Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Volker Bernius Wissenswert Das neue jüdische Pop-Selbstbewußtsein Von Klaus Walter Mittwoch, 12.12.2012, 08.40 Uhr, hr2-kultur Sprecherin: Sprecher: 12-134 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 2 Sprecher 2 ”Ich glaube nicht an Gott und ich bin bestimmt kein Zionist, nichts an mir ist koscher, ich bin ein Jude von meiner Hakennase bis zu meinem beschnittenen Schwanz, Hitler war es egal woran ich glaube, er wollte mich töten, wie alle von uns. Hitler macht mich zum Juden, Rassisten machen mich zum Juden, ich habe die Rassenbarrieren satt, ich bin ein Jude, fuck you!‛ Die englische Band The Long Decline erinnert in einem Song aus dem Jahr 1995 noch einmal daran, wer Juden zu Juden macht, wer sich warum Juden hält, als inneren Feind, als äußeren Feind, den reichen Juden, den sexuell potenten Juden, den holocaustprivilegierten Juden. ”I´m a jew‛ ist ein typisches Beispiel für ein neues jüdisches Selbstbewusstsein im Pop, das offensiv mit der Opferrolle bricht. ”I´m a jew, fuck you‛ appelliert nicht auf devote Art an die philosemitischen Gönnerdeutschen. The Long Decline sind Juden, sie sagen es, und wem das nicht passt, der bekommt den Mittelfinger. Das Cover der Single zeigt eine Collage: ”Cool Jews‛ , unter den coolen Juden finden wir die Marx Brothers incl. Karl Marx, Rosa Luxemburg, die Philosophin Susan Sontag, und viele Größen der Popmusik: Laura Nyro und Bob Dylan, Lou Reed und Leonard Cohen. ”I´m a jew, fuck you‛, das gefällt auch Caspar Battegay, dem Autor des Essays über ”Popkultur und Judentum‛: (1.30/1.50 incl Musik) WiWe Battegay 6 Long Decline 0.41 ”I´m a jew‛ ist extrem witzig, ein Akt der Befreiung und Autonomie, im Sinne dessen, was Maxim Biller mal gesagt hat: ich will nicht Jude sein, weil man mich als Jude sieht, sondern weil ich es bin, naiv, aber nicht selbstverständlich. Das wollte ich in meinem Buch zum Ausdruck zu bringen. Da werden Figuren des Jüdischen entworfen, die sich Festschreibungen widersetzen. ”I´m a jew‛ ist gewaltsam, aber auch ironisch und befreiend.‛ Als weiteres Beispiel für den befreienden Umgang mit dem Jüdischsein nennt Caspar Battegay in seinem Buch den Namen Josh Dolgin. Josh Dolgin ist ein weißer, jüdischer Rapper aus Montreal, er nennt sich DJ SoCalled, also DJ Sogenannt und verweist damit auf eine jüdische Überlebenstechnik: sich einen neuen Namen geben, um nicht als Jude identifiziert zu werden. DJ SoCalled Good old days Seite 3 Als DJ SoCalled verfremdet Dolgin beliebte jiddische Lieder für seine kunstvollen HipHopBastarde. Im nostalgischen Schwarzweiß-Videoclip zu ”Good old days‛ – die guten alten Zeiten – in diesem Video also spielt Benny Goodman eine tragende Rolle. Geboren als Benjamin David Goodman lernte der spätere Vater des Swing das Klarinette spielen in der Kehelah-Jacob-Synagoge von Chicago. In ”Good old days‛ verweist DJ SoCalled auf eine weitere Tradition des jüdisch-amerikanischen Entertainments: DJ SoCalled Good old days (ab 0.30 ‛Fight for your right to fight‛) ”Fight for your right to fight‛, verkündet der jüdische Rapper SoCalled und macht sich seinen eigenen Reim auf eine berühmte Parole des Rap. Beastie Boys Fight for your right to party ”Fight for your right to party‛, die Beastie Boys, drei jüdische Jungs aus dem New Yorker Bürgertum machen einen Haufen Geld mit Rap, einer Musik des schwarzen Amerika. Doch auch jüdische Künstler fühlen sich als Außenseiter und identifizieren sich darüber mit der afroamerikanischen Minderheit. Caspar Battegay, vom Zentrum für jüdische Studien der Universität Basel, schreibt: 1.30/2.35/3.25 Sprecher 1: ”Schwarz sein, ja schwarz werden: Diese Fantasie dominiert die Subkultur der späten 1960er und 1970er Jahre.