Powered by Seiten-Adresse: https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/gruenes-gold-bioaktivepflanzliche-lebensmittel/ Grünes Gold: Bioaktive pflanzliche Lebensmittel Heutzutage muss alles irgendetwas „können“, muss einen direkten sicht- oder spürbaren Nutzen bringen. Bei einem stets aktuellen Thema wie der Ernährung bleibt dieser Anspruch ebenfalls nicht aus. Functional Food bietet deshalb einen vielversprechenden und schier unerschöpflichen Markt. Wissenschaftlerteams der ganzen Welt beschäftigen sich mit der Frage, wie Lebensmittel gesund gemacht werden können, die es nicht sind. Bioaktive pflanzliche Nahrungsmittel sollen eine Marktlücke schließen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Prof. Dr. Daniel König © privat Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er und sein Magen-Darm-Trakt möchten am liebsten das konsumieren, was sie kennen und was sie immer konsumiert haben. Seit Jahren, Jahrzehnten, seit dem Kleinkindalter. Die Lebensmittel, die auf unseren Märkten angeboten werden, sind 1 jedoch nicht immer gut für ihn. Sie machen teils dick, krank und lassen den Körper schneller altern. Insbesondere ernährungsbedingte Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ 2 oder das metabolische Syndrom steigen und immer mehr Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie Allergien werden verzeichnet. Bioaktive Lebensmittel erfahren daher einen immensen Boom, wobei die in sie gesetzten Erwartungen recht groß sind. Sie sollen einerseits schmackhaft sein, andererseits aber auch zur Prävention und selbst zur Therapie bestimmter Krankheitsbilder taugen. „Pflanzen haben aufgrund ihrer Zusammensetzung für uns Menschen eine sehr wertvolle Funktion“, sagt Prof. Dr. Daniel König, Internist und Ernährungsmediziner von der Universität Freiburg, „sie nützen uns und ermöglichen uns ein Leben in Gesundheit.“ Weil das so ist, werden Pflanzen gezüchtet, in ihre Bestandteile zerlegt, analysiert, ihre Substanzen extrahiert, in Pillen gepresst oder anderen Lebensmitteln künstlich zugeführt. Auf dass wir von ihrer gesundheitsfördernden Wirkung profitieren. Eine personalisierte Ernährung, die aufgrund eines genetischen Profils des Verbrauchers zusammengestellt wird, soll auf seine Risikogruppe abgestimmt werden und so der Vorbeugung bestimmter Krankheiten dienen können. Pflanzenstoffe als Therapeutikum Ethyl-2-methylbutyrat, ein Polyphenol, das im Apfel vorkommt © Stephanie Heyl Seit einiger Zeit ist bekannt, dass sekundäre Pflanzenstoffe (Carotinoide, Polyphenole) eine antioxidative und entzündungshemmende Wirkung besitzen. Epidemiologische Studien zeigen, dass beispielsweise Darmkrebs in Zusammenhang steht mit Lebensstilfaktoren wie mangelnder Bewegung und ballaststoffarmer Ernährung. Der Markt reagiert und bietet zunehmend probiotische Joghurts, deren Bifido-Bakterienkulturen unsere Darmflora verbessern sollen. Präbiotika (Ballaststoffe), wie Inulin in Wurst oder Müsli zugesetzt, sollen wiederum diese Bifidobakterien gezielt anregen, sich zu vermehren und im Dickdarm aktiv zu sein. Laut Prof. König sind auch Omega-3-Fettsäuren nachweislich wertvoll, weil sie die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, vasodilatatorisch (gefäßentspannend) wirken, den Triglyceridspiegel im Blut senken und somit förderlich für ein gesundes Herz-Kreislauf-System sind. Speziell die Vitamine C und E sind starke Antioxidantien und sollen präventiv gegen Arteriosklerose und Krebs aktiv sein1. Salz enthält heute nicht mehr nur Natriumchlorid, 2 sondern ebenso Iod für die Schilddrüse und Folsäure für die Blutbildung und gegen Neuralrohrdefekte im Mutterleib. Man kann Mehl kaufen, dem zusätzlich Proteine , Enzyme, Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe beigemengt wurden. Interessant ist nun herauszufinden, ob uns all diese Nahrungszusätze tatsächlich einen Mehrwert für unsere Gesundheit, Schönheit und Fitness im Vergleich zum normalen Lebensmittel verschaffen können. Die Begriffe „Health Food“, „Beauty Food“ und „Brain Food“ gibt es jedenfalls schon. Verbesserung der Volksgesundheit mit bioaktiven Pflanzenprodukten? Im Tierversuch konnten Wissenschaftler nachweisen, dass Kohlgemüse wie Brokkoli aufgrund der enthaltenen Senfölglykoside eine hemmende Wirkung speziell bei der Metastasierung von Bauchspeicheldrüsen-, Prostata- und Brustkrebs besitzt (s. Artikel rechts "Pflanzliche Wirkstoffe gegen Krebsstammzellen"). Curcumin, der gelbe Farbstoff im Kurkuma, senkt nachweislich den Cholesterinspiegel (s. Artikel rechts "Curcumin gegen Alzheimer und Krebs"), verlangsamt altersbedingte Gehirnveränderungen und steht damit auf der Liste der Kandidaten, die das Alzheimer-Risiko vermindern könnten. Auch dem naturtrüben Apfelsaft konnten die Forscher im Tiermodell eine präventive Wirkung bezüglich Darmkrebs zumindest bei dünnen Tieren zuschreiben, bedingt durch Schwebstoffe und Polyphenole. Resveratrol, ein sekundärer Pflanzenstoff in Trauben und Rotwein, ist in aller Munde, weil seine antioxidative und entzündungshemmende Wirkung belegt werden konnte. Wie gesichert sind all diese Erkenntnisse und wie viele Erwartungen dürfen wir in Bezug auf unsere Gesundheit in sie setzen? „Wir wissen, dass Antioxidantien gut als Radikalfänger sind“, stimmt Daniel König zu, „aber es sind so viele Faktoren, die in die Ernährung mit reinspielen, dass es bis heute nicht geglückt ist, die optimale Zusammensetzung an Ballaststoffen, Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen zu finden.