Toxoplasmose - alles für die Katz´ Es gibt Parasiten wie z. B. den Tollwut-Virus, die ins Gehirn ihrer Opfer eindringen. Das Virus kann dort seine Verbreitung sichern, indem es das Verhalten seines Wirtes steuert. Der Tollwut-Erreger macht den infizierten Hund oder Fuchs aggressiv, sodass die Viren leicht durch Bisse übertragen werden, also eine ausgeklügelte Strategie des Parasiten zum Überleben. Gibt es auch durch Lebensmittel übertragene Mikroorganismen, die Einfluss auf unser Verhalten gewinnen und sogar unsere Persönlichkeit verändern können? Es könnte der Fall sein. Toxoplasma gondii, ein tierischer Einzeller, der die Toxoplasmose hervorruft, ist einer der am weitesten verbreiteten Erreger der Welt. In vielen Regionen ist fast jeder zweite Mensch damit infiziert. In den allermeisten Fällen ist die Infektion latent und hat keine klar erkennbaren Krankheitssymptome. Fast keiner der Infizierten weiß deshalb, dass er überhaupt eine Infektion erlitten hat. Das Immunsystem bildet Antikörper, die die Krankheitserreger in Schach halten. Nur die Antikörper im Blut können bei der Diagnostik verraten, dass der Erreger in den Körper eingedrungen ist. Infizierte Personen haben eine lebenslange Immunität gegenüber Toxoplasma, es sei denn eine Immunschwäche wie bei der HIV-Infektion wird erworben. Dann können sich die Erreger ungehindert vermehren und beispielsweise eine Lungenentzündung oder eine Hirnhautentzündung auslösen. Die Parasiten können aber in einigen Fällen nach der Infektion eine Herzmuskelentzündung oder eine "okuläre Toxoplasmose" auslösen. Bei letzterem kann die Netzhaut so stark geschädigt werden, dass der Patient erblindet. Bekannt ist, dass eine Infektion während der Schwangerschaft fatal sein kann, da die Protozoen über die Plazenta auf den Fötus übertragen werden und Missbildungen des Fötus sowie Fehlgeburten verursachen können. Untersuchungen haben nun ergeben, dass an Toxoplasmose Infizierte wesentlich häufiger schuldhaft an Verkehrsunfällen beteiligt sind als Nichtinfizierte. Latent infizierte Personen haben offenbar eine höhere Risikobereitschaft und gleichzeitig hat ihre Reaktionsfähigkeit abgenommen. In psychologischen Tests wurde auch festgestellt, dass Antikörper-positive Personen statistisch signifikant besondere Persönlichkeitsmerkmale wie geringe Neugierde und Lernunwilligkeit aufwiesen. Dies sind – neben vielem anderen – Hinweise, aber keine Beweise, dass der Parasit Toxoplasma für diese Persönlichkeitsveränderungen verantwortlich ist. Eine Reihe von Studien zeigt außerdem, dass an Schizophrenie erkrankte Menschen ungewöhnlich oft latent mit Toxoplasmose-Erregern infiziert sind. Warum beeinflussen Toxoplasmose-Erreger Verhaltensweisen und Persönlichkeitsstrukturen infizierter Personen? Tierische Parasiten wie Toxoplasma gondii haben einen komplexen Lebenszyklus. Sie vermehren sich in Zwischenwirten wie Menschen, Schweinen oder Nagetieren, aber sie benötigen Katzen als Endwirte, um ihren Zyklus zu vollenden. Nur in Katzen kann eine sexuelle Vermehrung stattfinden, sodass diese Parasiten immer bestrebt sein müssen, möglichst eine Katze als Wirt zu erreichen. © 2010 by Fachbuchverlag Pfanneberg, Haan-Gruiten Seite 1 Ein Forscherteam in den USA hat festgestellt, dass Ratten und Mäuse, die mit Toxoplasma infiziert sind, außergewöhnlich auf den Geruch von Katzenurin reagieren. Normalerweise halten sich diese Tiere von allen Orten fern, an denen Uringeruch wahrgenommen wird, und vermeiden so, dass sie von Katzen gefressen werden. Haben sich die einzelligen Parasiten aber in das Gehirn der Nagetiere eingeschlichen, werden die infizierten Tiere regelrecht vom Katzenurin angezogen. Das selbstmörderische Verhalten führt dazu, dass sie von den Katzen leichter erwischt und gefressen werden: So erreicht der Parasit seinen Endwirt. Wie infizieren sich Menschen mit Toxoplasmose-Erregern? Eine Infektion des Menschen mit Toxoplasma erfolgt selten über direkten Kontakt mit Katzenkot, in dem sich infektiöse Erregerstadien befinden können. Allermeist geschieht die Infektion über den Genuss von rohem oder unzureichend gekochtem