Segmentale Überwuchssyndrome

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Seltene Erkrankungen
Segmentale Überwuchssyndrome
J. Rössler
Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg
Schlüsselwörter
Keywords
Proteus-Syndrom, CLOVE-Syndrom, PTEN,
AKT1, PI3KCA, Lipomatose, Überwuchs
Proteus syndrome, CLOVE syndrome, PTEN,
AKT1, PI3KCA, lipomatosis, overgrowth
Zusammenfassung
Summary
In den letzten Jahren wurden einige segmentale Überwuchssyndrome genetisch weiter
aufgeklärt. Es handelt sich um sehr seltene
Erkrankungen, deren Phänotypen über viele
Jahre nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden konnten. Vom Überwuchs betroffen können das Skelettsystem, das Fettund Bindegewebe, aber auch ganze Extremitäten und Organe sein. Beim Proteus-Syndrom sind somatische, aktivierende Mutationen im AKT1-Gen gefunden worden. Bei den
PROS „PI3K related overgrowth spectrum“-Syndromen wie dem CLOVE-, dem Fibroadipösen Hyperplasie-Syndrom und dem
Klippel-Trénaunay-Syndrom wurden Mutationen in der Kinase PI3KCA beschrieben. Auch
hier ist die Mutation somatisch, d. h. im betroffenen Gewebe zu finden. Mutationen in
der Keimbahn von PTEN führen zu den PTENHamartom-Tumor-Syndromen, wie dem
Cowden-, dem Bannayan-Riley-Ruvalcaba(BRR) und dem SOLAMEN-Syndrom. Letztendlich muss die Überprüfung der Mutationen aus dem mTOR-Signalweg eine abschließende Diagnose erbringen. Die Erkenntnisse
über die Genetik der segmentalen Überwuchssyndrome bringen Grundlagen für
neue therapeutische Ansätze mit mTOR-Inhibitoren, wie z. B. Sirolimus. Aktuell wird eine
klinische Studie (SIPA-SOS) in Deutschland
hierzu vorbereitet.
Recently, the genetic background of several
segmental overgrowth syndromes has been
described. The phenotypes of these rare diseases are overlapping and therefore, it has
been difficult to discriminate them from each
other for a long time. The overgrowth can be
present at the skeletal system and at the soft
tissue such as fat and connective tissue. The
Proteus syndrome results from somatic mutations in AKT1. The PROS „PI3K related
overgrowth spectrum“ syndromes such as
the CLOVE, the Fibroadipose Hyperplasia syndrome and the Klippel-Trénaunay syndrome
are caused by PI3KCA mutations. Again,
these are somatic mutations and can only be
found in the affected tissue. Germline mutations in PTEN result in PTEN-HamartomaTumor syndromes such as the Cowden-, the
Bannayan-Riley-Ruvalcaba- (BRR) and the
SOLAMEN syndrome. Therefore, analyzing
the mTOR signaling pathway will finally lead
to the diagnosis. These new genetic findings
give the background for a new therapeutic
approach in segmental overgrowth syndromes using mTOR inhibitors such as Sirolimus. A clinical trial (SIPA-SOS) is in preparation in Germany.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Jochen Rössler
Pädiatrische Hämatologie/Onkologie
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Freiburg
Mathildenstr. 1, 79106 Freiburg
Tel.: 0761 270–43000, Fax: –45180
E-Mail: [email protected]
Segmental overgrowth syndromes
Kinder- und Jugendmedizin 2016; 16: 411–416
Eingereicht am: 5. August 2016;
angenommen am: 12. August 2016
Einleitung
In dieser Arbeit soll eine Übersicht über
eine Gruppe sehr seltener Erkrankungen
gegeben werden – die segmentalen Überwuchssyndrome.
Sie soll Hilfestellung für deren Klassifizierung und Diagnosestellung bieten. Es ist
wichtig, gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass „allgemeine“ Überwuchssyndrome wie das Beckwith-Wiedemann-Syndrom, das Sotos-Syndrom oder das Simpson-Golabi-Behmel-Syndrom (u. a.) nicht
Gegenstand dieser Arbeit sind. Bei diesen
Syndromen handelt es sich um Patienten
mit allgemeinem „Groß-„ oder Überwuchs, der oft mit einer Makrozephalie
einhergeht und den kompletten Körper
(„Makrosomie“) oder eine Körperhälfte
(„Hemihypertrophie“) betrifft. Hier liegen
Keimbahnmutationen vor und zusätzlich
zu den Überwuchsphänomenen handelt es
sich häufig um Tumorprädispositionssyndrome (1).
