KULTURMAGAZIN DEUTSCHES ÄRZTEBLATT A Bitte um irgendeine Anstellung bei ihm. Der Professor war beeindruckt und engagierte den emsigen Autodidakten — als Labordiener! Zum 200. Geburtstag des Naturforschers Michael Faraday „Der größte Experimentator in der Wissenschaftsgeschichte" Humphry Davy (1778-1829) war in jenen Jahren bereits ein arriviertes Mitglied der Royal Society und weltbekannt als Chemiker, der die narkotisierende Wirkung des Lachgases entdeckt (1799) und die Grundlagen der Elektrolyse erarbeitet hatte. Selbst aus einfachen Verhältnissen stammend, hatte er persönlichen Kontakt zu anderen Gelehrten suchen. Diese große Reise wollte Davy nicht ohne Gehilfen durchführen, und er bot entsprechend dem jungen Faraday an, ihn und seine Frau zu begleiten. Für Faraday wurden die gemeinsamen Jahre mit Davy zu einer Lehrzeit ohne gleichen. Das ständige Zusammensein war ihm „ein unerschöpfliches Bergwerk von Wissen und Belehrung", und als er zurückkehrte, kannte er fast alle großen Forscher Europas persönlich. Wieder in London, machte Davy noch zahlreiche Entdekkungen und wurde schließlich Präsident der Royal Society. Fragte man ihn nach Michael Faraday (Stahlstich von D. J. Pound) seiner bedeutendsten Entmit ähnlichen Schwierigkeiten deckung, soll er geantwortet wie Faraday zu kämpfen gehabt. haben: „die von Michael FaraEr erkannte denn auch rasch die day!" kongeniale Begabung seines LaAuch Faraday standen nun bordieners. die Türen offen: 1825 wurde er Etwa um die Zeit, als FaraLeiter des Davy'schen Laboraday bei ihm eintrat, hatte Davy toriums und 1833 Professor der durch eine vorteilhafte Heirat Chemie und somit Nachfolger seines verehrten Lehrers. Trotz die materiellen Voraussetzunseiner Bekanntheit blieb er in gen erworben, um seine Professur aufgeben und — seiner persönlichen Belangen bescheiden und „lehnte es ab, Lehrverpflichtungen ledig — ein Leben als Privatgelehrter füh. . . aus seinen Erkenntnissen persönlichen Gewinn zu zieren zu können, das nur noch hen". Er verzichtete auf die seinen Forschungen gelten sollAnmeldung von Patienten und te. Bald schon entschloß er auf Industrie-Aufträge, die seisich, eine längere Europareise ne Forschungsfreiheit hätten anzutreten und seine Utensilien als „mobiles Laboratoribeschränken können. Dem um" mitzunehmen. So konnte Wohlstand zog er die Freiheit er die Genüsse des Reisens mit vor und lebte dafür in einfadenen der ungebundenen Forchen Verhältnissen. Zwar war schung verbinden und zudem er sich seiner Leistungen be- Foto: Archiv für Kunst undGeschichte, Berlin m 22. September 1791 wurde der Chemiker, Physiker und Naturforscher Michael Faraday in Newington Butts, einer kleinen Gemeinde der Londoner Umgebung, geboren. Sein Leben verlief so abenteuerlich und ungewöhnlich, daß es guten Stoff für einen Roman-Autor abgeben könnte. Während aber Heinrich Schliemann (18211890), an dessen frühe Lebensjahre das Schicksal Faradays erinnern könnte, zahlreiche Biographen anlockte, harrt der Lebensweg des Briten noch der eingängigen Beschreibung. Faradays Vater, vielleicht irischer Herkunft, verdiente sein Brot als Grobschmied und konnte, wenn er müde von der Tagesarbeit heimkehrte, seinem Sohne kaum Anregung bieten. In jungen Jahren erlernte Faraday gerade die Grundlagen des Lesens und Schreibens und kam 1803 als Zeitschriftenausträger zu einem Buchhändler. Dieser betrieb zugleich eine Buchbinderei und nahm den Jungen 1804 als Buchbinder-Lehrling auf. Hiermit tat sich Faraday eine neue Welt auf, denn die „Bücher . . ., die er zu binden hatte, las er auch". So stieß er auch auf die Enzyclopaedia Britannica, wobei ihn die Beiträge über Chemie und Elektrizitätslehre besonders faszinierten und ein lebenslanges Interesse an diesem Gebiet begründeten. Nach einiger Zeit begnügte er sich nicht mehr mit Lektüre, sondern wiederholte und erweiterte die beschriebenen elektrischen Experimente. Die Wende seines Lebens kam für den Mittellosen im Jahre 1813: Er hatte zunächst ein Gesuch an den Präsidenten der Royal Society gestellt und um