Genetik und die Zukunft Europas - Forum

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Europäische Kommission
Gemeinschaftliche Forschung
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ISBN : 92-894-0855-3 (Band 1 + Band 2)
Preis in Luxemburg (ohne MwSt.) : EUR 14 (Band 1 + Band 2)
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Initiert von der Hochrangigen Gruppe für Biowissenschaften (LSHLG),
das Forum gab den Anstoß zu einem Dialog zwischen Vertretern verschiedener Teile der Gesellschaft. Dabei ging es vor allem um die vier
Themen Gesundheit, Lebensmittel, Umweltprobleme und ethische
Fragen. Jedes Thema wurde unter den Gesichtspunkten
„Herausforderungen“, „Wissenschaft und Technologie“ und
„Gesellschaft“ präsentiert und anschließend zur Diskussion gestellt.
Eröffnungsrede
Vorsitzender : A. Kahn, Präsident der LSHLG (Hochrangige Gruppe für Biowissenschaften)
Ph. Busquin, Forschungskommissar
Grundsatzreferate
• Genom-Informationen : J.Weissenbach, Génoscope
• Die „kognitive Gesellschaft”: M. Ridley, wissenschaftlicher Autor
• Überlegungen zur Zukunft der Biowissenschaften: R. Frydman, Hôpital Antoine Béclère
Menschliche Gesundheit
Vorsitzender : E.Winnacker, LSHLG
• Herausforderungen : G. Poste, Health Technology Networks
• Wissenschaft & Technologie : A. Burny, Faculté Universitaire des Sciences
Agronomiques de Gembloux
• Gesellschaf t : L. Honnefelder, Universität Bonn
L e b e n s m i t t e l h y g i e n e & Ve r s o r g u n g
Vorsitzender : M.Van Montagu, LSHLG
• Herausforderungen : K.Tontisirin, Food and Agricultural Organisation
• Wissenschaft & Technologie : C. Leaver, University of Oxford
• Gesellschaft : E. Schroten, Universität Utrecht
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Vorsitzender : V. de Lorenzo, LSHLG
• Herausforderungen : E. Galli, Università degli Studi di Milano
• Wissenschaft & Technologie: K.Timmis, Gesellschaft für Biotechnologische Forschung
• Gesellschaft : S. Mayer, GeneWatch
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BRÜSSEL, 6.-7. NOVEMBER 2000
Vorsitzender : O. Quintana-Trias, INSALUD und Europäische Gruppe für Ethik in WuT
• Herausforderungen : B. Dallapiccola, Università Tor Vergata
• Wissenschaft & Technologie : D. McConnell,Trinity College Dublin
• Gesellschaft : G. Nisticò, Mitglied des Europäischen Parlaments
Runder Tisch
Vorsitzender : P. Campbell, Nature Magazine
N. Ahern, Mitglied des Europäischen Parlaments, W. Catenhusen,
Bundesministerium für Bildung und Forschung, U. Galimberti, Università degli Studi
Cà Foscari, F. Gannon, European Molecular Biology Organisation, E. Gebhardt,
Mitglied des Europäischen Parlaments, A. Kent, Genetic Interest Group,
B. Kettlitz, BEUC (Europäisches Büro der Verbraucherverbände), C. le Bihan-Graf,
französischer Staatsrat, O. Quintana-Trias, INSALUD und European Group on
Ethics in S&T, A. Sasson, UNESCO.
Abschlussrede
• D. Byrne, Kommissar Gesundheit und Verbraucherschutz
• Ph. Busquin, Forschungskommissar
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Der europäische Dialog
trägt Früchte
AXEL KAHN
Pluralismus stand im Mittelpunkt des Forums über Genetik und
die Zukunft Europas, das am 6. und 7. November 2000 in Brüssel
stattfand. Auf dieser Begegnung kam ein neuer Dialog zwischen
Biowissenschaftlern und Vertretern der Gesellschaft im Europäischen Forschungsraum in Gang. Im Folgenden ein kurzer Überblick über die Themen, die in dieser bahnbrechenden Debatte
erörtert wurden.
• „Die Fülle der Kenntnisse und die Vielfalt von Meinungen, die hier
zusammentreffen, beweisen, dass diese Debatte alles andere als konventionell ist“, betonte Kommissar Philippe Busquin in seiner Rede
an die knapp 300 Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer.
Über die Hälfte davon waren Mitglieder der zivilen Gesellschaft:
Vertreter von Patientenverbänden, Umweltschutzgruppen, religiösen Organisationen und Menschenrechtsvereinigungen. Bei ihren
Gesprächspartnern handelte es sich um Personen, die unmittelbar
mit der Entwicklung der Genetik zu tun haben, das heißt europäische und nationale Politiker, Wissenschaftler, Ärzte, Rechtsanwälte sowie Vertreter der Biotech-Industrie.
• Da es keine beherrschende Mehrheit gab, war die Debatte während der zwei Tage sehr lebhaft und offen, sterile Streitgespräche
hatten hier keinen Platz. Die unterschiedlichen Hintergründe der
Teilnehmer bereicherten die Diskussionen, die – was allgemein
sehr begrüßt wurde – in einem Klima der gegenseitigen Achtung
geführt wurden.
• „Genetik hat eine Vergangenheit, sie ist Gegenwart, und es ist an uns,
ihre Zukunft zu erfinden!“, erklärte Axel Kahn, Präsident der
Hochrangigen Gruppe für Biowissenschaften. Um dieses
„Erfinden“ ging es in den Plenarsitzungen. Ausgehend von vier
Hauptthemen erörterten die Teilnehmer ausführlich die zentralen
Fragen, die die Genetik in den Bereichen menschliche Gesundheit,
Lebensmittel und Landwirtschaft, Umweltschutz und biologische
Vielfalt aufwirft, und den verantwortlichen Einsatz von Genetik.
