Das gemeinsame Wort der Kirchen: Entstehung, Inhalte, Ziele vor

Werbung
Das gemeinsame Wort der Kirchen: Entstehung, Inhalte, Ziele (vor dem Hintergrund
aktueller politischer Diskussionen- das war der alte Titel)
Herbert Lucan
Sehr verehrte Damen und Herrn,
„in der gegenwärtigen politischen Debatte bedient man sich zunehmend eines merkwürdigen
Schubladendenkens: Auf der einen Seite die Modernisierer, die Fortschrittlichen, auf der
anderen Seite die sog. Traditionalisten, die Unzeitgemäßen. Und sehr schnell werden dabei
die alten Organisationen, Gewerkschaften und Kirchen dem traditionalistischen Flügel
zugeordnet.
Inhalte, die sie über Jahrhunderte weitergetragen haben, Solidarität und Gerechtigkeit z. B.,
sind am Ende des 2. Jahrtausends scheinbar angestaubt. Soziale Gerechtigkeit scheint
zunehmend als eine überkommene Wertvorstellung, die nur mühsam mit dem Begriff der
Moderne und der Zukunftsfähigkeit zu vereinbaren ist. Das gilt noch mehr für die Forderung
nach Solidarität, die, wenn überhaupt, nur noch dort erhoben wird, wo die Schwächsten
untereinander den Mangel teilen sollen. Es war das gemeinsame Bemühen der Kirchen mit
dem gemeinsamen Wort „für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ den Staub
wegzublasen und die Bedeutung von Gerechtigkeit und Solidarität in einer gewandelten Welt
aus gesellschaftlicher, demokratiepolitischer und auch ökonomischer Sicht zu
verdeutlichen.“(Zitat aus meinem alten Referat)
1997 Veröffentlichten der Rat der EKD und die Deutsche Bischofkonferenz ihr
„Gemeinsames Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland.“ Es trägt den
anspruchsvollen Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit.“
Vorausgegangen war ein bis dato einzigartiger Kosultationsprozeß die Beteiligung von
Organisationen Verbänden, Vereinen und Gruppen innerhalb und außerhalb der Kirchen.
Allein die Diskussionsgrundlage für den Konsultationsprozess wurde in einer Auflage von
400000 verbreitet.
Das Katholische Soziale Institut der Erzdiözöse Köln und Das ST der EKD in Bochum
damals zählten 2500 Stellungnahmen mit einem Umfang von mehr als 25000 Seiten.
Diese Vorgehensweise gleichsam ein Dialog auf Augenhöhe hat den Kirchen Respekt und
Anerkennung gebracht. Er hat exemplarisch aufgezeigt wie das Gespräch mit dem mündigen
Bürger zu führen ist., wenn sie die Kirche „gegen den Trend wachsen“ und Zukunft gestalten
will.
Ich kann jetzt natürlich nur ein paar wenige Linien und Inhalte des gemeinsamen Wortes
nachzeichnend zusammenfassen.(Der bezug zur aktuellen Situation ist dann ja Thema der
Tagung auch wenn mich manchmal reizen würde ..)
Dabei halte ich mich an die innere Struktur des Kirchenwortes, das sich an den Schritten
Sehen, Orientieren/Urteilen, Handeln orientiert.
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 1 von 7
I.
Sehen, Wahrnehmen, Beschreiben, Benennen
Die Kirchen sehen die Zukunftsfähigkeit unsere Gesellschaft durch tiefgreifende
Umbrüche, Einschnitte, Spaltungen und Veränderungen wirtschaftlicher und
sozialer Art bedroht.
„Tiefe Risse gehen durch unser Land: vor allem der von der
Massenarbeitslosigkeit hervorgerufene Riss, aber auch der wachsende Riss
zwischen Wohlstand und Armut oder der noch längst nicht geschlossene
Riss zwischen Ost und West“ (Ziff. 2).
