SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Kinder

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
Kinder und Konsum
Vom bewussten Umgang mit Geld
Autorin: Franziska Hochwald
Redaktion: Anja Brockert
Regie: Maria Ohmer
Sendung: Samstag, 05. Dezember 2009, 8.30 Uhr, SWR 2
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Dieses Manuskript enthält Textpassagen in [Klammern], die in der ausgestrahlten
Sendung aus Zeitgründen gekürzt wurden.
MANUSKRIPT
[Atmo 1: Werbung]
O-Ton 1: (Kinder, Collage)
Ich wünsch mir ein PSP und das Spiel dazu, GTA IV / Ich wünsch mir zu meinem
nächsten Geburtstag ein Handy / Ich wünsch mir einen anderen Gameboy.
[Atmo 2: Werbung]
Ansage:
Kinder und Konsum – Vom bewussten Umgang mit Geld
Von Franziska Hochwald
Regie: Musik, als Kennzeichnung für subjektiven Autorinnentext, verblenden mit
Atmo 3: Supermarkt
Autorin:
Nichts zu Essen im Haus, aber dafür zwei hungrige Kinder. Da hilft alles nichts – ich
muss mit ihnen zusammen in den Supermarkt. Das wird mal wieder nervenaufreibend.
Atmo 4: Kind im Supermarkt: „Krieg ich?“
Autorin:
Schon am Eingang, gleich hinter der Obsttheke, sind die Grabbelkisten aufgebaut:
Spielzeug türmt sich neben Sportkleidung, Bademattenstapel werfen ihre Schatten auf
riesige Körbe voller Süßigkeiten. Sie ziehen meine Kinder magisch an. Dabei will ich
doch nur ein bisschen Brot und Käse fürs Abendessen kaufen.
Atmo 5: Kind im Supermarkt: „Bitte, bitte!“
Autorin:
Entschieden schleuse ich meinen Nachwuchs durch die Regalreihen. Doch dann
kommt die Kasse. Genau in Kinderhöhe, einen halben Meter über dem Boden, liegt die
sogenannte „Quengelware“ – Schokoriegel, Kaugummis, Überraschungseier. Die
Kinder betteln, ein Ehepaar blickt missbilligend, nur eine ältere Dame zeigt Verständnis:
Atmo 6:
Kind im Supermarkt bettelt: „Überraschungsei!“ / Dame: „Meiner Tochter, der geht es
auch immer so ...“ / dann Atmo 3 Supermarkt noch einmal unterlegen
Regie: kurz Musik (markiert Ende subjektiver Teil)
Erzählerin:
Laut Kids-Verbraucher-Analyse 2008 haben Kinder und Jugendliche rund 1.070 Euro im
Jahr zur eigenen Verfügung. Kein Wunder, dass die Altersgruppe zwischen sechs und
23 Jahren von der Wirtschaft heiß umworben wird. Und trotz gestiegener Kosten und
Finanzkrise sind Familien nach wie vor bereit, für ihren Nachwuchs tief in die Tasche zu
greifen. Rund 2,6 Milliarden Euro kommen nach Hochrechnungen der Autoren jährlich
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an Taschengeld und Geldgeschenken zusammen, die vor allem für Süßwaren,
Zeitschriften und Eis ausgegeben werden. Weitere 3,8 Milliarden Euro liegen auf den
Sparkonten.
O-Ton 2: (Kind)
Ich krieg manchmal Süßis und manchmal Spielzeuge. Ich muss nur mitgehen.
O-Ton 3: (Kind)
Ich krieg nur manchmal etwas von meiner Oma, und ich hab so viel, und deswegen tu
ich aussortieren. Mama hat gesagt, es gibt ein ganz armes Mädchen, das schenk ich
jetzt Spielsachen.
O-Ton 4 (Kind)
Wenn ich so bettle, dann nervt das meine Mutter und dann sagt sie ja. Wenn ich bettel
sagt sie nein, dann bettle ich noch eine halbe Stunde, und wenn sie immer noch nein
sagt noch mal eine Stunde und wenn sie immer noch nein sagt, hör ich auf.
