Manuskript: Politik als Beruf

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DeutschlandRadio Kultur, Zeitfragen
19. September 2005, 19.30 Uhr
Politik als Beruf:
Über Parteisoldaten, Quereinsteiger und den Kampf um einen Arbeitsplatz.
Von Katja Bigalke
O-Ton
Viele in der Wirtschaft, die sind das so gewohnt, das sind ja auch Topleute, dass die
sich besprechen sich mit einem kleinen Stab und dann m Prinzip die Sachen
durchziehen. Und das kann man in der Politik nicht so machen. Achtzig Millionen
Menschen sind ja mehr als nur ein paar tausend Aktionäre.
O-Ton
Man muss schon ein bisschen durchgeknallt sein, um wirklich Politik so fulltime
machen zu wollen meine Kollegen und wie ich das mache.
O-Ton
Also, als Parteiloser reibt man sich ja erst die Augen und sagt wie erstaunlich
schwierig das alles ist, weil das demokratische Spiel zwischen Opposition und
Regierung natürlich nicht auf Konsens angelegt ist, sondern auf Konfrontation. Und
die Opposition dann niederzukämpfen mit Argumenten, das musste man erst mal
lernen natürlich.
Spr. vom Dienst
Politik als Beruf: Über Parteisoldaten, Quereinsteiger und den Kampf um einen
Arbeitsplatz. Ein Feature von Katja Bigalke
1
Atmo Macht die Tür auf: „ Tag Herr Schulz“
Autorin
Bürgersprechstunde in Berlin-Spandau. Beim SPD-Bundestagsabgeordneten Swen
Schulz stehen zwei Kleingärtner vor der Tür: eine Rentnerin mit blondierter
Dauerwelle und ein braungebrannter Mittsechziger in Freizeitkleidung. Ihre kleinen
Parzellen sind von einem städtischen Bauvorhaben bedroht. Schulz soll helfen, auch
wenn die beiden Laubenpieper auf dem roten Sofa seines Wahlkreisbüros eigentlich
nicht viel halten von der SPD.
Atmo
Besucher: ich werde den überzeugen, dass er in der falschen Partei ist.
Schulz: Wir wollen jetzt einmal sehen, ich hatte ihnen das ja zukommen lassen was
der Sarrazin mir geschrieben hat....
Autorin
Freundlich erläutert Schulz den aktuellen Stand des Konflikts. Die Senatsverwaltung
beharrt auf ihren Plänen. Aber der Abgeordnete will versuchen, dass die Pächter
wenigstens bis zum Baubeginn bleiben dürfen. Alltagsprobleme in Spandau: Gerade
eben war ein Transsexueller bei Schulz, der nach seiner Geschlechtsumwandlung
weiterhin mit seiner Frau verheiratet bleiben möchte. Davor ging es um Kita-Plätze.
Der normale Spagat eines Volksvertreters: Zwischen Bürgernähe im Wahlkreis und
politischer Spezialistenarbeit im Parlament, die der Wähler oft nicht mitbekommt.
Sieht so sein Traumberuf aus? Der 37-jährige, der Politologie studiert hat, überlegt
kurz, bevor er antwortet:
O-Ton
Also, ich hab mir schon vorgestellt, als ich angefangen hab zu studieren, dass ich
dann irgendwie mit Politik auch mein Geld verdiene, was ich mir nicht vorstellen
konnte, war, selber Politiker zu werden. Ich hatte immer mehr an eine Situation als
2
Berater gedacht. Das hat sich dann geändert, als ich wissenschaftlicher Mitarbeiter
eines Abgeordneten war, da dachte ich, das kann ich auch.
Autorin:
Ein mittlerweile typischer Karrieresprung: Vom Vorzimmer in ein politisches Amt.
Immer mehr Referenten, Pressesprecher oder Büroleiter gehen diesen Weg. In allen
Parteien.
O-Ton
2002 stellte sich dann zur Wahl hin die Frage, wer dem bisherigen Abgeordneten
nun nachfolgen würde und dann war ich einer der denkbaren Kandidaten. Das war
relativ problemlos, weil es keine Gegenkandidaturen gab.
