Relationale Intrinsität

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Michael Quante
Relationale Intrinsität
11/2012
Michael Quante
Relationale Intrinsität.
Vorüberlegungen zu einer menschlichen Axiologie
The term ‘intrinsically good’ may be technical,
but in so far as there is no point in anything
being good as a means unless something is good
as an end it is presupposed in all common sense
talk about what is good.
(A.C. Ewing)
Sein-für-Anderes und Ansichsein machen die
zwei Momente des Daseins aus.
(G.W.F. Hegel)
Ethische Werte und evaluative Eigenschaften haben keinen guten Ruf, zumindest nicht in der
gegenwärtigen deutschen Philosophie.1 Sie werden als Teil einer inakzeptablen Metaphysik
angesehen, als Überbleibsel einer ‚schrägen’ Ontologie und sogar als eine Gefahr für die Autonomie
von Personen. Neben diesen Sorgen gibt es jedoch auch die weit verbreitete Intuition, dass die Ethik
auf etwas basieren sollte, das intrinsisch wertvoll oder respektierbar ist. Der moralische Status von
zumindest einigen Entitäten sollte nicht bloß im Auge des Betrachters liegen oder von Präferenzen
oder Interessen anderer abhängen, sondern sich direkt aus den Eigenschaften oder Fähigkeiten
dieser Entitäten ergeben.
Die Verbindung dieser beiden Haltungen — der skeptischen Haltung gegenüber Werten sowie
evaluativen Eigenschaften oder Relationen, und der herausfordernden Haltung bezüglich des
intrinsischen Fundaments — verursacht einige Spannungen in der ethischen Theorie. Diese
Spannung wird oft aufgelöst, indem verschiedene Versionen des Subjektivismus in der Ethik und
des Fundamentismus in der Epistemologie verteidigt werden.2 Aber diese Theoriemerkmale sind —
aus verschiedenen philosophischen Gründen — weder für sich attraktiv, noch geeignet für eine
plausible Form des moralischen Realismus.3
Aus diesem Grund möchte ich in diesem Beitrag untersuchen, in welchem Sinne intrinsische Werte
oder intrinsische evaluative Relationen in einen moralischen Realismus integriert werden können,
der einen Hedonismus in der Ethik und einen Fundamentismus in der Epistemologie vermeidet. Ich
werde mit einigen konzeptuellen Klärungen zum „moralischen Realismus“ im ersten Teil und zu
1
Die Rede von Werten ist in der anglo-amerikanischen Tradition der Ethik und Meta-Ethik unschuldiger; im Folgenden
werden nur ethisch-evaluative Eigenschaften, Relationen und Werte behandelt, deshalb sind nicht näher spezifizierte
Verwendungen dieser Begriffe auf diese Weise verstanden werden
2
Diese Tendenz findet sich sowohl in der kontinentalen als auch in der anglo-amerikanischen Tradition.
3
Da der Begriff „moralischer Realismus“ gebräuchlicher ist als der Begriff „ethischer Realismus“ folge ich diesem
Gebrauch. In diesem Text werden die Begriffe „moralisch“ und „ethisch“ austauschbar gebraucht.
1
Michael Quante
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11/2012
„Werten/evaluative Relationen“ im zweiten Teil beginnen.
Mein Hauptinteresse liegt im Folgenden auf den ontologischen Aspekten der Metaethik. Aus diesem
Grund werden skeptische Fragen, welche die Epistemologie des moralischen Realismus betreffen,
außen vor gelassen und die moralische Epistemologie des manifest image für selbstverständlich
angenommen.4 Des Weiteren werde ich annehmen, dass Werte sowie evaluative Eigenschaften und
Relationen im Allgemeinen nicht naturalisiert werden können: Die unauflösbare Einheit der
deskriptiven und evaluativen Eigenschaften der Realität, wie sie im manifest image gegeben sind,
wird als die Basis für unser moralisches Denken angenommen. Da der Hauptfokus auf den metaethisch ontologischen Fragen liegt, liegen moralische Fragen außerhalb des Skopus dieses Beitrags.
Obwohl es evident ist, dass meine Verteidigung einer schwachen Version des moralischen
Realismus auf der einen Seite sowie die Integration intrinsischer Werte und intrinsisch evaluativer
Relationen in eine solche Theorie auf der anderen Seite durch materiale Probleme der Ethik, und
insbesondere der biomedizinischen Ethik, motiviert ist, werde ich das Verhältnis von Metaethik und
Ethik im Folgenden nicht besprechen.
1. Moralischer Realismus5
In der Philosophie im Allgemeinen ist die Idee des Realismus auf verschiedene Weisen definiert
worden; deshalb kann der Begriff „moralischer Realismus“ verschiedene Bedeutungen haben, die
unterschiedliche philosophische Positionen abdecken. Für die folgende Diskussion ist es hilfreich,
vier Thesen zu unterscheiden. Erstens können wir zwischen starkem und schwachem moralischem
Realismus unterscheiden:
Der starke moralische Realismus behauptet, dass es evaluative Eigenschaften (oder Werte) gibt,
die vollständig unabhängig von Subjektivität sind.
Der schwache moralische Realismus behauptet, dass es evaluative Eigenschaften (oder Werte)
gibt, die nicht vollständig abhängig von Subjektivität sind.
Analog können wir zwischen starkem und schwachem Anti-Realismus in der Moral unterscheiden:
Der schwache moralische Anti-Realismus behauptet, dass es keine evaluative Eigenschaften (oder
Werte) gibt, die vollständig unabhängig von Subjektivität sind.
Der starke moralische Anti-Realismus behauptet, dass alle evaluativen Eigenschaften (oder
Werte) vollständig abhängig von Subjektivität sind.
4
Dies bedeutet nicht, dass auf der Ebene der philosophischen Analyse keine Korrekturen der Daten, die in der Haltung
des manifest image gegeben sind, vorgenommen werden können. Aber das Ziel der philosophischen Analyse ist es
nicht, die Position der Haltung des manifest image zu verändern. Das Hauptziel dieser Korrekturen ist es,
philosophischen Fehler zu vermeiden, die durch Fehlinterpretationen der Daten, die durch die Haltung des manifest
image gegeben sind, entstehen.
5
Zu den Überlegungen dieses Abschnitts vgl. die ausführlichere Darstellung in Quante (2011, Kap. IV-VI).
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Bevor das Verhältnis zwischen diesen vier Positionen betrachtet werden kann, sind einige
Klärungen nötig, da ohne eine Erläuterung, was die Begriffe „Abhängigkeit“ und „Subjektivität“ in
diesen Definitionen heißen sollen, verschiedene Lesarten dieser vier Positionen möglich bleiben.
„Abhängigkeit“ ist in dem konstitutiven Sinn gemeint, der sowohl logische (oder semantische) als
auch ontologische (oder kausale) Abhängigkeit abdeckt.6 „Subjektivität“ deckt erstens alle
möglichen Zustände, Ereignisse, Eigenschaften oder Relationen ab, die im weitesten Sinne mental
sind. Zweitens ist sie auf empirische menschliche Subjektivität beschränkt. Die Subjektivität nichtmenschlicher Tiere und göttliche, unendliche oder transzendentale Subjektivität liegen außerhalb
des Skopus meines Textes. Im Folgenden möchte ich nicht die philosophische Position besprechen,
die einen empirischen Realismus mit einem transzendentalen Idealismus verbindet (oder Versionen
eines berkeleyschen empiristischem Idealismus). Stattdessen möchte ich meine Diskussion auf das
Verhältnis zwischen evaluativen Relationen, Werten und menschlichen Subjekten beschränken.