Erzählerin:
Diese Zweitklässler zeigen das ganze Spektrum im Umgang mit Konsumwünschen –
von der reinen Begehrlichkeit über gezielte Elternmanipulation bis hin zu einer
Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit. Es scheint, als gingen diese Kinder nüchterner
an die Sache heran als ihre ständig um den korrekten Weg bemühten und doch oftmals
inkonsequenten Eltern.
Regie: Musik, s.o.
Autorin:
Ich frage mich, wie andere Eltern das Problem lösen. Stichprobe bei einer Freundin,
Mutter von drei Kindern. Die Familie ist zwar finanziell gut gestellt, bemüht sich in der
Erziehung aber weitgehend um Konsum-Verzicht. Dazu gehört auch, die Kinder beim
Einkauf möglichst zu Hause zu lassen:
O-Ton 5: (Mutter)
Eigentlich denke ich, dass die Kinder in den Läden überfordert sind (...) Weil mir das
auch zu aufwändig ist, mit drei Kindern einkaufen zu geben und jeder will was, und
jeder entdeckt neue Wünsche, die er haben möchte, und so gibt es einfach eine
begrenzte Auswahl. Außerdem geben wir einfach alles weiter und die Kinder freuen
sich auch wirklich darüber, dass sie den Pullover von der älteren Schwester jetzt
kriegen.
Autorin:
Die Eltern haben sich bewusst dafür entschieden, hochwertige gebrauchte Kleidung zu
kaufen und das Essen weitgehend selbst zuzubereiten. Modeklamotten und Fast-FoodRestaurants kennen ihre Kinder nicht. Aber wenn meine Freundin dann doch mal mit
den Kindern in den Supermarkt muss, kommt auch sie um den Quengelkampf nicht
herum:
O-Ton 6 (Mutter)
Wir waren zusammen im Biomarkt und mein zweiter Sohn war damals fünf Jahre alt
und wollte alles haben, wollte Fleisch haben, Wurst haben, er wollte Käse haben, und
an der Kasse wollte er dann auch noch ein Stück Kuchen haben, und dann hab ich
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jedes Mal nein gesagt, und dann schrie er durch den ganzen Laden: Immer musst du
alles selber machen! Was im Bioladen natürlich auch angebracht ist.
Regie: Musik, s.o.
Erzählerin:
Für Eltern, die Hilfe bei der Konsumerziehung suchen, gibt es Broschüren von
Finanzinstituten und Verbraucherzentralen. Ausführliche Ratgeber-Literatur gibt es
jedoch kaum. Eines der wenigen Bücher zum Thema heißt „Wie viel Marke braucht
mein Kind?“ von Peter Struck. Darin empfiehlt der Erziehungswissenschaftler:
Zitator:
Erzieherisch kommt es darauf an, Kinder schon früh gegen Versuchungen[,
Verfrühungen] und Verführungen stark zu machen, sie gegen die übertriebene
Bewertung des schnöden Mammons in eine kritische Distanz zu bringen, damit sie sich
nicht in den allgemeinen Tanz um das goldene Kalb einreihen. Dazu müssen wir ihnen
auch die Werte der Askese, der Sparsamkeit, der Enthaltsamkeit und des Verzichts als
Gegengewicht zu den gleichzeitig auch zu akzeptierenden Bedürfnissen nach
gelegentlichem Genuss, nach einem gepflegten Aussehen, nach dem Wohlbehagen in
einem mit Spielzeug und mit Medien ausgestatteten Kinderzimmer aufbauen.
Atmo 7: Werbung
Erzählerin:
Der Alltag lässt freilich wenig Raum für Askese und Enthaltsamkeit. Im Kinderzimmer
der Klassenkameraden, in den Schaufenstern und vor allem in der Fernsehwerbung
lauern Verlockungen aller Art, die Kinder mit Konsummöglichkeiten konfrontieren und
Wünsche wecken. In ihrem Buch „Wenn Kinder immer alles haben wollen – Weniger ist
mehr“ beschreiben der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann und die Journalistin
Gerlinde Unverzagt, nach welchen Mustern die Werbung für die jüngste Zielgruppe
funktioniert:
Zitator:
Die Kinder in der Fernsehwerbung kennen Fisch nur in Stäbchenform, trinken ihren Saft
gemeinsam mit durstigen Zeichentrickfiguren und begrüßen den Clown, der
amerikanische Bulettenbrötchen serviert, wie einen alten Bekannten. Selbst wenn die
Kinder vor der Mattscheibe genau wissen, dass kein noch so vitaminreicher Saft
bewirken kann, dass plötzlich Drachen aus dem Fernseher direkt ins Kinderzimmer
springen, kommt die Botschaft an: Kindern soll vermittelt werden, dass ein bestimmtes
Produkt neue Freundschaft herstellen oder ihnen Zauberkräfte geben kann.