‛ Und in den 80ern? Mit dem Album ”Licensed to ill‛ schaffen die Beastie Boys 1986 einen historischen Durchbruch: das erste HipHop-Album auf Platz Eins der US-Charts, von drei weißen, jüdischen Jungs aus dem New Yorker Bürgertum. Was ist eigentlich das Jüdische an den Beastie Boys? WiWe Beeber 10 Smart Ass (unsynchronisiert: 0.04) ”Ihr smart-ass-anarchischer jüdischer Humor. Sie sind so eine Art Marx Brothers der Musik.‛ Die Beastie Boys seien die Marx Brothers der Musik, sagt der amerikanische Autor Steven Lee Beeber und bescheinigt ihnen einen smart-ass-anarchischen, jüdischen Humor. Beeber Seite 4 hat ein vieldiskutiertes Buch über die jüdischen Ursprünge des New Yorker Punk geschrieben. Aber was bitteschön ist das, smart-ass-anarchischer, jüdischer Humor, Steven Lee Beeber? WiWe Beeber 11 Humor Beasties / Sync Sprecher 2 ´37 / 30 Humor und Parodie sind ganz elementar. Als klassischer Außenseiter durchschaut man die Heuchelei und Verlogenheit der Mehrheitskultur. Die jüdische Kultur legt viel Wert auf Witze und Humor, und auf soziale Gerechtigkeit. Aus dieser Kombination entstehen oft Parodien auf populäre Motive der Massenkultur, wenn sich etwa die Ramones über die Surfmusik lustig machen oder wenn Bob Dylan klassische Folksongs dekonstruiert. Oder die Beastie Boys, die den Humor eines Jerry Lewis in HipHop-Songs übertragen, etwa in ”Hey ladies!‛ 1.30/5.00 Beastie Boys Hey Ladies Die Beastie B oys übertragen den Humor des Hollywood-Komikers Jerry Lewis in HipHopSongs, meint Steven Lee Beeber und belegt das mit ”Hey Ladies‛, ein Song aus dem Album ”Paul´s Boutique‛ von 1989. Darauf findet sich auch der Song ”Shadrach‛. Ein expliziter Hinweis auf die jüdische Geschichte der Beastie Boys. Da vergleichen sich die drei Rapper mit den drei jungen Juden Shadrach, Meshach und Abednego. Der Überlieferung nach weigern sich die Drei Nebukadnezar zu huldigen, dem König Babylons. Dieser lässt sie gefesselt in einen glühend heißen Ofen werfen. Aber, die drei Freunde werden auf wundersame Weise von einem Engel befreit. So machen Shadrach, Meshach und Abednego Geschichte: die Kinder Israels, die ihre Identität nicht verleugnet haben. WiWe Beeber 12 Shadrach / Sync Sprecher 2 0.07 / 0.04 Sie wollten lieber in den Flammen tanzen, als von den Flammen verzehrt zu werden. Beastie Boys Shadrach Die Beastie Boys erzählen jüdische Geschichte im Medium HipHop. Definitiv kein GangsterRap. WiWe Beeber 13 Neumann 0´05 Unsynchronisiert Seite 5 (It wasn´t Gangster Rap, it was Alfred A.Neumann of Mad Magazine Rap) Das war kein Gangster Rap, das war Alfred E.Neumann Rap, sagt Steven Lee Beeber. Alfred E.Neumann, der jüdische Nerd vom Satire-Magazin Mad. 1.05 / 0.30/ 6.35 Alfred E. Neumann and the Farshlugginer Five (Rülps bei 20 und 32 Sek.) It´s a gas Sprecher 1: Anfang der 60er-Jahre lag dem Heft eine Single mit dem Song It’s A Gas bei, vorgetragen von »Alfred E. Neumann and the Farshlugginer Five«: drei Minuten Surf-Rock, unterbrochen von lauten Rülpsern. (maximal 11 