Die Unterscheidung zwischen starkem Realismus und starkem Anti-Realismus ist klar und gut
etabliert, da beide Kennzeichnungen klassische ethische Positionen beschreiben, die in der
Geschichte der Philosophie häufig vertreten wurden. Dies scheint nicht der Fall zu sein, wenn wir
die schwachen Versionen des moralischen Realismus und des Anti-Realismus betrachten. Beide
formulieren eine schwächere These als die korrespondierenden starken Versionen und lassen sich
möglicherweise als eine vorsichtigere philosophische Position rechtfertigen. Allerdings stellt sich
sofort die folgende Frage: Warum sollten wir zwischen schwachem moralischen Realismus und
schwachem moralischem Anti-Realismus unterscheiden?
Das Problem ist folgendes: Aus meinen obigen Definitionen folgt, dass eine Position, welche
behauptet, dass evaluative Relationen (oder Werte) in einigen Aspekten von Subjektivität, wenn
auch nicht vollständig, abhängig sind, sowohl als schwacher moralischer Realismus wie auch als
schwacher moralischer Anti-Realismus gewertet werden könnte. Also warum sollten wir die beiden
Positionen überhaupt unterscheiden? Die Begründung für diese Unterscheidung ist, dass der
schwache moralische Realismus und der schwache moralische Anti-Realismus unterschiedliche
Implikationen haben, welche nicht zu einer bloßen Akzentverschiebung heruntergespielt werden
können.
Dies kann man erkennen, wenn man die Verhältnisse zwischen den schwachen und den starken
Versionen des moralischen Anti-Realismus untersucht. Der schwache moralische Anti-Realismus ist
mit dem schwachen moralischen Realismus und dem starken moralischen Anti-Realismus
6
Ich verwende die Konzeption der Abhängigkeit anstatt der Konzeption der Reduktion, da die letztere einerseits einige
ungerechtfertigte Konnotationen mit sich führt und andererseits sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann (je
nachdem, von welcher Reduktionstheorie man überzeugt ist). Obwohl ich nicht glaube, dass die Rede von Abhängigkeit
unproblematisch ist, halte ich sie als Ausgangspunkt für weniger problematisch (zumindest in unserem Kontext).
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kompatibel, nicht aber mit dem starken moralischen Realismus. Im Gegensatz hierzu ist der
schwache moralische Realismus mit dem schwachen moralischen Anti-Realismus und dem starken
moralischen Realismus kompatibel, aber nicht mit dem starken moralischen Anti-Realismus. Zwar
sind sowohl der schwache moralische Realismus als auch der schwache moralische Anti-Realismus
mit der Idee vereinbar, dass evaluative Relationen (oder Werte) teilweise von Subjektivität abhängig
sind. Dennoch sind sie unterschiedliche philosophische Positionen.
Aber, so könnte man fragen, warum sollten wir überhaupt die Konzeption des schwachen
moralischen Realismus einführen, und warum sollten wir eine solche Position als „moralischen
Realismus“ einordnen: Ist die partielle Unabhängigkeit, die evaluative Relationen und Werten dem
schwachen moralischen Realismus zufolge von Subjektivität haben, ausreichend, um einen
metaethischen Realismus zu etablieren?
Da ich nicht einmal damit beginnen kann, die Idee des Realismus in diesem Text angemessen zu
analysieren, kann ich nicht ausführlich auf diese Sorge eingehen. Die Gründe dafür, dass der
schwache moralische Realismus eine Position ist, die sich in der Metaethik zu entwickeln lohnt,
sind die folgenden: Sehr oft wird der moralische Anti-Realismus verteidigt, indem der starke
moralische Realismus attackiert wird, als sei diese Version des moralischen Realismus die einzige
Alternative, die widerlegt werden muss, um den moralischen Anti-Realismus plausibel zu machen.
Wenn wir den schwachen moralischen Realismus als eine weitere Option annehmen, verliert diese
anti-realistische Strategie ihre Stärke. Des Weiteren wird der schwache moralische Realismus
unseren realistischen Intuitionen in der Ethik gerecht, ohne uns auf eine Version des moralischen
Realismus festzulegen, die ihrerseits kontraintuitiv erscheinen würde.7 Schließlich weist der
schwache moralische Realismus den starken ethischen Anti-Realismus zurück. Da dies die
dominierende Position in der zeitgenössischen Ethik ist, sollte der schwache moralische Realismus
auch aus begriffspolitischen Gründen als Realismus gelten, weil dies den wichtigen Unterschied
markiert.8
Es gibt noch einen weiteren Grund, auf der einen Seite zwischen schwachem moralischen
Realismus und schwachem moralischen Anti-Realismus zu unterscheiden, und auf der anderen Seite
die letztere Position als eine Version des Anti-Realismus zu werten. In der Tradition der
kantianischen Transzendentalphilosophie liest sich der schwache moralische Anti-Realismus
folgendermaßen:
7
Persönlich bin ich davon überzeugt, dass der starke moralische Anti-Realismus falsch ist, aber ich bin ebenfalls alles
andere als optimistisch, dass wir evaluative Eigenschaften (oder Werte) plausibel machen können, die völlig unabhängig
von Subjektivität sind. Deshalb ist der schwache moralische Realismus für mich die natürliche Position, die zu
verteidigen ist. Ein weiterer Grund ist, dass ich glaube, dass evaluative Entitäten genuine Relationen sind (mehr hierzu
unten).
8
In anderen philosophischen Kontexten mögen die Fronten anders verlaufen, so dass die analoge Mittelposition (wie
der schwache moralische Realismus in der Ethik) hier nicht als Realismus gelten sollte.
4
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Der kantianische moralische Anti-Realismus behauptet, dass (i) es keine evaluativen
Eigenschaften (oder Werte) gibt, welche völlig unabhängig von empirischer Subjektivität sind, aber
dass (ii) alle evaluativen Eigenschaften (oder Werte) vollständig von transzendentaler Subjektivität
abhängig sind.
Manchmal wird diese Position als eine Version des moralischen Realismus betrachtet, weil das
Fundament der Ethik nicht die mentalen Zustände von empirischen Subjekten, sondern die
universellen Eigenschaften transzendentaler Subjektivität sind. Selbst wenn wir es als gegeben
ansehen, dass es transzendentale Subjektivität im Sinne einer universellen Struktur und
universellen, in jeder empirischen Subjektivität realisierten Eigenschaften, gibt, sollten wir die oben
genannte Position nicht als eine Version des Realismus werten. Wenn wir die Idee der Objektivität
als Realität einerseits und als Intersubjektivität andererseits explizieren, sollten wir den
kantianischen moralischen Anti-Realismus eher als eine Form des Objektivismus denn als eine
Form des moralischen Realismus begreifen. Der Grund ist, dass der Objektivismus unserem
moralischen Denken nicht vollständig angemessen ist und unsere realistischen moralischen
Intuitionen nicht zur Gänze einzufangen vermag. Der Objektivismus behauptet, dass es Kriterien für
intersubjektive Rechtfertigung gibt, dass es rationale Einigkeit und Uneinigkeit in ethischen
Angelegenheiten geben kann. Solange jedoch der Objektivismus nicht zusätzlich behauptet, dass es
Aspekte von evaluativen Eigenschaften und Werten gibt, die zumindest teilweise unabhängig von
empirischer und transzendentaler Subjektivität sind, kann der Objektivismus nicht-mentale
Entitäten nicht direkt in den Bereich der Ethik integrieren. Des Weiteren läuft der ethische
Objektivismus Gefahr, die Wichtigkeit der Wahrnehmung in der Ethik zu ignorieren, da Rationalität
und Autonomie die alleinigen universellen Aspekte von Subjektivität sind, die für die Ethik als
essenziell angesehen werden.9
2. Werte und evaluative Relationen
Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil meiner begrifflichen Klärungen kommen: Werte und
evaluative Relationen.10 Ich sehe evaluative Relationen als die Grundeinheiten des moralischen
Realismus an und werde deshalb evaluative Eigenschaften, wie sie vom starken moralischen
Realismus postuliert werden, nicht erörtern. Da es der schwache moralische Realismus ist, den ich
mit Intrinsität verbinden möchte, muss ich erörtern, in welchem Sinne evaluative Relationen
intrinsisch sein können. Ich kann agnostisch gegenüber evaluativen Eigenschaften bleiben, weil der
schwache moralische Realismus mit dem starken moralischen Realismus vereinbar, aber nicht auf
9
Vgl. dazu Quante & Vieth (2002) und (2010).
