411 Seltene Erkrankungen Segmentale Überwuchssyndrome J. Rössler Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg Schlüsselwörter Keywords Proteus-Syndrom, CLOVE-Syndrom, PTEN, AKT1, PI3KCA, Lipomatose, Überwuchs Proteus syndrome, CLOVE syndrome, PTEN, AKT1, PI3KCA, lipomatosis, overgrowth Zusammenfassung Summary In den letzten Jahren wurden einige segmentale Überwuchssyndrome genetisch weiter aufgeklärt. Es handelt sich um sehr seltene Erkrankungen, deren Phänotypen über viele Jahre nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden konnten. Vom Überwuchs betroffen können das Skelettsystem, das Fettund Bindegewebe, aber auch ganze Extremitäten und Organe sein. Beim Proteus-Syndrom sind somatische, aktivierende Mutationen im AKT1-Gen gefunden worden. Bei den PROS „PI3K related overgrowth spectrum“-Syndromen wie dem CLOVE-, dem Fibroadipösen Hyperplasie-Syndrom und dem Klippel-Trénaunay-Syndrom wurden Mutationen in der Kinase PI3KCA beschrieben. Auch hier ist die Mutation somatisch, d. h. im betroffenen Gewebe zu finden. Mutationen in der Keimbahn von PTEN führen zu den PTENHamartom-Tumor-Syndromen, wie dem Cowden-, dem Bannayan-Riley-Ruvalcaba(BRR) und dem SOLAMEN-Syndrom. Letztendlich muss die Überprüfung der Mutationen aus dem mTOR-Signalweg eine abschließende Diagnose erbringen. Die Erkenntnisse über die Genetik der segmentalen Überwuchssyndrome bringen Grundlagen für neue therapeutische Ansätze mit mTOR-Inhibitoren, wie z. B. Sirolimus. Aktuell wird eine klinische Studie (SIPA-SOS) in Deutschland hierzu vorbereitet. Recently, the genetic background of several segmental overgrowth syndromes has been described. The phenotypes of these rare diseases are overlapping and therefore, it has been difficult to discriminate them from each other for a long time. The overgrowth can be present at the skeletal system and at the soft tissue such as fat and connective tissue. The Proteus syndrome results from somatic mutations in AKT1. The PROS „PI3K related overgrowth spectrum“ syndromes such as the CLOVE, the Fibroadipose Hyperplasia syndrome and the Klippel-Trénaunay syndrome are caused by PI3KCA mutations. Again, these are somatic mutations and can only be found in the affected tissue. Germline mutations in PTEN result in PTEN-HamartomaTumor syndromes such as the Cowden-, the Bannayan-Riley-Ruvalcaba- (BRR) and the SOLAMEN syndrome. Therefore, analyzing the mTOR signaling pathway will finally lead to the diagnosis. These new genetic findings give the background for a new therapeutic approach in segmental overgrowth syndromes using mTOR inhibitors such as Sirolimus. A clinical trial (SIPA-SOS) is in preparation in Germany. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Jochen Rössler Pädiatrische Hämatologie/Onkologie Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Universitätsklinikum Freiburg Mathildenstr. 1, 79106 Freiburg Tel.: 0761 270–43000, Fax: –45180 E-Mail: [email protected] Segmental overgrowth syndromes Kinder- und Jugendmedizin 2016; 16: 411–416 Eingereicht am: 5. August 2016; angenommen am: 12. August 2016 Einleitung In dieser Arbeit soll eine Übersicht über eine Gruppe sehr seltener Erkrankungen gegeben werden – die segmentalen Überwuchssyndrome. Sie soll Hilfestellung für deren Klassifizierung und Diagnosestellung bieten. Es ist wichtig, gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass „allgemeine“ Überwuchssyndrome wie das Beckwith-Wiedemann-Syndrom, das Sotos-Syndrom oder das Simpson-Golabi-Behmel-Syndrom (u. a.) nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. Bei diesen Syndromen handelt es sich um Patienten mit allgemeinem „Groß-„ oder Überwuchs, der oft mit einer Makrozephalie einhergeht und den kompletten Körper („Makrosomie“) oder eine Körperhälfte („Hemihypertrophie“) betrifft. Hier liegen Keimbahnmutationen vor und zusätzlich zu den Überwuchsphänomenen handelt es sich häufig um Tumorprädispositionssyndrome (1). Segmentale Überwuchssyndrome betreffen bestimmte Extremitäten oder andere Körperabschnitte. Sie wurden über lange Jahre allein durch Kriterien des Phänotyps definiert. Infolge gab es zahlreiche „Überlappungen“ und die Abgrenzung verschiedener segmentaler Überwuchssyndrome war nicht eindeutig. Einige Patienten mit segmentalen Überwuchssyndromen zeigten Keimbahnmutationen im Gen PTEN. In den letzten Jahren konnten die genetischen Ursachen weiterer segmentaler Überwuchssyndrome aufgeklärt werden: Hierbei handelt sich um somatische Mutationen, die in „Mosaiken“ vorliegen. Nun ist es möglich – falls Gewebe aus dem vom Überwuchs betroffenen Körperabschnitt für die Diagnostik vorhanden ist – die Syndrome genau zu klassifizieren: Die segmentalen Überwuchssyndrome werden inzwischen entsprechend der vorliegenden somatischen Mutation benannt (2). Die bekanntesten segmentalen Überwuchssyn- © Schattauer 2016 Kinder- und Jugendmedizin 6/2016 Downloaded from www.kinder-und-jugendmedizin-online.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 412 J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome drome, die im Weiteren besprochen werden sind: • das Proteus-Syndrom, • die PROS (PI3K-related overgrowth spectrum)-Syndrome und • die PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrome (▶ Tab. 1). Diagnostik – Phänotyp Die Kenntnis der Merkmale der wichtigsten segmentalen Überwuchssyndrome stellt die Basis für eine korrekte Diagnostik Syndrom Proteus-Syndrom dar. Im Folgenden werden diese Auffälligkeiten zusammengestellt und besprochen. Proteus-Syndrom Der segmentale Überwuchs beim ProteusSyndrom (PS) ist häufig beim Skelett zu beobachten und sehr charakteristisch, denn er manifestiert sich erst nach der Geburt zwischen dem 6. und dem 18. Lebensmonat (3). Bei Geburt ist der Überwuchs noch nicht feststellbar. Zeigt sich der knöcherne Überwuchs bereits pränatal, handelt es sich nicht um ein PS. Beim PS handelt es sich um ei- Phänotyp • knöcherner Überwuchs • Fettgewebsüberwuchs, Genetik Somatische AKT1-Mutation Tab. 1 Segmentale Überwuchssyndrome Lipoatrophie • cerebriforme Bindegewebsnävi, verruköser Epidermalnävus • kapilläre + venöse +/- lymphatische Malformationen PROS-Syndrome • lipomatöser Überwuchs • epidermale Nävi • lymphatische + venöse + Somatische PIK3CA-Mutation • Makrozephalie • lipomatöser Überwuchs • venöse + arteriovenöse Keimbahn-PTEN/ PI3KCA-Mutation kapilläre +/- arteriovenöse Malformationen PTEN-HamartomTumor-Syndrome Malformationen Syndrom Makrozephalie – kapilläre Malformationen (M-CM/MCAP)-Syndrom Hemimegaloenzephalie Phänotyp • Muskelhypotonie, Krampfanfälle, milde bis schwere Intelligenzdefizite • kapilläre Malformationen • segmentaler Überwuchs • partielle oder komplette zerebrale Dys- plasie mit Vergrößerung einer Hirnhälfte CLOVE-Syndrom • segmentale Überwuchsphänomene • Lipomatose (Fußsohlen) • Skoliosen, Sandalenfurch • lymphatische + venöse + kapilläre +/arteriovenöse Malformationen Fibroadipöses Hyperplasie-Syndrom • Extremitätenüberwuchs • Fettgewebsinfiltration von Muskeln und dysregulierte Fettgewebsverteilung • kapilläre + venöse +/- lymphatische