Sprache unter der kulturellen Lupe ein komplexes Gebilde aus Konventionen Was ist eine Sprache? Sie ist ein Werkzeug. Sprache ist ein Hilfsmittel, um Unsichtbares zu vergegenwärtigen. Unsichtbares ist: abwesende Gegenstände oder Personen, aber auch Ideen, Konzepte, Gefühle ... Sprache ist, wenn Menschen sich auf eine Konvention einigen: Wenn wir... meinen, dann sagen wir... . Und weil das, worüber Menschen sprechen wollen, sich ändert und komplexer wird, wird auch die Sprache immer komplexer. Sprache ist aber mehr, als eine Sammlung von Wörtern! Sprachliche Konventionen ändern sich seit Jahrhunderten und sie begrenzen sich nicht auf den Bereich des Wortschatzes. Wer eine Fremdsprache lernt, lernt nicht nur Vokabeln, sondern er beschäftigt sich mit sechs linguistischen Kategorien von kommunikativen Konventionen. (vgl. die Forschung zu "LAC – Linguistic Awareness of Cultures" von Prof. Dr. Bernd Müller-Jacquier, Universität Bayreuth) Wortbedeutung nonverbale Zeichen Sprechhandlung paraverbale Zeichen Gesprächsorganisation Kontextualisierung GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Ein Tisch ist kein Tisch" Wortbedeutung Das Lernen von Wortpaaren ("Stuhl" = "chair") täuscht vor, dass es eine Eins-zueins-Entsprechung zwischen dem Wort und seiner Übersetzung gibt. Dies ist nicht so und zwar aus mehreren Gründen: - Die Realität offenbart sich auf einem Kontinuum. Wörter aber grenzen ab. Was ist noch grün und was ist schon blau? Oder hat eine Sprache überhaupt zwei verschiedene Wörter für diese Phänomene, oder sogar drei? - Die Bedeutung eines Wortes setzt sich aus Teilbedeutungen zusammen. Die Teilbedeutungen in Klammern können, müssen aber nicht vorliegen. Konzept Teilbedeutungen knapp gefasst ausführlich schriftlich gedanklich vage Vorüberlegungen erster Entwurf fertig ausgearbeitet ohne Anspruch auf unveränderte Beibehaltung mit Anspruch auf Verbindlichkeit stringent gegliedert grob gegliedert assoziativ Sprecher A, Kultur B x (x) x x x Sprecher C, Kultur D (x) (x) x x (x) x x (x) x Was sind die Teilbedeutungen von "mieten"? Wenn hier das Wort zwischen deutschem Mieter und fremdsprachlichem Vermieter hinsichtlich der Rechte und Pflichten unterschiedlich belegt ist, kann das zu Missverständnissen führen. Was sind die Teilbedeutungen von "kooperieren"? Von "Versprechen", "Freund", "Bericht", "Dienstwagen", "Kollegialität", "qualifiziert"? - Gefühle und Assoziationen, die ein Sprecher/eine Sprachgemeinschaft mit einem Wort verbinden, sind verschieden. Ist ein "Stuhl" ein Alltagsgegenstand oder ein Statussymbol, bequem oder unbequem? Ist ein "Kompromiss" eine gute Lösung oder ein Zeichen von Schwäche? Ist "Regen" schlechtes Wetter oder eine klassische Kulisse für romantische Gefühle? - Die inneren Bilder, die ein Sprecher/eine Sprachgemeinschaft hat, wenn sie ein Wort verwendet, sind unterschiedlich. Wie sieht "Wald" aus? Frisch, licht und grün? Oder morastig, dunkel und bunt? Zwitschern dort die Vögel oder lauern dort Gefahren? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Ausflugsziele für sprachliche Entdeckungsreisen Eine Sprache zu entdecken ist eine faszinierende Reise. 1. Erkundigen Sie sich bei Ihren Partnern nach der Herkunft von Wörtern. Neben den ältesten Wortstämmen gibt es in jeder Sprache Wörter aus verschiedenen Epochen des kulturellen Kontaktes mit anderen Völkern. 2. Achten Sie auf das Vorhandensein von Wörtern. Je wichtiger eine Sache oder Angelegenheit in einer Kultur ist, desto differenzierter sind die Begrifflichkeiten. Für welche deutschen Wörter (und damit Konzepte) gibt es Ihrer Fremdsprache keine Übersetzung? Für welche Wörter (und damit Konzepte) aus Ihrer Fremdsprache gibt es keine deutsche Übersetzung? 