Sekunden!) So die Jüdische Allgemeine im Sommer 2012 zum 60.Geburtstag des Mad Magazins. Alfred E. Neumann and the Farshlugginer Five It´s a gas Sprecher 1: Das war das MAD-Magazine in diesen Jahren, ein ekliges, fröhliches Aufstoßen in der bunten Wunderwelt der Fünfziger und frühen Sechziger in den USA. Es war hip und wirklich albern gleichzeitig. Hip und albern wie der Song mit dem Rülpser. Der hat einen interessanten Titel: Sprecher 1: It´s a gas Das englische Gas hat mehrere Bedeutungen: Es steht für Wichtigtuerei und leeres Gerede, auch für Blähungen. Und für Gas. Das Verb to gas heißt faseln und quatschen. Aber auch: vergasen. 0.40/0.15/0.55 / 7.30 Alfred E. Neumann and the Farshlugginer Five It´s a gas (auf Rülpser) Seite 6 Hip und albern, mit doppeltem Boden. Diesen offensiven Humor meint Steven Lee Beeber, wenn er die Beastie Boys mit Alfred E.Neumann vergleicht. WiWe Beeber 13 Neumann 0´05 Unsynchronisiert (It wasn´t Gangster Rap, it was Alfred A.Neumann of Mad Magazine Rap) Drei weiße Jungs aus dem gehobenen New Yorker Bürgertum, schaffen in den Achtziger Jahren etwas typisch Jüdisches, so Steven Lee Beeber: WiWe Beeber 14 Grenzen / Sync Sprecher 2 0.09 / 0.07 Kulturelle Grenzen überschreiten, das ist sehr jüdisch. Die Beastie Boys waren die erste weiße Gruppe, die in der schwarzen HipHop-Gemeinde akzeptiert wurde. 40/8.10 Marc Ribot & The Rootless Cosmopolitans Mood Indigo Einen Klassiker des schwarzen Jazz interpretiert Marc Ribot: ”Mood Indigo‛ von Duke Ellington. Ribots Album trägt einen sprechenden Titel: Rootless Cosmopolitans. Wurzellose Kosmopoliten – so nannte Josef Stalin die Juden – und es war nicht als Kompliment gemeint. Der Jude Marc Ribot trägt die Beleidigung mit Stolz, er ist gerne ein wurzelloser Kosmopolit. Und er ist ein Protagonist der Radical New Jewish Music. Die Bewegung radikale neue jüdische Musik entsteht in den frühen 90ern in New York. Sie sucht nach neuen Ausdrucksformen jüdischer Musik und sie bricht mit der Tradition. 35/40 WiWe Ribot 3 Kontinuität Sync Sprecher 2 0.09 / 0.05 Ich bin nicht mit Klezmer aufgewachsen. Es gibt keine Kontinuität, das ist ein radikaler Bruch. Sagt der Gitarrist Marc Ribot und verortet die Radical New Jewish Music im politischkulturellen Klima der frühen Neunziger. WiWe Ribot 2 Radical Jewish Identity Sync Sprecher 2 0.13 / 0.08 Die radikale neue jüdische Musik ist zur Hochzeit der Identitätspolitik aufgekommen, zur selben Zeit gab es Queercore und die Riot Girrls. Marc Ribot sieht eine Verwandtschaft der Radical New Jewish Music zu den feministischen und sexualpolitischen Bewegungen dieser Zeit. Und woher kommt der Name? WiWe Ribot 1 John Zorn unsync 0.04 (Radical New Jewish Music, der Name war die Erfindung von John Zorn.) Seite 7 42 / 9.30 John Zorn also ist der Erfinder der Radical New Jewish Music. John Zorn, der usamerikanische Komponist, Saxophonist und Musikproduzent von Neuer Musik und Jazz. Pain Killer Scud Attack Radikale neue jüdische Musik, fürwahr. ”Scud Attack‛ heißt dieses Stück von John Zorns Band ”Pain Killer‛, eine musikalische Verarbeitung der Angriffe irakischer Scud-Raketen auf israelische Ziele im Golfkrieg. Klezmer-Gemütlichkeit kommt da nicht auf. Ein Nebenprojekt der Radical Jewish Music ist die von John Zorn initiierte Reihe ”Great Jewish Music‛. Unter diesem Motto werden große jüdische Musiker des 20.Jahrhunderts