Hessischer Rundfunk

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Hessischer Rundfunk
Redaktion: Marlis von Rössing
Aufnahme: Marlene Breuer
WISSENSWERT
Terra Incognita 5: Das “grüne” Band
Naturschutz dank Todesstreifen
Von
Christa Schell
Sendung: Samstag, 30.09.2006, 09:25 – 09:50 Uhr, hr2
Sprecherin: Autorin
Zitator 1 :
Zitator 2:
06-099
COPYRIGHT:
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des Hessischen Rundfunks.
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Zitator 1 :
“Sie haben ein Grundstück im Grünen Band? Schätzen Sie sich glücklich! Sie
besitzen eine Perle! Und die Kette, zu der Ihre Perle gehört, ist 1400 km lang, liegt
mitten in Deutschland, hingebreitet zwischen Ostsee und Vogtland.”
Autorin:
Sie haben kein Grundstück im Grünen Band? Kein Wunder: leicht zu verwechseln
mit dem “grünen Band der Sympathie” einer unterdessen nicht mehr ganz so
bedeutenden deutschen Beraterbank. Und überhaupt:
Zitator 1:
“Was tun mit der Perle? Sicher nicht ständig putzen. ´Das meiste auf der Welt geht
nicht durch Gebrauch kaputt, sondern durch Putzen` , sagte Erich Kästner. Also
beweisen Sie Mut: Mut zum Liegenlassen, zum Nichtstun. Lassen Sie Ihr Grundstück
in Frieden ruhen, da lebt es am intensivsten.”
Autorin:
Sie kennen die Kette nicht? Und haben darum auch kein Grundstück im Grünen
Band, für das hier der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland wirbt? Macht
nichts. Sie werden sie kennenlernen: Eine – wie zu lesen steht – “Perlenkette
wertvollster
Biotope,
einzigartiger
Rückzugsräume
für
bedrohte
Tier-
und
Pflanzenarten”. Will heißen: die Brachflächen der ehemaligen innerdeutschen
Grenzanlagen.
O-Ton 1:
Im Norden, da ist ja die Ostsee, und da zieht sich das ja entlang. Und dann durch
diesen Schaalsee durch, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, da ist das
Grüne Band in vielen Bereichen auch sehr schmal geworden. In anderen Bereichen
wieder, die ganze Elbaue, da geht ja die Grenze genau durch die Elbe, das sind über
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hundert Kilometer, da ist es noch sehr schön vorhanden. Da kommt man sich wie im
Niemandsland vor, im positiven Sinne. Es gibt Bereiche, wo das Grüne Band wenig
auffällt, was dann aber meistens in den gebirgigeren Gebieten ist, wie im Thüringer
Wald, Frankenwald oder Harz, wo auch der Nationalpark Harz natürlich ist. Da ist
das Grüne Band eingebettet auch in eine schöne Landschaft drumherum. Und es
gibt Bereiche, wo links und rechts Ackerland ist, da fällt das Grüne Band enorm auf,
weil das zieht sich dann wie ein letzter Rückzugsraum, wo man sich vorstellt, aha, da
kann noch der letzte Feldhase leben, da kann sich noch der Fischotter in den Bach
zurückziehen, da ist das Grüne Band wirklich das einzige noch in der Landschaft.
Autorin:
“Das Grüne Band”: Ein Projekt des Bundes für Umwelt und Naturschutz – kurz BUND
- mit allem, was dazugehört: Ein bescheidenes Projektbüro in der Bauernfeindstraße
im oberfränkischen Nürnberg, drinnen die beiden Projektleiter am halbrunden Tisch
aus hellbraunem Holz - die Biologin Dr. Liana Geidezis, die uns gerade einen ersten
Überblick über das große Ganze verschafft hat. Und der Ornithologe Dr. Kai Frobel,
der Mann, der dem Kind den Namen gab und mit dem die Geschichte eigentlich
anfängt:
O-Ton 2:
Und zwar hat damals eine Gruppe von jungen Vogelschützern und Naturschützern
im Raum Coburg in Nordbayern, das unmittelbar anschließt an Thüringen, den Raum
hinsichtlich der Vogelarten untersucht. Und wir haben gesagt, wir schaun mal die
innerdeutsche Grenze an, weil diese Grenze war damals schon ein unheimliches
Biotopmosaik. Die Natur hat ja da eine Atempause gehabt. Und dieser Todesstreifen
war wirklich ein Rückzugsraum für eine Fülle von gefährdeten Tier-und
Pflanzenarten. Und das ist uns damals aufgefallen.