Ich werde das Problem der Dispositionen im Folgenden ignorieren (siehe aber den letzten Abschnitt des Textes).
10
5
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ihn festgelegt ist. Bevor ich evaluative Eigenschaften weiter kommentiere, möchte ich explizieren,
was in diesem Text mit „Werten“ gemeint ist.
2.1 Werte
Werte sind Universalien, die als evaluative Relationen in Raum und/oder Zeit instantiiert sind.
Meiner Konzeption zufolge existieren Werte – wie alle anderen Arten von Universalien – wenn sie
wenigstens einmal instantiiert sind, wodurch die Position, die McDowell als „rampant platonism“
definiert, vermieden wird. Universalien sind demnach keine abstrakten Entitäten im ‚platonischen’
Sinne. In konkreten Situationen werden uns Werte (= Universalien) in der Wahrnehmung als
Vorkommnisse evaluativer Eigenschaften präsentiert.11 Im strengen Sinne existieren Werte nicht
über diese Instantiierung als konkrete Vorkommnisse hinaus. Aber wir können Werte in unsere
Theorie einführen, da sie denjenigen Aspekt evaluativer Relationen erfassen, welcher in
verschiedenen Instanziierungen identisch bleibt. Und es ist dieser Aspekt, der sie in gewissem Sinne
unabhängig von der einzelnen konkreten Instantiierung macht, welcher von höchster Bedeutung für
unser moralisches Denken ist. Eine evaluative Tatsache kann also als die Tatsache aufgefasst
werden, dass eine evaluative Relation in Raum und/oder Zeit instantiiert ist. Wie Werte auch sind
evaluative Tatsachen damit keine unabhängigen Entitäten, aber im Gegensatz zu Werten, welche
nicht auf evaluative Einzelvorkommnisse reduziert werden können, lassen sich evaluative Tatsachen
auf Tatsachen, evaluative Relationen und solche Ereignisse reduzieren, in denen evaluative
Relationen instantiiert sind.
Werte haben dieser Konzeption zufolge also kein transzendentes Eigenleben, da sie in Raum und
Zeit instantiiert werden müssen, um zu existieren. Primär sind es allgemeine metaphysischontologische Gründe, die für diese These sprechen, aber sie hat auch einige Konsequenzen für die
Ethik. Die Attraktivität von Werten, verstanden als platonische Entitäten, entspringt der Intuition,
dass man etwas Derartiges benötigt, um in der Ethik ein Fundament zu haben, das a priori und
unveränderlich ist.12 Da ich nicht glaube, dass unser ethisches Leben ein solch starkes Fundament
braucht, bin ich nicht auf Werte in diesem platonischen Sinn angewiesen.13 Mit anderen Worten:
Werte, in meinem Sinn verstanden, können keine solch starke metaphysische Basis für einen
moralischen Realismus liefern.
Auf diese Weise vermeidet meine Herangehensweise eine Art von Dualismus, nämlich den
11
Hier ist anzumerken, dass gemäß dem schwachen moralischen Realismus ethische Werte als evaluative Relationen
instantiiert werden, die uns als evaluative Eigenschaften gegeben sind. Ich diskutiere im Folgenden nicht, ob es auch
ethische Werte gibt, die als evaluative Eigenschaften instantiiert sind.
12
Die ethische Theorie von Nicolai Hartmann ist ein klares Beispiel für diese Denkweise.
13
In Bezug auf die Abschwächung der Begründungsstandards siehe Quante (2005), für eine ontologische
Abschwächung des Essentialismus vgl. Vieth & Quante (2005).
6
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Dualismus14 zwischen abstrakten und konkreten Entitäten. Des Weiteren sollte auch ein zweiter
Dualismus — der zwischen dem Mentalem und dem Physischen — vermieden werden. Ich begreife
evaluative Relationen als natürliche Merkmale von alltäglichen Gegenständen und biologischen
oder mentalen Ereignissen. Diese Behauptung legt mich entweder auf die Vorstellung fest, dass
evaluative Relationen auf natürliche Eigenschaften oder diejenigen Relationen, mit denen sich die
Naturwissenschaften beschäftigen, reduziert werden können, oder auf die Vorstellung, dass die
Naturwissenschaften den Bereich der Natur (des Natürlichen) nicht vollständig erfassen. Da ich
glaube, dass keine evaluative Relation irgendeiner Art naturalisiert werden kann, können sie meiner
Konzeption nach innerhalb der Naturwissenschaft nicht adäquat behandelt werden.15
Deshalb bin ich auf die zweite Option verpflichtet, das heißt, die Natur zu begreifen als die Welt,
wie sie sich in unserem manifest image erschließt.16
2.2 Evaluative Relationen
Evaluative Relationen sind Instantiierungen von Werten und präsentieren sich als reale
Eigenschaften konkreter Entitäten. Wie zuvor werde ich Dispositionen ignorieren, so dass wir uns
auf tatsächlich instantiierte Werte beschränken können. Da der schwache moralische Realismus
evaluative Relationen als ontologisch basal annimmt (und agnostisch bleibt bezüglich evaluativer
Eigenschaften oder Werte als von menschlicher Subjektivität vollkommen unabhängigen Entitäten),
werde ich meine Analyse auf instantiierte evaluative Relationen mit subjektiven Anteilen
beschränken.
Zuerst müssen wir zwischen der Ebene der alltäglichen moralischen Wahrnehmung (die Haltung
des manifest image) und der Ebene der philosophischen Analyse (die philosophisch explizierende
Haltung) unterscheiden.17 Was die Haltung des manifest image angeht, erfährt ein Subjekt S eine
Situation X und schreibt ihr (oder nur einem Teil von ihr) eine evaluative Eigenschaft zu wie:
„Diese Handlung ist grausam.“ Wenn das Subjekt sich im richtigen mentalen Zustand befindet und
die richtigen Einstellungen gegenüber der Situation in diesem Moment hat, ist die evaluative
Relation „ist grausam“ instantiiert.18
14
„Dualismus“ steht hier für eine starke Trennung, die es ausschließt, dass es zwischen den Bereichen philosophisch
erhellende Zusammenhänge geben kann. Deshalb schließt die obige Ablehnung dualistischer Konzeptionen nicht aus,
dass man an den zum Teil signifikanten Unterschieden der Bereiche etc. fest hält und diese für philosophisch bedeutsam
hält.
15
Vgl. dazu ausführlicher Quante (2011, Kap. VII).
16
Vgl. dazu Quante (2000) sowie Quante (2006).
17
Für eine ausführlichere Erörterung der Rolle der Wahrnehmung in der Ethik siehe Vieth & Quante (2010).
