Die Reizleitung des menschlichen Nervensystems

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Die Reizleitung des menschlichen Nervensystems
Aufbau des Nervensystems
Die Reizleitung erfolgt über ein Nervensystem, das aus etwa hundert Milliarden Nervenzellen
aufgebaut ist. Diese Zellen sind über den gesamten Körper (ungleichmäßig) verteilt und koordinieren
die Aktivitäten sämtlicher Organe und Systeme. Das Nervengewebe dient zum Aufbau nervöser
Zentren und peripherer Nerven, die die Aufgabe der Reizleitung von (efferent) und zu (afferent) diesen
Zentren übernehmen. Die generell hohe Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Impulse und der daraus
resultierende hohe Energieverbrauch haben einerseits den hohen Spezialisierungsgrad der Zellen und
andererseits die vornehmliche Eignung für kurzfristige Steuer- und Regelaufgaben zur Folge. Im
allgemeinen besteht das Nervensystem aus den Neuronen und filamentartigen Fortsätzen, den
Neuriten und Dendriten, die Impulse weiterleiten. Gestützt und versorgt wird dieses
Informationssystem von den relativ unbekannten Gliazellen.
Die Nervenzelle
Bereits die ungewöhnliche Form der Zelle läßt Aufschlüsse über die Besonderheit der Zelle zu. Da die
Reizleitung vor allem auf elektrischem Wege erfolgt, wird der innere Aufbau von dem Vorhandensein
von Mitochondrien geprägt, um die potentialgenerierenden Systeme mit ausreichender Energie zu
versorgen. Besagte Gliazellen versorgen in weiterer Folge die Zellen mit angemessen vielen
Nährstoffen. Die Hauptmerkmale der Nervenzelle sind die Existenz der Dendriten oder
Bäumchenfortsätze zur Aufnahme des Reizes und Verknüpfung mit vorhergehenden Nervenzellen, des
Neurits oder Axons zur Weiterleitung des Impulses an weitere Nervenzellen oder verarbeitende
Systeme und der Synapse zur Bildung einer interzellulären Verbindung zur Übermittlung des Reizes
an andere Nervenzellen.
Da Nervenzellen hochdifferenziert sind, ist eine Zellteilung und somit Vermehrung des Zellgewebes
nur im embryonalen Stadium möglich. Nach Abschluß der embryonalen Entwicklung sind somit
sämtliche Nerven vorhanden und eine Ersetzung abgestorbener Neuronen nicht mehr möglich.
! Der Zellkörper (Soma)
Dem Zentrum jedes Neurons, dem Zellkörper, kommen vornehmlich Versorgungsaufgaben zu. Der
grundlegende Aufbau entspricht selbstverständlich dem aller Körperzellen.
Der zumeist kugel- oder pyramidenförmige Zellkörper beinhaltet den großen, ein klar erkennbares
Kernkörperchen zeigenden, Zellkern. Im Zellplasma liegen die Nissl-Schollen (Tigroidsubstanz) und
Neurofibrillen. Die Tigroidsubstanz, die sich bis in die Dendritenhügel erstreckt, stellt eine Art des
endoplasmatischen Reticulums dar. Die Neurofibrillen sind kleinste impulsleitende Fäden, die die
Information im Inneren des Zellkörpers weiterleiten. Weiters finden sich eine große Anzahl von
Mitochondrien um die benötigte Energie bereitzustellen. Ferner sind auch Produktionsstellen für die
Synthese von Enzymen anzutreffen.
Eine wichtige Aufgabe kommt dem Zellkörper mit der Synthese von Membranproteinen zu:
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Die Dicke der Membran beträgt so wie die aller Zellen etwa fünf Nanometer. Sie ist aufgebaut aus
Molekülen, die je einen lipophilen (fettfreundlichen), also hydrophoben (wasserfeindlichen) und
hydrophilen (wasserfreundlichen), also lipophoben (fettfeindlichen) Teil besitzen. Sie lagern sich so
zusammen, daß die hydrophilen Enden zum Plasma und zum Äußeren der Zelle weisen, die
lipophilen Enden sich gegenseitig im Inneren der Membran berühren. Diese Membran ist von
besagten Proteinen durchbrochen oder versehen, die der Zelle so bestimmte Funktionen zuweisen
und erst überhaupt gewisse Prozesse ermöglichen. Sie werden in fünf Gruppen gemäß ihrer Aufgaben
eingeteilt:
I.
