. Dieses kann sehr unterschiedlich aussehen: Es reicht von sieben solistisch besetzten Einzelinstrumenten bei Wolfgang Nening über 11 bzw. 12 Instrumente bei Augustinus Franz Kropfreiter und Frederik Schwenk bis hin zu einem kleinen Orchester mit Streichern, Oboen und Flöten bei Fritz Büchtger und der sicherlich lautstarken Besetzung mit Flöte, Saxophon, Klarinette, Fagott, Streichern, Akkordeon, Pauken und Schlagwerk bei Helmut Barbe. Bei den Texten lassen sich jedoch keine nennenswerte Unterschiede zu den nicht als Kammeroratorien bezeichneten Oratorien ausmachen. 2.2.2 Rock-, Pop-, NGL-Oratorium Ebenfalls primär auf Unterschiede in der musikalischen Gestaltung verweisen Bezeichnungen wie Rock-, Pop- oder NGL-Oratorium. „Rockoratorium“ nennen sich D ANIEL und E MMAUS von Thomas Gabriel und Eugen Eckert, G OLGATHA von Friedel Berlipp sowie C HRIST UND 137 A NTICHRIST von Hans Posegga, Chrysostomus Giner und Walter Schneider. Zu den Die Verkündigung, Maria und Elisabeth, Die Geburt, Drei Könige, Simeon 57 „Pop-Oratorien“ gehören T HOMAS DER Z WEIFLER von Peter Bubmann und Wolfgang Töllner, U NTERWEGS von Helmut Hoeft und Wolfgang Fietkau sowie E WIGKEIT FÄLLT IN DIE Z EIT von Helmut Jost und Johannes Nitsch. Die Bezeichnung „NGL-Oratorium“ findet sich bei Gregor Linßens D IE S PUR VON MORGEN . Die Rock-, Pop- und NGL-Oratorien unterscheiden sich jedoch nicht nur durch die verwendeten musikalischen Formen und die Besetzung (meist mit Band) von anderen Oratorien. Auch die kulturellen, soziologischen und kommerziellen Rahmenbedingungen, die in Abschnitt 1.2.3 ausgeführt wurden, kommen zum Tragen. Auf den Text wirkt sich dabei vor allem die deutlichere missionarische Funktion aus, die auf ein kollektives Glaubenserlebnis abzielt. Songs, die sich durch gereimte Strophen und eine leicht verständliche, eingängige, zeitgemäße Sprache auszeichnen, laden zum Mit- und Nachsingen ein. Oft gibt es einen Refrain, der nach jeder Strophe wiederholt wird. Rezitative und Arien kommen nicht vor, sondern werden durch solistisch vorgetragene Songs ersetzt, die sich mit gemeinsamen Liedern abwechseln. Bisweilen sind die Songs in eine Bibelerzählung eingebettet oder werden durch biblische und andere Texte verbunden, die von einem Sprecher vorgetragen werden. 2.2.3 Szenisches Oratorium und Oratorische Szenen Die nach Kammeroratorium häufigsten Gattungsvarianten sind die Bezeichnungen „Szenisches Oratorium“ (neun Werke) und „Oratorische Szenen“ (sieben Werke). Die szenischen Oratorien, wie Heinz Wunderlichs M ARANATHA und Horst Ebenhöhs V IRATA , zeichnen sich erwartungsgemäß durch eine stark dramatisierte Handlung aus. Einige enthalten auch Regieanweisungen für eine mögliche szenische Aufführung. Das Gleiche trifft auf diejenigen Werke zu, deren Gattungsbezeichnungen auf die Oper oder das Drama anspielen, wie z. B. Henning Frederichs „biblische Sensopera“ P ETRUS oder das „Oratorisches Musikdrama“ G ILGAMESCH von Alfred Uhl und Andreas Liess, so dass diese auch zum szenischen Oratorium gerechnet werden können. Anders als bei diesen szenischen Oratorien ist bei den Oratorischen Szenen eine szenische Inszenierung keineswegs vorgesehen und im Text nicht mit angelegt. Diese Gattungsvariante – zu finden u. a. bei Günther Beckers M AGNUM M YSTERIUM , Wolfgang Stockmeiers J EFTA UND SEINE T OCHTER sowie Georg Katzers und Christa Wolfs M EDEA IN K ORINTH – betont vielmehr die Diskontinuität der meist nur noch fragmentarisch vorhandenen Handlung. Bei Stockmeier ist die Handlung reduziert auf die wesentlichen Schlüsselszenen; der Handlungszusammenhang erschließt sich dem Leser bzw. Hörer jedoch problemlos, auch wenn er die zugrunde liegende alttestamentliche Geschichte 58 nicht kennt. Otfried Büsings L ICHT DER E NGEL und Günther Beckers M AGNUM M YSTERIUM stellen dagegen Extremformen dar: Die Handlung bzw. das zugrunde liegende Ereignis – Weihnachten bzw. Ostern – werden als bekannt vorausgesetzt und werden nur noch indirekt referiert; sie dienen als Folie, vor der sich die Botschaft des Librettos entwickelt. 2.2.4 Individuelle Bezeichnungen Neben den bereits genannten Gattungsbezeichnungen gibt es vereinzelt weitere Varianten, die nicht als Untergattung, sondern ausschließlich als Ausdruck eines individuellen Werkkonzepts anzusehen sind. Zu nennen sind hier das „epische Oratorium“ D ER T OD DES A GAMEMNON von Robert Blum, das keineswegs Fragment gebliebene „fragmentarische Oratorium“ D IES UNUS von Rudolf Kelterborn, das „Oratorium Rituale“ A UF DEM R AND DER M AUER von Heinz Martin Lonquich und Klaus Lüchtefeld, und die ironisch-persiflierende Gattungsbezeichnung „Oratorio vulgare e militare“ von Hans Werner Henze und Ernst Schnabel für D AS F LOß DER M EDUSA . Etliche Komponisten variieren die Gattungsbezeichnung durch Kombinationen mit anderen musikalischen Gattungsbezeichnungen, wie „Sinfonisches Oratorium“ (Armin Schibler: M EDIA IN V ITA ), „Oratorische Gesänge“ (Walter Gieseler: U NIO MYSTICA ) oder „Canto sinfonico (Oratorium)“ (Hans Ulrich Engelmann: S TELE FÜR G EORG B ÜCHNER ). Solche hybriden Gattungsbezeichnungen signalisieren, dass einerseits der Kontext der traditionellen Gattung nicht vollständig verworfen wird, andererseits bestimmte Aspekte stärker als üblich hervortreten oder neu hinzukommen, und so der Rahmen der Gattung Oratorium erweitert oder gesprengt wird. Nahezu ungebräuchlich ist die Gattungsbezeichnung „weltliches Oratorium“. Zuverlässige Nachweise gibt es nur für Johannes Driesslers und Bettina Brix’ G AUDIA M UNDANA , das als „weltlich-heiteres Oratorium“ untertitelt ist, Roland Löbners T ITANIC sowie Hans Kraus-Hübners und Reinhard Knodts Z EITENWENDEN . 2.2.5 Fazit: Untergattungen des zeitgenössischen Oratoriums Im kollektiven Sprachgebrauch der Komponisten finden sich folglich vier Bezeichnungen, die als Untergattungen angesehen werden könnten: Kammeroratorium, Rock-/Pop-/ NGL-Oratorium, szenisches Oratorium und oratorische Szenen. Im Fall des Kammeroratoriums ist das einzige Unterscheidungsmerkmal ein musikalisches (Besetzung). Beim NGL-/Rock-/Pop-Oratorium spielen musikalische und soziologische Kriterien eine Rolle, 59 die sich jedoch auch im Text niederschlagen. Das szenische Oratorium hat einen in hohem Maße dramatischen Text, der – im Unterschied zum ‚normalen‘ Oratorium – Regieanweisungen etc. enthält. Hingegen sind Oratorische Szenen keineswegs zur Anzahl % 114 69 % 14 8% Oratorium ohne Zusatz Kammeroratorium NGL, Rock, Pop 6 4% Aufführung bestimmt, sondern die Gat- Szenisches Oratorium 8 5% tungsvariante ist Ausdruck eines be- Oratorische Szenen 7 4% stimmten Form- und Gestaltungsideals. Individuelle Bezeichnungen 13 8% 3 2% Die meisten Komponisten verzichten jedoch auf eine weitere Spezifizierung und weltliches Oratorium Tabelle 4: Gattungsvarianten geben sich mit der allgemeinen Gattungsbezeichnung „Oratorium“ zufrieden. 60 2.3 S UJETS DES O RATORIUMS FRÜHER UND HEUTE Traditionell stammt der überwiegende Teil der Stoffe für Oratorien aus der Bibel und den Heiligenlegenden. Selbst als im 19. Jahrhundert die gottesdienstliche und konfessionelle Prägung des Oratoriums immer mehr schwindet und sich das Oratorium vollständig als Gattung des bürgerlichen Konzertwesens, als geistliches Gegenstück zur Sinfonie, etabliert, bleibt die Vorherrschaft biblischer Stoffe erhalten.138 Jedoch ergeben sich in dieser Zeit einige stoffliche Erweiterungen und Verschiebungen, die wiederum für die Oratorienlibrettistik des 20. Jahrhunderts vielfach als wegbereitend anzusehen sind. Die meisten Oratorien schöpfen im 19. Jahrhundert aus dem Stoffkreis der Bibel und den Heiligenlegenden. Das Neue Testament spielt dabei eine größere Rolle als das Alte. Eine erhebliche Anzahl neutestamentlicher Oratorien bezieht sich auf die wichtigen Feste des Kirchenjahres: Weihnachten, Passionszeit, Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten;139 auffällig ist jedoch die Abnahme von Oratorien zur Passion Jesu im 19. Jahrhundert gegenüber früheren Jahrhunderten. Als eigenständiger Typus entwickelt sich im 19. Jahrhundert unter dem Einfluss von Händels M ESSIAS und der gleichnamigen Dichtung Klopstocks das sogenannte „ChristusOratorium“140, das „die Person und das Wirken Christi unabhängig von einem kirchenzeitlichen Denken konzeptionell und dichterisch reflektiert“141. Oft verbinden ChristusOratorien die wichtigsten Lebensstationen Jesu und beziehen sich nicht mehr auf ein einzelnes Kirchenfest. Die Wahl der Schwerpunkte und die Ausarbeitung ist jedoch im Einzelfall sehr unterschiedlich.142 Die übrigen Stoffe aus dem Neuen Testament schöpfen aus einem kleinen Kreis von Figuren: in erster Linie sind dies Johannes der Täufer, Judas, Maria, Paulus und Petrus.143 Oratorien zur Apokalypse finden sich überwiegend aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts; einen erneuten Aufschwung erfährt dieses Sujet an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.144 138 vgl. Massenkeil 1999, S. 111 139 vgl. Smither 2000, S. 90, Massenkeil 1999, S. 123 140 vgl. Massenkeil 1999, S. 123f, Smither 2000, S. 94 141 Massenkeil 1999, S. 124 142 vgl. Massenkeil 1999, S. 124 143 vgl. die Aufstellung bei Smither 2000, S. 95f., sowie Massenkeil 1999, S. 124 144 vgl. Massenkeil 1999, S. 125; Smither 2000, S. 97 61 Größer ist im 19. Jahrhundert die Bandbreite der auf alttestamentlichen Stoffen beruhenden Oratorien. Auffällig häufig steht die Figur des Moses im Mittelpunkt; auch die Erzählungen von Saul und David, Abraham und Isaak sowie von Noah und der Sintflut sind beliebte Stoffe. Mit dem Schwinden der konfessionellen Prägung des Oratoriums verlieren im Laufe des 19. Jahrhunderts hagiographische Stoffe an Bedeutung. Dieser Rückgang wird jedoch ausgeglichen durch die Entwicklung des so genannten „weltlichen“ Oratoriums145. Neben Personen der Religionsgeschichte wie Martin Luther werden zunehmend historisch wichtige Persönlichkeiten und nationale Helden in den Mittelpunkt gerückt.146 Diese Entwicklung mündet im 20. Jahrhunderts vereinzelt in eine neue konfessionelle Akzentuierung, indem schließlich auch bedeutendere Persönlichkeiten aus der neueren Religionsgeschichte wie Dietrich Bonhoeffer zu Hauptpersonen eines Oratoriums gemacht werden.147 Die Ausgestaltung des biographischen Stoffes und die musikalische und textliche Behandlung der Hauptfigur unterscheiden sich bei diesen Oratorien nicht prinzipiell von denjenigen, die Heilige in den Mittelpunkt rücken. Man kann also sagen, dass das hagiographische Oratorium nicht schwindet, sondern eine stoffliche Verschiebung und Ausweitung erfährt von katholisch-christlichen Heiligen hin zu (in der Regel ähnlich wie Heilige moralisch legitimierten) Vorbildern. Bei Günter Massenkeil findet sich eine tabellarische Aufstellung der wichtigsten Oratoriensujets im18. und 19. Jahrhundert.148 Der direkte Vergleich mit dem 20. Jahrhundert ist zwar nur bedingt möglich, weil Massenkeil keine klaren Kriterien für die Klassifizierung eines Werkes als Oratorium angibt.149 In erster Annäherung zeigt sich dennoch, dass sich vom 19. zum 20. Jahrhundert nur geringfügige stoffliche Verschiebungen ergeben; sie sind allemal weniger auffällig als vom 18. zum 19. Jahrhundert. 145 Zum Begriff des weltlichen Oratoriums und seiner Problematik siehe auch Abschnitt 2.3.4, S. 74ff. 146 z. B. Max Bruch Gutenberg, Achilleus, Odysseus, Arminius u. a. 147 vgl. Massenkeil 1999, S. 125f.; Smither 2000, S. 103ff. 148 Massenkeil 1999, S. 122 149 vgl. Kapitel 1, insbesondere S. 22 62 Dabei fällt vor allem die Zunahme religionsgeschichtlicher und hagiographischer Sujets sowie die von Weihnachts-, Auferstehungs-, Himmelfahrts- und Pfingstoratorien im 20. Jahrhundert ins Auge. Die Zahl der Christusoratorien und derer zu anderen Stoffen des Neuen Testaments bleibt weitgehend stabil. Einbußen finden sich bei den Passionsoratorien151, den alttestamentlichen Stoffen, bei den nicht näher einzuordnenden religiösen Themen und bei den weltlichen Sujets. Der geringere Anteil weltlicher Oratorien ist allerdings sicherlich zumindest zum Teil auf die verschiedenen Auswahlkriterien für die untersuchten Werke zurückzuführen. Sujet-Anteil in % 1945-2000 19. Jh. 18. Jh. Neues Testament 46,3 % 41,6 % 62,6 % Christi Passion (ohne oratorische Passionen) 9,0 % 11,3 % 32,5 % Christi Geburt 7,5 % 5,0 % 11,4 % Christi Auferstehung, Himmelfahrt, Kommen des Heiligen Geistes 8,2 % 4,5 % 8,9 % Messianische u. a. Christusdarstellungen 7,5 % 7,4 % 1,6 % Andere Sujets aus dem Neuen Testament, Endzeit und Jüngstes Gericht 14,2 % 13,4 % 8,2 % Altes Testament 19,4 % 23,2 % 20,4 % Religionsgeschichte, Hagiographie 14,9 % 8,7 % 3,2 % 6,0 % 9,0 % 11,4 % 13,4 % 17,6 % 1,6 % Andere religiöse Themen Weltliche Sujets 150 Tabelle 5: Sujets des Oratoriums im Vergleich Dieser Befund steht in deutlichem Widerspruch zu dem Smithers, der zwar auch feststellt, dass wie im 19. Jahrhundert sich Stoffe aus dem Neuen Testament größerer Beliebtheit erfreuen als aus dem Alten Testament und die Heiligenlegenden weiter nachlassen, dann jedoch einschränkt: Most oratorios of the twentieth century, however, have librettos on subjects of a type rarely encountered earlier. These include non-religious political, patriotic, and nationalistic themes, and subjects based on literary works, mythology or legend (exclusive legends of saints), historical events, and texts expressing philosophical or 150 Die Zahlen für das 18. und 19. Jahrhundert sind der tabellarischen Aufstellung in Massenkeil 1999, S. 125 entnommen. Für das 20. Jahrhundert wurden neben den 74 Oratorien, deren Libretti vorlagen, 46 weitere Werke berücksichtigt, für die Informationen über den Inhalt – z. B. aus Rezensionen oder Verlagskatalogen – verfügbar waren. 151 Wenn man oratorische Passionen berücksichtigt, die die Bezeichnung „Passion“, nicht aber „Oratorium“ tragen, sieht das Bild natürlich ein wenig anders aus. Dazu zählen Stücke wie Wolfgang Rihms LukasPassion Deus Passus. Passions-Stücke für Soli, Chor und Orchester, Johannes Matthäus Michels „Passionsszene“ Kreuzigung oder Volker David Kirchners „Passionsmusik“ Aus den 53 Tagen. Anders als in den Publikationen Massenkeils wurden sie in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt. Dennoch ist der direkte Vergleich mit Massenkeils Ergebnissen an dieser Stelle möglich, denn in seiner tabellarischen Aufstellung nimmt er die oratorischen Passionen explizit aus. 63 religious ideas that are not exclusively Jewish or Christian but broadly humanistic.152 Zu einer nicht ganz so extremen Einschätzung kommt Massenkeil. Er sieht nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst einen Rückgang, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts dann wieder einen Anstieg geistlicher Stoffe. Dies leuchtet ein, wenn man – wie Massenkeil es explizit tut – nur die sehr wenigen Oratorien der „auch in anderen Schaffensbereichen prominenten Komponisten berücksichtigt“153: Diese neigen tatsächlich dazu, sich stofflich-thematisch von der Tradition zu distanzieren und neue Stoffe für das Oratorium nutzbar zu machen. Andererseits muss natürlich berücksichtigt werden, dass zumindest Smither nicht nur den deutschsprachigen Raum im Blick hat und insbesondere auch das Oratorium in sozialistischen Staaten in seine Untersuchungen einbezieht. Wenn man aber von den sozialistischen Oratorien der DDR absieht, die in dieser Arbeit nicht berücksichtigt wurden, sind im deutschen Sprachraum nach 1945 rein weltliche Stoffe sogar eher seltener als im von starkem Nationalbewusstsein geprägten 19. Jahrhundert. 2.3.1 Stoffe des Neuen Testaments Nichts zeigt besser, wie sehr das Oratorium seiner Herkunft aus der geistlichen Musik treu geblieben ist, als der überhaus hohe Anteil an Stoffen aus dem Neuen Testament: er umfasst beinahe die Hälfte aller Oratorien. PASSION Das führende Einzelthema ist nach wie vor die Passionsgeschichte, wenn auch nicht mehr so stark wie im 18. Jahrhundert: Insgesamt konnten für das 20. Jahrhundert zwölf Oratorien nachgewiesen werden, die die Leidensgeschichte Jesu behandeln. Von acht Werken lagen die Libretti vor. Der größte Teil von ihnen ist textlich überwiegend traditionell gestaltet. Waldemar Blochs P ASSIO D OMINI und Rupert Gottfried Friebergers M YSTERIUM C RUCIS beispielsweise verbinden die synoptisch aus den Evangelien zusammengestellte Passionserzählung mit Choralpassagen und Gedichten. Auch Henning Frederichs folgt in seiner P ASSIONSERZÄHLUNG DER M ARIA M AGDALENA der traditionellen Abfolge von Rezitativ, Arie und Choral, wobei er sich der Spiegelfigur Maria Magdalena für die Schilderung des 152 Smither 2000, S. 632f. 153 Massenkeil 1999, S. 287 64 Geschehens bedient. Eigenständigere Werkkonzeptionen lassen Matthias und Hartwig Drudes S TATIONEN DER P ASSION J ESU und Anton Vögeles P ASSION erkennen. Bemerkenswert ist die häufige Verknüpfung der Passionserzählung mit dem Holocaust. Fünf Oratorien zur Passion begreifen die Leidensgeschichte Jesu als exemplarisch für Leidensgeschichten ihres Jahrhunderts. Die Passion Jesu wird dazu bisweilen mit der Leidensgeschichte einzelner Personen gleichgesetzt, die wiederum Stellvertreter der Verfolgten und Unterdrückten des Nationalsozialismus sind. Margret Johannsen und Felicitas Kukuck ziehen in E CCE HOMO eine Parallele zwischen der Passionsgeschichte und der des polnischen Waisenhausarztes Janusz Korczak, der sich mit seinen jüdischen Schützlingen nach Auschwitz deportieren ließ. Kurt Rapf montiert in P ASSIO A ETERNA die Passionsgeschichte mit dem Leidensbericht des in Dachau inhaftierten luxemburgischen Pfarrers Jean Bernard. Andere stellen direkt den leidenden Juden Jesus in den Mittelpunkt und ziehen eine Verbindung zum Leiden des jüdischen Volkes allgemein, wie Anton Vögele in seiner P ASSION . Bei ihnen steht das Leiden und Sterben Jesu als Sinnbild dessen, was Menschen anderen Menschen antun können. WEIHNACHTEN Das nach der Passionsgeschichte beliebteste Sujet ist die Weihnachtsgeschichte mit zehn nachweisbaren Werken. Von der Hälfte lagen die Libretti vor. Bei den Weihnachtsoratorien lässt sich eine Tendenz erkennen, die Beate Gritsch und Heinrich Schmidinger auch für literarische Weihnachtserzählungen des 20. Jahrhunderts ausgemacht haben: Die modernen Schriftsteller und Schriftstellerinnen empfinden die Notwendigkeit, die Geschichten neu zu erzählen, damit sie unter dem Druck der Kommerzialisierung und Idyllisierung nicht in Vergessenheit geraten, wir können auch sagen: damit das Kind nicht stirbt und damit der eigentliche Kern der biblischen Geschichten wieder zu Realität wird.155 Giselher Klebe bewerkstelligt dies in seinem W EIHNACHTSORATORIUM , indem er nicht mehr die Lukassche Weihnachtsgeschichte in den Mittelpunkt stellt, sondern eine Weihnachtserzählung von Heinrich Böll, D IE K UNDE VON B ETHLEHEM . Diese Erzählung wird „spiralförmig ... umgeben mit den erregend aktuellen Prophezeiungen des Propheten Jesaja und Gedichten unserer Zeitgenossen Rudolf Alexander Schröder, Peter Härtling 155 Beate Gritsch, Heinrich Schmidinger: „Geboren in Bethlehem“, in Schmidinger 1999 Bd. 1, S. 435f. 65 und Ernst Wiechert“156, die wiederum als „Interpretationen der Liebe“157 aufgefasst werden. Otfried Büsing entzaubert die Weihnachtsgeschichte auf seine Weise, indem er dem Bibelbericht aus Lukas 2, 1-14 eine Schilderung menschlichen Elends folgen lässt, die aus verschiedenen biblischen und volkstümlichen Quellen montiert ist. Dadurch tritt die eigentliche Verheißung, die in Büsings Auffassung ja gerade den Armen und Erniedrigten gilt,158 stärker hervor. Die Engelserscheinung wird vom Kitsch befreit, indem mit dem eingeschobene Rilke-Zitat „Alle Engel sind schrecklich...“ auch ihre bedrohliche Seite gezeigt wird.159 OSTERN Bei den Osteroratorien konnten acht Werke nachgewiesen werden; auch hier lag von der Hälfte das Libretto vor. Dabei fällt auf, dass nicht nur der traditionelle Titel „Osteroratorium“ selten geworden ist,160 sondern dass auch die dazugehörige Bibelgeschichte nur noch ein einziges Mal erzählt wird (Marcel Rubin: A UFERSTEHUNG ). Bei zwei Osteroratorien, nämlich Günther Beckers M AGNUM M YSTERIUM und Oskar Gottlieb Blarrs W ENN AUFERSTEHST DU – WENN ICH AUFERSTEH ’ , geht es weniger um den eigentlichen Bericht von der Auferstehung Jesu als vielmehr um das damit verbundene christliche Heilsversprechen, das in individueller Weise aufgearbeitet wird. Bei Rubin nimmt überdies die Entsendung der Jünger161 einen fast gleichwertigen Stellenwert ein wie der Bericht von der Auferstehung, so dass auch hier eine thematische Erweiterung gegenüber dem Osteroratorium früherer Jahrhunderte festzustellen ist. HIMMELFAHRT UND PFINGSTEN Gegenüber den Osteroratorien deutlich geringer vertreten sind Pfingst- und Himmelfahrtsoratorien. Das einzige mir bekannte Himmelfahrtsoratorium stammt von Fritz Büchtger (D IE H IMMELFAHRT C HRISTI ); das Libretto lag leider nicht vor. Pfingstoratorien gibt es ebenfalls von Fritz Büchtger (P FINGSTEN ) sowie von Violeta Dinescu (P FINGSTORATORIUM ). Der erste Teil von Ernst Kreneks „Pfingstoratorium“ S PIRITUS 156 157 158 Giselher Klebe: „Mein Weihnachtsoratorium“, im Booklet der CD-Veröffentlichung einer Aufnahme des WDR vom 7.12.1989 (s. auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) Klebe, a. a. O. vgl. Otfried Büsing: „Das Licht der Engel – Zur Einführung”, im Programmheft zur Uraufführung, Freiburg 9.12.2000 (s. auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 159 vgl. Büsing, a. a. O. 160 vgl. auch Abschnitt 2.1.2 161 vgl. z. B. Johannes 20, 19ff. 66 I NTELLIGENTIAE , S ANCTUS , der als einziger Teil des mehrteilig konzipierten Werks verwirklicht wurde, behandelt nicht die Pfingstgeschichte, sondern den Turmbau zu Babel.162 Damit folgt Krenek, wie auch Dinescu und viele andere Autoren des 20. Jahrhunderts, der Auffassung, Babel und Pfingsten als einander sich komplementär ergänzende Ereignisse anzusehen.163 CHRISTUS-ORATORIEN Einige Oratorien, wie Wolfgang Stockmeiers J ESUS , schildern Stationen des Lebens Jesu, die Schlüsselelemente des christlichen Glaubens enthalten. Solche Oratorien lassen sich zurückführen auf die „messianischen Christusdarstellungen“164, in denen nicht das Leben Jesu, sondern die christliche Heilslehre im Vordergrund steht. Sie gehen auf das Vorbild von Händels M ESSIAS und des seit der Wende zum 19. Jahrhundert immer beliebteren kontemplativen Oratoriums zurück. Zehn solcher Christus-Oratorien aus dem 20. Jahrhundert waren nachweisbar; von sieben lagen die Libretti vor. Jedoch lässt sich auch hier eine inhaltliche Verschiebung und Ausweitung feststellen. Mehr Oratorien als im 19. Jahrhundert lassen das Leben Jesu vollständig in den Hintergrund treten und stellen die Kirchenfeste und die mit ihnen verbundenen Aspekte des christlichen Glaubens in den Vordergrund, wie beispielsweise A UF DEM R AND DER M AUER von Heinz-Martin Lonquich und Klaus Lüchtefeld. Immer häufiger wird auch eine einzelne Geschichte oder ein Gleichnis aus den Evangelien herausgegriffen, um die herum eine Deutung der christlichen Botschaft entwickelt wird. Zu diesen Oratorien gehören z. B. die Oratorien zur Bergpredigt (Axel Ruoff: B ERGPREDIGT , Joseph Haas: D IE S ELIGEN , Felicitas Kukuck: D AS KOMMENDE R EICH ) oder zu einzelnen Gleichnissen (H.G. Bertram: D ER REICHE M ANN UND DER ARME L AZARUS ). Andere stellen den messianischen Gedanken und die christliche Heilsbotschaft in einen größeren Bezugsrahmen, der auch die Überlieferungen des Alten Testaments umfasst. So beginnt E WIGKEIT FÄLLT IN DIE Z EIT von Helmut Jost, Johannes Nitsch u. a., das im Untertitel als „Pop-Oratorium zur Christusgeschichte“ bezeichnet ist, mit der Schöpfung, berichtet von Abraham, vom Auszug aus Ägypten und der babylonischen Gefangenschaft, bis „in der Mitte der Zeit“165 Jesus erscheint. Der Schilderung von Jesu Geburt, Passion und 162 163 vgl. Leopold/Scheideler 2000, S. 397 Zur Verknüpfung von Babel und Pfingsten vgl. auch Georg Langenhorst: „Babel und Sodom allüberall“, in Schmidinger 1999 Bd. 1, S. 265-292, insbesondere Punkt 6 „Verbindung von babylonischer Sprachverwirrung und Pfingstsehnsucht“ (S. 285ff.). Im Pfingstgottesdienst der katholischen Kirche ist der Bericht vom Turmbau zu Babel übrigens ein gängiger Text für die Lesung aus dem Alten Testament. 164 Massenkeil 1999, S. 122, vgl. auch oben, S. 66f. 165 So lautet eine Zwischenüberschrift, vgl. Jost/Nitsch, Ewigkeit fällt in die Zeit 67 Pfingstwunder folgt abschließend eine Reflexion über das Verhältnis von Mensch und Gott in der heutigen Welt. ANDERE PERSONEN UND STOFFE DES NEUEN TESTAMENTS Es ist nicht verwunderlich, dass der weitaus größte Teil der auf neutestamentlichen Stoffen beruhenden Oratorien sich um Leben und Lehren Jesu dreht. Doch spielen in etlichen Oratorien auch andere Figuren des Neuen Testaments eine zentrale Rolle. Henning Frederichs’ P ETRUS , das zunächst vom Komponisten als „Biblische Sensopera“ bezeichnet, später dann in einer Textbuchausgabe als Oratorium veröffentlicht wurde,166 befindet sich in einer Zwischenstellung zwischen einem Christus- und einem Aposteloratorium. Zwar stehen der Lebensweg des Petrus, seine Gedanken und Reflexionen im Mittelpunkt; die Schilderung des Wirkens Jesu nimmt aber einen fast ebenso großen Raum und Stellenwert ein. Oratorien zu einzelnen Aposteln oder zu anderen Themen aus der Apostelgeschichte sind vor allem bei den Autoren von NGL- und Pop-Oratorien sehr beliebt: Von den insgesamt 14 Oratorien, die diesem Themenkreis zuzuordnen sind, stammen sechs aus dem Sacropop- und NGL-Umfeld. Führend ist die Geschichte von der Bekehrung des Paulus und Rückgriffe auf die Briefe des Apostels (fünf Oratorien). Aber auch die Geschichte von Thomas dem Zweifler wird gerne verwendet, um die Nachfolge Jesu zu thematisieren. Die Offenbarung des Johannes spielt – anders als in der autonomen Literatur des 20. Jahrhunderts167 – kaum eine Rolle. Smither nennt zwei Oratorien von Fritz Büchtger, die vermutlich auf der Apokalypse beruhen (D ER WEIßE R EITER und D AS GLÄSERNE M EER ). Da jedoch keine Ausgaben ausfindig gemacht werden konnten, war auch die Gattungszuordnung nicht nachprüfbar. Insofern konnten diese beiden Werke im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter berücksichtigt werden. Über zwei weitere Oratorien, die sich im Untertitel auf die Offenbarung des Johannes beziehen, Daniel Glaus’ H ÜLLEN A BGRUNDS . O RATORIUM ÜBER DIE O FFENBARUNG DES J OHANNES und Rainer Kunads D AS NEUE J ERUSALEM , können ebenfalls keine weiteren Aussagen getroffen werden, da weder die Libretti noch andere weiterführende Informationen aufzufinden waren. 166 vgl. die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2 167 vgl. dazu Karl-Josef Kuschel: „Apokalypse“, in Schmidinger 1999 Bd. 1, S. 543-568 DES 68 2.3.2 Stoffe des Alten Testaments Gegenüber den neutestamentlichen Stoffen sind Sujets aus dem Alten Testament deutlich seltener vertreten. Am häufigsten kommt dabei noch die Schöpfungsgeschichte (sechs Oratorien) sowie der Turmbau zu Babel und das Buch Hiob (jeweils fünf Oratorien) vor; andere Stoffe, wie die Sintflut oder das Buch Jona, werden nur vereinzelt verwendet. SCHÖPFUNG Die deutliche Vorherrschaft der Schöpfungsgeschichte (wie auch der Hiob-Erzählung) ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie besonders geeignet ist, den Zustand des heutigen Menschen in der Welt und sein Verhältnis zu Gott zu reflektieren. Dementsprechend halten sich nur zwei Oratorien zu Schöpfung und Südenfall wörtlich an den Bibeltext, nämlich Rudolf Kelterborns D IES UNUS und Harald Heilmanns D ER S ÜNDENFALL . Die anderen hingegen nähern sich der Schöpfungsgeschichte aus der Perspektive eines von naturwissenschaftlich-technischem Fortschritt und von ökologischen Katastrophen gebeutelten Zeitalters, untersuchen ihre symbolische Aussagekraft und fragen, was heute aus dieser Schöpfung geworden ist und wie der Mensch seiner Verantwortung für diese Schöpfung wieder gerecht werden kann.168 Das „Schöpfungs-Oratorium“ D IE E RSCHAFFUNG DER W ELT von Heinz Kratochwil und Sigrid Schweiger fasst die Schöpfungsgeschichte dementsprechend nicht als „lächerliches Ammenmärchen, längst von der Wissenschaft überholt“ auf, sondern als „genial-intuitive Schau des Milliarden von Jahren beanspruchenden Schöpfungsvorgangs, zusammengedrängt auf wenige Tage – nach göttlicher Zeitrechnung – und gesehen aus dem Blickwinkel des irdischen Menschen“.169 So wird der Schilderung jedes Schöpfungstages eine kurze Deutung aus heutiger Sicht mitgegeben. Fredrik Schwenk hingegen erzählt in seinem – nur teilweise auf deutsch, zu weiten Teilen in lateinischer Sprache abgefassten – D IES SEPTIMUS ausgehend vom siebten Tag des Schöpfungsberichts eine Parabel, wie der Mensch die Schöpfung fortzusetzen versucht und dabei scheitert. S CHÖPFUNG von Krysztof Meyer und Gerhard Engelsberger nimmt ebenfalls nur für die ersten beiden Abschnitte die biblische Schöpfungsgeschichte zur Grundlage. Davon ausgehend beschäftigt es sich mit dem Schöpfungsgedanken in den verschiedenen 168 169 vgl. auch Abschnitt 2.4.3, S. 81ff. Heinz Kratochwil: „Persönliche Gedanken zum Schöpfungs-Oratorium“, in Kratochwil/Schweiger, Die Erschaffung der Welt (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 69 Weltreligionen und dem Verhältnis zwischen Mensch und Schöpfung heute vor dem Hintergrund dieser Religionen. HIOB Im Vergleich zu den sehr unterschiedlichen Schöpfungsoratorien sind die Oratorien zum Buch Hiob einander ähnlicher. Eine augenfällige Gemeinsamkeit ist, dass alle schlicht H IOB betitelt sind. Zwar verwenden Hermann Haller und Wolfram Wagner in ihren Orato- rien ausschließlich Bibelzitate, wohingegen Henning Frederichs teilweise und Eugen Eckert (Komponist: Jürgen Blume) nahezu vollständig paraphrasieren. Doch folgen sie alle der biblischen Erzählung so weit, dass Hiobs Klage als auch die Reden seiner Freunde zur Rechtfertigung Gottes im Mittelpunkt stehen. Der Kern des Disputs ist die Frage, warum das Leid trotz Gottes Allmacht in der Welt ist, bzw. welchen Sinn es hat, wenn es denn gottgewollt ist. Im 20. Jahrhundert erhält diese Frage neue Brisanz, und darin liegt der Grund für die Beliebtheit des Hiob-Stoffs.170 BABEL Drei Oratorien mit dem Titel D ER T URMBAU ZU B ABEL konnten nachgewiesen werden: von Ernst H. Flammer, von Heinrich Gattermeyer und von Alfred Koerppen. Die Libretti waren leider von keinem der drei aufzufinden. Der Turmbau zu Babel bildet auch die Vorlage für Ernst Kreneks S PIRITUS I NTELLIGENTIAE , S ANCTUS und für Johannes Driesslers D E P ROFUNDIS . Letzteres schildert die Abwendung eines Volkes von Gott hin zu sündigem und überheblichem Lebenswandel und die sich nach der Katastrophe einstellende Reue und Bekehrung. SONSTIGE Andere Stoffe des Alten Testaments kommen nur vereinzelt vor. Die Geschichte von der Sendung und Flucht Jonas ist Grundlage für Wolfgang Stockmeiers J ONA und René Clemencics R EISE NACH N INIVEH . Stoffe aus den Prophetenbüchern verwenden auch Thomas Gabriel und Eugen Eckert in D ANIEL sowie Friedhelm Aufenanger und Peter Langen in E LIAS , HOMO PSYCHOTICUS . Die Geschichte von Noah und der Sintflut schildern Rudolf Kelterborn in D IE F LUT sowie János Tamás und Claudia Storz in N OAHS T OCHTER . Schließlich sind bei den Stoffen des Alten Testaments noch zu nennen Wolfgang Stockmeiers J EFTA UND SEINE T OCHTER , das die gleichnamige Erzählung von Lion Feuchtwanger vertont, sowie Teile der H ISTORIEN des selben Komponisten. 170 vgl. dazu auch Abschnitt 2.4.1, S. 77ff. 70 Eine interessante Verbindung eines alttestamentlichen Stoffes mit aktuellen Zeitbezügen schaffen Matthias Drude und Dietrich Mendt in ihrem auf dem Buch Esra beruhenden Oratorium V ON DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR , das am Beispiel des aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrenden Volkes Israel gesellschaftliche und kulturelle Probleme thematisiert, die sich auch angesichts der deutschen Wiedervereinigung stellten. 2.3.3 Nicht-biblische Stoffe HEILIGENLEGENDEN Es erstaunt zunächst, dass ausgerechnet im säkularisierten 20. Jahrhundert der Anteil der Oratorien, die auf Heiligen- und andere christliche Legenden zurückgreifen, gegenüber früheren Jahrhunderten deutlich gestiegen ist. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, wie eng der Begriff der Legende gefasst ist, auf dem die Zuordnung der Oratorien beruht. Doch selbst wenn man nur die im engeren Sinne hagiographischen Oratorien berücksichtigt, also diejenigen, die tatsächlich auf einer Heiligenlegende beruhen, kommt man auf mindestens sechs Werke, die zwischen 1945 und 2000 entstanden. Die im engeren Sinne hagiographischen Oratorien entstehen häufig als Kompositionsauftrag anlässlich eines Jubiläums oder eines besonderen Kirchenfestes. Zu diesen gehört von Jutta Bitsch K UGEL IM L ICHT (Text: Silja Walter) ebenso wie das nicht mehr in den Untersuchungszeitraum fallende S R . M ARIA E UTHYMIA der selben Komponistin (Text: Gisbert Wellerdiek). Ersteres entstand auf einen Kompositionsauftrag des rheinlandpfälzischen Kulturministeriums hin und beleuchtet verschiedene Stationen aus dem Leben des Heiligen Benedikt.171 Das zweite wurde im Jahr 2002 anlässlich der Seligsprechung der Ordensschwester Euthymia in Münster uraufgeführt.172 Hagiographisch ist auch das Oratorium D ER S CHREIN DER M ÄRTYRER von Bertold Hummel und Paul-Werner Scheele, das das Leben und Wirken des Heiligen Kilian beschreibt. Auch V ERENA DIE Q UELLE von Carl Rütti und Silja Walter, J OVIAN DER S EHER von Rainer Kunad, M ARTIN VON T OURS – T EILEN STATT TÖTEN von Wolfram Graf und Dieter Hülle sowie D AS S CHWEIGEN DES J OHANN VON N EPOMUK von Heinz Martin Lonquich und Cordelia Spaemann erzählen das Leben und Wirken von Heiligen nach. Auf einer nicht personenbezogenen christlichen Legende, nämlich der Legende vom Kreuzesstamm, basiert D ER B AUM DES H EILS von Thomas Daniel Schlee und Reinhard 171 vgl. Krombach 2002 172 vgl. dazu http://www.bistum-muenster.de 71 Deutsch. Ebenfalls zu den auf einer christlichen Legende basierenden Oratorien zähle ich Gerhard Schedls D ER G ROßINQUISITOR . Die Vorlage stammt aus Fёdor Dostoevskijs Roman D IE B RÜDER K ARAMAZOV . Einer der drei Brüder, Ivan Karamazov, erzählt dort die (fiktive) Legende vom Großinquisitor, in der Christus das Spanien der Inquisition aufsucht.173 Die Gegenüberstellung des hasserfüllten, verbohrten Großinquisitors mit einem sanftmütigen, liebenden Christus ist also eigentlich keine echte Legende, sondern ein Stück Weltliteratur des 19. Jahrhunderts. Sie hat jedoch unabhängig vom Roman weite Bekanntheit erlangt und wird, aus dem Kontext gerissen, häufig als die Legende rezipiert, die sie im Roman zu sein nur vorgibt. Zu den genannten zehn Oratorien kommen zehn weitere, deren Hauptpersonen keine Heiligen sind, sondern als vorbildlich angesehene historische und zeitgenössische Persönlichkeiten. Damit wird die im 19. Jahrhundert beginnende Ausweitung des hagiographischen Oratoriums fortgesetzt.174 Während im 19. Jahrhundert zahlreiche weltliche „Helden“ in Oratorien verewigt wurden,175 handelt es sich im 20. Jahrhundert in der Regel um Personen mit heiligenähnlichen oder märtyrerhaften Zügen, wie den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (Tom Johnson: B ONHOEFFER O RATORIUM ) oder den Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky (Gustavo Becerra- Schmidt: C ARL - VON -O SSIETZKY -O RATORIUM ). Allein die Tatsache, dass sie nicht von der katholischen Kirche heilig gesprochen sind (bzw. als Nicht-Katholiken gar nicht sein können), schmälert nicht die Vorbildfunktion, die diese Personen haben.176 Selbst Francois Villon bekommt in dem gleichnamigen Oratorium von Anton Heiller und Franz Krieg verklärende Züge, indem er als der Prototyp eines Menschen, der „auf dunklen Wegen ... das Licht“177 sucht, gezeichnet wird. In diesem Sinne geht das ursprünglich hagiographische Oratorium im 20. Jahrhundert auf die Suche nach zeitgemäßen Heiligen, wo die Vorbilder der katholischen Kirche nicht mehr genügen. ANTIKE MYTHEN Stoffe aus der antiken Mythologie verarbeiten D ER T OD und D AS F EUER DES DES A GAMEMNON von Robert Blum P ROMETHEUS von Alfred Koerppen. Ebenso wie diese beiden stammt auch Alfred Uhls G ILGAMESCH , das eine Übersetzung des sumerischen Epos von Franzis Jordan 173 vgl. Dostoevskij 1999, S. 401ff 174 vgl. Massenkeil 1999, S. 126 175 vgl. oben, S. 62f. 176 177 vgl. hierzu auch Tom Johnson : „Man kann Bonhoeffer als eine Art moderner Prophet sehen und auch als eine Art Märtyrer…“, in Johnson, Bonhoeffer Oratorium, Programmheft der Uraufführung (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) Heiller/Krieg: François Villon, I. Chor 72 verwendet, aus den 1950/60er Jahren. Danach gab es jahrzehntelang kein neues Oratorium zu antiken Mythen, bis zu Georg Katzers M EDEA IN K ORINTH , dessen Libretto von Christa und Gerhard Wolf in den Jahren 2000 und 2001 entstand. Im Jahr 2001 wurde auch Stefan Heuckes D IE O RDNUNG DER E RDE uraufgeführt, das wie Alfred Uhls Oratorium auf dem Gilgamesch-Epos beruht. Ebenso wie den Oratorienlibretti zu Bibelstoffen häufig eine moderne literarische Bearbeitung statt des originalen Bibeltextes zugrunde liegt, werden auch Legenden und Mythen aus anderen Kulturkreisen meistens in einer modernen Form oder Neuübersetzung rezipiert. So vertont beispielsweise Horst Ebenhöh in V IRATA , das Ende der 1950er Jahre entstand, eine Erzählung von Stefan Zweig, die auf einer alten indischen Legende beruht. LITERARISCHE VORLAGEN L EBEND ' GES L AND von Shih und Charles Chiu rezipiert einen literarischen Text auf seine eigene Weise: Einzelne Zeilen aus Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff werden aus dem Zusammenhang gerissen und neu zusammengestellt. Zwar findet keine Handlung statt, ein literarisch vorgeformter Stoff ist also nicht gegeben, doch sind Thema und Zusammenstellung durch das verwendete Gedicht vorgegeben: Depression, Todessehnsucht und die Hoffnung auf Erlösung. Auch César Bresgens D E TEMPORE und Karl Schiskes V OM T ODE wählen einen literarischen Text zum Zentrum ihres Werkes, nämlich Bresgen einen Text von Michelangelo („Alles Entstandene muss vergehn/in der Zeit Flucht“178) und Schiske einen Rilke-Vers („O Herr, gib jedem seinen eignen Tod“179). Doch kann man dabei kaum von einem „Stoff“ sprechen; die kurzen Textausschnitte dienen nur als Ausgangspunkt für ausgedehnte Meditationen und Reflexionen zur Vergänglichkeit des Menschen. Bresgen stellt dazu verschiedene Ausschnitte aus der Bibel und Zitate überwiegend christlicher Dichter, vor allem von Augustinus, zusammen. Schiske verwendet keine Bibelzitate, sondern greift auf Gedichte überwiegend aus dem 19. und 20. Jahrhundert zurück. Ein ähnliches Verfahren wenden Joseph Haas und Ludwig Andersen in D AS J AHR IM L IED an. Volkslieder aus verschiedenen Jahrhunderten, die den Jahresablauf beschreiben, machen den größten Teil des Textes aus; ein Sprecher leitet mit kurzen Texten durch den Zyklus. 