18
Die Einschränkung „richtig“ muss für drei Dinge stehen: Erstens trägt sie normative Bedeutung – ein Subjekt muss
die richtige Haltung haben und den richtigen mentalen Zustand, welcher der wahrgenommen Situation angemessenen
ist. Zweitens spielt sie auf einige externe Bedingungen für den mentalen Zustand und die Haltung an – dies macht die
Erklärung von Scheitern und moralischer Entschuldigung möglich. Drittens eröffnet sie die Möglichkeit, dass eine
Situation als grausam gelten kann, auch wenn ein anderes Subjekt scheitert, dies wahrzunehmen – dies macht
moralischen Irrtum und Kritik an moralischer Wahrnehmung möglich. Natürlich bedarf dies alles noch weiterer
7
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Was die philosophisch-explikative Haltung angeht, ist eine evaluative Relation nur dann instantiiert,
wenn das Subjekt dem Objekt eine evaluative Eigenschaft zuschreibt. In Bezug auf diesen Punkt
integriert der schwache moralische Realismus einen Aspekt von Irrtumstheorien der Moral, der z.B.
von John Mackie nahegelegt worden ist. In unserer normalen moralischen Wahrnehmung werden
uns evaluative Relationen als evaluative Eigenschaften des wahrgenommenen Gegenstandes
präsentiert. Trotz dieser Phänomenologie ist die Hypothese des schwachen moralischen Realismus,
dass das Subjekt ein essentiell konstitutiver Teil der evaluativen Eigenschaften ist (dies markiert den
Unterschied zum starken moralischen Realismus). Deshalb, entgegen Mackies radikaler
Irrtumstheorie, verneint der schwache moralische Realismus die Existenz von evaluativen Entitäten,
die nicht vollständig abhängig von Subjektivität sind, nicht. Er behauptet nur, dass diese Entitäten
Relationen sind und keine Eigenschaften. Und wie Mackies Theorie will der schwache moralische
Realismus weder die Haltung des manifest image verändern, noch wegen dieser Spannung
zwischen manifest image und philosophisch explanatorischer Haltung für einen generellen
Skeptizismus in der Ethik argumentieren.
Des Weiteren können einige ermöglichende Bedingungen bezüglich der Wahrnehmung des Subjekts
und des wahrgenommenen Objekts analysiert werden. Sowohl Subjekt als auch Objekt haben einige
Eigenschaften, welche es ermöglichen, dass evaluative Relationen instantiiert werden (zusätzlich
müssen weitere generelle Bedingungen erfüllt sein, welche alle Arten menschlicher Wahrnehmung
ermöglichen). Auf der einen Seite der evaluativen Relation muss das Objekt eine Struktur haben,
welche ihm ermöglicht, in die evaluative Relation einzutreten. Diese Struktur ist keine homogene:
die unterschiedlichen Strukturen von Objekten, in welchen evaluative Relationen realisiert sind,
wenn ein Subjekt sie auf die richtige Weise wahrnimmt, können nur innerhalb der ethischen
Erfahrung und unserer ethischen Praxis gefunden werden. Ohne diesen Hintergrund wäre die
Struktur, die in der philosophischen Theorie analysiert wird, nicht zu verstehen.19 Auf der anderen
Seite der evaluativen Relation muss auch das Subjekt bestimmte Eigenschaften besitzen. Einerseits
muss das Subjekt moralische Erfahrungen gemacht haben und über eine ethische Praxis des
Wahrnehmens, Urteilens und Reflektierens von moralischen Angelegenheiten verfügen. Diese
Bedingung der Bildung / Erziehung ist eine historisch externe Bedingung, bezogen auf Ereignisse,
die in der Vorgeschichte des Subjekts liegen. Andererseits muss sich das Subjekt zum Zeitpunkt des
Wahrnehmens der Situation in normalen mentalen und physischen Bedingungen befinden. Während
Klärungen und Erläuterungen. Des Weiteren sollte festgehalten werden, dass die Intuition, die der Idee von Werten als
Dispositionen zugrunde liegt, auf diese Weise ebenfalls integriert werden kann, weil sich die externalen Elemente als
Basis für die in einer dispositionalen Analyse unvermeidlichen kontrafaktischen Elemente verwenden lassen.
19
Dies bedeutet nicht, dass sich keine dieser Aspekte naturwissenschaftlich erfassen ließen (bedeutende Gegenbeispiele
wären hier die Konzeption der Lebensqualität sowie bestimmte, für Autonomie oder Personalität zentrale Fähigkeiten
von Menschen). Gemeint ist nur, dass wir diese — gleichsam naturalen — Anteile nur deshalb verstehen, weil wir sie
auf den lebensweltlichen Hintergrund beziehen, innerhalb dessen sie verankert sind.
8
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die Bedingung der Bildung / Erziehung inhaltlich durch soziale Standard bestimmt wird und positiv
explizierbar ist, muss die Bedingung der normalen physischen und mentalen Bedingungen für das
Wahrnehmen und Beurteilen ex negativo20 ausbuchstabiert werden — jeder von uns kennt solche
Bedingungen, die eine adäquate Wahrnehmung und Beurteilung ausschließen (wie z.B.
überwältigende Gefühle, Wut, Müdigkeit oder Unachtsamkeit).
In
einem
Fall,
in
dem
eine
evaluative
Relation
instantiiert
ist,
sind
alle
diese
Ermöglichungsbedingungen in hinreichendem Maße erfüllt; sie sind aber nicht expliziter Teil
unserer moralischen Wahrnehmung oder unseres ethischen Urteils. Die Struktur eines Objekts kann
Teil unserer Rechtfertigung sein, wenn wir die Behauptung verteidigen wollen, dass dieses Objekt
die evaluative Eigenschaft hat, die wir ihm zuschreiben. Sofern die normalen physischen und
mentalen Bedingungen moralischer Wahrnehmung in einer bestimmten Situation nicht gegeben
sind, kann diese Tatsache als Entschuldigung verwendet werden, wenn die Fehlwahrnehmung oder
inadäquate Beurteilung des Subjekts kritisiert wird.
Die wichtigste Lehre, die wir aus einem schwachen moralische Realismus ziehen können, der
evaluative Relationen als Grundeinheiten annimmt, ist, dass wir vermeiden sollten, diese
evaluativen Relationen entweder auf die Struktur des Objekts zu reduzieren, die es geeignet macht,
ein Teil der Realisierungsbasis zu sein, oder auf die mentalen Zustände, die auf Seiten des
wahrnehmenden Subjekts für die Instantiierung der evaluativen Relation notwendig sind.21
Als Gesamtbild ergibt sich also folgendes: die evaluative Relation p wird in Situation X instantiiert,
wenn X durch ein richtig strukturiertes O (z.B. eine Handlung, ein Ereignis oder ein Objekt) und ein
Subjekt
S
konstituiert
wird,
das
O
als
p
wahrnimmt
(oder
beurteilt),
alle
Ermöglichungsbedingungen in Bezug auf S erfüllt sind und normale Bedingungen für menschliches
Wahrnehmen (oder menschliches Urteilen) gegeben sind. Obwohl innerhalb der Haltung des
manifest image S p O als eine Eigenschaft zuschreibt, legt meine philosophische Analyse nahe, p
als eine Relation zu analysieren, die zwischen S und O besteht. Natürlich könnten wir sagen, dass
die Situation X p als eine Eigenschaft hat, aber dies kann weiter analysiert werden, da Situationen
intern komplex sind und p als eine Relation expliziert werden kann, die zwischen Teilen von X
besteht.
20
Diese Struktur lässt sich m.E. am Besten in einer Konzeption des default-and-challenge explizieren.