3. Sammeln Sie Wörter, die durch Ihre Erfahrungen im Gastland und durch neue Assoziationen und Gefühle auch eine neue Qualität bekommen. 4. Analysieren Sie bei Irritationen die Bedeutungskomponenten der zentralen Begriffe. Sind sie für Sie und Ihren Gesprächspartner deckungsgleich? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Was wir tun, wenn wir sprechen" Sprechhandlung Kommunikation hat zwei Ebenen: das, was gesagt wird: die Äußerung das, was damit getan wird: die Sprechhandlung In den seltensten Fällen sind beide so deckungsgleich wie in "Ich taufe dich": gesagt – getan. In wenigen Fällen wird die Sprechhandlung vor der Äußerung angekündigt wie in "Ich wollte mich noch verabschieden: also, kommt gut nach Hause!" In den allermeisten Fällen gibt es nur eine Äußerung und die Sprechhandlung muss erschlossen werden. So kommt es, dass uns in einer fremdsprachlichen Situation oftmals das Gefühl beschleicht: "Ich habe zwar fast jedes Wort verstanden, aber was um Himmels Willen wurde gesagt?" "Ich ruf dich an!": Diese Äußerung könnte sein: ein Versprechen, eine Vertröstung, eine Zusage, eine Absage, ein Abschied. "schöne Vase!": Diese Äußerung könnte sein: ein Kompliment, eine Bitte oder Kritik an den Blumen. Für einen Fremdsprachensprecher ist es schwierig, aus der Äußerung alleine auf die richtige Sprechhandlung zu schließen. Man neigt dazu, die wörtliche Ebene in einer Fremdsprache konkreter aufzufassen als in der Muttersprache. Erkennen von Phrasen ist ein Prozess, der in der Lerngeschichte später einsetzt als Wissen von Vokabeln und Satzstrukturen. Daher muss man sich in fremdsprachlicher Kommunikation dieser Konventionen besonders bewusst sein. Hinzu kommt: Anders als im klassischen Sprachunterricht, wo die Kapitelüberschrift die Sprechhandlung betitelt und dann mehrere Äußerungen gelernt werden (z.B. Verabschieden: "auf Wiedersehen", "Tschüss", "gute Nacht") sind Sie im Gastland mit Äußerungen konfrontiert und müssen auf die Sprechhandlung rückschließen. Deutsche haben die Gewohnheit bei Verunsicherung oder um Verunsicherung zu vermeiden, die Sprechhandlung explizit zu nennen: "Ich wollte dich nicht kritisieren, nur einen Vorschlag machen."/"War das ein Witz?"/"Ich will gar nicht lange stören, mich nur schnell verabschieden." Ein solcher Wechsel auf die Metaebene ist nicht in allen Kulturen üblich. GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Sprechhandlungen sammeln Sammeln Sie Äußerungen, die Sie irritiert haben und analysieren Sie: Welche Sprechhandlungen standen dahinter? Fragen Sie Ihre Sprachlehrerin/Ihren Sprachlehrer, welche Äußerungen sie in Deutschland irritiert haben. Sie können daraus Rückschlüsse auf die Konventionen in Ihrem Gastland ziehen. Ergänzen Sie die Liste zentraler Sprechhandlungen und Äußerungen, die Ihnen im Lauf Ihres Einsatzes begegnen: Zusage Absage Versprechen Lob Tadel Vertröstung Abschied Begrüßung Bitte Einladung Zustimmung Warnung Bestätigung Einwilligung Vorwurf Entschuldigung Kompliment ... GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Kommunikation hat Ordnung" Gesprächsorganisation Es gibt ganz unterschiedliche Arten von Kommunikation: Smalltalk, eine Verhandlung, eine Verabredung, ein Telefonat, ein Vortrag, eine Einladung, eine Diskussion, eine Anweisung, eine Unterweisung ... Diese verschiedenen Kommunikationstypen haben jeweils spezifische Merkmale. Der gleiche Kommunikationstyp kann aber in