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ZUSAMMENFASSUNG DER SITZUNG 1
JEAN WEISSENBACH
Gentechnik hat die Pharmaindustrie revolutioniert und einen neuen
Industriesektor entstehen lassen. Nun rüttelt sie mit neuen Verfahren für Molekulardiagnostik und der Aussicht auf Gentherapie
die Welt der Medizin auf. Es ist an der Zeit, die Herausforderungen
dieser neuen Technologien unter ethischen und philosophischen
Gesichtspunkten zu betrachten.
Das wichtigste wissenschaftliche Ereignis des Jahres 2000 war zweifellos die erfolgreiche Vollendung einer ersten Sequenzierung des Humangenoms. Die Medien feierten diese Ende Juni bekannt gegebene Nachricht als den Anbruch eines neuen
Zeitalters in der Medizin. Dieser Optimismus mag berechtigt sein, aber derzeit steckt
die Gentherapie noch in den Kinderschuhen.
In seinem Einführungsvortrag sagte Jean Weissenbach (Direktor des Sequenzierungslabors von Génoscope, Frankreich), eine wesentliche Aufgabe sei noch zu
bewältigen, nämlich die Identifizierung von Genen in der DNS-Sequenz. Bisher konnten die Wissenschaftler erst rund tausend für monogene Krankheiten (d. h.
Krankheiten, deren Ursache in der Funktionsstörung eines einzigen Gens liegt) verantwortliche Gene identifizieren, obwohl ungefähr 6000 solcher Krankheiten bekannt
sind. Polygene Krankheiten, etwa Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen, sind eine
noch größere Herausforderung, da sie durch – bisher noch nicht enträtselte –
Wechselwirkungen zwischen so genannten Suszeptivitätsgenen und der Umwelt (im
weitesten Sinne, einschließlich Ernährung, Lebensweise usw.) hervorgerufen werden.
Zur Identifizierung von Suszeptivitätsgenen muss in großem Stil geforscht werden.
Der Leiter der Sitzung, Ernst-Ludwig Winnacker (Deutsche Forschungsgemeinschaft,
Bonn), erklärte : „Wir wissen nicht einmal, wie viele Gene bei der Suszeptivität für diese großen polygenen Krankheiten im Spiel sind“. Ludger Honnefelder (Universität Bonn) unterstrich die Bedeutung der kognitiven Herausforderung: „Ist ‚genetisches Programm’
eigentlich noch das richtige Konzept ? Sollten wir nicht eher im Sinne von Netzwerken denken, die Genom und Umwelt miteinander verbinden ?“
Eine medizinische Revolution
„Vor der Behandlung kommt die Diagnose“, erklärte Ernst-Ludwig Winnacker, „und bisher ist die Diagnostik der Bereich, zu dem die biomedizinische Genetik am meisten beigetragen hat“. Dies gilt insbesondere für monogene Krankheiten wie Huntington Chorea
oder Mukoviszidose, die sich heute viel besser diagnostizieren lassen, da die verantwortlichen Gene (1983 bzw. 1986) identifiziert wurden. Der Schritt von der Diagnose
zur Therapie – also zur konkreten Behandlung der durch das defekte Gen ausgelösten
Krankheit – ist noch immer sehr schwierig. Winnacker erinnerte die Teilnehmer
daran, dass „die Gentherapie noch ganz am Anfang steht“. Er ließ es sich jedoch nicht
nehmen, in diesem Zusammenhang auf eine Pionierleistung im Hôpital Necker (Paris)
hinzuweisen : Im April 2000 wurden dort erstmals zwei „bubble babies“ von ihrer
Krankheit geheilt.
Arsène Burny (Faculté Universitaire des Sciences Agronomiques de Gembloux,
Belgien) unterstrich den potenziellen Beitrag der Gentechnik zur Pharmakologie:
„Medizinische Biotechnologie eröffnet neben Gentherapie oder Präimplantationsdiagnostik für
Embryos noch andere Möglichkeiten. In der präklinischen Forschung sind außerordentliche
Fortschritte erreicht worden, vor allem dank transgener Mäuse und des wachsenden Bestands
an Modell-Eukaryoten, deren Genome vor Kurzem sequenziert worden sind“. Diese Modelle
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Menschliche Gesundheit
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Menschliche Gesundheit
LUDGER HONNEFELDER
ARSÈNE BURNY
umfassen Hefe (Sequenzierung 1996 vollendet), den Plattwurm Coenorabditis (1998) und
die Fruchtfliege Drosophila (2000). Professor Burny erinnerte die Teilnehmer auch daran,
dass die Pharmaindustrie auf der Grundlage biotechnologischer Fortschritte bereits
rekombinante Impf- und Heilstoffe (durch genetisch modifizierte Bakterien erzeugt) entwickelt hat, beispielsweise Insulin für Diabetes oder Wachstumshormone. Diese rekombinanten Proteine machen die Behandlung sicherer : „Wären rekombinante
Wachstumshormone schon vor ein paar Jahren verfügbar gewesen, hätten wir die Todesfälle vermeiden können, die aufgetreten sind, als Dutzende von Kindern durch Hormonpräparate aus
menschlichem Gewebe mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infiziert wurden“.