Segmentale Überwuchssyndrome betreffen bestimmte Extremitäten oder andere Körperabschnitte. Sie wurden über lange
Jahre allein durch Kriterien des Phänotyps
definiert. Infolge gab es zahlreiche „Überlappungen“ und die Abgrenzung verschiedener segmentaler Überwuchssyndrome
war nicht eindeutig. Einige Patienten mit
segmentalen Überwuchssyndromen zeigten Keimbahnmutationen im Gen PTEN.
In den letzten Jahren konnten die genetischen Ursachen weiterer segmentaler
Überwuchssyndrome aufgeklärt werden:
Hierbei handelt sich um somatische Mutationen, die in „Mosaiken“ vorliegen. Nun
ist es möglich – falls Gewebe aus dem vom
Überwuchs betroffenen Körperabschnitt
für die Diagnostik vorhanden ist – die Syndrome genau zu klassifizieren: Die segmentalen Überwuchssyndrome werden inzwischen entsprechend der vorliegenden
somatischen Mutation benannt (2). Die bekanntesten segmentalen Überwuchssyn-
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drome, die im Weiteren besprochen werden sind:
• das Proteus-Syndrom,
• die PROS (PI3K-related overgrowth
spectrum)-Syndrome und
• die PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrome (▶ Tab. 1).
Diagnostik – Phänotyp
Die Kenntnis der Merkmale der wichtigsten segmentalen Überwuchssyndrome
stellt die Basis für eine korrekte Diagnostik
Syndrom
Proteus-Syndrom
dar. Im Folgenden werden diese Auffälligkeiten zusammengestellt und besprochen.
Proteus-Syndrom
Der segmentale Überwuchs beim ProteusSyndrom (PS) ist häufig beim Skelett zu beobachten und sehr charakteristisch, denn er
manifestiert sich erst nach der Geburt zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat (3).
Bei Geburt ist der Überwuchs noch nicht
feststellbar. Zeigt sich der knöcherne Überwuchs bereits pränatal, handelt es sich nicht
um ein PS. Beim PS handelt es sich um ei-
Phänotyp
• knöcherner Überwuchs
• Fettgewebsüberwuchs,
Genetik
Somatische
AKT1-Mutation
Tab. 1
Segmentale Überwuchssyndrome
Lipoatrophie
• cerebriforme Bindegewebsnävi, verruköser Epidermalnävus
• kapilläre + venöse +/- lymphatische Malformationen
PROS-Syndrome
• lipomatöser Überwuchs
• epidermale Nävi
• lymphatische + venöse +
Somatische
PIK3CA-Mutation
• Makrozephalie
• lipomatöser Überwuchs
• venöse + arteriovenöse
Keimbahn-PTEN/
PI3KCA-Mutation
kapilläre +/- arteriovenöse
Malformationen
PTEN-HamartomTumor-Syndrome
Malformationen
Syndrom
Makrozephalie –
kapilläre Malformationen
(M-CM/MCAP)-Syndrom
Hemimegaloenzephalie
Phänotyp
• Muskelhypotonie, Krampfanfälle,
milde bis schwere Intelligenzdefizite
• kapilläre Malformationen
• segmentaler Überwuchs
• partielle oder komplette zerebrale Dys-
plasie mit Vergrößerung einer Hirnhälfte
CLOVE-Syndrom
• segmentale Überwuchsphänomene
• Lipomatose (Fußsohlen)
• Skoliosen, Sandalenfurch
• lymphatische + venöse + kapilläre +/arteriovenöse Malformationen
Fibroadipöses
Hyperplasie-Syndrom
• Extremitätenüberwuchs
• Fettgewebsinfiltration von Muskeln und
dysregulierte Fettgewebsverteilung
• kapilläre + venöse +/- lymphatische
Malformationen
Klippel-TrénaunaySyndrom
• asymmetrische Hypertrophie von
Knochen und Weichteilgewebe
• Nävus flammeus (kapilläre Malformation) + venöse Malformation
Tab. 2
PROS-Syndrome
nen segmentalen Überwuchs, der lebenslang voranschreitet und ausnahmsweise
auch erst spät im Alter von 12 Lebensjahren
manifest werden kann. Der Überwuchs respektiert nicht die physiologische Skelettarchitektur, sondern führt zu regelrechten
Verzerrungen von Knochen mit der Folge,
dass in Extremfällen, die ursprüngliche
Knochenform überhaupt nicht mehr erkennbar ist (4). Der Überwuchs kann im
pädiatrischen Lebensalter eine schnelle Geschwindigkeit annehmen: Beinlängendifferenzen bis zu 20 cm und Skoliosen von
mehr als 90° können beobachtet werden. Alle Knochen des Körpers können betroffen
sein (▶Tab. 1).