Autorin :
- das war Ende der 1970er, Anfang der –80er Jahre im Landkreis Coburg. Was er
dort entdeckte, hat er in einem Aufsatz beschrieben.
Zitator 2:
“Dort, wo die Flüsse die Grenze kreuzen, gibt es noch die letzten größeren,
ungedüngten Feuchtwiesen, in denen Bekassine, Grauammer oder Sumpfrohrsänger
Dichten erreichen wie sonst kaum irgendwo im Coburger Land; sogar eine
Kornweihe hat in den letzten Jahren vermutlich dort gebrütet. In den trockeneren
Bereichen bevorzugen Braunkehlen und Feldschwirl die weniger verbuschten
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Gebiete und beim Braunkehlchen sind es über 90% des gesamten Brutbestandes,
die im Grenzstreifen leben.”
O-Ton 3:
Wir konnten von der Westseite, da gab´s ja keine Abschirmungen oder Sperrzonen,
mit dem Fernglas direkt an der Grenzlinie stehen und diesen Bereich überblicken,
meist so 100 Meter tief. Und wir konnten dann über Gehör, Gesänge, über
Sichtbeobachtung sehr genau erfassen, was in dem Streifen alles so lebt. Und uns
ist damals zum Beispiel aufgefallen, daß auf den damaligen Grenzzonen, diesen
Metallsteckplatten und auf den Grenzpfählen haben die seltenen Arten obendrauf
gebalzt, die haben diese Grenzanlagen genutzt als Singwarten. Die saßen dann
richtig der Reihe nach aufgereiht, auch Goldammer, Neuntöter, Raubwürger, auf den
Grenzpfählen und Zäunen obendrauf.
(Atmo: evtl.: Vögel und/oder Musik – hoch, stehenlassen)
Zitator 2:
“Ist also der Grenzstreifen ein ´Tier-Paradies`? Nein, ganz sicher nicht, denn es sind
keine außergewöhnlichen Arten, die hier leben – oder zumindest sollten sie nicht so
außergewöhnlich sein! Wir finden hier vielmehr gerade die Tierarten, die eigentlich zu
unserer Kulturlandschaft gehören, die aber durch die Intensivierung der land- und
forstwirtschaftlichen Nutzung weitgehend daraus verschwunden sind. Es sollte den
für unsere Natur und unsere Landschaft politisch Verantwortlichen ohnehin schon
peinlich genug sein, daß so viele Tierarten im Coburger Land nur noch überlebt
haben, weil es einen ´Todesstreifen` gibt.”
(Atmo evtl. noch mal wie oben – hoch, stehenlassen.)
O-Ton 4:
Und ich war mehrfach an einer bestimmten Stelle der Grenze, wo auf sandigem
Boden, auf offener Heidelandschaft, eine sehr seltene Vogelart vorkommt, der
Ziegenmelker, der ist so taubengroß in etwa, ein Nachtvogel, der ausschließlich nur
nachts zu hören ist, meist nur über einen Ruf, und man muß wirklich kurz vor
Mitternacht dort sein, und als Ornithologe damals im grünen Parka und Fernglas, um
Mitternacht an der Grenze, und dann erzählt man den Grenzpolizisten, man ist da,
um einen seltenen Vogel zu belauschen. Und an dieser Stelle hat mich die
westdeutsche Polizei immer sehr intensiv kontrolliert. Und erst nach der
Grenzöffnung hab ich mit gekriegt, warum. Unter dem Grenzzaun war ein Tunnel,
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von der ostdeutschen Seite her, wo die öfters Spione ausgetauscht haben. Und das
war aber an dieser Stelle den Westbehörden bekannt. War natürlich klar, daß jeder
gedacht hat, naja, Ostspion, oder sonst was.
Autorin:
Ein Ostspion? Hatte der Bundesgrenzschutz von damals etwa keine Ohren? Oder
schlief er womöglich sogar? Woher kam denn das sanfte vibrierende Summen, wie
wenn ein lauer Sommerwind die Baumspitzen bewegt und durch die Gräser streicht?
