M E D I Z I N Das Noonan-Syndrom Gregor Schlüter1, Malte Rossius1, Armin Wessel2, Barbara Zoll1 Zusammenfassung Das Noonan-Syndrom ist ein Dysmorphie-Syndrom, das durch eine charakteristische „Noonan-Facies“ mit Hypertelorismus, Ptosis, großen und tief sitzenden Ohren, Pulmonalstenose und Kleinwuchs auffällt. Die Symptomatik zeigt eine außergewöhnliche Variabilität, die Inzidenz beträgt circa 1 : 1 000 Geburten. Das Syndrom betrifft beide Geschlechter gleich häufig. Es ist nach dem Down-Syndrom die zweithäufigste genetische Ursache für Fehlbildungen des Herzens. Aufgrund der phänotypischen Ähnlichkeit zum Turner-Syndrom wurde das Noonan-Syndrom auch als „Male-TurnerSyndrom“ bezeichnet, wobei die Chromosomen beim Noonan-Syndrom aber unauffällig sind. Bei circa 40 bis 50 Prozent aller NoonanPatienten liegen Mutationen im PTPN11-Gen vor. Das Genprodukt, das SHP-2-Protein, ist eine nicht membranständige Rezeptor-Phospho- J aqueline Noonan und Dorothy Ehmke beschrieben 1963 (18) neun Patienten, die durch die Kombination von valvulärer Pulmonalstenose, Kleinwuchs, Hypertelorismus, leichter geistiger Behinderung, Ptosis und Kryptorchismus auffielen. Da einerseits die Ähnlichkeit zum Turner-Syndrom (45,X-Syndrom) augenscheinlich war, andererseits keine Chromosomenanomalie bei diesen Patienten vorlag und zunächst überwiegend männliche Patienten beschrieben wurden, schien der Begriff des „Male-Turner-Syndroms“ passend. Hieraus entstand dann aber die paradoxe Situation, dass es weibliche Patienten mit einem „MaleTurner-Syndrom“ gab. Daher schlugen Smith et al. (23) die heute allgemein akzeptierte Bezeichnung „Noonan-Syndrom“ (NS) vor. Klinik In Ermangelung von biochemischen oder genetischen Markern war die Diagnose des Noonan-Syndroms bislang eine rein klinische Diagnose. Die Symptomatik ist außerordentlich variabel und die Diagnose daher oft unsicher. A 1192 tyrosin-Phosphorylase, die eine zentrale Regulatorfunktion in fast allen Signaltransduktionswegen von Wachstumsfaktoren ausübt. Diese neue Möglichkeit der DNA-Diagnostik wird helfen, die häufige und unsichere Differenzialdiagnose „Noonan-Syndrom“ definitiv zu sichern oder auszuschließen und so Betroffene, Angehörige und Ärzte aus einer diagnostischen Unsicherheit befreien. Summary that are set low and rotated posteriorly, stenosis of the pulmonal valve and short stature. Symptoms are highly variable. The incidence is about one in 1000 life births with no apparent gender preference. Due to a considerable overlap of symptoms, this condition has initially been called “Male-Turner-Syndrome“, however in Noonan-Syndrome chromosomes are normal. In 40 to 50 per cent of all Noonan patients mutations in the PTPN11-gene can be found. The PTPN11-gene product is SHP-2, a nonreceptor-phosphotyrosine-phosphorylase that possesses a central regulatory function in many signal transduction pathways. The novel diagnostic option will in many cases be a relief for patients, relatives and doctors in a situation of diagnostic uncertainty. The Noonan-Syndrome Noonan-Syndrome is a dysmorphic syndrome, which typically consists of a characteristic “Noonan-Face“ with hypertelorism, ptosis, ears Key words: Noonan-Syndrome, PTPN11, SHP-2, gene mutation, pulmonary stenosis, growth