verschiedenen Kulturen ganz unterschiedlich aussehen. Folgende Faktoren kommen bei der Organisation eines Gespräches zum Tragen: • mündlich oder schriftlich? Welches Anliegen/Thema persönlich, telefonisch, per e-Mail oder auf dem Postweg vorgebracht wird, um als "angemessen" wahrgenommen zu werden oder Gültigkeit zu haben, ist kulturell verschieden. • formalisiert oder formlos? Ob es für ein Anliegen/Thema eine feste Form gibt (Eid, Zauberformel, Formular) oder ob es individuell ausgestaltet werden kann, um als "angemessen" wahrgenommen zu werden oder Gültigkeit zu haben, ist kulturell verschieden. • welche Gesprächsschritte kommen vor, wie lang sind sie im Verhältnis zueinander? Ein Gespräch gliedert sich in mehrere Phasen, z.B. Begrüßung, Austausch von Wertschätzung, Einordnung des Gesprächspartners in relevante Gruppenzugehörigkeiten, Suche nach Gemeinsamkeiten, Vorbringen eines Anliegens, Meinungsaustausch, Austausch von Wertschätzung, Verabschiedung. Welche Phasen ein Gespräch durchläuft und wie lange die einzelnen Phasen dauern, ist in verschiedenen Kulturen verschieden. • linear oder mit Themenabweichungen? Wie oft darf/muss etwas wiederholt werden? Ob eine Wiederholung redundant ist oder die Bedeutung gegenüber den vorhergehenden Malen erweitert wird, ist kulturell verschieden. Gültigkeit oder Gewicht einer Aussage können von der Häufigkeit der Wiederholung abhängen. Ob ein Thema stringent besprochen wird oder ob Exkurse in andere Themenbereiche erwünscht oder erforderlich sind, und welche Bedeutung eine Themenabweichung für den Gesprächsverlauf hat, ist kulturell verschieden. GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Welchen Verlauf beobachten Sie bei Ihren interkulturellen Gesprächen? Hatten Sie in interkulturellen Gesprächssituationen schon das Gefühl, Ihr Gesprächspartner sei weitschweifig, umständlich...? Haben Sie sich schon als vorpreschend empfunden? Haben Sie schon überlegt, wie ein Gesprächspartner aus einer anderen Kultur Ihre Gesprächsorganisation empfindet? Können Sie uns ein Erlebnis berichten, bei denen Ihnen der Umgang mit Themenabweichungen aufgefallen ist? An welchen Punkten im Gesprächsverlauf kam es zu Themenabweichungen? Wie können Sie damit umgehen? Was passiert, wenn unterschiedliche Konventionen im Diskursablauf aufeinandertreffen? Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie am Telefon irritiert waren? Über den Zeitpunkt des Anrufs, die Dauer, den Verlauf? Welche ungeschriebenen Gesetze gibt es für Sie beim Umgang mit dem Medium Telefon? Haben Sie Menschen einer anderen Generation schon einmal für ihren Umgang mit e-Mail oder dem Telefon kritisiert? Sind Sie sich sicher, wenn sie mündlich zu einer Hochzeit eingeladen werden, dass die Einladung tatsächlich ernst gemeint ist? Legen Sie Wert auf Formalitäten? Beobachten Sie in Ihrem Gastland Gespräche und machen Sie eine Skizze zu den einzelnen Phasen des Gesprächsverlaufes und ihrer Länge! GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Mit den Augen hören und mit dem Körper sprechen" Nonverbale Zeichen Nonverbale Zeichen sind der Kommunikationsbereich, in dem alles zum Tragen kommt, was man sehen kann. Das sind die folgenden Zeichenbereiche: Mimik - der Gesichtsausdruck Augensprache - der Ausdruck der Augen und Blickkontakt Gestik - die Zeichen der Arme und Hände Körperhaltung - der Ausdruck des Körpers, auch Zuwendung/Abwendung, Ausrichtung Proxemik - der Körperabstand, Nähe/Distanz auch in Art und Frequenz der Berührung Gerüche - ausgehend von Kosmetika/Parfums oder die einer Person aufgrund