Löcher

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Kolloquium Literatur und Schule, 16.06.03
Louis Sachar: Löcher. Die Geheimnisse von Green Lake. Weinheim: Beltz & Gelberg 2002. 7.90
Im Anschluss an die Vorleserunde werden die Leseerfahrungen mit diesem „amerikanischen
Märchen“ im Blitzlicht als amüsant und abenteuerlich, herrlich skurril und schräg beschrieben.
Stanley Yelnats hat einfach Pech. Da geht es ihm nicht anders als den anderen Stanley Yelnats seiner
Familie vor ihm. Die Schuld liegt, glaubt man, wie die Yelnats das tun, der Familiengeschichte, bei
seinem Ururgroßvater, diesem „elenden Tunichtgut und Schweinedieb“, dessen Geschichte uns in
einem weiteren Handlungsstrang gleichfalls erzählt wird. Stanley also fallen die Turnschuhe eines
berühmten Baseballspielers auf den Kopf. Er wird des Diebstahls angeklagt, verurteilt und in die
Besserungsanstalt „Camp Green Lake“ in die texanische Wüste gebracht. Die Insassen des Camps
müssen täglich in brütender Hitze ein Loch graben, weil, so die Philosophie des Lagers, auf diese
Weise aus schlechten Jungs gute Jungs werden. Stanley bekommt schnell mit, dass das Graben von
Löchern nicht nur der Charakterbesserung dient. Vielmehr müssen die Jungs etwas für die Chefin
suchen. Durch diese Erkenntnis kommt die Handlung erst richtig in Gang. Stanley beginnt, ohne sich
dessen bewusst zu sein, das Schicksal der Familie zu erfüllen. Die beiden Handlungsstränge
(Ururgroßvater / Stanley) laufen zusammen, der Fluch, der über den Yelnats liegt, wird von Stanley
(ab-)getragen und wir dürfen von einem wirklich guten Ende lesen.
Natürlich ist diese Geschichte unendlich konstruiert. Jedes Detail ist vorbereitet, alles greift
ineinander, gehört zusammen und löst sich schließlich auf. Dabei liegt die Konstruktion sozusagen
offen, ist an Stellen auch ironisch gebrochen und selbstreflexiv. Arabesk wird diese Struktur im
Verlauf des Gesprächs genannt. Die unaufdringlich und unaufgeregt erzählte Geschichte nimmt den
Leser mit. Die Handlung steht für sich, nicht alles wird uns gesagt, vor allem wird nichts kommentiert.
Das Buch kommt ganz und gar ohne pädagogischen Zeigefinger aus. Es bleiben „Löcher“, die wir
selbst füllen müssen. Gerade das hat gefallen. Die meisten von uns haben es mit Genuss gelesen.
Länger haben wir darüber gesprochen, welches Genre hier eigentlich vorliegt, denn das bleibt
vergleichsweise unklar und hat, wie angemerkt wird, beim Lesen auch verunsichert. Ein Märchen
einerseits, andererseits aber auch Figuren, die psychologische Tiefe gewinnen und die Übergänge sind
nicht deutlich markiert. In unserer Märchentradition wirkt dabei der starke Zug ins Realistische
befremdlich. Der Text vereinige sehr Widersprüchliches, Realistisches und auch Fantastisches und in
dieser Mischung ist er für uns kulturell auch fremd gewesen. In der Tradition der amerikanischen
Familiensaga haben einzelne den Text gesehen, in der Historisches aufgenommen und mythisch
aufgeladen werde. Die Verarbeitung historischer Themen (Rassismus in den USA) erschien uns
besonders gut gelungen. Freilich löst der amerikanischer Optimismus, etwa in der „Tellerwäscher wird
Millionär-Ideologie“, auch Befremden aus. Stanley lässt sich nicht hängen, kann der Situation, in die
er geraten ist, fast etwas abgewinnen und schließlich fügt sich ja auch alles sinnhaft zusammen. Aber
auch das sei im Text ironisch gebrochen, wird eingewandt. Wir waren uns einig, dass so etwas im
„alten Europa“ kaum und in Deutschland in dieser Form vermutlich gar nicht geschrieben werden
kann.
Das Buch vermittle zudem in Verbindung mit der Landschaft, in der die Handlung angesiedelt ist, eine
spezifische Form von Körperlichkeit, die gut gefallen hat.
Diese Erfahrung sollte auch bei der Behandlung des Textes in der Schule vermittelt werden, so ein
Plädoyer. Der Handlungsort müsse unbedingt thematisiert werden. Dabei könnten auch sehr konkrete
Fragen (amerikanische Wüsten; giftige Eidechsen etc.) angeschlossen werden. Darüber hinaus
interessiert uns, wie das Thema Freundschaft und Solidarität mit den Schwachen aufgenommen ist.
Schließlich sollte bei einer Bearbeitung in der Schule auch die formale Dimension des Textes
thematisiert werden. Die Frage, wie Fiktionalität hier funktioniert, welcher Bauplan der Konstruktion
zugrunde liegt, erscheint uns ergiebig.
Je nach Lesefähigkeit der SchülerInnen können wir uns den Text für eine fünfte, sechste oder siebte
Klasse vorstellen.
hw
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