SWR2 Musikstunde: Wunderkinder unterwegs. Die Mozarts auf

Werbung
2
SWR2 Musikstunde, 5.7.2013, 9.05 bis 10 Uhr
Wunderkinder unterwegs.
Die Mozarts auf Europareise 1763-1766
Teil 5: Die Rückreise nach Salzburg
Indikativ 0‘20
Unsere große Reise, auf der wir die Mozarts bei ihrer mehrjährigen Tour durch
Europa begleitet haben, geht heute zu Ende. Noch sind wir in London, dem
nördlichsten Punkt der Reise, dem Ort auch, wo die Mozarts die längste Zeit
verbracht haben – mehr als ein Jahr. Die Eindrücke, die die Kinder in London
bekommen, werden Wolfgang musikalisch ein Leben lang prägen. Johann
Christian Bach, der jüngste Sohn des Thomaskantors und in London
Musikmeister der Königin Charlotte, wird sein großes musikalisches Vorbild
werden, und manchmal werden seine Stücke klingen, als wären sie von Johann
Christian Bach geschrieben. Bach lebt seit 1762 in London, und Anfang 1763
widmet er den Druck seines opus 1 der Königin. Es sind sechs Klavierkonzerte,
und das letzte endet mit einem Variationensatz, dessen Thema eine Hommage
an die Königsfamilie ist. Ingrid Haebler spielt auf dem Hammerklavier; sie wird
begleitet von der Capella Academica Wien unter Leitung von Eduard Melkus.
Musik 1:
CD 1 track 14
3:09
Johann Christian Bach, Concerto op. 1, Nr 6: Allegro moderato
Ingrid Haebler, Hammerklavier; Capella Academica Wien – Eduard Melkus
Philips 438 712-2 LC 0305
God save the King – mit dieser Hommage an seine Förderer, die englische
Königsfamilie, beendet Johann Christian Bach sein sechstes Klavierkonzert op.
1. Wolfgang Mozart wird es intensiv studiert, vielleicht sogar selbst gespielt
haben, denn wir wissen aus Briefen seines Vaters, dass er auch andere Werke
Bachs genau zur Kenntnis nahm. Nach einem Jahr London plant Leopold Mozart
die Rückreise. Über Paris will er nach Süden, nach Mailand und Venedig reisen,
schickt sogar einen Koffer mit Pelzen nach Paris, denn es ist Sommer, und man
3
wird diese Pelze auf der Reise dorthin nicht benötigen. Aber es kommt anders.
Der holländische Gesandte liegt Vater Mozart in den Ohren, doch nach Den
Haag zu fahren, weil Prinzessin Karoline, die Schwester des Statthalters Willem
V. von Oranien, so begierig sei, das Wunderkind zu sehen. Karoline ist seit fünf
Jahren mit Karl Christian von Nassau-Weilburg verheiratet und erwartet gerade
ihr viertes Kind. Sie ist außerordentlich musikalisch, spielt selbst Klavier und
singt. Und so reisen die Mozarts also, in der Hoffnung auf üppige Entlohnung
am holländischen Hof und weitere wichtige Kontakte, nach Den Haag, nicht
ahnend, dass das Schicksal ihnen hier einen bösen Streich spielen wird. Die
Prinzessin ist tatsächlich so begeistert von Wolfgang, dass sie dem
Neunjährigen einen Kompositionsauftrag erteilt und die sechs Klaviersonaten
mit Violinbegleitung auch sogleich stechen lässt. Man kann ihre Begeisterung
verstehen, wenn man die C-Dur-Sonate KV 28 hört. Rémy Baude Barockvioline,
und Pieter-Jan Belder Cembalo, spielen den ersten Satz Allegro maestoso.