Malformationen Klippel-TrénaunaySyndrom • asymmetrische Hypertrophie von Knochen und Weichteilgewebe • Nävus flammeus (kapilläre Malformation) + venöse Malformation Tab. 2 PROS-Syndrome nen segmentalen Überwuchs, der lebenslang voranschreitet und ausnahmsweise auch erst spät im Alter von 12 Lebensjahren manifest werden kann. Der Überwuchs respektiert nicht die physiologische Skelettarchitektur, sondern führt zu regelrechten Verzerrungen von Knochen mit der Folge, dass in Extremfällen, die ursprüngliche Knochenform überhaupt nicht mehr erkennbar ist (4). Der Überwuchs kann im pädiatrischen Lebensalter eine schnelle Geschwindigkeit annehmen: Beinlängendifferenzen bis zu 20 cm und Skoliosen von mehr als 90° können beobachtet werden. Alle Knochen des Körpers können betroffen sein (▶Tab. 1). Pathognomonisch für das PS sind cerebriforme Bindegewebsnävi (5). Diese treten vor allem an den Fußsohlen, Händen, Ohren und Tränenausgängen auf. Cerebriforme Bindegewebsnävi entsprechen Verdickungen des Bindegewebes mit tiefen Furchen, die optisch Gehirnwindungen ähneln (daher der Name „cerebriform“). Sie sollten von „Fältelungen“ der Fußsohlen oder Handflächen, wie sie bei anderen segmentalen Überwuchssyndromen vorkommen können, unterschieden werden. Ein weiterer Nävus, der bei PS-Patienten zu finden ist, ist der lineare verruköse Epidermalnävus. Hierbei handelt es sich um einen streifig pigmentierten rauen Nävus, der den Blaschko-Linien folgt. Sie können überall am Körper auftreten. Fettgewebsüberwuchs tritt häufig bei PS auf. Aber auch Körperanteile mit zu wenig Fett, sogenannter Lipoatrophie können beobachtet werden. Schließlich können insbesondere kapilläre und lymphatische Gefäßmalformationen auftreten. Der Überwuchs kann auch Organe wie Leber, Milz, Thymus oder Gallenblase betreffen. Bullöse Lungendegenerationen und Gesichtsdysmorphien sind außerdem zu beobachten. PROS-Syndrome Unter den PROS (PIK3CA-Related Overgrowth Spectrum)-Syndromen (2) werden inzwischen alle segmentalen Überwuchssyndrome zusammengefasst, bei denen eine somatische Mutation im PI3KC-Gen ursächlich ist (siehe unten). So wird zum ersten Mal eine Gruppe an segmentalen Überwuchs- Kinder- und Jugendmedizin 6/2016 © Schattauer 2016 Downloaded from www.kinder-und-jugendmedizin-online.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome Abb. 1 Bei dem 10 Wochen alten Säugling zeigt sich eine Weichteilgewebsvermehrung an der Fußsohle. Abb. 2 Bei dem 8 Monate alten Säugling zeigt sich eine progrediente Schwellung am Rücken. In der Bildgebung (Sonografie und MRT) bestätigt sich eine Vermehrung von Fettgewebe. Abb. 3 An der linken Flanke des Patienten aus Abb. 2 zeigt sich eine kapillare Fehlbildung (Feuermahl oder Naevus flammeus). Abb. 4 Bei diesem 20-jährigen Patienten besteht eine Makrodaktylie an Finger III, IV und V. An Finger IV und V wurden Fingerglieder amputiert. phänotypen auf der Basis der genetischen Veränderung definiert und nicht mehr wie vor der Entdeckung der PI3KCA-Mutation nach den einzelnen Merkmalen der Syndrome. Zu den PROS-Syndromen werden: • das CLOVE-Syndrom, • das Makrozephalie-kapilläre Malformationen (M-CM/MCAP)-Syndrom, • das Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom, • das Klippel-Trénauny-Syndrom und • das Hemimegaloenzephalie-Syndrom gezählt (▶ Tab. 2) (6). Im Folgenden werden ausschließlich die Syndrome besprochen, die keine ZNS-Beteiligung haben und letztendlich viele Überlappungen zeigen: • das CLOVE-Syndrom, • das Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom und • das Klippel-Trénaunay-Syndrom (7). Diese segmentalen Überwuchssyndrome sind evtl. Varianten eines Syndrom-Spek- trums, das unterschiedliche Schweregrade beschreibt. Der segmentale Überwuchs betrifft den Knochen und das Fettgewebe mit Lipomatose. Zusätzlich können Gefäßfehlbildungen und epidermale Nävi auftreten. CLOVE-Syndrome Das Akronym des CLOVE-Syndroms steht für: • kongenitalen lipomatösen Überwuchs, • vaskuläre Fehlbildungen und • epidermale Nävi. Es ist charakterisiert durch einen angeborenen, asymmetrischen Überwuchs von Fettgewebe (Lipomatose) v. a. des Körperstamms. Insbesondere die Fußsohlen können betroffen sein. Kapilläre, venöse, lymphatische und kombinierte Gefäßfehlbildungen sind wie auch epidermale Nävi und Skelett- sowie spinale Anomalien zu beobachten (▶ Abb. 1–3). Als Konsequenz kön- nen Skoliosen sowie Hand- und Fußdeformitäten inklusive Makrodaktylie auftreten (▶ Abb. 4). Auffällig ist eine prominente Sandalenfurche. Fibroadipöses Hyperplasie-Syndrom Auch bei Patienten mit Fibroadipöser Hyperplasie wurden kürzlich somatische PIK3CA-Mutationen beschrieben (8). Es kann ein progressiver segmentaler Überwuchs von Organen, von Subkutan-Gewebe, Muskeln sowie fibroadipösem und skelettalem Gewebe auftreten. Der Körperstamm und die Extremitäten können betroffen sein (9). Die lipomatösen Auffälligkeiten können sich in Form von Fettgewebsinfiltration von Muskeln und dysregulierter Fettgewebsverteilung präsentieren. Außerdem werden Gefäßfehlbildungen, Hodenabnormalitäten und Polydaktylie beobachtet. © Schattauer 2016 Kinder- und Jugendmedizin 6/2016 Downloaded from www.kinder-und-jugendmedizin-online.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 413 414 J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome Klippel-Trénaunay-Syndrom Das Klippel-Trénaunay-Syndrom (KTS) wurde ursprünglich im Jahr 1900 von den beiden Erstbeschreibern definiert als Triade von: • Nävus flammeus (kapilläre Malformation), • asymmetrischer Hypertrophie von Knochen und Weichteilgewebe sowie • angeborener Varikose (venöse Malformation) (10). Einige Jahre später konnte Parkes Weber zeigen, dass zusätzlich arterio-venöse Malformationen auftreten und so wurde diese Variante als Klippel-TrénaunayWeber-Syndrom benannt (11). Erst vor einigen Jahren konnte auch in diesem segmentalen Überwuchssyndrom eine somatische Mutation im PI3KCA-Gen gefunden werden (siehe unten). Es ist nun klar, warum es phänotypisch viele Überlappungen mit den anderen PROSSyndromen gibt und der Name KTS eher aus historischer Bedeutung beibehalten wird. PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrome Diese Syndrome haben viele Überlappungen: Es wir das Cowden-Syndrom vom Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom (BRRS) und dem SOLAMEN-Syndrom unterschieden. Syndrom Cowden-Syndrom Letztendlich weisen alle diese Patienten Hamartien auf, die z. B. als Intestinale Polypen auch Entartungspotenzial haben und so zu den Präkanzerosen gezählt werden. Die hamartösen Läsionen können an der Haut, den Schleimhäuten, der Brust und der Schilddrüse auftreten. Die Phänotypen lassen sich nur schwierig voneinander unterscheiden und es werden zahlreiche Überlappungen beobachtet. Wichtig ist, dass hier Keimbahnmutationen im PTEN-Gen vorliegen und die „Hamartome“ Ähnlichkeiten mit Überwuchsphänotypen zeigen (▶ Tab. 3). Beim Cowden-Syndrom sind auch Keimbahnmutationen im PI3KCAGen gefunden worden (12). Somit können die bei den segmentalen Überwuchssyndromen gefundenen somatischen Mutationen auch als