Von drüben! Östlich der Grenze hat er doch gesteckt, der etwas komische Vogel, der
nicht singt, sondern einschläfernd brummt, weswegen ihn die Engländer auch
“Nachtbrummer” nennen. War natürlich Westspionage. Und auch den nächtlichen
Observator des zur Familie der Nachtschwalben gehörenden Ziegenmelkers kennen
wir längst: Sein Name ist Frobel, Kai Frobel.
O-Ton 4:
Ich persönlich hatte dann Ende der siebziger Jahre intensiven Briefkontakt mit
Naturschützern aus dem thüringischen Raum, vor allem aus dem Landkreis
Sonneberg, der von der Stasi intensivst überwacht wurde. Und da ham wir bereits
gesagt, dieser Grenzbereich ist sehr wertvoll, was ja die Kollegen in der DDR gar
nicht wußten, weil es gab ja eine Sperrzone über 30 Kilometer, das war völlig
unmöglich, als DDR-Naturschützer im vordersten Grenzbereich nach seltensten
Arten zu schauen. Und natürlich warn wir alle heilfroh, daß diese Grenze
aufgebrochen worden ist von der Bürgerbewegung der DDR. .........(evtl. Atmo
drunter)..................
Und als wir dann im Dezember 1989 eingeladen hatten nach Hof, war ziemlich
verschneit, auf Nebenwegen in die Stadt rein, die damals überflutet war regelrecht
von Besuchern aus der DDR, der ganze Parkplatz war zugeparkt von Trabis. Und
dann warn das alles unsere Teilnehmer, die zum Teil aus Mecklenburg Vorpommern,
aus Berlin, aus Sachsen, Thüringen kamen. Und an diesem Tag wurde eine
gemeinsame Resolution einstimmig verfasst.
Zitator 1:
“RESOLUTION – Beim 1. Treffen von Natur- und Umweltschützern aus Nordbayern
und der südlichen DDR am 9. Dezember 1989 in Hof beschlossen die ca. 400
Teilnehmer
einstimmig
und
ohne
Enthaltungen
folgende
Resolution:
´Der
Grenzstreifen zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen
Republik ist als grünes Band und als ökologisches Rückgrat Mitteleuropas vorrangig
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zu sichern, d. h. es muß umgehend eine einstweilige Sicherstellung dieser Gebiete in
der
DDR
und
BRD
erfolgen.
Darüberhinaus
sollen
großflächige
grenzüberschreitende Schutzgebiete errichtet oder miteinander vernetzt werden. Bei
der Detailkonzeption sind die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung
angemessen
zu
berücksichtigen.
Diese
Forderung
ist
keine
nachträgliche
Rechtfertigung der Grenze.`"
O-Ton 6:
Und
das
war
die
Geburtsstunde
dieses
ersten
gesamtdeutschen
Naturschutzprojektes. Und diese Euphorie, die auch da war, das war ja Tage nach
der Grenzöffnung, hat auch dazu geführt, daß viele dieser engagierten Naturschützer
nach Hause gekommen sind und als erstes dafür gesorgt haben, daß großflächige
Teile des Grenzstreifens als Grünes Band dann ausgewiesen wurden. Und die
Gefahr war natürlich damals schon uns allen bewußt, daß insbesondere durch den
Zugriff der Landwirtschaft, daß das eine Frage von Tagen oder Monaten ist, bis dann
oft auf illegale Weise insbesondere Westlandwirte dann sagen, das war Acker, das
wird wieder Acker, und damit waren natürlich die wertvollen Arten auf einen Schlag
ausgelöscht. Und deswegen der frühe Appell und auch der öffentliche Aufruf, wir
haben hier das längste Biotop Deutschlands, ungewollt entstanden, und jetzt
versuchen wir, das Beste draus zu machen.
Autorin:
Und wie macht man das Beste aus einer fast 1400 Kilometer langen “Perlenkette
wertvollster Biotope”, die sich von Travemünde bis Plauen durch die Lande
schlängelt und auf einer Kartenskizze des BUND aussieht wie ein breiter grüner
Fluß? Man kartiert und dokumentiert:
“Lebensräume” – wie zu lesen steht ;
“Lebensräume, die sonst in unserer Kulturlandschaft nicht mehr verbunden sind: z. B.