gewürdigt, so etwa Serge Gainsbourg, Marc Bolan von T.Rex oder den Komponisten Burt Bacharach. Medeski, Martin & Wood Do you know the way to San Jose Medeski, Martin & Wood verfremden den Bacharach-Evergreen ‛Do you know the way to San Jose“. Aneignung der jüdischen Geschichte, darum geht es jüngeren Bands, die sich Jewish Monkeys nennen, die Jüdischen Affen. Oder Jewrythmics, eine Verballhornung der Eurythmics. Rotfront Gay, Gypsy & Jew ”Gay, Gypsy & Jew‛ – Schwul, Zigeuner, Jude! Auch die Berliner Band Rotfront trägt die Diskriminierung mit Stolz. Der Kopf des internationalen Projekts Rotfront ist der aus der Ukraine stammende Jude Yuriy Gurzhy. Die Idee zu ”Gay, Gypsy & Jew‛ kommt der Band in einem europäischen Land, in dem Schwule und Lesben, Sinti und Roma und auch Juden heutzutage ihres Lebens nicht sicher sein können. WiWe Yuriy Gurzhy 1 Gay Gypsy Jewish 0.24 ”Gay Gypsy & Jew ist von der Situation in Ungarn inspiriert, deswegen dachten wir, dass er nur in Ungarn verstanden wird. Ist aber nicht so, in jedem Land berichten uns die Leute von ähnlichen politischen Tendenzen und feiern den Song.‛ 2.10/11.30 Und in Deutschland? Die Schwierigkeiten mit der sogenannten Normalität beschreibt Caspar Battegay in seinem Buch über Judentum und Pop. Sprecher 1: Seite 8 Auch Juden sind ganz normale Deutsche und eigentlich sind auch Deutsche ganz normale Juden. Mit diesem vermeintlichen Gleichgewicht der Normalität spielt der jüdische Komiker Oliver Polak in einer Comedy-Nummer mit dem Titel ”Lasst uns alle Juden sein‛, die auch als youtube-Video kursiert. Oliver Polak Laßt uns alle Juden sein Sprecher 1: Wenn alle Menschen Juden wären, würde es das Judentum paradoxerweise nicht mehr geben. Schreibt Caspar Battegay, dann wäre nämlich Sprecher 1: ”der Gedanke der Auserwähltheit unter den Völkern‛ gegenstandslos. Battegay weiter: Sprecher 1: Oliver Polak geht gar nicht von einer religiösen Perspektive aus, sondern von der biographischen Erfahrung, im Nachkriegsdeutschland Jude zu sein und damit einer extrem ausgestellten, doch durch Tabus geschützten Minderheit anzugehören. Polaks Vater ist der einzige Überlebende der ca. 100 Juden, die aus der Kleinstadt Papenburg deportiert wurden, kehrte nach dem Krieg jedoch zurück, um ”das lebende Mahnmal‛ zu sein. Diese unfreiwillige Funktion des Gedächtnisträgers geht schließlich auch auf den Sohn über: ”Und dann kam auch noch ich: ‚Mahnmal – the next Generation‘. Ob ich wollte oder nicht.‛ Der Aufruf ”Lasst uns alle Juden sein!‛ formuliert eine imaginäre Flucht aus diesem Zwang zur Repräsentation, er ist ein ambivalentes Statement gegen die anhaltende Fixierung der Identität als ”Jude‛ und damit als Verkörperung der deutschen Schuld, die essentiell mit der deutschen Wahrnehmung des ”Jüdischen‛ verbunden ist. Der Schluss des Videos ist vielleicht am gelungensten. Wie ein Straßenmusiker an einen Brunnen gelehnt steht Dirk von Lowtzow, der Frontmann der Band Tocotronic, und singt die Refrainzeile ”Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein‛ aus dem gleichnamigen Song. Seite 9 Tocotronic Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein Sprecher 1: Anstatt ”Jugendbewegung‛ singt Dirk von Lowtzow in Polaks Video aber ”Ich möchte Teil einer Judenbewegung sein‛. Oliver Polak & Dirk von Lowtzow Judenbewegung sein) __ Lasst uns alle Juden sein (Ich möchte Teil einer