178 179 Diese Textquelle ist vom Komponisten im Textbuch vermerkt. Genaue Quellenangaben konnten nicht ermittelt werden. vgl. Rilke 2000, S. 100 73 Ähnlich verfährt Helmut Barbe in 1648 . Er stellt Worten von Andreas Gryphius zusammen, um die Schrecknisse Krieges zu veranschaulichen. Dessen Gedichte werden dabei teilweise als Arien vertont, teilweise Rezitative und dabei wie Prosa behandelt. Hier zeigt sich, dass literarische Texte für Oratorienkomponisten seltener eine Quelle für Stoffe als vielmehr ein umfangreicher Zitatfundus sind. Auch bei der Bearbeitung von Bibelstoffen werden gerne durch die Ergänzung und Kontrastierung mit anderen literarischen Zeugnissen einzelne Handlungsstränge oder Deutungen stärker hervorgehoben. Dass dies geradezu typisch für das Oratorienlibretto ist, wird weiter unten180 genauer ausgeführt werden. SONSTIGE Als weitere Quelle für Stoffe dient die Geschichte. Hier ist D AS F LOß DER M EDUSA von Hans Werner Henze und Ernst Schnabel zu nennen, das durch die seine Uraufführung begleitenden (und verhindernden) Skandale berühmt wurde. Es greift einen Vorfall von 1816 auf, als der Schiffbruch der Fregatte „Medusa“ und das Schicksal der Schiffbrüchigen die Welt bewegten. Neben den bisher genannten Oratorien, die einen mehr oder weniger bekannten, schon zuvor fest umrissenen Stoff zur Textgrundlage nehmen, gibt es solche, die in relativ freier, individueller Form Aspekte des Verhältnisses zwischen Mensch, Gott und Welt thematisieren. In A LLEZEIT von Ernst Vogel und Herbert Vogg geht es um die Vergänglichkeit, die „Eitelkeit“ aller irdischen Macht und Statussymbole. Die Eitelkeit der Welt ist auch Ausgangspunkt in G AUDIA MUNDANA von Johannes Driessler und Bettina Brix, in dem sich der Prota- gonist (ein sangesfreudiger Tenor) auf der Suche nach dem Sinn des Lebens erst in ein Trinkgelage, dann in Liebschaften stürzt, um schließlich bei „Frau Musica“ fündig zu werden. Die Entfremdung des Menschen von Gott und die Suche nach ihm thematisieren zwei Libretti von Herbert Vogg: N ON SUM QUALIS ERAM (vertont von Helmut Eder) und S TATIONEN (vertont von Augustin Kubizek). So wie Karl Schiske und César Bresgen ihre Oratorien um eine literarische Textzeile herum entwerfen, so entspinnt sich N ON SUM QUALIS ERAM aus dem Nachdenken über die im Alten Testament aufgeworfene Frage von Gott: „Woher kommst du, und wohin gehst du?“181. S TATIONEN dagegen stellt in freien Assoziationen das 180 Abschnitt 2.5.3, S. 98ff. 181 1. Mose 16, 8 74 moderne Leben und den Zustand der Welt dem Willen Gottes gegenüber. In beiden Oratorien werden keine vorgegebenen Stoffe verarbeitet, sondern Grundfragen des menschlichen Daseins in individueller Form reflektiert. Andere Oratorien, denen kein bestimmter Stoff zugrunde liegt, führen eine Art Zwiegespräch zwischen Mensch und Gott vor. Das Libretto zu Thomas Christian Davids L IED DES M ENSCHEN beispielsweise ist eine Zusammenstellung von Bibeltexten – überwiegend Psalmen –, in denen Gott angerufen oder gelobt wird. Der Lobpreis Gottes steht dabei im Vordergrund. 2.3.4 Das „weltliche“ Oratorium: Zur Problematik eines Begriffs Die wenigen Oratorien, denen weder ein biblischer Stoff noch ein christlicher Grundgedanke zugrunde liegt, entsprechen denjenigen, die Massenkeil und Smither im Einklang mit der Musikgeschichtsschreibung als „weltlich“ bezeichnen. Neben volkstümlich anmutenden Werken wie Johannes Driesslers G AUDIA MUNDANA und Joseph Haas’ D AS J AHR IM L IED wären dazu vor allem Werke zu zählen, die einen Vorfall aus der klassischen Mythologie oder aus der Geschichte bzw. Zeitgeschichte aufgreifen. Dass im Oratorium nicht nur biblische, sondern auch historische Ereignisse zum Ausgangspunkt einer weltanschaulich-moralischen Botschaft genommen werden, setzt eine Entwicklung aus dem 19. Jahrhundert fort, die gemeinhin als die Entstehung und Ausprägung des so genannten „weltlichen“ Oratoriums angesehen wird. Als weltlich werden dabei alle Oratorien bezeichnet, die nicht biblisch oder hagiographisch sind. Doch unabhängig davon, welchen Stoff die Oratorienlibretti als Vorlage wählen, ist ihnen eines gemeinsam, das das Attribut „weltlich“ fragwürdig erscheinen lässt: Sie werfen existenzielle Fragen nach dem Sinn des Daseins auf, nach dem – oft als problematisch empfundenen – Verhältnis zwischen Gott, Mensch und (moderner) Welt, und versuchen eine Antwort zu geben. Charakteristisch für alle Oratorien ist, dass diese Antwort zu einer Botschaft wird, sie verkünden, wie Smither es ausdrückt, „a message of universal significance“182. Dazu kommt, dass auch bei Oratorien, die auf weltlichen Stoffen beruhen, Bezüge zur Bibel oder zu sonstigem christlichen Gedankengut keineswegs fehlen. Dies reicht von einem erhabenen Sprachstil, der an den Duktus der Bibel erinnert, über Bibelzitate bis hin zu parodistischen Elementen. Als Beispiel sei Giselher Klebes zeitgeschichtliches 182 Smither 2000, S. 639 75 Oratorium W ARUM HAT DIE S ONNE EINEN A SCHENRAND genannt, das durch die Arbeit von Amnesty International angeregt wurde. Den Hauptteil des Textes machen Gedichte von Peter Härtling aus, die sich mit Diktatur und Folter beschäftigen; daneben verwendet der Text Zitate aus den Sprüchen Salomos und den Psalmen. Dass dieses Vorgehen keineswegs singulär ist, wird in Abschnitt 2.5.3 ausführlich dargelegt. Insofern erweist sich die Einteilung in „geistliche“ und „weltliche“ Oratorien als künstlich und überflüssig. Zudem ist auffällig, dass sie sich in der Forschungsliteratur vor allem bei denjenigen Autoren findet, die großformatige Werke für Chor, Soli und Orchester gleich welchen Inhalts und Titels als Oratorien ansehen. Wenn Günther Massenkeil zu dem Schluss kommt: Das grundsätzlich Neue in der deutschen Oratoriengeschichte des 19. Jahrhunderts ist die Einbeziehung weltlicher Sujets, wie sie sich seit 1840 stark durchzusetzen beginnt. Wenn hier wie meist in den einschlägigen Darstellungen kurzerhand von dem weltlichen Oratorium die Rede ist, muss man allerdings in Rechnung stellen, dass wir damit ein Gebiet betreten, das im Gesamt der Vokalgattungen seitdem nicht immer eindeutig lokalisiert werden kann.183 so ist dies eine unmittelbare Folge dessen, dass er auf eine klare Eingrenzung des Gattungsbegriffs verzichtet. Eine Begründung für die These, dass das weltliche Oratorium eine eigene Entwicklung in der Geschichte des Oratoriums darstellt, liefert er jedenfalls nicht.184 Die in dieser Arbeit untersuchten Werke legen eine Kategorisierung in „geistliche“ und „weltliche“ Oratorien jedenfalls nicht nahe. Vielmehr haben nahezu alle einen beträchtlichen religiösen oder mythologischen Gehalt, der für das Gesamtkunstwerk ebenso eine Rolle spielt wie der Bezug auf „weltliche“ Themen und Ereignisse. Exemplarisch wurde dies bereits bei den hagiographischen Oratorien deutlich.185 In den nächsten Kapiteln werden wir sehen, dass nicht die Auswahl des Stoffes, wohl aber der Umgang mit ihm ein brauchbares Differenzierungsmerkmal darstellt.186 183 Massenkeil 1999, S. 126 184 vgl. dazu auch S. 22f. und Abschnitt 1.1.1, S. 13ff. 185 siehe oben, Abschnitt 2.3.3, insbesondere S. 70ff. 186 mehr dazu vgl. insbesondere Abschnitt 2.5.1, S. 93f. 76 2.4 D IE F RAGE S INNSUCHE W ARUM ODER : THEMATISCHE K ONSTANTE NACH DEM ALS Zweifel an Gott und neue Hoffnung im Glauben, Fragen nach gerechter und gottesfürchtiger Lebensführung, nach Sünde und Vergebung gehören zum traditionellen Themenrepertoire des Oratoriums. Das im 20. Jahrhundert zentrale Thema des Oratoriums ist jedoch eine Frage, die durch Holocaust und Zweiten Weltkrieg eine besondere Zuspitzung erfuhr: welchen Sinn das Leid in der Welt hat und warum Gott es zulässt. Welche Antworten das Oratorium darauf gibt, variiert stark, abhängig von der weltanschaulichen Haltung der Autoren und Komponisten, aber auch von Kompositionsanlass und Aufführungsbedingungen. So weisen Oratorien, denen ein kirchlicher Kompositionsauftrag zugrunde liegt – Jubiläen, Gedenktage oder auch Kirchentage – einen in der Regel stärker verkündenden, ja missionarischen Charakter auf als solche, die überwiegend aus einem inneren Impuls heraus entstehen und die persönliche Auseinandersetzung der Autoren mit religiösen und anderen existenziellen Fragen spiegeln. Manche Autoren, für die der Aspekt der Verkündigung im Vordergrund steht – stellvertretend sei hier Johannes Driessler genannt –, haben die Antwort schnell zur Hand: Sie liegt in der Hinwendung zu Gott und zum christlichen Glauben. Solche Oratorien sind in der Regel einfach aufgebaut, wenig vielschichtig und wirken stark belehrend. Andere versuchen, die alten Glaubensbotschaften neu zu lesen, von allen Seiten auszuleuchten und darin Antworten zu finden, die auch dem heutigen Menschen weiterhelfen. Inwieweit diese Antworten dann als Wahrheiten verkündet werden oder nur als vage Verheißungen im Raum stehen bleiben, ist Sache der jeweiligen Werkkonzeption. Der Intention des Werkes entspricht in der Regel die Qualität des Librettos: die Texte von missionarisch ambitionierten Oratorien bewegen sich meist auf dem Niveau erbaulichbelehrender Gebrauchsliteratur und benutzen literarische und biblische Traditionen vor allem als „Steinbruch“. Literarisch ergiebigere Ansätze finden sich eher dort, wo die Auseinandersetzung mit eben diesen Traditionen, nicht die reine Affirmation den Kern des Werkes bildet. 77 2.4.1 „Schweig nicht, wenn ich nach dir frage“: Theodizee Das zentrale Thema des Oratoriums im 20. Jahrhundert ist die Suche nach Zeichen Gottes in der modernen Welt, in einer Welt, die zwei Weltkriege erlebt hat, die mit der Schuld des Holocausts leben muss, mit zahlreichen Konflikten, Diktaturen und Ungerechtigkeiten konfrontiert ist und unzählige unschuldige Opfer von Kriegen, Folter und Armut kennt. Eugen Eckerts H IOB formuliert die Frage, die das 20. Jahrhundert bewegt, folgendermaßen: Angesichts des Leids auf Erden frag ich mich: Was soll noch werden? Und: Warum lässt du das zu?187 Herbert Vogg wiederum fragt schlicht: „Dies alles: Um Gottes Willen?“188 Die meisten Oratorien, die das Theodizee-Thema behandeln, wählen dafür die biblische Geschichte von Hiob. Hier ist es zunächst das individuelle menschliche Leid, das den Glaubenszweifel auslöst, doch steht es stellvertretend für das Leid in der Welt. In den meisten Fällen wird der Zusammenhang zwischen den Klagen Hiobs und dem Gefühl der Gottesferne in der modernen Welt explizit hergestellt. Bei Jürgen Blume und Eugen Eckert189 benennt der Eingangschor die Varianten unschuldigen Leidens, von verfolgten Gerechten bis zu hungernden Kindern, und fordert eine Antwort: „Schweig nicht, wenn ich nach dir frage/und nach Glauben heutzutage“190. So ist gleich zu Beginn der Kontext zum Heute hergestellt, in dem die biblische Geschichte neu erzählt wird. Die Aktualisierung schlägt sich jedoch vor allem in der Wortwahl nieder und wirkt bisweilen etwas bemüht; die schlichten Verse, in denen der Großteil des Textes abgefasst ist, lassen jegliches Konfliktpotenzial unter einer Decke religiöser Betulichkeit verschwinden. Wolfram Wagner geht in seinem Hiob-Oratorium umgekehrt vor. In den ersten beiden Teilen, „Hiobs Klage“ und „Elihureden“ bleibt er ganz bei der biblischen Geschichte, die er in großen Ausschnitten wörtlich übernimmt. Erst in Teil 3, „Gesänge des Leids“, wird ein vorsichtiger Bezug zur Gegenwart hergestellt, indem Ausschnitte aus dem Klagepsalm 101 mit einem Gedicht von Karl Wolfskehl verwoben werden. 187 Blume/Eckert: Hiob, Nr. 2 188 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 4 189 Blume/Eckert: Hiob, Nr. 2 190 Blume/Eckert: Hiob, Nr. 2 78 Der Teil setzt ein mit den Versen Weh, Hiob, weh! noch bist du nicht am letzten, am einsamst letzten Fels, noch grünt ein Rand von Heim und Gestern Doch sie, die dich treten, jagen dich weiter an die schwarze Wand.191 Mit der Ankündigung, dass sich das Leid später noch fortsetzen und steigern wird, wird Hiob zum Stellvertreter aller menschlichen Opfer auch des 20. Jahrhunderts. Dieser Bezug in die neuere Zeit zielt jedoch nicht auf eine Aktualisierung der Hiobsgeschichte, sondern nur auf eine Verstärkung ihrer Botschaft: die Erlösung von dem menschlichen Leiden liegt in der Hinwendung zu Gott. Ähnliches findet sich bei Henning Frederichs, der das Buch Hiob als einen „‚Steinbruch‘ für unüberbietbar formulierte Menschheitserfahrungen..., deren Tendenz aber ins Abendländische und Neuzeitliche umgeleitet werden musste“,192 ansieht. Eine weitere wichtige Gruppe von Oratorien, in denen das Theodizee-Motiv anklingt, schildert den Zustand einer zerrissenen Welt, die sich von Gott entfremdet hat, und in der Mensch und Schöpfung unter die Räder zu geraten drohen. Diese Oratorien sind weiter unten in einem eigenen Abschnitt behandelt.193 Die dritte verbreitete Verarbeitungsweise des Theodizee-Motivs stellt Bibeltexte dem Zeitgeschehen bzw. der Geschichte des 20. Jahrhunderts gegenüber. Als wichtigste Vertreter sind hier Axel Ruoffs B ERGPREDIGT zu nennen, das den Bibeltext mit den Ereignissen des Dritten Reichs und des Holocausts konfrontiert, und W ARUM EINEN HAT DIE S ONNE A SCHENRAND von Giselher Klebe und Peter Härtling. Der Librettist Härtling greift darin den Prediger-Spruch „Tue deinen Mund auf für die Stummen“ auf und verwandelt ihn in eine leidenschaftliche Anklage gegen Folter, politische Willkür und das kollektive Wegsehen. Die Komponisten und Librettisten dieser Oratorien verwenden – wie viele andere auch – die literarischen und biblischen Traditionen als „Steinbruch“. Die Neuzusammenstellung von Texten verschiedener Quellen dient jedoch nicht der einfachen Verstärkung biblischer Botschaften; vielmehr soll in dem entstehenden Spannungsfeld verschiedener Lesarten ein verborgener, tieferer Sinn zum Leuchten gebracht werden. Wenn beispielsweise bei Axel Ruoff die Bergpredigt ergänzt wird durch die Zeilen aus Matthäus 24: „Seht zu, dass euch niemand verwirrt, und lasst euch nicht täuschen! Denn viele werden kommen und meinen Namen annehmen: ‚Ich bin der Messias‘ werden sie sagen und die Menschen verführen. Seid wachsam, und habt keine Furcht, wenn ihr 191 Wagner: Hiob, Teil III: Gesänge des Leids 192 Frederichs 1996, S. 73 193 siehe Abschnitt 2.4.3, S. 81ff. 79 den Krieg kommen hört, mit seinem Lärm und seinen Gerüchten“, 194 im weiteren Verlauf die NS-Diktatur und die durchaus unrühmliche Rolle der Kirche in dieser Zeit zur Sprache kommen, so bekommt der Bibeltext eine ganz neue Schärfe und Brisanz für das Handeln auch in heutiger Zeit. 2.4.2 „Ecce: homo homini lupus“: Das Leid des Menschen durch den Menschen Eng an die Theodizee-Frage geknüpft ist die Schilderung menschlichen Leidens – vor allem des Leids, das Menschen einander zufügen. Der Chor in Anton Vögeles P ASSION drückt dies in einer Variation über ein Plautus-Zitats aus: Ecce: homo homini lupus Totus brutus lupus talis. Homo malus homini palus. Homo talis nulla salus“195 Besonders Passionsoratorien verknüpfen häufig die Leidensgeschichte Jesu mit dem Holocaust und machen sie dadurch zu einer universellen Erzählung des durch den Menschen erlittenen menschlichen, vor allem jüdischen Leids. Auch hier finden sich auf der einen Seite Werke, die in relativ schlichter literarischer Verarbeitung vor allem auf eine Verstärkung von Emotionen und Effekt zielen; und auf der anderen Seite vielschichtige, auch literarisch komplexe Oratorien. Bei den Werken der ersten Sorte ist Felicitas Kukucks und Margret Johannsens Passionsoratorium E CCE HOMO zu nennen. Die Librettistin lässt auf die Passionsgeschichte einen Epilog folgen, der den Abtransport des polnischen Waisenhausarztes Janusz Korczak und seiner jüdischen Kinder in die Vernichtungslager schildert: Der Epilog von ‚Ecce Homo‘ ... deutet die Liebe des Janusz Korczak zu den Kindern des jüdischen Waisenhauses von Warschau als moderne Passionsgeschichte. Der polnische Arzt und Erzieher geht mit seinen Kindern bis in die Gaskammern von Treblinka. Doch der Platzkommandant im Warschauer Ghetto führte nur eine Befehl aus: „Ich bin unschuldig an seinem Blut.“ War wieder niemand, ist denn nie ein Mensch verantwortlich?196 194 Ruoff: Bergpredigt, 1. Die Seligpreisungen 195 „Seht: Zum Wolf wird dem Menschen der Mensch, bar jeder Vernunft, böse und den andern ein Marterpfahl, ein heilloses Wesen. Seht: Zum Geier wird dem Menschen der Pöbel, gefräßig, unkultiviert, entstellt das menschliche Antlitz zu einem eiternden Geschwür.“ vgl. Vögele: Passion, Bild 12 Unter den Soldaten, nach Plautus: Epigrammata 3.23 196 Margret Johannsen: Vorwort zu ‚Ecce Homo‘, in Felicitas Kukuck: Ecce homo – Die letzten Tage des Jesus aus Galiläa. 80 Kurt Rapfs P ASSIO A ETERNA folgt einem ähnlichen Muster, indem die einzelnen Stationen der Passionsgeschichte mit Berichten eines KZ-Häftlings verschränkt werden. Jedoch ist der Ich-Erzähler, die Parallelfigur zu Jesus, kein Jude, sondern ein katholischer Priester. Ganz besonders stark ist der Bezug zum Holocaust in Axel Ruoffs B ERGPREDIGT , das ein groß angelegter Versuch ist, „das Gebet zu Gott mit der deutschen Geschichte zu verknüpfen“ zu einer „Predigt gegen das Vergessen“.197 Er kombiniert Bibelausschnitte mit Texten aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und mit literarischen Verarbeitungen des Holocausts wie z. B. Gedichten von Nelly Sachs und Erich Fried. Einen Vorfall aus dem 19. Jahrhundert legen Hans Werner Henze und Ernst Schnabel dem F LOß DER M EDUSA zugrunde. Nach dem Schiffbruch der Fregatte „Medusa“ vor der afrikanischen Küste wurden 1816 über 150 Menschen auf einem Floß ihrem Schicksal überlassen, während die besser gestellten Passagiere sich in den Rettungsbooten davon machten. Als das Floß nach zwei Wochen geborgen wurde, waren nur noch 15 Menschen auf ihm am Leben; fünf von ihnen starben kurz nach der Bergung. Der Vorfall erregte damals internationale Aufmerksamkeit. Henze und Schnabel greifen ihn 150 Jahre später wieder auf und entwerfen daraus eine Parabel über menschlichen Konkurrenzkampf und Spuren von Solidarität in einer lebensbedrohlichen Extremsituation. Als Mulatte steht die Hauptfigur des Jean Charles sinnbildlich für eine gering geschätzte Unterschicht. Jean Charles tritt als solidarisch handelnde Lichtgestalt auf, im Kontrast zu denen, die zugunsten des eigenen Vorteils andere dem sicheren Tod überlassen. Die Verlockungen der allegorischen Figur La Mort, das Leiden der (noch) Lebenden und die Gesänge der Toten, die Dantes G ÖTTLICHER K OMÖDIE entnommen sind, werden zu einem literarisch und emotional dichten Sinngeflecht verwoben, das ebenso sehr elegische Klage für die unbenannten Toten wie philosophische Reflexion über Leben und Sterben ist. Anders als viele christliche Komponisten überlassen Henze und Schnabel die Wendung der Welt zum Besseren und die Erlösung des Menschen nicht Gott, sondern dem Engagement der Menschen: „Die Überlebenden aber kehrten in die Welt zurück: belehrt von Wirklichkeit, fiebernd, sie umzustürzen.“198 197 198 Programmheftbeitrag von Anne Ressel, in Ruoff: Bergpredigt, Programmheft Christuskirche Mannheim, 10. März 2002 (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2); vgl. auch oben, S. 79 Henze/Schnabel: Das Floß der Medusa, 16. Finale 81 2.4.3 „Schöpfung hinter Gittern“: Entfremdung zwischen Gott, Welt und Mensch Eine weitere Gruppe von Oratorien beschäftigt sich weniger mit der Entfremdung der Menschen untereinander als mit der allgemeinen, umfassenden Entfremdung des Menschen von Gott und der Schöpfung. Der Mensch wird als orientierungslos geschildert; ihm ist der Kompass der inneren Werte abhanden gekommen. Oskar Gottlieb Blarr verwendet in seinem Auferstehungsoratorium Verse des flämischen Dichters Lugo Laagland, um dies auszudrücken: Nun liegt meine letzte Flagge im Feuer, die letzte Mauer meiner stolzen Burg fällt. Zwischen dieser Glut und Gott stehe ich, wartend auf neues Gebot.199 Schöpfungsoratorien wie das von Krysztof Meyer und Gerhard Engelsberger (S CHÖPFUNG ) beschreiben eine Schöpfung, die sich der Mensch so sehr untertan gemacht hat, dass sie und er selbst mit ihr vom Untergang bedroht sind. Die Wissbegierde hat sich ins Zerstörerische gewandelt: Unter unserm Wissen weicht der Stein, frisst sich Fragenflut durch jeden Rest von Scham. Wüsten tragen schwarz und die Wolken leiden Pein, Schöpfung hinter Gittern, stumm und lahm.200 Und doch steht hinter all dem Gott, er ist selbst in der geschundenen Schöpfung noch präsent: Wenn alles bricht, die Dämme bersten die Stützen wanken und die Hilfen fliehn du stößt uns nicht, und lasten auch die schwersten Gewichte, die kaltfremd uns nach unten ziehn. Die Welt ist aus dem Lot und bebt in ihren Graden die Menschen säen Tod, sie ernten Krieg du richtest auf, die wir zertreten haben und weinst mit ihnen über unsern Sieg.201 199 Blarr: Wenn du auferstehst - wenn ich aufersteh’, Nr. II 200 Meyer/Engelsberger: Schöpfung, Nr. VIII 201 Meyer/Engelsberger: Schöpfung, Nr. X 82 Die Rettung liegt bei Engelberger und Meyer in der erneuten Einheit der Schöpfung und des Menschen mit Gott. Der entscheidende Schritt dorthin ist die Selbst- und Gotteserkenntnis des Menschen: Welt ist Wunder ist stetig ist arglos ist licht Mensch ist Antwort ist mächtig ist wehrlos ist frei Gott ist alles ist heilig ist offen ist eins202 Pessimistischer ist Frederik Schwenks Schöpfungsgeschichte D IES SEPTIMUS , die eine Fortsetzung der Schöpfung durch den Menschen schildert. Die vom Menschen verursachte Zerstörung der Erde mündet in seine eigene Vernichtung: Am Abend des siebten Tages ruht Gott in der wärmenden Sonne. Eine Träne rollt über seine Wange und tropft auf die Erde. Und eine Sintflut rafft alle Menschen hinweg. Aber ein listiger Rabe, den der Mensch erschaffen hat, spiegelt sich in der Träne. Sieben Tage und Nächte wacht der Rabe neben dem schlafenden Gott. Und kehrt erst dann zu seinesgleichen zurück.203 Beide Oratorien sehen den eigentlichen Grund zur Klage in der Entfremdung zwischen Mensch und Schöpfung und die Besinnung auf die Botschaften des Christentums als möglichen Weg zur Besserung. Dafür verwenden sie eine Sprache, die zwar bei beiden, so sehr sich doch die Prosa bei Schwenk von dem eher von lyrischen Formen geprägten Libretto Engelsbergers unterscheidet, stark von eingängiger pastoraler Metaphorik lebt, aber wirkungsvoll ist und an vielen Stellen aufhorchen lässt. Deutlich simpler in ihrer textlichen Machart sind die Oratorien, in denen sich die Entfremdung des Menschen von Gott als das eigentliche Kernübel darstellt, als Ursache und nicht einfach nur Teilaspekt der Probleme der Welt. So reimen Helmut Jost und Johannes Nitsch in ihrem „Oratorium zur Christusgeschichte“ E WIGKEIT 202 Meyer/Engelsberger: Schöpfung, Nr. XI 203 Schwenk: Dies septimus, VII. Corvus FÄLLT IN DIE Z EIT : 83 Wir haben nichts verstanden die Gnade nicht erkannt. Die Macht gewann unsre Herzen und raubte uns den Verstand. ... Und wir bauen große Tempel, zur Ehre unsrer Macht. Denn wir haben Gottes Weltreich durch eigne Hand vollbracht.204 Für Johannes Driessler zieht die Entfremdung der Menschen von Gott die Schrecknisse der Welt erst nach sich. In gut alttestamentarischer Weise wettert beispielsweise in D EIN R EICH KOMME der Prophet: „Das Land ist entheiligt von seinen Einwohnern, darum frisst der Fluch das Land“205. Der Ausweg aus dieser Situation kann folglich nicht durch Tätigkeit in der Welt gefunden werden, sondern ist rein geistlicher Natur. Er wird nur wenige Zeilen später von demselben Propheten verkündet: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“206 Ähnlich klingt es auch in D E PROFUNDIS , das die Geschichte vom Turmbau zu Babel erzählt. Die Menschen erliegen den Einflüsterungen der Dämonen und streben nach Ruhm und Macht, dessen Symbol der Turm werden soll. Sie ernten jedoch Armut und Krieg, und setzen schließlich ihre Hoffnung doch nicht mehr auf den weltlichen Herrscher, sondern auf Gott, der Erlösung verheißt. Einen anderen Schöpfungsmythos, allerdings aus einem vorchristlichen Kulturkreis, behandelt Alfred Koerppen in D AS F EUER DES P ROMETHEUS . Hier ist die Entfremdung der Menschen von den Göttern – ganz im Einklang mit der antiken Vorlage – ein notwendiger Schritt der Bewusstwerdung des Menschen und für die Herausbildung eines eigenen Willen und Handelns. Gleichzeitig wendet Koerppen das Archetypische, Allgemeingültige des Mythos ins Ironische: Prometheus: Ja, ich, Prometheus, geschlagener, geschundener Gott, gefesselt einst am kaukasischen Fels, gequält, gehöhnt, hab ich gelitten unsagbar, steh ich doch immer und warte. Sopran, Alt, Bass II: Was bedeutet uns die Fessel des Prometheus? Sagen wir: Poesie? 204 Jost u.a.: Ewigkeit fällt in die Zeit, Nr. 13 Liebe und Macht 205 Driessler: Dein Reich komme 206 Driessler: Dein Reich komme 84 Eine Metapher? Eine archetypische Allegorie? Prometheus: Der Adler des Zeus, grausam, furchtbar, täglich Geschick, zernagt mir die Leber. Unsterblich wie mein Wille ist meine Qual. Sopran, Alt, Bass II: Sagen wir: Primitiver Symbolismus? Ein klinischer Befund? Ein Leberleiden?207 Obwohl sich die thematischen Grundkonstellationen der genannten Oratorium gleichen – Entfremdung von Mensch und Gott bzw. Mensch und Schöpfung –, fällt ihre Botschaft doch höchst unterschiedlich aus. Während die einen Oratorien die Hinwendung zu Gott mit einer Abkehr von der (verderbten) Welt verbinden, sehen die anderen gerade in der Bewusstwerdung des Göttlichen die Grundlage für eine erneute Hinwendung zur Schöpfung und einen respektvollen Umgang mit ihr, oder sogar – wie Koerppen – eine notwendige Voraussetzung für zivilisatorische Leistungen des Menschen. Anders als bei den in den vorherigen Abschnitten behandelten Oratorien, bei denen Konfrontation der Glaubenslieferungen mit modernen Lebenswelten vor allem dazu dient, Antworten für das Leben in der Welt zu geben, ist hier erstmals der alttestamentlich-orthodoxe Ansatz ebenso stark vertreten wie der eher weltzugewandte. 2.4.4 „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“: Mensch, Welt und Ewigkeit Neben den eben behandelten Oratorien, die die Trennung der Welt von Gott beklagen, gibt es solche, die dem Weltlich-Vergänglichen das Ewig-Göttliche nicht als Handlungsanweisung, sondern als Verheißung gegenüberstellen. Sie beschäftigen sich mit Tod und Vergänglichkeit, dem Lauf der Welt und der Zeit, und auf der anderen Seite mit dem „Danach“, das den Tod Überdauernde, und mit ewigen religiöse Wahrheiten. Zu den Oratorien, die sich zentral mit diesen Themen beschäftigen, gehören V OM T ODE von Karl Schiske, D E TEMPORE von César Bresgen sowie A LLEZEIT von Ernst Vogel und Herbert Vogg. Schiske vermittelt dabei seine Erlösungsbotschaft eher indirekt und verlässt sich ganz auf die ästhetische Wirkung der literarischen Quellen, aus denen er sein Libretto zusammenstellt. Er enthält sich jeglichen Verweises auf die Bibel; dennoch hat sein Text 207 Koerppen: Prometheus, 2. Die Parusie des Prometheus 85 von Anfang an starke Anklänge an ein Gebet. Der Prolog setzt ein mit einer Akklamation Gottes: „O Herr, gib jedem seinen eignen Tod“, eine Zeile aus Rainer Maria Rilkes S TUNDENBUCH . Die Zeilen des Prologs werden nach jedem der insgesamt sechs Abschnitte wiederholt, was den rituellen Gebetscharakter verstärkt. Zwar bleiben die verwendeten Gedichte überwiegend in einer allgemeinen Symbolik von Jahreszeitenrhythmus, von Leben und Vergehen, von irdischem Dasein und himmlischer Ewigkeit. Nur selten kommt Gott so explizit zur Sprache wie im fünften Abschnitt, „Winter“. Diesem liegt ein Gedicht von Friedrich Klopstock zugrunde, in dem das lyrische Ich die Erhabenheit Gottes und die eigene Niedrigkeit preist: Wie erhaben bist du, Gott Schöpfer! Wie freut sich des Emporschauns zum Sternenheer, wer empfindet, wie gering er, und wer Gott, welch ein Staub er, und wer Gott, sein Gott ist!208 Im Schlusschor werden Zeilen aus Goethes Faust „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“209 mit den Eingangszeilen verwoben. Dies verleiht Schiskes Erlösungsbotschaft eine puritanische Note (werden etwa nur die Tüchtigen erlöst?). Gleichzeitig verstärkt Schiske durch die Autorität des Dichters nochmals seinen hohen moralischen, quasi-religiöse Anspruch. Während Schiskes Werk an ein Requiem erinnert, das der Trauer, aber auch der Hoffnung auf einen angemessenen, „eignen“ Tod Ausdruck verleiht, steht in A LLEZEIT mehr der „Vanitas“-Gedanke im Vordergrund: Es knüpft ein atemloser Reigen Vergänglichkeiten an Vergänglichkeiten. Armsel’ge Nacktheit einzig ist uns eigen. Geliehn, das unsre Blöße deckt, das Kleid; geliehn die Flicken bunter Eitelkeiten; und allerorten so und alle Zeit.210 Die Verheißung, im Glauben an Jesus Christus, in seiner Nachfolge durch Liebe die Welt ein wenig besser machen zu können, wird nur angedeutet: Ermutigst endlich du zu besserm Denken, dass besserm Glauben wir uns anvertrauen und, Kindern gleich, in Liebe uns verschenken?211 208 Schiske: Vom Tode, Nr. 17 209 Johann Wolfgang v. Goethe: Faust, Der Tragödie 2. Teil, Vers 11936f 210 Vogel/Vogg: Allezeit, Eingangschor 211 Vogel/Vogg: Allezeit, Eingangschor 86 Einen ähnlichen Schwerpunkt legt César Bresgen in D E TEMPORE : In Analogie zu den Tageszeiten beschreibt er die Lebensalter des Menschen und dessen Vergänglichkeit: „Sehet den Menschen: Er hat e i n Ziel, den Tod“212. Das Werk beschließt mit einer Aufforderung, sich bereit zu machen für Gott, unter der Überschrift „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“213. Wie Schiske verlässt sich auch Bresgen auf die Wirkung der literarischen Texte, derer er sich in seinem Libretto bedient. Neben diesen drei Oratorien spielen die Themen Tod, Vergänglichkeit und Ewigkeit auch in etlichen anderen Werken eine Rolle, deren eigentliches Hauptthema die Gottessuche oder die Entfremdung des Menschen von der Schöpfung ist. Individuelle Versuche, alle drei Themenbereiche zu verbinden, bieten Augustin Kubizek und Herbert Vogg in S TATIONEN und Heinz Martin Lonquich und Klaus Lüchtefeld in A UF DEM R AND DER M AUER . Wie die bereits behandelten Oratorien beginnt auch S TATIONEN mit einer Betrachtung über die Vergänglichkeit des Menschen: In jedes Menschen schwache Händ legt Gott den Anfang und das End. ... Es bleibt dir nur noch kurze Frist. Nimm an, was dir beschieden ist.214 Dann verwandelt sich das Oratorium in eine große Klage über die Gleichgültigkeit, mit der sich Menschen durchs Leben treiben lassen, über die Gedankenlosigkeit, das SichAbschotten und über die Verletzung und Zerstörung der Schöpfung. Ausgangspunkt ist der Befund, dass Gleichgültigkeit die Welt beherrscht: Gedankenlos denkst du: Die Schönheit der Welt. Gedankenlos bist du zufrieden215 Als Folge dieser Gedankenlosigkeit wird der Mensch seinem Schöpfungsauftrag nicht gerecht; die Welt verfällt: Im Rauch versunken, im Staub zerfallen, in Tränen erstickt sind der Freude schöne Götterfunken. 212 213 Bresgen: De tempore, II. Von der Ordnung der Zeit/ Der Mittag Bresgen: De tempore, Epilog, nach Augustinus. Textherkunft lt. Angabe des Komponisten; genaue Quellenangaben konnten nicht ermittelt werden. 214 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 1 215 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 3 87 Dein Wille, o Gott? Dies alles: um Gottes Willen?216 Doch anstatt der Vergänglichkeit des Menschen die Verheißungen der Ewigkeit gegenüberzustellen, oder eine Hinwendung zu Gott als Vorbereitung auf das Jenseits zu fordern, rufen Kubizek und Vogg zur Tätigkeit in der Welt auf: „Geliehen wird dir ein Pfund. Vergrab es nicht“217 heißt es in Anlehnung an das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden218. Gemessen wird man am Ende seines Lebens an dem, was man im Leben gewirkt hat, und darin sehen die Autoren die Christenpflicht: Du bist gerufen bei deinem Namen. Sag nicht zu frühe ein sattes ‚Amen‘. Leb nicht alleine dein kleines Leben. Brauch’ deine Hände. Leben ist: Nehmen und Geben. Du bist gerufen mit deinen Händen. Läst’re kein Schicksal! Du musst es wenden! Schrei nicht zum Himmel! Was soll dein Fluchen? Denk an dein Sterben. Leben ist: Immer den Anfang versuchen.219 Während S TATIONEN die Stationen des menschlichen Lebens spiegelt und dieses menschliche Leben auf die Präsenz christlichen Glaubens hinterfragt, gehen Heinz Martin Lonquich und Klaus Lüchtefeld umgekehrt vor. Sie stellen nicht etwa den Unzulänglichkeiten der Welt eine göttliche Verheißung gegenüber, sondern sie prüfen, welche Bedeutung die christlichen Botschaften in der heutigen Welt noch haben und welche sie – angesichts der sich ergebenden Spannungen aus Botschaft und Realität – haben könnten und sollten. Anders als in Helmut Voggs Libretto zu S TATIONEN , in dem viel Intention und Inhalt in die konventionelle Reimform gezwängt sind, gehen in Klaus Lüchtefelds Libretto Inhalt und Form eine gelungene Verbindung ein. Atemlose Kurzverse, stammelnde Wiederholungen von Satzteilen, elliptische Formulierungen, die einander wie Gedankenfetzen in rascher Folge ablösen, teilen die Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit des Menschen sprachlich eindringlich mit. In sieben Abschnitten ‚Advent‘, ‚Weihnachten‘, ‚Passion‘, ‚Ostern, ‚Pfingsten‘, ‚Die Zeit danach‘, ‚Wie in einem Spiegel‘ werden menschliche Grenzerfahrungen zwischen Glauben, Hoffen und 216 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 4 217 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 7 218 vgl. Lukas 19, 11-24 und Matthäus 25, 14-30 219 Kubizek/Vogg: Stationen, Nr. 8 88 Verzweifeln geschildert, „räumliche und zeitliche Situationen, in denen die Empfindung endlicher Begrenztheit Fragen nach Begrenztheiten durch ein Absolutes veranlassen.“220 Entsprechend dem Ablauf des Kirchenjahres ist der erste der insgesamt sieben Teile des Oratoriums mit „Advent“ überschrieben. Er beginnt mit einer Klage, die den Worten der Klagepsalmen angelehnt ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Warum hörst du nicht, wie ich schreie, warum bist du so fern?