Pumpenproteine:
Mittels Energieverbrauch können sie den Durchgang von Ionen und anderen Molekülen
durch die Membran entgegen einem Konzentrationsgefälle ermöglichen.
II.
Kanalproteine:
Sie ermöglichen es Ionen und anderen Molekülen die sonst undurchlässige Membran einem
Konzentrationsgefälle gemäß zu passieren.
III.
Rezeptorproteine
reagieren mit Molekülen wie beispielsweise mit Hormonen oder Neurotransmittern, die sodann
Zellfunktionen beeinflussen oder aktivieren.
IV.
Enzyme
haben eine Katalysatorfunktion für chemische Reaktionen an oder in der Membran.
V.
Strukturproteine
verbinden Zellen zu einem Organ und erhalten die Feinstruktur der Zellmembran intakt.
Diese Proteine werden mittels Vesikel gelagert und bei Bedarf zu ihrem Bestimmungsort innerhalb der
Zelle gebracht.
Im eigentlichen Prozeß der Reizleitung kommt dem Zellkörper nur eine untergeordnete Rolle zu – er
stellt zwar die Verbindung zwischen den Empfängern, den Dendriten, und der Weiterleitung durch
das Axon dar, jedoch ist seine primäre Funktion in der Versorgung zu sehen.
! Die Bäumchenfortsätze (Dendriten)
Die Dendriten sind dünne, röhrenförmige Fortsätze, die sich vielfach verästeln. Sie stellen den Kontakt
zu Nachbarzellen her, übernehmen Impulse und leiten sie in Richtung des eigenen Zellkörpers weiter.
Eine einzige Nervenzellen kann einen einzigen Dendriten besitzen, meist jedoch sind es einige
Tausend. Gemäß der Anzahl ihrer Dendriten werden sie als unipolar, pyramidenförmig oder multipolar
bezeichnet. Dendriten stellen im allgemeinen die postsynaptische Membran dar: Sie sind mit den
Neuriten, den weiterleitenden Teilen anderer Nervenzellen, mit Synapsen verbunden. An dieser
Verbindung erfolgt die Weitergabe des Impulses meist nicht auf elektrischem sondern auf
chemischem Wege.
Die Bäumchenfortsätze dienen aber nicht nur der Weiterleitung von Impulsen sondern auch der
Registrierung eines Reizes. Sie befinden sich auf Rezeptoren, die mit Nervenzellen eng verwandt sind.
Diese Sinneszellen haben die Aufgabe, auf eine gewisse einwirkende Energieform mit deren
Umwandlung in elektrische Impulse und einer Verstärkung zu reagieren. Im allgemeinen fußt die
Rezeption eines Reizes auf einer Veränderung des Ruhepotentials, dem Ionengefälle zwischen Innen
und Außen der Zelle. Diese meist in Form einer Potentialverringerung auftretende Gradientenänderung
erfolgt durch einen Anstieg der Na+-Permeabilität der Membran. Die Umwandlung der Reizenergie in
das Rezeptorpotential (die Änderung der Ionengefälles) wird Transduktion, Transformation die
Umwandlung in ein für Nervenzellen weiterleitbares Aktionspotential genannt.
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! Die Nervenfaser (Axon, Neurit)
Das Axon ist das impulsweiterleitende Element der Nervenzelle. Es empfängt den Impuls über die
Dendriten und das Soma und überträgt ihn über seine beachtliche Länge an weitere Zellen.
Entsprechend dem empfangenden Gegenstück unterscheidet man axo-somatische, axo-axonische und
axo-dendritische Übermittlung. Diese Übertragungsstelle ist die Synapse. Durchschnittlich besitzt jede
Nervenzelle etwa tausend bis zehntausend dieser Verbindungsstellen. Der genaue Vorgang der
Impulsübertragung an der Synapse wird später behandelt.
Sollten Axone nicht auf eine andere Nervenzelle, sondern auf einen Muskel treffen, um dort Aktionen
einzuleiten, spricht man von einer motorischen Endplatte.
Jedes Neuron besitzt genau ein Axon, jedoch kann sich dieses in einiger Entfernung vom Zellkörper in
etliche Verzweigungen aufspalten. Diese Kollaterale genannten Endigungen ermöglichen eine
Impulsweitergabe in großem Umfang.
Aufgrund seiner Bestimmung für die Impulsleitung enthält das Axon keine Tigroidsubstanz, jedoch
Neurofibrillen. Ein weiterer Unterschied zu den Bäumchenfortsätzen besteht in seinen Ausmaßen: Es
ist um Vieles länger und etwas dünner. Das Axon, das aus dem Soma am Axonhügel entspringt, kann
eine Länge von bis zu einem Meter erreichen.