retardation Schlüsselwörter: Noonan-Syndrom, PTPN11, SHP-2, Genmutation, Pulmonalstenose, Kleinwuchs Entsprechend variiert die Einschätzung der Inzidenz des NS von 1 : 100 bis 1 : 2 500 (17) (siehe auch OMIM-Datenbank). Die Tabelle gibt für die relativ konstant auftretenden Symptome Prozentzahlen, die Übersichtsartikeln entnommen wurden. Der faziale Aspekt mit Hypertelorismus, Ptose und großen, tief angesetzten Ohren ist sehr charakteristisch und oft diagnostisch wegweisend (Abbildung 1a–d). Die Ähnlichkeit zum Turner-Syndrom entsteht aus dem Pterygium colli, dem tiefen Haaransatz und dem Kleinwuchs, der allerdings bei den NS-Patienten deutlich weniger ausgeprägt ist als bei den Turner-Frauen (einen echten Kleinwuchs mit Körpergrößen unterhalb der dritten Perzentile zeigen weniger als die Hälfte der NS-Patienten, aber 95 Prozent der Patienten liegen unter der 25 Prozent Perzentile [29]). Ganz ähnlich wie beim Turner- oder beim Down-Syndrom sieht man bei Säuglingen mit NS den so genannten „webbed 1 Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. med. Wolfgang Engel) der Universität Göttingen 2 Abteilung für Kinderheilkunde, Pädiatrische Kardiologie und pädiatrische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Armin Wessel) der Medizinischen Hochschule, Hannover neck“, eine auffällig lose Nackenhaut (Abbildung 1e). Sehr häufig und für die klinische Situation der Patienten entscheidend sind Herzfehlbildungen, wobei valvuläre Pulmonalstenosen (Abbildung 1f) und die hypertrophische-(obstruktive)-Kardiomyopathie (HOCM) zahlenmäßig dominieren (Tabelle). Ebenfalls charakteristisch sind Sternumdeformitäten wie Kiel- und Trichterbrust. Wie auch beim Turner-Syndrom werden beim Noonan-Syndrom gehäuft Nierenfehlbildungen beobachtet. Dies können einseitige Nierenagenesien, Lageanomalien oder strukturelle Anomalien sein. Bei männlichen Noonan-Patienten besteht häufig ein bilateraler Kryptorchismus. Eine mentale Retardierung wird bei ungefähr einem Drittel der Noonan-Patienten festgestellt. Diese ist meist leichtgradig. Genetik Die meisten Fälle des Noonan-Syndroms treten sporadisch auf, das heißt es gibt keine Hinweise auf Symptome bei einem der Eltern. Wenn eine familiäre Häufung des Noonan-Syndroms beobachtet wird, liegt meist ein autoso Jg. 100 Heft 18 2. Mai 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N mal dominantes Vererbungsmuster vor. Aufgrund der großen Variabilität der Symptomatik ist nicht auszuschließen, dass bei sporadischen Fällen ein Elternteil mit Mikrosymptomen unerkannt Träger des Noonan-Syndroms ist. Einige wenige gut dokumentierte Stammbäume weisen auf einen rezessiven Erbgang hin (11, 27). Andere Interpretationen, wie zum Beispiel, dass dem Noonan-Syndrom ein X-chromosomal rezessiver Erbgang zugrunde liegt, finden in der Literatur keine Bestätigung. Der häufig beschriebene matrilinear imponierende Vererbungsmodus erklärt sich aus der Tatsache, dass männliche Noonan-Patienten (bei bestehendem Kryptorchismus) infertil sind. In großen holländischen und belgischen Noonan-Familien mit dominanter Vererbung wurde durch Kopplungsanalysen ein Locus für ein NS verursachendes Gen auf Chromosom 12 identifiziert und weiter auf 12q24 eingegrenzt (7, 12). Im November 2001 wurde