ihrer Beschäftigung anhaften • Kleidung • Zubehör wie Uhren/Schmuck, Orden, Brille, Regenschirm, Taschen, Kamera, Geldbörse, elektronische Geräte, Pistole, Messer, Kamm, Spiegel, Zigarre • Behandlungen wie Tattoos, Verstümmelungen, Haarfarbe oder Dauerwelle, Piercings • • • • • • Nonverbale Zeichen sind nicht universell, sondern konventionell und dies in mehrerer Hinsicht: 1. Nicht alles, was man sehen kann, ist ein nonverbales Zeichen. Schon die Entscheidung, was ein Zeichen ist und was jeder halten kann, wie er möchte, ohne damit irgendetwas auszusagen, wird in verschiedenen Kulturen unterschiedlich bewertet. 2. Die Bedeutung eines nonverbalen Zeichens ist in verschiedenen Kulturen unterschiedlich. 3. Nicht alle Gesten, Augensprache, Mimik, Körperhaltungen sind kulturgebundene konventionelle Zeichen. Es gibt auch individuelle Gewohnheiten. GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Fragen zu nonverbalen Zeichen Beobachten Sie die Menschen in Ihrem Gastland und lernen Sie etwas über die nonverbalen Zeichen: Welcher Gesichtsausdruck, welche Gesten sind Ihnen neu? Welcher Gesichtsausdruck, welche Gesten haben eine andere Bedeutung als in Ihrer Kultur? Wie weit stehen die Menschen je nach Gesprächssituation von einander entfernt? Wie beeinflussten Status und Geschlechterzugehörigkeit die Formalität des Kontexts den Abstand? Gibt es einen Unterschied, ob der Abstand frontal oder seitlich gehalten werden muss? Zählen Sie, wie oft Interaktionspartner einander innerhalb einer Minute anfassen. Beobachten Sie, welchen von mehreren freien Plätzen die Menschen in Ihrem Gastland wählen, im Bus, am Tisch, im Theater. Welche Signale geben Sie/andere, wenn jemand Ihnen "zu nahe tritt"? Welche Körpergerüche sind Ihnen neu? Haben sie eine Bedeutung und wenn ja, welche? Wie kleiden sich die Menschen in Ihrem Gastland zu welchem Anlass? Wie wirkt wohl Ihr Outfit? Welches Zubehör haben die Menschen in Ihrem Gastland dabei? Wie wirkt wohl Ihr Equipment? Welchen Behandlungen unterziehen sich die Menschen in Ihrem Gastland? Wie wirken wohl Ihre Behandlungen? Welche Kleidungsstücke, welches Zubehör, welche Behandlungen nehmen die Menschen in Ihrem Gastland als Zeichen wahr? Kennen Sie von früheren Auslandsaufenthalten nonverbale Zeichen, die in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Sachverhalte bezeichnen? Kennen Sie von früheren Auslandsaufenthalten Sachverhalte, die in verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen nonverbalen Zeichen bezeichnet werden? Wo werden Sie nonverbal wohl verstanden und wo missverstanden? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Der Ton macht die Musik" Paraverbale Zeichen Paraverbale Zeichen sind der Kommunikationsbereich, in dem alles zum Tragen kommt, was man hören kann. Das sind die folgenden Zeichenbereiche: • Lautstärke - spricht jemand laut oder leise? • Tonhöhe, Modulation, Intonation - spricht jemand melodisch, mechanisch, blasiert, hart, piepsig, resonanzreich, rauchig, monoton? • Sprechrhythmus - spricht jemand skandiert, abgehackt, fließend. • Sprechtempo - spricht jemand langsam oder schnell? • Sprechpausen - sind die Pausen lang oder kurz? Selten oder häufig? Im Redefluss oder nur am Ende des Gesprächsbeitrags? Paraverbale Zeichen sind unter anderem dafür verantwortlich, dass wir ein und denselben Satz für eine Frage, für eine Anweisung, für einen Flirt oder für eine Beleidigung halten können. Paraverbale Zeichen lösen beim Hörer unmittelbar Emotionen aus. In paraverbalen Zeichen liegen Informationen, diese allerdings sind nicht