Altgrasbrachen mit Feuchtgebieten oder Trockenrasen mit Altholzbeständen”. Und
man setzt Himmel und Hölle in Bewegung - Naturschutzbehörden, Gemeinden und
Flur-Erneuerungsämter, damit zusammenwächst, was zusammengehört. “Weben” –
nennen das die Naturschützer, “Weben am Grünen Band”. Einige weben mit – wie
das Land Sachsen beispielsweise, das seine ganze Grenzfläche unter Schutz stellen
ließ. Andere weniger gern. Und wäre es nach dem letzten Bundesfinanzminister
gegangen, wäre das “Tafelsilber der deutschen Einheit” seit langem verkauft. Kein
Wunder, daß das “wundersamste Stück Deutschlands” unterdessen aussieht wie ein
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“grünes Band der Anarchie im Land der Regelwütigen” – schrieb der Reporter Tobias
Bayer zum Tag der Einheit vor einem Jahr :
Zitator 2 :
“ Irgendwie haben die Deutschen wohl den Elan verloren, ihre Teilungswunden zu
pflegen. Da sind Autobahnen wie die A 38 Göttingen-Halle, A 44 Kassel-Eisenach, A
71 Erfurt-Schweinfurt und die A 73 Suhl-Lichtenfels, die sich durch Altgrasfluren,
Feuchtmulden und verbuschte Brachflächen fräsen und Naturschützer aufbringen.
Die Landwirtschaft nagt sich weiter vor. Großformatig wird hineingeackert,
umgepflügt und durchgefurcht. Vielerorts wird illegal aufgeforstet – statt seltener
Orchideen wachsen Fichten und Birken. Gewerbegebiete entstehen, Großbäckereien
und Tankstellen eröffnen mitten im Herzen des Grünstreifens. ”
Autorin:
Und die nächste Bundesstraße im grünen Tal der Werra zwischen Meiningen und
Fulda kommt bestimmt!
O-Ton 7:
Hier stand ein Beobachtungsturm, ein zweiter an der Brücke, ein dritter am
Ortsausgang. Wir wollten ihn eigentlich erhalten, von unserem Heimatverein, vom
Brandenburgverein aus, und haben ihn schon umgerüstet oben zu einem
Storchennest, aber man sagte uns, die Erhaltungskosten in einigen Jahren würden
so ansteigen, daß wir uns das nicht leisten könnten. Und da haben wir dann wohl
oder übel zugestimmt, daß der im Zuge des Grenzabbaus auch mit abgebaut wurde.
Wir haben ein zweites Storchennest einer ehemaligen Bäckerei rekonstruiert, der
drohte einzustürzen, und obwohl das nun von Fachleuten gemacht worden war und
jeder glaubte, sie würden das wieder annehmen, kamen sie im nächsten Frühjahr
zurück, aber nach kurzer Zeit erhoben sie sich und verschwanden auf
Nimmerwiedersehen.
Autorin:
Auf Nimmerwiedersehen aus Lauchröden im Wartburgkreis. Verstehe einer die
gefiederte Art. Dr. Hans Heuse versteht sie nicht. Ist doch alles da, was ein
Weißstorch
braucht
und
liebt:
Wiesen,
feuchte
Niederungen,
ländliches
Siedlungsgebiet – mitten im Grünen Band. Und nur mehr wenig bis gar nichts weist
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noch darauf hin, daß es einmal in unmittelbarer Grenznähe -, der sogenannten
“Schutzzone” lag.
O-Ton 8:
(Gehgeräusche) Wenn Sie hier rüberschauen, an jenen Berg, dann ist in diesem
Wald so eine Vertiefung sichtbar, dort verläuft die Grenze. Von hier aus, müssen Sie
sich denken, nimmt die Grenze jede Windung von der Werra, von der Brandenburg
aus würden Sie das wunderbar sehen. Von hier ist die Werra Grenze zwischen
Hessen und Thüringen, war Staatsgrenze, schließlich Systemgrenze. Das war
freigeschlagen worden. Und dann, nach einiger Zeit kriegt sie eine südliche Richtung
und kommt bei Obersuhl wieder raus. Und das ist der sogenannte Thüringer Zipfel.