eine noch so bescheidene Stellung gebeten — allerdings nicht mal eine Antwort erhalten. Dann entschloß er sich, eine Mitschrift der Vorlesungen zu verfassen, die er als eifriger Zuhörer der populären Vorträge des Chemikers Humphry Davy gehört hatte. Diese Mitschriften formulierte er gefällig, band sie zu einem Buch und präsentierte sie Davy mit der innigen wußt, „sein Stolz hatte aber nie einenAnflug von Hochmut" oder Überheblichkeit. Die naturwissenschaftlichen Fragestellungen, denen Faraday sich zuwandte, waren weitgesteckt. Zwar war seine mathematische Bildung gering, er verstand es aber, dieses Manko durch eine große Auffassungsgabe für naturgesetzliche Zusammenhänge und durch seine überragende Experimentierkunst mehr als wettzumachen. So wurde er zu einem der großen Pioniere der Experimentalphysik, dessen Leistungen die Historiker dieser Disziplin wiederholt gewürdigt haben. Für Feldmann und Ford ist er „der größte Experimentator in der Geschichte der Wissenschaften", und auch Gerlach nennt ihn den „genialste(n), originellste(n) . . . und . . . erfolgreichste(n) Experimentalphysiker". Sein erstes wichtiges Arbeitsgebiet war die Chemie, wobei er zahlreiche Gase durch tiefe Temperaturen verflüssigen und damit die irrige Ansicht von den „permanenten Gasen" widerlegen konnte. 1825 entdeckte er das Benzol, das nach Aufklärung seiner Strukturformel durch August Kekul (1829-1896) eine zentrale Rolle für die aufstrebende organische Chemie spielen sollte. Neben diesen grundlagenwissenschaftlichen Entdeckungen betrieb Faraday auch anwendungs-orientierte Forschung. Dabei gelangte er zu neuen Methoden für die Glasherstellung in der optischen Industrie; seine Studien über Metall-Legierungen eilten der Entwicklung der Metallurgie um Jahrzehnte voraus. Der Däne Christian Oersted (1777-1851) hatte 1820 entdeckt, daß ein elektrischer Strom in seiner Umgebung ein magnetisches Feld erzeugt; kurz danach wendet sich auch Faraday diesen Erscheinungen zu und ist schon bald überzeugt, daß sich auch umgekehrt Dt. Ärztebl. 88, Heft 36, 5. September 1991 (97) A-2929 Foto: Archiv für Kunst undGeschichte, Berlin , •. • ei durch Magnetismus Elektrizität erzeugen lassen müsse. Er studiert die Bewegungseffekte von stromdurchflossenen Leitern im magnetischen Feld. Nach zehnjährigem geduldigen Experimentieren gelingt ihm 1831 ein Schlüsselversuch über „the production of electricity from magnetism". Er erkennt das Phänomen der Induktion, also der Erzeugung von Elektrizität durch Bewegung eines Leiters im Magnetfeld. Auf diesen Erkenntnissen Faradays beruhen die Entdekkungen des Transformators und der Dynamomaschine und damit letztlich der Siegeszug der modernen Elektrotechnik seit Siemens. Zur theoretischen Erklärung führt Faraday den Begriff der „Kraftlinien" ein, die nach seiner Vorstellung einen Magneten umgeben. Die endgültige Formulierung der elektromagnetischen Zusammenhänge auf mathematischer Basis blieb allerdings James Clerk Maxwell (1831-1879) vorbehalten. Die letzte große Entdeckung aus diesem Gedankenkomplex gelang Faraday mit der Einsicht in die Drehung der Polarisationsebene des Lichtes durch ein magnetisches Feld (1845). In Fortsetzung der Arbeiten seines Lehrers Humphry Davy befaßte sich Faraday weiter mit der Elektrolyse, also der Zersetzung von Lösungen durch den elektrischen Strom. Er schuf hier die noch heute gängige Nomenklatur (Elektroden, Elektrolyte, Ionen usw.) und erkannte die quantitativen Gesetze der Elektrolyse, die nach ihm benannt wurden. Den Vorgang der Elektrolyse selbst versuchte er durch eine Art früher Atomtheorie zu erklären, die er allerdings für rein hypothe- A-2930 • , • "..