Wenn diese Probleme nicht angepackt und überwunden werden, sehen sie
deshalb den sozialen Frieden gefährdet. Mit Sorge beobachten die Kirchen eine
tiefgreifende Lähmung und Verunsicherung, ja eine Handlungs-unfähigkeit bei
vielen gesellschaftlich wichtigen Gruppen. Sie beschreiben eine Gesellschaft, die
in festgefahrenen Gruppeninteressen verharrt, in ideologischen Barrieren sich
verschanzt hat und in der der Eigennutz vor dem Gemeinwohl rangiert. Die
Anteilnahme am Leid von Menschen, die nicht zur unmittelbaren, eigenen
Lebenswelt gehören, gilt als altmodisch. Das Gleichgewicht zwischen
wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit, dass das
Wirtschaftsmodell der Sozialen Markt-wirtschaft über Jahrzehnte erfolgreich
geprägt hat, gerät in Gefahr zugunsten eines Irrglaubens, dass der Markt und der
Wettbewerb alles allein regeln.
Als das zentrale politische, wirtschaftliche und soziale Hauptproblem der
Gegenwart beschreiben die Kirchen eindringlich und einfühlsam die lang
anhaltende Massenarbeitslosigkeit, „die weder für die betroffenen Menschen,
noch für den sozialen Rechtsstaat hinnehmbar ist“ (Ziff. 49). Die Kirchen erinnern
an die verheerenden Konsequenzen der Arbeitslosigkeit sowohl für die einzelnen
Menschen als auch für die gesamte Gesellschaft. Hinter jeder Zahl der
monatlichen Arbeitslosenstatistik stehen Menschen und Menschenschicksale,
Familien mit Sorgen und Ängsten, Hoffnung und Verzweiflung. Gefährlich, ja
schlimm wird es, wenn durch Vorurteile und dumme Schuldzuweisungen diese
seelische Not noch verstärkt wird. Die Kirchen sagen deutlich: Arbeit ist ein
gesamtwirtschaftliches Problem, sie beruht in der Regel nicht auf persönlichem
Versagen.
„Viele Arbeitslose beziehen Schuldzuweisungen auf sich, ziehen sich aus
Scham zurück und fühlen sich vielfach ausgegrenzt.“
Jeder einzelne von uns könnte dabei mithelfen, solchen Vorurteilen und
Schuldzuweisungen zu widersprechen.
Die Folgen der Arbeitslosigkeit für unser demokratisches Gemeinwesen
beschreibt das Sozialwort so:
„Verbitterung und Resignation zerstören das Vertrauen in die
demokratische Gestaltbarkeit der Gesellschaft. Perspektivlosigkeit und
Angst vor dem sozialen Abstieg sind ein Nährboden für Gewaltbereitschaft
und Fremdenfeindlichkeit“ (Ziff. 53).
Die Kirchen erinnern daran, dass Massenarbeitslosigkeit schon einmal die
Ursache für Gewalt und Fanatismus waren, die Deutschland ins Verderben
brachten.
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 2 von 7
In der wachsenden Armut sehen die Kirchen die gefährlichste Folge der
Massenarbeitslosigkeit.
„In den letzten 20 Jahren ist mit dem Reichtum zugleich die Armut in
Deutschland gewachsen. Die Armut in Deutschland unterscheidet sich
grundlegend von der Armut in den Ländern der Dritten Welt. Dennoch ist
die Armut in der Wohlstandsgesellschaft ein Stachel. Armut hat viele
Gesichter und viele Ursachen. Sie ist mehr als nur Einkommensarmut“ (Ziff.
68).
Das gemeinsame Wort weist in diesem Zusammenhang aber auch darauf hin,
dass, wenn von Armut gesprochen wird, auch von Reichtum die Rede sein muss
(in diesem Zusammenhang werden Fragen von Vermögensverteilung und
sozialem Lastenausgleich angesprochen).
Als besonders bedrückend und verhängnisvoll sind nach Meinung des
Sozialwortes der Kirchen die Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut für
alleinstehende Frauen und Familien mit Kindern und zunehmend für Kinder und
junge Menschen.
„Aber die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich in den letzten
Jahrzehnten so verändert, dass Eltern im Vergleich zu den Kinderlosen
immer größere wirtschaftliche und persönliche Verzichte abgefordert
werden und auch die Tragfähigkeit der familialen Beziehung immer häufiger
überlastet wird. .... Mehrere Kinder zu haben ist heute zu einem
Armutsrisiko geworden“ (Ziff. 70/71).