Autorin
2002 wird Schulz als Direktkandidat in den Bundestag gewählt. 33 Jahre ist er
damals und hat es damit deutlich früher als die meisten anderen Abgeordneten
geschafft. Im Schnitt beginnt eine Bundestagskarriere im Alter von 42. Ansonsten
folgt seine Laufbahn dem typischen Muster: 16 Jahre ist er bereits Mitglied der
Partei, vorher war er sieben Jahre kommunalpolitisch tätig. Noch immer ist
langjähriges Hochdienen - die so genannte Ochsentour vom Kreisverband bis ins
Parteipräsidium - in Deutschland die Grundvoraussetzung für eine politische
Karriere. Nur haben sich die „Ochsen“ verändert. Sie sind ähnlicher,
stromlinienförmiger geworden: Akademiker, die sich frühzeitig für diesen Berufsweg
entschieden haben.
O-Ton
Ich habe das Gefühl, dass dieser Weg der Ochsentour, in dem Maße wie die großen
Volksparteien die Bindekraft verlieren, die sie ja lange Jahre hatten, das dieser Weg
sich verändert. Der Abgeordnete der SPD in Dortmund ist ein sehr junger Mann und
es ist nicht jemand, der die klassische Parteikarriere gemacht hat, Betriebsrat
Gewerkschaftsfunktionär, Bundestagsabgeordneter. sondern der war
wissenschaftlicher Mitarbeiter des vorherigen Abgeordneten.
3
Autorin
Michael Hartmann ist Soziologe an der Technischen Hochschule Darmstadt. Sein
Forschungsschwerpunkt sind politische und andere Eliten.
O-Ton
Das ist angefangen Anfang der Neunziger - in dem Maße, in dem die klassischen
Volksparteien ihren Charakter als Volksparteien verlieren, wenn Sie sich die
Mitgliederzahlen anschauen und was fast noch wichtiger ist: die Mitglieder die
geblieben sind, sind viel weniger aktiv als früher.
Autorin
Mitgliederschwund, mangelndes Engagement und zugleich immer komplexer
werdende politische Inhalte, die zunehmend Spezialistenwissen erfordern, haben zu
einer Erosion der innerparteilichen Demokratie geführt. Die Mitglieder an der Basis
fallen nur noch bei einzelnen, medienwirksamen Veranstaltungen ausdrücklich ins
Gewicht. Bei Auftritten a la: Die Partei lebt. Nur ersetzt Show und Rhetorik hier
zunehmend die Mobilisierung durch Inhalte und Themen. Der unermüdliche, überall
einsetzbare Parteisoldat wird immer seltener.
Dabei sei Basisarbeit eine unverzichtbare Qualifikation des politischen Handwerks,
meint Hartmann. Mehrheiten organisieren, Leute überzeugen, einen Konsens finden,
dass lernt man in der Partei oder in politischen Bewegungen. Andere
Leistungsmerkmale sind schwerer zu fassen.
O-Ton
Was ist eine Leistung in der Politik? Ist es das, was im Gedächtnis bleibt die
Popularität von Schmidt oder Adenauer? Ist es, dass man regelmäßig wiedergewählt
wird, oder wie man andere Leute aus dem politischen Geschehen ausmanövriert?
Für Politik ist Leistung insofern ein nicht geeigneter Begriff. Weil es in der Politik nicht
nur auf Leistung ankommt sondern auf Interessenvertretung.
Atmo
elektronische Musik / mischen mit etwas verfremdeter Bundestagsdebatte
4
Autorin
Politiker zählt inzwischen zu den prestigeärmsten Berufen überhaupt. Während in
den 70er Jahren noch 20 Prozent der Bevölkerung Politiker für achtbare Leute
hielten, tun das heute nur noch acht Prozent. Für die so genannten High Potentials
ist das politische Feld kein attraktives Berufsbild. Die Aufstiegschancen sind zu
langsam, der Weg ist zu mühsam - endlose Sitzungen und Streitereien im
Ortsverband – und die Bezahlung ist zu gering. Die Grunddiät eines
Bundestagsabgeordneten, 7009 Euro, ist vergleichsweise wenig zu dem, was in den
Spitzenetagen der Wirtschaft verdient werden kann. Was sollte also die Politik für
qualifiziertes Personal interessant machen?