Autorin:
- zwischen Gerstungen und Wartha, wo das Flüßchen Elte in die Werra fließt und
diese ihre Fließrichtung ändert und ihren vielleicht sogar schwungvollsten Bogen
macht: schlammige Uferzonen und Auegräben und Auwiesen und – wälder, wo der
Laubfrosch lebt und die Gelbbauchunke und an und für sich auch der Storch. Nur
eben in Lauchröden nicht mehr. Rund 850 Jahre alt ist das ein kleine Haufendorf und
so gebietstypisch wie hübsch; eine Kirche, ein Pfarrhaus, auf dem Dorfplatz eine
Linde, auch ein Gasthaus natürlich, eine Schule. Lange her, daß der Pädagoge Hans
Heuse hier, wie er sagt, “mal Lehrer war”, bis er – nach einigen Jahren
Entwicklungshilfe in Mozambique – an der Pädagogischen Hochschule Erfurt lehrte.
Inzwischen ist er in Rente. Seine Schule, nebenbei bemerkt , auch:
O-Ton 9:
Weil wir seit 1998 keine Schule mehr hier haben am Ort, zu wenig Kinder, das wurde
zentralisiert, denn der Geburtenrückgang nach der Wende war beträchtlich,
schlagartig. Aber es hat eine Rückkehrbewegung gegeben nach 1990. Wir sind
wieder bei knapp 1100 Einwohnern, wir waren bei 950. Aber ein neues Wohngebiet
ist fast erschlossen, und ein zweites beginnt. Ansiedlung von Industrie hat es nicht
gegeben. Aber als Wohnstadt wird der Ort schon geschätzt. Und wenn man in
Eisenach eine Beschäftigung hat, ist es auf dieser kurzen Strecke kein Problem, sich
hier wohnlich einzurichten.
Autorin:
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Wenn man denn eine hat. Die Wenigsten haben eine. Keine Arbeit, keine Kinder,
keine Störche. Eigentlich schade um den kleinen Ort Lauchröden. Er könnte auch
Borsch oder Sünna heißen, Eishausen oder Wenigentaft. Hübsche unbekannte
Flecken, aneinandergereiht wie Perlen, den Grenzstreifen entlang – von der Ostsee
bis zum ......gebirge. Vielerorts nach wie vor wenigstens ein Tierparadies: in
Mecklenburg-Vorpommern, wo im Spätsommer zehntausende Enten und Gänse
rasten und im Herbst die - wie es heißt – schönsten Vögel der Welt, die Kraniche
ziehen; auch bei Salzwedel, wo der BUND größere Flächen besitzt und die Leiterin
des Projekts Grünes Band, Liana Geidezis, einst das “Wildtier des Jahres 1999”
entdeckte.
O-Ton 10:
Ich bin Biologin und hab über den Fischotter promoviert, und hab Fischotterlosung
direkt auf dem Kolonnenweg gefunden und hab das natürlich gleich der Unteren
Naturschutzbehörde gemeldet. Die war natürlich ganz glücklich, Fischotter in
Sachsen-Anhalt, super, klasse. Der nutzte diesen Kfz-Sperrgraben, der da entlang
der Grenze war, nutzte den als kleine Autobahn, weil das ist sehr grade, kommt er
schnell von a nach b, also der springt wirklich im Grünen Band Deutschland herum,
weil gerade in diesen Grenzregionen die Flüsse noch relativ naturnah sind, sobald
der Fluß aus dem Grenzbereich rauskommt, ist er meistens begradigt worden, aber
im Grenzbereich ist er noch relativ naturnah, und da gibt´s noch den Fischotter. Und
das freut mich natürlich besonders.
Autorin:
Wo die Liebe hinfällt. Und manchmal, da fällt sie eben auf das klatschnasse Fell
eines im übrigen liebreizenden, etwas mehr als katzengroßen und ebenso schnellen
wie scheuen nächtlichen Räubers: “Lutra lutra”: aus den Familien der Marder und
Dachse stammend, ein großer, possierlicher Spieler und Fischfresser vor dem Herrn.
Warum er die grünen Bereiche weiter nördlich bevorzugt, wissen wir nicht.
Schließlich gibt es jede Menge Fische auch im Wartburgkreis um die mäandernde
Werra herum in den Flüsschen Elte und Ulster.