In Debatten über den moralischen Realismus erfreut sich die Analogie zwischen Werten und sekundären Qualitäten
einiger Beliebtheit. Solange damit nur verdeutlicht werden soll, dass Relationen existieren, in denen Eigenschaften der
Subjektivität einen konstitutiver Anteil haben, ist diese Analogie in Ordnung (wenn auch meiner Ansicht nach nicht
besonders erhellend). Aber diese Analogie kann irreführend sein, da sie zu zwei philosophischen Irrtümern verleitet:
einerseits gibt es die Versuchung, die evaluativen Relationen auf die Struktur der Objekte zu reduzieren, welche die
Wahrnehmung in den Subjekten verursacht. Andererseits gibt es die noch weiter verbreitete Tendenz, evaluative
Relationen mit den mentalen Zuständen gleichzusetzen, die im Subjekt verursacht werden. Beide Irrtümer entstehen –
zumindest teilweise – daraus, dass in unserer moralischen Erfahrung evaluative Relationen evaluative Eigenschaften zu
sein scheinen.
21
9
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11/2012
Bevor ich zu der Frage komme, in welchem Sinn p als intrinsisch gelten kann, sind vielleicht drei
Kommentare hilfreich:
Erstens ist es nicht notwendig, dass O mentale Eigenschaften besitzt, aber es ist (erlaubt), dass O sie
hat (wie in Fällen von Handlungen). Die Relation zwischen S und O ist dasjenige, was der
schwache moralische Realismus fordert, nicht aber, dass O mentale Eigenschaften besitzt.
Zweitens kann O selbst komplex und — wie z.B. wieder im Fall von Handlungen — kann S, das O
wahrnimmt, auch Teil von O sein. S könnte mit der Intention, jemandem zu helfen, auf eine
bestimmte Weise handeln und könnte gleichzeitig im Vollzug seine Handlung als moralisch richtig
beurteilen.22
Drittens lässt diese Analyse Raum für Kritik und Irrtum. Wenn ein Subjekt S1 O wahrnimmt und es
ihm nicht gelingt zu erkennen, dass O p ist (oder es ihm nicht gelingt zu urteilen, dass O p ist), kann
O dennoch von einem anderen Subjekt S2 (oder von S1 zu einem anderen Zeitpunkt) als p erkannt
werden. Da den Fehler von S1 zu konstatieren oder S1 zu kritisieren impliziert, dass S2 O beurteilt,
ist dies ausreichend, damit der schwache moralische Realismus behaupten kann, dass p in X*
instantiiert ist (konstituiert durch O und S2 und beinhaltend, dass S2 p O zuschreibt). Im Fall des
Irrtums kann das Scheitern von S1 erklärt und entschuldigt werden, indem gezeigt wird, dass einige
der notwendigen Ermöglichungsbedingungen, die herbeizuführen nicht in der Macht von S1 lag,
nicht erfüllt waren. Im Fall der Kritik kann das Scheitern von S1 auf die gleiche Weise erklärt, aber
nicht
entschuldigt
werden,
weil
es
S1
möglich
gewesen
wäre,
die
notwendigen
Ermöglichungsbedingungen herbeizuführen (z.B. sich in den richtigen emotionalen oder kognitiven
Zustand zu versetzen).
3. Welche Intrinsität bewahrt der schwache moralische Realismus?
Als ich begonnen habe, darüber nachzudenken, warum die Vorstellung intrinsischer Werte in der
Ethik und für mein eigenes philosophisches Denken wichtig ist, sind mir unmittelbar zwei
Antworten (oder Motive) eingefallen: Der Anti-Subjektivismus und der Anti-Reduktionismus.
Anti-Subjektivismus: Wenn eine evaluative Eigenschaft p eine intrinsische Eigenschaft einer Entität
x ist, hängt es nicht von den Einstellungen des Betrachters (von seinen Präferenzen, Werte, etc.) ab,
was der Ursprung davon ist, dass x p ist; der Grund dafür, dass der Betrachter p x zuschreibt, indem
er wahrnimmt oder urteilt, dass x p ist, liegt in x. Somit ist der Subjektivismus (oder
Projektivismus) in der Ethik durch die Annahme intrinsischer evaluativer Eigenschaften
ausgeschlossen.23
22
23
Dies impliziert nicht, dass S durch dieses Urteil motiviert ist.
Diese ablehnende Haltung gegenüber Subjektivismus oder Projektivismus in der Ethik kann vom moralischen
10
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Nehmen wir an, x sei ein menschlicher Embryo in den frühen Stadien menschlichen Lebens.
Bezüglich des moralischen Status eines solchen Embryos wird häufig behauptet, die Tatsache, dass
der Embryo Menschenwürde besitze oder eine Person sei, sei eine intrinsische Eigenschaft. Das
Motiv dafür dies zu behaupten, liegt darin, dass nur wenn wir annehmen, dass Menschenwürde oder
Personenstatus eine intrinsische Eigenschaft eines Menschen vom allerersten Beginn menschlichen
Lebens ist, der moralische Status von x unabhängig von Werturteilen, Präferenzen oder emotionalen
Einstellungen anderer Menschen ist und sich aus den Eigenschafen von x selbst ergibt. Die antisubjektivistische Intuition, welche sich hier manifestiert, lautet: Wenn eine evaluative Eigenschaft
eine intrinsische Eigenschaft von x ist, sehen wir x als wertvoll an, weil x wertvoll ist (oder wir
respektieren x, weil x zu respektieren ist), und nicht umgekehrt.24
Da zwischen Subjektivismus (oder Projektivismus) in der Ethik und moralischem Anti-Realismus
unterschieden werden muss, ist der Anti-Subjektivismus nicht hinreichend, um den Anti-Realismus
zurückzuweisen. Ob dieser ausgeschlossen ist, hängt von einem weiteren Punkt ab. Wenn nur die
Subjekte oder ihre mentalen Zustände als Träger von intrinsisch evaluativen Eigenschaften
angenommen werden, wird der moralische Anti-Realismus nicht ausgeschlossen, da er
normalerweise behauptet, dass Subjekte evaluative Eigenschaften, welche ihren eigenen mentalen
Zuständen entstammen, auf non-mentale Entitäten projizieren. Diese Idee ist vereinbar mit der
Behauptung, dass nur Subjekte oder ihre mentalen Zustände der Ort für intrinsische Werte oder
Träger intrinsischer evaluativer Eigenschaften sind. Um den Anti-Subjektivismus hinreichend für
die Zurückweisung des moralischen Realismus zu machen, müssen wir die folgende Bedingung
hinzufügen: es gibt Träger intrinsischer evaluativer Eigenschaften, die keine Subjektivitätsaspekte
aufweisen.25
Anti-Reduktionismus: Wie in der Debatte der Philosophie des Geistes um intrinsische versus
abgeleitete Intentionalität besagt die metaethische Idee des Anti-Reduktionismus — die z.B. von
G.E. Moore verteidigt wird —, dass die Intrinsität einer evaluativen Eigenschaft p mindestens eine
notwendige Bedingung dafür ist, dass p irreduzibel ist.26 Und wenn angenommen wird, dass p
einfach ist, d.h. keine interne Komplexität aufweist, ist p in der Tat irreduzibel und eine Entität sui
Realisten und vom moralischen Anti-Realisten eingenommen werden. Deshalb ist die Verteidigung intrinsischer
evaluativer Eigenschaften nicht hinreichend, um einen moralischen Anti-Realismus auszuschließen.
24
Was den menschlichen Embryo angeht, ist der zusätzliche Gedanke, dass der Beginn menschlichen Lebens nur dann
zureichend geschützt werden kann, wenn Menschenwürde und Person-sein als intrinsische Eigenschaften menschlicher
Embryonen, als völlig unabhängig von sozialen Standards, aufgefasst werden. Meine Verwendung dieses Beispiels an
dieser Stelle ist nicht dazu gedacht, diese Intuition zu stützen.