Ein bedeutender Bestandteil einiger Nervenzellen ist die Myelinscheide.
Das ist eine lipidhaltige Schicht, die von den umgebenden Schwannschen Scheidezellen um die
Längsachse des Axons aufgebaut wird. Die Scheidezellen sind eine spezielle Art der Gliazellen. Ihr
Zweck ist die Beschleunigung der Impulsleitung in den Axonen.
Axone, die einzeln von Schwannschen Zellen mit einer Myelinhülle umgeben sind, werden markhältig
genannt. Als marklos bezeichnet werden Nervenbahnen, deren Axone nur von einer Schicht
Schwannscher Zellen umgeben sind und deren Bündelung erst von einer Myelinscheide umgeben ist.
Markhaltige Fasern stellen den Großteil der Gehirn- und Rückenmarkssubstanz. Zumal sie eine
erhöhte optische Reflektivität aufweisen, wird diese Substanz auch als weiß bezeichnet. Marklose
Fasern hingegen erscheinen eher grau und sind im besonderen die postganglionären Fasern des
autonomen (vegetativen) Nervensystems.
Periphere Nervenfasern beiderlei Typs werden durch Bindegewebshüllen (Perineurum) zu dickeren
Kabeln gebunden. Diese wiederum formen größere Nerven, welche ebenso durch Bindegewebe
(Epineurium) zusammengehalten werden. Im Nerv befinden sich des weiteren Versorgungselemente,
zum Beispiel Blutgefäße. Das Epineurium schützt sämtliche beteiligten Nervenzellen vor
mechanischen Beschädigungen wie beispielsweise Überstreckung.
Die Myelinscheide des Axons wird periodisch (all 1-2 mm) von den Ranvierschen Schnürringen
unterbrochen. Sie stellen die Enden der Schwannschen Scheidezellen dar. Eine ihrer Funktionen ist die
Versorgung der Zellmembran mit Nährstoffen. Die Hauptaufgabe besteht jedoch darin, die Leitung
des elektrischen Impulses zu beschleunigen: Der Impuls pflanzt sich nicht kontinuierlich durch das
ganze Axon fort, sondern springt von Schnürring zu Schnürring. Da die lipoide Myelinschicht kaum
ionendurchlässig ist, ist in diesem Bereich eine Erregung des Potentials nahezu unmöglich. Daher
überspringt der Impuls diese Gebiete, was diesem Vorgang die Bezeichnung der saltatorischen
Erregungsleitung einbringt.
Marklose Fasern leiten Impulse mit einer Geschwindigkeit von 0,5 m/s bis 30m/s. Dickere Fasern
ermöglichen eine schnellere Leitung, jedoch ist dem eine praktische Grenze von einer Dicke von 1 mm
gesetzt, was 30 m/s entspricht. Daß die saltatorische Erregungsleitung eine große Rolle bei genauen
und raschen Koordinationsprozessen spielt, beweist die typische Geschwindigkeit von 120 m/s.
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Die Gliazellen
Die Stütz-, Schutz- und Ernährungsfunktion wird von den Gliazellen erfüllt. Das Verhältnis von
Nervenzellen zu Gliazellen beträgt etwa 1:50. Gliazellen können auch Heilungsprozesse beschädigter
Nerven durch Vernarbung begünstigen.
Der Raum zwischen den verletzlichen Neuronen wird von ihnen erfüllt, sodaß sie als direktes
Bindeglied zwischen Neuronen und Versorgungselementen fungieren.
Die Nervenzellen des menschlichen Gehirns verbrauchen pro Tag etwa 80 g Traubenzucker, was der
16fachen Menge des Blutzuckergehaltes unseres Blutes entspricht. Das macht eine effiziente
Nährstoffversorgung unabdingbar.
Die Kapillaren des Gehirns werden von Gliazellen umfaßt, die diese Nährstoffe direkt und
wohldosiert an die Neuronen abgeben. Dieser Mechanismus sieht folgendermaßen aus: Durch die
Durchblutung der Haargefäße des Gehirns nehmen die anliegenden Gliazellen Traubenzucker und
Glykogen aus dem Blut auf. Sobald sich ein gewisser Grad der Sättigung eingestellt hat, wird die
Blutzufuhr langsam durch die anschwellende Gliazelle unterbunden. Somit erhält die Gliazelle
weniger Nährstoffe, wird aber gleichzeitig von der aktiven Nervenzelle vorhandener Zucker- und
Glykogenmoleküle beraubt. Dadurch schwillt die Gliazelle wieder ab, erhöht die Blutversorgung und
reichert sich mit Nährstoffen an.