schließlich von Tartaglia et al. (24, 25) gezeigt, dass Mutationen im PTPN11Gen bei circa 40 bis 50 Prozent der Patienten mit Noonan-Syndrom zu finden sind. Nach der Literatur und eigenen Daten (Stand: Oktober 2002) haben sich 27 verschiedene Mutationen bei mehr als 100 nicht verwandten IndexFällen nachweisen lassen (5, 10, 13, 16, 24, 25 und Befunde der Autoren). Es zeichnen sich zwei Mutations-Hotspots ab. Dies sind Exon 3 (vor allem in den Codons 60–63) und Exon 8 (Codon 308). Allein die Mutation Asn308Asp macht circa 20 Prozent aller gefunden Mutationen aus. Die Mutationen in Exon 3 und 8 stellen zusammen circa 70 Prozent aller bekannten Mutationen (Grafik 1). Die ersten veröffentlichten Mutationsdaten scheinen darauf hinzuweisen, dass PTPN11-Mutationen in einer spezifischen Subgruppe von NoonanPatienten zu finden sind (24). Es zeichnet sich bei diesen Patienten eine insgesamt höhere Prävalenz der Pulmonalstenosen und ein weniger häufiges Vorkommen der HOCM ab. Da einerseits in einigen Familien mit dominanter Vererbung des NoonanSyndroms keine PTPN11-Mutationen gefunden wurden und andererseits in einigen Familien ein rezessiver Erbgang Jg. 100 Heft 18 2. Mai 2003 Deutsches Ärzteblatt angenommen werden muss (27), ist es wahrscheinlich, dass noch mindestens zwei weitere Loci existieren, also eine genetische Heterogenität für das Noonan-Syndrom angenommen werden muss. Trotzdem ist die Identifikation des PTPN11-Gens als eines der „Noonan-Gene“ ein wesentlicher Schritt zur Aufklärung dieser Erkrankung und ermöglicht für einen Teil der Patienten eine Sicherung der Diagnose Das PTPN11-Gen Das beim Noonan-Syndrom mutierte PTPN11-Gen erstreckt sich über 56 Kilobasen (Kb) und umfasst 15 Exons, von denen eine circa 2,3 Kb lange mRNA synthetisiert wird. Das Genprodukt des PTPN11-Gens ist das 524 Aminosäuren lange SHP-2-Protein (alias PTP-2C, PTP-1D, SH-PTP3, SHPTP2), das in der Entwicklungs- und Zellbiologie schon länger als wichtiger Regulator der Signaltransduktion von Wachstumsfaktoren bekannt ist (6). ´ Tabelle 1 SHP-2-Knockout-Mäuse sterben im Embryonalstadium (Tag 11–12 post conceptionem) und weisen Störungen vor allem der mesenchymalen Strukturen auf (2). Das SHP-2-Protein besteht aus zwei SH2-Domänen und einer enzymatisch aktiven Phosphorylase-Domäne. Die SH2-Domänen binden an Phosphotyrosingruppen anderer Proteine. Durch diese Bindung wird SHP-2 selbst aktiviert und dephosphoryliert daraufhin andere, distal in der Signalkaskade liegende Faktoren, wie zum Beispiel MAP-Kinasen und STAT-Proteine (Grafik 2). Je nach Zell- oder Gewebetyp modifizieren andere SHP-2 bindende Proteine (zum Beispiel Gab1 und 2) die Aktivität von SHP-2. SHP-2 kann daher in unterschiedlichen Geweben ganz unterschiedliche Wirkungen ausüben. So ist SHP-2 für die Proliferation von embryonalen Stammzellen notwendig, in hämatopoetischen Zellen wirkt es aber proliferationshemmend. Allgemein scheint SHP-2 eher die Migration, Proliferation und ´ Häufigkeiten von Symptomen beim Noonan-Syndrom*1 Organsystem Symptome % Herzfehler Allgemein 50–90 Pulmonalstenose 30–60 hypertrophische-(obstruktive-)Kardiomyopathie (HOCM) 10–30 Sonstige: Ventrikelseptumdefekt (VSD), Atriumseptumdefekt (ASD), Fallot´sche Tetralogie, Aortenstenose