D a s Z e i t a l t e r d e r „ G ro ß b i o l og i e “
Durch ihren Beitrag zur pharmazeutischen Industrie hat die medizinische Gentechnologie
tief greifende Auswirkungen auf unsere Wirtschaft. „In den USA ist die Biotech-Industrie schon
ausgereift, in Europa dagegen noch im Entwicklungsstadium“, betonte Ernst-Ludwig Winnacker.
Er verwies auf eine von Ernst & Young veröffentlichte Erhebung und erklärte, dass es in
Europa ungefähr genauso viele Biotech-Firmen gebe wie in den Vereinigten Staaten
(ca. 1200), der europäische Biotech-Sektor jedoch weniger Personen (45823 gegenüber
153000) beschäftige, geringere Einnahmen erwirtschafte und auch in puncto FuEInvestitionen weit hinter den USA zurückbliebe (Biotech-Einnahmen und -Investitionen sind
in den USA etwa viermal so hoch wie in Europa).
„Wie können wir diesen Sektor, der eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verspricht, stärken ?“, fragte John Purvis, Mitglied des Europäischen Parlaments, und verwies in diesem
Zusammenhang auf die Bedeutung von Finanzierungsstrukturen und Risikokapital.
Christopher Leaver (University of Oxford) plädierte entschieden für öffentliche investitionen in „Großbiologie“: „Die Vollendung der Humangenomsequenzierung ist eine historische
Leistung, mit der wir ins Zeitalter der Großbiologie eintreten. Zum Aufbau der notwendigen, aber
kostspieligen Infrastrukturen sind öffentliche Mittel erforderlich“.
Klärungsbedarf
i n S a c h e n B i o p at e n t e
Laut John Martin (University College London) „bergen unsere Universitäten wahre Schätze
an wirtschaftlich ungenutztem Wissen. Es ist wichtig, Universitätsforscher von der Notwendigkeit zu
überzeugen, ihre Ergebnisse industriell zu verwerten, und sie für das Thema Rechte an geistigem
Eigentum zu sensibilisieren. Es gibt noch immer zu viele Wissenschaftler, die die Funktion und
Bedeutung von Patenten nicht verstehen“.
Patente? Es folgte eine rege Debatte über die europäische Richtlinie über den
Rechtsschutz biotechnologischer Erfindungen, die derzeit in den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt wird. Die Kontroverse betraf die Artikel 5a und 5b.Während Artikel 5a
erklärt, „der menschliche Körper […], einschließlich der Sequenz eines Gens, kann keine patentfähige Erfindung darstellen“, heißt es in Artikel 5b: „ein vom menschlichen Körper isoliertes
Element […] kann eine patentfähige Erfindung darstellen“.
Viele Teilnehmer forderten eine dringende Klärung dieser Frage. Für die Pharmaindustrie kommt es nicht in Frage, FuE durchzuführen, wenn biotechnologische Erfindungen
nicht geschützt sind. Nach Auffassung mehrerer Teilnehmer sollte der Gesetzgeber festlegen, was unter „Erfindung“ zu verstehen ist, da Rechtsanwälte, Experten für geistiges
Eigentum, Universitätsforscher und Unternehmer dieses Konzept sehr unterschiedlich
auslegen dürften.
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ANNE-MARIE PRIEELS
Die wachsende Macht der Biotech-Industrie gibt Anlass zu Besorgnis. Bernie Moran
(Huntington’s Disease Association Ireland) erklärte dazu: „Es ist eine zweischneidige
Sache, dass sich die medizinische Forschung zunehmend außerhalb der Universitäten entwickelt. Die Industrie gibt nur die Ergebnisse bekannt, die sie an die Öffentlichkeit lassen will.
Wem können die Patienten vertrauen ?“ Im Namen des Europäischen Behindertenforums, das 50 Millionen behinderte Menschen in Europa vertritt, erklärte Franck
Mulcahy (Irland) : „Die Behinderten wollen voll an der Genforschung beteiligt werden“.
Alastair Kent (Genetic Interest Group) wies darauf hin, dass „die Entwicklung von
Behandlungen für Menschen, die an einer genetischen Krankheit leiden, sehr dringend ist. Sie
versprechen sich sehr viel von der Genforschung“. Er unterstrich die Bedeutung von
Gentests und Präimplantationsdiagnostik, die „Paaren mit dem potenziellen Risiko, eine
genetische Krankheit zu vererben, zu gesunden Kindern verhelfen könnte“.
Und doch ist eine allgemeine Verbreitung dieser Praxis mit Gefahren verbunden.
„Das Gespenst der Eugenik wird bei dieser Sitzung umgehen“ warnte Winnacker. Ludger
Honnefelder sprach über die philosophischen Erwägungen in Bezug auf genetisches
Präimplantationsscreening. „In welchem Maße können wir dem Menschen erlauben, seine
eigene Schöpfung zu werden ? Damit stellt sich die Frage nach den Werten, die solchen
Versuchen zur ‚Korrektur’ unseres genetischen Erbes zugrunde liegen. Wir alle tragen
Suszeptibilitätsgene in uns.Was also ist Krankheit ? Was ist Behinderung?“
We l c h e r e u ro p ä i s c h e K o n s e n s ?
Hinsichtlich der Schwierigkeit, zu einem Konsens zu gelangen, meinte John Martin:
„Wissenschaftler und Philosophen sprechen verschiedene Sprachen. Wie können
wir ihnen helfen, miteinander zu kommunizieren?“ Anne-Marie Prieels (Tech-Know
Consultancy, Belgien) wies darauf hin, dass „Pluralismus eine feste Größe unserer europäischen Kultur ist. Daher können in unseren Gesellschaften viele verschiedene Meinungen
nebeneinander bestehen“.