25
Ich habe an dieser Stelle nicht zwischen schwachem und starkem moralischen Anti-Realismus unterschieden, da die
Behauptung beide ausschließt. Solange wir evaluative Relationen berücksichtigen, muss nicht zwischen schwachem
und starkem moralischen Anti-Realismus unterschieden werden.
26
Dies ist eine notwendige, aber keine zugleich hinreichende Bedingung, da es der Fall sein kann, dass p intern
komplex ist und auf andere intrinsische Eigenschaften von x reduziert werden kann. Da Irreduzibilität normalerweise
ein Hauptmotiv für die Verteidigung von intrinsischen evaluativen Eigenschaften ist, wird Intrinsität von p häufig so
verstanden, dass es Einfachheit von p impliziert.
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Michael Quante
Relationale Intrinsität
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generis. Einerseits finde ich dieses anti-reduktionistische Argument für intrinsische evaluative
Eigenschaften wegen meiner realistischen und anti-reduktionistischen Haltung gegenüber
evaluativen Entitäten attraktiv.
Aber da ich denke, dass diese evaluativen Entitäten als evaluativen Relationen analysiert werden
sollten, ergibt sich andererseits ein aus zwei Teilen bestehendes Problem. Die eine Frage ist, in
welchem Sinn evaluative Relationen als intrinsisch qualifiziert werden können. Die andere Frage
ist, wie man die Idee von intrinsischen Werten einfangen kann, ohne sich auf zwei philosophische
Lehren festzulegen, welche durch die Vorstellung intrinsischer Werte impliziert werden oder
zumindest (natürliche) Verbündete dieser Vorstellung sind. Diese Lehren sind:
•
der Hedonismus (in der Ethik)
•
der Fundamentismus (in der Epistemologie)
Der Hedonismus ist — um es sehr grob, aber für diesen Beitrag ausreichend zu umreißen — die
Lehre, dass Lust und Schmerz die einzigen Dinge von intrinsischem Wert sind, wobei das erstere
von beiden maximiert, das letztere minimiert werden soll.27
Der epistemologische Fundamentismus ist die Idee, dass jede Rechtfertigung von mindestens einem
evidenten Prinzip anfangen muss. In einem solchen deduktiven Modell verdanken die abgeleiteten
Stadien ihre Rechtfertigung den höheren. Die Rechtfertigung läuft von oben nach unten, aber nie
umgekehrt.
Und nun ergibt sich ein Problem. Ich erkenne die folgenden Propositionen an:
1. Die Idee von intrinsischen Werten ist ein enger Verbündeter von Hedonismus (oder
Experientalismus) und Fundamentismus.
2. Weder Hedonismus noch Fundamentismus sind plausibel.
3. Es gibt intrinsische evaluative Entitäten.
Zusammen genommen sind diese drei Thesen nicht inkonsistent, da (i) einerseits nicht behauptet
wird, dass es eine strikt logische Verbindung zwischen der Idee von intrinsischen Werten und den
beiden erwähnten philosophischen Konzeptionen gibt, und ich mich andererseits auf jede
philosophische Lehre festlegen könnte, die nicht plausibel ist, ohne dadurch einen logischen Fehler
zu begehen. Aber da mir eine solche Festlegung nicht attraktiv erscheint und da ich glaube, dass es
hilfreich wäre, besser zu verstehen, warum es eine enge Beziehung zwischen diesen Lehren und der
Annahme von intrinsischen Werten gibt, ziehe ich es vor zu fragen: Gibt es einen Sinn von
„intrinsischer Wert“, der stark genug ist, um einerseits meine realistischen Intuitionen und meine
anti-naturalistische Haltung einzufangen, ohne andererseits entweder den Hedonismus oder den
27
Die Position, die ich hier angreifen möchte, kann man besser als „Experientalismus“ beschreiben. Diese Theorie
behauptet, dass Sinnesdaten (oder Qualia) die einzige Dinge sind, die intrinsischen Wert besitzen. Aber da der
Hedonismus die bekannteste Version des „Experientalismus“ ist, werde ich diese Theorie an dieser Stelle nicht weiter
besprechen. Des Weiteren werde ich mich in diesem Text nicht mit dem utilitaristischen Aspekt der Maximierung
beschäftigen.
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Fundamentismus zu implizieren oder ihnen anheim zu fallen?
Um einer Antwort näher zu kommen, müssen wir zwischen verschiedenen Bedeutungen von
„intrinsisch“ unterscheiden und einige Vorstellungen identifizieren, welche mit intrinsischen Werten
assoziiert worden sind, sowie einige Motive für diese, die über die beiden hinaus gehen, die bis jetzt
besprochen worden sind. Im ersten Schritt werde ich zwischen einigen Bedeutungen von
„intrinsisch“ unterscheiden. Im zweiten Schritt möchte ich kurz umreißen, auf welche Weise man
leicht in die Untiefen von Hedonismus und Fundamentismus geraten kann. Im dritten und letzten
Schritt wird die Bedeutung von „intrinsischer Wert“ bestimmt, die im schwachen moralischen
Realismus bewahrt werden kann.
3.1 Die vielen Bedeutungen von „intrinsisch“
In der philosophischen Literatur werden verschiedene Analysen zur Explikation der Bedeutung von
„intrinsisch“ in Bezug auf Werte vorgeschlagen. Die berühmtesten, die einem als erstes einfallen,
sind wahrscheinlich „an sich“, was auf den ontologischen Status von intrinsischen Werten deutet,
und „um seiner selbst Willen“, was auf die materiale Validität von intrinsischen Werten zielt.28 Dem
entspricht, dass der Begriff „extrinsisch“ auch unterschiedliche Bedeutungen hat, da sowohl
„intrinsisch“ als auch „extrinsisch“ Reflexionsbegriffe sind: Ihre Bedeutungen sind interdependent
und beziehen sich auf einander. Obwohl ich sicher bin, dass die folgende Liste nicht alle
Bedeutungen abdecken wird, die als angemessene Interpretationen von „intrinsisch“ vorgeschlagen
worden sind, glaube ich, dass sie für die Zwecke dieses Abschnitts ausreicht, da die Beispiele auf
der Liste diejenigen sind, welche zeigen, warum und wie die Idee von intrinsischen Werten eng mit
dem Hedonismus und dem Fundamentismus verbunden ist.
Man sollte nicht vergessen, dass die Punkte auf der folgenden Liste nicht so gedacht sind, dass sie
diejenigen Eigenschaften definieren, die notwendig und hinreichend dafür sind, um etwas als einen
Wert (oder eine evaluative Eigenschaft oder evaluative Relation) auszuzeichnen. Und es sollte
festgehalten werden, dass die einzelnen Punkte auf dieser Liste normalerweise nicht als synonym
mit „intrinsisch“ betrachtet werden (obwohl vielleicht eine Kombination von ihnen manchmal als
adäquate Definition dessen angesehen worden ist, was mit „intrinsisch“ gemeint ist).29 Noch sollten
alle Punkte auf der Liste als Bezeichnungen hinreichender Bedingungen dafür, dass p ein
intrinsischer Wert ist, genommen werden. Einige von ihnen – aber, wie ich im letzten Abschnitt
28
Die Unterscheidung zwischen Universalien (Werte in meinem Sinne) vs. ihre Instantiierungen (evaluative
Eigenschaften und Relationen) ist in der Literatur zumeist nicht explizit gemacht worden. Da — soweit ich sehen kann
— diese Unterscheidung für das Ziel dieses Abschnitts irrelevant ist, werde ich hier von intrinsischen Werten ohne
weitere Einschränkungen sprechen.
