TWINCORE Abteilung Experimentelle Virologie Leiter: Prof. Dr. Thomas Pietschmann Tel.: 0511 / 220027-130 • E-Mail: [email protected] • www.twincore.de Forschungsprofil Die Abteilung für Experimentelle Virologie besteht aus derzeit (Stand Dezember 2010) sechzehn Mitarbeitern, welche die Mechanismen der Vermehrung des Hepatitis C Virus (HCV) in Leberzellen untersuchen. Unser interdisziplinäres Team besteht aus Naturwissenschaftlern, Ärzten, darunter eine Gastwissenschaftlerin aus Heidelberg, sowie labortechnischen Mitarbeitern. Die Finanzierung der Forschungstätigkeit wird vorwiegend mit Hilfe von Drittmitteln gewährleistet. Doktorandinnen der Abteilung sind in die regionalen Graduiertenschulen der Hannover Biomedical Research School (HBRS) oder dem Strucmed-Programm integriert. Die Mitarbeiter tragen aktiv zur Graduiertenausbildung in den entsprechenden Programmen bei. Das Ziel unserer Arbeit ist die Erforschung der molekularen Mechanismen der Vermehrung des HCV in Leberzellen. Auf diesem Weg wollen wir neue Therapieziele zur Behandlung einer chronischen HCV Infektion identifizieren. Gemeinsam mit unseren Partnern an der Medizinischen Hochschule Hannover und dem Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sowie industriellen Kooperationspartnern suchen wir nach Wirkstoffen, welche Interaktionen des Virus mit Wirtszellfaktoren stören. Diese Untersuchungen erstrecken sich auch auf die Analyse der zugrundeliegenden Wirkmechanismen der jeweiligen Substanzen. Einen neuen Schwerpunkt bilden Untersuchungen zu den Übertragungswegen der HCV Infektion. Durch die Untersuchung der Stabilität des Virus gegenüber verschiedenen Umwelteinflüssen sowie gegenüber Desinfektionsmitteln versuchen wir Übertragungsrisiken besser einzuschätzen und Hygienemaßnahmen zu definieren, die eine Ansteckung verhindern. Forschungsprojekte Stabilität und Inaktivierung des Hepatitis C Virus Die Hepatitis-C-Virus (HCV) Infektion ist mit weltweit etwa 130 Millionen Virusträgern eine der meist verbreiteten Infektionskrankheiten. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes leben in Deutschland etwa eine halbe Million Virusträger. In den USA und Europa sind schätzungsweise eineinhalb Prozent der Bevölkerung infiziert, in Ägypten und Zentralafrika ist die Inzidenz mit bis zu 20 Prozent deutlich höher. Das Virus ist hochvariabel und kann so dem Immunsystem immer wieder ausweichen. Anhand von Sequenzanalysen werden die Viren in sieben Genotypen eingeteilt, die mehr als 30% voneinander abweichen und unterschiedlich gut auf Medikamente ansprechen. Die Übertragung der Hepatitis C erfolgt durch direkten Blut-Blut-Kontakt: Vor 1990 waren vorwiegend Bluttransfusionen ein Problem, inzwischen spielt die Transmission durch Blutprodukte zumindest in Deutschland aufgrund hochsensibler Tests keine Rolle mehr. Risikofaktoren sind heutzutage der unsterile Umgang mit Injektionsutensilien in nichtindustrialisierten Ländern sowie i. v. Drogenkonsum in industrialisierten Ländern. Auch bei Tätowierungen, Piercings, Akupunktur und bei medizinischen Eingriffen kann die Verwendung von unzureichend sterilisiertem Besteck zur Virusübertragung führen. Eher selten sind HCV-Infektionen auf Sexualverkehr mit Hepatitis-C-positiven Geschlechtspartnern zurückzuführen. Die Übertragung der Infektion von einer HCV-positiven Mutter auf das Kind vor oder während der Geburt kommt in bis zu vier Prozent der Fälle vor. Bei etwa einem Drittel der HCV-Patienten ist jedoch nicht mehr nachvollziehbar, wie das Virus übertragen wurde. 