Pathognomonisch für das PS sind cerebriforme Bindegewebsnävi (5). Diese treten vor allem an den Fußsohlen, Händen,
Ohren und Tränenausgängen auf. Cerebriforme Bindegewebsnävi entsprechen Verdickungen des Bindegewebes mit tiefen
Furchen, die optisch Gehirnwindungen ähneln (daher der Name „cerebriform“). Sie
sollten von „Fältelungen“ der Fußsohlen
oder Handflächen, wie sie bei anderen segmentalen Überwuchssyndromen vorkommen können, unterschieden werden.
Ein weiterer Nävus, der bei PS-Patienten zu finden ist, ist der lineare verruköse
Epidermalnävus. Hierbei handelt es sich
um einen streifig pigmentierten rauen Nävus, der den Blaschko-Linien folgt. Sie
können überall am Körper auftreten.
Fettgewebsüberwuchs tritt häufig bei PS
auf. Aber auch Körperanteile mit zu wenig
Fett, sogenannter Lipoatrophie können beobachtet werden.
Schließlich können insbesondere kapilläre und lymphatische Gefäßmalformationen auftreten. Der Überwuchs kann auch
Organe wie Leber, Milz, Thymus oder Gallenblase betreffen. Bullöse Lungendegenerationen und Gesichtsdysmorphien sind
außerdem zu beobachten.
PROS-Syndrome
Unter den PROS (PIK3CA-Related Overgrowth Spectrum)-Syndromen (2) werden
inzwischen alle segmentalen Überwuchssyndrome zusammengefasst, bei denen eine somatische Mutation im PI3KC-Gen ursächlich ist (siehe unten). So wird zum ersten Mal
eine Gruppe an segmentalen Überwuchs-
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J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome
Abb. 1 Bei dem 10 Wochen alten Säugling zeigt sich eine Weichteilgewebsvermehrung an der Fußsohle.
Abb. 2 Bei dem 8 Monate alten Säugling zeigt sich eine progrediente
Schwellung am Rücken. In der Bildgebung (Sonografie und MRT) bestätigt
sich eine Vermehrung von Fettgewebe.
Abb. 3
An der linken Flanke
des Patienten aus Abb.
2 zeigt sich eine kapillare Fehlbildung (Feuermahl oder Naevus
flammeus).
Abb. 4 Bei diesem 20-jährigen Patienten besteht eine Makrodaktylie an Finger III, IV und V. An
Finger IV und V wurden Fingerglieder amputiert.
phänotypen auf der Basis der genetischen
Veränderung definiert und nicht mehr wie
vor der Entdeckung der PI3KCA-Mutation
nach den einzelnen Merkmalen der Syndrome. Zu den PROS-Syndromen werden:
• das CLOVE-Syndrom,
• das Makrozephalie-kapilläre Malformationen (M-CM/MCAP)-Syndrom,
• das Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom,
• das Klippel-Trénauny-Syndrom und
• das Hemimegaloenzephalie-Syndrom
gezählt (▶ Tab. 2) (6). Im Folgenden werden ausschließlich die Syndrome besprochen, die keine ZNS-Beteiligung haben
und letztendlich viele Überlappungen zeigen:
• das CLOVE-Syndrom,
• das Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom
und
• das Klippel-Trénaunay-Syndrom (7).