universell gültig, sondern von Kultur zu Kultur verschieden: freundlich/unfreundlich, bestimmt/unbestimmt, überzeugend/unsicher, glücklich/traurig, weiblich/männlich, dominant/unterwürfig klingt in verschiedenen Kulturen unterschiedlich. Bitte ordnen Sie nach Ihrem Gefühl den paraverbalen Ausdrucksformen der linken Spalte Attributionen aus der rechten Spalte zu, die Sie nach eigenem Ermessen ergänzen oder verändern können. a) laute Stimme /Aussprache b) lange Pausen c) sehr hohe Stimmlage d) tiefe Stimmlage e) variantenreiche hohe und tiefe Stimmgestaltung f) überdeutliches Akzentuieren g) leise Stimme/Aussprache h) gleichmäßiges, fließendes Sprechen (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) überzeugend aufdringlich peinlich aufgeregt bedacht schüchtern monoton lebhaft Ein Beispiel: Asiatische Sprecher sprechen leiser und machen längere Pausen, verwenden keine extremen Tonhöhen zur Markierung wichtiger Redepassagen und verkaufen sich damit in westlichen Kulturen oftmals unter Wert. In asiatischen Kulturen sprechen die Mächtigen leise, in westlichen Kulturen laut. GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Denkanstöße zu paraverbalen Zeichen Erinnern Sie sich an z.B. unangenehme oder freudige Gesprächssituationen, in denen die Gesprächspartner völlig anders agiert haben, als Sie das erwartet hatten? Haben Sie schon einmal festgestellt, dass Sie die Stimmführung Ihres Gesprächspartners irritiert hat? Wie klingt für Sie die Sprache, die Sie lernen? Welche paraverbalen Zeichen in der Fremdsprache sind für sie so ungewohnt, dass Sie lieber bei den vertrauten muttersprachlichen Gewohnheiten bleiben und damit in Kauf nehmen, dass man das Deutsche in der Fremdsprache "durchhört"? Welche paraverbalen Zeichen möchten Sie bei haben Sie bei Ihren Partner beobachten und als Alternativen in ihr kommunikatives Repertoire aufnehmen? Viele deutsche Wörter enden mit einem Konsonanten. Was meinen Sie, wie klingt das in den Ohren anderer? Wie verändert sich die Art und Weise Ihrer Aussprache, wenn Sie in einer Fremdsprache sprechen? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef "Das Gesagte und das Nichtgesagte" Kontextualisierung Unter Kontextualisierung versteht man den bedeutungsrelevanten Einbezug des Kontexts in eine Äußerung. Kontextualisierung ist ein Phänomen, das Kommunikation immer begleitet, mal mehr, mal weniger. Die Äußerung "Schönes Wetter heute, was?" bekommt beispielsweise ihre faktische oder ironische Bedeutung alleine dadurch, ob die Sonne scheint oder es regnet und was die jeweilige Kultur unter "schönem Wetter" versteht. Das Ausgesprochene + Kontext Das Ausgesprochene Das Ausgespr. = Bedeutung Kontext Kontext = Low-Context = High-Context Wenn Kontext in hohem Maße einbezogen wird, wird Kommunikation: implizit, indirekt, kodiert und zirkulär. Auch in kontextualisierter Kommunikation werden Bedeutungen vollständig übertragen, zumindest für den, der weiß, wie sie entschlüsselt wird und welche Rückfragen sich anbieten. Es gilt: Je besser sich zwei Menschen kennen und je ähnlicher die Welt ist, in der sie leben (Kulturen, Branchen ...), desto weniger wird ausgesprochen, desto mehr ist implizit. Der Einbezug des Kontexts in die Kommunikation hat Vorteile: Unangenehme Wahrheiten, Kritik, Ablehnung, Forderungen können vorgebracht werden, ohne vollständig ausgesprochen werden zu müssen. Gesichtsverlust wird vermieden. Beziehungen werden nicht gefährdet. Freude am Hintersinn und an Sprachspielereien finden Raum. Literarische Sprache lebt vom Unausgesprochenen und erfreut die