Institut für Staatsrecht und Politische Wissenschaften Abteilung für Politikwissenschaft, Rechtsethik und Rechtsphilosophie Altenberger Straße 69 4040 Linz, Austria Staats- und Verfassungslehre I Kontakt: [email protected] 1 © Martin Schauer 2016 Die Verfassungsfrage 2 Gründe für verfassungsdominierte Staaten ❖ Schutz vor staatlicher Willkür [Rechtsstaatlichkeit; Plebiszite...] ❖ Schutz vor staatlichem Machtmissbrauch [Gewaltenteilung; Demokratie...] ❖ Schutz der Individualität und der Persönlichkeit [Liberalismus] ❖ Schutz und Hilfe in biographischen Notsituationen [Sozialstaat; soziale Grundrechte...] ❖ ... 3 Gründe für Verfassungsentwicklung ❖ Homo socialis benötigt allgemein gültige Regelungen [Normen] des Zusammenlebens; ohne Regeln scheitert das Zusammenleben... ❖ mit Autorität ausgestattete Person [z.B. Stammesältester…] oder Personengruppe [z.B. Rat der Weisen, der Alten usw. …] legt Regeln fest, interpretiert diese und entscheidet in konkreten Fällen anhand dieser abstrakten Normen 4 Gründe für Verfassungsentwicklung ❖ ❖ ❖ ❖ ❖ Normen entstehen zunächst biologisch - bedürfnisorientiert und nicht transzendent - anthropologisch →Welche Verhaltensweisen sind überlebenswichtig für die Gruppe? →Welche Bedürfnisse des Individuums müssen unter der ersten Prämisse geschützt werden? Wer besitzt innerhalb der Gruppe Machtausübungsautorität? = Wer besitzt das Gewaltmonopol? 〈Wie erfolgt Machtkontrolle?〉 5 PLATON (427-347 v.Chr.) 6 Platonisches Staatsideal ❖ Rechtsphilosophisches Hauptwerk „POLITEIA“ = „DER STAAT“ ❖ bis dato Hauptwerk der staatstheoretischen Konzeptentwicklung und Ursprung der theoretischen Naturrechtsethik ❖ Auch bei Platon entsteht der Staat aufgrund des Bedürfnisses nach „Gemeinschaft“ 7 Platonisches Staatsideal ❖ Platon entwickelte ein rechtstheoretisches Staatskonzept. ❖ Wissenschaftliche Frage daher auch nicht: „Wie ist der Staat?“ sondern „Wie soll der ideale Staat sein?“ = zentrale Frage der modernen Staats-/Rechtsphilosophie ❖ Anthropozentrische Philosophie; Zentrale Frage bei Platon daher auch: „Was ist Gerechtigkeit im Hinblick auf die menschlichen Bedürfnisse?“ ❖ Gerechter Staat = Gerechter Mensch = Gerechtigkeit ist allumfassende Ordnung 8 Platonische Psyche 1. BEGEHREN = „Ich will haben…“ 2. MUT /TAPFERKEIT 3. LOGIK A. Begehren erfährt Mäßigung, B. Rationalität mildert Emotionalität Nur dann , wenn alle drei Teile der Seele zusammenwirken, sind gerechte Entscheidungen und Handlungen möglich! 9 Platonischer Idealstaat ❖ Die Ernährer (Bauern, Kaufleute...) ❖ Die Krieger ❖ Die Philosophen = Regenten sind besitzlos (!) ❖ Kein Kastensystem; Auswahl erfolgt nicht durch Geburt sondern durch Erziehung; Erziehung für alle (Männer); 10 Das römische, [rechts]politische System 11 Grundsätze der Römisch-Antiken Gesellschaft ❖ Pater familias als Grundpfeiler der Gesellschaftsordnung; Prinzip der Machthabe durch Geburt, Geschlecht und Stand… ❖ Demokratiefeindliche Familienstruktur durch monopolistische, väterliche Entscheidungskompetenz... ❖ Prägte römisches Rechtsdenken und auch die römische Vorstellung einer Republik ❖ Senat ist kein demokratisch, legitimiertes Gesetzgebungsorgan im heutigen Sinne!!! 12 Menschenrechte im Römischen Recht? ❖ Generell sind der antiken Philosophie „Menschenrechte“ im Sinne von Rechten, die allen Menschen zukommen, fremd ❖ Gleichheitsrechte auch in der Phase der „Römischen Republik“ nur zwischen männlichen Angehörigen derselben Gesellschaftsschicht ❖ Ausgenommen von Gleichheitsrechten waren daher stets Frauen und Sklaven (Cicero einer der Väter der Naturrechtslehre sah sogar die Sklaverei als gesellschaftlich-ökonomische Notwendigkeit…) 13 Cicero (106 v. Chr - 43 v. Chr) Staatstheorie ❖ Staat beruht auf familiärer Gemeinschaft ❖ Sippen finden sich zur Förderung gemeinsamer Interessen zusammen ❖ Der Zusammenschluss beruht auf „vernünftigen“ Überlegungen = „Gemeinsam ist man stärker als alleine, usw.“ ❖ Das staatlich, positive Recht entsteht somit temporär erst nach der „natürlichen“ Rechtsordnung 14 Cicero (106 v. Chr - 43 v. Chr) Staatstheorie ❖ Hauptaufgabe des Staates ist die Aufrechterhaltung des Gemeinwohls ❖ Staatsaufgabe ist die Schaffung einer gerechten Gesellschaft in der die Regierenden ohne Eigennutz und "niedrige" Begierden die Würde des einzelnen respektieren und jeder unter dieser Prämisse das für ihn notwendige erhält ❖ Was für den einzelnen notwendig ist ergibt sich aus der "vernünftigen" Reflexion der natürlichen Ordnung ❖ Wenn ich daher die Frage :" Was ist die Natur des Menschen?" mit Hilfe der Vernunft beantworte, dann erhalte ich gleichzeitig auch die Antworten auf die Fragen: " Was ist Gerechtigkeit?"; "Was benötigt der Mensch?" 