596 Forschungsbericht 2010 TWINCORE Ein wichtiger Aspekt im Spannungsfeld HCV ist die Prävention, denn der Übertragungsweg von Blut zu Blut sollte mit geeigneten Hygienemaßnahmen beherrschbar sein. Besonders Übertragungen im Krankenhausumfeld und die Stabilität und Sensitivität von HCV gegenüber chemischen Desinfektionsmitteln stehen im Fokus unserer Arbeiten. Bisherige Untersuchungen und Erfahrungen beruhen aufgrund fehlender HCV in vitro Modelle fast ausschließlich auf Studien mit dem bovinen Diarrhö Virus (BVDV), das ein Verwandter des HCV ist und bereits seit geraumer Zeit kultiviert werden kann. Allerdings erlauben diese Studien mit dem Surrogatvirus für HCV nur bedingt zuverlässige Einschätzung über die Infektiosität des HCV. Mithilfe eines von uns entwickelten HCV Infektionsmodells konnten wir zeigen, dass HCV bei Raumtemperatur nach 28 Tagen und bei 4°C sogar nach 150 Tagen noch infektiös ist. Da HCV in vivo mit humanem Serum assoziiert ist, wurde der Einfluss von menschlichem Serum gesunder Patienten auf die Stabilität von HCV analysiert. Allerdings hatte die Anwesenheit von Serum keinen Einfluss auf die HCV Überlebensdauer. Auch die Inkubation von HCV auf verschiedenen Oberflächen wie Plastik, Stahl und Handschuhen zeigte eine vergleichbare Überlebensdauer des Virus (Abbildung 1). Abb. 1: Einfluss von Serum und unterschiedlichen Oberflächen auf die Stabilität von HCV. (A) Luc-Jc1 Viren wurden für mehrere Wochen in Anwesenheit von Serum oder Medium bei Raumtemperatur inkubiert. Anschließend wurden naive human hepatoma Zellen (Huh7.5) für 4 h infiziert und nach 48 h die Infektiösität mittels eines Reporters detektiert. (B) Die Stabilität von Luc-Jc1 Viren wurde für mehrere Wochen auf Plastik, Stahl oder Handschuhen als Oberflächen getestet. Die Infektiösität wurde mittels eines Reporter-Test nachgewiesen. Limitierender Faktor dieser Studie ist, dass es bisher unbekannt ist, ob Zellkulturviren und natürlich vorkommende Viren wirklich genau die gleichen Eigenschaften besitzen. Allerdings stellen sie derzeit nach heutigem Stand der Forschung das beste Modell dar, weil in vivo Studien mit Schimpansen aus ethischen Gründen aber auch aus Kostengründen sehr umstritten sind. Überraschenderweise konnte in dieser Studie auch nachgewiesen werden, dass die Detektion von HCV RNA nicht mit der viralen Infektiosität von HCV korreliert (Abbildung 2). Forschungsbericht 2010 597 TWINCORE Abb. 2: Vergleich von HCV Infektiösität mit viralen RNA-Kopien. (A) Jc1 Viren wurden bis zu 35 Tagen bei Raumtemperatur inkubiert und anschließend wurde die Infektiösität mit einem Verdünnungsverfahrens bestimmt. (B) Die HCV RNA der angegebenen Proben wurde isoliert und per RT-PCR quantifiziert. (C) Die isolierte RNA der Tage 0 und 21 wurde verwendet, um Huh7.5 Zellen mittels Elektroporation zu transfizieren. Nach 48 h wurden die Zellen fixiert und das virale NS5A Protein mit Immunofluoreszenz nachgewiesen. Verschiedene veröffentlichte Studien basieren jedoch auf dem Nachweis von HCV-RNA durch eine PCR. Das Wissen über die fehlende Korrelation zwischen der Detektion von HCV RNA und der Infektiosität muss bei der Interpretation solcher Studien deshalb beachtet werden. Des Weiteren wurden zur Untersuchung der HCV-Inaktivierung unterschiedliche Alkohole und sieben kommerzielle Desinfektionsmittel auf ihre viruziden Eigenschaften getestet. Dabei konnten wir zeigen, dass bestimmte Desinfektionsmittel nur in unverdünnter Anwendung zu einer vollständigen Virus-Inaktivierung führten. Zusammenfassend sind diese Daten für den klinischen Alltag und den sicheren Umgang mit HCV positivem Material von großer Relevanz. Derzeit arbeiten wir an weiteren Studien, die sich mit der Stabilität von HCV in Körperflüssigkeiten wie Muttermilch oder Sperma beschäftigen, da auch diese potenziell viruzide Substanzen oder Viren enthalten könnten. Außerdem ist geplant, durch spezielle Carrierversuche das Verhalten und die Stabilität von HCV nach Antrocknung auf verschiedenen Oberflächen zu untersuchen. 