Musik 2:
CD IV/9 track 6
Wolfgang Amadeus Mozart, Sonate C-Dur KV 28: Allegro Maestoso
Rémy Baude Barockvioline; Pieter-Jan Belder, Cembalo
Brilliant Classics 92628/9
LC 09421
4:04
In Den Haag komponiert Mozart auch seine zweite Konzertarie überhaupt und
die erste Arie für Sopran. Der Text, „Conservati fedele“ stammt aus einem
bekannten Libretto, Pietro Metastasios Artaserse. Wir wissen aus Vater
Mozarts Briefen, dass Wolfgang für die Prinzessin Karoline Arien zu
komponieren hatte, und „Conservati fedele“ ist sicherlich eine davon. Wir
können davon ausgehen, dass die Prinzessin gesungen und Mozart sie begleitet
hat, denn das „Accompagnieren“ war eine der großen Stärken des
Neunjährigen. Keine Prinzessin, sondern Miranda van Kralingen singt
„Conservati fedele“ KV 23, begleitet von der European Sinfonietta; es dirigiert
Ed Spanjaard.
Musik 3:
CD VIII/3 track 6
6:59
Wolfgang Amadeus Mozart, „Conservati fedele“
Miranda van Kralingen, Sopran; European Sinfonietta – Ed Spanjaard
Brilliant Classics 92632/3
LC 09421
4
Den Haag ist das politische Zentrum der sogenannten Generalstaaten, der
sieben holländischen Provinzen, und statt eines Königs residiert dort ein
Statthalter. Seit Wilhelm IV. von Oranien 1734 Prinzessin Anna von England
geheiratet hatte, eine Schülerin Händels, hat das Musikleben einen großen
Aufschwung genommen. Bei Hof und in der Stadt wird intensiv und regelmäßig
musiziert. Einer der Adligen, Reichsgraf Unico van Wassenaar, komponiert
selbst. Er lebt in Den Haag, als die Mozarts dort ankommen, und dürfte bei
Wolfgangs Auftritten bei Hofe wohl dabei gewesen sein. Wir kennen einige von
ihm geschriebene Werke. Um sein bekanntestes aber ranken sich zahlreiche
Legenden. Es sind nämlich die sechs Concerti armonici, die lange Zeit Pergolesi
zugeschrieben werden, dann auch anderen Komponisten, schließlich ihm
selbst. Bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob diese Concerti nun aus der
Feder Unico van Wassenaars stammen oder ob er einem Komponisten in
seinem Umfeld einen Auftrag erteilt, die Stücke dann aber für seine eigenen
ausgegeben hat. Das ist im 18. Jahrhundert gängige Praxis. Aus dem Concerto
Nr 2 B-Dur von Unico van Wassenaar hören Sie jetzt die Sätze Adagio
affettuoso und Allegro moderato. Es spielt The Amsterdam Baroque Orchestra,
die Leitung hat Ton Koopman.
Musik 4:
CD track 7-8
3:58
Unico van Wassenaar , Concerto Nr 2 B-Dur: Adagio affettuoso und Allegro
moderato
The Amsterdam Baroque Orchestra – Ton Koopman
Erato 0927-49571-2
LC04281
Der Zeitpunkt für einen Aufenthalt in Den Haag ist gut gewählt. Denn der junge
Statthalter Wilhelm V., für den seine Mutter Anna nach dem Tod ihres Gemahls
acht Jahre die Vormundschaft übernehmen muss, wird im März 1766 volljährig.
Das ist Grund für ausgedehnte Feiern, und die Mozarts tragen eine Menge zu
der musikalischen Ausgestaltung bei. Und diesmal steht auch Vater Leopold
einmal im Rampenlicht. Seine 1756 gedruckte und seitdem sehr erfolgreiche
Gründliche Violinschule ist unter den Augen des Autors ins Niederländische
übersetzt worden, und mit großem Stolz vermeldet Mozart in einem Brief:
„Dies Buch haben die Herren Holländer in meinem Angesicht in das
Holländische übersetzt dem Prinzen dediziert und zu seinem Installationsfest
5
präsentiert.“ Wolfgang seinerseits steuert zwei Sets von Klaviervariationen bei
– einen über das holländische Lied „Wilhelmus von Nassau“, das in den
Niederlanden eine ähnliche Position einnimmt wie „God save the King“ in
England, und einen über das Lied „Laat ons juichen, Batavieren“, das der
Hofkapellmeisters Christian Ernst Graf direkt für den Anlass der Inthronisation
neu komponiert hat. Die Variationen über „Laat ons juichen, Batavieren“ spielt
Pieter-Jan Belder auf dem Fortepiano.