(Atmo evtl.: Musik und/oder Natur – Vögel hoch, stehenlassen)
O-Ton 11:
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(Gehgeräusche) Das ist eine von 21 Informationstafeln, die wir entlang unserers
sogenannten Grenzwanderweges aufgestellt haben. Der Grenzwanderweg hat das
Ziel, die Touristen mit dem Thema Grünes Band vertraut zu machen und sie entlang
von 196 Kilometern Grenzlinie durch den Wartburgkreis zu führen. Unser
ursprüngliches Ziel, den Grenzwanderweg ausschließlich auf dem Kolonnenweg zu
verlegen, scheitert zum Teil an Eigentumsverhältnissen, die zum Teil völlig ungeklärt
sind, zum Teil an bereits erfolgter Zerstörung durch landwirtschaftliche Nutzung, da
sieht man vom Grünen Band gar nichts mehr. Und der Kolonnenweg kann in
bestimmten Bereichen nicht genutzt werden, weil er mitten durch hochsensible
Naturräume führt. Und die Naturschützer sagen, hier bitte keine Touristen.
Zitator 1 :
“1400 km tödliche Grenze: 3000 km Zäune, 200 km Mauern, 800 km
Kfz-Sperrgraben, 1800 km Kolonnenwege, 850 Wachtürme, 1,2 Millionen Tonnen
Beton, 700.000 Tonnen Eisen. Der Aufwand war gewaltig. Eine Investition in die
Zukunft war er nicht.”
Autorin:
.... hat der BUND zusammengerechnet ; so sah die Strecke von der Ostsee bis zum
südlichsten Zipfel des Todesstreifens einmal aus, auf der in 40 Jahren das Grüne
Band heranwuchs.
Wo heute die Eigentumsverhältnisse geklärt sind
und der
Kolonnenweg auch Grenzwanderweg ist, sieht man noch den Naturzustand von
damals: sogenannten Weichwald und natürlich gewachsene Buschgruppen hübscher
Weidengewächse, deren botanischen Namen Matthias Kirsten, sagt er, “leider
schuldig bleiben muß”. Schließlich ist er kein Botaniker, sondern verantwortlich für
den “Grenzwanderweg Grünes Band Thüringen”- Radtour-Routen inbegriffen.
.................(Ergänzung Hintersinn) ........................erklärt Matthias Kirst im Gehen
(o.s.ä.) :
O-Ton 12:
Das ist der klassische Spurplattenweg, Kolonnenweg, Patrouillenweg mit diesen
Lochplatten. Ich sage immer, hier sind lauter kleine Kleinstbiotope, weil jedes Loch ist
anders: an manchen Stellen habe ich drei Löcher mit Walderdbeeren, und
nebendran blüht eine Orchidee. Das sind von hier bis an die südliche Kreisgrenze 25
Kilometer auf dem Kolonnenweg. Und in die andere Richtung ist es nicht ganz so
viel. 110 Kilometer sind es bis an die nördliche Kreisspitze auf dem Kolonnenweg,
aber nicht durchgängig mit Betonplatten ausgelegt, sondern als Erdweg oder
Schotterweg, aber hier, Richtung Süden ist es fast ausschließlich Spurplattenweg.
10
Autorin:
Der Kolonnenweg: blühende Landschaften im Lochplattenbeton. So gesehen passt
er exakt ins große ganze Grüne Band, mit all seinen Löchern und Lücken.
Durchgängig grün ist der Streifen von Nord bis Süd nämlich nur im BUND-Prospekt.
In
der
Natur
wird
er
immer
wieder
zerschnitten
von
Ackerflächen
und
Asphaltstrecken.
Was tun, damit aus dem “längsten Biotop Deutschlands” nicht in naher Zukunft ein
Kleinstbiotop
wird?
Der
Thüringer
Schriftsteller
Landolf
Scherzer,
der
im
vergangenen Jahr den hessisch-thüringischen Grenzstreifen von Grafenthal bis
Vacha beging, fand eine durchaus den Gesetzen des Marktes folgende Lösung:
Zitator 2:
“Die Naturschützer in Ost und West geben inzwischen Anteilscheine (Grüne Aktien)
aus, um dafür Flächen zu kaufen. Zwar steigt der Wert dieser Aktie für die zu
schützende Natur ständig, aber der Aktionär kann sie nicht weiterverkaufen. Sie
bringt keinen persönlichen, sondern nur einen allgemeinen Gewinn. Eine Aktie kostet
65
Euro.
Dafür
kann
man
vierhundert
Quadratmeter
ursprüngliches
Grenzlandrefugium kaufen. Und ich werde mir eine der Flächen aussuchen, die der
neue Besitzer umgepflügt, mit Stacheldraht eingezäunt und mit Schildern ´Betreten
verboten! Privateigentum!` versehen hat. Und wo ich mir die Hosenbeine zerriß.”
Ende
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