Atmo 8: Werbung (Actimel)
Erzählerin:
Tatsächlich lieben viele Kinder solche Werbespots und können noch nicht erkennen,
dass die Songs und Geschichten dazu dienen, sie als Käufer zu ködern.
Atmo 8: Werbung (Actimel)
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O-Ton 7 (Kinder)
In der Werbung kommt ja so was von Actimel, das haben wir angeguckt, manche sagen
auch das ist gut, es ist eigentlich Actimel, der erste, der Anführer heißt ja Acti, die Mel
ist das Mädchen. / Also mir gefällt halt die Cola-Werbung, weil da kommt immer voll die
coole Musik, und auch die Werbung von Obi. So wi wo was weiß Obi!
Erzählerin:
Für die Autoren Hurrelmann und Unverzagt ist klar, warum sich Kinder so leicht von
Werbung verführen lassen: Konsum sei für Kinder in erster Linie eine
Ersatzbefriedigung für wahre Bedürfnisse und trage damit den Makel des Unechten und
der emotionalen Verarmung:
Zitator:
Alle Kinder, die auf die Welt kommen, wollen zunächst etwas lernen. Sie wollen geliebt
werden, anderen Menschen gefallen, wollen Erfolge mit ihren Leistungen haben. Wenn
es ihnen nicht gelingt, anderen zu gefallen oder um ihrer selbst willen geliebt zu
werden, weichen sie auf Ersatz aus: Süßigkeiten und Spielzeug gehören zu den
Routineangeboten, die unsere Gesellschaft für diese Grundbedürfnisse bereithält.
Erzählerin:
Diese Diagnose würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die Verführungen der
Werbung nur einsame, vernachlässigte Kinderherzen treffen können. Eine
niederschmetternde Bilanz für alle liebenden Eltern! Doch was tun, wenn die „emotional
verarmten“ Kinder dann an der Kasse quengeln? Für die Ratgeber-Autoren ist diese
Situation in erster Linie eine Machtfrage:
Zitator:
Eltern sind in der Familie die Mächtigen, sie können Wünsche versagen oder erfüllen.
Kinder dagegen müssen sich eine Machtbasis ohne Geld verschaffen. Was liegt in
dieser Situation für Kinder näher, als in ihren Eltern Schuldgefühle zu wecken, um ihnen
auf diese Weise Geld zu entlocken?
Regie: Musik (Trenner für subjektive Passage)
Autorin:
Natürlich habe auch ich an genau dieser Stelle meinen wunden Punkt. Wenn ich nach
einem langen Arbeitstag noch einkaufen muss, wissen meine Jungs genau, wie sie
mich drankriegen: Ihre Mischung aus Quengeln und herzzerreißenden Blicken trifft auf
mein schlechtes Gewissen, weil ich so wenig Zeit für sie hatte – und schon ist der
Einkaufswagen mit Extras bestückt. Wie gehen andere Eltern damit um? Stichprobe bei
einem Familienvater:
O-Ton 8 (Vater)
Es ist schon so, dass ich sehr wenig Zeit für meine Kinder hab, und wenn ich dann
irgendwo beim Einkaufen bin, denk ich schon, dass ich ihnen mal eine Freude mach
und ihnen was von Lego oder Playmobil kauf. Eigentlich denk ich schon, dass so
größere Geschenke nur zum Geburtstag gemacht werden sollten oder zu Weihnachten,
aber wenn ich mit meinen Kindern im Laden stehe, werde ich manchmal schon
schwach und kauf ihnen was, weil ich denke, ich mache ihnen eine große Freude damit.