Der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und sozialen Sicherungs-systemen
und Arbeitslosigkeit wird im Kirchenwort treffend auf den Punkt gebracht: „Nicht
der Sozialstaat ist zu teuer, sondern die Arbeitslosigkeit.“
Leistungsfähiger Wettbewerb und sozialer Ausgleich gehören unbedingt
zusammen. Wer diesen Zusammenhang von Wirtschaft und Sozialpolitik
aufsprengt, der versündigt sich am Gemeinwesen. Die Sozialpflichtigkeit des
Eigentums ist nicht irgendeine Beigabe, sondern zentraler Bestandteil unserer
Gesellschaftsordnung.
II.
Urteilen
Um zu handeln und schlechte Entwicklungen zu bessern, braucht es einer
Orientierung, braucht es Maßstäbe, braucht es bestimmter Zielvor-stellungen.
„Elementare Krisen brauchen Elementare Vergewisserungen, brauchen Leitlinien,
Leitbilder, Perspektiven“ (Bischof Homeyer, Hildesheim).
Die Maßstäbe, Leitbilder, Leitlinien und Perspektiven findet das gemeinsame
Wort in der biblischen Tradition und dem christlichen Glauben. Weil die Ordnung
der sozialen Marktwirtschaft auch geprägt ist von einem christlichen
Menschenbild, erachten die Kirchen es als ihre ureigene kirchliche Aufgabe, sich
einzumischen, wenn dieses Bild vom Menschen in Gefahr ist.
Eindringlich wird davon gesprochen, dass soziale Gerechtigkeit und individuelle,
persönliche Barmherzigkeit nicht voneinander getrennt oder gar gegeneinander
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 3 von 7
ausgespielt werden dürfen (nach dem Motto, die Kirche ist für das Seelenheil des
einzelnen zuständig, die Politik für gesellschaft-liche Fragen). Es handelt sich
vielmehr um zwei Seiten einer Medaille. Glauben und Leben, Verkündigung und
Praxis der Kirche dürfen nicht auseinanderfallen.
„Die Christen können nicht das Brot am Tisch des Herrn teilen, ohne auch
das tägliche Brot zu teilen. Ein weltloses Heil könnte nur eine heillose Welt
zur Folge haben“ (Ziff. 101).
Damit es nicht bei moralischen Appellen bleibt, sondern für die Menschen
erfahrbare Wirklichkeit wird, bedarf es sowohl politischer und wirtschaftlicher
Rahmenbedingungen,
Strukturen
und
regeln
als
auch
bestimmter
Lebenseinstellungen und zwischenmenschlicher Lebenskultur.
Die Zentrale Botschaft des gemeinsamen Wortes:
Nur wenn möglichst viele Menschen und gesellschaftliche Gruppen herausfinden,
was diese Gesellschaft noch zusammenhält (sozusagen der gesellschaftliche
Kitt), werden die ungeheueren, tiefgreifenden Probleme unserer Gesellschaft
lösbar und kann sozialer Frieden erhalten bleiben. In diesem Zusammenhang
spricht das gemeinsame Wort von der Notwendigkeit eines Grundkonsenses in
der Gesellschaft. Grundkonsens meint dabei nicht Harmonie, sondern ein
ausreichendes Maß an Übereinstimmung, trotz aller Gegensätze. Das Problem
eines gesellschaftlichen Grundkonsenses lässt sich allerdings nicht mit
moralischen Appellen allein lösen. Es setzt sozusagen Vertrauen voraus,
Vertrauen, dass ungeachtet der gesellschaftlichen Stellung jedem Gerechtigkeit
widerfahre. Vertrauen, dass die Bereitschaft zur Solidarität nicht missbraucht wird
zum Wohle einiger Weniger. Dieses Vertrauen ist gerade in Zeiten eines
tiefgreifenden Strukturwandels unumgänglich. Und nur wenn es gelingt, dieses
Vertrauen durch Taten wieder herzustellen, kann man das Engagement und die
Bereitschaft des einzelnen, seinen Beitrag auch jenseits des Eigennutzes
beizubringen, wieder beleben.