Wie aber lassen sich dann übereinstimmende Meinungen oder zumindest Mehrheitsentscheidungen erreichen? „Wir können die Menschenrechte als Grundlage nehmen“,
schlug der Präsident der Hochrangigen Gruppe für Biowissenschaften, Axel Kahn vom
Institut Cochin in Paris, vor. „Diese Rechte bilden eine gemeinsame europäische Grundlage
für die ethische Reflexion. Auch die Demokratie muss dabei eine Hauptrolle spielen. Wenn
Europa darauf verzichten würde, die medizinische Gentechnologie zu regulieren, würden
diese Fragen nicht mehr von den Bürgern, sondern von den Gesetzen des Marktes entschieden werden“.
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Das Gespenst der Eugenik?
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Menschliche Gesundheit
BERNIE MORAN
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ZUSAMMENFASSUNG DER SITZUNG 2
Lebensmittelhygiene und Versorgung
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In 15 Jahren werden 8 Millionen Menschen die Erde bevölkern.
Wie sollen sie alle ernährt werden, ohne dass die Umwelt dabei
zu Grunde geht ? Mithilfe von Pflanzen-Biotechnologie ließe sich
diese Herausforderung bewältigen. Aber zunächst gilt es, durch
Transparenz und einen offenen Dialog das Vertrauen der europäischen Verbraucher wiederherzustellen und für einen effizienten
Technologietransfer an Entwicklungsländer zu sorgen.
E i n e Wa f fe g eg e n d e n H u n g e r
„Entwicklungsländer brauchen Biotechnologie und insbesondere genetisch veränderte
Organismen (GVO) für ihre Entwicklung. Aber drei Viertel der europäischen Bevölkerung sind
gegen den Einsatz von GVO in der Landwirtschaft“. In seinen Eröffnungsworten ließ
Sitzungspräsident Marc Van Montagu (Rijksuniversiteit Gent) bereits anklingen, dass die
Anwendung moderner Gentechnologie im Agrarsektor heikle Fragen aufwirft.
Im Namen der FAO (Food and Agriculture Organisation) führte Kraisid Tontisirin
Statistiken an, die niemand außer Acht lassen darf. Obwohl in den letzten Jahrzehnten viel
getan wurde, um die Lebensmittelversorgung und -qualität weltweit zu verbessern, leiden
derzeit noch immer über 800 Millionen Menschen an chronischer Unter- und
Mangelernährung, vor allem in Afrika und Asien. Am schlimmsten ergeht es den ganz
Kleinen: In den Entwicklungsländern sind 182 Millionen Kinder unter fünf Jahren in ihrem
Wachstum zurückgeblieben, und 27% dieser Altersgruppe sind untergewichtig.
Um 2020-2025 wird sich die Weltbevölkerung, auch wenn ihre Wachstumsrate nach und
nach zurückgeht, gegenüber 1950 verdreifacht haben: 8 Milliarden Menschen, und mehr als
sechsmal so viel Personen über 60 Jahren. Eine enorme Herausforderung, da immer weniger Boden für landwirtschaftliche Zwecke verfügbar ist. Verschlimmert wird die Lage
außerdem dadurch, dass der Raubbau an bestimmten Ressourcen (Wasser, Energie) das
ökologische Gleichgewicht unseres Planeten ernsthaft gefährdet. Laut Kraisid Tontisirin
„kann Biotechnologie zu einer besseren Lebensmittelversorgung und -qualität beitragen und neue
Möglichkeiten zur Bekämpfung bestimmter Formen von Unterernährung eröffnen“.
G re i f b a re E rg e b n i s s e
Einige der Pflanzen-Biotechnologie zu verdankende Verbesserungen sind bereits offensichtlich. Christopher Leaver (University of Oxford) sprach über wissenschaftliche und technologische Aspekte; innerhalb von drei Jahren, so Leaver, habe der Anbau genetisch modifizierter Varietäten von Soja und Mais in den USA und einigen anderen Ländern zu einem 6bis 8%igen Ernteanstieg geführt.
Bemerkenswert ist, dass diese Steigerung auch der Umwelt nützt. Durch den Einsatz von
Soja- und Baumwollvarietäten, die mit Gentechnik herbizidresistent gemacht wurden, konnte der Einsatz von Herbiziden auf den Feldern um 10 bis 40% gesenkt werden. Auch für
Mais, der nach entsprechender Genmanipulation ein für Maiszünsler – einer der schlimmsten Schädlinge – giftiges Protein absondert, werden weniger Insektizide benötigt.
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PAT R I C K C U N N I N G H A M
Genetisch veränderte Pflanzen eröffnen noch ganz andere Aussichten. Christopher
Leaver erwähnte das Aufkommen einer zweiten Generation von GVO, mit spezifischen Qualitätsverbesserungen oder an Benutzerbedürfnisse angepassten Eigenschaften, beispielsweise Pflanzen mit höherer Faserqualität oder geringerem Wasserbedarf. Vielversprechend sind auch essbare Pflanzenimpstoffe wie „Kartoffeln, die dank
Gentechnik ein Protein enthalten, das gegen Hepatitis B impft – eine Krankheit, der jedes
Jahr eine Million Menschen zum Opfer fallen“. Auf lange Sicht könnten Pflanzen die
schwindenden fossilen Kraftstoffe ersetzen, und ihre photosynthetische Fähigkeit
könnte in ‚Pflanzenfabriken’ zur Erzeugung von Werkstoffen wie Plastik genutzt werden.