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Autorin:
Natürlich denkt man sich, dass solche spontanen Geschenke inkonsequent sind. Aber
ist es nicht tatsächlich so, dass meine Kinder sich besonders geliebt fühlen, wenn sie
unterschiedliche Arten von Zuwendung bekommen? Dazu gehören neben Zärtlichkeit,
freundlichen Worten, liebevoller Unterstützung und genügend Zeit doch auch kleine,
unerwartete Geschenke.
Regie: Musik (Trenner für subjektive Passage)
Erzählerin:
Die Erwartungen der Kinder und die Motivation der Eltern sind vielschichtig – was dabei
herauskommt, oftmals unerquicklich: ein zähes Tauziehen, manchmal auch ein
erbitterter Kampf mit offenem Ausgang. Wie entkommt man dem Dilemma, zum
Beispiel an der Kasse im Supermarkt? Hurrelmann und Unverzagt empfehlen:
Zitator:
Mit einem klaren Nein. Nicht: „Ja, vielleicht, wir werden sehen“, oder: „Hör zu, wenn du
dich nicht anständig benimmst, solange Oma zu Besuch ist“, auch nicht: „Wenn ich
diesen Auftrag bekomme, reden wir noch mal darüber.“ Ein ebenso freundliches wie
festes Nein ohne Einschränkung und ohne Bezug auf das, was ein Kind tun oder lassen
soll oder was seine Eltern verdienen: „Nein, ich will das nicht kaufen.“ Punktum.
Erzählerin:
Diese klare, knappe Lösung empfehlen jedoch nicht alle Experten. Insa Deeken vom
Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts und Verbrauchsforschung an der Universität
Gießen wertet derzeit eine Reihe von Projekten zum Thema Kinder und Konsum aus.
Sie bestätigt zwar, dass es z.B. beim Thema „Quengelware“ tatsächlich auch um ein
Austesten der kindlichen Macht geht. Doch das autoritäre Nein ist nach Meinung der
Ernährungs- und Haushaltswissenschaftlerin nicht in allen Familien das Mittel der Wahl:
O-Ton 9 (Deeken)
Wenn jetzt Eltern mit dem Kind ein eher partnerschaftliches oder demokratisches
Verhältnis haben, dann wird sich eher ein tolerantes Verhalten ausbilden, das heißt es
wird den Kindern auch Freiraum gelassen, sich zu entscheiden, oder auch mal etwas
selbständig auszuprobieren oder auszuwählen. Herrscht eher ein dominanter oder
autoritärer Erziehungsstil vor, dann versuchen Kinder eher ihre Machtbasis
auszutesten. Und gerade diese Machtbasis ist dann wieder dieses Probieren von
Konsumentscheidungen.
Erzählerin:
Offensichtlich beginnt der Kampf also nicht erst im Supermarkt, sondern hat seine
Grundlagen in der familiären Kommunikation. Ein Problem haben allerdings alle
Familien, ob autoritär oder demokratisch: Es ist die Gier der Kinder nach Süßigkeiten.
Da hilft weder Verhandeln noch Verbieten. Hier hat Insa Deeken eine aufschlussreiche
Erkenntnis aus der Ernährungswissenschaft anzubieten:
O-Ton 10 (Deeken)
[Da gibt es für Süßigkeiten auch noch andere Erklärungen,] es gibt ja sehr viele
Theorien, warum Kinder Süßigkeiten nachfragen oder unbedingt haben möchten. Dass
halt dieser süße Geschmack auf der Zunge sie an entwicklungspsychologisch frühe
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Stadien erinnert, und dass sie sich dann sicher fühlen, wenn sie etwas Süßes essen.
Das ist nicht nur die Vorbildfunktion und nicht nur die Werbung.
Atmo 9: Werbung / Collage
O-Ton 11 (Herzog)
Ich arbeite in der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg und ich führe einen
Workshop durch, der nennt sich „Knete und Konsum, Kids blicken durch“, ein Projekt
der Landesstiftung Baden-Württemberg in Trägerschaft der VZ Ba-Wü. Was ich mach
ist, dass ich in Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit gehe, also sprich
Kinderhäuser- und Jugendhäuser im Großraum Stuttgart.