“221 Nach der Beschreibung eines Welt- und Seelenzustands der Gottesferne und Gottessehnsucht wird im zweiten Abschnitt, „Weihnachten“, erst der Verheißung Worte gegeben, die schließlich in der Ankunft Gottes münden – nicht nur vor 2000 Jahren, sondern immer wieder. „Ein Stern zum Glück kommt auf uns zu, der bleibt nicht irgendwo,/er fällt in unsre Zeit herein, wird uns das A und O.“222 Im dritten Abschnitt wird mit der Passion „das versprochene Wort ... auf die Probe gestellt“223, indem es mit der Realität einerseits und mit sinnentleerten Floskeln andererseits konfrontiert wird. fall ins grab deiner eigenen wege versenke frucht und saat und schlage ein kreuz darüber auf224 Doch das Grab ist nicht die letzte Station. Der folgende vierte Abschnitt, „Ostern“, steht ganz im Zeichen der traditionellen Osterbotschaft. Im Zentrum steht der alte Osterhymnus „Christ ist erstanden“, der durch Texte aus dem Neuen Testament und eine Prophezeiung Jesajas ergänzt wird: Sagt den Verzagten: “Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott! ...“225 220 Reiner Volp: „Grenzgänge: auf dem Rand der Mauer‘, im Programmheft zur Uraufführung, Köln 1993 (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 221 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Nr. 1 Ex tempore, nach Psalm 22 222 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Nr. 5 Canzone di Natale 223 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Einleitung zu III Passion 224 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Nr. 7 „Es ist genug“ 225 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Nr. 12, nach Jesaja 35,4-6 89 Im Pfingstwunder dann wird „die Erfahrung [von Ostern] noch einmal erinnert – und übersteigert“226. Das Pfingstwunder wird zu einer Vision für das Ende der Zeit; ein ‚Danse macabre‘ veranschaulicht das Pfingstwunder in zahlreichen Wortspielen: wir atmen auf wir schauen aus wir schauen aus dem grab das grüne wir schauen aus wir stehen auf wir stehen auf dem rand der mauer wir stehen auf wir brechen aus wir brechen aus dem stein die trauer227 Gleichzeitig markiert Pfingsten den Bruch, das Erwachen aus der österlichen Hochstimmung: wir fallen ein wir fallen ein ins längst gewohnte ... wir wachen auf es fällt uns ein wir leben auf dem rand der mauer228 Der nun folgenden vorletzten und längsten Abschnitt des Oratoriums überlegt, wie die „Zeit danach“ aussehen kann, die Zeit nach den biblischen Wundern im Warten auf ein neues Ostern und Pfingsten. Der Textverlauf oszilliert zwischen Hoffen und Verzweiflung, zwischen „komm/wir gehen/rosigen zeiten entgegen“229 und Ohnmacht angesichts der Welt und des eigenen Unvermögens, ohnmächtig unerhört sprachlos versuchen wir schreiende hände vor dir unserem Fragegott ... warum hörst du 226 Lonquich/Lüchtefeld, Auf dem Rand der Mauer, Einleitung zu V Pfingsten 227 Lonquich/Lüchtefeld, A UF DEM R AND DER M AUER , Nr. 13 „danse macabre“ 228 Lonquich/Lüchtefeld, A UF DEM R AND DER M AUER , Nr. 13 „danse macabre“ 229 Lonquich/Lüchtefeld, A UF DEM R AND DER M AUER , Nr. 16 „Duett“ 90 warum erhörst du uns nicht Warumgott230 Der Abschnitt mündet in einem gebetsartigen Kanon, in Bitten aus dem Vaterunser. Der siebte und letzte Abschnitt ist als „Reflexion des gesamten Werkes“231 gedacht, lässt sich aber auch als direkte Antwort und Resultat der vorherigen Bitten lesen: Zwei Nummern sprechen die Tröstung durch das Abendmahl und die in ihm symbolisierte Vergebung der Sünden und Einheit mit Gott aus und laden zur Teilnahme ein. Der Schlusschoral zum Lobpreis Gottes, ‚Choral sine exitus‘, verwendet einzelne, aus dem Choral ‚Allein Gott in der Höh sei Ehr’ herausgerissene Wörter, die zusammen trotz ihres augenfälligen Fragmentarischen einen neuen Sinn ergeben – ein bewusst eingesetztes Kunstmittel: „[Es gibt] keinen wirklichen Ausgang .... Das Leben, der Lobpreis Gottes, die Hinwendung zu ihm, aber auch die Zweifel, das Klagen und Zerrissensein der Menschen enden nicht.“232 2.4.5 „Geh und lege seine Spur von morgen“: Christliche Nachfolge heute Ein weiteres wichtiges Thema im zeitgenössischen Oratorium ist die Frage nach dem richtigen Leben: Wenn das Verhältnis zwischen Gott, Welt und Mensch aus den Fugen ist, was kann man als einzelner noch tun, wie soll man sich verhalten, wie sein Leben gestalten? Für die überwiegende Mehrheit der Oratorienkomponisten und -librettisten liegt die Antwort im christlichen Glauben und in der Nachfolge Jesu Christi. Für sie lautet die eigentliche Frage, wie diese Nachfolge heute aussehen kann, in einer Welt, die sich von der Welt der Bibel und der Zeit Jesu doch erheblich unterscheidet. Oratorienlibrettisten und -komponisten versuchen eine Antwort, indem sie Zeugen und Beispiele einer geglückten Nachfolge antreten lassen: Figuren aus der Bibel oder historische Persönlichkeiten. Die beliebtesten sind Paulus sowie die Apostel Petrus und Thomas. Paulus wird wegen seines Bekehrungserlebnisses gerne ausgewählt. Petrus stellt den Archetypus eines Menschen dar, der glauben und konsequent leben will, aber in entscheidenden Augenblicken die nötige Zivilcourage nicht aufbringt. Thomas schließlich ist das Beispiel eines Menschen, dem es – ganz wie den Menschen des rationalistischen 20. Jahrhunderts – schwer fällt, etwas zu glauben, das nicht beweisbar ist. 230 Lonquich/Lüchtefeld, A UF DEM R AND DER M AUER , Nr. 19 „Lamento“ 231 Lonquich/Lüchtefeld, A UF DEM R AND DER M AUER , Einleitung zu Teil VII „Wie in einem Spiegel“ 232 Heinz Martin Lonquich, im Programmheft zur Aufführung am ‚Aschermittwoch der Künstler‘, Köln 1994 91 Die Art und Weise, in der die Zeugen dargestellt werden, ist sehr unterschiedlich. In Gregor Linßens D IE S PUR VON MORGEN tritt Paulus nach seinem Bekehrungserlebnis aus der biblischen Apostelgeschichte heraus und ruft, in einer Mischung aus biblischen Wendungen und zeitgenössischen Sprechweisen, andere zur Nachfolge Jesu auf: „Du Mensch, steh auf und geh. Die Hoffnung hat nicht getrogen. Im Namen Jesu Christi: geh und lege seine Spur von morgen.“ 233 Auch in den beiden P AULUS -Oratorien von Siegfried Fietz und Johannes Jourdan tritt ein Paulus in modernem Gewand auf, der in der Sprache des zeitgenössischen Schlagers sein Leben und seinen Glauben präsentiert. Die Funktion des Chores als Stellvertreter der heutigen Gläubigen beschränkt sich darauf, besinnliche Bibelzitate beizusteuern und religiöse Begeisterung zu verbreiten. P ETRUS des selben Künstler-Duos ist – ähnlich wie das sechs Jahre später erschienene M ARTIN -L UTHER -O RATORIUM – misst dem persönlichen Zweifel mehr Raum zu und erscheint dadurch differenzierter. Petrus wird als ein zerrissener Mensch dargestellt, der wenig Selbstvertrauen hat, jedoch durch das Vertrauen Jesu eine Chance zu wachsen bekommt. Diesem Konzept entsprechend nehmen die Berufung am See Genezareth, das „Du bist Petrus“, einen großen Raum ein. Die Verleugnungsszene hingegen ist stark reduziert und wird in einer Arie als nur einmalige Verfehlung dargestellt, die Jesus verzeiht. Henning Frederichs gestaltet seinen P ETRUS konventioneller in der Charakterzeichnung, aber in einer eindringlichen Textkonstruktion. Am Ende seines Lebens legt Petrus vor sich seine Lebensbeichte ab. Seine innere Stimme „Memoria“ erinnert ihn an die Schlüsselszenen seines Lebens, vor allem an diejenigen, in denen er sich nicht mustergültig verhalten hat; Petrus versucht, sein Verhalten zu begründen und zu rechtfertigen. Das Oratorium ist ein großer Dialog zwischen diesen beiden inneren Stimmen Petrus’, dem Vorwurf und der Rechtfertigung, und lotet so die charakterliche Vielschichtigkeit der Figur aus. Der drittwichtigste biblische Zeuge schließlich, der Apostel Thomas, steht in Peter Bubmanns T HOMAS DER Z WEIFLER im Mittelpunkt. Der Komponist schreibt selbst dazu: Der Text des Oratoriums bezieht sich auf die Thomasgeschichte in Johannes 20. Dort wird die produktive Qualität des Zweifelns wie sonst nirgends in den Evangelien aufgegriffen. Der zweifelnde Thomas gehört zu den Auferstehungserzählungen. Somit wird der Zweifel Teil einer Lebens-Geschichte mit Perspektiven.234 233 Linßen: Die Spur von morgen, Du Mensch steh auf 234 Bubmann: Thomas der Zweifler, S. 3 92 Der erste Teil des Oratoriums erzählt die biblische Geschichte in moderner Sprache nach. Der zweite meditiert über die Motive der Einsamkeit und der Wundmale. Der dritte Teil schließlich schlägt die Brücke von alten Zusagen Gottes in die heutige Welt getreu der Schlagworte des ökumenischen Prozesses, „Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“. Neben biblischen Zeugen können auch als vorbildhaft empfundene Personen Wege der Nachfolge vorstellen. Das M ARTIN -L UTHER -O RATORIUM von Siegfried Fietz und Johannes Jourdan wurde bereits erwähnt. Tom Johnsons B ONHOEFFER O RATORIUM stellt den deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der 1944 im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, anhand dessen eigener Schriften – überwiegend Predigten und Briefe – vor. Hier wird die Aktualisierung gewissermaßen von Bonhoeffer selbst vorgenommen, der in seinen Schriften vor dem Hintergrund der Geschehnisse der Nazi-Zeit der Frage nachgeht, wie sich ein Christ in einer solchen Situation verhalten kann und muss: Die Grundfrage jedes Christen ist offenbar die Frage nach der Ewigkeit. Willst du Unvergängliches, so halte dich an Vergängliches. Willst du Ewiges, so halte dich an Zeitliches. Willst du Gott, so halte dich an die Welt. ... Der Christ ist weder modern noch unmodern, sondern er dienet der Zeit. Er stellt sich mitten in sie hinein, in ihre Aufgaben, in ihre Schwierigkeiten, in ihren Ernst, und in ihre Not.235 Aus diesem Grundgedanken heraus zeichnet Johnson Bonhoeffers Stellungnahmen zum Stand der Kirche, den Aufgaben des Christen und zur Nachfolge nach, die schließlich in den aktiven Widerstand gegen das Nazi-Regime und schlussendlich in den Tod führten. 235 Dietrich Bonhoeffer: Predigt zu Römer 12:11, Barcelona 23.9.1928, zitiert nach Johnson, Bonhoeffer Oratorium, Nr. 3 Dienet der Zeit 93 2.5 B IBELREZEPTION IM O RATORIUM : Z WISCHEN S PURENSUCHE UND V ERKÜNDIGUNG 2.5.1 Funktionen des Oratoriums Seit seiner Entstehung diente das Oratorium nicht nur der religiösen Erbauung, sondern auch der Belehrung und Verkündigung. Dadurch unterscheidet sich das Oratorium deutlich von der Oper. Die Oper will primär unterhalten, im Sinne der Katharsis den Zuschauer allenfalls durch ein ästhetisch aufbereitetes Beispiel erziehen. Das Oratorium dagegen verlässt sich nicht auf die Vorbild- und Unterhaltungsfunktion, sondern es argumentiert, belehrt und predigt: Tendenziell stärker als in der Oper ist die Musik im Oratorium ... Vehikel der Textvermittlung, an erster Stelle dort, wo sie als effizientes, doch aus kirchlicher Sicht problematisches Mittel zum pastoralen Zweck der Weitergabe einer geistlichen Botschaft eingesetzt ... wird.236 Dieser „missionarische Dienst der Verkündigung“237 in der Öffentlichkeit spielt auch heute noch eine Rolle. Das zeigt sich an den Libretti selbst, von denen viele eine Botschaft zu vermitteln suchen – nicht nur die biblisch-christlich Libretti, sondern gerade auch diejenigen, die auf nicht-christlichen Stoffen beruhen. Hans Werner Henzes Aufruf, die Welt nicht hinzunehmen, sondern revolutionär zu verändern, steht christlichen Mahnungen zur Nachfolge Jesu in nichts nach, ebenso wenig wie die Botschaften, die die Sinnsucher Gilgamesch und Virata bei Alfred Uhl bzw. Horst Ebenhöh verkünden. Wie wir in den vorherigen Abschnitten gesehen haben, nehmen die meisten Oratorien dabei sowohl Diesseitiges als auch Jenseitiges in Blick. In diesem Spannungsfeld wählen die Autoren individuell ihren Gestaltungsschwerpunkt. Auf der einen Seite stehen diejenigen Oratorien, die vornehmlich vom gewählten Stoff bzw. seiner Textgrundlage ausgehen, und deren Hauptaugenmerk auf der Verkündigung seiner Botschaft liegt. Auf der anderen Seite stehen die gerade in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts zunehmenden Oratorienlibretti, deren künstlerische Gestaltung des gewählten Stoffs sich nicht auf die Affirmation seiner Aussage beschränkt. Vielmehr nähern sich diese Libretti dem Stoff diskursiv in kritischer Auseinandersetzung; sie gehen in seinem Kontext auf Spurensuche nach verwertbaren Erfahrungen und nach Antworten gehen. Hierzu zählen viele Oratorien nach biblischen Stoffen: Altbekannte und vielfach missbrauchte oder abgenutzte Texte werden neu gelesen und auf ihr Sinnpotenzial und ihre Aussagekraft in 236 Juliane Riepe: „Das italienische Oratorium“, im Artikel „Oratorium” in MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 748 237 Adam Adrio: „Erneuerung und Wiederbelebung“, in Blume u. a. 1965, S. 328 94 der heutigen Zeit überprüft. Auch die Werke, die primär allgemein menschliche oder sogar aktuelle zeitgeschichtliche Probleme im Blick haben, verfolgen in der Regel einen kritisch-diskursiven Ansatz. Somit sind Verkündigung und Spurensuche als die beiden grundlegenden Gestaltungszüge des Oratoriums im 20. Jahrhundert anzusehen. Die Unterscheidung von affirmativmissionarischen Ansätzen einerseits und kritisch-diskursiven andererseits ergibt für die Oratorienproduktion des vergangenen Jahrhunderts mehr Sinn als die viel bemühte Dichotomie geistlich – weltlich.238 Nicht der gewählte Stoff dient als distinktives Merkmal, sondern der Umgang mit ihm: die Intention und die Wahl der Perspektive, die das Oratorium in seiner Mittlerstellung zwischen Stoff bzw. Bibel, Mythos und Ideologie auf der einen Seite und dem Rezipienten auf der anderen Seite einnimmt. Dass diese Unterscheidung nur allzu häufig mit der literarischen Qualität des Librettos korreliert, soll hier nur festgestellt werden. Die Gründe zu suchen und zu untersuchen, würde eine ausgiebigere ästhetische Diskussion erfordern, als in dieser Arbeit, die sich ja einer zunächst vorurteilsfreien Bestandsaufnahme verschrieben hat,239 möglich ist. Dass bei vielen affirmativ-missionarischen Oratorien die künstlerische Qualität ins Hintertreffen gerät, mag zur Missachtung des Oratoriums als literarische Gattung seinen Teil beigetragen haben. Dieses im Einzelfall durchaus zutreffende negative Qualitätsurteil deshalb über die ganze Gattung in ihrer modernen Ausprägung zu sprechen, hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn gerade bei den kritisch-diskursiven Oratorienlibretti finden sich Beispiele, wie Ernst Schnabels F LOß Lüchtefelds A UF DEM DER M EDUSA oder Klaus R ANDE DER M AUER , die zeigen, dass das Oratorium nicht nur weltanschauliches, sondern auch literarisches Potenzial bietet. 2.5.2 Das Oratorium als spezielle Form der Bibelrezeption Nahezu jedes Oratorium setzt sich mit der Bibel und christlichem Gedankengut auseinander, gleichgültig, ob es einen kritisch-diskursiv oder einen affirmativ-missionarisch Ansatz verfolgt. Tatsächlich finden sich in nahezu 90 % aller ausgewerteten Libretti Entlehnungen und Übernahmen aus der Bibel und anderen Texten christlicher Tradition; 238 zum Begriff „weltliches Oratorium“ siehe auch Abschnitt 2.3.4, S. 74ff. 239 vgl. oben, Abschnitt 1.1.1, S. 14 95 nur zehn Oratorien weisen keinerlei christliche Bezüge auf.240 Damit stellt das Oratorium eine prominente Form literarischer Bibelrezeption und -verarbeitung dar. In der theologischen Rezeptionsforschung werden gemeinhin vier Haupt- Anzahl % formen der literarischen Bibelrezeption Bibel 58 78 % unterschieden.241 Zum ersten die Para- Literarische Quellen 28 38 % 11 15 % phrasierung als freie, nur sinngemäße davon Lyrik des 20. Jh. Übertragung eines Textes, die Erweite- Choräle und Kirchenlieder 16 22 % rungen und Erläuterungen enthalten Liturgische Texte, Gebete 12 16 % kann. Zum zweiten die Aktualisierung, Religiöse Schriften und Predigten 9 12 % „die Umsetzung der Vorlage in die Rea- Tabelle 6: Textquellen im Oratorienlibretto litätserfahrung der Autoren, die Übertragung des biblischen Zeugnisses in die Sprache und Vorstellungswelt unserer Zeit“242. Sie hat zum Ziel, in konstruktiver sprachlicher Auseinandersetzung den alten Stoff neu zu beleben und seine Relevanz für die heutige Zeit aufzudecken. Zum dritten die Umdeutung, die eine Vorlage nicht einfach adaptiert, sondern mittels Verfremdung und Textentstellungen kritisiert, oft parodiert. Und viertens die Transfiguration, die einer (oft zeitgenössischen) Figur Züge einer biblischen Gestalt verleiht oder sogar eine Gegenfigur entwirft. Was sich keinem dieser vier Verfahren zuordnen lässt, wird unter dem breiten Begriff „freie dichterische Gestaltung zusammengefasst: Viele Autoren deuten das biblische Wort in souveräner Freiheit, so dass die Vorlage oft nichts anderes ist als die Initialzündung, die ihre dichterische Kraft auslöst. Diese Dichter bleiben zwar häufig dem Text der Bibel nahe, aber die Schriftstelle wird dann zum Sprungbrett eigener, die biblische Aussage mehr oder weniger umdeutender Gedanken.243 Nun lässt sich der Umgang mit der Vorlage in den meisten Oratorien weder eindeutig als Paraphrasierung noch als Aktualisierung einstufen: Zu einem wörtlichen oder paraphrasierten (Bibel-) Bericht treten häufig nicht nur Kommentare aus der zeitlichen Perspek- 240 Neben denjenigen, die auf mythologischen und literarischen Vorlagen beruhen (vgl. Abschnitt 2.3.3, insbesondere S. 71ff.), sind dies zwei historisch motivierte Oratorien, nämlich Anton Heiller Francois Villon und Hans Werner Henze/Ernst Schnabel Das Floß der Medusa. 241 Hierzu und zum folgenden vgl. v. a. Birgit Lermen: „‚Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen: Ein Riss; und der Abgrund Mensch klaffte auf‘. Rezeptionsformen der Bibel.“ in Schmidinger 1999, Bd. 1, S. 4888 242 243 Lermen, a. a. O., S. 56 Lermen, a. a. O., S. 80f. Dass an gleicher Stelle die freie dichterische Gestaltung mit künstlerischer Qualität gleichgesetzt wird („Voraussetzung dafür, dass poetische Texte zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Schrift führen, ist sowohl die Ernsthaftigkeit, mit der sich der Autor den Problemen stellt, als auch die künstlerische Qualität, das geistige und ästhetische Niveau.“), ist angesichts der Dehnbarkeit des Begriffs und der verwendeten unscharfen Definitionen allerdings ziemlich fragwürdig. 96 tive des Geschilderten hinzu, sondern auch solche aus heutiger Perspektive, die einen aktuellen Bezug herstellen.244 In anderen Oratorien wechseln sich größere paraphrasierende Abschnitte mit Aktualisierungen oder auch verfremdenden Passagen ab.245 In Rupert Gottlieb Friebergers M YSTERIUM C RUCIS beispielsweise sind Ausschnitte aus den Evangelien (Passionsgeschichte) und alte Hymnen mit Gedichten von Kurt Marti kombiniert. Eine Paraphrase ist dies nicht, denn der Bibeltext ist wörtlich anwesend. Martis Texte lassen sich als Aktualisierung klassifizieren; aber reicht das aus, um das gesamte Libretto, als Texteinheit begriffen, entsprechend einzuordnen? In jedem Fall ergäbe sich ein verzerrtes Gesamtbild. Natürlich gibt es Oratorien, die tatsächlich eine biblische Geschichte vollständig paraphrasieren und nur in einzelnen Formulierungen vorsichtige Aktualisierungen erkennen lassen. Matthias Drude und Dietrich Mendt schildern in Von den Mühen der Heimkehr die Heimkehr des Volkes Israel aus der babylonischen Gefangenschaft, die als Gleichnis für die deutschen Wiedervereinigung dient.246 Dabei hält sich der Text bei der Schilderung des Geschehens ganz an die Bibelvorlage. Nur Formulierungen wie in eine Arie des Mezzosopran lassen den Bezug zu den neuen Ereignissen anklingen: „Vierzig Jahre sind eine lange Zeit, Herr. Vierzig Jahre Fremde schaffen Fremdheit, Herr. Sind wir hier und die dort noch ein Volk, Herr, sind wir dein Volk, Herr?“247 Auch wenn der Chor singt „Das wiedervereinigte Land ist kein einig Volk, noch nicht. Die Grenzen sind offen geworden, aber die Herzen noch nicht.“ 248, wird ein zeitgenössischer Leser bzw. Hörer der 1990er Jahre unweigerlich an die Situation im wiedervereinten Deutschland denken. Eine weitgehende Paraphrase ist auch das NGL-Oratorium David von Siegfried Fietz und Johannes Jourdan. Die Schilderung des Geschehens hält sich eng an die biblische Vorlage. Der Figur des David werden Psalm- und andere Bibelworte in den Mund gelegt, so dass er nahezu vollständig in der Sprache der Bibel spricht. Auch die Chöre der Reflexionsebene, die den Kommentar einer gläubigen Gemeinde darstellen, lassen keine aktualisierenden Züge erkennen, sondern verharren im Unverbindlich-Zeitlosen. Eher als Aktualisierung einzustufen ist Johannes von den gleichen Autoren. Stärker als bei David verwenden die dargestellten Figuren der Bibel ein zeitgenössisches Vokabular. Die Figur des Johannes lässt kaum noch den biblischen Johannes erkennen; er ist 244 Zu diesem Oratorientyp mehr in Abschnitt 3.3.2, S. 120ff. 245 vgl. auch Abschnitt 3.3.4, S. 124ff. 246 vgl. die Werkeinführung von Matthias Drude, in Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 247 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 13 248 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 17 97 vielmehr als Prototyp des gläubig Nachfolgenden gezeichnet. Er schlägt zudem einen eindeutigen Bogen zum heute: „Du lädst mich ein. Ich komme, und habe teil an deinem Tisch. Du wirkst auch heute Wunder...“249 Der Chor hingegen stellt zwar in moderner Sprache Fragen der Gläubigen von heute, jedoch ohne konkrete Hinweise auf Ort und Zeit, so dass er im Prinzip auch in der Zeit der Handlung angesiedelt sein könnte. Bei diesen Beispielen funktioniert die Zuordnung zu einer der vier Adaptionsformen also zumindest einigermaßen. In allen dreien steht jedoch nicht die kritische Auseinandersetzung mit dem gewählten Stoff im Mittelpunkt, sondern die Affirmation der biblischen Botschaft. Matthias Drude und Dietrich Mendt ist in V ON DEN M ÄHEN DER H EIMKEHR zwar an aktuellen Bezügen gelegen; sie jedoch lassen dabei die biblische Geschichte, in der sich „erstaunliche Parallelen zu den Problemen der Gegenwart“250 finden, für sich sprechen. In anderen Oratorien hingegen finden sich – ganz wie in dem eingangs erwähnten Oratorium von Rupert Gottlieb Frieberger – paraphrasierende oder sogar zitierende Abschnitte gleichberechtigt neben eindeutig aktualisierenden. In Jürgen Blumes und Eugen Eckerts H IOB beispielsweise wird die Hiob-Geschichte strikt nacherzählt; die Reflexionsebene des Chores jedoch zieht aus dem biblischen Geschehen Bezüge zum Heute: Wo bist du, Gott, gewesen in jener schlimmen Zeit als – ohne Federlesen – die Juden quälte Leid, als Gotteshäuser brannten, der Mord kein Ende fand und selbst, die ‚Christ‘ sich nannten, erhoben ihre Hand?“251 In Henning Frederichs’ P ASSIONSERZÄHLUNG DER M ARIA M AGDALENA erzählt die Hauptfigur Maria Magdalena die Passionsgeschichte aus ihrer Perspektive nach. Die Erzählzeit der Ebene des Geschehens liegt dadurch in etwa in der Zeit der Bibelgeschichte. Der zweite, nicht näher spezifizierte Erzähler dagegen, der sich von Zeit zu Zeit einschaltet, nimmt eine vermittelnde Stellung zwischen dem geschilderten Geschehen und dem Zuhörer ein und ist insofern eher im Heute anzusiedeln. Auch hier findet sich also eine Vermengung von paraphrasierenden und aktualisierenden Bestandteilen. 249 250 251 Jourdan/Fietz: Johannes, Nr. 23 Ich bin das Brot des Lebens vgl. Dietrich Mendt: „Zum Text“ in Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) Blume/Eckert: Hiob 98 Dann gibt es themenorientierte Oratorien, die nicht auf einer einzelnen Bibelepisode beruhen, so dass der Begriff Paraphrasierung gar nicht greifen kann. Sie entwickeln sich um ein einzelnes Motiv und beleuchten es von verschiedenen Seiten. Ein Beispiel ist Günther Beckers M AGNUM M YSTERIUM , das verschiedene Texte zur Auferstehung zusammenstellt, ohne die Bibelgeschichte selbst zu erzählen; diese wird vielmehr als bekannt vorausgesetzt. Die Textzusammenstellung zielt darauf ab, die Vielschichtigkeit und die Bedeutungstiefe des biblischen Auferstehungsereignisses auszuloten. Die Unterscheidung Paraphrase vs. Aktualisierung ergibt zwar allein auf die Ebene des Geschehens bezogen durchaus Sinn; für das Oratorienlibretto als Ganzes jedoch greift sie in verschiedener Hinsicht zu kurz. Denn in zahlreichen Oratorien wechseln paraphrasierende Abschnitte mit aktualisierenden ab. Der gedankliche Ansatz von Peter Bubmann und Wolfgang Töllner in T HOMAS DER Z WEIFLER darf als durchaus typisch angesehen werden, auch wenn in der Regel die drei Bereiche nicht strikt voneinander getrennt aufeinander folgen, sondern miteinander verwoben sind: Der erste Hauptteil dient der Wiedergabe des Bibeltextes. ... Im Hauptteil II werden Bilder, die im Bibeltext sichtbar sind oder von ihm abgeleitet werden, entfaltet und meditiert. Dabei wird die Brücke zu den gegenwärtigen Erfahrungen zerrissener und negativer Weltwirklichkeit geschlagen. ... Der dritte Hauptteil enthält Zusagen Gottes und darauf bauende Zukunftsträume.252 Hier handelt es sich nicht um eine Aktualisierung, aber auch nicht um eine Umdeutung: Anders als die Umdeutung zielt die Textvermittlung im Oratorium nicht auf Distanzierung vom Geschilderten, sondern auf Intensivierung und Vermittlung einer Botschaft, die über die Einzelbegebenheit hinaus geht. Es bleibt also festzuhalten, dass die übliche Klassifizierung der Bibelrezeption beim Oratorium nur bedingt funktioniert. Charakteristisch ist vielmehr das Nebeneinander und die Verflechtung verschiedener Rezeptionsformen innerhalb eines Werks. 2.5.3 Intertextuelle Verfahren im Oratorienlibretto Wie bereits erwähnt, spielen Bibelzitate und -referenzen im Oratorium eine wichtige Rolle253 – nicht nur für die Produktion, sondern auch bei der Rezeption. Die Gattungsbezeichnung ‚Oratorium‘ ruft nämlich bereits eine Erwartungshaltung hervor, es mit einem christlich-religiös geprägten Werk zu tun zu haben. Dadurch erkennt selbst ein 252 Bubmann/Töllner: Thomas der Zweifler, S. 4 253 vgl. Tabelle 6: Textquellen im Oratorienlibretto, S. 95 99 nur mäßig christlich vorgebildetes Publikum Bibel- und Choraltexte sowie Anspielungen auf die biblische und außerbiblische christliche Überlieferung problemlos. Auch werden bestimmte Schlüsselwörter (wie z. B. „Licht“, „den Weg wiesen“) stärker symbolisch in Anspielung auf christliche Erlösungsgedanken verstanden. Damit ist Intertextualität im Oratorienlibretto nicht nur als intellektueller Chiffre des Autors vorhanden, sondern Teil eines spezifischen Kommunikationsprozesses zwischen Autor und Rezipient, bei der nicht nur Autor und Leser sich der Intertextualität eines Textes bewusst sind, sondern bei dem jeder der beiden Partner des Kommunikationsvorgangs darüber hinaus auch das Intertextualitätsbewusstsein seines Partners miteinkalkuliert.254 Dies kann von einigen wenigen Anspielungen, die den allgemeinen kulturellen Hintergrund markieren, bis hin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Bibeltext reichen. Die Bibel bildet damit für Oratorien des 20. Jahrhunderts einen stets präsenten Subtext, präsent allerdings in unterschiedlicher Intensität. In jedem Fall ergibt das intertextuelle Verweisspiel einen semantischen Mehrwert: es fügt dem Sinngeflecht der Handlungs- und Kommentarebenen weitere Bedeutungsebenen hinzu, die sich durch den ursprünglichen Kontext der Zitate ergeben. Tatsächlich finden sich in nahezu allen ausgewerteten Libretti wörtliche Textübernahmen aus der Bibel und anderen traditionellen christlichen Texten wie Liturgie und Kirchenlied. Der Nachweis war nur bei zwei Oratorien schwierig: einerseits Alfred Koerppens P ROMETHEUS und andererseits Georg Katzers und Christa Wolfs M EDEA IN K ORINTH . Die Verwendung intertextueller Verfahren quantitativ zu fassen, ist an dieser Stelle allerdings nicht möglich. Dazu müsste jeder einzelne Text eingehend untersucht und auf mögliche Prätexte überprüft werden – ein selbst bei einer relativ überschaubaren Zahl von 74 Libretti nahezu aussichtsloses Unterfangen. Eine kurze Zusammenschau zeigt jedoch bereits, wie unterschiedlich die Menge und die Gestaltung der verwendeten Prätexte ausfällt. Einige Oratorien enthalten zwar zahlreiche Anspielungen auf die Bibel, echte Zitate beschränken sich jedoch auf kleine, Allgemeingut gewordene Formulierungen. Zu diesen Libretti zählen vor allem diejenigen, die die Bibelgeschichte in heutige Sprache übertragen, vor allem die Rock-, Pop- und NGL-Oratorien wie Peter Bubmanns T HOMAS DER Z WEIFLER oder Markus Wolfs L EBEN UND L EIDEN J ESU . In Horst Ebenhöhs Oratorium V ON DER H OFFNUNG , das nicht auf einer biblischen Geschichte beruht, findet sich nur ein einziges 254 So die Definition von Intertextualität im pragmatischen Sinne, in Abgrenzung zur poststrukturalistischen Auffassung. Siehe Ulrich Broich: „Formen der Markierung von Intertextualität“, in Broich/Pfister 1985, S. 31 100 Bibelzitat, in einer Nummer, die gebetsartigen Charakter hat: „Herr, lass mich glauben, das Du uns liebst“, singt der Mezzosopran, und verwendet dann die Formulierung des Vaterunser: „Dein Wille geschehe“. Hier dienen die Zitate überwiegend dem stilistischen Kolorit, um dem Text eine größere Authentizität oder ethisch-moralische Tiefe zu verleihen. Aus einem ähnlichen Grund sind auch in Bibelparaphrasen wie den H IOB Oratorien von Jürgen Blume und Eugen Eckert sowie von Henning Frederichs der zugrunde liegende Bibeltext nicht nur in der vertonten Paraphrase gegenwärtig, sondern auch in zahlreichen wörtlich übernommenen Formulierungen. Einen Extremfall eigener Art stellen die Oratorien Johannes Driesslers dar (D EIN R EICH KOMME , D E P ROFUNDIS , D ER L EBENDIGE ). In der Manier der Mendelssohnschen Oratorien sind hier alle Formulierungen der Bibel entnommen, jedoch ihrem ursprünglichen Zusammenhang entrissen und vollkommen neu zusammengestellt.255 Ziel ist vor allem, einen hohen Stil, der dem Sprachduktus der Bibel möglichst ähnlich ist, zu erreichen. Ein Mehrwert an Sinn durch den „mitgelesenen“ Prätext wird nicht angestrebt. Weit verbreitet ist das Verfahren, einen fortlaufenden Bibeltext oder auch einen selbst formulierten Text durch Einschübe aus anderen Quellen – häufig moderne Lyrik, andere Bibelstellen, oder auch eigene Dichtungen – zu ergänzen. Die Länge der Zitate kann von kurzen Satzfragmenten bis zu vollständigen Absätzen oder Gedichten reichen. Der Fall, dass die Gewichtung eher umgekehrt ist, also Texte aus verschiedenen Primärquellen durch eigene Worte nur verbunden werden, ist hingegen sehr selten und scheint eine Spezialität Joseph Haas’ zu sein. Seine beiden volkstümlichen Oratorien D AS J AHR IM L IED und das schon 1932 entstandene C HRISTNACHT sind die einzigen mir bekannten, die so verfahren. Des weiteren sind die Libretti zu nennen, die ausschließlich aus Zitaten verschiedenster Textquellen zusammengestellt sind, ohne dass sich eine bevorzugte oder besonders wichtige Quelle ausmachen ließe. Diese Oratorien haben in der Regel keine Handlung, sondern ein Thema, zu dem sie verschiedene Prätexte zu Wort kommen lassen, teilweise stellvertretend für die eigene Auffassung, teilweise diese kontrastierend. Die zitierten Passagen sind häufig relativ lang; nicht selten wird der Prätext vollständig übernommen – vor allem wenn es sich, wie in den meisten Fällen, um Lyrik handelt. Nur fünf Oratorien sind wortwörtliche Übernahmen eines einzigen, schon vorhandenen literarischen oder biblischen Textes, der durch keinerlei weitere Zitate ergänzt wird.256 255 256 vgl. auch Fußnote 295, S. 122 nämlich Haller Hiob, Stockmeier Jefta und seine Tochter, Schedl Der Großinquisitor, Ebenhöh Virata, Uhl Gilgamesch 101 Diese könnte man also als „zitatfrei“ im intertextuellen Sinne werten. Die intertextuellen Beziehungen dieser Libretti entsprechen denen des Ursprungstextes und sind an dieser Stelle nicht weiter von Belang. Die Verwendung von Zitaten hat verschiedene Funktionen. Zum einen dienen Zitate – vor allem Bibelzitate – dazu, einen hohen, der Bedeutung des gewählten Themas bzw. Sujets angemessenen Stil zu erzielen. Zum zweiten werden die Bibel bzw. die Autoren der Prätexte als Zeugen aufgerufen, die einen wichtigen Beitrag zum Thema zu leisten haben. Damit soll dem Text insgesamt eine größere Autorität und größeres moralisches Gewicht verliehen werden. Zum dritten dient die Gegenüberstellung verschiedener Prätexte der Kontrastierung und assoziativen Ausarbeitung bestimmter Aspekte, die sonst im Hintergrund bleiben müssten. Oder umgekehrt, die Bibelstellen werden zum Ausgangspunkt eigener Reflexionen über den christlichen Glauben (so zum Beispiel A UF DEM R AND DER M AUER von Heinz Martin Lonquich und Klaus Lüchtefeld). Neben diesen textinternen, poetischen Funktionen ist auch die kulturelle Funktion257 von Intertextualität im Oratorium nicht zu vernachlässigen: Der Bezug auf einen biblischen Prätext trägt dazu bei, ihn im kulturellen Gedächtnis der Gegenwart präsent zu halten. Dabei spielt sicherlich auch die Hoffnung eine Rolle, dass über das Vehikel der musikalischen Gattung auch Menschen angesprochen werden können, die sich der Kirche entfremdet haben und nur noch eine blasse Vorstellung von den religiösen Grundlagen der christlich-abendländischen Kultur haben. 257 zu den Funktionen von Intertextualität vgl. Stocker 1998, S. 76ff. 102 3 STRUKTUREN DES ORATORIENLIBRETTOS 103 3.1 3.1.1 Z EITBEHANDLUNG IM O RATORIUM Textlänge und Aufführungsdauer Als plurimediale Gattung, in der sich Text und Musik verbinden, weist das Oratorium ähnlich wie die Oper eine spezielle Zeitstruktur auf, die sich von der anderer literarischer Formen unterscheidet. Dabei kommen zwei einander entgegengesetzte Prinzipien zum Tragen, nämlich Zeitdehnung und Zeitraffung. Das Prinzip der Zeitdehnung ist eine Folge der Vertonung: Singen braucht in der Regel mehr Zeit als Sprechen, wenn auch in Arien und musikalisch geschlossenen Formen mehr als in Vertonungsweisen, die eine große Textverständlichkeit und natürlichen Sprachrhythmus anstreben (beispielsweise Rezitative). Zu weiteren Dehnungen führen Textwiederholungen im Kleinen (Wiederholung von Phrasen) wie im Großen (Da-CapoStruktur von Arien). Die Dehnung der erzählten Zeit ist kein originäres Merkmal des Librettos, sondern erst des vertonten Werkes, und insofern an dieser Stelle von geringem Interesse – auch wenn diesem Merkmal in der literaturwissenschaftlichen Forschung zum Opernlibretto viel Aufmerksamkeit zukommt.258 Genauere Betrachtung verdient jedoch die Frage, wie sich bereits die zu erwartende Zeitdehnung auf die Zeitstruktur des Librettos auswirkt. Hier ist zunächst ein ganz augenfälliges Merkmal des Oratorienlibrettos festzuhalten: es ist kurz. Für das Opernlibretto setzt Albert Gier - in Anlehnung an Ferruccio Busonis Äußerung, vertonter Text brauche etwa dreimal so viel Zeit wie nicht vertonter – als Faustmaß für den Umfang etwa ein Drittel der Länge eines Schauspieltextes an; für das Opernlibretto des 18. und 19. Jahrhunderts sind das etwa 1.000 Verse.259 Das Oratorienlibretto ist sogar noch kürzer; allerdings ist auch die Aufführungsdauer eines Oratoriums in der Regel deutlich kürzer als die einer Oper. Während für eine Oper eine Dauer von zwei bis drei Stunden als normal angesehen werden kann, liegt das Oratorium eher bei ein bis anderthalb Stunden; der Durchschnitt beträgt etwa 70 Minuten.260 Allerdings kann die Aufführungsdauer im Einzelnen sehr unterschiedlich ausfallen: Die Extreme reichen von einer knappen Viertelstunde (Fritz Büchtger: D IE H IMMELFAHRT C HRISTI , Rudolf Kelterborn: D IES 258 vgl. z. B. Gier 2000 259 vgl. Gier 2000, S. 20 260 UNUS , René Clemencic: R EISE NACH N INIVEH , Rainer Kunad: D IE K ITSCH - Von 135 der 165 berücksichtigten Oratorien lagen Informationen zur Aufführungsdauer vor, basierend auf Angaben von Verlagen, Komponisten und der Repertoire-Datenbank der GEMA (www.gema.de/repertoiresuche) 104 POSTILLE ) bis hin zu zweieinhalb Stunden (Oskar Gottlieb Blarr: J ESUS -G EBURT , Berthold Hummel/Paul-Werner Scheele: D ER S CHREIN DER M ÄRTYRER , Stefan Heucke: D IE O RDNUNG DER E RDE u. a.). Ebenso stark schwankt die Textlänge der Oratorienlibretti; sie liegt zwischen 8.000 und 32.000 Zeichen.261 Der Großteil der Libretti hat einen Umfang von etwa 15.000 bis über 20.000 Zeichen. Wenn man von einer durchschnittlichen Verslänge von 30 bis 50 Zeichen ausgeht, bedeutet dies, dass die Länge eines Oratorienlibretto im Durchschnitt nur etwa ein bis zwei Drittel der Länge eines Opernlibrettos beträgt. Selbst das umfangreichste Libretto, Alfred Koerppens F EUER DES P ROMETHEUS , erreicht die von Gier genannte Länge nur gerade eben. Eine direkte Korrelation zwischen der Länge des Librettos und der Aufführungsdauer lässt sich jedoch nicht feststellen. Allein schon der Textumfang der beiden Oratorien mit der längsten Aufführungsdauer, von denen die Libretti zur Auswertung vorlagen, differiert erheblich. D AS F EUER DES P ROMETHEUS von Alfred Koerppen ist mit über 33.000 Zeichen bei einer Dauer von 140 Minuten in beiden Kriterien führend. D ER S CHREIN DER M ÄRTYRER vom Bertold Hummel und Paul-Werner Scheele hat eine um fünf Minuten längere Aufführungsdauer, jedoch mit 20.000 Zeichen einen nur knapp überdurchschnittlich langen Text. Umgekehrt haben die beiden anderen Oratorien mit einer extremen Textlänge von über 30.000 Zeichen eine nur durchschnittliche Aufführungsdauer: D IE S PUR VON MORGEN von Gregor Linßen dauert 90 Minuten, D AS F LOß DER M EDUSA von Hans Werner Henze und Erich Schnabel sogar nur 75 Minuten. Dies bestätigt erneut, dass die Aufführungsdauer in hohem Maße von der musikalischen Ausgestaltung des Textes durch den Komponisten abhängt. 