Diese segmentalen Überwuchssyndrome
sind evtl. Varianten eines Syndrom-Spek-
trums, das unterschiedliche Schweregrade
beschreibt. Der segmentale Überwuchs betrifft den Knochen und das Fettgewebe mit
Lipomatose. Zusätzlich können Gefäßfehlbildungen und epidermale Nävi auftreten.
CLOVE-Syndrome
Das Akronym des CLOVE-Syndroms steht
für:
• kongenitalen lipomatösen Überwuchs,
• vaskuläre Fehlbildungen und
• epidermale Nävi.
Es ist charakterisiert durch einen angeborenen, asymmetrischen Überwuchs von Fettgewebe (Lipomatose) v. a. des Körperstamms. Insbesondere die Fußsohlen können betroffen sein. Kapilläre, venöse, lymphatische und kombinierte Gefäßfehlbildungen sind wie auch epidermale Nävi und
Skelett- sowie spinale Anomalien zu beobachten (▶ Abb. 1–3). Als Konsequenz kön-
nen Skoliosen sowie Hand- und Fußdeformitäten inklusive Makrodaktylie auftreten
(▶ Abb. 4). Auffällig ist eine prominente
Sandalenfurche.
Fibroadipöses Hyperplasie-Syndrom
Auch bei Patienten mit Fibroadipöser Hyperplasie wurden kürzlich somatische
PIK3CA-Mutationen beschrieben (8). Es
kann ein progressiver segmentaler Überwuchs von Organen, von Subkutan-Gewebe, Muskeln sowie fibroadipösem und skelettalem Gewebe auftreten. Der Körperstamm und die Extremitäten können betroffen sein (9). Die lipomatösen Auffälligkeiten können sich in Form von Fettgewebsinfiltration von Muskeln und dysregulierter Fettgewebsverteilung präsentieren.
Außerdem werden Gefäßfehlbildungen,
Hodenabnormalitäten und Polydaktylie
beobachtet.
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Klippel-Trénaunay-Syndrom
Das Klippel-Trénaunay-Syndrom (KTS)
wurde ursprünglich im Jahr 1900 von den
beiden Erstbeschreibern definiert als Triade von:
• Nävus flammeus (kapilläre Malformation),
• asymmetrischer Hypertrophie von
Knochen und Weichteilgewebe sowie
• angeborener Varikose (venöse Malformation) (10).
Einige Jahre später konnte Parkes Weber
zeigen, dass zusätzlich arterio-venöse
Malformationen auftreten und so wurde
diese Variante als Klippel-TrénaunayWeber-Syndrom benannt (11). Erst vor
einigen Jahren konnte auch in diesem
segmentalen Überwuchssyndrom eine
somatische Mutation im PI3KCA-Gen
gefunden werden (siehe unten). Es ist
nun klar, warum es phänotypisch viele
Überlappungen mit den anderen PROSSyndromen gibt und der Name KTS eher
aus historischer Bedeutung beibehalten
wird.
PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrome
Diese Syndrome haben viele Überlappungen: Es wir das Cowden-Syndrom vom
Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom
(BRRS) und dem SOLAMEN-Syndrom
unterschieden.
Syndrom
Cowden-Syndrom
Letztendlich weisen alle diese Patienten Hamartien auf, die z. B. als Intestinale Polypen
auch Entartungspotenzial haben und so zu
den Präkanzerosen gezählt werden. Die hamartösen Läsionen können an der Haut,
den Schleimhäuten, der Brust und der
Schilddrüse auftreten. Die Phänotypen lassen sich nur schwierig voneinander unterscheiden und es werden zahlreiche Überlappungen beobachtet. Wichtig ist, dass
hier Keimbahnmutationen im PTEN-Gen
vorliegen und die „Hamartome“ Ähnlichkeiten mit Überwuchsphänotypen zeigen
(▶ Tab. 3). Beim Cowden-Syndrom sind
auch Keimbahnmutationen im PI3KCAGen gefunden worden (12). Somit können
die bei den segmentalen Überwuchssyndromen gefundenen somatischen Mutationen auch als Keimbahnmutation auftreten.