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G VO d e r z we i t e n G e n e rat i o n
Die dringendsten Bedürfnisse
Im Zusammenhang mit Tropenagronomie und dem Kampf gegen Mangelernährung
begrüßten viele Teilnehmer die Entwicklung von „goldenem Reis“, der nach entsprechender gentechnischer Behandlung Provitamin A erzeugt. Dieser Reis ist im Rahmen
eines von der Europäischen Kommission geförderten Projekts von Teams in
Deutschland und der Schweiz erfunden worden. Zwei bis drei Millionen Kinder leiden
unter Vitamin-A-Mangel ; davon bedroht oder betroffen sind 75 bis 145 Millionen
Menschen weltweit, hauptsächlich in Südostasien und Afrika. Mehrere Teilnehmer wiesen darauf hin, dass die Erfinder diesen Reis über eine Partnerschaft mit dem englischschwedischen Unternehmen Zeneca Agrochemicals kostenlos an Bauern in
Entwicklungsländern verteilen wollen. Dieser Fall zeige beispielhaft, was zu tun ist,
damit auch die Entwicklungsländer von den Vorteilen von GVO profitieren.
Könnte in dieser Richtung nicht mehr geschehen? Patrick Cunningham (Trinity
College Dublin) unterstrich, dass es zu wenig Beispiele dieser Art gebe. Er erwähnte
das Fehlen von Impfstoffen gegen Krankheiten, die den Viehbestand in tropischen
Ländern befallen. „Ich habe versucht, Unternehmer für die Entwicklung solcher Impfstoffe
zu gewinnen“, erklärte er, „aber sie hatten kein Interesse. Sie sagten, der Markt sei zu klein.
Aber diese Länder haben einfach keine eigene Industrie, die ihre Probleme lösen könnte“.
Axel Kahn (Institut Cochin, Paris) spornte die Teilnehmer an, „mehr zu tun als bloß die
Industrie zu kritisieren“. Seiner Meinung nach „müssen die Staaten auf den Plan treten,
wenn die Marktkräfte zu wünschen übrig lassen“.
Ein Ideal für junge Wissenschaftler
Schon in der Vergangenheit hat Gentechnik zur Entwicklung beigetragen. Dank der grünen Revolution in den 60er und 70er Jahren konnten sich verschiedene südliche Länder
mit verbesserten Varietäten und Zuchtmethoden in puncto Lebensmittelerzeugung von
fremder Hilfe unabhängig machen. Die meisten Teilnehmer stimmten überein, dass die
Entwicklungsländer erst dann umfassend an Fortschritten in Pflanzen-Biotechnologie teilhaben werden, wenn Europa eine Politik der Solidarität entwickelt und den Technologietransfer sowie „lokale Infrastrukturen“ unterstützt. In seiner Erklärung forderte
FAO-Vertreter Kraisid Tontisirin Europa auf, entsprechend zu handeln.
Diesen Appell beantwortete Marc Van Montagu mit der Feststellung: „Die Industrie
fördert die Wissenschaft nicht; genau das Gegenteil ist der Fall. Die Entwicklung von AgrarBiotechnologien, die Entwicklungsländern helfen, ist ein wunderbares Ziel für junge Wissenschaftler“. John Martin (University College London) fügte hinzu: „Angesichts der kolonialen Vergangenheit Europas ist dies geradezu unsere Pflicht“.
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Lebensmittelhygiene und Versorgung
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BRUNO GAURIER
Lebensmittelhygiene und Versorgung
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RO L F Z I N K E R N AG E L
Lebensmittel und Kultur
Warum sind dann so viele Europäer gegen den Einsatz von Gentechnik in der
Landwirtschaft? Warum betrachten sie diese Anwendungen nicht als einen Weg, die
Nahrungsprobleme der Welt zu lösen? Die meisten Kommentare aus dem Publikum betrafen dieses Paradox. Wiederholt verwiesen Teilnehmer auf die BSE-Krise, die zeitgleich mit
dem Aufkommen genetisch modifizierter Lebensmittel auf dem Markt auftrat und sich nun
als schwere Bedrohung für die Sicherheit der Agro-Lebensmittelkette erweist.
Wie Bruno Gaurier (European Disability Forum, Paris) erklärte, „sind in manchen europäischen Ländern in der letzten Zeit einige sehr ernsthafte gesundheitliche Folgen aufgetreten, die auf
eine zu intensive Landwirtschaft zurückzuführen sind. Dies sollte uns innehalten und über die
Grenzen unseres derzeitigen Agrarmodells nachdenken lassen“. Egbert Schroten (Universität
Utrecht) warf in seinem Beitrag die Frage auf, ob es sich denn „bei der weltweiten
Nahrungsversorgung um ein rein technologisches Problem“ handele. „Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber neuartigen Lebensmitteln spiegelt mehr wider als lediglich einen Mangel an
Informationen. Nahrung trifft die Gefühle der Menschen; sie bringt ihnen Genuss. Sie reflektiert die
Werte und sogar die religiösen Überzeugungen der Menschen“. Professor Schroten forderte die
Wissenschaftler auf, sich der Welt außerhalb „ihres exklusiven Clubs mit seinem eigenen Jargon
und seinen eigenen Regeln“ zu öffnen.