598 Forschungsbericht 2010 TWINCORE Projektleitung: Ciesek, Sandra (PD Dr. med.); Steinmann, Eike (Dr. rer. nat), Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Manns, Michael (Prof. Dr. med.), Klinik für Gastroenterologie, Wedemeyer, Heiner (Prof. Dr. med.), Klinik für Gastroenterologie; Förderung: MHH, Helmholtz Gemeinschaft, BMBF, DFG Weitere Forschungsprojekte Humoral and cellular immunotherapy of HCV and HCV-related HCC Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Bruder, Dunja (Dr. rer. nat), Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig; Förderung: Allianz Immuntherapie von Krebserkrankungen, ein Instrument des Impuls- und Vernetzungsfonds der Helmholtz-Gemeinschaft, HA-202 Hepatitis C Virus - Human Immunodeficiency Virus Coinfection: Immune Mechanisms, Viral Interactions and Pathogenesis Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Frank, Ronald (Dr. rer. nat.), Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung; Förderung: Indo German Science Centre (IG SCID) der Helmholtz Gemeinschaft, TWIN-Pro-3 Role of the hypervariable regions of the hepatitis C virus for immune recognition and viral fitness Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Sällberg, Matti, (DDS, PhD), Division of Clinical Microbiology, Karolinska Institutet at Karolinska University Hospital Huddinge, Stockholm, Schweden, Wedemeyer, Heiner (Prof. Dr. med.), Klinik für Gastroenterologie; Förderung: IRTG1273: Strategies of human pathogens to establish acute and chronic infections, DFG Molecular interactions in the course of hepatitis C virus assembly Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Förderung: Zentrum für Infektionsbiologie Characterization of virus-host interactions crucial for hepatitis C virus replication Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Förderung: Impuls- und Vernetzungsfonds der HelmholtzGemeinschaft, SO-024 Untersuchungen zur Morphogenese des Hepatitis C Virus Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Penin, Francois, Institut et Chimie des Proteines, UMR 5086 CNRS; Förderung: DFG PI734/1-1 Bedeutung der Hepatitis-C-Virus Hüllproteine für die Assemblierung und Freisetzung infektiöser Viren Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.), Steinmann, Eike (Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Wedemeyer, Heiner (Prof. Dr. med.), Klinik für Gastroenterologie; Sarrazin, Christoph (Prof. Dr. med.), Universitätsklinik Frankfurt; Förderung: DFG PI734/2-1 Interaktion des Hepatitis-C-Virus mit Lipoproteinen und deren Rolle für die Infektion und Viruspersistenz Projektleitung: Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.); Kooperationspartner: Manns, Michael (Prof. Dr. med.) Klinik für Gastroenterologie; Wedemeyer, Heiner (Prof. Dr. med.) Klinik für Gastroenterologie; Cornberg, Marcus (PD. Dr. med.) Klinik für Gastroenterologie; Woelk, Benno (Dr. med.) Institut für Virologie; Förderung: SFB 900 Teilprojekt A6, DFG Originalpublikationen Bankwitz D, Steinmann E, Bitzegeio J, Ciesek S, Friesland M, Herrmann E, Zeisel MB, Baumert TF, Keck ZY, Foung SK, Pecheur EI, Pietschmann T. Hepatitis C virus hypervariable region 1 modulates Forschungsbericht 2010 receptor interactions, conceals the CD81 binding site, and protects conserved neutralizing epitopes. J Virol 2010;84(11):5751-5763 599 TWINCORE Bitzegeio J, Bankwitz D, Hueging K, Haid S, Brohm C, Zeisel MB, Herrmann E, Iken M, Ott M, Baumert TF, Pietschmann T. Adaptation of hepatitis C virus to mouse CD81 permits infection of mouse cells