3.1.2 Zeit- und Handlungsstruktur Der Zeitdehnung durch die Vertonung wirkt in der Oper die „diskontinuierliche Zeitstruktur“ 262 entgegen. Die Verkürzung der Handlung zu in sprunghafter Folge aneinandergereihten „statische[n] Einzelbilder[n]“ 263 ist bereits im Text angelegt. Allerdings ist 261 Eine Angabe in Versen, wie Albert Gier sie vornimmt, ist angesichts der oft hohen epischen Anteile des Oratorientextes nicht sinnvoll. Zwar ist der Umfang des Librettos durchaus abhängig von der Detailliertheit der Erfassung, beispielsweise wie Textwiederholungen oder –überschneidungen angezeigt werden. Für die hier getroffenen Aussagen bietet der so ermittelte Umfang jedoch eine ausreichende Basis. 262 Gier 2000, S. 20 263 Gier 2000, S. 22 105 sie weniger der Notwendigkeit zur Vertonbarkeit geschuldet als dem „Primat des Wahrnehmbaren“264. Durch die eingeschränkte Textverständlichkeit entfällt nicht nur die „für das Drama charakteristische Spannung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Ereignisebene“265, sondern auch literarische Techniken wie eine analytische Exposition der Vorgeschichte, erzählerische Überleitungen oder ausführliche Argumentationen: ... was nicht zur sichtbaren Bühnenhandlung gehört, kommt in der Oper anders als im Drama in der Regel nicht oder nur sehr bedingt über die Rampe. Das betrifft erstens die Vorgeschichte, zweitens die verdeckte Handlung ... und drittens das Geschehen hinter der Bühne, das durch Augenzeugen auf der Bühne geschildert wird (die Technik der Teichoskopie).266 So kommt das „besonderes Verhältnis von Statik und Dynamik“267 in der Oper zustande, indem sich die einzelnen Szenen, deren Erzählzeit gegenüber der erzählten Zeit stark gedehnt ist, schlagartig abwechseln. Die Situation stellt sich im Oratorium durchaus anders dar. Im Gegensatz zur Oper enthält das Oratorium epische Abschnitte nicht nur in Ausnahmefällen; vielmehr wurde ein epischer Textanteil in allen Epochen als gattungstypisch angesehen. Die epischen Textabschnitte bilden das Gerüst für den Fortgang der Handlung oder den thematischen Rahmen. Sie werden in der Regel rezitativisch oder homophon vertont, wodurch eine große Textverständlichkeit erreicht wird. Häufig ist sogar ein Sprecher vorgesehen, der die nicht auskomponierte Handlung erzählt. Die Autoren des Oratoriums können also davon ausgehen, dass das Erzählte auch tatsächlich beim Zuhörer ankommt, auch wenn es nur vorgetragen und nicht szenisch vorgeführt wird. Auf diese Weise lassen sich Zusammenhänge und Handlungsabschnitte in zusammenfassender Form darstellen, Handlungssprünge erzählerisch überbrücken bzw. vermeiden. Die sprunghafte Zeitstruktur der Oper wird dadurch im Oratorium aufgehoben. So gibt es zahlreiche Oratorien, die eine in der Bibel geschilderte Begebenheit vollständig, ohne Einschübe, aber auch ohne Kürzungen berichten: Wolfgang Stockmeier vertont in den H ISTORIEN vier längere Bibelerzählungen, davon drei mit dem vollständigen originalen Bibeltext (K AIN 264 UND A BEL nach 1. Mose 4, D IE S ÖHNE nach dem Gleichnis vom verlorenen Gier 2000, S. 33. Harald Fricke spricht in diesem Zusammenhang auch von „sinnfälliger Verdeutlichung“ (Fricke 1985, S. 96), Borchmeyer von „augen- und ohrenfällige[r] Unmittelbarkeit“ (Artikel „Libretto“, in MGG(neu), Sp. 1121) 265 Borchmeyer: Artikel „Libretto“, in MGG(neu), Sp. 1121 266 Borchmeyer: Artikel „Libretto“, in MGG(neu), Sp. 1121 267 Gier 2000, S. 20 106 Sohn aus Lukas 15, J ONA nach dem Buch Jona), und eine, J EFTA UND SEINE T OCHTER , im Wortlaut der literarischen Bibeladaption von Lion Feuchtwanger. Auch das W EIHNACHTSORATORIUM von Matthias Drude und Hartwig Drude weist keine Handlungslücken auf: es enthält die vollständige Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2,120, einschließlich Herbergssuche, Geburt und der Begegnung der Hirten auf dem Feld mit den Engeln, dazu die Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland aus Matthäus 2,1-12. Die im biblischen Wortlaut vorgetragene Geschichte wird zwar, typisch für das Oratorium, durch Arien und Choräle unterbrochen, aber stets zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen, ohne dass eine Handlungslücke entsteht. Die Weihnachtsgeschichte beginnt nach einer längeren Einleitung mit den bekannten Worten des Lukasevangeliums, vorgetragen von einem Sprecher: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, ...“268 Dieser erste Evangeliumsabschnitt endet nach den Worten „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ An dieser Stelle wird die Handlung für längere Zeit angehalten; das Oratorium und mit ihm die Zuhörer verharren in der Betrachtung der Krippenszene. Diese beginnt mit einem Wiegenlied Marias, in dem das Kindlich-Menschliche gegenüber dem Göttlichen in der Person Jesu herausgestellt wird. Darauf folgt ein Choral auf die Melodie von „Es ist ein Ros entsprungen“, der dem Heilsversprechen der Weihnachtsgeschichte Ausdruck verleiht, dann ein „Monodram“ (Sprecher-Solo), das das Weihnachtsgeschehen aus heutiger Sicht interpretiert; schließlich ein Solo für Sopran mit Streichquartett, das einen direkten Appell an den heutigen Menschen enthält. Damit ist der erste Teil des Oratoriums, überschrieben „Die Geburt“, zu Ende. Teil 2, „Die Hirten“, wird von einer instrumentalen Sinfonia eingeleitet. Erst jetzt, nachdem fünf Nummern lang die Zeit angehalten wurde, fährt die Handlung der Weihnachtsgeschichte fort. Dabei nimmt der Sprecher den Erzählfaden genau dort wieder auf, wo er zuvor geendet hatte: bei Lukas 2, 8. In dieser Weise verfährt das ganze Oratorium. Dabei zeigt sich, dass zwar ständig Zeitsprünge vorkommen – von der Zeit der biblischen Erzählung ins Heute und zurück –, jede Zeitschicht in sich aber weitgehend kontinuierlich abläuft. Das Oratorium spielt sich also auf mehreren in sich geschlossenen Zeitebenen gleichzeitig ab. Anders als in der Oper ist der Zeitverlauf ist nicht linear, sondern springt zwischen den Zeitebenen hin und her. 268 Drude/Drude: Weihnachtsoratorium, Nr. 7, vgl. Lukas 2, 1-7 107 Ein derartiger Wechsel zwischen verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven findet sich schon in den Oratorien früherer Jahrhunderte. So stellt Emil Platen für die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, die auch für unsere Zeit aufgrund ihrer starken Präsenz und ihres Vorbildcharakters durchaus als paradigmatisch gelten darf, fest: Setzt man die einzelnen Textformen des Gesamtlibrettos in Beziehung zum Passionsgeschehen, so scheinen sie verschiedenen Zeitebenen anzugehören. Das aktualisierende Element des Bibeltextes, die direkte Rede, bildet durch die Verteilung auf verschiedene Darsteller ... die dramatische Textschicht. ... Auf dieser Ebene wird das seinerzeit ‚Geschehene‘ zum ‚Geschehen‘, hier vollzieht sich die aktuelle Handlung, in die sich der Hörer, wie bei einem Drama, miterlebend hineinversetzt. Dieser fiktiven Gegenwart, die Historisches erzählend aktualisiert, steht die reale Gegenwart des Betrachtenden gegenüber. Sie erscheint im Textgefüge in den Gedichtformen und Liedstrophen, in denen das vergegenwärtigte Geschehen der Passion aus unmittelbarer Einfühlung heraus erwogen, bedacht und in der Sprache des Dichters und seiner Zeit ausgelegt wird.269 Bei der Untersuchung der Oratorienlibretti des 20. Jahrhunderts zeigt sich, dass nahezu alle Oratorien, in denen sich eine Handlung findet, eine solche „mehrlagige“ Zeitstruktur aufweisen.270 Die Handlung wird dabei fortlaufend erzählt, aber von anderen, zeitlich in sich abgeschlossenen Erzählebenen durchkreuzt. Dazu tritt in zahlreichen Oratorien eine Exposition des Themas, die ein rezitativischer Erzähler oder Sprecher vornimmt. Diese Exposition kann sehr kurz und in die Handlungserzählung eingebettet sein, wie etwa in H IOB von Jürgen Blume und Eugen Eckert, das mit den Worten „Es war ein Mensch im Lande Uz“ beginnt und dann die biblische Hiob-Geschichte nacherzählt. Sie kann aber auch eine umfassendere thematische Einführung beinhalten, Ausführungen zur künstlerischen oder theologischen Konzeption des Oratoriums, und damit eine eigene Perspektive einnehmen, die außerhalb der eigentlichen Handlung steht. Ein Beispiel für eine solche Expositionstechnik ist das Passionsoratorium F ÜR HABE ICH GEKÄMPFT , GELITTEN DEINE E HRE von Matthias Drude und Hartwig Drude, das mit den Worten eines Sprechers beginnt: Dieser Passionsmusik liegen Berichte und Gebete der Bibel zugrunde. Sie folgt aber den Darstellungen der Evangelisten nicht vorbehaltlos. Die ersten Erzähler berichten ja nicht nur, was geschah. Sie wollen auch erklären. Im Blick auf den Tod Jesu wollen sie die römische Macht entlasten. So stellen sie Pontius Pilatus 269 Platen 1991, S. 45 270 siehe dazu weiter unten Kapitel 3.2, S. 110ff. 108 als bloß ausführendes Organ hin, als Zweifler oder gar als feinsinnigen Philosophen. Er war alles andere als das. Dennoch lassen christliche Erzähler „die Juden“ oder gar „das ganze jüdische Volk“ als eigentlich treibende Kraft erscheinen, Jesus umzubringen gegen alle Wahrheit und Wahrscheinlichkeit.271 Auch in Hans Werner Henzes und Ernst Schnabels F LOß DER M EDUSA tritt zu Beginn als auktorialer Erzähler, Charon272, vor und erläutert Thema und Quellen des Folgenden: Sie erfahren jetzt einen Bericht von der Fregatte „Medusa“, die Schiffbruch litt auf einer Reise nach Afrika, und hören die wahre Beschreibung der Schicksale, die den Gescheiterten widerfahren sind. Unsere Erzählung folgt den Mitteilungen, welche die Herren Alexandre Corréard, Wundarzt im Seedienst, und der Landvermesser Henri Savigny, beide Teilnehmer der Expedition und Zeugen ihres Endes, an die Öffentlichkeit gegeben haben, und der Vorstellung von diesen Ereignissen, die Théodore Géricault festhielt in einem Gemälde „Le Radeau de la Méduse“.273 Danach stellt Charon die wichtigsten Personen vor, den Augenzeugen Jean-Charles und Madame La Mort, und erläutert seine eigene Funktion als Fährmann zwischen dem „Chor der Lebenden“ und dem „Chor der Toten“. Damit hat er nicht nur in die Handlung eingeführt, sondern auch die verschiedenen Perspektiven und Handlungsebenen, die dem Zuschauer/Zuhörer im Lauf des Stücks begegnen, identifiziert und vorgestellt. Natürlich gibt es auch im 20. Jahrhundert Oratorien, die überwiegend dramatisch, nahezu opernhaft gestaltet sind – dazu gehören beispielsweise die Oratorien Johannes Driesslers. Diese Oratorien weisen stärker als Oratorien mit hohen epischen Anteilen eine Dramaturgie auf, die der Oper ähnelt: sie bestehen aus abgeschlossenen Einzelepisoden, die ohne Überleitung, sprunghaft, aufeinander folgen. Doch auch in diesen Oratorien finden sich Abschnitte außerhalb der Zeitebene des Geschehens, wie beispielsweise Eingangs- und Schlusschöre. In der Oper gar nicht denkbar ist ein Gestaltungstypus, der durch den völligen Verzicht auf sichtbare Handlung überhaupt erst möglich wird: das themenorientierte Oratorium, in dem die Handlung auf ihren thematischen Kern reduziert oder gar nicht mehr vorhanden ist. In der Oper würden Themenoppositionen in Handlungskonflikte umgesetzt; im Oratorium kann tatsächlich das Gute gegen das Böse antreten anstatt stellvertretend Held gegen Bösewicht. Ein Beispiel hierfür ist Joseph Haas’ D IE S ELIGEN , das anhand der 271 Drude/Drude: Für deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten. Stationen der Passion Jesu. Nr. 1b 272 zur Rolle des Charon vgl. auch Abschnitt 3.2.2, S. 111ff. 273 Henze/Schnabel: Das Floß der Medusa., Prolog des Charon 109 Kernaussagen der Bergpredigt zweifelnde und gläubige Stimmen einander gegenüberstellt.274 Ohne Handlung kommt auch das Adventsoratorium O V IRGA AC D IADEMA von Ingmars Zemzaris aus, das Bibeltexte, Choräle, Volkslieder, Hymnen von Hildegard von Bingen und Gedichte aus verschiedenen Epochen (vor allem aus der Romantik sowie moderne Neufassungen) kombiniert, die sich mit der Ankunft Christi in der Welt und der Rolle der Gottesmutter befassen. Ebenso wie in den handlungsorientierten Oratorien finden sich in themenorientierten Oratorien mehrere synchrone Zeitebenen und gleichberechtigte Perspektiven. Die Zäsuren im Ablauf des Textes sind demnach nicht als Kontinuitätssprünge anzusehen, sondern als Wechsel zwischen den verschiedenen Ebenen. Durch das Fehlen des durch die Handlung erzeugten diachronen Zusammenhangs bestimmen mehr noch als im Opernlibretto paradigmatische Sinnbezüge275 die Struktur des Textes. In allen Fällen unterscheidet sich die Zeitstruktur von der der Oper, in der sich die Handlung vollständig vor den Augen des Zuschauers abspielt, also einer einzigen, gegenwärtigen Zeitebene zuzuordnen ist. In dieser spezifischen Zeitstruktur, in der mehrere Ebenen parallel nebeneinander herlaufen und sich durchkreuzen, liegt der Schlüssel zur Beschreibung des Oratoriums als eigenständige Gattung. 274 275 siehe dazu auch weiter unten, Abschnitt 3.3.5, S. 127f thematische Bezüge, Begriffsähnlichkeiten und -oppositionen, zentrale Grundkonflikte etc. Vgl. Gier 2000, S. 22f. 110 3.2 3.2.1 D IE E BENENSTRUKTUR DES O RATORIENLIBRETTOS Vielschichtigkeit als Gattungsmerkmal In allen musikwissenschaftlichen Definitionen des Oratoriums spielt eine Eigenschaft eine wichtige Rolle, die gemeinhin „Dialogizität“ genannt wird. Dabei handelt es sich – im Sinne der vor allem im 18. Jahrhundert als gattungsverbindlich angesehenen „dramatischen Grundhaltung“ 276 – um die Aufteilung des Textes auf „mehrere Personen oder Personengruppen“277. In diesem Sinne muss ein musikoliterarisches Werk bereits als dialogisch gelten, wenn es Passagen für verschiedene Besetzungen, beispielsweise Chor, Soli oder Ensembles unterschiedlicher Zusammensetzung aufweist. Dieses Verständnis von Dialogizität beruht allein auf dem Eindruck der Vertonung; aus librettologischer Sicht ist es unzureichend. Besetzungswechsel müssen keinesfalls mit einem Wechsel zwischen verschiedenen Personen oder Perspektiven zusammenfallen: In Rudolf Kelterborns D IE F LUT (1964) oder auch Wolfgang Wagners H IOB (1989) enthalten lange, zusammenhängende Reden Gottes mehrere Besetzungswechsel, um musikalische Monotonie zu vermeiden. Andererseits werden Besetzungswechsel durchaus dazu eingesetzt, einen Perspektivenwechsel deutlich zu machen. Somit ist der oberflächliche Eindruck – Aufteilung des Textes auf verschiedene Besetzungen – zwar für sich nicht aussagekräftig, aber häufig Ausdruck der speziellen Zeit- und Ebenenstruktur des Oratoriums, wie sie im vorherigen Abschnitt skizziert wurde. Dialogizität im Oratorienlibretto hängt vielmehr eng mit der im vorherigen Abschnitt erläuterten spezifische Zeitstruktur zusammen. Folglich ist sie primär eine Eigenschaft des Textes, die eine – unterschiedlich stark ausgeprägte – Entsprechung in der musikalischen Gestaltung findet. Dialogizität bedeutet demnach, dass mehrere parallele, in sich abgeschlossene Ebenen, die sich in ihrer Erzählhaltung, in ihrer zeitlichen Positionierung und in ihrer Perspektive unterscheiden, parallel ablaufen und sich gegebenenfalls durchkreuzen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird sich zeigen, dass Dialogizität in diesem Sinne tatsächlich in nahezu allen Oratorienlibretti des betrachteten Zeitraums vorhanden ist und somit als gattungsrelevant angesehen werden kann. 276 Ulrich Leisinger, Martin Geck: „Das deutsche Oratorium“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 761 277 vgl. Artikel „Oratorium“ in Dahlhaus/Eggebrecht 1989, S. 239, ähnlich Günther Massenkeil: „Zur Terminologie und Vorgeschichte“, in Artikel „Oratorium“, MGG(neu), Bd. 7 (1997), Sp. 741 und in Massenkeil 1998, S. 5 111 Im Folgenden sollen zum einen die gemeinsame Grundstruktur der Oratorienlibretti herausgearbeitet werden, zum anderen Differenzierungsmerkmale zwischen den verschiedenen Ausprägungen, die sich letzten Endes als unterschiedliche Gestaltungstypen von handlungs- und themenorientierten Oratorien interpretieren lassen. 3.2.2 Die Ebene des Geschehens In handlungsorientierten Oratorien enthält die EBENE DES GESCHEHENS die Fabel des Textes. Sie bildet das Stoff- und Handlungsgerüst. Wenn die Handlung nicht vollständig dramatisch umgesetzt ist – was nur bei den wenigen szenischen Oratorien der Fall ist –, ist ein wesentlicher Bestandteil der Ebene des Geschehens der ERZÄHLERBERICHT. Im Erzählerbericht wird ein Geschehen von einer aus der Handlung heraustretenden, zu ihr in zeitlicher oder emotionaler Distanz stehenden Erzählerfigur vorgetragen. Diese wird in der Regel durch einen Solisten (Sänger oder Sprecher) realisiert, der häufig eindeutig im Text explizit als Erzähler oder Evangelist bezeichnet ist. So tritt in Marcel Rubins L ICHT ÜBER D AMASKUS ein „Evangelist“ auf, der die Geschichte der Bekehrung des Saulus zum Paulus278 erzählt. Jürgen Blume und Eugen Eckert H IOB setzen einen als „Erzähler“ betitelten Solisten ein, der die Hiobsgeschichte in freier Nacherzählung vorträgt. In Frederik Schwenks D IES S EPTIMUS stellt der „Historicus“ die Erzählerfigur dar. In anderen Oratorien ist ein nicht näher gekennzeichneter Sprecher der Erzähler: in N OAHS T OCHTER von János Tamás und Claudia Storz, G ILGAMESCH von Alfred Uhl und Andreas Liess, V ON Mendt, D AS L ICHT DER DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR von Matthias Drude und Dietrich E NGEL von Otfried Büsing und andere mehr. In Marcel Rubins A UFERSTEHUNG sowie Matthias Drudes und Dietrich Mendts W EIHNACHTSORATORIUM sind die Passagen des Solisten bzw. Sprechers zusätzlich mit „Evangelium“ gekennzeichnet und lassen sich dadurch eindeutig als Erzählerbericht identifizieren. Bisweilen wird der Erzählerbericht in der Vertonung nicht einem einzigen Erzähler, sondern wechselnden Solisten zugeordnet, z. B. in Wolfgang Stockmeiers J ESUS , Henning Frederichs’ H IOB und Helmut Eders und Herbert Voggs N ON SUM QUALIS ERAM . Der Erzähler- bericht kann auch von einem Chor oder Kammerchor vorgetragen werden: in Ernst Kreneks O PUS SINE NOMINE beispielsweise tritt ein „Erzählerchor“ auf. In solchen Fällen ist die Ebene des Geschehens anhand der neutralen Erzählhaltung, der auktorialen Perspektive und der fortlaufenden Handlung zu erkennen. 278 Apostelgeschichte 6-9 112 Ebenso wie der Erzähler ein unbeteiligter Dritter, ein außerhalb der Handlung stehender Berichterstatter sein kann, wie in den genannten Beispielen, kann er auch ein Augenzeuge sein. Dieser ist nicht auktorial gestaltet, nimmt aber eine zeitliche und emotionale Distanz zum Geschehen ein. Beispiele hierfür sind Prometheus in dem gleichnamigen Oratorium von Alfred Koerppen sowie Maria Magdalena in Henning Frederichs’ P ASSIONS ERZÄHLUNG DER M ARIA M AGDALENA . Beide erzählen im Rückblick ihre Geschichte, wobei sie sich direkt an den Zuhörer richten. Sie nehmen eine vermittelnde Stellung zwischen dem Zuhörer/Leser und der Handlung ein; die Erzählzeit lässt sich nicht eindeutig zwischen dem „heute“ des Verfassens bzw. Zuhörens/Lesens und dem „damals“ des Berichteten lokalisieren. In dramatisch angelegten Oratorien setzt sich die Ebene des Geschehens zu großen Teilen aus den Handlungen und Äußerungen der beteiligten Personen zusammen. Solche überwiegend dramatischen Oratorien, die in früheren Zeiten weit verbreitet waren279, sind im 20. Jahrhundert selten. Zu nennen sind hier nur die wenigen szenischen Oratorien280 sowie die Oratorien Johannes Driesslers. Häufiger als die rein dramatische Gestaltung der Ebene des Geschehens ist eine Mischform, in der der Erzählerbericht durch szenisch-dramatische Passagen ergänzt wird: Einzelne Szenen werden aus dem Bericht herausgelöst und dramatisch gestaltet, indem die beteiligten Personen selbst zu Wort kommen. Häufig gilt in der musikwissenschaftlichen Literatur dies bereits als ‚Dialogizität‘. In der Regel handelt es sich nur um einen Besetzungswechsel (wenn z. B. wörtliche Rede Jesu von einem Solisten übernommen wird), wohingegen der zugrunde liegende Textabschnitt vollständig der Ebene des Geschehens zuzuordnen wäre. In Oratorien, in denen die Reden und Ansichten der handelnden Personen viel Raum einnehmen, ist die Frage, ob es sich noch um einen Teil des Geschehens oder um Kommentare dazu handelt, nicht immer eindeutig und nur im Rahmen einer Interpretation zu beantworten. Beispielsweise nimmt in D AS F LOß DER M EDUSA von Hans Werner Henze und Ernst Schnabel der persönliche Bericht des Mulatten Jean-Charles breiten Raum ein. Gleichzeitig tritt in der Figur des Charon ein auktorialer Erzähler auf. Während Charon über Vergangenheit und Zukunft blickt, von menschlichen Regungen unberührt, befindet sich Jean-Charles unmittelbar im Geschehen, das er schildert. Zwar ist er ein Außenseiter, weniger durch seine symbolisch zu verstehende Hautfarbe als vielmehr 279 man denke beispielsweise an die alttestamentlichen Oratorien Georg Friedrich Händels und die Werke seiner Zeitgenossen 280 nämlich Horst Ebenhöhs Virata, Henning Frederichs’ Petrus, Alfred Uhls Gilgamesch sowie Heinz Wunderlichs Maranatha. Vgl. auch Abschnitt 2.2.3, S. 57f 113 durch seine selbst in Todesgefahr nicht zu zerstörende Mitmenschlichkeit. Er kann dadurch einiges reflektieren, wirklich lösen kann er sich jedoch aus der Situation nicht. Insofern nehmen Jean-Charles’ Schilderungen eine Zwischenstellung zwischen Erzählerbericht und Kommentar ein. Selbstverständlich kann es eine Ebene des Geschehens nur dort geben, wo überhaupt eine Handlung zumindest in Ansätzen vorhanden ist; in themenorientierten Oratorien fehlt sie meist ganz. 3.2.3 Reflexions- und Kommentarebenen Zu dem Geschehen treten weitere Erzählebenen: Kommentare zum Geschehen, Meditationen, Choräle und Ähnliches, die ich im Folgenden REFLEXIONS- oder KOMMENTAREBENEN nennen werde. Die verschiedenen Reflexionsebenen unterscheiden sich untereinander, aber auch von der Ebene des Geschehens durch Erzählhaltung und -perspektive, Erzählzeit, häufig auch durch Stil und Versmaß. Oft markiert auch ein Sprachwechsel den Übergang zwischen zwei Ebenen. ERZÄHLHALTUNG, -PERSPEKTIVE UND -ZEIT Entscheidend für die Zugehörigkeit zu einer Ebene ist die Erzählperspektive, die Erzählhaltung sowie die Erzählzeit des jeweiligen Textabschnitts. Zum auktorialen Erzählerbericht treten typischerweise verschiedene Reflexionsebenen: einerseits kollektive Glaubensäußerungen wie Gemeindechoräle und Gebete, andererseits persönlich-subjektive Stellungnahmen, die aus der Sicht der heutigen Zeit das Geschehen kommentieren und aus denen sich häufig ein Dialog zwischen gläubigen und zweifelnden Stimmen entwickelt. Folglich zeichnen sich die Reflexionsebenen primär dadurch aus, dass neben dem auktorialen Erzählerberichts ein „ich“ oder „wir“ auftritt, das exemplarisch seine Anschauungen, Gedanken und Gefühlen Ausdruck artikuliert. Beispielsweise wird in der A LTDORFER -P ASSION von Augustinus Franz Kropfreiter der synoptische Passionsbericht von „Lamentationen“ unterbrochen, deren Text – den Klageliedern Jesajas entnommen – der Hoffnung im Glauben Ausdruck verleiht: „Meinen Rücken bot ich den Schlägen dar und meine Wangen den Raufern. Hab mein Angesicht von denen nit abgewendet, die mich schmäheten und bespeieten. Gott der Herr ist mein Helfer, 114 darum bin ich nit zuschanden worden.“281 Diese personale Sprechweise hebt sich deutlich ab von dem überwiegend auktorial gehaltenen Passionsbericht. Der Sprecher im P ASSIONSBERICHT DER M ARIA M AGDALENA von Henning Frederichs, der von Maria Magdalena den Augenzeugenbericht fordert, steht ebenfalls eindeutig außerhalb der biblischen Handlung. Durch die direkte Anrede Marias und seine Aufforderung „Rede Du Maria, Maria aus Magdala, erzähle, was Du gehört und gesehen; sag’ uns, was geschah – an dem Tage da unser Herr – Jesus Christus – gekreuzigt und gestorben“282 gibt er sich als Stellvertreter der heutigen Glaubensgemeinschaft oder auch des Publikums/ Lesers zu erkennen. Als typisch kann der Fall angesehen werden, wenn Choräle den Erzählerbericht unterbrechen: der auktorialen Erzählhaltung der Ebene des Geschehens werden kollektive Glaubensäußerungen gegenübergestellt. Statt der neutralen Erzählweise kennen die Choraltexte ein personales Subjekt, ein „ich“ oder „wir“. Der Choral vertritt damit die Gemeinde oder die Gemeinschaft aller Christen und nimmt eine grundsätzlich kollektiv-subjektive Perspektive ein, die durch den Choraltext sprachlich überhöht wird. Die Erzählzeit der Choräle ist nicht eindeutig auszumachen; sie liegt jedoch eher in der Zeit des Zuhörers/Lesers als in der Zeit des berichteten Geschehens. Unter anderem weisen die Oratorien Marcel Rubins (A UFERSTEHUNG , L ICHT ÜBER D AMASKUS ) eine solche Gegenüberstellung von Bibelbericht und kollektiv-subjektivem Glaubensreflex auf. Ebenso können einzelne Personen aus der Handlung heraustreten und dem auktorialen Bericht ausführliche Reflexionen aus einer eigenen Perspektive hinzufügen. Dies ist besonders bei den Hiob-Oratorien (Jürgen Blume/Eugen Eckert, Henning Frederichs, Hermann Haller, Wolfram Wagner) der Fall, in denen die Klagen Hiobs und die „Trostreden“ der Freunde einen breiten Raum einnehmen und stellvertretend für den menschlichen Zweifel an Gott und neue Hoffnung im Glauben stehen. EXPLIZITE BENENNUNG Bei einigen Oratorien sind Personen oder Personengruppen, deren Textpassagen eine eigene Reflexionsebene bilden, explizit benannt – besonders bei themenorientierten Werken, in denen eine Handlung nur eine untergeordnete Rolle spielt. So treten in Joseph Haas’ D IE S ELIGEN die „Gottsuchenden“, die „Betrachtenden“, die „Kinder der Welt“, der „Rufer in der Wüste“, die „Seligen“ und die „Geläuterten“ auf. In János Tamás’ und 281 282 Jesaja 50, 6f; vgl. Kropfreiter, Altdorfer-Passion, Nr. 14 Meditation (Lamentation I) Frederichs: Passionserzählung der Maria Magdalena, S. 50. Der zitierte Textabschnitt ist der Ostersequenz entnommen (das so genannte „Dic nobis“). 115 Claudia Storz’ N OAHS T OCHTER beispielsweise werden – neben dem Sprecher, der den Erzählerbericht vorträgt – ein „Spottchor“, der „Chor der Söhne“, der „Chor der Angehörigen Noahs“ und der „Chor der Tochter“ eingeführt. Nicht immer jedoch bedeutet eine explizite Benennung, dass es sich um eine eigene Ebene handelt. Mehrere „handelnde“ Personen können beispielsweise zu einer Ebene zusammengefasst werden (meistens gehören sie zur Ebene des Geschehens). Wo die Benennung überwiegend auf Besetzungsangaben basiert, kann ein und dieselbe Besetzung durchaus verschiedene Funktionen und Perspektiven einnehmen, so dass sich die Ebenengrenzen nicht anhand der Benennung bestimmen lassen. Üblicherweise betrifft dies vor allem den Chor, der einerseits in der Handlung als Vertreter größerer Menschenmengen auftritt, andererseits als menschliches Kollektiv der heutigen Zeit, oder aber überzeitlichen Glaubensäußerungen – beispielsweise in Chorälen – Ausdruck verleiht. SPRACHE Ein deutlicher Hinweis auf einen Ebenenwechsel ist ein Sprachwechsel. Zwar kann es mehrere Ebenen in ein und derselben Sprache geben; Textpassagen verschiedener Sprachen lassen sich jedoch immer verschiedenen Ebenen zuordnen. In überwiegend deutschsprachigen Oratorien – andere wurden ja in dieser Arbeit nicht berücksichtigt – wird besonders häufig das Lateinische verwendet. In der Regel handelt es sich dabei um Ausschnitte aus der Vulgata oder um liturgische Texte. In D ER S CHREIN DER M ÄRTYRER von Bertold Hummel und Paul-Werner Scheele ist es der Erzählerbericht, die vom Evangelisten vorgetragene Passionsgeschichte, die im lateinischen Original steht. In anderen Oratorien, wie der P ASSION von Anton Vögele, bilden Texte aus der lateinischen Liturgie eine eigene Reflexionsebene. Ähnlich verhält es sich bei überwiegend hebräisch-aramäischen Oratorien Oskar Gottlieb Blarrs (J ESUS -G EBURT , J ESUS -P ASSION ), die aufgrund der geringen deutschen Textanteile in dieser Arbeit nicht berücksichtigt wurden: hier fallen die deutschen Passagen durch die Sprachwahl deutlich aus der (aramäischen) Ebene des Geschehens heraus und bilden eigene Kommentarebenen. In D AS F LOß DER M EDUSA von Hans Werner Henze und Ernst Schnabel schließlich singt der „Chor der Toten“ ausschließlich italienisch. Dadurch unterscheiden sich die Toten eindeutig von den deutsch singenden Lebenden. 284 Blume/Eckert: Hiob, Nr. 2 Chor 116 VERSMAß UND STIL Das Versmaß gibt weitere Hinweise für die Zuordnung einzelner Textabschnitte zu einer bestimmten Kommentarebene. Ein hinreichendes Kriterium für einen Ebenenwechsel ist es allerdings nicht: Passagen in Prosa oder im gleichen Versmaß können durchaus verschiedenen Ebenen angehören, wenn sie eine unterschiedliche Erzählhaltung einnehmen. Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass gebundene Rede innerhalb eines überwiegend epischen Textes mindestens eine weitere Ebene konstituiert. Auch Choräle bilden üblicherweise eine eigene Reflexionsebene. Sie sind ebenfalls anhand ihrer Textform leicht zu erkennen: In der Regel bestehen sie aus kurzen Strophen mit paar- oder kreuzweisem Endreim. Dies gilt nicht nur für alte Choraltexte, sondern auch für choralartige Neudichtungen, wie sie sich beispielsweise in H IOB von Jürgen Blume und Eugen Eckert finden: Gott, mit Zittern und mit Zagen stelle ich dir meine Fragen, sag dir, was mich zweifeln lässt nicht allein am Sinn des Lebens, auch an dir! Frag ich vergebens: Hältst du noch die Erde fest?284 Daneben finden sich im Oratorienlibretto auch ungereimte lyrische Formen, die separate Reflexionsebenen konstituieren. Rupert Gottlieb Friebergers M YSTERIUM C RUCIS beispielsweise enthält mehrere Gedichte von Kurt Marti. Zwei davon (Nr. 1 und Nr. 13) sind in einem neutralen, fast lakonischen Tonfall gehalten; ein lyrisches Ich kommt nicht vor. Die Zeilen sind bei beiden Gedichten extrem kurz; sie bestehen aus maximal drei Wörtern. Diese beiden Gedichte lassen sich zu einer Reflexionsebene zusammenfassen, die versucht, das Geschehen (die Kreuzigung Jesu) in neuem Licht zu sehen. Zwei wesentliche Botschaften formuliert Marti: „welcher mut“ doch diesem „messias/aber ohne/ macht“ eigen ist,285 und das Paradox, das die Sprengkraft der Passionsgeschichte ausmacht: der für liebe stritt stirbt von hass durchbohrt286 285 Frieberger: Mysterium Crucis, Nr. 1: Introductio 286 Frieberger: Mysterium Crucis, Nr. 13 117 Ein anderes Gedicht von Marti bildet eine eigene Reflexionsebene. Anders als in den beiden anderen Gedichten tritt ein subjektives, lyrisches Ich auf, das in eindringlicher, bildhafter Sprache den Verrat des Judas kommentiert: schöner judas da schwerblütig nun und masslos die sonne ihren untergang feiert berührst du mein herz und ich denke dir nach287 An diesem Beispiel ist zu sehen, dass Versmaß und Form ein Aspekt für die Bestimmung einer Reflexionsebene sein können; den Ausschlag geben jedoch die Perspektive und die Erzählhaltung. TEXTQUELLEN Wie sich in den vorherigen Abschnitten schon andeutete, spielt auch die Herkunft des Textes eine Rolle für die Zuordnung zu einer Reflexionsebene. Wie wir weiter oben bereits gesehen haben,288 liegt die eigentliche Funktion solcher intertextueller Verfahren in der Erzeugung eines bestimmten Sub- oder Kontextes. Dieser kann bei der Bestimmung einzelner Ebenen durchaus eine Rolle spielen. Choräle beispielsweise sind häufig den alten Gesangbuchtexten entnommen oder zumindest entlehnt. Sie sind natürlich auch an den oben genannten Kriterien (Erzählperspektive, Versmaß etc.) zu erkennen. Zudem sind Choräle mit Gemeindegesang konnotiert, also einem kollektiven Subjekt zugeschrieben. Mehrere Choräle in einem Oratorium werden vom Rezipienten dadurch bereitwillig zueinander in Bezug gesetzt und als Einheit empfunden. Ähnlich ist auch der oben bereits erwähnte „Chor der Toten“ in D AS F LOß DER M EDUSA von Hans-Werner Henze und Ernst Schnabel nicht nur durch den italienischen Text eindeutig gekennzeichnet, sondern zusätzlich durch die Tatsache, dass dieser vollständig aus Zitaten aus Dantes G ÖTTLICHER K OMÖDIE besteht. BEZÜGE Textinterne Bezüge spielen ebenfalls eine Rolle bei der Distinktion der verschiedenen Ebenen des Oratoriums. Einzig in der Ebene des Geschehens sind syntagmatische 287 Frieberger: Mysterium Crucis, Nr. 5 288 vgl. Abschnitt 2.5.3, S. 98ff 118 Bezüge, nämlich die zeitliche Progression des Handlungsverlaufs, vorherrschend. Bezüge zu anderen Ebenen weist die Ebene des Geschehens jedoch nicht auf; sie ist vollständig in sich abgeschlossen. Die Reflexionsebenen unterscheiden sich von der Ebene des Geschehens dadurch, dass Bezüge innerhalb der einzelnen Ebenen hinter denen zu anderen Ebenen – vor allem zur Ebene des Geschehens – deutlich zurücktreten. Ein Abschnitt einer Reflexionsebene bezieht sich in der Regel auf das unmittelbar zuvor Geschilderte: er unterbricht das Geschehen und kommentiert oder interpretiert den gerade erreichten Handlungspunkt. Im Gegensatz zur Ebene des Geschehens, in der der Faden immer wieder aufgenommen wird, sind jedoch in den Reflexionsebenen Bezugnahmen auf frühere Einschübe, die der gleichen Reflexionsebene zuzurechnen sind, eher selten. In themenorientierten Oratorien, in denen die Ebene des Geschehens fehlt, verändert sich die Art der Bezüge zwischen den Ebenen: Anstelle der Bezüge auf die Ebene des Geschehens entsteht ein Geflecht aus gegenseitigen Bezügen der Kommentarebenen untereinander. Auf diese für die Struktur des Oratoriums entscheidenden paradigmatischen Bezügen werden wir in Abschnitt 3.4 ausführlich zu sprechen kommen. 119 3.3 S TRUKTURFORMEN DES O RATORIUMS Für die weitere Untersuchung können wir die Oratorienlibretti nun einerseits quantitativ anhand der Zahl der vorhandenen Ebenen klassifizieren, andererseits qualitativ. Die qualitative Klassifikation berücksichtigt, wie die verschiedenen Ebenen zueinander stehen, ob und in welchen Maße sie aufeinander Bezug nehmen, wie sie angeordnet sind bzw. wie stark sie ineinander verschränkt sind, und wie dominant ihre jeweilige Stellung innerhalb des Gesamttextes ist. Die Ebenenstruktur eines Oratorienlibrettos kann man sich auf einer doppelten Skala angeordnet vorstellen: Die quantitative Skala reicht vom eindimensionalen Oratorientext bis zum vielstimmigen Gewebe, in dem sich kaum noch zusammengehörige Ebenen ausmachen lassen. Die qualitative Skala reicht von einer starken Abgegrenztheit und geringen Interaktion der verschiedenen Ebenen bis hin zu einer hohen Durchdringung und einem dichten Geflecht von Bezügen und Bezugnahmen. Im Folgenden ist erstes Unterscheidungskriterium, ob sich eine Ebene des Geschehens nachweisen lässt. Ist dies der Fall, so wird überprüft, ob sich Kommentarebenen finden und ob diese mit der Ebene des Geschehens eingewoben sind, indem sie den Handlungsverlauf unterbrechen, oder nicht. Die sich daraus ergebenden Strukturformen nenne ich zusammengefasst BERICHTENDE FORMEN. Die Strukturformen ohne Ebene des Geschehens sind die DIALOGISCHEN FORMEN. Hier ist die Interaktion der vorhandenen Kommentarebenen entscheidend; die bloße Anzahl der Ebenen wirkt sich in der Regel nicht strukturell aus. 3.3.1 Erzählen und zeigen: der Bericht Der REINE BERICHT stellt die eindimensionale Form des Oratorientextes dar. In dramatisch angelegten Texten kommen zwar möglicherweise mehrere Personen und somit mehrere „Stimmen“ vor, das Geschehen spielt sich jedoch auf einer einzigen Ebene ab, die nicht von Kommentaren oder anderen Einschüben durchbrochen wird. Liegt dem Bericht ein epischer Text zugrunde, wird dieser in der Regel mit wechselnden Besetzungen vorgetragen. Ein Beispiel für einen episch angelegten Bericht ist Wolfgang Stockmeiers J EFTA UND SEINE T OCHTER . Textgrundlage ist eine Erzählung von Lion Feuchtwanger, die wörtlich (wenn auch gekürzt) im Wechsel von Chor und Solisten vorgetragen wird. 120 Dramatisch angelegte Oratorien, in denen die auftretenden Personen keine kommentierende Funktion außerhalb der Handlung erkennen lassen, zählen ebenfalls zu den Reinen Berichten. Ein Beispiel ist Johannes Driesslers Oratorium G AUDIA MUNDANA . Das Kriterium der Dialogizität ist bei diesem Strukturtypus vom Text her nicht gegeben. Ein entsprechender oberflächlicher Eindruck ergibt sich nur aufgrund der wechselnden Besetzungen in der Vertonung. Reine Berichte sind allerdings sehr selten; außer den genannten beiden sind mir keine bekannt. Insofern darf das Fehlen dialogischer Strukturen im Oratorienlibretto als Ausnahme angesehen werden, bei der sich Einflüsse benachbarter Gattungen wie der Oper oder älterer, im Zuge der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung wiederbelebter Vokalgattungen (z. B. der Historie) bemerkbar machen. 