Augenanomalien Allgemein Hypertelorismus Sonstige: Ptosis, antimongoloide Lidachse, Epikanthus, Strabismus, Myopie 72–95 40–95 Ohrdysplasien tiefsitzend, groß, nach hinten rotiert 44–73 Hals kurz, Flügelhals, tiefer Haaransatz, webbed neck 62–95 Minderwuchs 50–85 Kryptorchismus 50–75 Sternumdeformation 30–70 Gedeihstörungen 50–80 Mentale Retardierung 30–40 Weitere mögliche Symptome: Aszites, Café-au-lait-Flecke, Neurofibrome, multiple Naevi, weiter Mamillenabstand, hypoplastische, invertierte Mamillen, Hypospadie, Hörstörungen, hoher Gaumen, Mikrognathie, Dysplasien des Lymphsystems (Chylothorax), Skoliose, Spina bifida occulta, Cubitus valgus, Nierenanomalien, Gerinnungsstörungen (Thrombozytopenien, isolierte oder kombinierte Defizienz an Faktor VIII, XI oder XII). *1 Die Prozentangaben sind verschiedenen Review-Arbeiten (1, 17, 20, 28) sowie der London Dysmorphology Database (28) entnommen. A 1193 M E D I Z I N Differenzierung von Zellen zu fördern. Dagegen werden Prozesse wie T-ZellAktivierung und Zelladhäsion (auch Thrombozytenaggregation) supprimiert. SHP-2 liegt also im Zentrum der Regulation fast aller wesentlichen Wachstums- und Differenzierungsprozesse. Diese Eigenschaft erklärt die vielfältige Symptomatik beim NoonanSyndrom. Verwandte Syndrome Neben der bereits beschriebenen Ähnlichkeit des Noonan-Syndroms mit dem Tuner-Syndrom weist dies Überschneidungen mit einigen seltenen Syndromen auf, die nicht immer sicher vom Noonan-Syndrom abzugrenzen sind. Das Cardio-Faciale-Cutane-Syndrom (CFC) zeichnet sich durch ähnliche dysmorphe Stigmata wie das Noonan-Syndrom aus. Hinzu kommen ektodermale Auffälligkeiten (trockene Haut, Alopezie, hyperkeratotische Läsionen), Krampfleiden und regelmäßig a f (li) b c eine mentale Retardierung. Diese ist schwerwiegender als beim NoonanSyndrom (27). Bislang konnten in CFC-Patienten keine Mutationen im PTPN11-Gen nachgewiesen werden. Die Kombination aus Noonan-Syndrom und Neurofibromatose (NF), auch als NF-NS-Syndrom bezeichnet, wird von vielen Autoren als eigenständiges Syndrom (Watson-Syndrom, OMIM #193520) oder als besondere Manifestation des Noonan-Syndroms angesehen. Hier ist zu bedenken, dass sowohl das Noonan-Syndrom als auch die Neurofibrotmatose häufige Erkrankungen sind und eine gewisse Zahl von zweifach betroffenen Personen zu erwarten ist. In mehreren Arbeiten konnten Neurofibromatose-Mutationen in NF-NS-Familien beschrieben werden, durch die Analyse polymorpher Marker wurde jedoch eine Kopplung mit dem Noonan-Phänotyp ausgeschlossen (3, 21). Von 2 322 Neurofibromatose-Patienten der amerikanischen National Neurofibromatosis Foundation International Database (1991 bis 1998) wei- d sen nur vier ein Noonan-Syndrom auf (14). Diese Daten lassen eher ein zufälliges Zusammentreffen beider Erkrankungen annehmen. Ob daneben ein eigenständiges NS-NF-Syndrom existiert, muss zurzeit offen bleiben. Patienten mit Leopard-Syndrom (lentigenes, electrocardiografic conduction abnormalities, ocular hypertelorism, pulmonary stenosis, abormal genitalia, retardation of growth, sensorineural deafness, OMIM #151100) zeigen, wie die Auflösung des Akronyms ausweist, die typischen Symptome des Noonan-Syndroms. Hinzu kommen Lentigines und AV-Überleitungsstörungen. Hier