Musik
Kraftwerk We are the robots
O-Ton Stölzl
Sie könnten nie einen Industriebetrieb oder ein Museum so leiten wie eine Partei,
Rede, Gegenrede und Stimmabzählung all diese schönen parlamentarischdemokratischen Regeln sind für ein anderen Feld gedacht als das des normalen
Managements.
Autorin
Christoph Stölzl, ehemaliger Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums,
ist ein Quereinsteiger in die Politik. Im April 2000 wurde er für die Berliner CDU
Senator für Kultur und Wissenschaft. Man wollte sein Wissen. Dass er nicht Mitglied
der Partei war, spielte bei seiner Berufung keine Rolle.
O-Ton
Also, es gab gar keinen Zwang. Der Regierende Bürgermeister sagte damals als ich
ihn fragte: nee, nee braucht es alles nicht. Inzwischen weiß ich auch warum.
Quereinsteiger werden zwar immer herbeigelobt, aber wenn sie dann da sind schaut
man sie doch ein bisschen anders an. Nach gut nach einem halben Jahr Kampf ums
Geld und zwar erbittertem, sagte mir jeder: Stölzl, wie haben Sie sich das vorgestellt:
5
im Kampf ums Geld können Sie nicht sagen: „Meine Damen und Herren, Sie sollten
eigentlich“, sondern sie müssen auf den Tisch hauen und sagen: „Wir müssen, weil.“
Autorin
Stölzl wird nach wenigen Monaten CDU-Mitglied, um sich in den Parteigremien
besser durchsetzen zu können. Trotzdem bleibt der eloquente Professor aus Bayern
ein Außenseiter in der noch von Frontstadtkämpfen geprägten Hauptstadt-CDU.
O-Ton
Eine Partei ist ja nicht ein Dauerseminar in politischer Willensbildung oder
ideologischen Kämpfen. Das hat ja was ganz stark Freundschaftliches, Familiäres
und wenn man da nicht dazugehört, weil man neu dazu stößt, hat man keine
Hausmacht, keine Seilschaften gebildet. Ich sag den Begriff jetzt gar nicht negativ,
sondern das gehört dazu die Organisation von politischen Mehrheiten. Deswegen
schaut man als neu Hinzugekommener auch etwas fassungslos auf das Phänomen
dass innerhalb der Parteien die Antipathien, ja mindestens genauso groß sind wie
zwischen den Parteien. Das war schon gewöhnungsbedürftig am Anfang.
Autorin
Dem Mann mit dem bildungsbürgerlichen Habitus gelingt dennoch eine
überraschend steile politische Karriere. Nach nur einjähriger Mitgliedschaft wird er
2002 mit überwältigender Mehrheit zum Vorsitzenden der Berliner CDU gewählt. Die
Partei liegt am Boden, Stölzl gilt als Hoffnungsträger von außen. Doch wirft er nach
nur einem Jahr das Handtuch.
O-Ton
Die Aufgabe erforderte mit allen Techniken der parteipolitischen Machtausübung die
Partei zu einen. Und dieses Handwerk brachte ich nicht mit, also sagte ich: Ich bin
nicht der richtige für euch, also trennen wir uns in Freundschaft. Wunderbar und
prima und das war es dann.
6
Autorin
Es gibt Posten, die sich für politische Quereinsteiger eignen und solche, die das nicht
tun – wie der Parteivorsitz. Aber trotzdem hat Stölzl seinen Ausflug an die
Parteispitze nicht bereut.
O-Ton
Ich fand dieses Eintauchen ins Volk also in die unvorhersehbaren Herkünfte von
Menschen unheimlich spannend.
Autorin
Heute sitzt Christoph Stölzl, Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, auf
Angela Merkels Reservebank für das Amt des Staatsministers für Kultur. Das ist ein
Posten wie geschaffen für Quereinsteiger. Der selbstbewusste Journalist Michael
Naumann und der smarte Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin haben in
diesem Amt vorgelebt, dass ein Wechsel in die Politik auf Zeit möglich ist. Stölzl
begrüßt solchen Elitenaustausch.