3.3.2 Beschreiben und deuten: der Kommentierte Bericht Im KOMMENTIERTEN BERICHT treten zur Ebene des Geschehens eine oder mehrere Kommentarebenen. Dies ist die typische Struktur eines handlungsorientierten Oratoriums: 38 Oratorientexte, also gut die Hälfte der untersuchten Libretti, lassen sich ihm zuordnen. Der Vorläufer dieses Strukturtypus findet sich in der Drei-Ebenen-Dramaturgie, die im frühen 19. Jahrhundert als vorbildhaft für das Oratorium galt.289 Ihr zufolge vereint das ideale Oratorium einen episch-dramatischen Bericht mit lyrischen Gefühlsäußerungen in den Arien und kommentierenden Reflexionen in den Chören.290 Dieser Auffassung folgt im übrigen auch die oben zitierte Interpretation der Matthäus-Passion von Emil Platen, die am Anfang unserer Überlegungen zur Ebenenstruktur stand.291 Im Gegensatz zur herkömmlichen Einteilung Rezitativ – Arie – Choral variiert die Anzahl und die Ausgestaltung der Reflexionsebenen im zeitgenössischen Oratorium stark. Die althergebrachte Form mit zwei Reflexionsebenen (Arien als Kommentare eines subjektiven, gläubigen Ichs sowie Choräle als Reflexion der Gemeinde) ist eher selten. Auch Umfang und Stellenwert der Reflexionsebenen gegenüber der Ebene des Geschehens variieren. Dem Reinen Bericht sehr nahe steht Rudolf Kelterborns D IE F LUT . Dieses Oratorium weist nur eine einzige, stark reduzierte Kommentarebene auf. Sie beschränkt sich auf wenige 289 vgl. Kirsch 1986, S. 224f. 290 Kirsch 1986, S. 226 291 vgl. Abschnitt 3.1.2, S. 107f. 121 „Meditationen“, die an drei Stellen in den Genesis-Bericht der Sintflut eingestreut sind. Ähnlich verfährt auch die A LTDORFER -P ASSION von Augustinus Franz Kropfreiter und HansHubert Schönzeler. Sie unterbricht den synoptischen Passionsbericht nur dreimal für eine längere Meditation, die aus Bibelworten zusammengestellt ist. In vielen Oratorien mit einer einzigen Reflexionsebene tritt der Chor in Chorälen oder choralartig gereimten Passagen als Stellvertreter der gläubigen oder auch zweifelnden, verunsicherten Gemeinde dem Geschehen gegenüber. In Waldemar Blochs P ASSIO D OMINI beispielsweise wird der synoptische Passionsbericht von traditionellen Choraltexten unterbrochen, die Gläubigkeit und Verehrung ausdrücken. In Jürgen Blumes und Eugen Eckerts H IOB hingegen artikulieren die Choräle den Zweifel und die Sehnsüchte moderner Gläubiger, für die sich das überlieferte Gottesbild nur schwer mit der Wirklichkeit vereinbaren lässt. Dem traditionellen Drei-Ebenen-Typus entsprechen V ON Matthias Drude und Dietrich Mendt sowie D AS F EUER DES DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR von P ROMETHEUS von Alfred Koerppen. Die Erzählerberichte – das biblische Buch Esra bzw. eine Paraphrasierung des antiken Prometheus-Mythos – werden einerseits von kollektiven, andererseits von individuellsubjektiven Kommentaren durchkreuzt. Während in beiden Oratorien der Chor eine übergeordnete Perspektive einnimmt, sind die Soli sehr unterschiedlich gestaltet: bei Koerppen vertreten sie das moderne Publikum, bei Drude sprechen sie aus der Zeit des Geschehens heraus. An den Drei-Ebenen-Typus eng angelehnt sind auch die NGL-Oratorien von Siegfried Fietz und Johannes Jourdan (P ETRUS , P AULUS , S IEHE ICH BIN DES H ERRN M AGD u. a.) zu. Jedoch verschwimmt bei ihnen streckenweise der Unterschied zwischen der individuellen Reflexionsebene (Arien) und dem Gemeindekommentar (Chöre). Ein modifiziertes Drei-Ebenen-Modell bietet N ON SUM QUALIS ERAM von Helmut Eder und Herbert Vogg, bei dem die Ebene des Chors den „unschuldig[en], von keiner Reflexion gebrochenen Glauben“ darstellt und die andere (solistisch besetzte) Reflexionsebene die „Brechung der Unschuld des ursprünglichen Glaubens“.292 Demgegenüber legt Marcel Rubin zwar in seinen beiden Oratorien (A UFERSTEHUNG , L ICHT ÜBER D AMASKUS ) von der Besetzung her einen klassischen Drei-Ebenen-Typus an, im Text jedoch zeigen die Arien und die Chöre keine signifikanten Unterschiede und müssen deshalb einer einzigen Kommentarebene zugerechnet werden. 292 vgl. Matejka 1977 122 Eine differenzierte Struktur der Kommentarebenen hat Anton Vögele in P ASSION geschaffen. Der in Sprechsoli artikulierte persönlich-individuelle Kommentar zum Geschehen entspricht weitgehend den Arien des traditionellen Drei-Ebenen-Modells. Dazu treten zwei weitere Ebenen: Der Sprechchor ist dem Chor der griechischen Tragödie verwandt und begleitet „nach Art der alten griechischen Tragödie das Geschehen warnend und klagend“293. Der Gesangschor ist dem Geschehen fast vollständig entrückt und hat eine Funktion, die man am ehesten als liturgisch bezeichnen könnte. In N OAHS T OCHTER von János Tamás und Claudia Storz findet sich eine ähnliche Konstellation. Das vom Sprecher vorgetragene Geschehen wird von verschiedenen Chorgruppen kommentiert. Der „Spottchor“ steht Noahs Tun mit vollkommenen Unverständnis gegenüber; der „Chor der Söhne Noahs“ verteidigt es. In „lyrischen Zwischengesängen“ formulieren die Angehörigen Noahs ihre Angst angesichts des Bevorstehenden. Mit der Figur der Tochter schließlich, die sich am Ende der Arche widersetzt, artikuliert sich die Stimme eines von modernen Erfahrungen geleiteten Gewissens. Eines der interessantesten – und dank der Umstände seiner (verhinderten) Uraufführung vermutlich auch bekanntesten – Oratorien dieses Strukturtypus ist D AS F LOß DER M EDUSA von Hans Werner Henze und Ernst Schnabel. Als Berichterstatter tritt Charon auf. Zusammen mit den zu Wort kommenden, weitgehend anonym bleibenden Floßinsassen und Kindern („Chor der Lebenden“ und Kinderchor) bildet sein Bericht die Ebene des Geschehens. Dazu tritt als erste, nicht vollständig von der Ebene des Geschehens zu separierende Reflexionsebene der Augenzeugenbericht des Jean-Charles. Den Floßinsassen, die dem Zuhörer als mal verzweifelte, mal grausame, mal hoffnungslose, immer jedoch gesichtslose Masse gegenübertreten, setzt er den Willen zum Überleben, zum Mitleid und zur Solidarität entgegen. Er reflektiert die Situation, anstatt sich ihr auszuliefern. Einen Kontrast zu dieser Haltung, aber auch einen Kontrapunkt zum Geschehen liefert die zweite Reflexionsebene, die der „Chor der Toten“ einnimmt. In Worten aus Dantes G ÖTTLICHER K OMÖDIE entwerfen sie die – für die Sterbenden und Hoffnungslosen immer verlockendere – Vision eines von irdischen Qualen erlösenden Jenseits, dem aber auch das menschliche Mitfühlen verloren gegangen ist. Diese Reflexionsebene ist sprachlich 293 295 vgl. Vögele 2002 Schon an diesem kurzen Zitat zeigt sich das von Driessler verwendete Verfahren, den Text vollständig aus Bibelzitaten zusammenzustellen, die teilweise bis zur Unkenntlichkeit fragmentiert und aus dem Zusammenhang gerissen werden. „Es ist in keinem anderen Heil“ stammt aus Apostelgeschichte 4, 12, „Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ aus Hebräer 13, 8, „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge“ aus Römer 11, 36. 123 von den anderen Ebenen deutlich abgesetzt: sie verwendet ausschließlich den italienischen Originaltext Dantes. Die allegorische Figur La Mort nimmt eine interessante Zwischenstellung ein. Ihre Verlockungen und ihr Eingreifen sind entscheidender Bestandteil des Geschehens. Gleichzeitig spricht sie jedoch aus einer Perspektive, die dem „Chor der Toten“ nahe steht. D AS F LOß DER M EDUSA ist ein Beispiel, wie trotz einer sehr überschaubaren Anzahl von Reflexionsebenen ein vielschichtiger Text mit einem hochkomplexen Geflecht von Sinnbezügen und einer hohen Durchdringung der Reflexionsebenen entstehen kann – ohne die durch einen Erzählerbericht vorgegebene Grundstruktur völlig aufzugeben. 3.3.3 Ein Sonderfall: der Gerahmte Bericht Aufgrund seines geringen Durchdringungsgrades von Kommentar und Bericht nimmt der EINGERAHMTE BERICHT eine Sonderstellung ein. Hier ist die Kommentarebene auf ein Minimum reduziert und besteht nur noch aus einer kurzen Einleitung und/oder einer Schluss-Sentenz. Solche Kommentare bilden den Rahmen, in dem das geschilderte Geschehen zu deuten ist. In Wolfgang Stockmeiers J ONA beispielsweise wird der wörtlich aus dem Buch Jona übernommene epische Bericht umrahmt von Psalm 139 und einem Abschnitt aus dem Buch Jesaja. Die einleitenden Psalmworte entwerfen den theologischen Hintergrund, vor dem die Jona-Geschichte verstanden werden soll: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich... Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“ Das Finale deutet die Geschichte nachträglich: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr“. Als Resümee zieht es Schlussfolgerungen für das eigene Handeln: „Suchet den Herrn, solange er zu finden ist“. Ähnlich verfahren die überwiegend dramatisch gestalteten Oratorien D E PROFUNDIS von Johannes Driessler und V IRATA von Horst Ebenhöh. Bei Ebenhöh wird der Rahmen durch den Chor mit Vorsänger gestaltet. Im Eingangschor formuliert der Chor die zentrale Problemstellung, die im Verlauf des Oratoriums anhand des Lebens von Virata veranschaulicht wird: Dass niemand frei von den Folgen seines Handelns ist, und auch Nichtstun Handeln bedeutet. Während zu Beginn die Beschreibung des Grundproblems im Vordergrund steht, erhält der weitgehend übereinstimmende Schlusschor durch die 124 abschließenden Worte „Was ist denn Tat? Was ist Nichtstun? Der Tat Wesen ist abgrundtief“ einen resümierenden und belehrenden Charakter. Driessler verfährt in D E P ROFUNDIS ähnlich wie Stockmeier: Das „Präludium“ umreißt die Ausgangssituation. Der Chor als Stellvertreter der Gläubigen bittet um Rettung und Schutz vor Frevel und Sünde. Der Schlusschor enthält – nach der Schilderung babylonischer Zustände, dem Abfall von Gott und anschließender reuiger Rückkehr – ein demütiges Schuldbekenntnis und die Bitte um Erlösung. Ein anderes Oratorium Johannes Driesslers, D ER L EBENDIGE , stellt eine Variation dieses Strukturtypus dar. Nicht das Oratorium als ganzes, sondern jeder der vier Teile hat einen Einleitungschor. Zusätzlich gibt es einen Schlusschor. Dieser enthält – wie bei den schon genannten Oratorien – in zusammengefasster Form die eigentliche Botschaft: „Es ist in keinem andern Heil: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“295 Auch Harald Heilmanns D ER S ÜNDENFALL , der keine Eingangs-, sondern nur eine Abschlussbetrachtung hat, lässt sich hier einordnen. 3.3.4 Von allen Seiten betrachtet: die Befragung Was aber, wenn das Bezugsgeflecht nicht mehr durch eine Handlung vorgegeben ist, sondern durch eine übergeordnetes Thema? Wenn es zwar mehr als eine Kommentarebene gibt, sich die verschiedenen Ebenen jedoch nicht durchdringen? D ER B AUM DES H EILS von Thomas Daniel Schlee und Reinhard Deutsch ist solch ein Oratorium. Die Handlung, nämlich die Legende vom Kreuzesstamm, ist der zweite von insgesamt vier Abschnitten des Oratoriums. Der „Baum des Heils“, wie das Thema im Titel schon benannt wird, stand der Legende nach schon im Paradies; Noah fertigte aus ihm die Arche, das Volk Israel die Bundeslade, und schließlich wurde aus ihm auch das Kreuz Christi gefertigt. Der in einem neutralen Erzähltonfall gehaltene epische Bericht wird ergänzt durch die Abschnitte „Pietà“, der eine Klage Marias am Kreuz darstellt, „Offertium“, der distanziertüberhöht die christliche Erlösungsbotschaft formuliert, und das abschließende „Laudes Crucis“ des Chors als Anbetung der gläubigen Gemeinde. Anders als bei einem Kommentierten Bericht unterbrechen die Kommentarebenen nicht den Bericht, um auf einen Punkt der Handlung Bezug zu nehmen. Vielmehr kreisen sie um den Gedanken der Schrifterfüllung und der schicksalhaften Verquickung verschiedener zentraler Ereignisse der biblischen Heilsgeschichte. Es handelt sich also, obwohl auf ein Geschehen referiert wird, eher um ein themen- als ein handlungsorientiertes Oratorium. 125 Solche Oratorien, in denen der Text in einzelne, deutlich voneinander getrennte Abschnitte gegliedert ist (oft in der Komposition durch Besetzungswechsel bzw. musikalische „Nummern“ ausdrücklich unterstützt), die das gewählte Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachten, nenne ich BEFRAGUNG. Die Befragung ist der am zweithäufigsten verwendete Strukturtypus. Mit elf nachweisbaren Werken ist sie jedoch zahlenmäßig schon erheblich seltener als der Kommentierte Bericht und macht nur etwa 15 % des Bestandes aus. In der Befragung setzen sich die einzelnen Abschnitte nach und nach zu einem komplexen, mehrschichtigen Bild zusammen. Die verschiedenen Ebenen sind dabei in Blöcken angeordnet; der Durchdringungsgrad ist gering. Das Thema wird in der Regel im Titel genannt und/oder im ersten Textblock vorgestellt. Die innere Dynamik des Textes folgt bei Befragungen nur noch dort einer Handlung, wo sie als so bekannt vorausgesetzt werden kann, dass wenige Hinweise im Text genügen, dass sie implizit mitgelesen bzw. mitgehört wird. Letzteres ist bei vielen Weihnachts- oder Passionsoratorien der Fall. So positioniert Giselher Klebe im Zentrum seines W EIHNACHTSORATORIUMS eine Erzählung von Heinrich Böll, die er mit Gedichten von Rudolf Alexander Schröder, Peter Härtling, Texten der Bibel und anderen Texten ergänzt.296 Die Anordnung der Teile folgt der Handlung der biblischen Weihnachtsgeschichte, die jedoch selbst im Text nicht anwesend ist (das einzige Zitat aus dem Evangelium des Lukas ist der Friedensgruß der Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe“). Doch durch den Titel W EIHNACHTSORATORIUM ist der Kontext klar genannt, so dass der Leser/Zuhörer das Oratorium vor dem Hintergrund der wichtigsten Stationen der Weihnachtsgeschichte aufnimmt: von der Herbergssuche, der Verkündung der Hirten bis hin zur Aufwartung der drei Könige. So wird die Einleitung „Lass schauen uns dein Angesicht“ (ein Gedicht von Rudolf Alexander Schröder) leicht mit der Adventszeit assoziiert, wie auch die Arie „Mache dich auf, werde Licht“ mit Zeilen aus Jesaja 59/60 die Ankunft des Herrn ankündigt, wobei das Lichtmotiv, das sich durch das ganze Oratorium zieht, weiter ausgebaut wird. Das Duett „Flügel“ bringt die Engel ins Spiel, und spätestens bei dem folgenden Choral „Vom Himmel hoch“ ist auch der Leser/Zuhörer bei den Hirten auf dem Felde angekommen. Doch wie in D ER B AUM DES H EILS steht auch bei Klebe weniger die Handlung, die überlieferte Bibelgeschichte oder Legende, als vielmehr die ihr innewohnende Botschaft im Mittelpunkt. Insofern unterscheiden sich diese beiden Oratorien nicht grundsätzlich von 296 vgl. Maria Elisabeth Brockhoff: Giselher Klebes Weihnachtsoratorium op. 101 (1989), in Beer/Lüteken 1995, S. 581-595 126 solchen, die sich überhaupt nicht mehr auf eine Handlung beziehen. Allerdings wird hier der Verlauf des Textes noch durch die verborgene Handlung bestimmt. Oratorien, die weder eine Handlung enthalten noch auf eine fortlaufende Geschichte referieren, verwenden häufig Leitmotive oder ganze LEITTEXTE, um eine innere Geschlossenheit zu erreichen und Spannungsbögen aufzubauen. Ein typisches Beispiel ist V OM T ODE von Karl Schiske, das Meditationen über den Kreislauf von Leben und Sterben lose aneinander reiht. Den Zusammenhang und inhaltlichen Fluchtpunkt stellt eine Gedichtstrophe von Rainer Maria Rilke dar, die leitmotivisch immer wieder auftaucht und dadurch nicht nur die einzelnen Textteile verbindet, sondern auch das Oratorium in größere Abschnitte gliedert: O Herr, gib jedem seinen eignen Tod, das Sterben, das aus jenem Leben geht, darin er Liebe hatte, Sinn und Not.297 Dieser Leittext zum Beginn des Oratoriums stellt das Thema vor. In sechs Abschnitten (Prolog, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Epilog) folgen Texte von Dichtern verschiedener Epochen, die sich mit Leben, Vergänglichkeit und Tod befassen, wobei die Jahreszeiten für die Lebensalter des Menschen stehen. Jeder Abschnitt schließt mit einer Wiederholung des Leittextes, der dadurch eine besondere Eindringlichkeit erhält und gleichzeitig eine inhaltliche und formale Klammer um die anderen Abschnitte des Oratoriums bildet. Eine einmalige Mischform zwischen Bericht und Befragung stellt Kurt Rapfs P ASSIO A ETERNA dar. Rapf stellt zwei gleichwertige Ebenen, nämlich den Passionsbericht der Bibel und einen Leidensbericht eines KZ-inhaftierten Pfarrers, in großen Blöcken einander gegenüber. Keiner der beiden Berichte hat Priorität vor dem andern. Damit lässt sich nicht eine Berichtsebene gegenüber einer Kommentarebene abgrenzen; vielmehr sind beide Ebenen Bericht und Kommentar gleichzeitig. Dazu kommt ein Rahmen: Zum Beginn und zum Ende des Oratoriums singt der Chor das Lob Gottes. 3.3.5 Gegenseitige Ergänzung: der Dialog In handlungsarmen, themenorientierten Oratorien müssen die Ebenen nicht in Blöcken aufeinander folgen, wie in der Befragung. Die Ebenen können auch einen sehr hohen Durchdringungsgrad aufweisen. Dieser Strukturtyp soll im Folgenden DIALOG heißen. Mit elf Werken ist er genauso häufig wie der Strukturtyp Befragung. 297 Aus dem Stundenbuch, vgl. Rilke 2000, S. 100 127 Im Dialog kommen mehrere kommentierende Stimmen, die unterschiedliche Perspektiven einnehmen, zu Wort. Es lässt sich keine Ebene des Geschehens mehr bestimmen; vielmehr nehmen alle Ebenen wechselseitig aufeinander Bezug. In der unmittelbaren Bezugnahme, die sich auch in Unterbrechungen, kurzen Abschnitten und auch Gleichzeitigkeiten (in Ensembles) spiegelt, liegt der wesentliche Unterschied zur Befragung. In ihrer Vielstimmigkeit, in der sich Perspektiven abwechseln, verändern und gegenseitig durchkreuzen, spiegeln diese Libretti die Vielfalt der Assoziationen und Auslegungen, die eine Auseinandersetzung mit der christlichen Botschaft und ihren Traditionen mit sich bringen kann. Die Abgrenzung zu Oratorien mit dramatisch angelegter Berichtsebene ist nicht immer eindeutig zu treffen. Denn oft sind die vorkommenden Stimmen auch direkt an der Handlung Beteiligte. Entscheidend ist dabei, ob die Mehrzahl der Stimmen in der Zeit und Perspektive der Handlung verharren – in diesem Fall wäre das Oratorium eher als Kommentierter Bericht zu werten. Wenn die „handelnden“ Stimmen jedoch gleichzeitig reflektierend aus der Handlung heraustreten, ist von einem Dialog auszugehen. Ebenfalls handelt sich um einen Dialog, wenn eine Handlung fehlt oder auf ein Minimum reduziert ist. D IE S ELIGEN von Joseph Haas und Ludwig Schuster ist ein Beispiel für einen typischen handlungslosen Dialog. Die am Dialog Beteiligten werden im Libretto explizit benannt und auch in der Besetzungsliste aufgeführt: „das Gewissen“, „der Rufer in der Wüste“, „die Betrachtenden“, „die Seligen“, „die Kinder der Welt“, „die Gottsuchenden“ und „die Geläuterten“. Die Textpassagen der Betrachtenden bilden das neutrale Grundgerüst des Dialogs. Sie geben distanzierte, kurze Beschreibungen vom Zustand des Menschen und der Welt und leiten so thematisch zu den nächsten Abschnitten über. Die Kinder der Welt sind die Hauptakteure. Sie repräsentieren die Menschen, die mal schwankend im Glauben, mal zweifelnd, zornig oder übermütig ihre irdischen Ziele verfolgen, jedoch immer wieder auf Gott zurückkommen. Mit ihnen gleichzusetzen sind die Gottsuchenden und die Geläuterten, die nur jeweils einmal – nämlich im Prolog bzw. Epilog – auftreten. Im Laufe des Oratoriums machen nämlich die Kinder der Welt einen Prozess der Läuterung hin zur Erlösung durch: Sie werden von Gottsuchenden zu Geläuterten. Der Rufer in der Wüste ist eine Prophetenfigur, die in Anlehnung an Johannes den Täufer gestaltet ist. Er mahnt und droht, erinnert aber auch an die Verheißungen Gottes. Das Gewissen steuert passende Sinnsprüche bei, die den Texten des Angelus Silesius, den Lehrbüchern des Alten Testaments und anderen literarischen Quellen entnommen sind; es vertritt eine allgemeine moralische Instanz. Die Seligen schließlich formulieren als Vertreter des Wortes Gottes Aspekte der christlichen Erlösungsbotschaft. 128 Diese fünf treten miteinander in einen intensiven Dialog, der beinahe schon dramatisch genannt werden kann, wenn man davon absieht, dass so gut wie keine Handlung stattfindet. Der Text kreist um verschiedene Aspekte der Bergpredigt. Der erste Abschnitt, „Die Armen im Geiste“, beginnt mit einem Ausruf der Betrachtenden: „Seht die Toren! Wie sie toben gegen Gott in wildem Wahn! Sie rotten sich zusammen zum Kampfe gegen Gott.“298 Darauf hin treten die Kinder der Welt auf, voll rebellischem Hochmut: „Stürzen wir doch alles Alte .../Es gibt keinen Gott!“. Das Gewissen schaltet sich ein, mahnt zur Demut: „Mensch, dünke dich nur nicht vor Gott mit Werken viel,/denn aller Heilg’en Tun ist gegen Gott ein Spiel“, kann aber noch nicht viel ausrichten. Auch der Rufer in der Wüste erntet auf seinen Prophezeiungen und Drohungen nur neuen Spott der Kinder der Welt: „Gott zu dienen ist Unsinn!“. Schließlich kommen die Seligen zu Wort, mit den Worten der Bergpredigt: „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Diese Stelle markiert dien Wendepunkt. Die Kinder der Welt horchen auf: „Ist Gnade das,/was aus den Himmeln bricht?“ Die Einwände des Gewissens finden nun einen Widerhall. Der Rat „Besser ist, gering zu sein, als des Stolzen Beute zu teilen“ wird von den Seligen bekräftigt mit den Worten „Was die Welt wertlos schilt,/was keinen Deut ihr gilt,/was sie nicht schätzt und zahlt,/das hat Gott auserwählt.“. Die Kinder der Welt nehmen die Botschaft auf: „Gott allein setzt die Werte;/es rühme sich kein Mensch vor ihm.“ Und so können die Betrachtenden schließlich befriedigt feststellen: „Seht die Toren haben sich gewandelt; ihre Ohnmacht haben sie erkannt, Toren sind sie nimmer. Heil geht ihnen auf, es übermannt sie Ehrfurcht vor dem Herrn.“ Ähnlich sind auch die folgenden Abschnitte aufgebaut. Prolog und Epilog heben sich ein wenig ab; in ihnen tritt nur das Gewissen mit den Gottsuchenden bzw. den Geläuterten in Dialog, und es bleibt bei allgemeinen, sentenzhaften Aussagen. Der Prolog formuliert die Aufgabenstellung an den Zuhörer, das „Lernziel“: „Mensch, werde wesentlich“. Den Schlüssel dazu nennt der Epilog: Besinnung auf Gott und den christlichen Glauben. D IE S ELIGEN bietet ein Beispiel, wie Leittexte, die sonst vor allem in Oratorien des Struktur- typs Befragung vorkommen, auch in anderen Formen Verwendung finden. In diesem Fall ist der Leittext die Bergpredigt Jesu299. Der Oratorientext folgt der inhaltlichen Gliederung der Bergpredigt, und behandelt in größeren Abschnitten nacheinander „Die Armen im Geiste“, „Die Trauernden“, „Die Sanftmütigen“, „Die Hungernden und Dürstenden“, „Die Barmherzigen“, „Die Reinen“, „Die Friedfertigen“ und „Die Verfolgten“. Fragmente des Bibeltextes sind den sogenannten „Seligen“ in den Mund gelegt. Diese Fragmente 298 Diese und die folgenden Zitate aus Joseph Haas, Die Seligen, I. Die Armen im Geiste. 299 Matthäus 5 129 lassen sich jedoch nicht zum vollständigen Prätext zusammensetzen, noch lässt sich eine refrainartige Regelmäßigkeit erkennen, wie sie in Befragungen häufig vorkommt. Bei Henning Frederichs’ P ETRUS , zunächst als „Biblische Sensopera“ veröffentlicht, ist die Ausgangskonstellation übersichtlicher. Dem Oratorium liegt – wie der Titel schon sagt – die Geschichte des Petrus zugrunde, genauer: entscheidende Lebensstationen aus der Passions- und Apostelgeschichte. Der Bericht der Handlung wird aus einem inneren Zwiegespräch zwischen dem am Ende seines Lebens stehenden Petrus als zweifelnden, sich rechtfertigenden Menschen einerseits und „Memoria“ andererseits, die Erinnerung und Gewissen des Petrus darstellt, entwickelt. In den Partien Memorias findet sich die Berichtsebene in transformierter Form wieder. Sie wird also nicht ausschließlich von einem neutralen Standpunkt aus erzählt, sondern ergibt sich erst aus der Kombination dieser beiden subjektiven, teilweise widerstreitenden Stimmen. Neben Petrus und Memoria tritt der Chor auf, der größtenteils der kompositorischmusikalischen Ausschmückung des Textes dient und vor allem in der – von Memoria oder Petrus zitierten – wörtlichen Rede Jesu oder größerer Menschenmengen zum Einsatz kommt. Einleitungs- und Schlusschor bilden eine eigene, rahmengebende Ebene, die durch einen Sprachwechsel zum Lateinischen gekennzeichnet ist. Zu dieser Ebene, die wie bei den meisten Oratorien mit einem solchen Rahmen der thematischen Einbettung des Oratoriums dient, lässt sich auch der Sprecher rechnen, der nur zu Beginn des Oratoriums auftritt und mit der Schilderung der Ausgangssituation in das Geschehen einführt. Ein weiteres Beispiel für einen Dialog, in dem eine Kommentarebene einen Rahmen bildet, bietet Horst Ebenhöh mit V ON DER H OFFNUNG . Eingangs- und Schlusschor haben dabei identische Texte. Während zu Beginn die Exposition der Grundsituation (die Geburt eines Kindes wird erwartet) im Vordergrund steht, erhält bei der Wiederholung am Ende des Oratoriums die Abschlusszeile besonderes Gewicht und liefert zusammengefasst die eigentliche Botschaft des Oratoriums: „Hoffnung kommt in die Welt mit jedem Kind“300. Gegenüber diesem Rahmen bilden den Hauptteil des Oratoriums die Betrachtungen der werdenden Eltern, abwechselnd Vater, Mutter und beide kollektiv im Duett oder als Chor. Beide reden voneinander mit „ich“ und „du“; der Perspektivwechsel wird nur durch die Besetzung durch unterschiedliche Solisten (Sopran und Bariton) eindeutig kenntlich. Insofern könnte man dieses Oratorium auch als Eingerahmten Bericht auffassen; es ist jedoch zu vermuten, dass der Besetzungswechsel schon bei der Textniederschrift als Perspektivwechsel zwischen Mann und Frau angelegt wurde. 300 Ebenhöh: Von der Hoffnung, Nr. 10 130 3.4 P ARADIGMATISCHE S TRUKTUREN Die Erzählstruktur der Oper ist laut Albert Gier geprägt durch den „Vorrang des Zuständlichen gegenüber dem Prozesshaften“301: Als „Drama der absoluten Gegenwart“ besteht die Oper aus weitgehend statischen Einzelbildern, die zwar syntagmatisch zu einer Geschichte mit Ausgangs- und Zielpunkt verknüpft sind; als distinkte Einheiten sind sie aber zugleich eingebunden in ein System von paradigmatischen, d.h. den linearen Zeitverlauf transzendierenden bzw. von ihm abstrahierenden Bezügen; sinntragend sind überwiegend oder ausschließlich die paradigmatischen Strukturen.302 Die paradigmatischen Strukturen der Oper sind dabei weniger dem Zeitverlauf als assoziativen Sinnbezügen geschuldet: „Das Libretto ... spiegelt die Wirklichkeit des inneren Erlebens“303, nicht die Wirklichkeit einer Handlung. Wie in Gedanken oder Träumen kann die Handlung Sprünge machen, verschiedene Erinnerungsfragmente und gegensätzliche Empfindungen können gleichzeitig präsent sein. „Kausalzusammenhängen kommt dabei geringere Bedeutung zu als Oppositionen und Äquivalenzen.“304 Dies lässt sich für das Oratorium weitgehend bestätigen. Handlungsorientierte Oratorien nutzen zwar primär die durch die Handlung vorgegebenen syntagmatischen Sinnbezüge. Weitere Bezüge – kontrastive Oppositionen, Abschnittsüberschriften o.ä. – erweitern in ihnen den Kontext und verdichten das Sinngefüge. Für die Reflexionsebenen spielen syntagmatische Bezüge kaum eine Rolle. Wichtiger sind hier die paradigmatischen Bezüge innerhalb der Ebene bzw. zwischen den Ebenen. Bei den themenorientierten Oratorien schließlich sind mangels Handlung die paradigmatischen Bezüge vorherrschend. Im Folgenden sehen wir, wie diese paradigmatischen Bezüge funktionieren und wie sie im Einzelnen aussehen können. 3.4.1 Antithetische Struktur Ähnlich wie in der Oper begegnet uns im Oratorium häufig eine antithetische Grundkonstellation. Dabei treffen nicht, wie in der Oper, einzelne Personen aufeinander, sondern es werden verschiedene Sichtweisen in den Kommentarebenen einander gegenüber gestellt. Die wichtigsten Grundoppositionen im Oratorium lassen sich durch 301 Gier 2000, S. 32 302 Gier 2000, S. 22f. 303 Gier 2000, S. 23 304 Gier 2000, S. 23 131 die Begriffspaare gut/böse, Glaube/Zweifel, Gott/Welt, Seelenheil/weltlicher Erfolg charakterisieren. Anders als in der Oper zielt die Textstrategie jedoch nicht auf „die Aufhebung des Gegensatzes in einer Synthese“305, sondern auf die Bestätigung des göttlichen Prinzips bzw. der darin verborgenen Botschaft der Wahrheit. In den Hiob-Oratorien (Jürgen Blume und Eugen Eckert, Henning Frederichs, Hermann Haller, Wolfram Wagner) liegt die zentrale Opposition auf der Hand: Zweifel an Gott und neue Zuversicht im Glauben. Wolfgang Wagner gestaltet die Ebenen, die in seinem Oratorium in Blöcken aufeinander folgen, entsprechend des Fortgangs der HiobErzählung: Der erste Block enthält Hiobs Klage und Zweifel an Gott, der zweite – in den Worten von Hiobs Freund Elihu – Gottes Antwort auf Hiob. Der dritte Block spricht neues Bangen aus, aus der Perspektive eines distanzierten Betrachters (vielleicht sogar der heutigen Zeit): „Weh, Hiob, weh, noch bist du nicht am letzten, am einsamst letzten Fels“306. Darauf antwortet Gott nicht; als Erwiderung bleibt (im vierten Block) einzig die Bitte um die Nähe und den Beistand Gottes, in den Worten des 102. Psalm: „Verbirg Dein Antlitz nicht vor mir! Neig her zu mir dein Ohr an meinem Trübsalstage! Erhöre schnell mich, wenn ich rufe!“307. Der Bezug zwischen diesen vier Ebenen wird durch den Kontext des Prätextes (Buch Hiob) hergestellt. Da die Hiobsgeschichte im Oratorium nicht nacherzählt wird und somit keine Ebene des Geschehens existiert, ersetzen intertextuelle Bezüge den syntagmatischen Handlungsbezug. Darüber hinaus ergibt sich der Bezug zwischen den Ebenen aus dem ständigen Wechsel zwischen Klage und Zuversicht, der die Dynamik des Textes bestimmt. Während der erste Bezug nur funktioniert, wenn dem Hörer/Leser der biblische Hiob bekannt ist, erschließt sich der zweite auch einem Publikum ohne Vorkenntnisse. Um die Opposition gut/gläubig – schlecht/gottlos ist D IE S ELIGEN von Joseph Haas aufgebaut. Die „Kinder der Welt“, deren Passagen eine der zahlreichen Reflexionsebenen des Werks bilden, nehmen nacheinander unterschiedliche Haltungen ein, die jeweils eine Art der Gottesferne spiegeln: Aggressivität und Zerstörungswut, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Rachsucht, Verantwortungslosigkeit. Ihnen treten „das Gewissen“ und „der Rufer in der Wüste“ entgegen, die jeweils als weitere Kommentarebenen anzusehen sind.308 Daneben treten als weitere Vertreter der „guten“ Seite die Gottsuchenden sowie die Seligen auf, die Vertreter des Wortes Gottes sind. Der Bezug zwischen den Ebenen wird wiederum durch 305 306 Gier 2000, S. 25 Wagner: Hiob, Teil III Gesang des Leids. Der Text dieses Abschnitts ist einem Gedicht von Karl Wolfskehl entlehnt 307 Wagner: Hiob, Teil III Gesang des Leids; vgl. Psalm 102, 2-3 308 zur Ebenenstruktur von Die Seligen vgl. auch Abschnitt 3.3.5, S. 126f. 132 die Konfrontation dieser Prinzipien und den Dialog der Positionen hergestellt. Unnötig zu erwähnen, dass sich im Lauf des Oratorium die Position der „Kinder der Welt“ immer mehr an die der Seligen annähert. Dahingegen zeigen die anderen Ebenen keine Entwicklung; sie sind statische Vertreter eines Prinzips.309 Eine ähnliche Grundkonstellation liegt in Johannes Driessler D ER L EBENDIGE vor. Der Chor vertritt eine verzagte, an der Nähe Gottes zweifelnde Gemeinschaft, aus der sich der SoloTenor als Individuum herauslöst. Christus tritt als Vertreter der göttlichen Botschaft auf. Eine vermittelnde Stellung nimmt die Ebene der Sopran-Soli ein: der Sopran greift die Botschaft Christi stets als erste auf, formuliert neu gewonnene Hoffnung und Bekehrungserlebnisse, von denen sich Tenor und Chor schließlich überzeugen lassen. Auch hier findet eine Entwicklung vom (schlechten) Zweifel zum (guten) Glauben statt. Solche dem Text zugrunde liegenden thematischen Oppositionen entsprechen dem, was Gier als „Kontraststruktur“ bezeichnet. In der Oper werden die Oppositionspaare durch die handelnden Personen vertreten; diese sind weniger komplexe Charaktere als Verkörperungen eines Prinzips. Im Oratorium können ebenfalls einzelne Figuren Vertreter eines Prinzips sein. Häufig treten Repräsentanten der Botschaft Gottes (Jesus, Propheten u. a.) in Opposition zu den Unzulänglichkeiten der Welt und des Menschen. Anders als in der Oper werden im Oratorium jedoch nicht unbedingt Entscheidungssituationen herbeigeführt, in denen sich die Opposition zuspitzt und schließlich auflöst. Der Grundkonflikt bleibt vielmehr innerhalb der erzählten Geschichte bestehen, während dem Leser/Hörer eine außerhalb der Geschichte liegende Erlösung in Aussicht gestellt wird, die in den meisten Fällen in der christlichen Botschaft begründet liegt. So wird in V ON DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR von Matthias Drude und Dietrich Mendt der im biblischen Buch Esra geschilderte Konflikt zwischen heimkehrenden Israeliten und den zwischenzeitlich in Israel wohnhaft Gewordenen nicht gelöst und offen gelassen, ob er in absehbarer Zeit gelöst werden kann. Immerhin besteht die Möglichkeit auf Besserung: Die Menschen in Israel sind nicht besser geworden, noch nicht. Die Israeliten haben sich keinen Frieden gebracht, noch nicht. Das wiedervereinigte Land ist kein einig Volk, noch nicht. Die Grenzen sind offen geworden, aber die Herzen noch nicht. 309 siehe auch oben, Abschnitt 3.3.5, S. 127f. 133 Die Sehnsucht findet Erfüllung auf dieser Erde noch nicht.310 Das Recht der Heimkehrenden, sich niederzulassen, wird schließlich per Gesetz erzwungen: Befehl des Königs Darius: Wenn irgendjemand diesen Erlass übertritt, der den Juden erlaubt, ihren Tempel zu bauen, so soll ihm ein Balken aus seinem Hause herausgerissen und er daran aufrecht angeschlagen werden. 311 Die Erwähnung des Todes am Balken wird an dieser Stelle genutzt, um einen Sprung in eine ganz andere Ebene zu machen. Der Balken wird mit dem Kreuz gleichgesetzt, und eine Verheißung formuliert, die erst aus der Perspektive christlichen Glaubens möglich ist, der Hunderte von Jahren nach der zugrunde liegenden Bibelerzählung entstand: Eines Tages wird Gott an den Balken geschlagen. Er stirbt am Kreuz, damit Menschen leben. Eines Tages wird Gott von dem Balken rufen: „Es ist vollbracht. Nun kann Friede werden.“ 312 3.4.2 Kontrastierende Gegenüberstellung Eine zweite gern genutzte Opposition im Oratorium ist die Gegenüberstellung der biblisch-christlichen Tradition mit anderen Überlieferungen und Denkweisen. Hier zielt die Gegenüberstellung weniger auf eine Kontrastierung ab als auf das Aufspüren von Parallelen und Ähnlichkeiten. Oskar Gottlieb Blarr stellt in seinen Passions- und Osteroratorien der biblischen Passionsgeschichte jüdische Überlieferungen gegenüber. Für ihn sind seine Werke ein „klingender Beitrag zu dem, ... was hierzulande christlich-jüdischer Dialog genannt wurde und ein Umdenken in Theologie und Kirche nach sich gezogen hat.“313 Die verwendeten Bibeltexte stehen bei Blarr deswegen ausschließlich im hebräischen Original bzw. in einer hebräisch-aramäischen Rekonstruktion, die er mit zahlreichen weiteren 310 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 17 311 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 18 312 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 19 313 Oskar Gottlieb Blarr: „Wenn du auferstehst – wenn ich aufersteh’. Osteroratorium.