Leserschaft. Folgende Variablen definieren den Kontext: persönliche Interessen Vorbildung das unmittelbar zuvor Geschehene vorangegangene gemeinsame Erfahrung räumliche und klimatische Verhältnisse nonverbale und paraverbale Zeichen die begleitende Aktivität GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Kontextualisierung kann durch unterschiedliche sprachliche Formen realisiert werden: ein Thema, das in der Situation überraschend ist ein Wort, das in der Sprechhandlung überraschend ist eine im erwarteten Gesprächsverlauf weggelassene Sprechhandlung eine im erwarteten Gesprächsverlauf hinzugefügte Sprechhandlung Hinzufügen eines Partikels in eine erwünschte Antwort eine Abweichung von der erwarteten Betonung eine Routine-Formel in einer erwünschten Antwort eine maßlose Übertreibung in einer erwünschten Antwort eine offensichtliche Unmöglichkeit in einer erwünschten Antwort eine von der erwarteten Körpersprache abweichende Gestik/Mimik das Aufgreifen eines stellvertretenden aber verwandten Themas Bei der zirkulären Kommunikation werden Informationen Stück für Stück ausgesprochen. Der Sender gibt zunächst lediglich einen Teil der Informationen Preis. Der Empfänger muss diese ersten Hinweise deuten und die Richtigkeit seiner Vermutung durch indirekte Fragen oder Anspielungen überprüfen. Diese wiederum entschlüsselt der Sender der ersten Botschaft. Nach mehrmaliger Wiederholung haben sich die beiden Sprecher vollständig verstanden, ohne dass die eigentliche Information ausgesprochen wurde. Der Grad der Kontextualisierung in einer Kultur ist eng mit den Vorstellungen von Höflichkeit verbunden, d.h. ein Abweichen davon wird von Interaktionspartnern bei einem subjektiven Zuwenig an Kontextualisierung als unhöflich, bei einem Zuviel an Kontextualisierung als Irritation erlebt. "Höflichkeit" als Konzept ist sehr relativ. Fremde Kulturen mit den Terminus "höflich" oder "unhöflich" zu beschreiben, ist daher ein Denkfehler, weil er von der Wirkung kommend psychologisierend rückschließt und nicht die Ursachen für die Wirkung im eigenen System hinterfragt. Wie viel Direktheit halten Sie für höflich/unhöflich? Wie viel für den Normalfall? Wie können Sie verhindern, von anderen für unhöflich gehalten zu werden? Wodurch wird das Erkennen von Kontextualisierung in der fremdsprachlichen Kommunikation erschwert? Welche kommunikativen Situationen halten sie für so sensibel, dass Sie direkte Äußerungen vermeiden? (z.B. Arbeitszeugnisse ausstellen, Anbahnen einer Partnerschaft, eine Absage erteilen, eine Bitte vorbringen?) Welche Formen der Kontextualisierung verwenden Sie selbst? Welche kennen Sie von anderen? Was passiert, wenn Sie ein Angebot zur zirkulären Bedeutungsübertragung verpassen? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Nur über das, was wir wahrnehmen, können wir auch sprechen: Ethnozentrischer versus linguistischer Kulturbericht Bei Übergabegesprächen zwischen einem scheidenden und einem ankommenden Entwicklungshelfer werden immer wieder Aussagen über die Kultur des Gastlandes gemacht. Dabei zeigt sich oftmals ein ethnozentrischer Kulturbericht, der aus vier Argumentationsschritten besteht: Schritt 1: Psychologisierende Deutung z.B. "Die Menschen in ... sind total intrigant/unehrlich/oberflächlich/höflich." Schritt 2: (historische) Begründung z.B. "Der Kommunismus/die Besatzer/der Islam/die Diktatur haben ihre Spuren hinterlassen." Schritt 3: Belegerzählung Es folgt eine Gegebenheit, aus der sich die psychologisierende Deutung ableiten lässt, in der ein Vertreter der Kultur intrigant/unehrlich/oberflächlich/höflich