konnte vor kurzem nachgewiesen werden, dass das Leopard-Syndrom ebenfalls durch Mutationen im PTPN11-Gen verursacht wird (5, 13). Die Autoren wiesen bei Patienten mit Leopard-Syndrom spezifische Mutationen im PTPN11-Gen nach, die bislang bei keinem Noonan-Patienten gefunden wurden. Das Leopard-Syndrom scheint also allelisch zum Noonan-Syndrom zu sein. e f (re) Abbildung 1: Klinische Zeichen des Noonan-Syndroms: a, b) Typische Noonan-Facies (Abbildung aus Wiedemann und Kunze: Atlas der klinischen Syndrome. 5. Auflage. Schattauer Verlag 2001, mit freundlicher Genehmigung des Verlages). c) 6-jähriger Junge mit Pectus Excavatus, d) Mutter von c, ebenfalls Mutationsträgerin; e) „webbed neck“, circa eine Woche postnatal, f) Echokardiographische Darstellung einer Pulmonalstenose mit dysplastischer Pulmonalisklappe, links: Diastole, rechts: Systole. A 1194 Jg. 100 Heft 18 2. Mai 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N Grafik 1 Struktur des PTPN11-Gens und Verteilung der bekannten Mutationen. Das PTPN11-Gen kodiert für ein Protein, das zwei SH2-Domänen (Exons in rot und grün) und eine Phosphorylase-Domäne (blau) trägt. Weiß: nicht kodierende Exons, braun: übrige Proteinanteile. 27 verschiedene Mutationen (ausschließlich Missense-Mutationen) sind bekannt. Schwarze Punkte: unterschiedliche NS-Mutationen, weiße Punkte: Leopard-Syndrom-Mutationen. Die Mutation Asn308Asp stellt circa 20 Prozent aller gefundenen Mutationen, im Exon 8 liegt ein MutationsHotspot mit vier, auf engstem Raum liegenden Mutationen. Grafik 2 Modell zur Regulation der SHP-2-Aktivität: a) Das SHP-2-Molekül besteht aus zwei SH2Domänen (grün und orange) und einer Phosphorylase-Domäne (PTP, blau). Im Grundzustand ist die PTP-Domäne durch Bindung an eine SH2-Domäne inaktiviert. Grau: Membrananständiger Rezeptor ohne Liganden-Bindung ist nicht phosphoryliert. RTK: RezeptorTyrosin-Kinase. b) Nach Bindung eines Liganden (zum Beispiel EGF, rot) phosphoryliert die Rezeptor-Tyrosin-Kinase den Rezeptor. SHP-2 bindet über seine SH2-Domänen die Phosphor-Tyrosinreste des Rezeptors und aktiviert so die eigene PTP-Domäne. c) Mutationen in der N-terminalen SH2-Domäne verhindern die Interaktion mit der PTP-Domäne, das Protein ist konstitutiv aktiv. A 1196 Therapie Eine ursächliche Therapie des NoonanSyndroms ist nicht möglich. Es wird versucht, die jeweils führenden Symptome zu behandeln. Im Vordergrund stehen hier die kardialen Probleme. Bei bis zu 60 Prozent der Patienten besteht eine valvuläre Pulmonalstenose. Sie ist oft hochgradig und wird in der Regel durch verdickte, dysplastische Klappentaschen mit überschüssigem Gewebe verursacht (Abbildung 1f). Die katheterinterventionelle Ballondilatation führt häufig nur zu einer unbefriedigenden Reduktion des Druckgradienten, sodass Klappenoperationen dann unumgänglich sind. Eine HOCM wird wie die isolierte, autosomal dominante HOCM je nach Erfordernissen mit β-Blockern, Ca-Kanalblockern, Myektomie, TASH (transarterielle Septumembolisation) oder, bei Auftreten von malignen Herzrhythmusstörungen, durch Implantation eines ICD (implantierbarer Cardiodefibrillator) behandelt. Das zweite wichtige therapeutische Feld bei Patienten mit Noonan-Syndrom ist die Behandlung des Kleinwuchses. In Analogie