Eine weitere Art der Gliazellen ist die Schwannsche Scheidezelle:
Sie wickelt sich im Laufe der embryonalen Entwicklung um das Axon und baut die fettartige
Myelinhülle auf. Sie ermöglicht eine weitaus schnellere Leitung des Impulses.
Im allgemeinen läßt sich jedoch sagen, daß über die speziellen Funktionen der Gliazellen weniger
bekannt ist als über Nervenzellen.
Die Impulsleitung
Die Leitung vom Empfänger zum Zentrum wird von empfindungsleitenden (afferenten, zentripetalen,
sensiblen) Fasern durchgeführt. Die Leitung von Zentren zu ausführenden Organen wird von
bewegungsauslösenden (efferenten, zentrifugalen, motorischen) Fasern hergestellt.
Signale, die in Nervenfasern geleitet werden, sind elektrische Impulse. Zur Übermittlung an andere
Zellen, wie beispielsweise an den Synapsen, bedient sich das Nervensystem auch chemischer
Transmissionstechniken.
Das Ruhepotential
Das Vorhandensein des Ruhepotentials ist die Grundlage für eine rasche Impulsleitung. Es ermöglicht
die Leitung eines Impulses ohne eine unmittelbar auf den Reiz folgende Generierung eines
elektrischen Feldes; somit wird eine extrem rasche Reaktion auf den einwirkenden Reiz möglich. Das
Ruhepotential stellt sozusagen einen leicht anzapfbaren Energiespeicher dar.
Die Ausgangssituation ist sowohl im Inneren der Zelle als auch im Äußeren eine Flüssigkeit, in der
K+- und Na+-Ionen gelöst sind, wobei das Äußere etwa zehnmal so viele Na+-Ionen wie das Plasma
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enthält; das Konzentrationsgefälle der Kaliumionen ist umgekehrt und beträgt etwa 40:1. Um diesen
Gradienten zu erhalten, ist die Zellmembran mit sogenannten Pumpen durchsetzt, die Ionen durch die
Membran selektiv durchlassen.
Dieser Ionenflux erfolgt in fixierter Stöchiometrie, d. h. es werden gleichzeitig drei Natriumionen aus
der Zelle und zwei Kaliumionen in die Zelle transferiert. Ein stöchiometrisch fixierter Transport von
Ionen wird als Cotransport bezeichnet, im speziellen, dem gegengerichteten Transport gleichsinnig
geladener Ionen, als Antiport. Sollten bei diesem Vorgang Ionen in gleichem stöchiometrischem Anteil
bewegt werden, so würde er als elektroneutral bezeichnet werden. Im vorliegenden Fall jedoch wird
ein elektrischer Gradient erreicht, weswegen der Pumpvorgang rheogen genannt wird. Hier erfolgt der
Ionentransport weiters noch aktiv: Der Transportprozeß wird durch energieliefernde
Stoffwechselvorgänge ermöglicht. Die Kalium-Natrium-Pumpen sind Transport-ATPasen – Energie wird
aus der Hydrolyse von ATP zu ADP bezogen. Aktive rheogene Pumpen werden des weiteren auch als
elektrogen bezeichnet, da sie ein Transmembranpotential durch gekoppelten Flux generieren.
Die Kalium-Natrium-Pumpe, die eine relative Molekülmasse von 275000 aufweist, kann rund 100
Na+-Ionen und 130 K+-Ionen in der Sekunde transportieren. Eine kleine Nervenzelle erreicht, da sie
etwa eine Million dergestalter Pumpen aufweist, eine Transportleistung von bis zu 200 Millionen Na+Ionen pro Sekunde.
Nun ist aber die Permeabilität der Membran für die K+-Ionen, die ein recht starkes
Konzentrationsgefälle aufweisen, besonders hoch. Da zu jedem Kation aber auch ein entsprechendes
Anion gehört, das jedoch nicht die Zellmembran durchdringen kann, entsteht kontinuierlich ein
Anionenüberschuß in der Zelle. Ein elektrisches Feld entsteht, das bei Vorhandensein eines gewissen
Gradienten keinen weiteren Kationen-Ausstrom gestattet. Dieses Feld wird als Membranpotential
bezeichnet, welches im Ruhezustand etwa -70 mV beträgt.