in the absence of human entry factors. PLoS Pathog 2010;6:e1000978 Bürgel B, Friesland M, Koch A, Manns MP, Wedemeyer H, Weissenborn K, Schulz-Schaeffer WJ, Pietschmann T, Steinmann E, Ciesek S. Hepatitis C virus enters human peripheral neuroblastoma cells - evidence for extra-hepatic cells sustaining hepatitis C virus penetration. J Viral Hepat 2010;DOI: 10.1111/j.1365-2893.2010.01339.x Ciesek S, Friesland M, Steinmann J, Becker B, Wedemeyer H, Manns MP, Steinmann J, Pietschmann T, Steinmann E. How stable is the hepatitis C virus (HCV)? Environmental stability of HCV and its susceptibility to chemical biocides. J Infect Dis 2010;201(12):1859-1866 Ciesek S, Steinmann E, Iken M, Ott M, Helfritz FA, Wappler I, Manns MP, Wedemeyer H, Pietschmann T. Glucocorticosteroids Increase Cell Entry by Hepatitis C Virus. Gastroenterology 2010;138(5):1875-1884 Lemon SM, McKeating JA, Pietschmann T, Frick DN, Glenn JS, Tellinghuisen TL, Symons J, Furman PA. Development of novel therapies for hepatitis C. Antiviral Res 2010;86(1):79-92 Montserret R, Saint N, Vanbelle C, Salvay AG, Simorre JP, Ebel C, Sapay N, Renisio JG, Bockmann A, Steinmann E, Pietschmann T, Dubuisson J, Chipot C, Penin F. NMR structure and ion channel activity of the p7 protein from hepatitis C virus. J Biol Chem 2010;285(41):31446-31461 Stegmann KA, Björkstrom NK, Veber H, Ciesek S, Riese P, Wiegand J, Hadem J, Suneetha PV, Jaroszewicz J, Wang C, Schlaphoff V, Fytili P, Cornberg M, Manns MP, Geffers R, Pietschmann T, Guzman CA, Ljunggren HG, Wedemeyer H. Interferon-Alfa-Induced Tumor Necrosis Factor-Related Apoptosis-Inducing Ligand on Natural Killer Cells Is Associated With Control of Hepatitis C Virus Infection. Gastroenterology 2010;138(5):1885-1897 identification of an entry inhibitor. Brohm, Christiane: Molecular interactions in the course of hepatitis C Virus morphogenesis. Heyden, Julia: Einfluss von Muttermilch und Samenflüssigkeit auf die Hepatitis-C-Virus Stabilität und -Infektiosität. Bürgel, Bernadette: Charakterisierung des Hepatitis-C-VirusEintritts und der RNA-Replikation in neuronalen und anderen extrahepatischen Zellen. Master Dörrbecker, Juliane: Characterization of determinants important for glycoprotein function inHCV morphogenesis. Wissenschaftspreise Steinmann, Eike: Forschung zur Stabilität des Hepatitis-C-Virus Wissenschaftspreis “Klinische Virologie 2010“. Ciesek, Sandra: Glucocorticosteroids Increase Cell Entry by Hepatitis C Virus Martin Gülzow Preis. Brohm, Christiane: Helmholtz International Research School for Infection Biology Promotionspreis. Haid, Sibylle: Promotionspreis der MHH. Weitere Tätigkeiten in der Forschung Pietschmann, Thomas (Prof. Dr. rer. nat.): Editorial Board Mitglied von Journal of Virology und Journal of Hepatology; Gutachter für DFG und für die Agence d’évaluation de la recherche et de l’enseignement supérieur AERES (Frankreich); Gutachter für Fachjournale wie Nature, PLoS Pathogens, Gastroenterology, Journal of Virology, Journal of Hepatology. Übersichtsarbeiten von Hahn T, Steinmann E, Ciesek S, Pietschmann T. Know your enemy: translating insights about the molecular biology of hepatitis C virus into novel therapeutic approaches. Expert Rev Gastroenterol Hepatol 2010;4(1):63-79 Abstracts 2010 wurden 10 Abstracts publiziert. Habilitationen Ciesek, Sandra: Die Hepatitis-C-Virusinfektion nach Lebertransplantation - Untersuchungen zur virologisch optimalen Immunsuppression. Promotionen Bitzegeio, Julia: The Species Specificity of CD81 Receptor Usage by Hepatitis C Virus. Haid, Sibylle: Mechanisms of Hepatitis C Virus Entry: Speciesspecificity of receptor usage, requiremenrs for membrane fusion and 600 Forschungsbericht 2010