zum Turner-Syndrom wird versucht, durch eine Therapie mit Wachstumshormonen eine Verbesserung der Endgröße zu erreichen. Es ist allerdings bemerkenswert, dass zwar bei einem Teil der NoonanSyndrom-Patienten erniedrigte GH (Wachstumshormon)-Spiegel messbar sind, diese aber nicht mit der Endgröße oder dem IGF-1-(insulin like growth factor-)Spiegel korrelieren und ein nicht geringer Teil der Noonan-Syndrom-Patienten sogar erhöhte GHWerte zeigt (19). Die endokrinologische Grundlage des Minderwuchses beim Noonan-Syndrom ist also letztlich noch ungeklärt (8). Dennoch scheint eine Therapie mit Wachstumshormon einen Gewinn an Endgröße zu bewirken, wenngleich dieser Effekt deutlich geringer ist als bei Turner-Patientinnen. Dieser Gewinn muss sorgfältig gegen die möglichen Risiken der GH-Therapie abgewogen werden. Hier wird vor allem (bei oft vorbestehender Herzbeteiligung) die Möglichkeit einer Entwicklung oder Zunahme von kardialer, linksventrikulärer oder septaler Hypertrophie diskutiert (8, 22). Vereinzelt Jg. 100 Heft 18 2. Mai 2003 Deutsches Ärzteblatt M E D I Z I N wurde vermutet, dass durch die Gabe von GH oder die Wirkung des reaktiv erhöhten IGF-1-Malignome induziert werden könnten (4). Insgesamt scheinen aber die bislang durchgeführten Studien (8, 9, 15) zu zeigen, dass die Anwendung von GH sicher und nicht von schweren Nebenwirkungen begleitet ist. Ausblick Das Noonan-Syndrom ist unter Neugeborenen eines der häufigsten genetischen Syndrome und nach dem DownSyndrom die zweithäufigste Ursache für angeborene Vitien. Trotzdem war bislang die Diagnosestellung aufgrund der extrem variablen Symptomatik und des Fehlens von eindeutigen diagnostischen Kriterien unsicher und unbefriedigend. Die Identifikation von Mutationen im PTPN11-Gen als Krankheitsursache bei 40 bis 50 Prozent aller Noonan-Patienten ist ein wesentlicher Fortschritt in den diagnostischen Möglichkeiten des Noonan-Syndroms. Betroffene, Angehörige und behandelnde Ärzte können in vielen Fällen von der diagnostischen Unsicherheit befreit werden. Zudem kann durch eine Untersuchung der Eltern eine zuverlässige Aussage über ein Wiederholungsrisiko getroffen werden. In den kommenden Jahren werden die zu erwartenden Mutationsdaten zeigen, ob eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation besteht, dass heißt, ob es mutationsspezifische Symptom(komplexe) gibt und ob prognostische Aussagen möglich sind. Manuskript eingereicht: 10. 1. 2003, revidierte Fassung angenommen: 18. 2. 2003 ❚ Zitierweise dieses Beitrags: Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1192–1197 [Heft 18] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit1803 abrufbar ist. Anschrift für die Verfasser: Dr. rer. nat. Gregor Schlüter Institut für Humangenetik Universität Göttingen Heinrich-Düker-Weg 12, 37073 Göttingen E-Mail: [email protected] Weitere Informationen im Internet: http://www.humangenetik.gwdg.de Jg. 100 Heft 18 2. Mai 2003 Deutsches Ärzteblatt Referiert H.-pylori-Therapie bei atrophischer Gastritis? Bei mehr als 90 Prozent der Fälle ist eine chronische Magenschleimhautentzündung durch das Bakterium Helicobacter pylori induziert. Im Laufe der Zeit schreitet diese bis zu einer chronisch atrophischen Gastritis mit intestinaler Metaplasie fort. Unklar ist bislang, ob es einen „point of no return“ gibt, bei dem die Schleimhautschäden irreversibel sind, sodass eine Sanierung der H.