Dieses im Inneren der Zelle stets vorhandene negative Ruhepotential ist der Ausgangspunkt für eine
sofort verfügbare Energie zu Weiterleitung des eingehenden Impulses.
Das Aktionspotential
Ein eingehender Reiz kann nun bewirken, daß das Membranpotential einen positiveren Wert als –50
mV erreicht. Ab dieser Spannung nämlich öffnen sich Kanäle in der Membran und eine plötzlicher
Ionenstrom gemäß dem vorhandenen Gefälle setzt ein.
Ändert sich an einer Nervenfaser zunächst örtlich begrenzt die Spannungsdifferenz auf besagte –50
mV, so aktivieren sich erst die Natriumkanäle ein Stück weiter in Richtung der vorgesehenen
Leitrichtung. Derartige Kanäle sind proteingesteuerte Passagen in der Membran, in denen freier
Durchlaß speziellen Molekülen gewährt wird. Daraufhin strömen in großem Umfang Na+-Ionen in
das Zellinnere, das somit positiv auf 30 mV geladen wird. Sogleich erfolgt die Schließung dieser
Kanäle, und andere Kanäle öffnen sich. Diese lassen nun K+-Ionen nach außen ausströmen. Der
Ausstrom von Kationen bewirkt somit eine neuerliche negative Ladung der Nervenzelle. Diese
Depolarisierung des Membranpotentials pflanzt sich äußerst schnell durch das ganze Axon fort.
Der Overshoot von –70 mV auf +30 mV erfolgt in etwa 0,5-1 ms; dem ebenso raschen Abfall folgt eine
Refraktärphase, in der die Nervenzelle noch nicht wieder erregbar ist. Sie gliedert sich in die absolute
Refraktärphase, in der keine weitere Leitung möglich ist, da die Zelle erst im Begriff ist, das
Ruhepotential zu regenerieren, und die relative, in der die Reizschwelle gehoben ist, d. h. ein stärkerer
Reiz einwirken muß, um eine Fortpflanzung einzuleiten. Die Refraktärphase verhindert somit auch
die Möglichkeit, daß der Impuls in der Nervenzelle rückwärts laufen könnte.
Eine weitere Einschränkung des Alles-oder-Nichts-Prinzips ist die Tatsache, daß auch unterschwellige
Reize ein Aktionspotential auslösen können, wenn mindestens zwei in einem Zeitraum von maximal
100 ms die Nervenzelle erregen. Dieses Phänomen wird als Summation der Reizwirkung bezeichnet.
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Das Rezeptorpotential, das durch den Reiz generiert wird, ist proportional zur physikalischen
Reizstärke. Das Aktionspotential hingegen weist stets die gleiche Amplitude auf. Je stärker der Reiz
ist, desto höher ist das Rezeptorpotential und desto öfter wird ein Aktionspotential ausgelöst. Die
ursprüngliche Information der Reizstärke ist nun als Frequenz (Aktionspotentiale/Zeiteinheit)
verschlüsselt. Wäre die Höhe des Aktionspotentials der Informationsträger (Amplitudenmodulation),
würde die Potentialhöhe bei langen Leitstrecken (beim Menschen bis zu 1 m Länge) viel leichter
verändert und die Information verfälscht. Daher ist die Frequenzmodulation ein sichereres
Übertragungsmittel. An der nächsten Synapse wird die frequenzmodulierte Information wieder
demoduliert. Je höher diese Frequenz, desto mehr Neurotransmitter werden freigesetzt.
In marklosen Fasern ist die Geschwindigkeit des Impulses proportional zur Quadratwurzel des
Durchmessers. Eine Vervierfachung des Querschnitts führt also zur Verdoppelung der
Impulsgeschwindigkeit. Die saltatorische Leitung jedoch ermöglicht eine weitaus schnellere Leitung
aufgrund der sprunghaften Fortpflanzungsart, wenn auch damit ein erhöhter Energieverbrauch
einhergeht.
Vorgänge an der Synapse
Die Übertragung von Impulsen von Zelle zu Zelle findet an speziellen Strukturen, den Synapsen, statt.
Neben elektrischen Synapsen, die Verbindungen durch Ionendiffusionen herstellen, sind auch und vor
allem die chemischen bekannt.
Grundsätzlich bestehen Synapsen aus dem präsynaptischen Element (zumeist ein Axon), dem
synaptischen Spalt, und dem postsynaptischen Element (meist ein Dendrit).