Genetik
Die segmentalen Überwuchssyndrome
sind genetische Erkrankungen, die nicht
auf klassischen Keimbahnmutationen, sondern überwiegend auf somatischen Mutationen basieren. Im Gegensatz zu Keimbahnmutationen, bei denen die veränderten Gene in allen Körperzellen zu finden
sind und die deshalb aus DNA von Blutzellen diagnostiziert werden können, sind somatische Mutationen nur im betroffenen
Gewebe nachzuweisen. Aus diesem Grund
braucht es für die Diagnostik immer eine
Phänotyp
• Makrozephalie
• Trichilemmomas, papillomatöse Papulen
• maligne Tumoren der Schild-
Genetik
Keimbahn-PTENu./o. PIK3CAMutationen
drüse, der Brustdrüse und des
Endometrium
BannayanRiley-RuvalcabaSyndrom
• Makrozephalie
• lipomatöser Überwuchs
• intestinale Hamartomatöse
Keimbahn-PTENMutationen
Polyposis
Malformationen
• Lipomatose
• AV-Malformationen
• epidermale Nävi
• maligne Tumoren wie Ovariarzystadenom, Brusttumoren,
Schildrüsentumoren
AKT1-Mutationen
(Proteus-Syndrom)
Das Proteus-Syndrom weist eine somatische Mutation im AKT1-Gen auf. Dabei
handelt es sich um eine aktivierende Mutation. Interessanterweise handelt es sich bei
allen bisher gefundenen AKT1-Mutationen
bei PS um die „gain-of-function” Missens
Mutation p.E17K (8). Als Konsequenz ist
der mTOR Signalweg im betroffenen Gewebe konstant überaktiv.
PI3KCA-Mutationen
(PROS-Syndrome)
Ein weiteres Gen des mTOR-Signalwegs ist
die Kinase PI3K. Mutationen in diesem
Gen führen ebenfalls zu einer Aktivierung
des Signalwegs. Für das CLOVE-Syndrom
(13) und für das Fibröse Hyperplasie-Syndrom konnten somatische Mutationen in
PI3KCA gefunden werden. Bisher wurden
ca. 30 Mutationen in PI3KCA beschrieben;
fünf wurden wiederholt entdeckt: p.C420R,
p.E542K, p.E545K, p.H1047R und
p.H1047L2. Von 21 KTS-Patienten wurde
bei 20 eine PI3KCA-Mutation gefunden.
PTEN-Mutationen (Cowden-, BRR-,
SOLAMEN-Syndrom und andere)
• venöse + arteriovenöse
SOLAMENSyndrom
Tab. 3
PTEN-HamartomTumor-Syndrome
Biopsie aus dem betroffenen Körperabschnitt. Man spricht auch von Mosaik-Erkrankungen, da bei einer Person tatsächlich mehrere Körperabschnitte vom Großwuchs betroffen und die somatischen Mutationen wie bei einem Mosaik zwischen
genetisch „normalen“ Körperzellen eingestreut sein können.
Die Mutationen bei den segmentalen
Überwuchssyndromen treten bei Genen
des mTOR-Signalwegs auf (▶ Abb. 5). Dieser Signalweg wird nach Bindung des Liganden (Wachstumsfaktor) an den Rezeptor (Tyrosinkinase) aktiviert. Durch die
Mutationen kommt es zu einer von Ligand
und Rezeptor unabhängigen Aktivierung.
Keimbahn-PTENMutationen
Das PTEN-Gen wird auch als Tumorsuppressorgen bezeichnet und kontrolliert den
mTOR-Signalweg durch seine hemmende
Wirkung. Kommt es zu Mutationen in
PTEN mit Funktionsverlust, resultiert erneut eine unkontrollierte Überaktivierung
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J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome
des Signalwegs. Die Mutationen in PTEN
wurden überwiegend in der Keimbahn gefunden und verursachen so unterschiedliche Syndrome wie das Cowden-, das BRRund das SOLAMEN-Syndrom mit vielen
phänotypischen Überlappungen (14).
Wichtig ist festzuhalten, dass die PTENMutationen als Prädispositionssyndrome
für Tumorerkrankungen gewertet werden
und deshalb Screening-Untersuchungen
empfohlen werden.
Diagnostik
Die nicht-apparativen Untersuchungsmethoden sind bei den segmentalen Überwuchssyndromen absolut wichtig: Eine
ausführliche Anamnese mit der Erfragung
von Beginn des Überwuchses ist evident.
