Schönheitsideal Magersucht Konsumenten wollen sich in schlanken ­Idealen wiederfinden. Medien und Werbung bedienen die Illusion mit dünnen Models – und treiben dieses Schönheitsideal ­weiter vor sich her. Erste Markt­teilnehmer sagen „Stop!“. Ein Überblick. Text von Elisabeth-K. Praitenlachner ­S-O-Ess. Die öster­ reichische Initiative tritt gemeinsam gegen Essstörungen auf. 48 Gesellschaftsstörung? Zappt man sich durch die TV-Kanäle, jagt eine Suche nach dem ­Supermodel, Topmodel und Nachwuchsmodel die nächste. Junge Mädchen und Buben hängen an den Formaten wie vorher an Barbiepuppen und Boy­groups. Schon oft wurde vor den Gefahren eines immer künstlicher werdenden Körperbildes g­ ewarnt. Aber ändert sich etwas? Gibt es aktive Gegentrends? 2007 ging der Schock-­ Fotograf Oliviero Toscani e­ inen optisch radikalen Weg, um aufzurütteln: Er fotografierte für die italienische Modemarke No-l-ita die magersüchtige ­Isabelle Caro unter dem Slogan No-Anorexia. Das aufrüttelnde Plakatsujet ging um die ganze Welt. Isabelle Caro verstarb letztes Jahr an ihrer Erkrankung. Fragt man heute bei No-l-ita nach dem Sujet, findet man wieder Business as usual: Die neue Werbelinie will nicht aufwühlen, sondern die „spielerische Leichtigkeit und Energie der Mode“ transportieren. ­Sozial engagiert man sich nun im Bereich der Kinder. Nun ja. Besser als nichts. Langsam vorwärts Die Basis für die vielbeachtete DoveKampagne „Initia­ tive für wahre Schönheit“ war eine Studie des Konzers Unilever, bei der sich herausstellte, dass sich nur zwei Prozent aller Frauen als „schön“ beschreiben. 67 Prozent aller Frauen fanden zudem, dass Medien und Werbung einen unrealistischen Schönheitsstandard setzen. Und trotzdem entwickeln sich auch hier die Sujets des Hygieneartikelherstellers wieder mehr zu schlankeren Typen. Doch es gab weitere Initiativen: Im Frühling 2006 startete in Deutschland mit magersucht.de eine Kampagne für mehr soziale Verantwortung in der Modebranche. Auch in Spanien sprachen sich führende Designer und Unternehmer für eine Vielfalt am Laufsteg aus. Nur gesunde Models sollen zu sehen seien. Darauf folgend verbietet die Madrider Modeschau ­Pasarela Cibeles ­Models mit einem Body-Mass-Index unter 18 den Auftritt beim Event. In den USA fordert die Academy of Eating Disorders, auf untergewichtige Models zu verzichten und ein Mindest-Größe/Gewicht-Verhältnis einzuführen. In Italien gab es eine nationale Grundsatzerklärung zur Selbst­ verpflichtung der italienischen Modeindustrie im Kampf gegen Magersucht, und auf der Modeschau in Mailand dürfen Models mit einem BMI unter 18,5 und einem Alter unter 16 Jahren nicht mehr laufen. In Brasilien verlangen die Modelagenturen nach dem ­Anorexie-Tod mehrerer Models medizinische Gutachten von den Mädchen. Auch die Londoner Mode- Bestseller 3|4 2011 dove, no-lita, ogilvy woche bittet nun die Designer, nur ­„gesunde“ Models auftreten zu lassen, während in Spanien erstmals aufgrund der neuen Bestimmungen fünf Models nicht auftreten durften. „Was wir sehen, ist, dass sich langsam ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas entwickelt. Wesentlicher Forderungspunkt auch bei dem kürzlich in London stattgefundenen Welt-Gipfel mit dem Thema Retusche – Realität „Endangered Species: Schließlich wird Women“ (Gefährdeauch Österreich te Art: Frauen) war ­aktiv. Die österreiund ist – neben vielchische S-O-Ess-Inifältigen Frauendartiative gegen Ess­ stellungen in den störungen unter der Medien – die KennLeitung der damalizeichnung beziegen Wiener Gesund- hungsweise der heits- und Sozial­Verzicht auf retustadträtin Sonja schierte Fotos und Wehsely und der somit mehr EhrlichFrauengesundheitskeit bei den Bildern beauftragten der in den Medien und Stadt Wien, Beate der Werbung. Denn: Wimmer-Puchinger, „Wir sind wöchentmit dem Zweck, lich durchschnittlich krankmachende Vor- mit 2.000 bis 5.000 bilder zu minimieBildern von idealiren und gesundsierten Körpern heitsfördernde Maß- ­konfrontiert, die nahmen zu erhöhen, ­zu­sätzlich digital wird vorgestellt. ­bearbeitet sind.“ Die ­Michaela Langer, daraus resultierenstellvertretende den Forderungen ­Leiterin des Wiener von S-O-Ess sind Programms für eindeutig: Wir ­Frauengesundheit: ­brauchen wieder Bestseller 3|4 2011 ANAD. Ogilvy Frank­ furt räumte mit ihrer Ölbilderkampagne ­bereits viele Preise ab. viel­fältige Körperformen in den Medien und in der Werbung. Derzeit sind Frauen mit Modelmaßen absolut überrepräsentiert, und es erweckt den Anschein, dass das das Normale ist, obwohl nur 0,06 Prozent der Frauen diese Körperform haben. Krea­ tive Umsetzungen gibt es bereits: So konnte Ogilvy mit ihren Ölgemälden als Unterstützung für die Gruppe Anad im Kampf ­gegen Magersucht international zahlreiche Preise ab­ räumen. Fragt man die Werber aus Frankfurt, ob Agenturen eine Einflussmöglichkeit haben, findet man Zuversicht: „Veränderungsprozesse ­dieser Art sind gesamtgesellschaftliche Phänomene. Werbung kann dazu beitragen, die Debatte darüber anzustoßen.“ Auch die Frauenzeitschrift Brigitte verzichtet bereits seit einem Jahr wirtschaftlich sehr erfolgreich komplett auf Models in ihrem Heft. Und der österreichische Wäschehersteller Pal- mers geht mit gutem Beispiel voran und initiierte 2010 gemeinsam mit einer Frauenzeitschrift die Suche nach der Spitzenfrau. Auch hier mit überwältigender Resonanz. Guggi Liska, Leitung PR & Social Media Palmers Textil AG: „Es gibt bereits mehrere Kampagnen, bei denen nicht-professionelle Models eingesetzt werden. Menschen „wie du und ich“ kamen ­dabei jedoch bisher nie zum Zug – und genau das war uns wichtig. Wir begeg- nen so vielen tollen Frauen in unserem täglichen Geschäft, dass wir das auch über diese Kam­ pagne zelebrieren wollten. Es wird spannend, zu be­ obachten, wie sich diese Idee weiterentwickelt.“ Bleibt die Hoffnung, dass sich mit solchen Kampagnen das Bildnis von und für Frauen nachhaltig ändert und nicht die steigende Anzahl der SchönheitsOPs ein Zeichen­ ­dafür ist, das ein ­pathologisches Ideal wieder im ­Vormarsch ist. 49