Keimbahnmutation auftreten. Genetik Die segmentalen Überwuchssyndrome sind genetische Erkrankungen, die nicht auf klassischen Keimbahnmutationen, sondern überwiegend auf somatischen Mutationen basieren. Im Gegensatz zu Keimbahnmutationen, bei denen die veränderten Gene in allen Körperzellen zu finden sind und die deshalb aus DNA von Blutzellen diagnostiziert werden können, sind somatische Mutationen nur im betroffenen Gewebe nachzuweisen. Aus diesem Grund braucht es für die Diagnostik immer eine Phänotyp • Makrozephalie • Trichilemmomas, papillomatöse Papulen • maligne Tumoren der Schild- Genetik Keimbahn-PTENu./o. PIK3CAMutationen drüse, der Brustdrüse und des Endometrium BannayanRiley-RuvalcabaSyndrom • Makrozephalie • lipomatöser Überwuchs • intestinale Hamartomatöse Keimbahn-PTENMutationen Polyposis Malformationen • Lipomatose • AV-Malformationen • epidermale Nävi • maligne Tumoren wie Ovariarzystadenom, Brusttumoren, Schildrüsentumoren AKT1-Mutationen (Proteus-Syndrom) Das Proteus-Syndrom weist eine somatische Mutation im AKT1-Gen auf. Dabei handelt es sich um eine aktivierende Mutation. Interessanterweise handelt es sich bei allen bisher gefundenen AKT1-Mutationen bei PS um die „gain-of-function” Missens Mutation p.E17K (8). Als Konsequenz ist der mTOR Signalweg im betroffenen Gewebe konstant überaktiv. PI3KCA-Mutationen (PROS-Syndrome) Ein weiteres Gen des mTOR-Signalwegs ist die Kinase PI3K. Mutationen in diesem Gen führen ebenfalls zu einer Aktivierung des Signalwegs. Für das CLOVE-Syndrom (13) und für das Fibröse Hyperplasie-Syndrom konnten somatische Mutationen in PI3KCA gefunden werden. Bisher wurden ca. 30 Mutationen in PI3KCA beschrieben; fünf wurden wiederholt entdeckt: p.C420R, p.E542K, p.E545K, p.H1047R und p.H1047L2. Von 21 KTS-Patienten wurde bei 20 eine PI3KCA-Mutation gefunden. PTEN-Mutationen (Cowden-, BRR-, SOLAMEN-Syndrom und andere) • venöse + arteriovenöse SOLAMENSyndrom Tab. 3 PTEN-HamartomTumor-Syndrome Biopsie aus dem betroffenen Körperabschnitt. Man spricht auch von Mosaik-Erkrankungen, da bei einer Person tatsächlich mehrere Körperabschnitte vom Großwuchs betroffen und die somatischen Mutationen wie bei einem Mosaik zwischen genetisch „normalen“ Körperzellen eingestreut sein können. Die Mutationen bei den segmentalen Überwuchssyndromen treten bei Genen des mTOR-Signalwegs auf (▶ Abb. 5). Dieser Signalweg wird nach Bindung des Liganden (Wachstumsfaktor) an den Rezeptor (Tyrosinkinase) aktiviert. Durch die Mutationen kommt es zu einer von Ligand und Rezeptor unabhängigen Aktivierung. Keimbahn-PTENMutationen Das PTEN-Gen wird auch als Tumorsuppressorgen bezeichnet und kontrolliert den mTOR-Signalweg durch seine hemmende Wirkung. Kommt es zu Mutationen in PTEN mit Funktionsverlust, resultiert erneut eine unkontrollierte Überaktivierung Kinder- und Jugendmedizin 6/2016 © Schattauer 2016 Downloaded from www.kinder-und-jugendmedizin-online.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome des Signalwegs. Die Mutationen in PTEN wurden überwiegend in der Keimbahn gefunden und verursachen so unterschiedliche Syndrome wie das Cowden-, das BRRund das SOLAMEN-Syndrom mit vielen phänotypischen Überlappungen (14). Wichtig ist festzuhalten, dass die PTENMutationen als Prädispositionssyndrome für Tumorerkrankungen gewertet werden und deshalb Screening-Untersuchungen empfohlen werden. Diagnostik Die nicht-apparativen Untersuchungsmethoden sind bei den segmentalen Überwuchssyndromen absolut wichtig: Eine ausführliche Anamnese mit der Erfragung von Beginn des