O-Ton
Ich glaube auch, dass die Kernfrage ist, wie lange geht da jemand da hinein. Also
wenn man dafür eine Lösung finden könnte, nach dem amerikanischen Prinzip des
Hinein und wieder Hinausgehens, dann wäre viel gerettet. Aber das hieße das ja
auch – und da tun sich die Deutschen ja schwer - anzuerkennen, dass Eliten in
vielen Berufen kompatibel sind. Was in Amerika Gang und Gebe ist, dass ein
Bankspräsident Außenminister wird und auf dem Balkan eine Friedensmission macht
und zurück an die Börse geht oder Präsident von Harvard wird. Das wäre ja
undenkbar in Deutschland.
Musik
Autorin
Während es Fachleute wie Stölzl im politischen Alltag noch schwer haben, sind sie in
der Politikberatung inzwischen unverzichtbar. In Expertenkommissionen wurden
7
Hartz IV und die Rürup-Rente ausgetüftelt und auch das Steuerkonzept der Union.
Der Experte von außen vermittelt Sachkompetenz und Glaubwürdigkeit, die dem
Berufspolitiker oft abgesprochen wird. Das macht den Experten zum idealen
Quereinsteiger, aber er birgt auch politische Risiken, Stichwort: Paul Kirchhof,
zunächst hoch gelobt wurde er schnell zum ungeliebten Steuervisionär der Union
und zum Glücksfall für die bis dahin im Quotentief verharrenden Regierungsparteien.
Für manche kann es nicht genug Experten in der Politik geben. Immer häufiger
werden solche Gremien durch die Politik berufen.
O-Ton
Dieses ganze Unwesen der Expertengremien das stimmt mich eher skeptisch
Autorin
sagt der Soziologe Professor Michael Hartmann. Outsourcing der Politik. Die
Entscheidungsfindung wird in ein vorparlamentarisches Feld verlagert – die
demokratische Willensbildung durch vermeintliche Kompetenz unterlaufen.
O-Ton
Und damit ist die Gefahr zunehmend gegeben, dass sich sehr kleine Eliten oben
über die Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme schnell verständigen ohne dass
überhaupt noch jemand gefragt wird. Und das ist das Muster was in Frankreich und
den USA schon zu beobachten ist weil die auch die gleichen Bildungsinstitute
durchlaufen haben. Das führt zwangsläufig dazu, dass Entscheidungen unter 4, oder
16Augen sehr schnell gefällt werden aber eben auch im gegenseitigen
Einvernehmen.
Autorin
Das Gefühl für Stimmungen kann auf diese Weise schnell verloren gehen.
Die französischen Eliten haben das schmerzlich bei der Ablehnung der EUVerfassung erfahren. Eine politische Elite muss mehr mitbringen als Fachwissen, sie
braucht auch politischen Instinkt.
8
O-Ton
Rein theoretisch: wenn man ein Parlament hätte, mit lauter Wissenschaftlern, dann
wäre das von der Qualifikation sicher ein gutes Parlament - ob das von den
Entscheidungen her ein gutes Parlament wäre, wage ich sehr zu bezweifeln
Musik
sechziger Jahre Song
Autorin
Hartmann bevorzugt eindeutig das altmodische Modell: Eine Politikergeneration
geboren aus den Auseinandersetzungen ihrer Zeit: Das ist für ihn immer noch der
Standortvorteil der 68er: Sie kämpften erst außerparlamentarisch, dann in den
Institutionen für eine moderne, offene Bundesrepublik.
O-Ton
Wenn sie sich die Grünen angucken was da im Augenblick an Spitzenpersonal noch
ist – die ältere Generation - dann merkt man einfach, dass die das Handwerk gelernt
haben in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen so wie früher viele SPDler das in
der Gewerkschaft gelernt haben. Oder in Bayern CSUler waren im Bauernverband
oder ähnliches. Das heißt, es war ne Nähe zu gesellschaftlichen Prozessen an der
Basis gegeben, die meines Erachtens zunehmend verschwindet.
Atmo
„jetzt gehen wir ein bisschen weiter“
Autorin
Berlin, Oranienburgerstraße. An einem Stand der Grünen steht Bärbel Höhn mit
verbundenen Augen und probiert aus kleinen Glasschalen Pürees, Pestos und
winzige Törtchen. Die frühere NRW-Umweltministerin soll die verschiedenen
Geschmacksvarianten bewerten. Süß, bitter, salzig.. Es ist Wahlkampf: Bärbel Höhn,
in lindgrünem Jackett, kämpft für gesünderes Essen und um einen Sitz im
Bundestag.