Ve r t ra u e n u n d Tra n s p a re n z
Professor Schrotens Ausführungen veranlassten Rolf Zinkernagel (Institut für experimentelle Immunologie, Zürich), Träger des Nobelpreises für Physiologie und Medizin
1996, über eine sehr positive Erfahrung zu berichten. Im Jahr 1998 fand in der Schweiz ein
Referendum zum Verbot von Gentechnik statt. Viele Schweizer Wissenschaftler suchten
daraufhin den Dialog mit den Bürgern. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen, schlug Zinkernagel vor, Europa solle „eine unabhängige Behörde zur Bewertung von
Lebens- und Arzneimitteln einrichten, ähnlich wie die allgemein geachtete nordamerikanische
Food and Drug Administration“. ‘Christopher Leaver begrüßte diesen Vorschlag und bedauerte, dass „Behörden der Öffentlichkeit nicht trauen und daher versucht sind, Informationen zu
verheimlichen“.
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ZUSAMMENFASSUNG DER SITZUNG 3
ENRICA GALLI
Mikroorganismen sind ein gewaltiger und praktisch unerforschter
Schatz an Ressourcen, aus denen sich innovative, dem Menschen
nützliche Anwendungen entwickeln lassen müssten. Vielleicht
eröffnet die mikrobielle Vielfalt der menschlichen Gesellschaft gar
einen Weg zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Wie können
Menschen, als Manager und Entwickler der genetischen Ressourcen
unseres Planeten, eine intelligente Partnerschaft mit den verschiedenen Organismen der Biosphäre bilden?
Zwei Milliarden Jahre Metabolismus
Wissenschaftler haben auf dem Blauen Planeten rund 1,7 Millionen lebende Spezies
ausgemacht.Weitere 10 bis 100 Millionen bleiben schätzungsweise noch zu entdekken, aber eins ist sicher : Die mikrobielle Artenvielfalt – die Vielfalt an Bakterien,
Protozoen, Pilzen, einzelligen Algen – stellt das außergewöhnlichste Lebensreservoir
in der Biosphäre dar, und ihre Erforschung steht erst am Anfang.
Sitzungspräsident Victor de Lorenzo (Centro Nacional de Biotecnología, Madrid)
veranschaulichte dies durch den Vergleich zwischen einer „Pyramide bekannter Spezies“
und einer „Pyramide bestehender Spezies“. In beiden Pyramiden bildeten die Tiere das
Fundament, darüber kamen die Pflanzen, an der Spitze die Mikroorganismen. Das
überraschende Ergebnis war, dass die eine Pyramide nach oben zeigte, die andere nach
unten. Bekannte Tierspezies waren die Basis der nach oben gerichteten Pyramide, da
sie zahlreicher sind als bekannte Pflanzenspezies und weitaus zahlreicher als die
bekannten Bakterienspezies (nur ca. 4 000). In der Pyramide der bestehenden Spezies
bildeten Mikroorganismen die Grundlage. Es gibt also viel mehr noch zu entdeckende
Mikroorganismen als bestehende Pflanzen- und Tierarten.
Im Hinblick auf die wissenschaftliche Bedeutung der mikrobiellen Vielfalt erinnerte
Enrica Galli (Universita degli Studi, Mailand) die Teilnehmer daran, dass
„Mikroorganismen zwei Milliarden Jahre lang allein auf der Erde gelebt und eine große Vielfalt
an metabolischen Formen entwickelt haben, die jeweils an extreme und ganz verschiedene
Außenbedingungen angepasst waren“. Schon seit langer Zeit nutzt der Mensch diesen
metabolischen Schatz bei der Herstellung von Lebensmitteln (Gärung usw.) und der
Entwicklung von Arzneimitteln (Antibiotika,Vitamine…).
Die molekulargenetische Revolution hat der systematischen Erforschung des weltweiten Mikrobenpotenzials neuen Schwung gegeben. So entwickelt beispielsweise das
von Angela Karp (University of Bristol) koordinierte europäische Programm „Tools for
Biodiversity“ ein neues, rationelles Klassifizierungssystem zur Beschreibung der
Mikrobenwelt. „Bei dieser Forschung geht es nicht nur um Konzepte“, betonte Ken Timmis
(Gesellschaft für Biotechnologische Forschung – Braunschweig), „denn mit dieser
Klassifizierung wird es leichter, Bedingungen für die in-vitro-Kultur unbekannter Organismen
festzulegen, und das wiederum ist eine Voraussetzung für die Erforschung der Welt der
Mikroben“.
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Vom Wert der Artenvielfalt
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Vom Wert der Artenvielfalt
KEN TIMMIS
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U n s e re Fre u n d e , d i e M i k ro b e n
„Mithilfe von Molekulargenetik lassen sich, zusätzlich zu isolierten Mikroorganismen, auch
Mikrobengemeinschaften untersuchen. Neue Ansätze beruhen auf der Analyse von ‚MetaGenomen’, die alle in einem mikrobiellen Ökosystem vorhandenen Genome enthalten. Die
Interaktionen in solchen Gemeinschaften sind sehr komplex, und bisher wissen wir kaum etwas
darüber. Diese Gemeinschaften entwickeln Aktivitäten, die vom Menschen vielleicht genutzt werden könnten“. Dank der Gentechnik ist es seit 1972 möglich, interessante Eigenschaften
verschiedener Mikroorganismen in derselben Zelle zu kombinieren.