29
Um den quineanischen Streit um Synonymie zu vermeiden, könnte die Analyse von „Bedeutung“ hin zur Analyse der
essentiellen Aspekte von Intrinsität verschoben werden, aber an dieser Stelle werde ich diese Schwierigkeit außen vor
lassen.
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Relationale Intrinsität
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argumentieren werde, nicht alle – sind sicherlich notwendige Bedingungen, und einige – wie (g.)
und (h.) – würden als hinreichende Bedingung dafür, dass p ein intrinsischer Wert ist, gelten
können, wenn die Behauptungen (g.) oder (h.) in einer ethischen Theorie plausibel gemacht würden.
Die Aussage, dass O einen intrinsischen Wert p besitzt, verstanden als die Behauptung, dass der
intrinsische Wert p in O instantiiert ist, bedeutet:
(a.)
p ist nicht abgeleitet von einem wahrnehmenden oder urteilenden Subjekt S (nicht von S auf
O projiziert wegen bestimmter Eigenschaften von S).
(b.)
p ist nicht relativ (der p-Wert von O hängt nicht allein von S ab).
(c.)
p ist genuin (die Instantiierung von p in O wird allein von X generiert).
(d.)
p ist eine Eigenschaft von O und nicht eine Relation zwischen O und einer weiteren Entität
Y.
(e.)
p ist einfach, nicht intern komplex (O kann nicht in einfachere Einheiten unterteilt werden).
(f.)
O muss immer als Zweck, nie nur als Mittel behandelt werden, weil es p ist.
(g.)
O muss immer als Zweck, nie in irgendeiner Hinsicht als Mittel behandelt werden, weil es p
ist.
(h.)
p ist ein absoluter Wert, der nicht aufgewogen werden kann durch andere Werte oder Dinge
(wie Präferenzen etc.).
Die Punkte (a.) bis (e.) können als qualifizierende Bestimmungen verstanden werden, wenn man
„intrinsisch“ im ontologischen Sinn von „an sich“ versteht. Die Punkte (f.) bis (h.) drücken
expliziter aus, was mit „intrinsisch“ im ethischen Sinn von „um seiner selbst willen“ gemeint ist.
Deshalb thematisieren (a.) bis (e.) primär ontologische oder meta-ethische Probleme, während (f.)
bis (h.) Probleme der Ethik berühren. Des Weiteren können (a.) und (b.) einerseits sowie (c.) und
(d.) andererseits bezüglich der Fragen, die wir in diesem Text behandeln, als äquivalent angesehen
werden. Der Unterschied ist, dass die ersteren — (a.) und (c.) — auf einen ontologischen
Mechanismus von p’s Realisierung hinweisen („abgeleitet“ und „projiziert“; „instantiiert“ und
„generiert“), während die letzteren — (b.) und (d.) — einige logische Eigenschaften von p
benennen („nicht relativ“; „keine Relation“).
Nachdem all dies so weit geklärt ist, können wir nun damit beginnen, die unterschiedlichen Wege
zu betrachten, die von diesen verschiedenen Vorstellungen von Intrinsität zu einem Hedonismus
oder Fundamentismus führen können.
3.2 Schnelle Wege in philosophische Probleme
Schmerz und Lust zeigen sich in unserer Erfahrung als einfach und eine evaluative Dimension
besitzend. Sie werden direkt erfahren, sind in der Perspektive der ersten Person präsent und
scheinen die besondere Eigenschaft des ‚esse est percipi’ zu haben. All dies macht sie zu sehr guten
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Relationale Intrinsität
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Kandidaten für Entitäten mit intrinsischen Qualitäten, deren Essenz direkt an der Oberfläche liegt.
Die Qualität von Qualia scheint allgemein ihre Essenz, scheint unmittelbar gegeben und — um eine
altehrwürdige philosophische Metapher zu verwenden — scheint epistemisch ‚transparent’ zu sein.
Wegen dieser Eigenschaften sind Qualia (oder, um sie bei einem anderen Namen zu nennen:
Sinnesdaten) von — zumindest empiristisch inspirierten — Epistemologien als Fels betrachtet
worden, auf dem man seine Theorie bauen kann.
Wenn man also nach geeigneten Kandidaten sucht, die der Ort für intrinsische Werte sein könnten,
bieten sich Qualia an. Und da Lust und Schmerz sehr mächtige Orientierungspunkte für
menschliches Handeln darstellen, sind sie gute Kandidaten für das gewesen, was wir mit unseren
Handlungen anstreben (oder vermeiden). So kann die Suche nach etwas Intrinsischem in der Ethik
sehr leicht zum moralischen Anti-Realismus führen, da Qualia mentale Zustände sind. Und sie kann
auch zum Fundamentismus führen, aufgrund der unterstellten Unmittelbarkeit und dem direkten
epistemischen Zugang, den Subjekte zu ihren Qualia haben: sie scheinen die grundlegende
Währung für unsere moralische Erfahrung und unser ethisches Denken zu sein. Auf diesem Wege
kann man von der Idee intrinsischer Werte selbst über Qualia zum Fundamentismus in der Ethik
gelangen.
Wenn man aber von der Idee ausgeht, dass die Ethik eine Fundierung der fundamentistischen Art
benötigt, kann man ebenfalls bei den Qualia enden, da sich diese selbst als evaluativ gefärbt
präsentieren und, als einfache Qualia, nicht nur in epistemologischer Hinsicht erstklassige
Kandidaten für einen epistemologischen Fundamentismus sind, sondern auch fast ideale Kandidaten
für Entitäten sind, die intrinsische evaluative Essenzen besitzen. Die qualitative Essenz von Qualia
scheint nicht abgeleitet, sondern ursprünglich oder genuin zu sein. Und sie erscheint nicht relativ zu
den Interessen, Konzepten oder ‚Interpretationen’ des erfahrenden Subjekts, sondern diese
evaluative Essenz scheint sich eher dem erfahrenden Subjekt aufzudrängen. Des Weiteren
präsentieren sich Qualia als intern einfach und — wenn wir Lust und Schmerz als Beispiele nehmen
— als die Zwecke unserer Handlungen. Somit weisen Qualia die Eigenschaften (a) bis (g) auf
unserer Liste auf.30
Daher, wie sich z.B. in der Philosophie von C.I. Lewis zeigt, stärken sich der Fundamentismus in
der Epistemologie und der Experientialismus (oder seine prominenteste Form: der Hedonismus)
gegenseitig, indem sie beide die Idee intrinsischer Werte in Anspruch nehmen.31 Folglich führt die
30
Die Konzeption, der zufolge Lust und Schmerz absolute positive und negative Werte sind, wird durch die Vorstellung
impliziert, dass diese die einzigen Dinge sind, die „moralisch gut“ und „moralisch schlecht“ (im Mooreschen Sinne)
definieren. Auf diese Weise verstanden, wäre auch die Bedingung (h.) erfüllt (aber sicher nicht auf die Art und Weise,
die z.B. den Verteidigern von der Lehre der Heiligkeit menschlichen Lebens vorschwebt).
31
Diese Denkrichtung innerhalb der empiristischen Tradition auszuschließen, ist — wie John McDowell gezeigt hat —
nur dann möglich, wenn man in der zugrunde liegenden Position in der Philosophie des Geistes einen Internalismus und
Repräsentationalismus vermeidet.