• - Der englische Physiker und Chemiker Michael Faraday in seinem Laboratorium im Royal Institute zu London • tisch erachtete. Erst später konnte gezeigt werden, daß die Elektrolyte tatsächlich Träger von elementaren kleinsten Ladungseinheiten ( = Elektronen) sind. Somit knüpfen auch die chemischen Bindungstheorien an Faradays Pionierarbeiten an. In fortgeschrittenem Alter wandte er sich auch allge- meineren Betrachtungen zu. Er glaubte, daß alle „Naturkräfte" sich ineinander umwandeln ließen und ahnte damit den Erhaltungssatz der Energie. Die „Metamorphose" der Gravitationskraft suchte er zu ergründen. Außerdem folgt er Davy darin, daß er in „Freitags-Vorlesungen" für ein allgemeines Publikum versucht, die neuen physikalischen Erkenntnisse allen Interessierten zugänglich zu machen. Speziell für die heranwachsende Jugend hält er „Weihnachtsvorlesungen" in der festen Überzeugung, daß Naturerkenntnis auch zur Steigerung des sittlichen Gefühls beitragen könne. Seine letzten Jahre waren von erheblichen Gedächtnisstörungen getrübt, die man auf eine chronische QuecksilberVergiftung bezog. Er starb am 27. August 1867 in Hampton Court bei London. (Zitate nach Walther Gerlach und Emilio Segle, Literaturhinweise beim Verfasser) Anschrift des Verfassers: Dr. med. Franz Kohl Vorarlbergerweg 20 W-7800 Freiburg Boom des deutschen Kinos Wenders, Mantas und Mongolen So produktiv wie dieses Jahr waren deutsche Filmemacher lange nicht: nach Schroeter, Schlöndorff und Loriot drängt noch mehr Prominentes aus deutschen Landen demnächst auf die Leinwand. Von Achternbusch bis Wenders, von Doris Dörrie über Percy Adlon bis Werner Herzog reichen die klingenden Namen. Das Schauspiel-Aufgebot gibt sich gleichfalls eindrucksvoll: neben Brandauer, Gudrun Landgrebe oder Götz George spielen USStars wie William Hurt, Donald Sutherland oder Christophe Lambert in deutschen Streifen. Sogar Hitchcocks „Psycho" path Anathony Perkins ließ sich verpflichten. Er ist der schauerliche „Mann von nebenan", der seinen neuen Nachbarn und Namensvetter terrorisiert. Petra Haffner inszenierte nach dem Bestseller von Ruth Rendell. KriminalistiGleichfalls sches nach Bestsellerart präsentiert „Männer"-Frau Doris Dörrie mit „Happy Birthday, Türke!" (von Jakob Arjouni). Dort geht es um korrupte Kripo-Leute im Frankfurter Kiez, um rassistische Hessen und familienehrenrettende Türken. (98) Dt. Ärztebl. 88, Heft 36, 5. September 1991 Echte Skandale sorgen ebenfalls für Filmstoff. Kir Royalist Helmut Dietl kümmerte sich nach Münchens SchickimickiGesellschaft um Hitlers Tagebücher und drehte mit Götz George die „stern"-Komödie „Schtonk" (nach Chaplins Ausspruch im „Großen Diktator"). Komik der gehobenen Art verspricht Gerhard Polt, der sich in „Herr Ober!" als bayrischer Provinz-Ober in der Landeshauptstadt nach oben kellnern will. Andere Sorgen plagen seinen Kabarett-Kollegen Emil Steinberger, der verliebt sich als pedantischer Lastwagenfahrer in „Zuckerbaby" Marianne Sägebrecht. „Die wahre Geschichte von Männern und Frauen" verspricht derweil Robert van Ackeren, seit der „Flambierten Frau" freilich schon immer gut für vielversprechende Titel. Nomen est omen auch bei anderen Werken: Achternbusch und „Niemandsland", eine schrullige Story, in der Mongolen Indianer spielen und Weiße zu Kamelen werden. Werner Herzog und der „Schrei aus Stein", eine alpine Lovestory nach Reinhold Messner. Oder mit Wenders „Bis ans Ende der Welt" — ein Science-Fiction-Love-Story-Road-Movie mit einer Verfolgungsjagd rund um die Erde. Mit nuklearen Satelliten, die die Erde bedrohen, mit geheimnisvollen Fremden, frustrierten Frauen — und Filmmusik von „U2" und „Depeche Mode". Zu einer unendlichen Geschichte ent- und verwickelten sich die Hollywood-Träume von „Boots"-Mann Wolfgang Petersen. Jetzt endlich präsentiert er seinen 30 Millionen Dollar teuren „Zweiten Mann", einen Psychotriller um ein Unfallopfer, das sein verlorenes Gedächtnis zurückgewinnen will. Gleichfalls in Amerika gedreht: Percy Adlons „Salmonberries", eine Findelkindgeschichte zwischen Ostberlin und einem Eskimohandelsplatz in Alaska. Weniger exotisch, dafür mit leichter Verspätung rollt nun auch der „Manta" in die Kinos. Und weil aufs schnelle Geld gehofft wird, gehen (kein Witz) gleich zwei Werke gleichzeitig ins Rennen: „Manta, Manta" und „Manta, der Film" — so produktiv wie dieses Jahr waren deutsche Filmmacher lange nicht mehr. Dieter Oßwald