Erzählerin:
Patrick Herzog ist Sozialpädagoge und hat ein Seminar-Konzept aus mehreren
Bausteinen entwickelt. Grundlage ist, die Wünsche und Vorstellungen der Kinder ernst
zu nehmen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Atmo 10: (Seminar)
Herzlich willkommen zu Knete und Konsum Kids – blicken durch, hi, hi, hallo. [Ich find’s
voll toll, dass ihr die Geduld habt.] Ich erzähl mal kurz, was wir so machen die nächsten
zwei Tage, und zwar dreht sich so alles um Geld, Werbung, Kaufen. Geld, Kaufen und
Werbung. (unter nächstem O-Ton abblenden )
O-Ton 12 (Herzog)
Es gibt so drei große Themen, die ich anbiete. Das eine ist Wünsche und Bedürfnisse,
wo es darum geht, dass die Kinder erkennen und reflektieren können, was für Wünsche
so in ihrem Alltag wichtig sind, was brauche ich, damit es mir gut geht. (...) Ganz wichtig
ist, dass wir nicht entscheiden nach dem Motto, das ist ein guter Wunsch, das ist ein
schlechter Wunsch, sondern wir gucken, was ist uns wichtig und was ist uns noch
wichtiger, um so einen Rahmen zu finden, dass die Kinder ihre Wünsche erkennen und
dann aber auch gucken: Wie kann man Wünsche auch bewerten?
O-Ton 13 (Kind)
Bei meinem Bild stand Familie drauf und gesund zu bleiben und trinken und Socken
und ein Bett zum Schlafen und Gemüse zum Essen.
O-Ton 14 (Kind)
Und ich hab so ne Waschmaschine gemacht, nen Apfel, ne Kirsche und nen Fernseher.
Das ist wichtig.
O-Ton 15 (Kind)
Ich hab da auf den Zettel geschrieben: Freundschaft, Familie und Fußball spielen.
Erzählerin:
Im Seminar erarbeiten die Kinder eine Collage zu allen Dingen, die ihnen besonders
wichtig sind. Während die Kinder sich gegenseitig ihre Ergebnisse vorstellen, entspinnt
sich eine Diskussion über das Einkaufen.
Atmo 11 (Seminar)
Was passiert eigentlich beim Kaufen? / Dann hat man Geld und dann geht man z.B. in
den Aldi, und dann möchte man die Banane kaufen, legt sie auf das Laufband, bezahlt,
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und dann kriegt man die Banane / Genau, Angebot und Nachfrage. Man kann sich eine
nehmen und abschälen und essen. – Was hätte man da gemacht? / Gestohlen. / Die
kriegt man doch vom Baum. / Ich hab hier noch nie einen Bananenbaum wachsen
sehen ... (Rest unterlegen)
Erzählerin:
Patrick Herzog erklärt den Kindern, dass es nicht nur Konsumenten gibt, sondern auch
Produzenten und wie der Warenkreislauf funktioniert. Ein weiteres Thema ist die
Werbung:
Atmo Werbung
O-Ton 16 (Herzog)
Wir gucken uns dann Werbeclips an (...) und gucken dann, was ist überhaupt Werbung
und wie kann es Werbung gelingen, bestimmte Wünsche und Bedürfnisse in Produkte
quasi reinzulegen und eine Aussage zu machen, wenn du das und das kaufst, kannst
du dir diesen Wunsch erfüllen. Ganz wichtig auch dann, nicht sagen, Werbung ist
schlecht, verführt, sondern was kann Werbung für Aussagen machen, und was für
Bedeutungen können wir selber damit verknüpfen, also einen rationalen Zugang zu
schaffen.
Erzählerin:
Diesen „rationalen Zugang“ versucht Patrick Herzog auch im Umgang mit dem Internet
zu vermitteln. Denn auch dies bietet eine Fülle von Konsummöglichkeiten. Hier ist es
besonders wichtig, dass Kinder Fallen und Lockangebote erkennen – ein falscher Klick
kann die Eltern teuer zu stehen kommen.
Atmo 12:
Herzog sucht auf kostenpflichtigen Internetseiten gemeinsam mit den Kindern den
Preis.
