HELMUT DANNER: Verantwortung in Ethik und Pädagogik. Verlag Athena Oberhausen 2010, ISBN 978-3-89896-389-3, Euro 24,50, 332 S. Während ich dieses Buch gelesen habe, gab es in den Medien anlässlich der aktuellen öffentlichen Debatte um gravierendes Fehlverhalten von Erziehenden im Spektrum von Gewaltausübung bis Vergewaltigung viele Fragen nach „der Verantwortung“. Deshalb weise ich zunächst darauf hin, das Helmut Danner sein Buch nicht als punktuelle Antwort auf diese Fragen geschrieben hat, sondern als tiefergehende Analyse der strukturellen Wechselbeziehungen von Verantwortung, Ethik und Pädagogik: Die von ihm sich selbst gestellte Aufgabe „besteht somit im ersten systematischen Teil zum einen darin, das Phänomen „Verantwortung“ in seiner Struktur zu erhellen und seine unterschiedlichen Bezüge zu ethischen und existentiellen Fragen zu analysieren. Zum anderen soll dadurch für unsere pädagogischen Überlegungen ein Rahmen geschaffen werden, auf den wir uns beziehen können, Denn die Grundstruktur der Verantwortung muss auch für den Erziehungsund Bildungsbereich Gültigkeit haben.“ (S. 31). Wer sich weshalb wem gegenüber für das, was er oder sie tut oder nicht tut, verantworten muss, ist keinesfalls Konsens. Danner nähert sich seinem Thema, indem er unter Bezug auf die Geschichte der Philosophie und bedeutende Philosophen viele Positionen zum Thema Verantwortung kennzeichnet und andiskutiert. Dieser gründliche Einstieg, der etwa die Hälfte des Buches umfasst, macht sich im zweiten Teil bezahlt, wenn es um Erziehung und Verantwortung geht, weil sich aus der Erörterung im ersten Teil besser begründete Argumente für den zweiten Teil ergeben. Eine wichtige Unterscheidung aus dem ersten Teil sei hier als Beispiel erwähnt, die zwischen juridischer und existentieller Verantwortung. In seiner didaktisch wertvollen Zusammenfassung am Schluss beschreibt Danner diese Unterscheidung wie folgt: „Der juridischen Verantwortung liegt das Modell des Gerichtsverfahrens zugrunde, auch im ethischen Denken. Mit Blick auf die Zurechnung heißt juridische Verantwortung, sich einer juristischen und/oder ethischen Instanz zu stellen oder von ihr gestellt zu werden und deren Urteil, das sie über das eigene Handeln unter Berücksichtigung der subjektiven Zurechnungsfähigkeit sowie den rechtlichen und moralischen Maßstäben fällt, anzuerkennen oder auferlegt zu bekommen. Bei der existentiellen Verantwortung hingegen wird ein ‚Problem’, eine Herausforderung, als verbindlicher Anspruch wahrgenommen und anerkannt... Existentielle Verantwortung ist so das Sich-affizieren-Lassen von einer ‚Problem’situation in der Orientierung an einem umgreifenden Wert- und Sinnkontext. “ (S. 307f.) Erziehung und Verantwortung stehen in einer vielfältigen Wechselbeziehung und –wirkung, die Danner systematisch untersucht. Wer jemanden erzieht, übernimmt damit automatisch eine gewisse Verantwortung für diese Person in Gegenwart und Zukunft. Daraus können sich schon widersprechende Handlungsimperative ergeben, weil mögliche zukünftige Anforderungen an eine zu erziehende Person, etwa eine Qualifikation für bestimmte Berufe, erfordern können, heute etwas zu lernen, was nicht unmittelbar Spaß macht oder einzusehen ist, also den aktuellen subjektiven Interessen widerspricht. Noch schwieriger wird es, wenn als zentrales Ziel der Erziehung die Erziehung zum mündigen Bürger, zum verantwortungsfähigen Mitmenschen gefordert wird. Solch eine Erziehung, eine Bildung der Persönlichkeit verlangt mehr als einen Unterricht in bestimmten Fachgegenständen und wird sicher weniger erreicht, wenn sich solcher Fachunterricht auf das Auswendiglernen von „Fakten“ reduziert. Eine weitere Problematik ergibt sich aus der offensichtlichen Tatsache, dass sehr viele Menschen erziehen, ohne den weiten Horizont der pädagogischen und philosophischen Theorien zur Erziehung zur Mündigkeit zu kennen. Nun lassen sich such Beispiele berühmter Pädagogen und Philosophen erörtern, die schlechte Erzieher waren, aber die zentrale Folgerung aus dieser Argument ist eine andere, sie „verweist uns auf die Grenzen der Erzieherverantwortung. Eine davon liegt im Erzieher selbst.“ (S. 226) Andere liegen in den sozialen und gesellschaftlichen Umständen, dem Umfeld. Selbstverständlich soll daraus keine Ausrede für Verantwortungslosigkeit werden. Nicht zuletzt geht Danner der Frage nach, ob und in wie weit die Pädagogik eine besondere Verantwortung als Wissenschaft hat: „Hier wird eine noch umfassendere Verantwortung gefordert als jene, die die Wissenschaftlichkeit und die Angemessenheit der Methoden zum Inhalt hat.“ (S. 293). Noch umfassender? Was meint Danner damit? „Der Erziehungswissenschaft muss es angesichts ihres eigentümlichen Gegenstandes eine unabdingbare Forderung sein, dass die Folgen ihrer Ergebnisse verantwortbar sind und dies nicht erst, wenn ‚aus Schaden klug geworden ist’, sondern von Anfang an, also schon im wissenschaftlichen Prozess. Denn Verantwortung heisst ja gerade, auch die Folgen zu bedenken und sie im Voraus und sie im Voraus in das Denken und Tun einzubeziehen.“ (S. 296) Jürgen Maaß