Atmo
das ist jetzt süß....
Autorin
9
Bärbel Höhn hat ihr Handwerk noch auf der Straße gelernt. Von der
Graswurzelpolitik auf den Ministersessel. Mit dem Kampf gegen eine Oberhausener
Kokerei fing es in den Achtzigern an: Aufgrund einer Atemwegserkrankung ihres
Sohnes beginnt die Diplom-Mathematikerin sich in einer Bürgerinitiative zu
engagieren. Die Kokerei wird gezwungen, Filter zu installieren und Höhn landet im
Oberhausener Stadtrat. 15 Jahre später zieht sie ins Düsseldorfer
Umweltministerium. Die dienstälteste grüne Ministerin Deutschlands ist rückblickend
noch immer überrascht von dem Tempo, mit dem sie und ihre Mitstreiter auf einmal
zu Spitzenpolitikern wurden.
2.2 noch ein bisschen Atmo auf dem Platz
O-Ton
Wenn man sich das Alter der Partei anguckt und die Erfolge, die die Grünen gehabt
haben, ist das schon phänomenal. In den 70er Jahren gegründet und 25 Jahre
später haben wir schon Leute die wie ich 10 Jahre Minister waren oder Fischer
Außenminister – das sind für eine junge Partei schon große Erfolge.
Autorin
Der Eintritt in die Partei hat für Bärbel Höhn weniger ideologische, denn
pragmatische Gründe. Mit dem Mitgliedsbuch ist man durchsetzungsfähiger. Aber
das Interesse für konkrete Themen steht immer an erster Stelle.
O-Ton
Ich bin deshalb auch im Rat einer Wählergemeinschaft als Unabhängige aufgetreten
und dann hab ich schon gemerkt als Unabhängige in einer bestimmten
Auseinandersetzung da hatten sich alle abgesprochen und wups war ich daneben.
Und da hab ich schon gemerkt, nö. Jetzt gehst du zu der Partei die du am besten
findest – nämlich den Grünen – und dann hast du auch jemanden hinter dir, um das
durchzusetzen und mir nicht von so ein paar linken Kaderschmieden die Butter vom
Brot nehmen zu lassen.
Autorin
Die Partei war jung – die Aufstiegschancen blendend. Mittlerweile unterliegen aber
auch die Grünen den üblichen Mechanismen etablierter Parteien und das heißt:
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Abgeordnete behalten ihr Mandat im Schnitt 14 Jahre. Und nur ein Viertel der
Bundestagsmandate steht Neulingen offen.
Obwohl die Grünen bisher die mit Abstand jüngste Fraktion im Bundestag stellen,
sind Blitzkarrieren à la Bärbel Höhn heute so auch nicht mehr denkbar. Das
Rotationsprinzip der ehemaligen Anti-Partei ist abgeschafft, profilierte Politiker wie
Höhn pochen auf adäquate Weiterbeschäftigung.
O-Ton
Insofern hat man vielleicht aus so einem Amt heraus schon Anspruch zu sagen ich
möchte auf nen bestimmten Platz. Und das wird in der Regel auch akzeptiert.
Autorin
Die von Wolfgang Clement einst als „Biobremse“ beschimpfte Höhn hat sich in
Nordrhein Westfalen den Ehrentitel „Mutter Courage der Verbraucher“ erworben.
Dank ihres unermüdlichen Einsatzes gegen BSE, Dioxin und Schweinepest. Ihre
allseits anerkannte Fachkompetenz hat sie sich in hartem Selbststudium erworben.
O-Ton
Im Umweltbereich war ich gut fit. Hab ich mir alles angeeignet, weil die
Bürgerinitiativen sind in ihren Themen besser, als die Politiker.
Autorin
Für Höhn ist ihre vorpolitische Lebenserfahrung genauso wichtig wie ihre
Sozialisation im Politbetrieb.