Erzählerin:
Schon Grundschulkinder sind heute oft der Meinung, dass sie bestimmte Spielsachen
besitzen müssten. Vor allem elektronische Spiele für Playstation und Gameboy stehen
bei fast allen auf dem Wunschzettel:
O-Ton 17 (Kinder/Collage)
Ich wünsch mir zu Weihnachten Nintendo DS-Spiel und noch Spiele zum spielen und
Schuhe / Ich wünsch mir zum Geburtstag einen neuen Roller und Nintendo-Spiele / Ich
hab einen blauen Nintendo, und ich hab einen roten Nintendo, und ich wünsch mir noch
nen Hund./ Ich wünsch mir so ne Kasse und ein Nintendo-Spiel und ein paar Schuhe.
Erzählerin:
Sicherlich ist es für Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen schwer auszuhalten,
wenn ihnen die neueste Playstation verwehrt bleibt. Aber auch hier gilt nach Meinung
der Experten: Die Art und Weise, wie Geld in der Familie besetzt ist und verhandelt
wird, hat sehr viel mehr Bedeutung als die eigentliche Geldmenge, die zur Verfügung
steht. Die Verhandlungen um Spielzeug und Kleidung bieten schon Grundschülern die
Möglichkeit, einen Umgang mit Geld zu entwickeln. Das Markenbewusstsein als
vermeintlich identitätsstiftendes Moment kommt freilich erst später ins Spiel, meint
Konsumforscherin Insa Deeken:
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O-Ton 18 (Deeken)
Das setzt mit der Pubertät ein, Psychologen sagen, das ist die formal-operationale
Phase der kognitiven Entwicklung, das heißt wenn die Jugendlichen versuchen, sich
selbst zu finden und von der Gesellschaft abzukoppeln und einen eigenen Lebensstil im
Bereich Konsum und Freizeit zu entwickeln, dann entsteht dieses Markenbewusstsein.
Im Grundschulalter steht nicht so sehr die Marke im Vordergrund, sondern das Ding
sozusagen, es ist nicht so sehr der symbolische Wert, sondern der Wert dieses
Gegenstandes. Da sind es mehr die Eltern, die dem Kind kleine Oilily-Klamotten
anziehen und auf die Marken achten
Erzählerin:
Im Gespräch mit den Kindern wird auch klar, dass die reichsten Kinder nicht
automatisch die beliebtesten sind. Die ökonomische Lage von Familien kann sicherlich
die Hierarchien in den Schulklassen beeinflussen, doch nur über Geld funktionieren die
sozialen Beziehungen nicht:
O-Ton 19 (Kind)
[Ja, z.B.] wenn jetzt ein Junge kommt oder der sagt halt er hat ganz viel Geld und wir
nicht, das mag ich nicht so besonders, dass er das sagt halt.
O-Ton 20 (Kind)
[Also] einer aus meiner Klasse, der hat ne Wii und ne XBox und ne Playstation usw. (...)
und damit gibt der halt immer an.
O-Ton 21 (Kind)
Mein Freund, der will auch immer alles haben, was ich hab und der gibt dann halt
immer an. Ich finde, dass ich auch ein bisschen zu viel hab und man muss nicht jede
Sache gleich haben.
O-Ton 22 (Kind)
Ich finde, dass der Sascha viel zu viel kriegt und ich glaub ihm auch nicht, dass er so
viel kriegt.
Erzählerin:
Der Umgang mit Geld ist immer auch ein Umgang mit den eigenen Möglichkeiten und
Grenzen. Er muss gelernt werden wie eine Kulturtechnik. Dabei hilft das Taschengeld.
Mit ihm können Kinder lernen, sich einen Wunsch selber zu erfüllen. Patrick Herzog von
der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg empfiehlt Eltern, den Kindern dabei
wirklich freie Hand zu lassen und die jeweiligen Objekte, die vom Taschengeld gekauft
werden sollen, nicht zu beurteilen:
O-Ton 23: (Herzog)
Auch die emotionale Aufladung, die manchmal damit gemacht wird so nach dem Motto,
wenn du besonders lieb warst, dann kriegst du mehr Taschengeld, überspitzt formuliert,
ist in dem Moment auch wieder kontraproduktiv, weil dann Taschengeld als
Erziehungsmittel eingesetzt wird, oder als Instrument für Strafe nach dem Motto, wenn
du nicht gehorchst, dann wird dir das Taschengeld gekürzt, ist insofern auch wieder
kontraproduktiv, weil dann das Taschengeld diesen rationalen Zugang nicht mehr
bieten kann, weil dann die Ebenen vermischt werden, das Kind kann mit diesem Geld
gar nicht planen.