Fleisch, vor allem von Schweinefleisch. Bei der Infektion von Schweinen mit dem Katzenparasiten spielen Schadnager und Spitzmäuse, die häufig infiziert sind, eine wichtige Rolle, vor allem natürlich, wenn die Allesfresser im Freiland gehalten werden. Nur gut, dass wir höchst selten rohes Geflügelfleisch verzehren; zumindest Freilandgeflügel ist stark mit Toxoplasma verseucht. Vorkommen von Toxoplasma (Daten verschiedener Untersuchungen) Schweine (Stall) 0%-1% Schweine (Freiland) 3%-7% Ratten 10.3 % Mäuse 6.5 % Waldmäuse 14.3 % Hausspitzmäuse 13.6 % Hühner (Freiland) 20 - 50 % Mensch 30 – 70 % (weltweit) Je älter ein Mensch ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er sich irgendwann in seinem Leben mit Toxoplasmen infiziert hat. Die Parasiten bilden Zysten mit Tausenden von Einzelzellen in der Muskulatur. Jeder mit Toxoplasma infizierte Mensch dürfte auch Zysten im Gehirn haben und diese Zysten könnten den Gehirnstoffwechsel durchaus verändern. © 2010 by Fachbuchverlag Pfanneberg, Haan-Gruiten Seite 2 Warum verändert sich das Verhalten von mit Toxoplasmose-Erregern Infizierten? Schon länger ist bekannt, dass Mäuse, die mit Toxoplasma infiziert sind, im Gehirn erhöhte Mengen an Dopamin aufweisen. Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter, ein Botenstoff zwischen den Nervenzellen. Beim Menschen hat er auch einen wichtigen Einfluss auf die Stimmungslage und die Motivation sowie auf das Sozialverhalten. Britische Wissenschaftler fanden nun heraus, dass der Parasit gerade Dopamin-produzierende Gehirnzellen befällt und dort ein Enzym produziert, das der Synthese von Dopamin dient. Außerdem werden von Immunzellen Zytokine (Entzündungsbotenstoffe) im Gehirn gebildet, um die Infektion zu bekämpfen. Diese wiederum beeinflussen den Gehalt von Nervenbotenstoffen wie Dopamin. Ein Überschuss an Dopamin hat ebenso wie ein Mangel des Neurotransmitters offenbar massive Konsequenzen für das Zentrale Nervensystem. Dopaminmangel im Gehirn ist beispielsweise eine wesentliche Ursache der Parkinson-Krankheit ("Schüttellähmung"). Eine zu hohe Dopamin-Konzentration in bestimmten Hirnregionen wurde für Menschen mit schizophrenen Psychosen festgestellt. Vieles spricht also dafür, dass die Toxoplasmose-Erreger wirklich die Nervenaktivitäten und unser Verhalten manipulieren können. Warum befallen die Erreger auch Menschen? Menschen werden ja nicht von Katzen gefressen. Möglicherweise ist das Eindringen der Toxoplasmen in den menschlichen Körper nur ein unglücklicher Zufall für die Parasiten, die lieber in die kleinen Beutetiere der Katzen gelangen würden. Andererseits kann spekuliert werden, dass unsere steinzeitlichen Vorfahren vielleicht zu den Beutetieren von Großkatzen gehörten. Dann war es für die Parasiten durchaus nützlich, wenn die infizierten Menschen verlangsamte Reaktionen zeigten und leicht zur Beute von Raubtieren wurden. Wie kann man sich vor einer Toxoplasmose-Infektion schützen? Die wichtigste Maßnahme, eine Infektion mit Toxoplasmen zu vermeiden, ist sicherlich der völlige Verzicht auf rohe Fleischwaren wie Mett, Tartar oder Carpaccio, wobei von Rindfleisch wahrscheinlich ein geringes Risiko ausgeht. Insbesondere Fleischwaren von Schweinen, die im Freien gehalten werden, müssen aber gründlich durchgegart werden, da sie oft mit den Parasiten verseucht sind. Gesalzenes, gepökeltes oder getrocknetes Fleisch wie Rohschinken oder Salami gelten als sicher, da Toxoplasma bei der Herstellung abgetötet wird. Hingegen reicht das kurze Reifen von Wurstsorten wie Mett- oder Teewurst offenbar nicht völlig aus, um alle Erreger abzutöten. Auch rohes Obst und Gemüse kann unter Umständen mit Erregern beschmutzt sein und sollte vor dem Verzehr gründlich abgewaschen oder gegart werden. Letztendlich ist ein vollkommener Schutz vor den Parasiten aber kaum möglich. Glücklicherweise ist bei den meisten von uns das Immunsystem so schlagkräftig, dass wir auch mit diesen Mikroorganismen ganz gut leben können. Nur im Straßenverkehr sollten wir etwas aufpassen, aber das machen wir ja sowieso. © 2010 by Fachbuchverlag Pfanneberg, Haan-Gruiten Seite 3