O-Ton
Für mich war auch wichtig, dass ich bevor ich in die Politik gehe dachte, das ist sehr
gut dass du auch was anderes gemacht hast, dass du Mutter von zwei Kindern bist
dass du im Leben gestanden hast, gearbeitet hast dass du sehr viel an praktischer
Lebenserfahrung einbringen kannst das ist auch sehr wichtig. Wie man das jetzt
damit vereinbart dass man auch junge Leute in der Parlament haben will – ist immer
ne Schwierigkeit. Man muss als Politiker schon darauf achten, dass man nicht in
einem Raumschiff landet.
Autorin
11
Wie sieht in ihren Augen eine leistungsfähige politische Elite aus?
O-Ton
Es müssen kluge Leute sein. Ich glaube, das müssen auch unideologische Leute,
zwar Visionäre aber letzen Endes auch Leute, die das in die Praxis umsetzen
können. Sie müssen konsensorientiert sein und sie müssen natürlich fleißig und
fachlich gut drauf sein
Autorin
Und halten ihre Kollegen in den Parteien diesem Idealbild stand? Höhn lächelt
grimmig:
O-Ton
Ja das ist deshalb die politische Elite, weil andere die es vielleicht besser könnten, es
nicht tun.
Musik
Ton, Steine, Scherben
Autorin
Politische Eliten sollten eigentlich die Gesellschaft repräsentieren. Der Bäckermeister
neben dem erfolgreichen Unternehmer, die Landfrau neben dem Studenten. Ein
schöne Vorstellung, die nur leider nicht der Wirklichkeit entspricht. In Deutschland
wird die politische Klasse immer homogener. Im Bundestag stellen Beamte und
Angestellte des öffentlichen Dienstes längst fraktionsübergreifend die große
Mehrheit, Juristen und Politikwissenschaftler sind deutlich überproportional vertreten.
Michael Hartmann
O-Ton
Bei der CDU CSU vollzieht sich in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel hin zu
einer sehr viel bürgerlicheren Partei, als das früher der Fall war: Stoiber - der Vater
war Kaufmann, Strauss- der Vater war Metzger, Oettinger -der Vater ist Anwalt und
Wirtschaftsprüfer, Teufels Vater war Bauer. Das heißt, die Vorgänger kamen aus
dem klassischen Milieu der großen Volksparteien was geprägt war von einer
kleinbürgerlichen Herkunft. Und heute die Leute kommen durch die Bank weg aus
dem Bürgertum und das setzt sich fort wenn sie sich das Kompetenzteam von
Angela Merkel anschauen. Das ist sehr stark bürgerlich, großbürgerlich geprägt.
12
Atmo
elektronische Musik / mischen mit verfremdeter Atm aus Bundestagsdebatte
Autorin
Gut ist: Unsere Politiker sind administrativ erfahren, die akademische Ausbildung
gehört mittlerweile zum Standard. Etwas einseitig ist: Bei der Rekrutierung ihres
Führungsnachwuchses setzen die Parteien mit Vorliebe auf politiknahe und
juristische Berufe. Und schade ist: Den Genossen, der nach Feierabend für seine
politischen Überzeugungen streitet, den gibt es kaum noch. Die politische Klasse
muss sich zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, sie sei abgeschottet und
abgehoben.
O-Ton
Es ist sicherlich sinnvoll, dass das Spektrum der Gesellschaft widergespiegelt wird,
weil die Erfahrungen, die man in seinem Umfeld macht, politisch natürlich wichtig
sind. Wenn ich mir den Bundestag jetzt so angucke, fällt mir kaum noch jemand ein,
der zu mindest in frühen Jahren ne klassische Arbeiterkarriere gemacht hätte.
Autorin
Im gleichen Atemzug hat sich auch die Machtverteilung innerhalb der Parteien nach
oben verschoben. Die Führung stellt sich selber auf.
O-Ton
Ob er überhaupt Karriere macht, hängt von denen ab, die da schon sitzen – das was
früher bis zu einem gewissen Maße noch möglich war, dass von so einer starken
kommunalen oder regionalen Basis auch mal gegen die Mehrheit der Parteiführung
anzutreten, das wird schwerer. Im Grunde verläuft der ganze Prozess heute viel
mehr nach dem Muster, das man auch aus anderen Ländern kennt, von oben wird
benannt und von unten erfolgt nur noch die Akklamation.