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Erzählerin:
Hinter all der Aufregung um die „Marken-Kids“ von heute und ihre Konsumwünsche
lässt sich also ein konstruktiver Zugang finden. Man kann Kindern einen Erfahrungsund Lernraum eröffnen, in dem sie den Umgang mit Geld ausprobieren können.
[O-Ton 24 (Herzog):
[...] Meiner Meinung nach ist es immer sehr gewinnbringend, an den Ressourcen
anzuknüpfen und nicht an den Defiziten primär. Und insofern denke ich, dass so eine
eher moralisierende Betrachtung nicht weiterhilft, denn sie ist eher kontraproduktiv, weil
wenn man mit starken Emotionen Dinge betrachtet und bearbeitet, verschließt man sich
automatisch den rationalen Zugang.]
Erzählerin:
Zur Konsumerziehung gehören sowohl das bewusste Sprechen über Geld in der
Familie als auch der alltägliche, in der Regel unbewusst gelebte Konsumstil der Familie,
meint Insa Deeken [vom Gießener Institut für Wirtschaftslehre des Haushalts:]
O-Ton 25 (Deeken):
[...] Die eigentliche Konsum- oder auch Gelderziehung findet erst in der Partizipation
von Kindern an Konsumentscheidungen und Geldentscheidungen statt. Und hierzu
benötigen Eltern Zeit, Wissen und natürlich Hinwendung zum Kind. Das heißt, dass die
Eltern reflektieren sollten, dass ihr Konsumverhalten und ihr Umgang mit Geld quasi
Vorbild ist für die Kinder, und dass sie dann mit Kindern offen darüber reden sollten,
was als nächstes angeschafft wird in der Familie und auch die Kinder zu Wort kommen
lassen, was sie davon halten.
Erzählerin:
Hilfreich ist es, wenn Eltern erklären, wie viel sie verdienen und in welcher finanziellen
Relation zum Beispiel eine Playstation dazu steht. Dann können die Kinder sich besser
vorstellen, was die Anschaffung für das Familienbudget bedeutet. Auch Eltern können
und sollten die „Kulturtechnik“ des bewussten Umgangs mit Geld erlernen:
O-Ton 26 (Deeken)
Es gibt Konsumstile, an denen man erkennen kann, ob Konsumkompetenz vorliegt in
der Familie, natürlich wenn den Kindern bis zur Hälfte des Monats jeden Morgen zwei
Euro mitgegeben wird für den Bäcker und dann ab der Hälfte des Monats ist kein Geld
mehr da und die Kinder gehen dann ohne Frühstück zur Schule, ist das natürlich ein
Zeichen von mangelnder Konsumkompetenz der Eltern.
Erzählerin:
Konsum-Kompetenz würde man vermutlich erst einmal eher bildungsnahen Familien
mit höherem Einkommen zuschreiben. Doch Insa Deeken hat beobachtet, dass es in
diesen Familien häufig ein Tabu ist, über Geld zu sprechen. Finanzschwächere
Familien seien da notgedrungen offener:
O-Ton 27: (Deeken)
Es gibt ein Phänomen, das besagt, dass gerade wenn Familien weniger Geld haben,
offener mit den Kindern über Geld reden, und zwar geht es hier in erster Linie um
Entscheidungs- und Abwägungsverhandlungen, sozusagen, es ist wenig Geld da, das
nicht für alle Wünsche ausreicht und deshalb wird offen darüber verhandelt.
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O-Ton 28: (Kind)
Meine Mama braucht ja Geld für das Urlaub, und wir können uns das nicht alles leisten,
ich wollte immer schon im Real so was kaufen, so ein Heft, und meine Mama hatte nicht
so viel Geld dabei und das mussten wir halt für den Urlaub sparen.