An den Synapsen erfolgt die Übertragung des Impulses meist auf chemischem Wege:
Der ankommende Impuls veranlaßt das synaptische Endknöpfchen, sogenannte Transmittermoleküle,
allen voran Acetylcholin und auch Noradrenalin, auszuschütten. Mit dem Eintreffen des
Aktionspotentials öffnen sich im synaptischen Knöpfchen durch die sofort stattfindende
Depolarisation Ca++-Kanäle. Die einströmenden Ionen veranlassen die Ausschüttung von
Neurotransmittern; die Ca++-Ionen werden sofort chemisch gebunden. Diese Stoffe befinden sich in
Vesikeln, mit deren Hilfe sie sowohl gespeichert, als auch rasch in den synaptischen Spalt entleert
werden können. Auf ein Zeichen hin bewegt sich die membranartige Hülle in Richtung des
synaptischen Spaltes. Dort verschmilzt die Hülle des Transportvesikels mit der Zellmembran und der
Inhalt ergießt sich in den synaptischen Spalt. Dieser Vorgang der Verschmelzung und Entleerung
nennt man Exozytose.
Die Neurotransmitter diffundieren in weniger als 100 µs durch den 0.2 nm breiten Spalt und reagieren
mit der postsynaptischen Membran.
Rezeptoren an der postsynaptischen Membran registrieren die ausgeschütteten Neurotransmitter und
öffnen Ionenkanäle. Diese komplexen Proteine werden deswegen neurotransmitter-kontrollierte
Ionenkanäle genannt, weil ihnen die Reaktion mit Neurotransmittern und das Vorhandensein von
Ionenkanälen gemein ist. Durch die Andockung des Transmittermoleküls ändert das Molekül seine
Konformation, wodurch die Kanalkomponente eine Passage des ausgewählten Ions ermöglicht. Das
Molekül des Acetylcholinrezeptors ist aus fünf weiter unterteilbaren Untereinheiten aufgebaut, von
denen zwei mit Acetylcholin besetzt werden müssen, um den Kanal zu öffnen.
Ein weiterer interessanter Aspekt des Moleküls ist seine offenbare Lernfähigkeit:
Das Molekül ist in der Lage, seine Konformation so abzuändern, daß es auf den Botenstoff
verschieden stark anspricht. Einerseits ist diese Fähigkeit ein Schutz vor Übererregung, andererseits
kann das Molekül wahrscheinlich die Signalübertragung an der Synapse steigern oder drosseln, was
einem Lernprozeß gleichkäme.
Das freigesetzte Acetylcholin bewirkt zumeist eine Öffnung des Ionenkanals für eine Dauer von etwa
1 ms. Der Inhalt eines präsynaptischen Transportvesikels öffnet ungefähr 2000 Kanäle; im Falle einer
motorischen Endplatte strömen je etwa zwanzigtausend Na+-Ionen in die Muskelzelle.
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Man unterscheidet ferner zwei Arten von chemischen Synapsen: Erregende und hemmende:
Wenn Kationen die Ionenkanäle passieren und eine positive Ladung im postsynaptischen Element
initiieren, handelt es sich um erregende Synapsen. Hier wird ein Aktionspotential durch die
Veränderung des Ruhepotentials in positiver Richtung erzeugt.
Hemmende Synapsen hingegen schleusen positive Ionen aus dem Zellinneren heraus oder bringen
negative Ionen ins Innere. Da das einer Initialisierung eines Aktionspotentials entgegenwirkt, ist hier
von hemmenden Synapsen die Rede.
Durch die eindeutige Unterscheidung von prä- und postsynaptischem Element läßt sich eine klare
Richtung der Impulsleitung bestimmen.
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Verwendete Literatur
AULICH Dieter – DECKERS Heinrich, Elektrophysiologisches Praktikum. Wiesbaden 1995.
CHANGEUX Jean-Pierre, Der Acetylcholin-Rezeptor. In: GOODY Roger S. (Hg.), Proteine. Beiträge aus
Spektrum der Wissenschaft. Heidelberg – Berlin – Oxford 1995.
FALLER Adolf,
GLASER Roland, Biophysik. 4., völlig überarb. Aufl. Jena – Stuttgart 1996.
MANDL Lothar, Organismus und Umwelt 2. Wien 1996.
ROTHMAN James E. – ORCI Lelio, Knospung von Transportvesikeln in Zellen. In: Spektrum der
Wissenschaft 5/1996. Heidelberg 1996.
STEVENS Charles F., Die Nervenzelle. In: Spektrum der Wissenschaft
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