Mikrobielle Artenvielfalt bietet ein schier endloses Feld umweltfreundlicher
Anwendungen auf der Basis der natürlichen Entwicklung lebender Spezies :
„Wächterbakterien“ zur Kontrolle von Verschmutzungsniveaus, „Reinigungsbakterien“ für
biologische Wiederherstellung, biologische Umwandlungsverfahren, bei denen Bakterien
als Zellfabriken dienen (auf diese Weise werden bereits verschiedene rekombinante
Arzneimittel hergestellt), neue, dem Menschen nützliche Moleküle (Antibiotika, Dünger,
Pestizide usw.). „Die Erforschung der mikrobiellen Artenvielfalt könnte der Schlüssel zur
Entwicklung eines Sektors sein, auf dem das nachhaltige und umweltfreundliche
Wirtschaftswachstum des 21. Jahrhunderts beruhen wird“, prophezeite Ken Timmis. Er und
Victor de Lorenzo erwähnten beide die aktuelle Eurobarometer-Erhebung über die
Meinung der Bürger zu Biowissenschaften, aus der hervorgeht, dass „die meisten Europäer
Forschung über derartige biotechnologische Anwendungen sehr gut finden“. Enrica Galli
empfahl, das Motto der Mikrobiologen „Sorge für deine mikrobiellen Freunde, und sie
werden für deine Zukunft sorgen !“, allgemein zu propagieren.
N e u b ewe r t u n g d e r i n d u s t r i e l l e n A s p e k t e
Doch trotz der Aussichten auf nachhaltige Entwicklung, die die mikrobielle Artenvielfalt
eröffnet, empfahl Ken Timmis eine Neubewertung bestimmter Industriepraktiken, die zu
einer Reduzierung dieses Potenzial führen könnte, insbesondere bei der Entwicklung von
Pharmazeutika: „Wer kümmert sich denn heute noch einen Deut darum, wie schnell Arzneimittel
in der Umwelt abgebaut werden?“, fragte er. „Je länger die Halbwertzeit eines Medikaments ist,
um so höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass es eines Tages in unseren Lebensmitteln oder unserem Trinkwasser landet und Probleme wie Antibiotika-Resistenzen auslöst“.
Wird dieser mögliche Weg zu Nachhaltigkeit voll genutzt? „Wer wird diese langfristige
Forschung finanzieren?“, fragte Anne-Marie Prieels (Tech-Know Consultancy). Ken Timmis
stellte fest: „Es ist heutzutage schwierig, für Grundlagenforschung in so politischen Bereichen wie
biologische Sanierung Fördermittel zu bekommen. Die Industrie sträubt sich, und in Rezessionszeiten
neigen die Regierungen eher zu industriefreundlichen als zu umweltfreundlichen Maßnahmen“. Els
Torreele (Université Libre de Bruxelles) äußerte ihre Besorgnis darüber, dass „der öffentliche
Sektor nur wenig Forschungsmittel für Grundlagenforschung im Vorfeld industrieller Entwicklungen
bereitstellt“, während laut David Schindel (US National Science Foundation), in den USA
bereits groß angelegte öffentliche Forschungsprogramme über die mikrobielle Artenvielfalt
angelaufen sind.Auf diese Bemerkung erwiderte Bruno Hansen (Europäische Kommission),
die Europäische Union sei sich der Bedeutung der Grundlagenforschung bewusst. Als
Beispiel nannte er die von Nick Russel (University of London) geleitete Konzertierte Aktion
„Eurocold“, die sich mit der Erforschung von Bakterien der Arktikregionen befasst. Im
Rahmen dieser Arbeit wurden verschiedene Niedrigtemperatur-Enzyme entdeckt, die sich
beispielsweise in der Agro-Lebensmittelindustrie nützlich machen.
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S U E M AY E R
Ethik auf der Gr undlage von Vielfalt
Einige Teilnehmer brachten den ethischen Aspekt der Biodiversität ins Spiel. Paul
Janiaud (INSERM) und Franck Mulcahy (European Disability Forum) bemerkten, genetische Vielfalt werde in klinischen Testprotokollen in der Regel außer acht gelassen. „Sie
konzentrieren sich fast ausschließlich auf nicht behinderte männliche Versuchspersonen zwischen 25 und 50 Jahren“.
Diese Kommentare führten zu einer Debatte darüber, wie wichtig es ist, alle
Facetten der Artenvielfalt – Ökosysteme, Spezies, genetische Vielfalt – zu erhalten.
„Wir erhalten nur das, was wir rationell und nachhaltig nutzen“, erklärte Victor de Lorenzo.
Sue Mayer (GeneWatch) unterstrich in ihrem Vortrag über die gesellschaftlichen
Aspekte der Artenvielfalt „das Ausmaß des Rückgangs der biologischen Vielfalt, die wilde
Spezies ebenso betrifft wie das Keimplasma von Arten, die in der Landwirtschaft eingesetzt
werden“. Genetisch veränderte Organismen (GVO) wollte sie nicht in Bausch und
Bogen verdammen : „Wir stehen am Scheideweg : Auf der einen Seite gibt es das pessimistische Szenario, in dem eine Hand voll GVO weltweit intensiv kultiviert werden, und auf der
anderen das optimistische, wo unsere Achtung gegenüber der biologischen Vielfalt zu einer
treibenden Kraft in unserer Gesellschaft wird und wir auf bedachte und ausgewogene Weise
an die Molekulargenetik herangehen“.
tli h
t
Wie lässt sich hier eine kollektive Entscheidung treffen? Auf welcher Grundlage?