-pylori-Infektion keine Restitutio ad integrum mehr bringt. Die Autoren aus Parma führten bei 40 Patienten mit atrophischer Gastritis der Corpusschleimhaut eine Helicobacter-Therapie durch. 6 bis 12 Monate später war bei 8 von 40 Patienten eine Corpusatrophie nicht mehr länger nachweisbar, während bei 32/40 keine Befundänderung zu beobachten war. Bei diesen 8 Patienten nahmen die SerumGastrin-Spiegel von 265 ± 60 pg/mL auf 51,8 ± 6 pg/mL ab und es kam zu einem signifikanten Anstieg des SäureOutputs. In einer zweiten Studie aus Japan wurde eine Metaanalyse vorgenommen, Referiert in die 51 Studien zu diesem Thema eingingen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass durch eine Sanierung der Helicobacter-pylori-Infektion Aktivität und Entzündungsintensität verbessert werden, dass es im Allgemeinen jedoch nicht zu einer Besserung der Schleimhautatrophie kommt, von Ausnahmen abgesehen. Nur in 5 von 28 Studien wurde eine Verbesserung der intestinalen Metaplasie w beschrieben. Annibale B, Di Guilio E, Caruana P et al.: The long-term effects of cure of Helicobacter pylori infection in patients with atrophic body gastritis. Aliment Pharmacol Ther 2002; 16: 1723–1731. Dr. B. Annibale, Clinica Medica II°, Policlinico Umberto I°, Viale de Policlinico 155, 00161 Rom, Italien, E-Mail: [email protected]. Hojo M, Miwa H, Sato N et al.: Alteration of histological gastritis cure of Helicobacter pylori infection. Aliment Pharmacol Ther 2002; 16: 1923–1932. Prof. N. Sato, Department of Gastroenterology, Juntendo University, School of Medicine, 2-1-1 Hongo Bunkyo-ku, Tokyo 112-8462, Japan, E-Mail: [email protected]. ac.jp. Entecavir dem Lamivudin bei chronischer HBV-Infektion überlegen Weltweit sind 350 Millionen Menschen mit dem HB-Virus infiziert. Von den zwei zugelassenen Behandlungsmodalitäten ist Interferon-α bei 35 Prozent der Patienten wirksam, Lamivudin (in bis zu 67 Prozent wirksam) schneidet deutlich günstiger ab. Die Autoren berichten über eine neue Substanz, nämlich Entecavir, ein selektives Deoxyguanosin-Analogon, das in einer Phase-2-Studie über 24 Wochen doppelblind eingesetzt wurde. Insgesamt wurden 169 Patienten mit chronischer HBV-Infektion behandelt, die entweder 0,01 mg, 0,1 mg oder 0,5 mg pro Tag Entecavir oral oder 100 mg Lamivudin erhielten. Sowohl die 0,1-mgals auch die 0,5-mg-Dosis erwies sich als dem Lamivudin überlegen. Bei der Gabe von 0,5 mg Entecavir kam es in 83,7 Prozent zu einem HBV-DNA-Wert un- ter der Nachweisgrenze im Vergleich zu 57,5 Prozent bei der Gabe von 100 mg Lamivudin. Unter Entecavir wiesen auch mehr Patienten eine Normalisierung der Transaminasen nach 22-wöchiger Behandlung auf. Unerwünschte Wirkungen waren vorübergehender Natur und traten in allen vier Studienw armen gleich häufig auf. Lai C-L, Rosmawati M, Lao J et al.: Entecavir is superior to lamivudine in reducing hepatitis B virus DNA in patients with chronisch hepatitis B infection. Gastroenterology 2002; 123: 1831–1838. Dr. Ching-Lung Lai, Department of Medicine, Queen Mary Hospital, 4/F Professional Block, HongKong 08648, China, E-Mail: [email protected] A 1197