“ Seiner Meinung nach fehlt in vielen Fällen noch immer der Beweis, dass einzelne Stoffe die Entstehung bestimmter Krankheiten verhindern können. „Ich vermute, es gibt hier kein Monowirkprinzip, das alles in den Schatten stellt“, äußert sich der Arzt skeptisch. Im Gegenteil: Im naturtrüben Apfelsaft konnte sogar bei Einzelgabe der Komponenten kein Effekt mehr gemessen werden. Die molekularen Mechanismen sind zum Teil wenig bekannt, die ausgelobte Schutzwirkung bestimmter Produkte damit wenig gesichert. Ausreichend gesichert ist hingegen, dass Menschen, die viel Äpfel essen, weniger häufig an chronischen Erkrankungen und Darmkrebs leiden. König ist sich sicher, dass die Natur, der Boden, die natürliche Sonne, also das „Terroir“ eine Frucht und ein Gemüse erst zu dem machen, was sie sind, und dass die Substanzen erst im Zusammenspiel miteinander so wirksam und wertvoll sind. „Studien liefern zwar positive Ergebnisse, was einige Einzelstoffe angeht, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir dies als evidenzbasierte Medizin unseren Patienten mit in eine Empfehlung geben könnten“, erklärt der Wissenschaftler seine Zweifel. Er ist eher kritisch „gegenüber einer Funktionalität von Lebensmitteln, denen Stoffe zugesetzt wurden, um ein Gesundheitslabel zu schaffen". „Gesunder“ Hamburger mit Inulin Wer eine verbesserte Darmflora wünscht, der esse laut Professor König unter anderem Ballaststoffe. Inulin, ein bekannter Ballaststoff, sorgt insbesondere in Kombination mit Probiotika für eine verringerte Rate von entzündlichen Darmerkrankungen. Bei akuten 3 Ob es bald Hamburger mit Inulin geben wird? © Stephanie Heyl Problemen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn zeigt sich tatsächlich ein messbares positives Ergebnis, weil auch das Immunsystem im Darm leistungsfähiger ist. Sollte man jetzt allen Nahrungsmitteln fünf Gramm Inulin beimischen? Der Beweis fehlt, dass das auch hilft, so König. Ein vielversprechender Markt sind bioaktive Produkte jedoch schon seit längerem, allein weil Krankheiten zunehmen, die mit falscher Ernährung zusammenhängen. Insbesondere das Metabolische Syndrom (bauchbetontes Übergewicht, erhöhter Blutdruck, veränderte Blutfettwerte, erhöhter Blutzucker, bzw. Diabetes mellitus) steht im Zusammenhang mit einseitiger kalorienreicher, fett- und zuckerhaltiger Nahrung sowie zu wenig Bewegung2. Bei vielen Verbrauchern stehen funktionelle Lebensmittel auf der Einkaufsliste, auch wenn dafür ein höheren Preis gezahlt werden muss. Für Daniel König geht diese Entwicklung zum Teil in die falsche Richtung: „Über den Zusatz von beispielsweise Vitamin C wird ein gesundes Lebensmittel ausgerufen, was es aber häufig gar nicht ist“, urteilt der Ernährungsexperte, der sich in seiner Forschung unter anderem mit altersassoziiertem Diabetes beschäftigt. "Die anderen in diesem Lebensmittel enthaltenen Substanzen sind oft nicht mit einem gesunden Lebensstil vereinbar.“ Auch Verbraucherzentralen und Verbände wie die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) und die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) äußern sich kritisch zu Functional Food. Ernährungsfehler ließen sich durch den Verzehr von funktionellen Produkten nicht beseitigen, so die DGE. Irreführend sei es, ungesunde Lebensmittel mit geringer Nährstoffdichte als gesunde zu verkaufen, nur weil Vitamine oder Ballaststoffe hinzugefügt wurden. „Wenn es so einfach wäre, die Bevölkerung davon zu überzeugen, sich nach den zehn Regeln der DGE zu ernähren, hätten wir die heutigen Probleme nicht“, meint König. Selbst sechzigjährige Diabetiker profitierten definitiv noch von einer ballaststoffreicheren Kost. Der Mediziner stellt seinen Standpunkt dar: „Unser Ziel in der Ernährungsintervention darf nicht sein, ungesunde Nahrungsmittel durch Zusätze gesund zu machen, sondern möglichst viele gesunde zu empfehlen, die gesundheitsfördernde Faktoren enthalten.“ Der Hamburger mit beigemischtem Inulin gehört demnach sicher nicht dazu. 1https://www.thieme.de/viamedici/medizin/wissenschaft/radikale.html 2 PDF "Wohlstandskrankeit Metabolisches Syndrom" https://www.gesundheitsindustrie- 4 bw.dewww.med.uni-goettingen.de/de/content/service/3473.html Fachbeitrag 21.05.2013 sh BioRegion Freiburg © BIOPRO Baden-Württemberg GmbH Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers Bioaktive pflanzliche Lebensmittel: Mehr als nur Sattmacher 5