Die Kirchen entfalten diesen Grundkonsens in vierfacher Weise unter den
Überschriften
•
•
•
•
Option für die Armen
Gerechtigkeit
Solidarität
Nachhaltigkeit
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 4 von 7
III.
Handeln
Die Kirchen bieten keine Patentrezepte an, wollen auch keine politischen
Programme formulieren
(„Kirchen wollen nicht selbst Politik machen, sie wollen Politik möglich
machen“),
machen aber Vorschläge und geben Anstöße, so z. B. zur Überwindung der
Arbeitslosigkeit und zur Erhaltung des Sozialstaates. Vor allem dafür, wie
Solidarität in der Gesellschaft gestärkt werden kann.
Trotz aller kritischer Wahrnehmungen sehen die Kirchen keine Notwendigkeit zu
resignieren oder den Kopf in den Sand zu stecken (Wer heute den Kopf in den
Sand steckt, muss morgen mit den Zähnen knirschen).
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein reiches Land mit vielen
guten Voraussetzungen. Schlechtreden hilft nicht. Verantwortliches politisches
Handeln ist gefragt und hoher Einsatz jedes einzelnen. Die größte politische
Herausforderung ist die anhaltende Massenarbeitslosigkeit. Sie erheblich
abzubauen, ist eine Gemeinschaftaufgabe von höchster Wichtigkeit, zu der alle
gesellschaftlichen Kräfte vom Arbeitgeber über die Bundesbank bis hin zur
Gewerkschaft und Kirche ihren Beitrag leisten müssen.
Wenn eine Vielzahl, auch unkonventioneller Wege beschritten werden, so die
Meinung des Kirchenwortes, kann die Massenarbeitslosigkeit erheblich reduziert
werden: durch Erschließung neuer Märkte, durch Entwicklung neuer (besonders
ökologischer) Produkte, durch die Förderung er Kultur einer Selbständigkeit,
durch das sozialverträgliche Teilen von Arbeit und Einkommen, durch Verkürzung
und flexible Gestaltung der Arbeitszeit, durch Abbau von Überstunden, sowie
durch neue Formen öffentlich geförderter Beschäftigung in einem dritten Sektor
zwischen Markt und Staat.
Die einzelnen Vorschläge, die die Kirchen machen, sind nicht neu, aber dass sie
(die sonst getrennt immer von bestimmten Interessengruppen jeweils vorgetragen
werden) miteinander kombiniert werden, macht sie interessant und wirkungsvoll.
Wichtig ist dem Kirchenwort, dass man endlich anfängt zu handeln: es dürfe nicht
so sein, dass alle das Ziel kennen und keiner den Weg gehen will.
Dass Arbeit zu finanzieren allemal besser ist, als Arbeitslosigkeit zu bezahlen, ist
ein Grundgedanke, der alle Vorschläge durchzieht. Die Landzeitarbeitslosigkeit
und die Langzeitarbeitslosen sind für die Kirchen eine besondere
Herausforderung. Hier mahnen sie besonders nachdringlich effektivere
Maßnahmen und gezielte Hilfen an.
Bei allem, was das Kirchenwort zum Thema Arbeit formuliert, geht es von einem
Menschenrecht auf Arbeit aus. „Aus christlicher Sicht ist das Menschenrecht
auf Arbeit unmittelbarer Ausdruck der Menschenwürde“ (152.
Unter Arbeit verstehen die Kirchen dabei mehr als nur Erwerbsarbeit. Sie fordern
deshalb eine Erweiterung des Arbeitsbegriffes und halten es für sinnvoll und
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 5 von 7
notwendig, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die auch
andere Formen gesellschaftlich nützlicher Arbeit entgolten, sozial abgesichert
werden können. Besonders intensiv beschäftigt sich das Kirchenwort mit
Maßnahmen zur Förderung der sozialen Situation von Kindern und Familien (Ziff.
193 ff, Stichwort: Dritter Sektor).