Atmo
61. Liebe Genossinnen und Genossen. Der kleine Einspieler hat deutlich gemacht
wir befinden uns im Bundestagswahlkampf...
13
Autorin
Wahlparteitag der Berliner SPD: Das Berliner Congresszentrum ist gut gefüllt.
Überall stehen Grüppchen zusammen, tuscheln, die Stimmung ist aufgeheizt. Den
Prognosen zufolge gibt es diesmal weniger Direktmandate als beim letzten Mal.
Umso wichtiger ist die Absicherung über die Landesliste. Die ersten fünf werden mit
ziemlicher Wahrscheinlichkeit in den Bundestag einrücken, Platz 6 gilt bereits als
wacklig. Swen Schulz, eigentlich vom Parteivorstand für Platz 6 vorgesehen, hat
sich zu einer Kampfkandidatur um den fünften Listenplatz entschlossen. Gegen das
politische Schwergewicht Ditmar Staffelt, Parlamentarischer Staatssekretär im
Wirtschaftsministerium und ehemaliger Parteichef der Berliner SPD. Der
Landesvorsitzende Michael Müller versucht ein Machtwort zugunsten Staffelts zu
sprechen:
Atmo
Es ist die Aufgabe des geschäftsführenden Vorstands deutlich zu sagen was man für
richtig hält und was nicht und unser Vorschlag ist Thierse auf Platz eins, Merkel auf
Platz 2, Benneter auf Platz 3, Rawert auf Platz 4, Staffelt auf Platz fünf und Schulz
auf Platz 6
Autorin
Swen Schulz sitzt in der vierten Reihe neben ein paar Spandauer Genossen. Im
grauen Anzug rutscht er auf dem Stuhl hin und her, deutlich angespannt. Die letzten
Wochen hat er unzählige Gespräche geführt, versucht Bündnispartner in den
anderen Kreisverbänden zu finden. Er hofft, dass es für Platz 5 reicht.
O-Ton
Da geht es natürlich ein Stückweit auch um ein Signal: wer kommt auf die
berühmten, symbolträchtigen ersten fünf. Sind das ausschließlich verdiente
Genossen oder kommt dann auch mal ein jüngerer, der Bildungs- und
Wissenschaftspolitk macht.
14
Atmo
wir bitten den Genossen Swen Schulz....
Autorin
Swen Schulz ist an der Reihe. Schmal wirkt er vorne am Rednerpult. Sehr redlich
und wenig kämpferisch hält er seine Rede
Atmo
Wer wiedergewählt werden möchte, muss eine Bilanz ziehen, kann ich guten
Gewissens machen
Autorin
Ganz anders Ditmar Staffelt. Ein Kraftpaket. Der 56jährige Staatssekretär pumpt sich
regelrecht auf, ballt die Fäuste und spricht wie einer, der ständig Gegenwind hat und
andere überzeugen muss.
Atmo
Die bloße Fortschreibung reicht nicht aus. Sozialdemokraten haben das
verstanden....(schreit herum)
Autorin
Die Vorstellungsrunde ist vorbei. Die Fürsprecher der beiden Kandidaten dürfen für
ihre Kandidaten werben.
Atmo
Der Landesvorsitzende schlägt Dietmar staffelt vor. Eine Wahl von Swen Schulz – ist
Entscheidung gegen Michael Müller ( Buhrufe) ...
Autorin
Die Stimmen werden gezählt – eine Viertelstunde später steht das Ergebnis:
Atmo
Liebe Genossinnen ich habe für den Listenplatz fünf: 223 Stimmen: auf Schulz
kamen 115 auf Staffelt 104 klatschen – damit ist der Genosse Schulz gewählt....
Herzlichen Glückwunsch!
15
Autorin
Swen Schulz ist erleichtert. Solange die Ergebnisse stimmen ist nichts auszusetzen
an der Art wie Listenplätze vergeben werden.
O-Ton
Natürlich gibt es innerparteiliche Geschäfte zwischen den Flügeln und dann kann es
auch mal sein, dass jemand gewählt werden soll, deswegen nicht, weil er für den
besseren erachtet wird, sondern weil er den eigenen Kandidaten, den man da nach
vorne bringen will unterstützt. Es gibt da gewisse Zugeständnisse, was das
Verfahren angeht, man wählt man dann auch mal jemanden, na ja, den man eher auf
dem dritten Platz sieht als auf dem zweiten Platz, weil der eigene Kandidat dann auf
den ersten kommt – und insofern hat das schon auch was mit Qualität zu tun aber
manchmal macht man da gewisse Abstriche.