Es macht Sinn, alte Photos der Patienten
mit zu beurteilen. Ebenso wichtig ist die
körperliche Untersuchung, bei der die Person ausführlich mit besonderem Blick auf
Hautbefunde inspiziert werden muss. Die
MRT-Untersuchung ist dann als ergänzende Untersuchung sinnvoll – mit Kontrastmittel, um auch Gefäßfehlbildungen zu detektieren. Wenn möglich, sollte eine Ganzkörper-MRT-Untersuchung durchgeführt
werden, denn oft werden so klinisch nicht
sichtbare Befunde erkannt. Ein SchädelMRT ist sicherlich auch sinnvoll – die
Dringlichkeit sollte von der neuropsychologischen Untersuchung abhängig gemacht
werden. Die weitere Betreuung sollte auf
alle Fälle interdisziplinär erfolgen: Orthopäden haben hier eine wichtige Rolle, um
das Wachstum der Extremitäten sowie die
Wirbelsäule regelmäßig mit zu beurteilen.
Therapie
Bisher stand als Therapie für das vom
Überwuchs betroffenen Gewebe allein die
Chirurgie als Option zur Verfügung. Da eine Entfernung der Läsionen häufig plastische und rekonstruktive Folgeoperationen
notwendig macht, ist die chirurgische Behandlung oft ein Verfahren über einen längeren Zeitraum. Es ist auch sehr schwierig,
den richtigen Zeitpunkt für eine Operation
festzulegen: Oft werden die sich im unkontrollierten Wachstum befindlichen Gewebe
Abb. 5 Nach Interaktion des Liganden (Wachstumsfaktor) mit dem Rezeptor (Tyrosinkinase) wird der
intrazelluläre mTOR-Signalweg aktiviert: Die Moleküle AKT1, PI3KCA und mTOR werden phosphorylisiert, PTEN wirkt als Kontrollgen. Sind die Gene mutiert, kommt es zu einer von der Ligand/Rezeptor-unabhängigen Aktivierung des Signalwegs. Bei den AKT1- und PI3KCA-Mutationen handelt es sich meist
um somatische, aktivierende Mutationen. Bei den PTEN-Mutationen, die in der Keimbahn auftreten, resultiert ein Funktionsverlust.
zunächst nur beobachtet („whatch and
wait“); es kann aber dann auch für ein gutes funktionelles Ergebnis schwierig sein,
wenn die chirurgischen Maßnahmen zu
spät beginnen. Wichtig ist vor allem die
Betreuung der Patienten in einem interdisziplinären Zentrum mit Expertise auf dem
Gebiet der segmentalen Überwuchssyndrome. Letztendlich wäre eine medikamentöse Behandlung wünschenswert, die
möglichst nur einen Einfluss auf die betroffenen Körperteile hat und nicht auf das –
vor allem im Kindes- und Jugendalter vorhandene – physiologische Wachstum.
Mit der Beschreibung der Gendefekte in
den letzten Jahren scheint ein medikamenTab. 4
Fallberichte über Sirolimus bei segmentalen
Überwuchssyndromen
töser Therapieansatz denkbar: Wie oben
beschrieben, sind alle Mutationen in Genen des mTOR-Signalwegs zu finden und
so könnte eine Behandlung mit mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus, etc.) effektiv sein. Tatsächlich sind erste Fallberichte veröffentlicht worden, die einen solchen Therapieansatz als sinnvoll erscheinen lassen (▶ Tab. 4). Aufgrund des Vorhandenseins entsprechender Mutationen
auch in malignen Tumoren, sind in der
Krebsforschung weitere Inhibitoren entwickelt worden, die noch spezifischer Einfluss auf den Überwuchs nehmen könnten:
z. B. AKT- und PI3K-Inhibitoren. Hier
sind jedoch aktuell noch keine Erfahrun-
Diagnose
Effekt
PTEN-HamartomTumor-Syndrome
9-jähriges Mädchen mit Hamartomen
(15)
des Brustraums, des Mediastinums, des
Abdomens und des Beckens: Alle Hamartome sind unter Siolimus regredient.