Musik 5:
CD VI/8 track 2
4‘35
Wolfgang Amadeus Mozart, Variationen „Laat ons juichen, Batavieren“
Pieter-Jan Belder, Fortepiano
Brilliant Classics 92630/1
LC 09421
Bevor die Mozarts relativ unbeschwert an den Krönungsfeierlichkeiten für
Wilhelm V. von Oranien teilnehmen können, durchleben sie die schlimmste Zeit
auf der gesamten Reise. Denn kaum in Den Haag angekommen, erkrankt
Nannerl schwer. Sie hat so hohes Fieber, dass sie deliriert und im Schlaf spricht
– „bald englisch, bald französisch, bald deutsch“, wie ihr Vater schreibt, „und
da sie“, so Leopold weiter, von unsern Reisen Materie genug im Kopf hatte,
mussten wir, bei aller Betrübnis, oft lachen. Das war etwas, so den Wolfgangerl
ein wenig aus seiner Traurigkeit brachte, die er wegen seiner Schwester hatte.“
Schließlich geben die Ärzte Nannerl auf, sie empfängt sogar die
Sterbesakramente. Aber sie überlebt und kommt wieder zu Kräften. Aber kaum
dass sie wieder halbwegs auf den Beinen ist, wird Wolfgang krank und liegt wie
seine Schwester auf den Tod. Drei Monate verlässt die Mutter das Krankenbett
ihrer Kinder nicht. Und auch Wolfgang überlebt und kommt nach Wochen
wieder zu Kräften, so dass er zwei Monate später dem neuen Statthalter der
Niederlande nicht nur seine Variationen überreichen kann, sondern auch ein
Quodlibet für Orchester mit dem Titel Galimathias Musicum. In diesem
Quodlibet verwendet Mozart einige bekannte Lieder, darunter auch das von
den acht Sauschneidern, die es braucht, um einen Eber zu kastrieren, und am
Schluss kommt noch einmal die niederländische Hymne Wilhelmus von Nassau
zu Ehren. Denn in dem letzten Satz macht Mozart aus diesem Lied eine Fuge.
Hören Sie diese Schlussfuge gespielt vom Franz Liszt Chamber Orchestra unter
Leitung von János Rolla.
6
Musik 6:
CD III/7 track 23
Wolfgang Amadeus Mozart, Galimathias Musicum: Fuge
Franz Liszt Chamber Orchestra – János Rolla
Brilliant Classics 92625/1
LC 09421
3:10
Nach dem Ende der Krönungsfeierlichkeiten verlassen die Mozarts Den Haag,
um sich mit Konzerten in anderen niederländischen Städten noch etwas Geld
zu verdienen. Die Krankheit der Kinder hat ein großes Loch in die Reisekasse
gerissen. In Amsterdam geben die Kinder insgesamt drei Konzerte, in Harlem
darf Wolfgang auf der berühmten Orgel der Grote Kerk spielen, und in der
Vreeburg in Utrecht wird ein Konzert angekündigt, bei dem Wolfgang und
Nannerl Sonaten und Konzerte auf dem Cembalo spielen werden. Außerdem,
so die Zeitungsannonce weiter, werden alle Sinfonien von dem kleinen
Komponisten selbst stammen. Die jüngste dieser Sinfonien ist die B-DurSinfonie KV 22, in Den Haag geschrieben, und sie wird in Utrecht mit Sicherheit
erklungen sein. Die Mozart Akademie Amsterdam unter Leitung von Jaap ter
Linden spielt die Sätze Andante und Molto Allegro.
