Mo., 19. 1. Forschung Spezial 9 JOURNAL FÜR TECHNOLOGIE UND ENTWICKLUNG Im Kreuzungsbereich ist Vorsicht geboten: In Ermangelung von Verkehrsschildern, die das Zusammenfallen unglücklicher Ereignisse mit nachfolgendem Personenschaden verhindern sollen, suchen Forscher nach anderen – wenn auch nicht weniger findigen – Lösungen. Collage: Michaela Pass Zwei Schritte vor im Krebsgang Mit Erkenntnissen aus Genforschung und Tumorbiologie wissen Wissenschafter zwar längst noch nicht alles, aber doch immer mehr über die Entstehung von Krebs. Als besonders viel versprechend gilt die Arbeit mit Biomarkern: Sie sollen helfen, den Tumor noch früher zu erkennen. Dennoch bleibt die tägliche Ration Obst und Gemüse unverzichtbar. Doris Priesching Fast jeder kennt das Phänomen: Da gibt es den 90-Jährigen. Er trinkt täglich Alkohol, raucht seit seiner Jugend ein Päckchen Zigaretten pro Tag und verzichtet nur ungern auf die Fettkruste am Schweinebraten. Und dann der andere, 38 Jahre alt: Lebt gesund, isst wenig Fleisch, treibt regelmäßig Sport, achtet auf sein Gewicht und hat sein Leben lang noch nie eine Zigarette angerührt. Der eine ist kerngesund, der andere erkrankt an Lungenkrebs. Wie kann das sein? Bei Rätseln wie diesem setzt die moderne Krebsursachenforschung an. Wenn auch eher der umgekehrte Fall Regel ist, so erstaunen diese wundersamen Beispiele stets aufs Neue. Mit den fortschreitenden Erkenntnissen aus Genforschung und Tumorbiologie wissen Wissenschafter zwar längst noch nicht alles, aber doch immer mehr über die Entstehung von Krebs. Mit dem Ziel, bösartige Erkrankungen so früh wie möglich zu erkennen oder ihnen gar vorzubeugen. „Ziel ist, den Tumor zu charakterisieren und eine maßgeschneiderte Therapie zu entwickeln“, erklärt Brigitte Marian vom Institut für Krebsforschung in Wien. Mit den neuen Technologien will man das unbere- chenbare Verhalten von Krebszellen vorhersagen. Für das Rauchen weiß man etwa, dass im Zigarettenrauch enthaltene Stoffe per se für den Menschen nicht gefährlich sind. Krebs erregend wird der Qualm erst durch so genannte Phase-I-Enzyme. Auf der anderen Seite spielen Phase-II-Enzyme eine wichtige Rolle bei der Entgiftung: „Das Lungenkrebsrisiko könnte, je nachdem, ob jemand viele oder sehr wenige von einem der Enzyme hat, abhängen“, vermutet Marian. Das ermögliche das Festmachen von Risikogruppen. Rotkraut hilft Zum anderen sei es möglich, durch gesunde Ernährung in ein bestehendes Ungleichgewicht einzugreifen: Studien belegen beispielsweise, dass nach mehrtägigem Konsum von je 300 Gramm Rotkraut ein schützendes Krebsenzym stärker aktiviert wurde. Ähnliches gilt für Kohl, Brokkoli und Kresse. Im Bereich der herkömmlichen Krebsprävention werde zurzeit überhaupt viel geforscht, berichtet Marian: Grüner Tee zum Beispiel wirke aufgrund seiner antioxidativen Wirkung Krebs hemmend. Allerdings: „Die Einzigen, die wirklich ausreichende Konzentrationen zu sich nehmen, sind vermutlich die Japaner.“ Weitgehend unbekannt ist, was in den Zellen passiert, wenn mehrere dieser Stoffe lange Zeit kombiniert werden. Vielversprechendstes Instrument bei der Früherkennung von Krebs sind so genannte Biomarker. Dabei handelt es sich um frühzeitige biologische Warnschilder, die ein schen Alltag noch fünf bis zehn Jahre dauern könnte. Für die Experimente mit Prostatakrebs rechnet er noch heuer mit ersten Ergebnissen. Auf lange Sicht könnte sich der Test als kostengünstiger und vor allem unkomplizierter Teil einer Gesundenuntersuchung etablieren: Dann könnte tatsächlich eine einfache Blutprobe genügen, um eine Reihe von Tumoren in einem früheren Stadium als bisher zu identifizieren. (prie) der Standard Webtipp: www.biocrates.at info.uibk.ac.at/c/c5/C527 www.uibk.ac.at/c/c7/c725 der Standard Webtipp: www.univie.ac.at/ Krebsforschung www.k-m-t.at Biomarkertest soll mit einfacher Blutentnahme bald Teil der Gesundenuntersuchung sein der Prostata. Der menschliche Organismus zählt insgesamt mindestens 30.000 verschiedene Proteine. Nur einige wenige sind charakteristisch für Tumore, und die gilt