Überwuchses ist evident. Es macht Sinn, alte Photos der Patienten mit zu beurteilen. Ebenso wichtig ist die körperliche Untersuchung, bei der die Person ausführlich mit besonderem Blick auf Hautbefunde inspiziert werden muss. Die MRT-Untersuchung ist dann als ergänzende Untersuchung sinnvoll – mit Kontrastmittel, um auch Gefäßfehlbildungen zu detektieren. Wenn möglich, sollte eine Ganzkörper-MRT-Untersuchung durchgeführt werden, denn oft werden so klinisch nicht sichtbare Befunde erkannt. Ein SchädelMRT ist sicherlich auch sinnvoll – die Dringlichkeit sollte von der neuropsychologischen Untersuchung abhängig gemacht werden. Die weitere Betreuung sollte auf alle Fälle interdisziplinär erfolgen: Orthopäden haben hier eine wichtige Rolle, um das Wachstum der Extremitäten sowie die Wirbelsäule regelmäßig mit zu beurteilen. Therapie Bisher stand als Therapie für das vom Überwuchs betroffenen Gewebe allein die Chirurgie als Option zur Verfügung. Da eine Entfernung der Läsionen häufig plastische und rekonstruktive Folgeoperationen notwendig macht, ist die chirurgische Behandlung oft ein Verfahren über einen längeren Zeitraum. Es ist auch sehr schwierig, den richtigen Zeitpunkt für eine Operation festzulegen: Oft werden die sich im unkontrollierten Wachstum befindlichen Gewebe Abb. 5 Nach Interaktion des Liganden (Wachstumsfaktor) mit dem Rezeptor (Tyrosinkinase) wird der intrazelluläre mTOR-Signalweg aktiviert: Die Moleküle AKT1, PI3KCA und mTOR werden phosphorylisiert, PTEN wirkt als Kontrollgen. Sind die Gene mutiert, kommt es zu einer von der Ligand/Rezeptor-unabhängigen Aktivierung des Signalwegs. Bei den AKT1- und PI3KCA-Mutationen handelt es sich meist um somatische, aktivierende Mutationen. Bei den PTEN-Mutationen, die in der Keimbahn auftreten, resultiert ein Funktionsverlust. zunächst nur beobachtet („whatch and wait“); es kann aber dann auch für ein gutes funktionelles Ergebnis schwierig sein, wenn die chirurgischen Maßnahmen zu spät beginnen. Wichtig ist vor allem die Betreuung der Patienten in einem interdisziplinären Zentrum mit Expertise auf dem Gebiet der segmentalen Überwuchssyndrome. Letztendlich wäre eine medikamentöse Behandlung wünschenswert, die möglichst nur einen Einfluss auf die betroffenen Körperteile hat und nicht auf das – vor allem im Kindes- und Jugendalter vorhandene – physiologische Wachstum. Mit der Beschreibung der Gendefekte in den letzten Jahren scheint ein medikamenTab. 4 Fallberichte über Sirolimus bei segmentalen Überwuchssyndromen töser Therapieansatz denkbar: Wie oben beschrieben, sind alle Mutationen in Genen des mTOR-Signalwegs zu finden und so könnte eine Behandlung mit mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus, etc.) effektiv sein. Tatsächlich sind erste Fallberichte veröffentlicht worden, die einen solchen Therapieansatz als sinnvoll erscheinen lassen (▶ Tab. 4). Aufgrund des Vorhandenseins entsprechender Mutationen auch in malignen Tumoren, sind in der Krebsforschung weitere Inhibitoren entwickelt worden, die noch spezifischer Einfluss auf den Überwuchs nehmen könnten: z. B. AKT- und PI3K-Inhibitoren. Hier sind jedoch aktuell noch keine Erfahrun- Diagnose Effekt PTEN-HamartomTumor-Syndrome 9-jähriges Mädchen mit Hamartomen (15) des Brustraums, des Mediastinums, des Abdomens und des Beckens: Alle Hamartome sind unter Siolimus regredient. BRR-Syndrom 6 Jahre alter Junge mit Lipomatose am Unterarm, Schmerzen und funktionsverlust: unter Sirolimus Verschwinden der Schmerzen und volle Mobilität (16) PTEN-HamartomTumor-Syndrome