erscheint. Schritt 4: Negativevaluation z.B. "Da müssen die Deutschen zusammenhalten./Deswegen wird es mit dem Land niemals voran gehen." Es zeigt sich, dass es weitreichende Folgen hat, wenn man bei der Analyse der Gegebenheit aus Schritt 3 auf psychologische Deutungen zurückgreift. Denn diese haben ihre Grundlage in den kommunikativen Konventionen der eigenen Muttersprache sind damit letztendlich ein gravierendes Missverständnis. Ein linguistischer Kulturbericht hingegen wertet nicht und könnte folgendermaßen aussehen: Schritt 1: linguistische Beobachtung "Für die Menschen in XYZ ist eine Aussage umso gültiger, je häufiger sie wiederholt wird."/"Sie ziehen in der Kommunikation häufiger eine dritte Person als Vermittler hinzu."/ "Es ist nicht üblich, einen Vorgesetzten unaufgefordert anzusprechen." Schritt 2: Belegerzählung Es folgt eine Begebenheit in der die kommunikative Konvention beobachtet werden konnte. Schritt 3: Positivevaluation "Daher empfiehlt es sich, Dinge, die einem wichtig sind, mehrmals zu wiederholen/die Kommunikation mit Vermittlern nicht auszuschlagen/ proaktiv das Gespräch mit seinen Mitarbeitern zu suchen und Fragen zu stellen". GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef Fragen zur Analyse interkultureller Kommunikation Um die eigene "linguistic awareness of cultures" zu erhöhen, empfiehlt es sich gelungene oder weniger gelungene interkulturelle Kommunikationssituationen hinsichtlich der verschiedenen Aspekte von kommunikativen Konventionen zu überprüfen und die Ursachen für Erfolg bzw. Misserfolg zu ergründen. Analysieren Sie den Gesprächsverlauf, indem Sie sich folgende Fragen stellen: Leitfaden zur Gesprächsanalyse Diese Wörter haben für mich eine andere Bedeutung als für meine Gesprächspartner: Mit diesen Phrasen war etwas ganz anderes als die wörtliche Ebene gemeint: An diesen Stellen ist die Bedeutung von Mündlichkeit/Schriftlichkeit verschieden aufgefasst worden: An diesen Stellen gab es ein in meinen Augen oder in den Augen der anderen zwingendes sprachliches Ritual: An diesen Stellen gab es unterschiedliche Erwartungen an die Reihenfolge und die Länge der einzelnen Gesprächsphasen im Gesprächsverlauf: An diesen Stellen wurden die Zielstrebigkeit/die Exkurse/die Wiederholungen verschieden bewertet: Die Lautstärke, die Tonhöhe und Modulation, die Intonation, der Sprechrhythmus, das Sprechtempo, die Sprechpausen haben auf mich folgendermaßen gewirkt: Und so habe ich möglicherweise auf die anderen gewirkt: Die Mimik, die Gestik, die Proxemik, der Blickkontakt, die Kleidung haben auf mich folgendermaßen gewirkt: Und so habe ich möglicherweise auf die anderen gewirkt: Diese Aspekte wurden impliziter/expliziter vorgetragen, als ich erwartet habe: An diesen Stellen war ich impliziter/ expliziter als der Gesprächspartner erwartet hat: GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef • Welche der Äußerungen waren Aktionen, welche waren Reaktionen auf eine bereits als unbefriedigend erlebte Ausgangssituation? • Wie habe ich verstanden, was gesagt wurde? Wie wurde wohl verstanden, was ich gesagt habe? • An welcher Stelle hätte ich dem Gespräch eine andere Richtung geben können? Wie? • Wie lautet meine spontane Interpretation? Gibt es dabei als Ausgangspunkt ein abwertendes oder psychologisierendes Deutungsmuster? • Wie lautet meine reflektierte Interpretation? Was habe ich neu verstanden, von meinen eigenen Kommunikationsgewohnheiten und den Konventionen meines Gesprächspartners? GIZ - Akademie für Internationale Zusammenarbeit, Bad Honnef