O-Ton 29 (Kind)
Ich wollte manchmal auch Spielsachen und die Mama konnte es mir nicht kaufen, weil
wir auf unser neues Auto sparen mussten, und jetzt haben wir das neue Auto seit
Dienstag, aber jetzt müssen wir immer noch sparen, weil wir uns das Geld nur
ausgeliehen haben und das muss sie jetzt zurückzahlen, und das fand ich ein bisschen
doof, dass das so viel Geld gekostet hat, das Auto.
Erzählerin:
All dies wird in Zeiten ökonomischer Unsicherheit deutlich verschärft. Finanzkrise und
die Unsicherheit der Arbeitsplätze verändern das Konsumverhalten vor allem von
Familien – selbst wenn sie bislang noch keine finanziellen Einbußen zu beklagen
haben:
O-Ton 30 (Deeken):
Es gibt eine Studie über die Auswirkungen der Finanzkrise in der Familie, die Familien
befragt hat, und die hat herausgefunden, dass gerade Familien besorgt reagieren auf
diese Finanzkrise, und zwar fast alle Familien, die befragt worden sind. Von der
Finanzkrise selbst waren allerdings nur 7 Prozent der befragten Familien direkt
betroffen.
[Atmo 13: Werbeclip Kinder]
Erzählerin:
Im „Kids und Knete“-Seminar von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg hat
Patrick Herzog mit den Kindern einen eigenen Werbespot fürs Radio produziert und am
Computer nachbearbeitet – so lernen sie, wie Werbung eigentlich entsteht. Manchmal
stellen die Kinder auch eine Diashow zusammen, in der sie erzählen, wie ein Junge das
Geld für seinen neuen Gameboy zusammenkriegt. Oder sie malen einfach Bilder über
ihre Haustiere und was man für ihre Pflege braucht.
Atmo 14: (Kinder durften Geschichte als Film machen)
Erzählerin:
Kinder und Konsum – für die meisten Eltern bedeutet das Stress, Unsicherheit und die
Angst, etwas falsch zu machen. Über Geld und Geschenke werden Gefühle
ausgedrückt, Liebe transportiert und Schuldgefühle kompensiert. Entbehrungen und
Kaufwünsche der Eltern spiegeln sich im Umgang mit den Kindern, hinzu kommen
Alltagshektik und der Wunsch, die überall lauernden Verführungen so schnell wie
möglich zu umschiffen. Ein Wust von Emotionen durchdringt selbst den alltäglichen
Gang in den Supermarkt. Wie lässt sich ein rationalerer Umgang mit der Situation
entwickeln?
Regie: Musik (Trenner für subjektive Passage)
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Autorin:
Ich beschließe, den Supermarkt heute mal als Lern-Raum zu nutzen und plane dafür
extra Zeit ein. Ich will versuchen, mit meinen Kindern zusammen einen sinnvollen
Umgang mit dem Einkaufen zu entwickeln. Mein Vierjähriger darf sich die JoghurtSorten aussuchen, die er am liebsten mag. Währenddessen kann der Achtjährige
ausrechnen, welche Packung Taschentücher am billigsten ist – die große oder die mit
dem unbekannten Namen?
Atmo 15: Rechnende Kinder im Supermarkt
Autorin:
Zum Schluss dürfen meine Kinder bestimmen, mit welcher Sorte Fruchtgummi das
Süßigkeiten-Glas zu Hause aufgefüllt wird. An der Kasse bleibt der Blick auf die
Überraschungseier zwar auch heute nicht aus – aber der Quengelalarm sehr wohl.
Vielleicht werden wir ja noch ein richtig gutes Einkaufs-Team!
Regie: Bitte! Musik noch einmal hoch, dann weg
*****
Literatur:
Peter Struck:
Wieviel Marke braucht mein Kind? So gehen Sie mit dem Konsumverhalten Ihrer Kinder
um. Eichborn Verlag 2002.
Gerlinde Unverzagt/Klaus Hurrelmann:
Wenn Kinder immer alles haben wollen. Weniger ist mehr. Herder Verlag 2005.
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