“ Einführung im Programmheft der Uraufführung, Mannheim 3.3.1996 (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 134 Texten der jüdischen Überlieferung (wie beispielsweise das „Lied vom Lämmchen“ aus der aschkenasischen Passah-Liturgie314) verbindet. Das Konzept von Matthias und Hartwig Drude in den S TATIONEN DER P ASSION J ESU ist ähnlich. Der traditionellen biblischen Überlieferung, die – wie ein Sprecher zu Beginn des Werkes erklärt315 – die römische Macht entlasten wollte und deshalb den Juden die Schuld am Tod Jesu zuschrieb, stellen sie eine kritische Lesart entgegen, die die Ergebnisse jüdischer Forschungen stärker berücksichtigt. Matthias Drude schreibt dazu: Bei der Feier anlässlich der Weihe der Dresdner Synagoge sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel, dass der politische und rassistische Antisemitismus 1933-45 ohne den jahrhundertealten christlich motivierten Antisemitismus nicht möglich gewesen wäre.... Heute liegt der christlichen Gemeinde jeder Antisemitismus fern. Dennoch werden die Passionsberichte der Evangelien weiterhin unreflektiert gelesen und – in Motetten oder Oratorien – musiziert. Damit wird unbewusst und unabsichtlich ihre antisemitische Tendenz immer wieder erneuert. Das Passionsoratorium ... basiert vor allem auf den Erkenntnissen des israelischen Verfassungsrichters Chaim Cohn. ... Wesentliche Prämissen der Arbeit von Cohn sind nach dem heutigen Kenntnisstand nicht anfechtbar.316 Auch in Wolfgang Klebers T EFILLA ist die Gegenüberstellung von Christen- und Judentum von zentraler Bedeutung. Der Darmstädter Kantor und Organist wurde durch das Stelen-Paar „Bindung und Kreuzigung“, das der israelische Künstler Igael Tumarkin 1993 für den Platz vor der Darmstädter Pauluskirche geschaffen hatte, zur Komposition angeregt. Die beiden Stelen symbolisieren Judentum und Christentum. Dicht nebeneinander stehend blicken sie nach der für beide Religionen heiligen Stadt Jerusalem und entsprechen in dieser Ausrichtung der für den jüdischen Gottesdienst vorgeschriebenen Gebetshaltung. Dazu stellt Kleber Texte der christlichen und jüdischen Tradition einander gegenüber: Biblische Szenen, deutende Passagen von Lessing, Goethe, Lasker-Schüler, Martin Buber, Elie Wiesel, Fritz Deppert, Gedichte aus Auschwitz und weitere Quellen sind zu einem breiten Gedankenstrom um die wechselvolle Geschichte und Gegenwart der Religionen zusammengeflossen. ... An zentraler Stelle wird über das Schicksal 314 vgl. Blarr: Wenn du auferstehst – wenn ich aufersteh’, Nr. 5 Das Lied vom Lämmchen – Chad gadja 315 siehe auch oben, S. 105 316 Drude: Gedanken zur Konzeption des Passionsoratoriums „Für deine Ehre habe ich mich abgemüht“, in Drude/Drude: Für deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten (siehe auch die Angaben zur Ausgabe in Anhang 2) 135 von Isaak und Jesus simultan berichtet, ein kühner Versuch, die Gemeinsamkeiten sinnfällig zu machen.317 Die kontrastierende Gegenüberstellung von christlichen und jüdischen Traditionen dient also zwei Zielen. Zum einen soll die biblische Überlieferung in kritischem Licht gesehen und so ein neuer, geschärfter Blick auf altbekannte Geschichten geworfen werden. Zum anderen betont sie die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen und stellt somit einen Beitrag zur Versöhnung nach den schrecklichen Ereignissen der Nazizeit dar. 3.4.3 Motivische und thematische Bezüge Paradigmatische Bezüge werden vor allem beim Wechsel zwischen den verschiedenen Zeitebenen wichtig. In V ON DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR von Matthias Drude und Dietrich Mendt beispielsweise kreisen die Chöre, Choräle und Arien, die zu der Handlung hinzutreten, um die Themen Heimat und Fremdheit, Vergangenheit und Zukunft. Fragen, ob eine fremd gewordene Heimat noch oder wieder Heimat sein kann, und die Konflikte mit denen, die zwischenzeitlich in der ehemaligen Heimat heimisch geworden sind, durchziehen den Text wie ein roter Faden. Die verschiedenen Zeitebenen werden verknüpft, indem bestimmte Schlagworte und Formulierungen aufgegriffen und in einen anderen Kontext gestellt werden. Die vierte Nummer des Oratoriums beginnt mit einem Rezitativ: Befehl des Königs Kyros: Israel soll heimkehren. Nach vierzig Jahren soll Israel heimkehren und seinen alten Tempel neu errichten und neu leben im alten Land.318 Die Zeitangabe „nach vierzig Jahren“, die in der Bibel häufig sinnbildlich für eine lange Zeitdauer von mehr als einer Generation steht, bildet den Ausgangspunkt für den folgenden Chor. Dieser ist in die Handlung eingebettet, befindet sich also in der Ebene des Geschehens: Wir möchten, dass alles wieder so wird, wie einst es war. Unsre Vergangenheit soll unsre Zukunft sein.319 317 Trapp 2001, S. 394 318 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 4 319 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 4 136 Damit ist klar: der Wunsch heimzukehren ist eng verbunden mit dem Wunsch nach der Wiederherstellung gewesener Verhältnisse. In der daran anschließenden Arie einer Mutter, die sich ebenfalls noch in der Zeitebene der Handlung befindet, wird das Problematische dieser Position artikuliert. Dabei wird die Formulierung der vierzig Jahre wieder aufgegriffen, und das zentrale Begriffspaar Heimat – Fremde problematisiert: Ich habe Angst, Herr. Ich lebte mein Leben hier, Herr. Ich lebte hier vierzig Jahre. Die Fremde ist Heimat geworden, die Heimat ist Fremde.320 Später, nach der Ankunft der Israeliten in ihrer alten Heimat, als die ersten Konflikte auftreten, kommt die Mutter wieder zu Wort. Ihre Arie schlägt den Bogen von der Zeit der Handlung in die heutige Zeit, indem sie Worte wählt, die in der jüngsten deutschen Geschichte eine feste Bedeutung erlangt haben: Vierzig Jahre sind eine lange Zeit, Herr. Vierzig Jahre Fremde schaffen Fremdheit, Herr. Sind wir hier und die dort noch ein Volk, Herr, sind wir dein Volk, Herr?321 Spätestens hier zeigt sich, dass auch die vierzig Jahre kein beliebig gewählter Zeitraum sind, sondern die Autoren des Oratoriums die biblische Geschichte aus dem Buch Esra wegen ihrer zahlreichen Parallelen zur Situation im gerade wiedervereinten Deutschland ausgewählt haben. „Sind wir hier und dort noch ein Volk“ greift die 1989 populäre Losung „Wir sind ein Volk“, mit der die deutsche Wiedervereinigung gefordert wurde, auf und misst sie an der Realität. Das Sinnparadigma, das V ON DEN M ÜHEN DER H EIMKEHR zugrunde liegt, ist also die deutsche Befindlichkeit nach der Wiedervereinigung, die anhand der bereits genannten Begriffpaare Fremdheit/ Heimat, Vergangenheit/Zukunft gespiegelt wird. Durch die Variation zentraler Motive lassen sich ganze Bezugsketten herstellen. Dies lässt sich gut an Marcel Rubins A UFERSTEHUNG demonstrieren, das dem klassischen DreiEbenen-Typus nachempfunden ist.322 Der Bericht aus Matthäus 28 wird in regelmäßigen Abständen von einer Arie unterbrochen, die ein Motiv des Bibeltextes aufgreift und eine subjektive Reflexion darauf gibt. In den meisten Fällen folgt auf die Arie ein Chor, der wiederum die Aussage der Arie weiterspinnt. Beispielsweise fordert eine Arie auf die 320 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 5 321 Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr, Nr. 13 322 Die Anlehnung an den Drei-Ebenen-Typus erfolgt vor allem über die Abfolge von Rezitativ, Arie und Choral, weniger anhand der Textgestaltung. Siehe hierzu auch Abschnitt 3.3.2, S. 121 137 Nachricht des Engels am Grabe mit Worten des Angelus Silesius dazu auf, Christus zuerst in sich selbst zu suchen, und schließt: „Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht; wer es nicht selber wird, der sieht ihn ewig nicht.“323 An das Motiv des Lichts knüpft der darauf folgende Chor an. Erst spricht er von der Klarheit des Wassers – als Symbol für die Lehre Gottes –, und schließt dann direkt an die Formulierung der Arie an mit „Dass dir im Sonnenschein vergehet das Gesicht,/sind deine Augen schuld und nicht das große Licht.“324 Die nächste Unterbrechung der Handlung läuft ähnlich ab. Die Worte Jesu „Gehet hin und verkündiget es meinen Brüdern, dass sie gehen in Galiläa, daselbst werden sie mich sehen“325 empfindet das lyrische Ich der Arie als Angebot, sogar Geschenk: „Gott ist so gut auf uns, dass ich's nicht sagen kann; begehr'n wir ihn gleich nicht, er biet't sich selber an“.326 Mit der Aufforderung, ganz in Gott aufzugehen, fährt die Arie fort: „Wer Gott recht finden will, muss sich zuvor verlier'n und bis in Ewigkeit nicht wieder sehn noch spür'n. Wenn du nicht Mensch mehr bist und dich verleugnet hast, so ist Gott selber Mensch und träget deine Last.“327 Der Chor wiederum greift diesen Gedanken des In-Gott-Aufgehens mit den Worten „Das Reich Gottes ist in uns“ 328 auf. Solche paradigmatischen Bezüge zwischen den einzelnen Ebenen sind wichtig für den inneren Zusammenhalt des Textes. Sie bauen dem Leser/Zuhörer die Brücken für den Wechsel von einer Ebene zur anderen und bewirken, dass auch Oratorien mit stark voneinander abgehobenen Ebenen nicht als lose Sammlung von Texten, sondern als in sich geschlossenes Werk rezipiert werden. Wo das Libretto aus Texten verschiedener Quellen montiert ist, bewirkt die geschickte Kombination unter Ausnutzung des motivischen Materials gar die Einheit des Textes. 3.4.4 Hinweise im Nebentext Vielfach nutzt das Oratorium den Nebentext, um thematische Bezüge deutlich zu machen. Während im Opernlibretto der Nebentext vor allem der Inszenierung dient, bildet er im Oratorium einen Subtext, der sich nur dem Leser des Librettos, nicht aber 323 Rubin: Auferstehung, Nr. 7 324 Rubin: Auferstehung, Nr. 8 325 Rubin: Auferstehung, Nr. 9, nach Matthäus 28, 10 326 Rubin: Auferstehung, Nr. 10 327 Rubin: Auferstehung, Nr. 10 328 Rubin: Auferstehung, Nr. 11 138 dem Hörer erschließt. Offensichtlich gehen Oratorienlibrettisten davon aus, dass der Oratorientext zumindest ergänzend auch in seiner schriftlichen Form rezipiert, also zum Beispiel im Programmheft oder CD-Booklet abgedruckt wird. In Kapitel 2 hatten wir bereits etliche Werke behandelt, in denen eine Gliederung mit Hilfe von Zwischenüberschriften vorgenommen wurde. In Karl Schiskes V OM T ODE sind die verschiedenen Nummern unter den vier Jahreszeiten gruppiert; Anton Vögele teilt seine P ASSION in verschiedene „Bilder“ wie Stationen eines Kreuzwegs ein; César Bresgen gliedert D E TEMPORE in „Prolog“, „Von der Unruhe des Menschen“, „Von der Ordnung der Zeit“, „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ und „Epilog“. Eine Durchsicht der vorliegenden Libretti zeigt, dass etwa die Hälfte eine solche explizit im Text vorgenommene Gliederung aufweist. Diese macht sich dem Leser in der Regel direkt durch textliche und typografische Mittel wie die Verwendung von Überschriftsformaten, Abständen und Trennzeichen kenntlich. Die im Text verborgenen paradigmatischen Bezüge werden durch solche Gliederungen offen gelegt und verstärkt. In berichtenden Oratorien dienen Zwischenüberschriften in der Regel dazu, den Beginn einer neuen Episode zu markieren und dadurch den Text in Abschnitte zu unterteilen. Dagegen haben Zwischenüberschriften in Oratorien der dialogischen Strukturtypen eher die Funktion einer inhaltlichen Klammer, die den Zusammenhalt einzelner Abschnitte bewirkt. Gleichzeitig entsteht durch die Zwischenüberschriften häufig eine innere Systematik und Dynamik, die den Mangel an Handlung kompensiert. Dieses Verfahren wendet beispielsweise Karl Schiske in V OM T ODE an, das er nach den Jahreszeiten, die mit den Lebensaltern gleichgesetzt werden, in die Abschnitte „Frühling“, „Sommer“, „Herbst“ und „Winter“ gliedert sowie mit einem „Prolog“ und einem „Epilog“ versieht. Als Oratorium des Strukturtyps Befragung weist es keinerlei Handlung auf; das Voranschreiten im Leben bzw. im Jahr wird weitgehend durch diese Zwischenüberschriften vermittelt. Zu diesem dynamischen Element bildet der Schlüsseltext, Rilkes „O Herr, gib jedem seinen eignen Tod“, das am Ende jedes Abschnitts wiederholt wird, ein statisches Gegenstück, eine Art Ostinato. Auf ähnliche Weise bringt Joseph Haas Dynamik in sein Oratorium D IE S ELIGEN , das sich mit der Bergpredigt beschäftigt. Hier folgt die Handlung in den einzelnen Abschnitten stets dem selben Muster. „Die Kinder der Welt“ beklagen den Zustand der Welt und zweifeln an Gott; „der Rufer in der Wüste“ mahnt zur Umkehr; „das Gewissen“‘ und „die Seligen“ bewirken schließlich die Erkenntnis der Gottesbotschaft und Hinwendung zum 139 Glauben.329 Das Oratorium hat demzufolge eine weitgehend zirkuläre Struktur. Die einzelnen Abschnitte jedoch sind benannt nach den in der Bergpredigt Angesprochenen. Sie behandeln, in der Reihenfolge der Bergpredigt, „Die Armen im Geiste“, „Die Trauernden“, „Die Sanftmütigen“, „Die Hungernden und Dürstenden“, „Die Barmherzigen“, „Die Reinen“, „Die Friedfertigen“ und „Die Verfolgten“; wie bei Schiske umrahmt von Prolog und Epilog, die Thema und moralische Lehre des Oratoriums verkünden. Das Libretto folgt dabei dem Spannungsaufbau seines Prätextes, der sich von „Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden“330 bis zu „Selig, die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich“331 stetig steigert. Wo die Überschriften mit musikalischen Nummern (gekennzeichnet durch Pause und Besetzungswechsel) zusammenfallen, bietet die Überschrift einen wichtigen – und oft den einzigen – Hinweis zur Einordnung in den Kontext. So ist z. B. in Oskar Gottlieb Blarrs W ENN DU AUFERSTEHST - WENN ICH AUFERSTEH ’ die Klage der Maria Magdalena, die sich aus Ausschnitten von Gedichten von Giuseppe Ungaretti und Paul Celan, Psalm 104 und dem Buch Jona zusammensetzt, ohne die Überschrift „Maria Magdalena am Grab“ (Nr. 7), kaum als solche zu identifizieren und einzuordnen, ebenso wenig wie die daran anschließenden Bibelzitate als „Die Stimme Jesu“ (Nr. 8). Zwischenüberschriften fügen folglich dem Libretto weitere paradigmatische Bezugsstrukturen hinzu, die für das Verständnis des Textes eine wichtige Rolle spielen können. Angesichts der Tatsache, dass eine simultane Rezeption von gesungenem Text in der Aufführung und gedrucktem Text im Programmheft seitens der Komponisten332 offenbar vorausgesetzt wird, zeigt sich erneut, dass der Textvermittlung im Oratorium eine stärkere Bedeutung zukommt als in der Oper. 329 vgl. auch S. 131 und S. 127f. 330 Matthäus 5, 4 331 Matthäus 5, 10 332 Gespräche mit Komponisten ebenso wie mit Ausführenden bzw. für Aufführungen Verantwortliche (Dirigenten, Kantoren) bestätigen diese These. Bei einem Vortrag von Oskar Gottlieb Blarr zur seiner Jesus-Passion (am 16.3.2005 in Heidelberg) beispielsweise wurden Programmhefte von zwei verschiedenen Aufführungen der Jesus-Passion gezeigt (siehe Angaben im Anhang 2). Das Programmheft der Düsseldorfer Aufführung verzeichnet den hebräischen Text in Umschrift zum Mitlesen sowie die deutsche Übersetzung. Das Heidelberger Programmheft hingegen druckt den hebräischen Text im Original, in hebräischer Schrift, um, so die Aussage des Kantors Christoph A. Schäfer, zu vermeiden, dass die Besucher der Aufführung ständig den Text mitverfolgen und sich nicht mehr auf die Musik konzentrieren. Der deutsche Text ist jedoch auch enthalten; d.h. allein auf die Aussagekraft der Musik will man sich doch nicht verlassen. 140 3.5 F AZIT : D IE STRUKTURELLE F ORTSETZUNG DER G ATTUNGSTRADITION In den letzten Abschnitten wurde deutlich, dass die spezifische Ebenenstruktur des Oratoriums seine besondere Erzählweise konstituiert, die durch die Dominanz paradigmatischer gegenüber syntagmatischen Bezügen noch gestärkt wird. Anhand der strukturprägenden Präsenz syntagmatischer Bezüge bzw. einer Handlungsebene lassen sich zwei prototypische Strukturformen bestimmen: die berichtenden Oratorienformen auf der einen, die dialogischen auf der anderen Seite. Die Übersichten in Tabelle 7 und 8 zeigen, dass dabei über die Hälfte der Oratorien dem Strukturtyp Kommentierter Bericht zugeordnet werden kann; der Reine Bericht ist mit 3 % vernachlässigbar selten vertreten. Oratorien der Strukturformen Dialog und Befragung sind gleich häufig und machen zusammen einen Anteil von 30 % aus. Doch nicht nur die berichtenden Strukturformen, auch die dialogischen sind keine Erfindung der Moderne, sondern haben ihre historischen Vorbilder und stehen folglich in untrennbarem Zusammenhang mit der Gattungstradition. Wir hatten bereits weiter oben333 gesehen, dass sich der Kommentierte Bericht auf die so genannte Drei-Ebenen-Dramaturgie zurückführen lässt, die sich als typische Form des Oratoriums im Barock ausprägte und Anfang des 19. Jahrhunderts Vorbildcharakter erlangte. Die Gattungstradition lebt also im Kommentierten Bericht des 20. Jahrhunderts fort. Allerdings begegnet sie uns meist in modifizierter Form. Die verschiedenen Ebenen sind weniger eindeutig musikalischen Formen zugeordnet als in den Vorbildern früherer Epochen; auch die Abfolge der Ebenen und der musikalischen Formen variiert stärker. Im Reinen Bericht und im Eingerahmten Strukturform Anzahl % Reiner Bericht 2 3% 38 51 % 5 7% Dialog 11 15 % Befragung 11 15 % Mischformen 4 5% hatten, wie beispielsweise die Historie nach nicht zugeordnet 3 4% dem Vorbild Heinrich Schütz’ und seiner 74 100 % Kommentierter Bericht Eingerahmter Bericht Summe Tabelle 7: Häufigkeit der Strukturtypen Bericht machen sich Einflüsse anderer älterer musikalischer Gattungen bemerkbar, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine verstärkte Rezeption erfahren Zeitgenossen. Bei zahlreichen Werken, die nicht die Gattungsbezeichnung Oratorium tragen, mögen Hugo Distler oder Kurt Thomas Pate gestanden haben. Sie erinnern oft an 333 vgl. Abschnitt 3.3.2, S. 120ff. 141 noch ältere Gattungen: Richard Rudolf Kleins „Sinfoniae sacrae“ A CH MICH und D AS ERFUHR ICH UNTER ARGE W ELT , DU TRÜGEST M ENSCHEN sowie D AS V OLK , DAS IM F INSTERN WANDELT , Karl Michael Kommas M ATTHÄUSPASSION , Ernst Peppings Evangelienmotette D AS W ELTGERICHT sowie die Acappella-Vertonungen der W EIHNACHTSGESCHICHTE DES L UKAS und des P ASSIONSBERICHT DES M ATTHÄUS , Günther Bialas’ Schöpfungsgeschichte I M A NFANG , Kurt Fiebigs „Chorpassion“ E IN L AMM GEHT HIN und viele andere. Die Grenzen zum Oratorium sind sicherlich in vielen Fällen willkürlich und unscharf – hier unterscheidet sich die Gattungsgeschichte nicht von der früherer Zeiten. Es scheint jedoch so, als beschränkten sich diese vom Komponisten nicht als Oratorium bezeichneten Chorwerke häufiger auf den reinen Bibeltext. Insofern ist der seltene Oratorientyp Reiner Bericht als Ausnahmeform zu sehen, die dem Einfluss dieser benachbarten Gattungen geschuldet ist. Während der Kommentierte Bericht auf das groß angelegte episch-dramatische Oratorium des Barock zurückzuführen ist, macht sich in der Befragung der in der Romantik maßgeblichere Einfluss des empfindsam-kontemplativen Oratoriums bemerkbar. Dieses entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch die Rezeption Klopstocks und erhielt mit Händels M ESSIAS ein Musterbeispiel, auf das sich viele spätere Komponisten beriefen. In Oratorien wie Karl Schiskes V OM T ODE oder auch Cesar Bresgens D E TEMPORE , die eine Gliederung nach Jahres- bzw. Tageszeiten vornehmen, ist darüber hinaus ein deutlicher Einfluss von Werken wie Telemanns T AGESZEITEN oder Haydns J AHRESZEITEN zu erkennen. Der Strukturtyp Dialog ist vor diesem Hintergrund als Variante der Befragung anzusehen, in der die blockartige Abfolge der Perspektiven durchbrochen wird zugunsten einer höheren gegenseitigen Durchdringung. Damit können der Kommentierte Bericht und die Befragung als die zwei prototypischen Strukturvarianten des Oratorienlibrettos gelten, in denen die beiden wichtigsten historischen Gattungsausprägungen ihre Fortsetzung finden. Dieses Wieder-Anknüpfen an zeitlich diskontinuierliche Traditionsstränge ist ein typisches Resultat der eingangs beschriebenen, musikgeschichtlich neuartigen Situation des 20. Jahrhunderts.334 Die überproportionale Präsenz der „Klassiker“ in Konzertleben und akustischen Medien führt dazu, dass das kompositorische Schaffen sich nicht nur innerhalb der zeitgenössischen Produktion zu positionieren sucht, sondern auch die Auseinandersetzung mit einer weit zurückreichenden Gattungsgeschichte aufnimmt. Gleichzeitig bestätigt sich damit die Vermutung, dass die Wahl einer bestimmten Gattung, insbesondere die 334 vgl. Abschnitt 1.1.2 142 Wahl der Gattung Oratorium, Zeichen einer erhöhte Bereitschaft ist, sich in kritischproduktiven Zusammenhang mit der Tradition zu stellen. BERICHTENDE FORMEN Reiner Bericht Driessler/Brix: Gaudia mundana Stockmeier: Jefta Gerahmter Bericht Driessler: De profundis Driessler: Dein Reich komme Driessler: Der Lebendige Ebenhöh: Virata Stockmeier: Jona Kommentierter Bericht Becker: Magnum Mysterium Bloch: Passio Domini Blume/Eckert: Hiob Büsing: Das Licht der Engel Dinescu: Pfingstoratorium Drude/Drude: Passion Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr Drude/Mendt: Weihnachtsoratorium Eder/Vogg: Non sum qualis eram Fietz/Jourdan: David Fietz/Jourdan: Paulus I Fietz/Jourdan: Paulus II Fietz/Jourdan: Petrus Frederichs: Hiob Frederichs: Maria Magdalena Frieberger: Mysterium Crucis Haller: Hiob Heiller/Krieg: Francois Villon Heilmann: Sündenfall Heilmann/Lipp: Von der Weisheit Gottes Henze/Schnabel: Floß der Medusa Hummel/Scheele: Schrein der Märtyrer Jost/Nitsch: Ewigkeit fällt in die Zeit Kelterborn: Die Flut Koerppen: Feuer des Prometheus Kratochwil/Schweiger: Erschaffung der Welt Krenek: Opus sine nomine Linßen: Die Spur von morgen Rubin: Auferstehung Rubin: Licht über Damaskus Schedl/Böcs: Großinquisitor Schwenk: Dies septimus Stockmeier: Jesus Tamás/Storz: Noahs Tochter Uhl/Liess: Gilgamesch Vögele: Passion Wunderlich: Maranatha DIALOGISCHE FORMEN Dialog David: Lied des Menschen Ebenhöh/Vogg: Von der Hoffnung Fietz/Jourdan: Johannes Frederichs: Petrus Haas/Schuster: Die Seligen Katzer/Wolf/Wolf: Medea in Korinth Kubizek/Vogg: Stationen Lonquich/Spaemann: Johann von Nepomuk Lonquich/Lüchtefeld: Auf dem Rande der Mauer Ruoff: Bergpredigt Vogel/Vogg: Allezeit Befragung Barbe: 1648 Blarr: Wenn du auferstehst - wenn ich aufersteh' Bresgen: De tempore Johnson: Bonhoeffer-Oratorium Klebe: Warum hat die Sonne... Klebe: Weihnachtsoratorium Meyer/Engelsberger: Schöpfung Schiske: Vom Tode Schlee/Deutsch: Baum des Heils Wagner: Hiob Zemzaris: O virga ac diadema MISCHFORMEN Bubmann/Töllner: Thomas der Zweifler Kukuck/Johannsen: Ecce homo Tabelle 8: Strukturformen Rapf: Passio aeterna Stockmeier: Historien 143 ZUSAMMENFASSUNG: MERKMALE DES ORATORIUMS NACH 1945 Eingangs wurde das Ziel dieser Arbeit formuliert: das Oratorienlibretto als literarische Gattung des 20. Jahrhunderts in seiner historischen Ausprägung zu erfassen und seine Charakteristika zu beschreiben. Um dies zu erreichen, erfolgte eine Analyse der nachweisbaren Werke einerseits unter inhaltlich-stofflichen, andererseits unter formalstrukturellen Gesichtspunkten. Dabei ließ sich folgendes feststellen: 1. Entgegen der vielbeschworenen Tendenz zur Verweltlichung, zum AllgemeinWeltanschaulichen erweist sich das Oratorium auch im 20. Jahrhundert als eine Gattung, die sich in überwiegend biblischen und religiösen Kontexten bewegt. Zwar liegt nicht allen Oratorien ein Sujet der biblischen oder außerbiblischen christlichjüdischen Überlieferung zugrunde; Zitate oder Anspielungen auf die Bibel finden sich jedoch in fast allen Werken. 2. Sein Umgang mit der Bibel und mit anderen Textquellen ist charakteristisch für das Oratorienlibretto. Indem einzelne Sätze oder längere Abschnitte aus fremden Prätexten, häufig aus der Bibel, wörtlich übernommen und in neue Zusammenhänge montiert werden, entwickelt sich die für das Oratorium typische Erzählweise, die 144 zwischen paraphrasierenden und aktualisierenden Abschnitten, berichtenden und kommentierenden Passagen in mehr oder weniger schneller Folge abwechselt.335 3. Die seit der Romantik übliche Dichotomie zwischen „weltlichem“ und „geistlichem“ Oratorium lässt sich für das 20. Jahrhundert nicht bestätigen. Ein geeigneteres Differenzierungskriterium scheint weniger der gewählte Stoff als vielmehr der Umgang mit diesem zu sein: Auf der einen Seite stehen Oratorien, die die Botschaft des Prätextes in missionarischer Absicht bekräftigen; auf der andern Seite nähern sich etliche Werke kritisch-diskursiv den verwendeten Quellen. 4. Allen Oratorien zu eigen ist ein gewisser appellativer Charakter. Themen wie die Sinnhaftigkeit des menschlichen Lebens, richtige Lebensführung und die Suche nach dem Guten ziehen sich wie ein roter Faden durch die zeitgenössische Oratorienproduktion. Der Anspruch, moralische Richtlinien für das eigene Leben zu vermitteln, ist unübersehbar. Damit ließe sich eine Abgrenzung zur Nachbargattung Oper vornehmen: die Oper entwickelt sich um eine Geschichte, eine Handlung herum, das Oratorium um eine Botschaft. Um diese These zu erhärten, wären allerdings weitere Untersuchungen, insbesondere der Opernlibretti des betrachteten Zeitraums, vonnöten. 5. Auch die Zeitstruktur des Oratoriums unterscheidet sich von der der Oper. Epische Textanteile ermöglichen es, Handlung zusammenfassend zu berichten und Zeitsprünge gar nicht erst entstehen zu lassen. Durch den Verzicht auf szenische Darstellbarkeit erhalten handlungsarme Reflexionen und Kommentare größeren Raum. Dies führt im Extremfall zum vollkommen handlungsfreien, vollständig thematisch orientierten Oratorium. 6. Aus der Abfolge von berichtenden und kommentierenden Passagen konstituiert sich die gattungstypische Ebenenstruktur. In dieser Ebenenstruktur liegt die eigentliche „Dialogizität“ des Oratoriums, die sich in Besetzungswechseln zeigen kann, jedoch nicht darin erschöpft. Die insgesamt fünf Strukturformen lassen sich auf zwei Prototypen zurückführen, in denen sich die Gattungstradition fortgesetzt sieht. Der Typus des Kommentierten Berichts geht zurück auf das klassische Drei-Ebenen-Modell mit episch-dramatischem Bericht in den Rezitativen, lyrischer Gefühlsäußerung in den Arien, und kommentierender Reflexion in den Chorälen. Es entwickelt seine Botschaft um eine zumindest fragmentarisch im Text präsente Handlung. Dem gegenüber steht der Typus des Dialogs, der sich auf das lyrisch-empfindsame Oratorium der Klassik 335 vgl. Kapitel 2.5, S. 93ff. 145 und Romantik zurückführen lässt. Im Dialog tritt die Handlung vollständig hinter die Kommentarebenen zurück. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse lassen sich die eingangs zitierten Definitionen des Oratoriums336 folgendermaßen präzisieren: Das Oratorium als literarische Gattung nach 1945 ist ein mit Hinblick auf eine Vertonung verfasster dialogischer Text, der eine weltanschaulich geprägte, in der Regel christlichreligiöse Botschaft vermittelt. Zu einer episch-dramatisch gestalteten Handlung (die auch stark reduziert sein oder sogar entfallen kann) treten mehrere zeitlich von einander unabhängige Kommentarebenen, die unterschiedliche Perspektiven und Erzählhaltungen einnehmen. Charakteristisch für das Oratorienlibretto ist ferner ein hohes Maß an intertextuellen Verfahren, die von einzelnen Anspielungen bis hin zur Übernahme vollständiger Prätexte reichen können. Inwieweit diese Definition eine bessere Trennschärfe zu benachbarten Gattungen, wie insbesondere der Oper und der Kantate, bietet als frühere Definitionsversuche, kann hier nicht vollständig geklärt werden. Notwendig wären dazu ausführliche Untersuchungen dieser Nachbargattungen ähnlich der vorliegenden Arbeit. Als Ausblick sollen an dieser Stelle lediglich einige Thesen formuliert werden. Mögliche Abgrenzungen zur Oper anhand inhaltlicher und struktureller Merkmale deuteten sich bereits an. Zum einen stellt die Oper eine Handlung ins Zentrum, das Oratorium dagegen eine Botschaft. Auch strukturell lassen sich Unterschiede finden. Vor allem ist zu vermuten, dass die Ebenenstruktur in der Oper deutlich schwächer ausgeprägt ist. Zwar entstanden insbesondere unter dem Einfluss des epischen Theaters im neuen Musiktheater Werke mit aus der Handlung herausgelösten Chören oder Sprecherfiguren, doch dürften solche Konstruktionen nach wie vor eher die Ausnahme darstellen. Und schließlich schlägt sich die szenische Realisierbarkeit der Oper deutlich im Nebentext in Form von Regieanweisungen etc. nieder, wohingegen der Nebentext im Oratorium eher der Verstärkung paradigmatischer Strukturen dient. Schwieriger dürfte sich die Abgrenzung zur Kantate gestalten. Zum einen ist die Kantate in ihren Erscheinungsformen im 20. Jahrhundert sehr viel heterogener als das Oratorium. Wulf Konold beschränkt sich daher in seiner Arbeit über die weltlichen Kantaten im 20. Jahrhundert337 darauf, eine „funktionale Typologie“ zu erstellen, die im Wesentlichen aus einer Einteilung anhand des Kompositionsanlasses besteht. Die Länge des 336 vgl. Abschnitt 1.1.3, S. 20ff. 337 Konold 1975 146 Textes und die Aufführungsdauer helfen bei der Abgrenzung wenig: es gibt sowohl sehr kurze Oratorien wie auch sehr lange Kantaten. Da die Kantate sich historisch aus einem Sologesangsstück entwickelte, ist jedoch auch hier vermutlich die Ebenenstruktur schwächer ausgeprägt oder reduziert. Hinzu kommt, dass die Kantate deutlich mehr von einem bestimmten Choral geprägt ist, der sich als roter Faden durch das Werk zieht. Auch dies kann Auswirkungen auf den Text haben: beispielsweise endet jede der über 200 Kantaten Johann Sebastian Bachs mit einer Choralstrophe.338 Inwiefern sich vergleichbare und allgemein gültige Aussagen für das 20. Jahrhundert treffen lassen, bleibt zu prüfen. Abschließend bleibt zweierlei festzustellen. Zum einen hat sich gezeigt, dass die Annäherung an die Gattung Oratorium über den Text nicht nur möglich, sondern sogar überaus aufschlussreich ist. Insbesondere ließ sich – entgegen der gängigen musikwissenschaftlichen Meinung – die Gattungsdefinition zumindest für innerhalb der gewählten Epoche unter Berücksichtigung textlicher Merkmale erheblich präzisieren. Zum anderen wurde deutlich: Die alte Gattung Oratorium hat im 20. Jahrhundert keineswegs das Zeitliche gesegnet. Sie erfreut sich zwar keiner modischen Beliebtheit, bietet jedoch offensichtlich kontinuierlich eine konzeptionelle wie kompositorische Herausforderung für Autoren und Komponisten verschiedenster Stilrichtungen. Vielleicht mag sich ja der eine oder andere durch die Aufstellung im Anhang ermutigt fühlen, selbst eine Entdeckungsreise in die Welt dieser nahezu unsichtbaren, aber überaus vitalen Gattung zu unternehmen. 338 vgl. Artikel „Kantate“ in Dahlhaus/Eggebrecht 1989, S. 274 147 148 ANHÄNGE 149 V ERZEICHNIS DER O RATORIEN 1945 - 2003 Im Folgenden sind alle seit 1945 entstandenen Oratorien aufgeführt, die mir bis Ende des Jahres 2003 bekannt waren. Dazu wurden Verlagsverzeichnisse, Bibliothekskataloge, einschlägige Datenbanken sowie Datenbanken der GEMA339 sowie des deutschen Musikinformationszentrums MIZ340 und seines österreichischen Pendants MICA341 konsultiert. Auch Nennungen in den Uraufführungs-Ankündigungen der Zeitschrift „Musik und Kirche“ und des Deutschen Komponistenverbands342 sowie in Werkverzeichnissen und auf Internet-Seiten von Komponisten und Librettisten wurden berücksichtigt. Nicht aufgenommen wurden jedoch so genannte „Oratorien“, bei denen ich keine zuverlässige Quelle für die Gattungsbezeichnung nachweisen konnte, die also nur in Rezensionen oder der Sekundärliteratur mit dieser Gattungsbezeichnung erscheinen. Die Aufstellung für die Jahre 1945 bis 2000 dürfte weitgehend erschöpfend sein, wenn auch sicherlich dennoch nicht vollständig. Für die Zeit nach 2000 habe ich nicht mehr systematisch gesucht. „Zufallsfunde“ späterer Jahre sind dennoch mit aufgeführt; sie mögen als Anregung für weitere Recherchen dienen. 339 www.gema.de 340 www.miz.org 341 www.mica.at 342 vgl. Bruchhäuser 1995 sowie www.komponistenlexikon.de 150 Alphabetisch nach Komponisten Der erste Name nennt den Komponisten, die folgenden in der Regel den oder die Librettisten. Einzig bei einigen Rock-/Pop-Oratorien war eine genauere Zuordnung nicht möglich. Wenn nur ein Name genannt ist, stammt das Libretto vom Komponisten bzw. es ist kein Librettist bekannt. Bei den Ausgaben werden sowohl käuflich als auch als Leihmaterial erhältliche Notenausgaben sowie Tonträger angeführt. Wenn keine Ausgaben zur Verfügung standen, wird auf Standorte von Manuskripten oder Programmhefte von Aufführungen verwiesen. Die für die vorliegende Arbeit jeweils hauptsächlich benutzte und zitierte Ausgabe ist mit einem Asterisk gekennzeichnet. Agnesens, Udo; Dischereit, Esther: Christof Dohm Oratorium (Episches Lied) Uraufführung: 1994 Quelle: www.komponistenlexikon.de Aufenanger, Friedhelm; Langen, Peter; Schmidt, Matthias: Elias - Homo Psychoticus Oratorium in 3 Akten Uraufführung: 10.5.1998, Bonn Quelle: GEMA Barbe, Helmut: 1648 Kammeroratorium Entstehung: 1997/98 Ausgaben: * Barbe, Helmut: 1648. Kammeroratorium für Bariton, 2 gem. Chöre und Instrumente 1997/98. Partitur München (Strube) o. J. (= VS 1748) Baumann, Max: Lucas-Cranach-Oratorium Entstehung: 1972 Quelle: www.komponistenlexikon.de Baumann, Max: Passion Oratorium Uraufführung: 1980, Berlin Quelle: www.komponistenlexikon.de Baumann, Max Georg: Auferstehung Oratorium, op. 94 Uraufführung: 1980, Berlin (Dt. Katholikentag) 151 Ausgaben: Baumann, Max Georg: Auferstehung. Oratorium für Soli (Sopran, Bariton, Bass), Sprecher, Sprecherin, gem. Chor und großes Orchester op. 94, Libretto vom Komponisten nach Texten der Heiligen Schrift und der Liturgie. Ms: Berlin, Staatsbibliothek Becerra-Schmidt, Gustavo: Carl von Ossietzky-Oratorium Entstehung: 1983 Quelle: www.oldenburg.de/kulturdatenbank/data/kdb.75.html Becker, Günther: Magnum Mysterium – Zeugenaussagen zur Auferstehung Oratorische Szenen Uraufführung: 4.5.1980, Düsseldorf Ausgaben: Becker, Günther: Magnum Mysterium – Zeugenaussagen zur Auferstehung. Oratorische Szenen (1979/80). Aufführungsmaterial Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) 1980 * Becker, Günther: Magnum Mysterium – Zeugenaussagen zur Auferstehung für Sprecher, Chor, Favoritchor, Orgel, Holz- und Blechbläser, Schlagzeug und Tonband. Programmheft der Uraufführung, 4. Mai 1980, Johanneskirche Düsseldorf, Leitung: Oskar Gottlieb Blarr Berlipp, Friedel: Golgatha Rock-Oratorium Uraufführung: 1974, Volmarstein Quelle: www.komponistenlexikon.de Bertram, Hans Georg: Der reiche Mann und der arme Lazarus Oratorium Uraufführung: 25.6.1971, Lich Ausgaben: Bertram, Hans Georg: Der reiche Mann und der arme Lazarus. Oratorium für Solostimmen, Soloinstrumente, Chor und Orchester. Partitur München (Strube) 2003 (= VS 1806) Bertram, Hans Georg: Ich sage: jetzt! Oratorium Entstehung: 2001 Uraufführung: 28.9.2002, Ellwangen Ausgaben: * Bertram, Hans Georg: „Ich sage: Jetzt“. Oratorium für Sprechstimmen und Orgel nach dem Brief des Paulus an die Römer in der Übersetzung von Walter Jens. Teilweise Wiedergabe eines Konzerts vom 23. November 2002 in der Evangelischen Stadtkirche Esslingen, gesendet am 28.6.2003 in SWR2 152 Bieler, Helmut: Der Ackermann aus Böhmen Oratorium nach J. v. Tepl Uraufführung: 1977, Bad Hersfeld Quelle: www.komponistenlexikon.de Bitsch, Jutta; Walter, Silja: Kugel im Licht Oratorium zu Ehren des Heiligen Benedikt Entstehung: 1998/1999 Uraufführung: 25.5.2002, Mainz Ausgaben: Bitsch, Jutta: Kugel im Licht. Oratorium zu Ehren des heiligen Benedikt (1998/99) für Sprecher, Chor, Kammerensemble und Schlagwerk; Auftragswerk des Kulturministeriums Rheinland-Pfalz. Partitur o. O. 1999 Bitsch, Jutta; Wellerdiek, Gisbert: Sr. Maria Euthymia Ein Oratorium in 6 Teilen Uraufführung: 1.11.2001, Münster Quelle: www.bistum-muenster.de Blarr, Oskar Gottlieb: Wenn du auferstehst – wenn ich aufersteh’ Osteroratorium Uraufführung: 3.3.1996, Mannheim Ausgaben: * Blarr, Oskar Gottlieb: „Wenn du auferstehst – wenn ich aufersteh’“. OsterOratorium. Kompositionsauftrag zum 50-jährigen Bestehen der Geistlichen Woche Mannheim. Für Soli (Sopran, Alt, Tenor, Bariton und Bass), gemischten Chor, Kinderchor und Orchestergruppen auf Texte der hebräischen Bibel und des Neuen Testaments sowie Texten von Ingeborg Bachmann, Rose Ausländer, Ludo Laagland, Giuseppe Ungaretti und Attila József. Programmheft der Uraufführung am 3. März 1996, Christuskirche Mannheim, Leitung: Hermann Schäffer Blarr, Oskar Gottlieb: Wenn du auferstehst, wenn ich aufersteh’: Oster-Oratorium. CD-Aufnahme Hamburg (Polygram) 1998 Bloch, Waldemar: Passio Domini Oratorium Entstehung: 1967 Uraufführung: 3.3.1968, Graz Ausgaben: Bloch, Waldemar: Passio Domini. Oratorium für Soli (Alt, Tenor, Bariton), gemischten Chor und Chor (Text vom Komponisten nach der Hl. Schrift). