060316-Mozart - Experiment Aufkllärung

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Rede von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
anlässlich der Eröffnung der Mozart-Ausstellung
„Experiment Aufklärung“
in der Wiener Albertina am Donnerstag,
dem 16. März 2006 in der Wiener Hofburg
Meine Damen und Herren!
Ein Jahr ist eigentlich nur ein Wimpernschlag in der
Weltgeschichte und andererseits doch ein ziemlich langer
Zeitraum. Dies wird mir bewusst, wenn ich daran denke, dass
vom Mozartjahr 2006 noch nicht einmal ein Viertel vergangen
ist, und doch schon so Vieles gesagt und geschrieben wurde.
Sie wissen, was allein an Literatur in den letzten Monaten
erschienen ist.
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Eine weitere Mozartausstellung könnte daher bereits ein
beträchtliches Risiko sein. Aber das Risiko wurde entscheidend
verringert durch die breite Themenstellung der heute zu
eröffnenden Ausstellung, die mit „Experiment Aufklärung“
definiert wurde.
Also nicht eine weitere Ausstellung über das Musikschaffen
Mozarts oder über die Person Mozart, über seine
Korrespondenz oder über seine persönlichen
Lebensgewohnheiten, sondern eine, die sich dem
geistesgeschichtlichen Umfeld im ausgehenden
18. Jahrhundert widmet: Einer „Schwellenzeit“ der Moderne,
angeheizt vom Feuer der Französischen Revolution, das auch
Mozart stark beeinflusste, um dann nach seinem Tod unter der
napoleonischen Restauration wieder abzukühlen.
Das Resultat der diesbezüglichen Bemühungen und
Überlegungen ist die Ausstellung des Da Ponte Instituts zum
Mozartjahr in der Albertina, die heute eröffnet werden kann.
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Ich habe das Privileg, diese Schau bereits gesehen zu haben
und kann daher auf Grund eigener Wahrnehmung sagen, dass
es eine kenntnisreiche, spannende und anregende Darstellung
ist, die wir dem Kurator der Ausstellung, Prof. Dr. Herbert
Lachmayer und seinem Team ebenso verdanken, wie dem
Hausherrn der Albertina, Dr. Klaus Albrecht Schröder.
Der Titel „Experiment Aufklärung“ macht aus vielen Gründen
neugierig, unter anderem, weil die Aufklärung normalerweise
als ein fixer, unverzichtbarer Bestandteil der politischen,
geistesgeschichtlichen und kulturellen Entwicklung Europas in
der Zeit zwischen Voltaire und Napoleon gesehen wird und
man die Frage stellen könnte, warum das Faktum der
Aufklärung im Nachhinein zum Experiment umgedeutet und
daher mit einem Fragezeichen versehen werden soll.
Schaut man genauer hin, wird man entdecken, dass eine
solche Deutung nicht zutreffend wäre, sondern dass es um
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etwas Anderes geht. Um die Tatsache nämlich, dass die
Aufklärung nicht nur zur Zeit Mozarts und im 18. Jahrhundert
Wirkung erzielt hat, sondern dass Inhalte, um die es in der
Aufklärung ging, auch heute noch im höchsten Maße relevant
sind, das heißt einerseits in Frage gestellt und andererseits
bekräftigt und weiter entwickelt werden.
Etwa die Freiheit, wie sie im mehrfachen Ausruf „Viva la liberta!“
am Ende des ersten Aktes des Don Giovanni beschworen wird;
sie wird nicht ein für allemal und irreversibel gewonnen,
sondern sie ist zerbrechlich und muss immer wieder neu
erkämpft, verdient, erarbeitet und verteidigt werden. Was
geschieht nicht alles im Namen der Freiheit und unter der
Überschrift „Befreiung“.
Ist nicht z.B. die „Befreiung des Irak“ ein Beispiel für die
Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Begriffes, ein Beispiel,
das auch einen Mozart des 21. Jahrhunderts faszinieren und
inspirieren müsste?
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Oder denken wir an die Idee der Gleichheit, wie sie im
Aufbegehren von Figaro zum Ausdruck kommt, der dem Grafen
zuruft: „Will der Herr Graf ein Tänzelein wagen?“ – übrigens
eine Stelle, die Sigmund Freud in seiner Traumdeutung erwähnt
und die meines Wissens der einzige ausdrückliche Bezug
Freuds auf Mozart ist.
