Exzellenznetzwerk Aufklärung – Religion – Wissen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Franckeplatz 1, Haus 24 06110 Halle Arbeitsgruppe ‚Anaisthesis’ CFP Sammelband: Gefühllose Aufklärung. Anaisthesis oder die Unempfindlichkeit im Zeitalter der Aufklärung Aufklärung wertet die erkenntnisleitenden Kräfte von Empfindungen auf und konstituiert aus dem Zusammenspiel von Vernunft und Gefühl den ganzen Menschen. Das Gefühl entwickelt sich in vielen Bereichen (Privatreligion, Seelenkunde, Pädagogik, Philosophie, Literatur) zu einem elementaren Organon. Demgegenüber sind allerdings auch der/die Gefühllose und die Gefühllosigkeit zentrale Themen des Aufklärungsdiskurses, deren Analyse neue Erkenntnisse – ex negativo – über den zeitgenössischen Empfindungsbegriff ermöglicht. Hypothesen über das ideale Mittelmaß von Erregbarkeit und Unempfindlichkeit werden in Auseinandersetzung mit dem Mangel an Gefühl, Einbildungskraft oder Pathos gebildet. Es geht um die anthropologische Konzeptualisierung des Ungefühls und des Gefühllosen. So beginnen im medizinischen Diskurs Ärzte, psychosomatische Phänomene der Übererregung oder Asthenie zu untersuchen, die als Normabweichung und krank thematisiert werden. Von der erfahrungsseelenkundlichen Erforschung der Gefühle geht ein neues Konzept von Identität aus. In der Religion tritt der religiös Unempfindliche, der in der Kritik empfindsamer Frömmigkeit steht, hervor. Die gefühlsbetonte Frömmigkeitsliteratur entwirft ein Modell ihres ‚ungefühligen’ Antagonisten. Über die verschiedenen Wissensbereiche hinweg rücken all jene historischen Figuren in den Fokus des Bandes, die stärker als gewöhnlich dem influxus physicus unterworfen sind, die also passive Lebenserfahrungen wie Schlaf und Apathie machen. Der Gefühllose kann schließlich in der Literatur aber auch der sein, dessen Wesen nur noch durch Zweckrationalität bestimmt wird. Es gilt zu untersuchen, ob und wenn ja wie das Konzept der Empfindungslosigkeit strategische Formen in den zeitgenössischen Aufklärungsdiskursen des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts angenommen hat und von gesellschaftlichen Gruppen als Stigmatisierung und Distinktion instrumentalisiert worden ist. Gegenüber der Prosperität von Empfindungsphänomenen wird mit der Forschungsperspektive des Sammelbandes ein genuin problemgeschichtlich gelagertes Forschungsdesiderat bearbeitet. Es stellt sich die Frage nach Ansätzen und Manifestationen eines aufgeklärten Problembewusstseins für das Fehlen von Empfindungen bzw. für die Unproduktivität, Latenz und Pathologie der Empfindungslosen. Mit diesem Zugang sind auch neue Aufschlüsse über die Tragweite von Empfindungskonzepten innerhalb moderner Aufklärungspraktiken zu erwarten. Die Beiträge sollen die Bereiche Philosophie, Anthropologie, Medizin, Religion, Literatur/Ästhetik bearbeiten. Erwünscht sind interdisziplinäre und komparative Perspektiven, die die Manifestationen des Unempfindlichkeitsdiskurses in der europäischen Aufklärung ausmachen. Deutsch- oder englischsprachige Exposés im Umfang von 250 Wörtern sind in elektronischer Form bis zum 31.07.2009 einzureichen bei [email protected]. Wir bitten, einen kurzen CV beizufügen. Der weitere Publikationsplan sieht vor, dass die fertigen Beiträge im Umfang von ca. 20 Manuskriptseiten im März 2010 vorliegen. Die Herausgeber des Bandes sind Angehörige des Graduiertenkollegs im Exzellenznetzwerk Aufklärung – Religion – Wissen an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Katja Battenfeld Cornelia Bogen Dr. Ingo Uhlig Patrick Wulfleff