Kind mit Thymushyperplasie und abdomineller Lipomatose: Läsionen unter Sirolimus regredient (17) © Schattauer 2016 Referenz Kinder- und Jugendmedizin 6/2016 Downloaded from www.kinder-und-jugendmedizin-online.de on 2017-06-03 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 415 416 J. Rössler: Segmentale Überwuchssyndrome gen mit Patienten mit segmentalen Überwuchssyndromen verfügbar. In den USA und in Frankreich/England werden aktuell Patienten mit nachgewiesenen somatischen PI3KCA-Mutatio- Fazit für die Praxis Segmentale Überwuchssyndrome sind seltene Erkrankungen, die in den letzten Jahren genetisch teilweise aufgeklärt werden konnten. Vom Überwuchs betroffen können das Skelettsystem, das Fett- und Bindegewebe, aber auch ganze Extremitäten und Organe sein. Wichtig ist, die Anamnese zu erheben und herauszuarbeiten, wann das unkontrollierte Wachstum begonnen hat. Auch die körperliche Untersuchung ist wichtig mit Fokus auf zusätzliche Hautbefunde. Die Unterscheidung zwischen Proteus-, PROS- und PTEN-Hamartom-Tumor-Syndromen sollte interdisziplinär erfolgen. Beim Proteus-Syndrom sind somatische, aktivierende Mutationen im AKT1-Gen gefunden worden. Bei den PROS „PI3K related overgrowth spectrum“-Syndromen, wie dem CLOVE-, dem Fibroadipöse Hyperplasie-Syndrom und dem Klippel-Trénaunay-Syndrom, sind Mutationen in der Kinase PI3KCA beschrieben. Auch hier ist die Mutation somatisch, d. h. im betroffenen Gewebe zu finden. Mutationen in der Keimbahn von PTEN führen zu den hamartösen Tumor-Syndromen wie dem Cowden-, dem BannayanRiley-Ruvalcaba(BRR) und dem SOLAMEN-Syndrom. Letztendlich muss die Überprüfung der Mutationen aus dem mTOR-Signalweg eine abschließende Diagnose erbringen. Da es sich überwiegend um somatische Mutationen handelt, sind Biopsien notwendig. Eine regelmäßige Betreuung mit Durchführung von MRT durch ein interdisziplinäres Team ist wichtig. Evtl. könnte die Behandlung mit mTOR-Inhibitoren, wie z. B. Sirolimus, die Chirurgie, die aktuell noch als alleiniges Therapieverfahren neben dem „watch and wait“-Ansatz besteht, ablösen. Hierzu werden aktuell Studien mit Sirolimus durchgeführt. nen mit Sirolimus im Rahmen einer Studie behandelt. Auch in Deutschland ist eine Studie mit Sirolimus für segmentale Überwuchssyndrom-Patienten in Vorbereitung, die an vier Prüfzentren (Universitätsklinikum Freiburg, Leipzig, Bonn und Klinikum Berlin-Vivantes) gegen Ende des Jahre 2016 erste Patienten rekrutieren wird (SIPA-SOS-Studie, EudraCT No. 2015 005416 15). Im Rahmen der Studie wird auch versucht, Biomarker zu identifizieren, die ein Ansprechen auf eine mTOR-Inhibitoren-Therapie voraussagen lassen könnten. Danksagung Ich danke dem gesamten Team der interdisziplinären Sprechstunde für Hämangiome und Gefäßfehlbildungen am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg (www. haemangiomrunde.de) für die jahrelange gute Zusammenarbeit und Unterstützung. Insbesondere danke ich den Patienten und ihren Familien dafür, dass sie einverstanden waren, dass die Fotos veröffentlich werden dürfen. Interessenkonflikt Meine wissenschaftlichen Arbeiten wurden von den Firmen Novartis, Pierre Fabre und Pfizer unterstützt. Ich bin als Berater bei den Firmen Böhringer-Ingelheim, Orfagen und Pierre Fabre tätig. Als Prüfarzt habe ich klinische Studien der Firmen Bayer, BMS, Cellgene, GSK, Helsinn Healthcare, Infectopharm, Merck, Novartis, Pierre Fabre, Roche und Sanofi Aventis durchgeführt. Literatur 1. Neylon OM, Werther GA, Sabin MA. 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