15 Christentum als (rechts)philosophische Revolution 16 〈Vorbemerkung〉 Unabhängig von der Tatsache, dass das Christentum mit einer ungefähren AnhängerInnenzahl von 2,2 Milliarden zu den größten der fünf Weltreligionen zählt, beinhaltet es unabhängig von seiner religiös-transzendenten Manifestation, ethisch-philosophische Grundaussagen, die geistesgeschichtlich als revolutionär bezeichnet werden müssen. Die nachfolgende Darstellung ist nach der Intention des Vortragenden daher nicht als theologisch-wissenschaftliche Untersuchung zu sehen, sondern als (rechts)philosophische Analyse eben jener ethisch-philosophischen Prämissen! 17 Politische Situation ❖ Das jüdische Volk lebt zur Zeit Jesu in einem Gebiet zwischen Jordan, Totem Meer und See Genezareth. Dieses wurde immer wieder "Beute" der verschiedensten Aggressoren (Ägypter, Griechen, Babylonier und Römer). ❖ Jesus wird unter der Fremdherrschaft der Römer geboren. Das bedeutet, dass das jüdische Volk unter zweierlei Rechtsherrschaft steht. Die weltliche Macht (repräsentiert durch einen Präfekten) geht von Rom aus und basiert auf römischen rechts- und Politikverständnis, das die Ausübung religiöser Riten durch die eroberten Völker duldet, solange römische Interessen dadurch nicht tangiert werden! Die religiöse Macht wird hauptsächlich durch die Sadduzäer ausgeübt; ein Familienklan, der hauptsächlich die Hohepriesterämter beschickt und der sich mit den Mächtigen längst arrangiert hat. 18 Politische Situation ❖ Beide Machthaber sind dem jüdischen Volk fremd; die römischen Besatzer aufgrund unterschiedlicher Weltanschauung und Kulturentwicklung; die herrschende jüdische Kaste hat sich im Laufe der Besatzungszeit von ihren jüdischen Wurzeln entfremdet und ist oftmals weder kulturell noch modisch von den Römern zu unterscheiden. ❖ Dies führt dazu, dass das gemeine, jüdische Volk beiden Mächten feindselig gegenübersteht. Ruf nach einem durch die Religion prophezeiten "Befreier" wird immer lauter... ❖ Jesus stellte sich jedoch nicht als der weltliche Befreier dar, den das jüdische Volk erwartet hatte. Enttäuscht von seiner Passivität gegenüber der römischen Obrigkeit, forderten nun auch die jüdischen, revolutionierenden Kräfte neben den religiöse Machthabern den Tod Jesus... 19 Revolutionäre ethische Grundsätze des Christentums ❖ Alle Menschen sind gleich ❖ Materialismusfeindlichkeit ❖ Skeptizismus gegenüber Autoritäten ❖ Definitive Ablehnung der Sklaverei ❖ Definitive Ablehnung der Gewalt (und damit des Krieges); keine Rechtfertigung für Gewaltausübung; gegenüber wem auch immer sie angewendet werden soll!! 20 Augustinus (354-430 n.Chr.) 21 Staatslehre „De civitate dei“ ❖ Zwei gegensätzliche Kräfte (Eigenliebe und Gottesliebe) ❖ Eigenliebe = alles irdische Verlangen und daher auch Staaten Ausfluss der Eigenliebe und daher dämonisch… ❖ Gottesliebe = Selbstlosigkeit; Mensch soll in Gemeinschaft mit Gott und anderen Menschen die wahre Bestimmung erfahren… ❖ Strikte Trennung zwischen Staat und Kirche! 22 Renaissance (Höhepunkt ca. 15. Jahrhunderts. Chr.) 23 Ausgangssituation ❖ Die iberische Halbinsel wird endgültig Teil des katholischen Europas durch das Zurückdrängen der Mauren auf den afrikanischen Kontinent. ❖ Viele philosophische Schriften (Platon, Aristoteles et alii), die als unchristlich, heidnisch und damit teuflisch galten, verbleiben in Spanien. ❖ Bibliothek von Cordoba zählte um das Jahr 1492 ca. 520.000 (!) Papyri, Handschriften und Manuskripte (im übrigen Europa lediglich um die 30.000 Buchtitel) ❖ Gelehrte bekommen nunmehr Zugang zu „verlorenem“ Wissen, welches trotz seines heidnischen Ursprungs großartige Ideen enthält →intellektuelles Ideenmonopol der katholischen Kirche wird gebrochen! ❖ Reaktion: Spanische Inquisition (1478) Portugiesische Inquisition (1515) Römische Inquisition (1542) ❖ Ovid: „Zu dem Verbotenen neigen wir stets und begehren das Untersagte!“ 24 Niccolò Machiavelli (1469-1527) ❖ Historische Ausgangssituation: Italien ist in viele Stadtstaaten zersplittert; kein einheitliches Rechtsgebiet; Unruhen und Machtkämpfe prägen den politischen Alltag ❖ Hauptwerke: Discorsi, Il Principe ❖ Bruch mit der mittelalterlichen Staatslehre! Bei Machiavelli stehen nicht die christlich-moralischen Tugenden im Mittelpunkt der Staatslehre, sonder die Fähigkeiten Stabilität und Dauerhaftigkeit in einem Staatssystem zu verwirklichen. ❖ Religion wird zum Machtmittel: „Es soll niemand so töricht sein, zu glauben, wenn sein Haus einstürzt, dass er es Gott überlassen kann, ihn zu retten" 25