es zu identifizieren. Das geschieht mithilfe eines so genannten Massenspektrometers – ursprünglich ein Messinstrument für physikalische Experimente, mit dem man Moleküle exakt nach ihrem Gewicht trennen kann. Durch Anlegen einer Spannung wird Molekülen ein Elektron zugefügt oder entrissen (ionisiert). Diese Ionen werden in einem Magnetfeld freigesetzt und durch Be- schleunigung von ihrer eigentlichen Bahn abgelenkt. Schwere Moleküle lassen sich dabei schwerer abdrängen als leichte. Aus der Physik „Die Methode ist dazu geeignet, aus einer einzigen Blutprobe ganz viele solcher biologischen Schutzschilde zu bestimmen“, erklärt Klaus Weinberger von Biocrates Life Science. Das bislang noch ausschließlich am Prostatakarzinom getestete Verfahren soll bald auch an anderen Krebsarten ausprobiert werden. Weinberger schätzt aber, dass es bis zum Einsatz im medizini- Frühe Diagnose „Lange bevor er Beschwerden macht“, könne man den Tumor erkennen, glaubt der Biocrates-Forscher Klaus Weinberger. Die Methode kann er sich auch für Brust-, Gebärmutterhals-, Lungen-, Magen- und Dickdarmkrebs vorstellen. Bei jeder Krebsart ist die frühe Diagnose entscheidend für den Therapieverlauf (siehe Artikel unten). Exotisch muten mathematische Ansätze an: Der aus Österreich stammende und in den USA arbeitende Evolutionsforscher Martin A. Nowak will mithilfe von Wahrscheinlichkeitsberechnungen nachweisen, dass der Grundstein so mancher Krebserkrankungen bereits im Embryo gelegt würde. „Durchaus möglich“, meint Brigitte Marian und berichtet von Frauen, die während ihrer Schwangerschaft Östrogenersatzstoffe bekamen. „Die Töchter hatten Vaginalkarzinome.“ Bei all dem bleibt der Hinweis auf die herkömmliche Vorbeugung. 35 Prozent aller Tumorerkrankungen stünden im Zusammenhang mit Ernährung. Brigitte Marian: „Die größten Risikofaktoren sind immer noch zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse, zu wenig Vitamine und Spurenelemente und Übergewicht. Daran hat sich nichts geändert.“ Mit Schutzschilden Tumore früh erkennen Vor einigen Jahren hat die Entwicklung einfacher Bluttests auf das so genannte Prostataspezifische Antigen (PSA) die Frühdiagnose von Prostatakarzinomen revolutioniert. Doch noch immer sind diese Tests vom Wunschziel einer optimalen Aussagekraft weit entfernt. Mit einer neuen Methode soll die Untersuchung nun einfacher werden. Biocrates Life Sciences, das Institut für Chemie und die Innsbrucker Uniklinik für Urologie führen Tests dazu durch. PSA ist ein Protein, das nur in der Prostata gebildet wird. Erhöhte Blutwerte gelten als Indiz für ein Wachstum erhöhtes Risiko im Organismus anzeigen. Das Forschungszentrum Biocrates Life Sciences (Teil des Kompetenzzentrums für Medizin in Tirol) arbeitet gemeinsam mit der Innsbrucker Universitätsklinik für Urologie und dem Institut für Chemie an einem Frühwarnsystem für Prostatakrebs: Mit einfachen Blutoder Gewebeproben sollen tumorspezifische Proteine nachzuweisen sein. WISSEN Krebs und Aspirin Mehr zufällig entdeckten Forscher vor rund zehn Jahren, dass Menschen, die regelmäßig Aspirin nahmen, nur halb so oft an Darmkrebs erkranken. Das Ergebnis wurde überprüft und bestätigt. Aspirin (Acetylsalicylsäure) steht in dem Fall für Entzündungshemmer: Diese Medikamente hemmen die Synthese so genannter Prostaglandine, die bei verschiedenen Entzündungsprozessen und Schmerz eine wichtige Rolle spielen. In Darmpolypen stimulieren Prostaglandine die Bildung von Blutgefäßen, die die Geschwulst mit lebensnotwendigen Nährstoffen und Sauerstoff versorgen. Entzündungshemmer verhindern diesen Prozess: Der Polyp kann nicht weiterwachsen und bildet sich mitunter sogar zurück. Beim sehr seltenen erblich bedingten Darmkrebs machte man sich dieses Wissen zunutze und setzt tatsächlich aspirinverwandte Medikamente ein. Leider besitzen diese Medikamente auch Nebenwirkungen, die berücksichtigt werden müssen: Sie hemmen die Blutgerinnung und können auf Dauer Magenschleimhaut und Nieren schwer schädigen. Regelmäßig Aspirin zu schlucken lehnen Mediziner generell ab. (prie)