Atmo
Parteitag
Autorin
In Berlin hat sich die Parteibasis gegen den Landesvorsitz durchgesetzt und sie hat
einen jungen Kandidaten bevorzugt – ein eher untypischer Vorgang. Wenn in der
Politik Posten zu vergeben sind, gilt bei den großen Volksparteien normalerweise
das eherne Gesetz: Alt sticht jung. Im Bundestag spiegelt sich das in dem spärlichen
Anteil von nur 11 Prozent für Abgeordnete unter 40 Jahren wider.
Noch wehren sich die Parteien gegen das Modell, nach dem die Parteispitze
bestimmt wer nach oben kommt – und noch haben die politischen Eliten eine der
repräsentativen Demokratie angemessene soziale Offenheit: Der Nachwuchs aus
der Arbeiterklasse und den breiten Mittelschichten hat in der Politik immer noch
deutlich bessere Chancen als in der Wirtschaft, und auch die Frauen liegen in der
Politik nur um 25 Prozent hinter den Männern und nicht um 90 wie in der Wirtschaft.
O-Ton
Insofern ist die Politik sicher der Bereich wo man noch am ehesten eine Chance hat
wenn man von unten kommt bis ganz nach oben durchzustarten. Personen in Eliten
sind umso eher hoher sozialer Herkunft, je kleiner die Entscheidungsgremien und je
16
informeller die Entscheidungsprozesse sind. Wenn es aber – wie in der Politik immer
noch einer Reihe von Gremien gibt, durch die man muss, wenn es immer noch der
Bestätigung seitens des Wählers bedarf, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das
zu mindest ein bisschen gemischter ist und Leute tatsächlich als soziale Aufsteiger
nach oben kommen, doch deutlich höher. Auch heute noch.
Autorin
Die Parteien haben selbst längst gemerkt, dass es bei der Rekrutierung ihrer Elite
Reformbedarf gibt – die einen möchten das Recht der Altgedienten – das so genante
Anciennitätsprinzip einschränken, andere träumen von auf acht Jahre begrenzte
Amtszeiten.
Wenn aber niemand mehr inhaltliche Alternativen fordert, bringt auch die beste
Reform nichts: Das heutige politische Personal leidet an einer selbst diagnostizierten
Ohnmacht gegenüber Globalisierung und Sachzwängen. Obwohl es eigentlich gar
nicht so schwach sein müsste.
O-Ton
Ich halte die politische Elite noch immer für mächtig. Die Wirtschaftselite ist zwar
augenfällig mächtiger. Aber wenn ich sie vergleiche mit Verwaltungs- und
Medienelite, dann ist insofern mächtig, dass sie Entscheidungen treffen kann, die für
die normale Bevölkerung immer noch von großer Bedeutung sind in der
Gesundheitspolitik, in der Steuerpolitik. Ich sag mal ein Beispiel: die Bundesrepublik
hat 2001 beschlossen, wenn Unternehmen Aktienpakete abstoßen, dass Gewinne
nicht versteuert werden - das hat gravierende Konsequenzen gehabt, dieser
Beschluss hätte nicht gefällt werden müssen – andere Länder zeigen dass. Das
heißt die Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik sind nach denen der Wirtschaft
immer noch die größten.
Autorin
Dieses Mal haben sich 3.648 Männer und Frauen um ein Bundestagsmandat
beworben, Politik zu gestalten, 601 (aktualisieren/ %) haben es geschafft, allesamt
Vertreter etablierter Parteien, darunter auch Swen Schulz und Bärbel Höhn.
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Spr. vom Dienst
In der Reihe Zeitfragen hörten Sie heute:
Politik als Beruf: Über Parteisoldaten, Quereinsteiger und den Kampf um einen
Arbeitsplatz. Ein Feature von Katja Bigalke.
Es sprach: die Autorin
Ton: Boris Hofmann
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Redaktion: Constanze Lehmann
Produktion: DeutschlandRadio Kultur 2005
18
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