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 46 012) * Bloch, Waldemar: Passio Domini. Oratorium für Soli, Chor und Orchester. Programmheft der Uraufführung am 3. März 1968, Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Graz 153 Blum, Robert: Erzengel Michael Oratorium Entstehung: 1961 Ausgaben: Blum, Robert: Erzengel Michael: Oratorium für Soli, Chor, Orchester und Orgel, komponiert von Robert Blum. Partitur Bellikon (Selbstverlag) 1962 Blum, Robert: Der Tod des Agamemnon Episches Oratorium Entstehung: 1965 Ausgaben: Blum, Robert: Der Tod des Agamemnon. Episches Oratorium für Soli, Männerchor und Orchester; Text und Musik von Robert Blum. Autographe Reinschrift der Partitur vom 3. Mai 1971, Zentralbibliothek Zürich Blume, Jürgen; Eckert, Eugen: Hiob – Vom Leiden guter Menschen Oratorium in drei Akten Uraufführung: 17.11.1993, Offenbach/Main Ausgaben: * Hiob – Vom Leiden guter Menschen. Oratorium in drei Akten, Text: Eugen Eckert nach dem Buch Hiob, Musik: Jürgen Blume. Ms. (zur Verfügung gestellt vom Komponisten) Blume, Jürgen: Hiob (Vom Leiden guter Menschen). Oratorium in drei Akten für Solo, Chor und Streicher und Schlagwerk. Text: Eugen Eckert. Partitur München (Strube) 2000 (= VS 1359) Bonitz, Matthias: Oratorium Evangelium Quelle: Internet-Seite Matthias Bonitz, home.t-online.de/home/matthias.bonitz/ Bonitz, Matthias; Uhlenbrock, Martin Pater OSB: Oratorium Benedictinum Uraufführung: 1995 Quelle: Internet-Seite Matthias Bonitz, http://home.t-online.de/home/matthias.bonitz/ Bresgen, César: De tempore Oratorium nach Worten des Aurelius Augustinus Entstehung: 1973 Uraufführung: 1974, Salzburg Ausgaben: Bresgen, César: De Tempore. Oratorium nach Worten des Aurelius Augustinus für Soli (Sopran, Tenor, Bariton), gem. Chor, mehrere Sprecher und Orchester (1972/73). Aufführungsmaterial Wien (Doblinger) o. J. 154 * Bresgen, César: De tempore. Oratorium nach Texten des Aurelius Augustinus. Kopie eines nicht näher bestimmbaren Programmhefts, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Bresgen, César: Lumen (Der Blinde) Oratorium Entstehung: 1985 Ausgaben: Bresgen, Cesar: Lumen. Oratorium vom Blinden nach dem Leben von Jacques Lusseyrand für Sopran und Tenor solo, Sprecher, gem. Chor, Orgel und Kammerorchester (1984/85). Bad Schwalbach (Gravis) o. J. (= EG 157) Brezger, Gottfried; Finke, Christian; Holm, Thomas: Paulus in Korinth Oratorium Uraufführung: 6.11.1999, Dreifaltigkeitskirche Berlin-Lankwitz Ausgaben: * Paulus in Korinth. Ein Oratorium von Gottfried Brezger, Christian Finke, Thomas Holm. Programmheft der Uraufführung vom 6. November 1999, Dreifaltigkeitskirche Berlin-Lankwitz Bubmann, Peter; Töllner, Wolfgang: Thomas der Zweifler Pop-Oratorium Uraufführung: 1989, Berlin (Dt. Ev. Kirchentag) Ausgaben: * Bubmann, Peter: Thomas, der Zweifler. Pop-Oratorium für Solisten, Chor, Band und Gemeinde. Textheft München (Strube) o. J. (= VS 1144) Büchtger, Fritz: Die Auferstehung Oratorium nach Matthäus Entstehung: 1955 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Die Auferstehung nach Matthäus. Oratorium (1956). Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 2787) Büchtger, Fritz: Die Himmelfahrt Christi Oratorium für gemischten Chor und Orchester Entstehung: 1956 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Die Himmelfahrt Christi. Oratorium (deutsch/englisch), freie Übertragung von Apostelgeschichte 1. Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3699) Büchtger, Fritz: Johannes der Täufer Entstehung: 1962 155 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Johannes der Täufer. Oratorium (1962). Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3512) Büchtger, Fritz: Pfingsten Oratorium; freie Übertragung von Apostelgeschichte 2 Entstehung: 1957 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Pfingsten (1957). Oratorium für Solostimme, Chor und Orchester. Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3650) Büchtger, Fritz: Die Verklärung Kammeroratorium nach Lukas und Matthäus Entstehung: 1956 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Die Verklärung. Oratorium (1956). Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3647) Büchtger, Fritz: Weihnachtsoratorium in fünf Teilen Entstehung: 1959 Ausgaben: Büchtger, Fritz: Das Weihnachtsoratorium. Teil I: Die Verkündigung (1959). Kammeroratorium für Solostimmen, Frauenchor und Instrumente. Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3992) Büchtger, Fritz: Das Weihnachtsoratorium. Teil II: Maria und Elisabeth (1959). Kammeroratorium. Leihmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3993) Büchtger, Fritz: Das Weihnachtsoratorium. Teil III: Die Geburt (1959). Kammeroratorium. Leihmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3994) Büchtger, Fritz: Das Weihnachtsoratorium. Teil IV: Drei Könige (1959). Kammeroratorium. Leihmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3995) Büchtger, Fritz: Das Weihnachtsoratorium: Teil V: Simeon (1959). Kammeroratorium. Leihmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3996) Büsing, Otfried: Das Licht der Engel Oratorische Weihnachts-Szenen Uraufführung: 9.12.2000, Freiburg Ausgaben: Büsing, Otfried: Das Licht der Engel. Oratorische Weihnachts-Szenen für Vokalsolisten, Sprecher, gem. Chor, Kinderchor, Kammerorchester und gr. Orgel nach Texten von Walter Jens, Vergil, Rainer Maria Rilke, Paul Gerhard, Martin Luther und der Heiligen Schrift (2000). Bad Schwalbach (Gravis) o. J. (= EG 715) 156 * Büsing, Otfried: Das Licht der Engel. Für Vokalsolisten, Instrumentalsolisten, Kinderchor, gem. Chor und Kammerorchester mit großer Orgel nach Texten von Walter Jens, Vergil, Rainer Maria Rilke, Paul Gerhardt, Martin Luther und der Heiligen Schrift. Programmheft der Uraufführung vom 9. Dezember 2000, Christuskirche Freiburg, Leitung: Jörg Endebrock Callhoff, Herbert: La Danse macabre Oratorische Szenen Entstehung: 1986/87 Quelle: www.komponistenlexikon.de Ausgaben: Callhoff, Herbert: La Danse macabre (1986/87). Oratorische Szenen für Vokalquartett, Sprecher, gem. Chor und gr. Orch. Nach Texten aus dem Baseler Totentanz u. Textzitaten verschiedener Dichter. Partitur Bad Schwalbach (Edition Gravis) o. J. (= EG 168) Clemencic, Rene: Reise nach Niniveh Oratorium für Vokalensemble Uraufführung: 1999, Wien Quelle: Homepage R. Clemencic, www.clemencic.at David, Johann Nepomuk: Ezzo-Lied Oratorium, Werk 51 Entstehung: 1957; erste Fassung (verschollen) schon 1932 Uraufführung: 17.5.1960, Berlin Ausgaben: David, Johann Nepomuk: Ezzolied. Oratorium für Soli, Chor, Orchester und Orgel, Werk 51. Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) 1958 David, Thomas Christian: Lied des Menschen Oratorium Entstehung: 1974/75 Uraufführung: 1978, Gummersbach Ausgaben: * David, Thomas Christian: Das Lied des Menschen. Oratorium für Soli (Sopran, Alt, Tenor, Bariton), gem. Chor, Knabenchor und Orchester (Texte: Altes Testament). Klavierauszug Wien (Doblinger) 1983 (= Doblinger 46 063) Degen, Helmut: Oster-Oratorium Entstehung: 1949 Ausgaben: Degen, Helmut: Oster-Oratorium. Singpartitur Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 634) 157 Denhoff, Michael: Traumbuch eines Gefangenen Oratorische Szenen, op. 51 Entstehung: 1987 Quelle: www.komponistenlexikon.de Ausgaben: Denhoff, Michael: Traumbuch eines Gefangenen op. 51 (1987). Oratorische Szenen für Sprecher, Bariton, gem. Chor und Orchester nach Texten von Horst Bienek. Studienpartitur Bad Schwalbach (Edition Gravis) o. J. (= EG 160) Dinescu, Violeta: Pfingstoratorium Entstehung: 1993 Ausgaben: * Dinescu, Violeta: Pfingstoratorium für Sprecher, Solisten, zwei Chöre, Bläser und Schlagzeug. Partitur Baden-Baden (Ms.) 1993, in Kopie zur Verfügung gestellt von der Komponistin Doppelbauer, Josef Friedrich: Dein Reich komme Oratorium Entstehung: 1976, revidiert 1987 Ausgaben: Doppelbauer, Josef Friedrich (1918-1989): Dein Reich komme. Oratorium nach Texten aus der Heiligen Schrift für Soli (Alt, Bariton), gem. Chor und Orchester (1976/1987). Aufführungsmaterial Wien (Doblinger) o. J. Driessler, Johannes: De Profundis Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift, op. 22 Entstehung: 1952 Ausgaben: * Driessler, Johannes: De profundis. Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen, Kammerchor, großen Chor und Orchester (1952). Partitur Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 2780) Driessler, Johannes; Brix, Bettina: Gaudia mundana Ein weltlich-heiteres Oratorium, op. 19 Entstehung: 1951 Uraufführung: 1952 Ausgaben: * Driessler, Johannes: Gaudia mundana. Ein weltlich-heiteres Oratorium für Tenorund Bass-Solo, Koloratursopran, 5-stimmigen Chor und großes Orchester, op. 19. Klavierauszug Kassel (Bärenreiter) 1952 (=BA 2548) Driessler, Johannes: Der Lebendige Oratorium, op. 40 Entstehung: 1954-56 158 Ausgaben: * Driessler, Johannes: Der Lebendige. Oratorium für Soli, Chor und Orchester nach Worten der Heiligen Schrift, op. 40. Klavierauszug Kassel (Bärenreiter) o. J. Driessler, Johannes: Dein Reich komme Oratorium nach Worten des Alten und Neuen Testaments, op. 11 Entstehung: 1948/49 Uraufführung: 1950 Ausgaben: * Driessler, Johannes: Dein Reich komme. Oratorium für Sopran-, Tenor- und Baritonsolo, 5-stimmigen Chor, Holzbläser und Streichorchester nach Worten des alten und neuen Testaments, op. 11. Klavierauszug Kassel (Bärenreiter) 1951 (=BA 2531) Drude, Matthias; Drude, Hartwig: „Für deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten“. Stationen der Passion Jesu Passionsoratorium Entstehung: 2000 Ausgaben: * Für deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten. Stationen der Passion Jesu. Libretto auf der Homepage des Komponisten: home.t-online.de/home/drude.dd/Passion.html Drude, Matthias; Mendt, Dietrich: Von den Mühen der Heimkehr Ein Oratorium nach Texten aus dem alttestamentlichen Buch Esra Entstehung: 1998/99 Uraufführung: 23.11.2000, Halle/Saale Ausgaben: * Von den Mühen der Heimkehr. Ein Oratorium nach Texten aus dem alttestamentlichen Buch Esra. Libretto auf der Homepage des Komponisten: home.t-online.de/home/drude.dd/Esra-Libretto.html Drude, Matthias: Von den Mühen der Heimkehr. Oratorium nach Texten aus dem alttestamentlichen Buch Esra. Aurich (ADU-Verlag für zeitgenössische Musik) o. J. Drude, Matthias; Mendt, Dietrich: Weihnachtsoratorium Entstehung: 1995/96 Uraufführung: 13.12.1997, Dresden Ausgaben: * Weihnachtoratorium. Libretto auf der Homepage des Komponisten: home.t-online.de/home/drude.dd/Weihnachtsoratorium-Text.html Drude, Matthias: Weihnachtsoratorium für Sprecher, Sopran, Bariton, Chor und Orchester nach einem Text von Dietrich Mendt. Aurich (ADU Verlag für zeitgenössische Musik) o. J. (= ADU-125) Ebenhöh, Horst; Vogg, Herbert: Von der Hoffnung Kammeroratorium Entstehung: 1982 Uraufführung: - 159 Ausgaben: * Ebenhöh, Horst: Von der Hoffnung. Kammeroratorium für Mezzosopran, Bariton, dreistimm. gem. Chor, Streicher, Flöte und Schlagzeug, Text: Herbert Vogg. Ms. zur Verfügung gestellt vom Komponisten Ebenhöh, Horst: Von der Hoffnung. Kammeroratorium für Mezzosopran, Bariton, dreistimmigen gemischten Chor, Flöte, Schlagzeug und Streicher (Text: Herbert Vogg), op. 59 (1982). Chorpartitur Wien (Doblinger) o. J. Ebenhöh, Horst: Virata Szenisches Oratorium (konzertant-szenische Legende) Entstehung: Ende 1950er Jahre Uraufführung: Ausgaben: * Virata. Szenisches Oratorium (konzertant-szenische Legende) nach der Legende „Die Augen des ewigen Bruders“ von Stefan Zweig. Musik von Horst Ebenhöh. Ms. zur Verfügung gestellt vom Komponisten Eder, Helmut; Vogg, Herbert: Non sum qualis eram Oratorium, op. 62 Entstehung: 1975 Uraufführung: 10.12.1976, Salzburg Ausgaben: Eder, Helmut: Non sum qualis eram. Oratorium für Sopran-, Bariton- und BassSolo, 4- bis 8-stimm. gem. Chor und Orchester (Text: Herbert Vogg), op. 62 (1975). Aufführungsmaterial Wien (Doblinger) o. J. * Eder, Helmut: Non sum qualis eram. Oratorium für Soli, Chor und Orchester, op. 62. Text: Herbert Vogg. Programmheft der Voraufführung im Rahmen des Festakts „100 Jahre Musikverlag Doblinger“, 9. Dezember 1976 Engelmann, Hans Ulrich: Stele für Georg Büchner Canto Sinfonico (Oratorium), op. 52 Entstehung: 1986/87 Uraufführung: 18.11.1987, Darmstadt Ausgaben: Engelmann, Hans Ulrich: Stele für Georg Büchner. Canto sinfonico (Oratorium) (1986/87). Aufführungsmaterial Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) o. J. Ernst, Siegrid; Meyer-Bernitz, Klaus: ... noch sind die Wege offen Oratorium Uraufführung: 6.7.1997, Bremen Quelle: Arbeitskreis Bremer Komponisten und Komponistinnen e.V., http://kryptogame.com/abk/Seiten/Portraits/ernst2.html Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Paulus I – Lass dir an meiner Gnade genügen Tonproduktion: 1972 160 Ausgaben: * Fietz, Siegfried: Paulus-Oratorium: Lass Dir an meiner Gnade genügen. Text: Johannes Jourdan. Notenausgabe bearbeitet von Winfried Siegler und Siegfried Fietz. Greifenstein (Abakus) ²1994 Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Paulus II – Komm herüber und hilf Tonproduktion: 1973 Ausgaben: * Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Paulus II. Oratorium. Komm herüber und hilf uns. Musik: Siegfried Fietz, Texte: Johannes Jourdan. Bearbeitung der NotenAusgaben: Dirk Schmalenbach. Greifenstein (Abakus) ²1973 Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Johannes-Oratorium – Wir sahen seine Herrlichkeit Tonproduktion: 1979 Ausgaben: * Fietz, Siegfried: Johannes-Oratorium: Wir sahen seine Herrlichkeit. Notenausgabe zur Abakus LP 90023. Musik: Siegfried Fietz, Text: Johannes Jourdan, Schallplattenbearbeitung: Peter Bye, Bearbeitung der Noten-Ausgaben: David Plüss. Greifenstein (Abakus) 1979 Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: David – Der Herr ist mein Hirte Tonproduktion: 1977 Ausgaben: * Fietz, Siegfried: David: Oratorium. Der Herr ist mein Hirte. Text: Johannes Jourdan, Schallplattenbearbeitung: Peter Bye, Bearbeitung der Noten-Ausgaben: Michael Weller. Greifenstein (Abakus) 1982 Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Petrus Oratorium Tonproduktion: 1976 Ausgaben: * Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Petrus-Oratorium, Textausgabe Ulmtal (Abakus Verlag) 1976 Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Martin Luther Oratorium Ausgaben: * Fietz, Siegfried; Jourdan, Johannes: Martin Luther Oratorium. Ulmtal (Abakus Verlag) 1982 Fischer, Theo: Über allem steht ein Licht Oratorische Szenen Uraufführung: 1967 Quelle: www.komponistenlexikon.de 161 Flammer, Ernst Helmuth: Der Turmbau zu Babel Szenisches Oratorium in 8 Teilen Entstehung: 1981/82 Ausgaben: Flammer, Ernst Helmuth: Der Turmbau zu Babel (1981/82). Szenisches Oratorium in 8 Teilen für Orchestergruppen, 3 Chöre, 2 Gesangssoli (Sopran und Bariton), Sprecher, quadrophones Zuspielband und Live-Elektronik nach Texten von Nietzsche, Schopenhauer, Schiller, R. Wagner, Machiavelli und Tucholsky. Bad Schwalbach (Gravis) o. J. (= EG 1457) Frederichs, Henning: Hiob Halbszenisches Kammeroratorium Entstehung: 1990 Uraufführung: 1.6.1991, Essen (Ev. Kirchentag) Ausgaben: * Frederichs, Henning: Drei Oratorien. Textbücher und Erläuterungen zu Petrus, Passionserzählung der Maria Magdalena, Hiob. Gelnhausen (TRIGA) 1996 Frederichs, Henning: Passionserzählung der Maria Magdalena Entstehung: 1985 Uraufführung: 8.3.1986 Ausgaben: * Frederichs, Henning: Drei Oratorien. Textbücher und Erläuterungen zu Petrus, Passionserzählung der Maria Magdalena, Hiob. Gelnhausen (TRIGA) 1996 Frederichs, Henning: Passionserzählung der Maria Magdalena (1985). Oratorium für Mezzosopran, Bariton, vier Soliloquenten, gem. Chor, Positiv, Orgelpedal, Streichquintett, Schlagzeug (1 Spieler). Partitur Köln (Edition Dohr) o. J. Frederichs, Henning: Petrus Biblische Sensopera nach dem Lese-Drama Petrus-Peccator-Peramans von Jedwiga Jagte (i.e.: H.F.) Entstehung: 1982 Uraufführung: 23.10.1982, Witten a. d. R. Ausgaben: * Frederichs, Henning: Drei Oratorien. Textbücher und Erläuterungen zu Petrus, Passionserzählung der Maria Magdalena, Hiob. Gelnhausen (TRIGA) 1996 Frederichs, Henning: Petrus. "Biblische Sensopera" für Sopran, Bariton, Sprecher, 110stg. Gem. Chor, Violine, Klarinette, Klavier, Cembalo, Orgel, Vibraphon und Schlagzeug (2 Spieler). Partitur/Chorpartitur Köln (Edition Dohr) o. J. Frieberger, Rupert Gottfried: Die Bekehrung des Hl. Paulus Kammeroratorium für Soli, Chor, 2 Orgeln und Instrumentalensemble Entstehung: 1994 Uraufführung: 26.10.1994 Quelle: Musik und Kirche 64 (1994), Heft 4, S. 244 162 Frieberger, Rupert Gottfried: Mysterium Crucis Kammeroratorium Entstehung: 1987 Uraufführung: 25.3.1988, Linz (ORF) Ausgaben: Frieberger, Rupert Gottfried: Mysterium Crucis (1951). Kammeroratorium nach Texten der Hl. Schrift, dem Lutherschen Gesangbuch und von Kurt Marti für Soli (Sopran, Tenor, Bariton, Bass), Sprecher, gemischten Chor, Instrumentalensemble und Orgelpositiv (1987). Aufführungsmaterial Wien (Doblinger) o. J. * CD-Booklet: Mysterium Crucis. Kammeroratorium von Rupert Gottfried Frieberger. CD Christophorus 1993 (CHR 77134) Gabriel, Thomas; Eckert, Eugen: Daniel Rockoratorium Entstehung: 1996 Ausgaben: Gabriel, Thomas: Daniel. Oratorium für 3-stg. gem. Chor und Instrumente. Text von Eugen Eckert. Partitur München (Strube) o. J. (= VS 1810) Gabriel, Thomas; Eckert, Eugen: Emmaus Rock-Oratorium in 6 Bildern Uraufführung: 1.4.2002, Seligenstadt Ausgaben: Gabriel, Thomas: Emmaus. Oratorium zu Lukas 24, 17-35 für Solisten, 4-stg. gem. Chor, Orchester und Band. Text von Eugen Eckert. Partitur München (Strube) o. J. (= VS 1921) Gattermeyer, Heinrich: Der Turmbau zu Babel Oratorium nach Texten der Heiligen Schrift Entstehung: 1960-83 Ausgaben: Gattermeyer, Heinrich: Der Turmbau zu Babel. Oratorium nach Texten der Heiligen Schrift für Sprecher, gemischten Chor und großes Orchester. CD-Aufnahme o. O. u. o. J. (Preiserrecords, Österreich) Gattermeyer, Heinrich: Weihnachtsoratorium Entstehung: 1951 Quelle: www.mica.at Gieseler, Walter: Unio mystica Oratorische Gesänge Entstehung: 1989-91 Ausgaben: Gieseler, Walter: Unio mystica. Oratorische Gesänge für drei Soli, gemischten Chor und Orchester. Partitur Bad Schwalbach (Gravis) 1991 (= EG 294) 163 Glaus, Daniel: Hüllen des Abgrunds Oratorium über die Offenbarung des Johannes Entstehung: 1986/87 Ausgaben: Glaus, Daniel: Hüllen des Abgrunds. Oratorium über die Offenbarung des Johannes. Aufführungsmaterial Bern (Müller & Schade) o. J. (= Best-Nr. 1522) Glaus, Daniel: Sunt lacrimae rerum Oratorium für den Planeten des Lebens Entstehung: 1988/89 Ausgaben: Glaus, Daniel: Sunt lacrimae rerum. Oratorium für den Planeten des Lebens über Texte von Kurt Marti, Adolf Muschg & Dorothee Sölle. Aufführungsmaterial Bern (Müller & Schade) o. J. (= Best-Nr. 1527) Graf, Wolfram: Tage des Mondes Oratorische Szenen zum 20. Jahrhundert Entstehung: 2003 Quelle: Homepage des Komponisten, www.wolframgraf.de Graf, Wolfram: Martin von Tours – Teilen statt Töten Oratorium für zwei Sprecher, Sopran solo, Chor, Kinderchor, Orchester und zwei Orgeln Entstehung: 1991 Quelle: Homepage des Komponisten, www.wolframgraf.de Haas, Joseph; Schuster, Ludwig: Die Seligen. Variationen über die Bergpredigt Oratorium, op. 106 Entstehung: 1956 Ausgaben: * Haas, Joseph: Die Seligen. Variationen über die Bergpredigt. Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift und des Angelus Silesius, gestaltet und geformt von Joseph Haas und Ludwig Schuster für Sopran- und Bariton-Solo, gemischten Chor, Kinder-, Frauen- und Männerchor mit Orchester und Orgel, op. 106. Textbuch Mainz ( Schott) 1956 Haas, Joseph: Die Seligen. Variationen über die Bergpredigt. Oratorium. Klavierauszug Mainz (Schott) (= ED 4921) Haas, Joseph; Andersen, Ludwig: Das Jahr im Lied Volkslieder-Oratorium, op. 103 Entstehung: 1951 Uraufführung: 22.-28.4.1952, Kassel 164 Ausgaben: * Haas, Joseph: Das Jahr im Lied. Ein Volkslieder-Oratorium nach alten deutschen Weisen mit verbindenden Worten von Ludwig Andersen für Sopran-, Alt-, Tenor- und Bass-Solo, Sprecher, gemischten Chor und Orchester. Klavierauszug Mainz (Schott) 1980 (= Edition Schott ED 4340) Haller, Hermann: Hiob Oratorium Uraufführung: 1975, Wilhelmshaven Ausgaben: * Haller, Hermann: Hiob. Oratorium nach Texten der Heiligen Schrift für Sopranund Baritonsolo, gemischten Chor, Orgel und Orchester. Klavierauszug Locarno, Wilhelmshaven (Heinrichhofens Musikverlag/Edizioni Pegasus) 1975 Heiller, Anton; Krieg, Franz: Francois Villon Oratorium Entstehung: 1956 Uraufführung: 24.4.1970, Wien Ausgaben: Heiller, Anton: François Villon. Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester (Text von Franz Krieg unter Verwendung Villonscher Balladen) (1956). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 46 028) * Kopie eines nicht näher bestimmbaren Programmhefts, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Heilmann, Harald: Der Sündenfall Szenisches Oratorium, op. 100 Uraufführung: 1969, Heidelberg Ausgaben: * Heilmann, Harald: Der Sündenfall. Ms. zur Verfügung gestellt vom Komponisten Heilmann, Harald. Der Sündenfall: szenisches Oratorium nach der Bibel. Partitur Berlin (Astoria-Verlag) 1974 Heilmann, Harald; Lipp, Wolfgang: Von der Weisheit Gottes Oratorium Uraufführung: 1977, Ulm Ausgaben: * Heilmann, Harald: Von der Weisheit Gottes. Ms. zur Verfügung gestellt vom Komponisten Heilmann, Harald: Von der Weisheit Gottes: Oratorium für Sprecher, vier Soli, gemischten Chor und Orchester, nach Texten aus dem Chorgestühl des Ulmer Münster von Wolfgang Lipp. Partitur Berlin (Astoria-Verlag), o. J. 165 Heizmann, Klaus; Jourdan, Johannes: Jerusalem Schalom Oratorium Entstehung: 1993 Uraufführung: 1995, Basel Ausgaben: Heizmann, Klaus; Jourdan, Johannes: Jerusalem Schalom (Oratorium). CDProduktion Asslar (Klaus Gerth Musikverlag) 1994 Heizmann, Klaus; Jourdan, Johannes: Das Licht leuchtet in der Finsternis Jesus-Oratorium 1 (Weihnachtsoratorium) Tonproduktion: 1998 (CD) Uraufführung: 2002, Braunschweig Ausgaben: Heizmann, Klaus; Jourdan, Johannes: Jesus-Oratorium 1: Das Licht leuchtet in der Finsternis. CD-Produktion Asslar (Klaus Gerth Musikverlag) 1998 Henze, Hans Werner; Schnabel, Ernst: Das Floß der Medusa Oratorio vulgare e militare Entstehung: 1967/68 Uraufführung: 9.12.1968, Hamburg Ausgaben: Schnabel, Ernst: Das Floß der Medusa. Text zum Oratorium von Hans Werner Henze. Zum Untergang einer Uraufführung. München (Piper) 1969 Henze, Hans Werner: Das Floß der Medusa: oratorio vulgare e militare in due parti; Text von Ernst Schnabel. Studien-Partitur Mainz (Schott) 1970 * Henze, Hans W.; Schnabel, Ernst: Das Floß der Medusa. Aufnahme des Norddeutschen Rundfunks, 1968; Leitung: Hans Werner Henze. CD-Produktion Hamburg (Deutsche Grammophon) 1996 Heucke, Stefan: Die Ordnung der Erde Tanzoratorium nach dem Gilgamesch-Epos, op. 30 Uraufführung: 27.1.2001, Gelsenkirchen Ausgaben: Heucke, Stefan: Die Ordnung der Erde. Tanzoratorium nach dem Gilgamesch-Epos, op. 30. Aufführungsmaterial Mainz u.a. (Schott) o. J. Hoeft, Helmut; Fietkau, Wolfgang: Unterwegs Pop-Oratorium Entstehung: 2000 Ausgaben: Hoeft, Helmut; Fietkau, Wolfgang: Unterwegs – Haltestelle Gegenwart. CD-Aufnahme o. O. (Kreuz) 2000 (Bestell-Nr. 3059070) 166 Hollenweger, Walter; Korthaus, Estella F.: Maria von Wedemeyer – Eine unerhörte Frau Oratorium Uraufführung: Juni 1997, Leipzig (Dt. Ev. Kirchentag) Quelle: Internet-Dokumentation des Ev. Kirchentags 1997 in Leipzig; http://church.han-solo.net/kirchentagold/leipzig/reportagen/r034.html Hummel, Bertold; Scheele, Paul-Werner: Der Schrein der Märtyrer Entstehung: 1989 Ausgaben: * Hummel, Bertold: Der Schrein der Märtyrer. Textgestaltung von Paul-Werner Scheele. Ms. von der Homepage des Komponisten, www.bertoldhummel.de Hummel, Bertold: Der Schrein der Märtyrer. Oratorium op. 90. J. Schubert Verlag 1990 (= JS 158) Hummel, Bertold: Der Schrein der Märtyrer. Mitschnitt der Uraufführung im Würzburger Dom unter Leitung von Siegfried Koesler. CD-Produktion o. O. (Conventus Musicus) o. J. (= CM 100-1/2) Jänke, Stefan; Richter, Frank: Dass ein neuer Anfang verbleibe Oratorium nach der Passionsgeschichte des Johannes-Evangeliums Uraufführung: 29.3.2002, Großenhain Quelle: persönliche Mitteilung des Komponisten; vgl. auch Bartsch 2002 Jochum, Otto: Canctica sacra Oratorium, op. 167 Entstehung: 1957 Ausgaben: Jochum, Otto: Cantica sacra. Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift und der christlichen Liturgie für vier Solostimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bariton), gem. Chor, Orchester und Orgel ad. lib. Op. 167. Klavierauszug. München (Leuckart) 1957 Johnson, Tom: Bonhoeffer Oratorium Entstehung: 1988-92 Ausgaben: Johnson, Tom: Bonhoeffer Oratorium (1988-1992). Paris (Editions 75) o. J. * Johnson, Tom: Bonhoeffer Oratorium (1988-1992) in vier Teilen, für vier Solisten, zwei Chöre und Orchester. Programmheft der Uraufführung am 21. September [1996] in Maastricht, Leitung: Martin Wright Josef, Jens: Vor langer Zeit. Stationen einer Stadt Oratorium. Werk XL Uraufführung: 2000 Hann. Münden, Blasiuskirche Quelle: Werkverzeichnis des Komponisten, www.thiasos.de/Komp/josefd.html 167 Jost, Helmut; Nitsch, Johannes: Ewigkeit fällt in die Zeit Pop-Oratorium zur Christusgeschichte Ausgaben: * Jost, Helmut; Nitsch, Johannes: Ewigkeit fällt in die Zeit. Ein Pop-Oratorium zur Christusgeschichte. CD-Aufnahme (Felsenfest Verlag) 1999 Katzer, Georg; Wolf, Christa; Wolf, Gerhard: Medea in Korinth Oratorische Szenen Entstehung: 2000/2001 Uraufführung: 6.9.2002, Berlin Ausgaben: Katzer, Georg: Medea in Korinth (2000/01). Oratorische Szenen für 5 Gesangssoli, gem. Chor und großes Orchester. Bad Schwalbach (Gravis) 2001 (= EG 764) * Katzer, Georg: Medea in Korinth for 5 solo vocalists, mixed chorus and large orchestra. Oratoric Scenes after the libretto by Christa Wolf & Gerhard Wolf. LiveMitschnitt vom 6. September 2002, Berliner Singakademie, Berliner SinfonieOrchester, Leitung: Achim Zimmermann. CD-Produktion München (Arte Nove Classics) 2003 Kaufmann, Otto: Botschaft aus Bethlehem Weihnachtsoratorium Uraufführung: 15.12.2001, Uelzen Ausgaben: Kaufmann, Otto: Botschaft aus Bethlehem. Weihnachtsoratorium. CD-Produktion o. O. (Amphion) 2002 Kelterborn, Rudolf: Die Flut Oratorium nach der Bibelübersetzung von Martin Buber Entstehung: 1963/64 Uraufführung: 14.5.1965, Basel Ausgaben: * Kelterborn, Rudolf: Die Flut. Oratorium auf Bibeltexte in der Verdeutschung von Martin Buber. Klavierauszug Kassel (Bärenreiter) 1964 Kelterborn, Rudolf: Die Flut (1963/64). Oratorium nach der Bibelübersetzung von Martin Buber. Aufführungsmaterial Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 4426) Kelterborn, Rudolf: Dies unus Fragmentarisches Oratorium über den Schöpfungsbericht Entstehung: 1972 Ausgaben: Kelterborn, Rudolf: Dies unus. Fragmentarisches Oratorium (1971/72). Kassel (Bärenreiter) o. J. (=BA 6068) 168 Kern, Matthias: Sapientia in Christo Oratorium Uraufführung: 23.6.1967, Hannover Ausgaben: Kern, Matthias: Sapientia in Christo. Oratorium für Bariton solo, gemischten Chor und Orchester. Partitur Celle (Moeck) o. J. (= Ed.Nr. 5056) Kirchner, Volker David: Ahasver Szenisches Oratorium Entstehung: 1998-2000 Uraufführung: 5.5.2001, Bielefeld Ausgaben: Kirchner, Volker David: Ahasver. Szenisches Oratorium (1998-2000), Libretto vom Komponisten. Aufführungsmaterial Mainz u.a. (Schott) o. J. Klebe, Giselher: Warum hat die Sonne einen Aschenrand? Oratorium für Amnesty International, op. 104 Entstehung: 1991 Ausgaben: Klebe, Giselher: Warum hat die Sonne einen Aschenrand. Oratorium op. 104 (1991). Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 7338) * Giselher Klebe: Warum hat die Sonne einen Aschenrand (Oratorium für Amnesty International), op. 104. Für zwei Klaviere, Schlagzeug und 16-stimmigen Chor. CDProduktion Hamburg (Edel) 1994. Klebe, Giselher: Weihnachtsoratorium Op. 101 Entstehung: 1989 Uraufführung: 7.12.1989, Bonn Ausgaben: Klebe, Giselher: Weihnachtsoratorium op. 101 (1989). Fassung für großes Orchester. Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 7322) Klebe, Giselher: Weihnachtsoratorium op. 101 (1989). Fassung für kleines Orchester. Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 7339) * Klebe, Giselher: Weihnachtsoratorium op. 101. Aufnahme des WDR vom 7.12.1989. CD-Produktion o. O. u. J. Kleber, Wolfgang: Tefilla Oratorium zur Doppelstele „Bindung und Kreuzigung“ Uraufführung: 19.9.2001, Darmstadt 169 Ausgaben: * Tefilla. Oratorium zur Doppelstele „Bindung und Kreuzigung“ von Igael Tumarkin für Solosopran, Solobass, Gemischter Chor, Bläserquintett (Flöte, Trompete, Englisch Horn, Fagott, Kontrafagott), Streicherquintett (2 Violinen, 2 Celli, Kontrabass), Schlagzeug, Orgel. Textzusammenstellung und Musik: Wolfgang Kleber. Textfassung zusammengestellt vom Komponisten auf www.darmstadtonline.de/paulusgemeinde/tefilla.htm Koerppen, Alfred: Das Feuer des Prometheus Oratorium Entstehung: 1956 Uraufführung: 28.10.1956, Hannover Ausgaben: Koerppen, Alfred: Das Feuer des Prometheus. Oratorium für 5 Soli, gemischten Chor und großes Orchester. Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) o. J. * Das Feuer des Prometheus. Oratorium in drei Teilen für Soli, gemischten Chor und Orchester von Alfred Koerppen. Programmheft der Uraufführung vom 28. Oktober 1956, Niedersachsenhalle Hannover, Leitung: Fritz von Bloh Koerppen, Alfred: Der Turmbau zu Babel Szenisches Oratorium für 4 Soli, Männerchor und großes Orchester Entstehung: 1951 Quelle: Werkverzeichnis auf der Homepage des Komponisten, http://alfredkoerppen.de Kopf, Klaus-Dieter: Luther-Oratorium Entstehung: 1981/82 Uraufführung: 1983, Magdeburg Quelle: Homepage des Komponisten, http://www.neuemusik.de/kopf.htm Krämer, Thomas: Kinder des Lichts Oratorium für Alt, Bariton und großes Orchester Entstehung: 1995 Uraufführung: 1996, Saarbrücken Quelle: Homepage des Komponisten, www.hfm-saarland.de/kraemer/ Kratochwil, Heinz; Schweiger, Sigrid: Die Erschaffung der Welt Kammeroratorium, op. 150 Entstehung: 1985 Uraufführung: 1985 Ausgaben: Kratochwil, Heinz: Die Erschaffung der Welt. Kammeroratorium für Bass-Solo, Sprecher, gemischten Chor, Flöte, Pauken und Streicher, op. 150 (1985). Wien (Doblinger) o. J. 170 * Kratochwil, Heinz: Die Erschaffung der Welt, op. 150, für Bass-Solo, Sprecher, 4stimmigen Chor, Flöte, Streicher und Pauken nach dem Buch Genesis, ergänzt durch Texte von Sigrid Schweiger. Programmheft einer nicht näher bestimmbaren Aufführung, Kopie zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Kraus-Hübner, Hans; Knodt, Reinhard: Zeitenwenden Ein weltliches Oratorium in 12 Bildern Uraufführung: 14.7.2000, Altdorf Quelle: Homepage des Librettisten, www.reinhard-knodt.de Kraus-Hübner, Hans; Knodt, Reinhard: Legende der Hl. Walburga Uraufführung: 13.9.2002, Heidenheim am Hahnenkamm Quelle: Homepage des Librettisten, www.reinhard-knodt.de Kreisel, Paul Eberhard: Jona Kammeroratorium, op. 77 Uraufführung: 30.10.1977 Quelle: www.komponistenlexikon.de Kreisel, Paul Eberhard: Requiem Oratorium, op. 72 Uraufführung: 10.11.1974 Quelle: www.komponistenlexikon.de Kreisel, Paul Eberhard: Die Weihnachtsgeschichte Oratorium, op. 54 Uraufführung: 1961 Quelle: www.komponistenlexikon.de Krenek, Ernst: Opus sine nomine Oratorium, op. 238 Entstehung: beendet 12.3.1988 Uraufführung: 8.5.1990, Wien Ausgaben: * Krenek, Ernst: Opus sine nomine op. 238 (1988). Oratorium. Klavierauszug Kassel (Bärenreiter) 1990 (= BA 7317) Krenek, Ernst: Spiritus Intelligentiae, Sanctus Pfingstoratorium Entstehung: Okt. 1955 - 23.3.1956 Uraufführung: 30.5.1956, Köln Ausgaben: Krenek, Ernst: Spiritus Intelligentiae, Sanctus. Pfingstoratorium für Singstimmen und elektronische Klänge. Wien (Universal Edition) 1956 171 Kropfreiter, Augustinus Franz; Schönzeler, Hans-Hubert: Altdorfer-Passion Kammeroratorium Entstehung: 1965 Uraufführung: 17.10.1965 St. Florian/Oberösterreich Ausgaben: Kropfreiter, Augustinus Franz: Altdorfer-Passion. Kammer-Oratorium (nach Texten der Hl. Schrift) für Alt, Bariton und 11 Instrumente (1965). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 08 822) * Kropfreiter, Augustinus Franz: Altdorfer-Passion. Kammeroratorium nach Texten der Hl. Schrift. Erstaufnahme vom März 1988, Emmauskirche München. CDProduktion Münster (FONO) 1991 Kubizek, Augustin; Vogg, Herbert: Stationen (Memento Homo) Oratorium, op. 41 Entstehung: 1975 Ausgaben: * Kubizek, Augustin (Musik); Vogg, Herbert (Text): Stationen. Oratorium. Ms. zur Verfügung gestellt vom Librettisten. Kubizek Augustin: Stationen. Oratorium (Text von Herbert Vogg, engl. von Roberta Arwood) für Tenor- und Bass-Solo, gemischten Chor und Orchester, op. 41 (1975). Ausgabe für Chor und Klavier Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 45 544) Kukuck, Felicitas; Johannsen, Margret: Ecce homo: die letzten Tage des Jesus aus Galiläa Oratorium Ausgaben: * Kukuck, Felicitas: Ecce homo: die letzten Tage des Jesus aus Galiläa. Oratorium nach einem Text von Margret Johannsen. Text- und Inhaltsübersicht Wolfenbüttel (Möseler) o. J. Kukuck, Felicitas; Johannsen, Margret: Ecce homo: die letzten Tage des Jesus aus Galiläa. Oratorium für Soli, Chor und Instrumente. Partitur Wolfenbüttel (Möseler) 1991 (= M 68.836) Kukuck, Felicitas: Der Gottesknecht Passions-Oratorium in 6 Kantaten Entstehung: 1957 Ausgaben: Kukuck, Felicitas: Der Gottesknecht. Passions-Oratorium in 6 Kantaten für 2 gem. Chöre (SATB SATB), Streicher und Gemeinde (Orgel, Blockflöten ad lib.). Wolfenbüttel (Möseler) 1957 (= Verlags-Nr. 68.810) Kukuck, Felicitas: Das kommende Reich (Die Seligpreisungen) Oratorium Entstehung: 1959 172 Ausgaben: Kukuck, Felicitas: Das kommende Reich (Die Seligpreisungen). Oratorium für Baritonsolo, Chor SSATTB, Gemeinde, Orchester und Orgel (1959). Leinfelden (Carus) o. J. (= CV 10.031) Kunad, Rainer: Die Kitschpostille Kleines Oratorium, conatum 60 Entstehung: 1974 Ausgaben: Kunad, Rainer: Die Kitschpostille. Kleines Oratorium. Klavierauszug Wiesbaden Breitkopf & Härtel (= DV 6116) Kunad, Rainer: Salomonische Stimmen Oratorium, conatum 76 Uraufführung: 1984, Dresden Ausgaben: Kunad, Rainer: Salomonische Stimmen. Oratorium, conatum 76. Rimsting (Arends/Keturi) o. J. Kunad, Rainer: Stimmen der Völker Oratorium, conatum 72 Entstehung: 1980/81 Ausgaben: Kunad, Rainer: Stimmen der Völker. Oratorium nach Herder für Soli, Chor, Orgel und Orchester, conatum 72. Klavierauszug Leipzig (Dt. Verlag für Musik) o. J. (= DV 6133) Kunad, Rainer: Jovian, der Seher (Trilogie der Offenbarung Gottes, Teil 1) Oratorium, conatum 80 Uraufführung: 1987, Mannheim Ausgaben: Kunad, Rainer: Jovian, der Seher. Oratorium in 2 Szenen nach der syro-aramäischen Original-Apokalypse, conatum 80. Rimsting (Arends/Keturi) o. J. Kunad, Rainer: Der Seher von Patmos (Trilogie der Offenbarung Gottes, Teil 2) Oratorium, conatum 81 Uraufführung: 1988, Karlsruhe Ausgaben: Kunad, Rainer: Der Seher von Patmos. Oratorium nach Worten der Offenbarung an Johannes und der Tübinger Gebete, conatum 81. Rimsting (Arends/Keturi) o. J. 173 Kunad, Rainer: Das neue Jerusalem (Trilogie der Offenbarung Gottes, Teil 3) Oratorium, conatum 82 Entstehung: 1986 Uraufführung: 1989, Sindelfingen Ausgaben: Kunad, Rainer: Das neue Jerusalem. Oratorium nach Worten der Offenbarung an Johannes und der Tübinger Texte, conatum 82. Rimsting (Arends/Keturi) o. J. Kunad, Rainer: Das Thomas-Evangelium Oratorium, conatum 79 Uraufführung: 1987, Kiel Ausgaben: Kunad, Rainer: Das Thomas-Evangelium. Oratorium in 3 Teilen nach Versen aus dem Thomas-Evangelium und aus den Thomas-Psalmen, conatum 79. Rimsting (Arends/Keturi) o. J. Linßen, Gregor: Adam – auf der Suche nach dem Menschen Ein NGL-Oratorium Uraufführung: 7.8.2002, Assisi Ausgaben: Linßen, Gregor: Adam - Auf der Suche nach dem Menschen. Ein NGL-Oratorium. Chorpartitur Neuss (Edition GL) 2002 Linßen, Gregor: Die Spur von morgen NGL-Oratorium Uraufführung: 11.08.1998 Ausgaben: * Linßen, Gregor: Die Spur von morgen. NGL-Oratorium. Chorpartitur Neuss (Edition GL) ²2001 Löbner, Roland: Titanic Weltliches Oratorium Ausgaben: Löbner, Roland: Titanic. Weltliches Oratorium für Sprecher, Solisten, Chor und Orchester. o. O. (Hans Gerig Verlag) 1957 Lonquich, Heinz Martin; Lüchtefeld, Klaus; Brüning, Bärbel: Auf dem Rand der Mauer Oratorium Rituale Uraufführung: 1993 Ausgaben: * Auf dem Rand der Mauer. 7 Wortwechsel im Raum für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bariton, Bass, Sprecherin, 4 Sprecher, 2 Chöre, Gesangsquartett, 18 Instrumentalsolisten und Tonträger. Texte: Altes und Neues Testament, Choräle, Klaus Lüchtefeld. Konzept/Textbuch: Bärbel Brüning, Klaus Lüchtefeld. Musik: Heinz Martin 174 Lonquich. Programmheft der Uraufführung vom 24. April 1993, Basilika St. Maria im Kapitol, Köln Auf dem Rand der Mauer. 