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Idee
intrinsischer
Relationale Intrinsität
Werte
leicht
zum
starken
moralischen
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Anti-Realismus
und
zum
Fundamentismus.32 Vielleicht ist es möglich, wenigstens den moralischen Anti-Realismus zu
vermeiden, indem man behauptet, dass wir in der Ethik nicht im Kontakt mit Qualia stehen, sondern
mit so etwas wie platonischen Ideen oder Eigenschaften. Dies scheint ein Aspekt von G.E. Moores
und H. Rashdall’s ethischen Theorien zu sein. Aber wenn wir den starken moralischen AntiRealismus auf diese Weise umgehen wollen, können wir dies nur erreichen, indem wir einen starken
moralischen Realismus vertreten. Der schwache moralische Realismus und die Idee evaluativer
Relationen scheinen dabei vollständig aus dem philosophischen Bild verschwunden zu sein.
3.3 Ein möglicher Ausweg
All dies könnten sehr schlechte Nachrichten für meinen Versuch sein, intrinsische Werte in den
schwachen moralischen Realismus zu integrieren. Wenn wir einen Fundamentismus in der
Epistemologie vermeiden und nicht gezwungen sein wollen, entweder eine Version des starken
moralischen Anti-Realismus oder eine Version des starken moralischen Realismus zu vertreten,
werden wir wahrscheinlich die Vorstellung intrinsischer Werte aufgeben müssen.33 Aber wir können
vielleicht wenigstens einige Intuitionen und Motive bewahren, die hinter der Vorstellung
intrinsischer Werte stehen. Wir sollten daher noch einmal unsere Liste betrachten, um festzustellen,
welche Punkte gerettet werden können.
In Bezug auf die fünf Punkte, die etwas über den ontologischen Status und die Struktur intrinsischer
Werte aussagen, ist es klar, dass (c.) und (d.) entfallen müssen, da sie entweder zum starken
moralischen Realismus oder zum starken moralischen Anti-Realismus führen. Ebenfalls ist es klar,
dass (a.) und (b.) bewahrt werden können, da sie den starken moralischen Anti-Realismus
ausschließen. Der problematischste Punkt ist (e.), und zu diesem werde ich gegen Ende dieses
Textes noch etwas sagen.
Was die letzten drei Punkte angeht, welche „intrinsisch“ als einen Begriff verstehen, der in
materialer Weise ethischen Gehalt besitzt, scheinen zwei Dinge offensichtlich. Erstens sind sie
allesamt mit dem schwachen moralischen Realismus kompatibel, da dieser eine ontologische These
ist, während (f.), (g.) und (h.) ethische Thesen sind. Zweitens glaube ich, dass (g.) und (h.)
Behauptungen sind, die zu stark sind, um in einer vernünftigen ethischen Theorie plausibel gemacht
32
Man könnte einwenden, dass dies nur plausibel ist, wenn man innerhalb der empiristischen Tradition arbeitet. Dies ist
aber falsch: wenn man von einer transzendentalen oder einer a priori Basis ausgeht, kann dies auch in einen moralischen
Anti-Realismus und Fundamentismus münden. Der Weg zum moralischen Anti-Realismus ist einfach, da
transzendentale Argumente Subjektivität als ihren Ausgangspunkt nehmen. Und die Versuchung, ein Fundamentalist zu
werden – nicht in der Erfahrung, aber in der Rechtfertigung –, ist wegen der speziellen epistemischen Bedingungen, die
im Selbstbewusstsein gegeben sind, groß. Gute Beispiele für die erste Tendenz können in Christine Korsgaards
Arbeiten gefunden werden; die zweite Tendenz liegt Karl Otto Apels Idee der Letztbegründung zugrunde.
33
Wenn ich richtig sehe, ergibt sich ein ähnlicher Preis hinsichtlich des weit verbreiteten Bedürfnisses, in der Ethik
Prinzipien oder Werte zu etablieren, die unabwägbar sind.
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Relationale Intrinsität
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werden zu können. Der schwache moralische Realismus sollte sie daher zurückweisen, aber nicht
aus ontologischen, sondern aus genuin ethischen Gründen. Drittens sollte (f.) akzeptiert werden:
Wenn O so beschaffen ist, dass es Teil einer evaluativen Relation p ist, sofern die ermöglichenden
Bedingungen erfüllt sind, dann ist X so beschaffen, dass es als p wahrgenommen oder beurteilt
werden kann. Auf diese Weise wahrgenommen oder beurteilt zu werden, bedeutet, dass es als
positiv bewertet wird,34 und dies bedeutet wiederum, dass O als Zweck betrachtet wird. Aber dies
bedeutet nicht, dass O nicht durch einen ethisch wichtigeren Zweck (Wert) übertrumpft werden
kann (gegen (h.)), noch ist es damit unvereinbar, dass O auch als Mittel gebraucht wird. Etwas zu
tun, kann etwas intrinsisch Wertvolles und gleichzeitig ein Mittel zur Realisierung eines anderen
ethischen Wertes sein.
Was sollten wir aber über (e.) sagen? Das Hauptmotiv, das dieser Behauptung zugrunde liegt, ist
entweder die Vorstellung, dass Qualia, als die einzigen intrinsischen Entitäten, sich als einfach
präsentieren, oder es ist das Motiv, eine Reduktion unmöglich zu machen. Wenn p eine Entität sui
generis und intern einfach ist, dann gibt es keine Möglichkeit der Reduktion von p. Relationen sind
nicht einfach in diesem Sinn, sondern haben eine komplexe interne Struktur. Somit muss der
schwache moralische Realismus, da er die anti-reduktionistische Einstellung teilt, einen anderen
Weg finden, den Reduktionismus auszuschließen. Meiner Ansicht nach kann dies erreicht werden,
wenn wir Relationen als genuine Entitäten (im Sinne von Bradleys internen Relationen) ansehen,
welche nicht auf die Eigenschaften der Entitäten reduziert werden können, die Teil dieser Relation
sind. Wenn wir es vermeiden, die Ebene der kausalen Interaktion zwischen O und S, die vielleicht
mit O’s und S’s Eigenschaften erklärt werden kann, mit der evaluativen Relation zu verwechseln,
die zwischen O und S existiert, dann müssen wir Intrinsität nicht in Begriffen ontologischer
Einfachheit verstehen, sondern können Reduzierbarkeit auf andere Weise ausschließen.
34
Die Aussagen über intrinsisch negative Werte oder negative evaluative Eigenschaften können auf parallele Weise
formuliert werden.
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Literatur35
Quante, Michael (2000): „Manifest versus Scientific Worldview: Uniting the Perspectives“. In:
Epistemologia 23, S. 211-242.
Quante, Michael (2005): “Prinzipienlose Medizinethik?” In: Marcus Düwell & Josef N. Neumann
(Hrsg.): Wie viel Ethik verträgt die Medizin? Paderborn: Mentis, S. 73-85.
Quante, Michael (2006): „Ein stereoskopischer Blick?“ in: Dieter Sturma (Hrsg.): Philosophie und
Neurowissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 124-145.
Quante, Michael (2011): Einführung in die Allgemeine Ethik. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft (vierte Auflage).
Quante, Michael & Vieth, Andreas (2002): „In defence of principlism well understood“. In: Journal
of Medicine and Philosophy 27, S. 621-649.
Vieth, Andreas & Quante, Michael (2005): „Chimäre Mensch?“ In: Kurt Bayertz (Hrsg.): Die
menschliche Natur. Paderborn: Mentis, S. 192-218.
Vieth, Andreas & Quante, Michael (2010): „The structure of perception in particularist ethics“. In:
Ethical Perspectives 17, S. 5-39.
35
In dieser Version meines Beitrags sind nur einige meiner eigenen Arbeiten genannt, in denen Aspekte der in der
vorliegenden Argumentation berührten Fragen weiter behandelt werden. Der ausführlichere Bezug auf andere
philosophische Literatur steht noch aus.
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