Musik 7:
CD I/1 track 11-12
3:27
Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 5 B-Dur: Andante – Molto Allegro
Mozart Akademie Amsterdam – Jaap ter Linden
Brilliant Classics 92625/1
LC 09421
Mit einiger Eile geht es von den Niederlanden dann über Mecheln, Brüssel,
Valenciennes und Cambrai zurück nach Paris. Fast hat es den Anschein, als
würde Leopold Mozart das Heimweh plagen. Immer häufiger finden sich
Überlegungen in seinen Briefen, wie die weitere Reiseroute geplant werden
könnte. Von Marseille und Bordeaux ist da die Rede, von Turin und Venedig,
um dann von Süden über Tirol nach Salzburg zurück zu kehren. Immerhin so
Mozart, sei „jetzt noch die Zeit, wo die Jugend der Kinder alles in
Verwunderung setzet.“ Aber irgendwie zieht es ihn ins heimatliche Salzburg. Er
macht sich Gedanken darüber, wie die Salzburger Wohnung neu möbliert
werden könnte, fragt Hagenauer nach dem Zustand des heimischen Klaviers,
und ob die Saiten erneuert werden müssten. Und auch in Paris hält es ihn nicht
7
lange. Zwar freut er sich, alte Freunde wieder zu sehen, aber es drängt ihn,
„schnurgerade“, wie er schreibt, nach Salzburg zu reisen. In Paris treffen die
Mozarts unverhofft einen Bekannten vom Anfang ihrer Reise – Christian
Cannabich, den Konzertmeister des Mannheimer Orchesters. Er ist in Pariser
Musikerkreisen eine bekannte Persönlichkeit. Zahlreiche seiner Werke werden
in Paris gedruckt und im Concert spirituel, also der großen Konzertreihe in der
Fastenzeit, gespielt. Er selbst tritt dort auch als Violinvirtuose auf. Zu den
sicherlich gern gehörten Werken zählt Cannabichs Sinfonia concertante in ADur, die Sie jetzt in einer Aufnahme mit der Camerata Bern unter Leitung von
Thomas Füri hören. Die Solisten sind Aurèle Nicolet, Heinz Holliger, Mafred Sax,
Thomas Füri, Christoph Schiller, Thomas Demenga und Jörg Dähler.
Musik 8:
CD track 10
8:37
Christian Cannabich, Sinfonia concertante A-Dur: Allegro assai moderato
Aurèle Nicolet, Flöte; Heinz Holliger, Oboe; Manfred Sax, Fagott; Thomas Füri,
Violine; Christoph Schiller, Viola; Thomas Demenga, Violoncello; Jörg Dähler,
Cembalo. Camerata Bern – Thomas Füri
DGG 445 117-2
LC 0173
Über die Schweiz, Donaueschingen, wo der Fürst die Mozarts noch einmal mit
Beschlag belegt und fürstlich entlohnt, und über München geht es schließlich
zurück nach Salzburg. Leopold Mozart ist um einiges Geld, aber vor allem um
unendlich kostbare Erfahrungen reicher. Noch aus München, kurz vor der
Rückkunft, schreibt er an seinen Salzburger Freund: „Gott hat meinen Kindern
solche Talente gegeben, die, ohne an die Schuldigkeit eines Vaters zu
gedenken, mich reizen würde, alles der guten Erziehung desselben
aufzuopfern. Jeder Augenblick, den ich verliere, ist auf ewig verloren. Und
wenn ich jemals gewusst habe, wie kostbar die Zeit für die Jugend ist, so weiß
ich es jetzt.“ Und nachdem Leopold Mozart eigentlich beschlossen hatte, seine
eigene Kreativität zugunsten der seines Sohnes zurück zu stellen, so
komponiert er selbst nach der Heimkehr doch noch einmal eine Sinfonie, die
„Neue Lambacher“ genannt wird und zwischen 1767 und 1769 entsteht. Mit
dem zweiten Satz dieser Sinfonie geht unsere Reise im Schlepptau der Mozarts
zu Ende. Hören Sie Andante un poco allegretto gespielt vom L’Orfeo
Barockorchester unter Leitung von Michi Gaigg.
8
Musik 9:
CD track 15
3:13
Leopold Mozart, Neue Lambacher Sinfonie: Andante un poco allegretto
L’Orfeo Barockorchester – Michi Gaigg
Cpo 999-942-2
LC 8492
Herunterladen