7 Wortwechsel im Raum – Oratorium Rituale – (Revidierte Fassung 1993) für 2 Soprane, Alt, Tenor, Bariton, Bass, Sprecherin, 4 Sprecher, 2 Chöre, Gesangsquartett, 18 Instrumentalsolisten und Tonträger. Texte: Altes und Neues Testament, Choräle, Klaus Lüchtefeld. Konzept/Textbuch: Bärbel Brüning, Klaus Lüchtefeld. Musik: Heinz Martin Lonquich. Programmheft der Uraufführung vom 16. Februar 1994, Basilika St. Maria im Kapitol, Köln Lonquich, Heinz Martin; Spaemann, Cordelia: Das Schweigen des Johann von Nepomuk Entstehung: 1991 Ausgaben: * Lonquich, Heinz Martin: Das Schweigen des Johann von Nepomuk. Texte: Cordelia Spaemann mit Auszügen aus dem „Ackermann aus Böhmen“, dem Missale Romanum und dem Buch der Psalmen. Ms., Rekonstruktion nach dem Original zur Verfügung gestellt vom Komponisten Matthus, Siegfried: Laudate pacem Oratorium in 5 Teilen Entstehung: 1973/74 Uraufführung: 19.4.1976, Berlin Ausgaben: Matthus, Siegfried: Laudate pacem. Oratorium in 5 Teilen (1973/74). Aufführungsmaterial Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) o. J. Mertens, Oliver; Suberg, Jürgen: Passion in Form eines Oratoriums in 24 Teilen Uraufführung: 29.3.2002, Moers-Meerbeck Ausgaben: Suberg, Jürgen: Passion. Vechta-Langförden (Geest-Verlag) 2002 Meyer, Krzysztof Aleksander; Engelsberger, Gerhard: Schöpfung Oratorium Uraufführung: 10.9.2000, Hildesheim Ausgaben: * Meyer, Krzysztof: Schöpfung. Oratorium nach Worten von Gerhard Engelsberger. Textheft zur Uraufführung am 10. September 2000, St. Michaeliskirche Hildesheim, Leitung: Gunnar Kühl Modeß, Jochen A.; Biermann, Wilhelm: Frieden Oratorium für Soli, Chor und Orchester Uraufführung: 4.5.1995, Greifswald Quelle: Musik und Kirche 65 (1995), Heft 6, S. 370 175 Müller von Kulm, Walter: Petrus Biblisches Oratorium, op. 71 Entstehung: 1957-59 Ausgaben: Müller von Kulm, Walter: Petrus. Biblisches Oratorium nach dem Text der Zürcher Bibel, op. 71. Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 3561) Nening, Wolfgang; Busta, Christine: Ein anderes Hohelied Kammeroratorium Entstehung: 1997/98 Uraufführung: 23.6.2000, Wien Quelle: Homepage des Komponisten, home.schule.at/member/gnagflow/ Noll, Diether; Quoist, Michel: Herr, da bin ich Entstehung: 1967 Uraufführung: 29.10.1967 Quelle: Musik und Kirche 38 (1969), Heft 3, S. 132ff; vgl. r. l. 1969 Noll, Diether: Go down, Moses Entstehung: 1969 Quelle: Musik und Kirche 40 (1970), Heft 1, S. 52; vgl. Oefner 1970 Pasquay, Wolfgang: Friedensoratorium Ausgaben: Pasquay, Wolfgang: Friedensoratorium. Oratorium gegen den Krieg von Wolfgang Pasquay nach Worten von Erasmus von Rotterdam und Bertolt Brecht. CDProduktion Berlin (Kreuzberg Records) 2003 Posegga, Hans; Giner, Chrysostomus; Schneider, Walter: Christ und Antichrist Ein dramatisches Rockoratorium Uraufführung: 1977, Kloster Neustift bei Brixen Quelle: Homepage des Komponisten, www.hans-posegga.de Posegga, Hans: Te Deum benedictoburanum Oratorium nach den Deckengemälden im alten Barocksaal des Klosters Benediktbeuren Uraufführung: 31.5.1981, Benediktbeuren Ausgaben: Posegga, Hans: Te Deum benedictoburanum. Ein Oratorium zum Lobpreis Gottes nach den Allegorien der Bilderzyklen im Barocksaal des Klosters Benediktbeuern unter der Thematik „Des Lebens Wagen“ in 20. Gesängen und einem barocken Vorspiel; für Soli (Sopran, Alt, Tenor, Bass), gemischten Chor, Kinderchor, Sprecher, Symphonie-Orchester, Orgel, Harfe, Rhythmusgruppe (E-Guitarre, E-Baß, Schlagzeug und Synthesizer) und Tonband; Musik und Textgestaltung Hans Posegga. Partitur Berg (Selbstverlag) 1989 176 Rapf, Kurt: Passio Aeterna Oratorium Entstehung: 1979 Uraufführung: 5.5.1980, Wien Ausgaben: * Rapf, Kurt: Passio Aeterna. Oratorium für Soli, Sprecher, gemischten Chor, Tonband, Cembalo, Orgel und Orchester nach Texten der Hl. Schrift und unter Verwendung des Buches „Pfarrerblock 25 487“ (1979). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 46) Rapf, Kurt: Passio aeterna: Oratorium für Soli, Sprecher, gemischten Chor, Cembalo, Orgel, Tonband und Orchester; nach Texten der Hl. Schrift und unter Verwendung des Buches „Pfarrerblock 25487“ von Jean Bernard; komponiert als Auftragswerk des ORF/1979; Mitschnitt der Uraufführung im Großen Saal des Wiener Musikvereins am 5. Mai 1980, Leitung: Kurt Rapf. CD-Produktion Wien (Amadeo Classic) 1992 Rubin, Marcel: Auferstehung Oratorium Entstehung: 1985/86 Uraufführung: 28.1.1988, Wien Ausgaben: Rubin, Marcel: Auferstehung. Oratorium nach Texten aus den Evangelien, von Angelus Silesius und Matthias Claudius für 4 Solostimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bass), gemischten Chor, Orgel und Orchester (1986). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J.(= Doblinger 46 076) * Rubin, Marcel: Auferstehung. Kopie eines nicht näher bestimmbaren Programmhefts, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Rubin, Marcel: Licht über Damaskus Oratorium Entstehung: 1988 Uraufführung: 19.6.1995, Wien Ausgaben: Rubin, Marcel: Licht über Damaskus. Oratorium nach Texten aus der Bibel, von Paul Gerhardt, Christian F. D. Schubart und Rainer Maria Rilke für 4 Solo-Stimmen (Sopran, Alt, Tenor, Bass), gemischten Chor, Orgel und Orchester (1988). Aufführungsmaterial Wien (Doblinger) o. J. * Rubin, Marcel: Licht über Damaskus. Oratorium nach Texten aus der Bibel, von Paul Gerhardt, Christian Friedrich Daniel Schubart und Rainer Maria Rilke. Kopie eines nicht näher bestimmbaren Programmhefts, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Ruoff, Axel: Credo Oratorium in 15 Bildern Uraufführung: 12.7.2002, Stuttgart 177 Ausgaben: Ruoff, Axel: Credo. Oratorium in 15 Bildern für Soli (Tenor, Bariton, Bass), 48stimmigen Chor und Orchester. Partitur München (Strube) 2003 (= VS 1937) Ruoff, Axel: Bergpredigt Oratorium Entstehung: 1998 Uraufführung: 1999 Stuttgart (Ev. Kirchentag) Ausgaben: Ruoff, Axel: Bergpredigt. Oratorium für Sprecher, Soli, Chor und Orchester (1998). Auftragskomposition des Verbandes Ev. Kirchenmusik in Württemberg zum Deutschen Evangelischen Kirchentag Stuttgart 1999. München (Strube) 1998 (= VS 1776) * Ruoff, Axel: Bergpredigt. Oratorium. Programmheft einer Aufführung vom 10. März 2002, Christuskirche Mannheim, Leitung: Johannes Michel Rütti, Carl; Walter, Silja: Verena die Quelle Oratorium Entstehung: 1995 Ausgaben: Rütti, Carl: Verena die Quelle: Oratorium nach Gedichten von Silja Walter für 16stimmigen Chor und 6 Instrumentalisten. Partitur Ms. 1995, Schweizerische Landesbibliothek Zürich Rütti, Carl: Verena, die Quelle: ein Oratorium mit Dichtung, Malerei und Musik. CDProduktion o. O. (Herald AV Publikations) 1996 (= HAVPCD 1861-2) Schedl, Gerhard; Böcs, Attila: Der Großinquisitor Oratorium Entstehung: 1979/80 Uraufführung: 4.5.1981, Zell am See (A) Ausgaben: Schedl, Gerhard: Der Großinquisitor. Oratorium in drei Teilen nach Texten aus dem Roman ‚Die Brüder Karamasoff‘ von Fedor M. Dostojewskij, Texteinrichtung: Attila Böcs. Wien (Doblinger) 1980 * Schedl, Gerhard: Der Großinquisitor. Kopie einer nicht näher bestimmbaren Textausgabe, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Schibler, Armin: Media in vita Sinfonisches Oratorium Entstehung: 1956 Ausgaben: Schibler, Armin: Media in Vita. Sinfonisches Oratorium nach 18 Gedichten von C. F. Meyer für gem. Chor, Männerchor, vier Gesangssolisten u. Orchester. Klavierauszug Zürich 1962 178 Schindler, Walter: Osteroratorium Entstehung: 1964 Uraufführung: 1965, Hannover Quelle: www.komponistenlexikon.de Schindler, Walter: Osteroratorium Entstehung: 1960/61 Uraufführung: 1961, Hannover Quelle: www.komponistenlexikon.de Schiske, Karl: Vom Tode Oratorium Entstehung: 1946 Ausgaben: * Schiske, Karl: Vom Tode. Oratorium nach Worten großer Dichter für Soli, gemischten Chor, großes Orchester und Orgel, op. 25. Klavierauszug mit Gesang (eingerichtet von Steffi und Karl Schiske) Wien (Universal-Edition) 1948 (= UE 11 873) Schlee, Thomas Daniel; Deutsch, Reinhard: Der Baum des Heils Oratorium, op. 33 Entstehung: 1994 Uraufführung: 5.11.1994, Graz Ausgaben: Schlee, Thomas Daniel: Des Baum des Heils; Oratorium in vier Teilen für Soli (Alt), gem. Chor, Vl., Eh., Org., op. 33. Partitur Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 45 458) * Schlee, Thomas Daniel: Der Baum des Heils. Oratorium für Alt solo, Violine, Englischhorn, Claves, gemischten Chor und Orgel op. 33 (1993/94), Text von Reinhard Deutsch. Booklet einer nicht näher bestimmbaren CD-Produktion, in Kopie zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Schubert, Heino: Der Mensch, das Spiel der Zeit Gryphius-Oratorium Entstehung: 1982 Ausgaben: Schubert, Heino: Der Mensch, das Spiel der Zeit. Oratorium für 2 Solostimmen (Alt, Tenor), 2 Solostimmen ad lib. (Sopran, Bass), gem. Chor und Orchester nach Texten von Andreas Gryphius. Bad Schwalbach (Gravis) o. J. (= EG 139) Schwenk, Fredrik: Dies Septimus Kammeroratorium Entstehung: 1999/2000 Ausgaben: * Schwenk, Fredrik: Dies Septimus. Kammeroratorium für Soli, Chor und zwölf Instrumente. Partitur Verlag vierunddreissig, 2000 179 Shih; Chiu, Charles S.: Lebend'ges Land Oratorium Entstehung: 1995 Uraufführung: 12.1.1997, Münster Ausgaben: Shih: Lebend'ges Land. Oratorium für Soli, zwei gem. Chöre, Kinderchor und Orchester (1995). Texteinrichtung: Charles S. Chiu nach Annette von DrosteHülshoff. Wien (Doblinger) o. J. * Shih: Lebend’ges Land. Text von Annette von Droste-Hülshoff (Einrichtung: Charles S. Chiu). Kopie einer nicht näher bestimmbaren Textausgabe, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Steffen, Wolfgang; Drewitz, Ingeborg: Botschaft Oratorium, op. 45 Entstehung: 1975-76 Uraufführung: 9.6.1976, Berlin Ausgaben: Steffen, Wolfgang: Botschaft op. 42. Oratorium für gem. Chor, Kinderchor, zwei Sprecher, Orchester und Orgel nach Texten von Ingeborg Drewitz. Berlin (Ries und Erler) 1994 Steiff, Gerhard; Mohr, Jürgen: Salz für die Erde Oratorium Uraufführung: 1999, 28. Dt. Ev. Kirchentag Quelle: Jürgen Mohr, Gerhard Steiff: Salz für die Erde – Eine Einführung in das Oratorium über Christoph Blumhardt. Vortrag am 1. Juni 2002 auf der Tagung „Warten und Pressieren. Christoph Blumhardt in Bad Boll“: Tagung anlässlich des 150-jährigen Aufzugs von Johann Christoph Blumhardt und seiner Familie in Bad Boll (1852) und des 160. Geburtstags von Christoph Blumhardt (1842), 30. Mai bis 2. Juni 2002, Ev. Akademie Bad Boll. Vgl. auch www.ev-akademie-boll.de Stockmeier, Wolfgang: Historien Oratorium, op. 227 Entstehung: 1980 Ausgaben: Stockmeier, Wolfgang: Historien, op. 227. Oratorium. Wolfenbüttel (Möseler) 1979 * Stockmeier, Wolfgang: Historien. Oratorium für Soli, Chor und Orchester. Programmheft einer Aufführung vom 2. November 1980, Matthäuskirche EssenBorbeck, Leitung: Henning Frederichs Stockmeier, Wolfgang: Jefta und seine Tochter Oratorische Szenen, op. 296 Ausgaben: * Stockmeier, Wolfgang: Jefta und seine Tochter. Text nach Lion Feuchtwanger. Ms. zur Verfügung gestellt vom Komponisten 180 Stockmeier, Wolfgang: Jefta und seine Tochter, op. 296. Oratorische Szenen. Wolfenbüttel (Möseler) 1995 Stockmeier, Wolfgang: Jesus Oratorium, op. 285 Ausgaben: * Stockmeier, Wolfgang: Oratorium Jesus. Programmheft einer Aufführung vom 5. Juli 1992, Christuskirche Oberhausen, Leitung: Karl Heinz Mertens Stockmeier, Wolfgang: Jesus. Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester, op. 285. Partitur Wolfenbüttel (Möseler) 1991 Stockmeier, Wolfgang: Jona Oratorium, op. 177 Ausgaben: Stockmeier, Wolfgang: Jona. Oratorium, op. 177. Wolfenbüttel (Möseler) 1978 * Stockmeier, Wolfgang: Jona. Programmheft einer Aufführung vom 25. Oktober 1973, Johanneskirche Saarbrücken, Leitung: Gunther Hoffmann Stuppner, Hubert: Hiob Eine musikalische Aktion (szenisches Oratorium) Uraufführung: 2.10.1992, Brixen Stuppner, Hubert: Hiob. Eine musikalische Aktion (szenisches Oratorium) für Bariton, gem. Chor und Ensemble, Text: Buch Hiob (Übers. Martin Luther). Partitur München (Ricordi) 1992 Tamás, János; Storz, Claudia: Noahs Tochter Uraufführung: Januar 1988, Aargau Ausgaben: * Storz, Claudia: Noahs Tochter. Libretto zu einem Oratorium. Luzern/Stuttgart (Rex-Verlag) 1990 Tenhaef, Peter: Die Geburt des Lichts Weihnachtsoratorium Entstehung: 2001 Quelle: www.komponistenlexikon.de Tenhaef, Peter: Die letzten Worte Jesu Christi am Kreuz Kammeroratorium Entstehung: 1975 Uraufführung: 29.4.2000, Greifswald Quelle: www.komponistenlexikon.de 181 Tenhaef, Peter: Maria Magdalena Kammeroratorium Entstehung: 2001 Uraufführung: 23.6.2004 Quelle: www.komponistenlexikon.de Tenhaef, Peter: Petrus Kammeroratorium Entstehung: 2000 Uraufführung: 29.8.2001, Olomouc Quelle: www.komponistenlexikon.de Uhl, Alfred; Liess, Andreas: Gilgamesch Oratorisches Musikdrama Entstehung: 1954/56, revidiert 1967/68 Uraufführung: 3.12.1957, Wien Ausgaben: Uhl, Alfred: Gilgamesch. Oratorisches Musikdrama für Sprecher, Soli, gem. Chor, Knabenchor, großes Orchester und Orgel. (Dichtung der Sumerer; nach der Textfassung von Franzis Jordan zur Vertonung eingerichtet von Andreas Liess und Alfred Uhl) (1967/68). Klavierauszug Wien (Doblinger) o. J. (= Doblinger 46 027) * Uhl, Alfred: Gilgamesch. Programmheft einer nicht näher bestimmbaren Aufführung, in Kopie zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Vogel, Ernst; Vogg, Herbert: Allezeit Oratorium Entstehung: 1989 Uraufführung: 2.3.1990, Wien Ausgaben: Vogel, Ernst: Allezeit. Oratorium für Alt- und Bariton-Solo, gem. Chor und Orchester (Text: Herbert Vogg) (1989). Wien (Doblinger) o. J. * Vogel, Ernst: Allezeit. Oratorium für Alt-, Bariton-Solo, gemischten Chor und Orchester auf einen Text von Herbert Vogg (1989). Programmheft der Uraufführung am 2. März 1990, Leitung: Isaac Karabtchevsky Vogel, Wladimir Rudolfowitsch: Flucht Dramma-Oratorio, auch szenisch darzustellen Entstehung: 1962/64 Ausgaben: Vogel, Wladimir: Flucht. Dramma-Oratorio (1962/1964) für 4 Sprech- und Gesangsstimmen, Sprechchor (mit Soli) und Orchester, auch szenisch darzustellen. Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 4466) 182 Vögele, Anton: Passion Oratorium in 17 Bildern Entstehung: ca. 1998-2001 Uraufführung: 15.3.2002 Heidelberg Ausgaben: Vögele, Anton: Passion. Oratorium in 17 Bildern. Sprecherpartitur (Ms.) zur Verfügung gestellt vom Komponisten. * Vögele, Anton: Passion. Programm und Textheft zur Uraufführung am 15. März 2002, Christuskirche Heidelberg, Leitung: Markus Karch Wagner, Wolfram: Hiob Oratorium Entstehung: 1989 Uraufführung: 20.10.1991, Wien Ausgaben: Wagner, Wolfram: Hiob. Oratorium für Sopran, Tenor, Bariton, Sprecher, gem. Chor, Orchester und Orgel nach Auszügen aus dem Alten Testament sowie Gedichten von Werner Kraft und Karl Wolfskehl (1989). Wien (Doblinger) o. J. * Wagner, Wolfram: Hiob. Oratorium für Sprecher, Sopran, Tenor, Bariton, Chor, Orchester und Orgel nach Worten aus dem Alten Testament, von Werner Kraft und Karl Wolfskehl. Nicht näher bestimmbare Textausgabe, zur Verfügung gestellt vom Verlag Doblinger, Wien Wagner-Régeny, Rudolf; Holl, Karl: Prometheus Szenisches Oratorium Entstehung: 1957/58 Uraufführung: 12.9.1959 Ausgaben: Wagner-Régeny, Rudolf: Prometheus: nach Aischylos. Szenisches Oratorium in fünf Szenen für Solostimmen, großes Orchester. Particell (als Ms. gedruckt) Berlin (Bote & Bock) 1958 Wenzel, Eberhard: Die Berge des Heils Entstehung: 1953 Ausgaben: Wenzel, Eberhard: Die Berge des Heils. Oratorium für gemischten Chor a cappella. Partitur Berlin (Evang. Verlagsanstalt) 1953 Wohlfahrt, Frank: Die Passion des Prometheus Dramatisches Oratorium Entstehung: 1955 Uraufführung: 15.4.1955, Bremen 183 Ausgaben: Wohlfahrt, Frank: Die Passion des Prometheus. Dramatisches Oratorium in 3 Szenen, 1 Prolog und Epilog für Sprechstimmen, Singchor und Orchester. Textbuch Berlin (Bote & Bock) 1955 Wolf, Markus: Leben und Leiden Jesu Entstehung: 2001 Ausgaben: Oratorium „Das Leben und Leiden Jesu“. Text und Musik: Markus Wolf. Libretto auf der Homepage des Komponisten, http://www.wolfproduction.de/ Wolos, Hans-Georg: Spuren nach Bethlehem Kleines Weihnachtsoratorium Uraufführung: 1994 Quelle: www.komponistenlexikon.de Wunderlich, Heinz: Maranatha - Unser Herr kommt Szenisches Oratorium Entstehung: 1953 Ausgaben: * Wunderlich, Heinz: Maranatha - Unser Herr kommt (1953). Szenisches Oratorium in 5 Bildern nach Worten der Heiligen Schrift für Solostimmen (auch Einzelstimmen aus dem Chor), Chor und Orchester. Kassel (Bärenreiter) o. J. (= BA 2111) Zebinger, Franz: Bruder Sonne, Schwester Mond Kammeroratorium über Franz von Assisi Uraufführung: 8.2.2003, Zschorlau Quelle: Vorankündigung der Uraufführung, http://www.kirchezschorlau.de/musik.html Zemzaris, Ingmars: O Virga ac Diadema Oratorium in adventum redemptoris Entstehung: 2000 Uraufführung: 3.12.2000, Klosterkirche St. Marienstern, Sachsen Ausgaben: Zemzaris, Ingmars: O Virga ac Diadema. Oratorium in adventum redemptoris. Libretto auf der Homepage des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen, http://www.kultur.org/veranstaltungen/libretto.htm 184 Jahresverzeichnis Im Folgenden sind alle oben genannten Oratorien nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet aufgeführt. Damit soll eine Übersicht über die Entwicklung des Bestandes gegeben werden. Zugrunde gelegt wurde dabei die früheste bekannte Jahreszahl – Entstehung des Librettos oder der Komposition, Datum der Uraufführung oder Erscheinungsjahr. Es werden nur die Nachnamen der Komponisten und Librettisten sowie der Titel genannt, für vollständige Titelangaben und Ausgaben vgl. oben. 1946 Schiske: Vom Tode 1949 Degen: Oster-Oratorium Driessler: Dein Reich komme 1951 Driessler/Brix: Gaudia mundana Gattermeyer: Weihnachtsoratorium Haas/Andersen: Das Jahr im Lied Koerppen: Der Turmbau zu Babel 1952 Driessler: De Profundis 1953 Wenzel: Die Berge des Heils Wunderlich: Maranatha - Unser Herr kommt 1955 Büchtger: Die Auferstehung Wohlfahrt: Die Passion des Prometheus 1956 Büchtger: Die Himmelfahrt Christi Büchtger: Die Verklärung Driessler: Der Lebendige Haas/Schuster: Die Seligen Heiller/Krieg: François Villon Koerppen: Das Feuer des Prometheus Krenek: Spiritus Intelligentiae, Sanctus 185 Schibler: Media in vita [morte sumus] Uhl/Liess: Gilgamesch 1957 Büchtger: Pfingsten David: Ezzo-Lied Jochum: Canctica sacra Kukuck: Der Gottesknecht Löbner: Titanic Müller von Kulm: Petrus Wagner-Régeny/Holl: Prometheus 1959 Büchtger: Weihnachtsoratorium Kukuck: Das kommende Reich 1960 Ebenhöh: Virata Gattermeyer: Der Turmbau zu Babel Schindler: Weihnachtsoratorium 1961 Blum: Erzengel Michael Kreisel: Die Weihnachtsgeschichte 1962 Büchtger: Johannes der Täufer 1963 Kelterborn: Die Flut 1964 Schindler: Osteroratorium Vogel: Flucht 1965 Blum: Der Tod des Agamemnon Kropfreiter/Schönzeler: Altdorfer-Passion 1967 Bloch: Passio Domini Fischer: Über allem steht ein Licht 186 Kern: Sapientia in Christo Noll/Quoist: Herr, da bin ich 1968 Henze/Schnabel: Das Floß der Medusa 1969 Heilmann: Der Sündenfall Noll: Go down, Moses 1971 Bertram: Der reiche Mann und der arme Lazarus 1972 Baumann : Lucas-Cranach-Oratorium Fietz/Jourdan: Paulus I Kelterborn: Dies unus 1973 Bresgen: De tempore Fietz/Jourdan: Paulus II Stockmeier: Jona 1974 Berlipp: Golgatha Kreisel: Requiem Kunad: Die Kitschpostille Matthus: Laudate pacem 1975 David: Lied des Menschen Eder/Vogg: Non sum qualis eram Haller: Hiob Kubizek/Vogg: Stationen (Memento Homo) Steffen/Drewitz: Botschaft Tenhaef: Die letzten Worte Jesu Christi am Kreuz 1976 Doppelbauer: Dein Reich komme Fietz/Jourdan: Petrus Oratorium 187 1977 Bieler: Der Ackermann aus Böhmen Fietz/Jourdan: David Heilmann/Lipp: Von der Weisheit Gottes Kreisel: Jona Posegga/Giner: Christ und Antichrist 1979 Fietz/Jourdan: Johannes-Oratorium Rapf: Passio Aeterna Schedl/Böcs: Der Großinquisitor 1980 Baumann: Auferstehung Baumann: Passion Becker: Magnum mysterium - Zeugenaussagen zur Kunad: Stimmen der Völker Stockmeier: Historien 1981 Kopf: Luther-Oratorium Posegga: Te Deum benedictoburanum 1982 Ebenhöh/Vogg: Von der Hoffnung Fietz/Jourdan: Martin Luther Oratorium Flammer: Der Turmbau zu Babel Frederichs: Petrus Schubert: Der Mensch, das Spiel der Zeit 1983 Becerra-Schmidt: Carl von Ossietzky-Oratorium 1984 Kunad: Salomonische Stimmen 1985 Bresgen: Lumen (Der Blinde) Callhoff: La Danse macabre Frederichs: Passionserzählung der Maria Magdalena Kratochwil/Schweiger: Die Erschaffung der Welt 188 1986 Engelmann: Stele für Georg Büchner Glaus: Hüllen des Abgrunds Kunad: Das neue Jerusalem (Trilogie der Offenbarung Rubin: Auferstehung 1987 Denhoff: Traumbuch eines Gefangenen Frieberger: Mysterium Crucis Kunad: Das Thomas-Evangelium Kunad: Jovian, der Seher 1988 Glaus: Sunt lacrimae rerum Krenek: Opus sine nomine Kunad: Der Seher von Patmos Rubin: Licht über Damaskus Tamás/Storz: Noahs Tochter 1989 Bubmann/Töllner: Thomas der Zweifler Hummel/Scheele: Der Schrein der Märtyrer Klebe: Weihnachtsoratorium Vogel/Vogg: Allezeit Wagner: Hiob 1990 Frederichs: Hiob 1991 Gieseler: Unio mystica Graf: Martin von Tours - Teilen statt Töten Klebe: Warum hat die Sonne einen Aschenrand Kukuck/Johannsen: Ecce homo: die letzten Tage des Jesus aus Lonquich/Spaemann: Das Schweigen des Johann von Nepomuk Stockmeier: Jesus 1992 Johnson: Bonhoeffer Oratorium Stuppner: Hiob 189 1993 Blume/Eckert: Hiob - Vom Leiden guter Menschen Dinescu: Pfingstoratorium Heizmann/Jourdan: Jerusalem Schalom Lonquich/Lüchtefeld/Brüning: Auf dem Rand der Mauer 1994 Agnesens: Christof Dohm Frieberger: Die Bekehrung des Hl. Paulus Schlee/Deutsch: Der Baum des Heils Wolos: Spuren nach Bethlehem 1995 Bonitz/Uhlenbrock: Oratorium Benedictinum Drude/Mendt: Weihnachtsoratorium Krämer: Kinder des Lichts Modeß/Biermann: Frieden Rütti/Walter: Verena die Quelle Shih/Chiu: Lebend'ges Land Stockmeier: Jefta und seine Tochter 1996 Blarr: Wenn du auferstehst - wenn ich aufersteh’ Gabriel/Eckert: Daniel 1997 Aufenanger/Langen: Elias - Homo Psychoticus Ernst/Meyer-Bernitz: ... noch sind die Wege offen Hollenweger/Korthaus: Maria von Wedemeyer Nening/Busta: Ein anderes Hohelied 1998 Barbe: 1648 Bitsch/Walter: Kugel im Licht Heizmann/Jourdan: Das Licht leuchtet in der Finsternis Linßen: Die Spur von morgen Ruoff: Bergpredigt Vögele: Passion 190 1999 Brezger/Finke/Holm: Paulus in Korinth Clemencic, Rene: Reise nach Niniveh Drude/Mendt: Von den Mühen der Heimkehr Jost/Nitsch: Ewigkeit fällt in die Zeit Steiff/Mohr: Salz für die Erde 2000 Büsing: Das Licht der Engel Drude/Drude: "Für deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten" Hoeft/Fietkau: Unterwegs Josef: Vor langer Zeit. Stationen einer Stadt Katzer/Wolf/Wolf: Medea in Korinth Kirchner : Ahasver Kraus-Hübner/Knodt: Zeitenwenden Meyer/Engelsberger: Schöpfung Schwenk: Dies Septimus Tenhaef: Petrus Zemzaris: O Virga ac Diadema 2001 Bertram: Ich sage: jetzt! Bitsch/Wellerdiek: Sr. Maria Euthymia Heucke: Die Ordnung der Erde Kaufmann: Botschaft aus Bethlehem Kleber: Tefilla Tenhaef: Maria Magdalena Tenhaef: Die Geburt des Lichts Wolf: Leben und Leiden Jesu 2002 Gabriel/Eckert: Emmaus Jänke/Richter: Dass ein neuer Anfang verbleibe Kraus-Hübner/Knodt: Legende der Hl. Walburga Linßen: Adam - auf der Suche nach dem Menschen Mertens/Suberg: Passion in Form eines Oratoriums Ruoff: Credo 191 2003 Graf: Tage des Mondes Pasquay: Friedensoratorium Zebinger: Bruder Sonne, Schwester Mond ohne Jahr Bonitz: Oratorium Evangelium 192 V ERZEICHNIS Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7: 8: DER T ABELLEN UND A BBILDUNGEN Oratorien nach 1945 ............................................................................. 44 Erscheinungsformen der untersuchten Oratorienlibretti ....................... 45 Titelgebung ........................................................................................... 54 Gattungsvarianten ................................................................................ 59 Sujets des Oratoriums im Vergleich ...................................................... 62 Textquellen im Oratorienlibretto............................................................ 95 Häufigkeit der Strukturtypen .............................................................. 140 Strukturformen ................................................................................... 142 193 L ITERATURVERZEICHNIS ACHBERGER 1980 Achberger, Karen: Literatur als Libretto. 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.........................................28 Dinescu, Violeta.................................. 69 Bertram, Hans Georg ........ 44, 45, 52, 57 Distler, Hugo .................. 25, 29, 57, 145 Bialas, Günter............................. 29, 146 Dostoevskij, Fёdor M. ......................... 74 Biermann, Wilhelm .............................55 Drewitz, Ingeborg.......................... 9, 184 Bitsch, Jutta ........................... 50, 54, 73 Blarr, Oskar Gottlieb.... 9, 21, 35, 53, 68, 85, 108, 119, 138, 139, 144, 156 Driessler, Johannes ... 14, 29, 50, 53, 56, 61, 72, 77, 78, 80, 87, 104, 113, 116, 124, 127, 128, 137 Bloch, Waldemar....... 45, 52, 55, 66, 125 Droste-Hülshoff, Annette v.......... 75, 184 Blum, Robert............. 50, 51, 61, 75, 158 Drude, Hartwig ............67, 110, 112, 139 Blume, Jürgen . 34, 49, 72, 81, 101, 104, 111, 115, 118, 120, 125, 136, 158 Drude, Matthias .....34, 53, 73, 100, 101, 110, 112, 115, 125, 137, 139, 140 Böcs, Attila........................................182 E Bonhoeffer, Dietrich ... 36, 50, 64, 74, 75, 96, 147, 171, 193 Bonitz, Matthias.................... 34, 55, 158 Ebenhöh, Horst ..51, 59, 60, 75, 97, 104, 116, 127, 133, 164 Brahms, Johannes ...................... 22, 199 Eckert, Eugen.34, 35, 49, 60, 72, 73, 81, 101, 104, 111, 115, 118, 120, 125, 136, 158, 167 Bresgen, César .............................. 55, 76 Eder, Helmut .........56, 77, 115, 125, 207 Brezger, Gottfried ..............................159 Engelmann, Hans Ulrich........... 9, 51, 61 Brix, Bettina.................................. 61, 77 Bruch, Max ................................... 24, 64 Engelsberger, Gerhard ..... 34, 52, 72, 85, 179 Brüning, Bärbel ........................ 178, 179 Ernst, Siegrid...................................... 54 Borchmeyer, Dieter ....................... 36, 39 Bubmann, Peter 31, 50, 60, 95, 102, 104 Büchtger, Fritz ..... 50, 52, 53, 59, 68, 70, 107 Burkhard, Willy...................................41 Büsing, Otfried 9, 35, 53, 54, 61, 68, 115 F Fassbind, Franz.................................. 45 Feuchtwanger, Lion .....73, 110, 123, 185 209 Fiebig, Kurt ................................. 29, 146 Holm,Thomas ................................... 159 Fietkau, Wolfgang ......................... 54, 60 Honegger, Arthur .................... 25, 26, 28 Fietz, Siegfried 9, 32, 49, 50, 95, 96, 100, 125, 165 Huber, Klaus .......................... 14, 28, 34 Finke, Christian ................................159 Hummel, Bertold .......9, 44, 74, 108, 119 Hülle, Dieter ....................................... 74 Fortner, Wolfgang.................... 14, 29, 56 Frederichs, Henning... 21, 49, 60, 66, 70, 72, 82, 95, 101, 104, 115, 116, 118, 133, 136, 184 J Frieberger, Rupert Gottfried .. 52, 66, 167 Janssen, Peter .............................. 31, 32 Fried, Erich .........................................84 Jens, Walter ..................... 156, 160, 161 Jänke, Stefan.............................. 33, 199 Jochum, Otto...................................... 55 G Johannsen, Margret.............. 67, 83, 176 Gabriel, Thomas................ 34, 49, 60, 73 Johnson, Tom......................... 50, 75, 96 Gattermeyer, Heinrich............. 52, 53, 72 Josef, Jens.......................................... 54 Gerhardt, Paul .......................... 161, 181 Jost, Helmut............... 21, 54, 60, 69, 86 Géricault, Théodore...........................112 Jourdan, Johannes.... 49, 50, 52, 95, 96, 100, 125, 165 Gier, Albert ...... 33, 39, 42, 43, 107, 108, 135, 137 Gieseler, Walter....................... 50, 55, 61 József, Attila ..................................... 157 K Giner, Chrysostomus ..........................60 Glaus, Daniel ................................ 56, 70 Karmakar, Romuald ........................... 45 Goethe, Johann Wolfgang v......... 89, 140 Kasack, Hermann ............................... 56 Graf, Wolfram .....................................74 Katzer, Georg .................. 51, 61, 75, 103 Gryphius, Andreas ................ 54, 76, 183 Kelterborn, Rudolf ..... 52, 55, 61, 71, 73, 107, 114, 125 H Kern, Matthias.................................... 50 Haas, Joseph 25, 26, 53, 69, 76, 78, 104, 113, 119, 131, 132, 136, 143, 168 Hacks, Peter........................................42 Haller, Hermann ........... 49, 72, 118, 136 Händel, Georg Friedrich .............. 16, 198 Härtling, Peter........... 36, 68, 78, 82, 129 Kirchner, Volker David ................. 50, 65 Klebe, Giselher......35, 53, 67, 68, 78, 82, 129, 173 Kleber, Wolfgang....................... 139, 174 Klopstock, Friedrich.............. 63, 89, 146 Knodt, Reinhard ..................... 50, 54, 62 Haydn, Joseph ............................ 48, 146 Koerppen, Alfred .51, 52, 72, 75, 87, 103, 108, 116, 125, 174 Heiller, Anton .......................... 51, 75, 99 Kraft, Werner .................................... 187 Heilmann, Harald...... 50, 52, 55, 71, 128 Krämer, Thomas ........................... 53, 54 Heizmann, Klaus................. 9, 32, 52, 55 Kratochwil, Heinz.......................... 59, 71 Henze, Hans Werner..... 9, 61, 77, 84, 97, 99, 108, 112, 116, 120, 126, 170 Kraus-Hübner, Hans .............. 50, 54, 62 Heucke, Stefan................ 33, 44, 75, 108 Hildegard v. Bingen..................... 55, 113 Krenek, Ernst ......26, 50, 55, 69, 72, 115 Krieg, Franz ................................ 75, 169 Hoeft, Helmut................................ 54, 60 Kropfreiter, Augustinus Franz ... 59, 117, 125 Hollenweger, Walter ............................50 Kubizek, Augustin .................. 54, 77, 90 210 Kuckuck, Felicitas. 50, 53, 55, 67, 69, 83 Kunad, Rainer50, 52, 56, 57, 70, 74, 108 L Laagland, Ludo .................................157 Langen, Peter ......................................73 Lasker-Schüler, Else .........................140 Leopold, Silke.......................... 13, 22, 38 Liess, Andreas............... 51, 60, 115, 186 Linßen, Gregor ................ 54, 60, 95, 108 Lipp, Wolfgang ............................ 50, 169 Liszt, Franz .........................................42 O Orff, Carl ............................................ 29 P Pahlen, Kurt ....................................... 38 Pasquay, Wolfgang............................ 180 Pepping, Ernst .............. 29, 57, 146, 199 Posegga, Hans ............................ 60, 180 Q Quoist, Michel .................................... 50 Löbner, Roland.............................. 56, 62 R Lonquich, Heinz Martin 9, 34, 56, 61, 69, 74, 90, 91, 94, 105, 178, 179 Rapf, Kurt................55, 67, 84, 130, 181 Lüchtefeld, Klaus . 34, 35, 56, 61, 69, 90, 91, 105, 178, 179 Rilke, Rainer Maria ...36, 68, 76, 89, 130, 143, 160, 161, 181 Luther, Martin ... 64, 160, 161, 165, 185, 192, 202 Rubin, Marcel ...52, 53, 54, 68, 115, 118, 126, 141 Ruoff, Axel ........................ 55, 69, 82, 84 M Rütti, Carl..................................... 50, 74 Mahler, Gustav ...................................25 S Marti, Kurt .. 36, 100, 120, 121, 167, 168 Martin, Frank......................................26 Sachs, Nelly .................................. 36, 84 Massenkeil, Günther.. 22, 37, 38, 45, 64, 65, 66, 78, 79 Schedl, Gerhard...................... 50, 57, 74 Matthus, Siegfried...............................55 Scheideler, Ullrich ........................ 13, 38 Mauersberger, Rudolf..........................29 Schering, Arnold ................................. 37 Mendt, Dietrich ...... 34, 53, 73, 100, 101, 115, 125, 137, 140, 163 Schibler, Armin................................... 61 Meyer, Conrad Ferdinand..................182 Meyer, Krzysztof Aleksander.......... 72, 85 Schiske, Karl ....21, 76, 77, 88, 130, 143, 146, 183 Meyer-Bernitz, Klaus...........................54 Schlee, Thomas Daniel................ 74, 128 Micheelsen, Hans ................................29 Michelangelo .......................................76 Schnabel, Ernst ....9, 61, 77, 84, 99, 112, 116, 120, 122, 126, 170 Modeß, Jochen A.................................55 Schneider, Martin G. .......................... 31 Mohr, Jürgen ....................................184 Schneider, Walter ............................... 60 Monteverdi, Claudio ............................48 Schönberg, Arnold .................. 25, 26, 57 Scheele, Paul-Werner...74, 108, 119, 171 Schiller, Friedrich v. ......................... 166 Schönzeler, Hans-Hubert.................. 125 N Schröder, Rudolf Alexander ........ 68, 129 Nening, Wolfgang ................................59 Schubart, Christian F. D. ................. 181 Nitsch, Johannes .............. 54, 60, 69, 87 Schubert, Franz.....22, 54, 171, 183, 192 Noll, Diether........................................50 Schubert, Heino.................................. 54 211 Schulhoff, Erwin .................................30 Wiechert, Ernst................................... 68 Schumann, Robert ..............................24 Wolf, Christa..............9, 51, 61, 103, 172 Schuster, Ludwig ...................... 131, 168 Wolf, Gerhard ............................. 75, 172 Schweiger, Sigrid......................... 71, 175 Wolf, Markus ............................ 104, 188 Schwenk, Fredrik ................................72 Wolfskehl, Karl ................... 81, 136, 187 Shih .................................... 75, 184, 194 Wunderlich, Heinz .......... 50, 55, 60, 116 Silesius, Angelus....... 132, 142, 168, 181 Smither, Howard ............... 13, 22, 37, 65 Z Spaemann, Cordelia .................... 74, 179 Zemzaris, Ingmars ...................... 55, 113 Speicher, Martin .................................45 Zweig, Stefan .............................. 75, 164 Steiff, Gerhard ..................................184 Stockhausen, Karl-Heinz.....................28 Stockmeier, Wolfgang ...... 50, 61, 69, 73, 110, 115, 123, 127 Storz, Claudia . 43, 51, 73, 115, 119, 126 Stravinskij, Igor....................... 17, 25, 28 Stuppner, Hubert................................49 T Tamás, János.......................................... 43, 51, 73, 115, 119, 126, 147, 185, 193 Tàmas, Jànos.............................. 51, 126 Thomas, Kurt .................. 25, 29, 57, 145 Töllner, Wolfgang .................. 50, 60, 102 U Uhl, Alfred. 51, 60, 75, 97, 115, 116, 186 Uhlenbrock, Martin Pater OSB ... 34, 158, 194 Ungaretti, Giuseppe .................. 144, 157 V Vogel, Ernst .................................. 77, 88 Vögele, Anton .. 52, 67, 83, 119, 126, 143 Vogg, Herbert ...... 54, 56, 77, 81, 88, 90, 115, 125, 164, 176, 186, 207 W Wagner, Wolfram..... 49, 72, 81, 118, 136 Walter, Silja .............. 50, 54, 73, 74, 182 Weiss, Peter ........................................45 Wellerdiek, Gisbert........................ 50, 73 Wenzel, Eberhard................................29 212 Anders als das Opernlibretto hat das Oratorienlibretto bisher in der literaturwissenschaftlichen Forschung keine Beachtung gefunden. Dabei spielt der Text im Oratorium oft eine wichtigere Rolle als in der Oper. Die vorliegende Arbeit unternimmt deshalb den Versuch, das Oratorium als (auch) literarische Gattung anhand des Textes genauer zu beschreiben. Da das Oratorium insgesamt eine recht offene Gattung ist, die zudem im Laufe der Zeit und regional sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren hat, wurde die Untersuchung auf zwischen 1945 und 2000 entstandene überwiegend deutschsprachige Libretti beschränkt. Zunächst werden die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen der zeitgenössischen Oratorienproduktion und die derzeitige Forschungslage beleuchtet. Im zweiten Teil folgt die Untersuchung inhaltlicher Aspekte, wie die Wahl von Titeln und Sujets, sowie darauf aufbauend der Bedeutung der Bibel bei der Texterstellung und -gestaltung. Im dritten Teil wird schließlich die spezifische mehrlagige Erzählstruktur des Oratoriums herausgearbeitet, die sich aus verschiedenen, in Zeit und Perspektive voneinander unabhängigen Ebenen konstituiert. Ein ausführliches Oratorienverzeichnis rundet die Untersuchung ab und will als Ausgangspunkt für weitere, eigene Entdeckungsreisen in die Welt dieser unbekannten, aber äußerst vitalen Gattung dienen.