In diesem, schon vor der Uraufführung mit Argwohn erwarteten
und nach der Uraufführung 1781 als „revolutionär“
bezeichneten Figaro geht es über weite Strecken um die
Aufhebung der Standesunterschiede und die Rechte des
Bürgertums, wie sie wenige Jahre später in der Französischen
Revolution zum politischen Grundsatz für ganz Europa wurde.
Freilich haben sich auch die Themen der Gleichheit mit der Zeit
gewandelt und weiterentwickelt. Heute beschäftigt uns nicht so
sehr die Frage der Gleichheit vor dem Gesetz, sondern die
Anpassung der gesellschaftlichen Realität an die gesetzlich
zwar verbriefte, in der Realität aber oft deformierte Gleichheit.
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Und dieses Bemühen ist nicht weniger Kraft raubend und
schwierig, als der Kampf um formale Gleichheit oder
Abschaffung von Standesunterschieden.
Und schließlich muss man – in einer Zeit, wo sich der
Neoliberalismus gewichtig zu Wort meldet – noch die
Brüderlichkeit nennen, die als Solidarität gegenüber dem
Nächsten, aber auch innerhalb von gesellschaftlichen Gruppen
jeden Tag neu bewiesen und auch eingefordert werden muss.
Es gibt eben nicht nur die unsichtbare Hand des Marktes, die
angeblich automatisch und geradezu zwingend zum Wohle aller
arbeitet. Dieser Gedanke eines Zeitgenossen von Mozart,
nämlich von Adam Smith (1723-1790) ist eine These geblieben,
bei der Manches, aber sicher nicht Alles richtig ist.
Wir erleben dies täglich, wenn steigende Gewinne und
steigende Arbeitslosenraten nicht gegenläufig, sondern parallel
laufen.
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In der Zauberflöte singen Pamina und Papageno: „Nur der
Freundschaft Harmonie mildert die Beschwerden“. Diese
Harmonie steht heute auf einem harten Prüfstand, sie ist
innerhalb unserer Gesellschaft, innerhalb der Europäischen
Union – aber auch im globalen Maßstab zwischen den
Kulturen – bedroht und vielfach überhaupt erst zu schaffen.
Darf man hoffen, dieses Ziel zu erreichen? Ich weiß es nicht.
Die Frage „Was ist Aufklärung?“, die vor mehr als 200 Jahren
aufgeworfen wurde, ist also auch an uns gerichtet, ist noch
aktuell. Denn das „Experiment Aufklärung“ ist noch nicht
abgeschlossen. Wir sind Träger dieser Ideen, wir sind
verantwortlich für diese Ideen, wir müssen diese Ideen den
neuen Gegebenheiten anpassen und wir müssen weiter daran
arbeiten, den Weg aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“
– wie Immanuel Kant die Aufklärung definierte – zu finden.
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Das erfordert Festigkeit und Zivilcourage, aber auch die
Fähigkeit, eigene Meinungen zu revidieren und auch dort mit
Ruhe und Besonnenheit zu argumentieren und zu handeln, wo
die Rückkehr zu Gewalt im Raum steht.
Meine Damen und Herren!
Unbestritten ist, glaube ich, dass das „Experiment Aufklärung“
Europa zu dem gemacht hat, was es heute ist.
Und es hat uns, gleichsam als Nebenprodukt, das
wahrscheinlich größte Genie der Musikgeschichte geschenkt:
Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus(Amadeus)
Mozart.
Für viele große Persönlichkeiten des ausgehenden 18.
Jahrhunderts galt Wien als die offenste, die vielfältigste und
„aufgeklärteste“ Stadt Europas (Nicolai, Lessing, Pezzl, Foster).
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Gleichwohl gibt es keine große Theorie der Aufklärung, die in
Wien verfasst worden wäre. Die Dokumente jener Zeit, die uns
die Lehre von Humanität, Toleranz, Gleichheit und
Brüderlichkeit überliefert haben, sind Noten: Noten aus der
Hand Mozarts.
Nützen wir das Jahr 2006 um die Botschaft der Aufklärung in
dieser, ihrer schönsten Form zu hören und in Form dieser
Ausstellung wahrzunehmen.
In diesem Sinne mache ich von der Einladung Gebrauch, die
Ausstellung zu eröffnen und gebe die Einladung zum Besuch
an Sie alle weiter.
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