Zum Sozialstaat:
Ob man es Umbau, Reform oder Weiterentwicklung nennt, ist egal: Gesellschaft
und Sozialstaat stehen vor der Aufgabe, sich behutsam an die Entwicklung
neuerer Instrumente der sozialen Sicherung zu machen.
Folgende Trends sind aber deutlich. Gestärkt werden müssen die
Grundsicherungselemente, während bei den über Jahrzehnten entwickelten
Instrumenten der Lebensstandardsicherung etwas zurückgefahren werden muss.
Die bisherige Orientierung der Sozialversicherung an der Erwerbsarbeit erweist
sich angesichts der langanhaltenden Massenarbeitslosigkeit und des Wandels
individueller Lebensentwürfe als ein großes Problem.
Nur auf der Grundlage eines leistungsfähigen Systems sozialer Sicherung lassen
sich grundlegende Reformen bewältigen. Das gilt für die Gesellschaft insgesamt,
wie für jeden einzelnen Menschen. Inhalt der Modernisierung kann es nicht sein,
soziale Sicherungen abzubauen, sondern sie so zu gestalten, dass sich
Menschen angstfrei auf die Veränderungen einlassen können, die von ihnen
gefordert werden.
Innovationen, Modernisierung und der von allen Seiten vorgetragene Ruf nach
einem Reformschub werden um so wirkungsvoller sein, je mehr es gelingt, in
unserer Gesellschaft die Menschen davon zu überzeugen, dass dabei
Gerechtigkeit und Fairness nicht auf der Strecke bleiben (vgl. Ziffern 22, 23 und
25).
Eine bloße Privatisierung der Risiken im Namen der Eigenverantwortung ist nach
Überzeugung der Kirchen nicht der richtige Weg. So wichtig es ist zu
verdeutlichen, dass ein Leben in einer sozialen Gemeinschaft Rechte und
Pflichten kennt, so problematisch ist die Verbindung des Pflichtgedankens mit
einer „jeder ist seines Glückes Schmied-Ideologie“.
.
Dagegen formuliert das gemeinsame Wort der Kirchen die Überzeugung, dass
gesellschaftlicher Zusammenhalt in einer hochkomplexen wettbewerbsorientierten
Industriegesellschaft ohne eine ordnende Rolle des Staates, ohne einen
entscheidenden Beitrag der Leistungsträger nicht herstellbar ist.
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 6 von 7
Innerkirchliche Perspektiven
Die Kirchen formulieren all dies nicht nur im Blick auf die Gesellschaft , sondern
auch im Blick auf die eigene Organisation und Einrichtung. Dies geschieht im
letzten Absatz des Textes unter der Überschrift Aufgaben der Kirche: „Es genügt
nicht, wenn die Kirchen die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen und die
Verhaltensweisen der darin tätigen Menschen thematisieren. Sie müssen auch ihr
eigenes Handeln in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bedenken. Das
kirchliche Engagement für Änderungen in der Gesellschaft wirkt um so
überzeugender, wenn es innerkirchlich seine Entsprechung findet“ (Ziff. 243).
„Im Blick auf die aktuellere Modernisierungsdiskussion ließen sich folgende
gesamtgesellschaftliche aufgaben für die Kirchen aus dem gemeinsamen Wort
ableiten. Die Kirchen müssen in Zeiten neuer Kooperationsformen (Bündnis für
Arbeit) das Anliegen stärken, den Prozess der Individualisierung gesellschaftlich
so einzubinden, dass das Prinzip des Eigennutzes nicht dominiert, sondern das
Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und des Ausgleichs. Ein solcher, sich an den
Leitbildern Option für die Armen, Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit
orientierender Prozess braucht immer wieder neue Impulse und Regeln, deshalb
kann das gemeinsame Wort der Kirchen kein abschließendes Wort gewesen
sein“.
Evangelische Akademie Hofgeismar
Gesundbrunnen 11
34369 Hofgeismar
Tel: 05671/881-0
Fax: 05671/881-154
e-mail: [email protected]
www.akademie-hofgeismar.de
Tagung „Rufer in der Wüste?
10 Jahre Sozialwort der
Kirchen“
vom 27.-28.09.2007
Seite 7 von 7
Herunterladen