BRR-Syndrom
6 Jahre alter Junge mit Lipomatose am
Unterarm, Schmerzen und funktionsverlust: unter Sirolimus Verschwinden
der Schmerzen und volle Mobilität
(16)
PTEN-HamartomTumor-Syndrome
Kind mit Thymushyperplasie und
abdomineller Lipomatose: Läsionen
unter Sirolimus regredient
(17)
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Referenz
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gen mit Patienten mit segmentalen Überwuchssyndromen verfügbar.
In den USA und in Frankreich/England werden aktuell Patienten mit nachgewiesenen somatischen PI3KCA-Mutatio-
Fazit für die Praxis
Segmentale Überwuchssyndrome sind seltene Erkrankungen, die in den letzten Jahren genetisch teilweise aufgeklärt werden
konnten. Vom Überwuchs betroffen können
das Skelettsystem, das Fett- und Bindegewebe, aber auch ganze Extremitäten und
Organe sein. Wichtig ist, die Anamnese zu
erheben und herauszuarbeiten, wann das
unkontrollierte Wachstum begonnen hat.
Auch die körperliche Untersuchung ist wichtig mit Fokus auf zusätzliche Hautbefunde.
Die Unterscheidung zwischen Proteus-,
PROS- und PTEN-Hamartom-Tumor-Syndromen sollte interdisziplinär erfolgen. Beim
Proteus-Syndrom sind somatische, aktivierende Mutationen im AKT1-Gen gefunden
worden. Bei den PROS „PI3K related overgrowth spectrum“-Syndromen, wie dem
CLOVE-, dem Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom und dem Klippel-Trénaunay-Syndrom,
sind Mutationen in der Kinase PI3KCA beschrieben. Auch hier ist die Mutation somatisch, d. h. im betroffenen Gewebe zu finden. Mutationen in der Keimbahn von PTEN
führen zu den hamartösen Tumor-Syndromen wie dem Cowden-, dem BannayanRiley-Ruvalcaba(BRR)
und
dem
SOLAMEN-Syndrom. Letztendlich muss die
Überprüfung der Mutationen aus dem
mTOR-Signalweg eine abschließende Diagnose erbringen. Da es sich überwiegend um
somatische Mutationen handelt, sind Biopsien notwendig. Eine regelmäßige Betreuung mit Durchführung von MRT durch ein
interdisziplinäres Team ist wichtig. Evtl.
könnte die Behandlung mit mTOR-Inhibitoren, wie z. B. Sirolimus, die Chirurgie, die aktuell noch als alleiniges Therapieverfahren
neben dem „watch and wait“-Ansatz besteht, ablösen. Hierzu werden aktuell Studien mit Sirolimus durchgeführt.
nen mit Sirolimus im Rahmen einer Studie behandelt. Auch in Deutschland ist eine Studie mit Sirolimus für segmentale
Überwuchssyndrom-Patienten in Vorbereitung, die an vier Prüfzentren (Universitätsklinikum Freiburg, Leipzig, Bonn und
Klinikum Berlin-Vivantes) gegen Ende
des Jahre 2016 erste Patienten rekrutieren
wird (SIPA-SOS-Studie, EudraCT No.
2015 005416 15). Im Rahmen der Studie
wird auch versucht, Biomarker zu identifizieren, die ein Ansprechen auf eine
mTOR-Inhibitoren-Therapie voraussagen
lassen könnten.
Danksagung
Ich danke dem gesamten Team der interdisziplinären Sprechstunde für Hämangiome und Gefäßfehlbildungen am Zentrum
für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums
Freiburg
(www.
haemangiomrunde.de) für die jahrelange
gute Zusammenarbeit und Unterstützung.
Insbesondere danke ich den Patienten und
ihren Familien dafür, dass sie einverstanden waren, dass die Fotos veröffentlich
werden dürfen.
Interessenkonflikt
Meine wissenschaftlichen Arbeiten wurden
von den Firmen Novartis, Pierre Fabre und
Pfizer unterstützt. Ich bin als Berater bei den
Firmen Böhringer-Ingelheim, Orfagen und
Pierre Fabre tätig. Als Prüfarzt habe ich klinische Studien der Firmen Bayer, BMS,
Cellgene, GSK, Helsinn Healthcare, Infectopharm, Merck, Novartis, Pierre Fabre,
Roche und Sanofi Aventis durchgeführt.
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Kinder- und Jugendmedizin 6/2016
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