Beate Kettlitz (Europäische Verbraucherorganisation) fragte: „Ist es heute möglich, die
mit Anwendungen der Molekulargenetik verbundenen Risiken zu beurteilen ?“ Sue Mayer
erwiderte, dass „der derzeitige Wissensstand keine rein wissenschaftliche Bewertung
erlaubt“. Patrick Cunningham (Trinity College Dublin) erinnerte an die AsilomarKonferenz 1974, wo sich eine kleine Gruppe von rund hundert Wissenschaftlern hinter verschlossenen Türen bemühte, sich ein Urteil über die Fragen zu bilden, die die
– seinerzeit brandaktuelle – gentechnische Manipulation von Bakterien aufgeworfen
hatte: „Sind sie auf die richtige Art und Weise an diese Fragen herangegangen ?“ Nach Sue
Mayer „haben diese Wissenschaftler eine gute Gelegenheit verpasst, die Öffentlichkeit in die
Debatte einzubeziehen. Heute brauchen wir einen breiteren Dialog. Damit er etwas bringt,
müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein :Wir dürfen niemanden ausschließen, wir dürfen die
Rolle der Genetik, die ja nur ein Teil des wissenschaftlichen Wissens ist, nicht überbetonen, wir
sollten alle Optionen offen lassen und ihre jeweiligen Vorteile gegeneinander abwägen, und
der Dialog sollte Entscheidungen auch wirklich beeinflussen“. Dies sei jedoch, so Mayer
abschließend, ein langer und schwieriger Prozess.
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Den Dialog eröffnen
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Vom Wert der Artenvielfalt
FRANCK MULCAHY
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ZUSAMMENFASSUNG DER SITZUNG 4
Verantwortlicher Umgang mit Gentechnik
O C TAV I Q U I N TA N A - T R I A S
BRUNO DALLAPICCOLA
Medizinische Gentechnik eröffnet Aussichten auf enorme
Fortschritte. Außerdem wirft sie ernste ethische Fragen hinsichtlich ihrer Anwendung auf. Neue Diagnostikinstrumente werden entwickelt, und vielleicht gibt es schon bald die erste wirksame Gentherapie. An diesem Wendepunkt sollten wir innehalten und darüber nachdenken, wie sich unsere neue Macht über
die Biosphäre verantwortungsbewusst einsetzen lässt.
Z we i fe l h a f t e D i a g n o s e
„Stellen Sie sich einen Arztbesuch im Jahr 2010 vor. Der Patient bringt seine Genomsequenz auf
einer Digitaldiskette in der Größe einer CD-ROM mit. Der Arzt schiebt die Diskette in seinen Computer
und berechnet die Wahrscheinlichkeit, mit der dieser Patient an den verschiedenen Krebsarten
erkranken wird. Je nach den Ergebnissen verschreibt er eine Vorsorgebehandlung oder medizinische
Folgebetreuung“. Mit diesem Szenario schilderte Bruno Dallapiccola (La Sapienza University,
Rom) den Teilnehmern des Forums, wie Humangenetik die Medizin revolutionieren wird.
Dieses Szenario ist zwar nicht bloß Science fiction, aber derzeit erst eine hoffnungsvolle Perspektive. Noch ist die Diagnostik ungenau und mangelhaft. Bruno Dallapiccola verwies auf eine europäische Studie, die eine 30%ige Fehlerquote in Molekulardiagnosetests
und anderen von medizinischen Labors durchgeführten Gentests aufgedeckt hat. Bis zur
Standardisierung dieser neuen Tests und Reagenzien ist es noch ein langer Weg.
Wie bedeutsam und sinnvoll ein Diagnosetest ist, hängt vom jeweiligen Fall ab:
Bei Menschen, in deren Familie eine bestimmte Krankheit erst in relativ hohem Alter ausbricht, zeigen präsymptomatische Tests, ob das Familienmitglied Gefahr läuft, diese
Krankheit ebenfalls zu entwickeln.Trägertests spüren rezessive monogene Krankheitsgene
in hoch gefährdeten Bevölkerungsgruppen oder Einzelpersonen auf. Mithilfe von Prognosetests wird die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der eine Krankheit zum Ausbruch kommen wird. „Prognosetests sind das Gebiet, wo wir am meisten lernen müssen“, erklärte
Professor Dallapicolla.
E i n We n d e p u n k t
„Obwohl neue Therapien noch Zukunftsmusik sind und der Schwerpunkt zurzeit auf der
Entwicklung von Gentechniken zu Diagnosezwecken liegt, stehen wir an einem Wendepunkt, an
dem wir unbedingt sehr sorgfältig über die Folgen dieser Technologien nachdenken müssen, bevor
wir ihre Anwendung allgemein verbreiten“, erklärte Sitzungspräsident Octavi Quintana-Trias
(INSALUD, Madrid und Europäische Gruppe für Ethik).
„Unsere Aufgabe ist gewaltig :Wir müssen die Struktur des Gesundheitsversorgungssystems der
Zukunft erfinden, nicht mehr und nicht weniger“, fügte Bruno Dallapiccola hinzu. Els Torreele
(Vrije Universiteit Brussel) erklärte: „Gentests sind teuer, vor allem, wenn Privatunternehmen
ein Monopol darauf haben, wie im Fall der Suche nach Brustkrebsgenen.Wir müssen die Folgen
von Gentests unter dem Gesichtspunkt der Volksgesundheit beurteilen“.
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DAV I D M C C O N N E L L
Pe r s ö n l i c h e G e n d a t e n : d a s R e c h t a u f P r i va t s p h ä re
Es geht aber nicht nur um Gesundheitspolitik. Professor Dallapicolla sprach auch
das Problem in Verbindung mit der Speicherung persönlicher Gendaten in
Datenbanken an : „Wie werden wir den Zugriff auf diese Daten kontrollieren ?“ David
McConnell (Trinity College Dublin) erklärte, die individuellen Geninformationen sollten privat sein, „aus ethischen Gründen, und weil die derzeitige Ungewissheit bezüglich der
Vertraulichkeit von Gendaten die weitere Entwicklung von Gentests in Europa behindert“.
Andere Fragen sind schwieriger zu lösen. Im Hinblick auf den Einsatz von DNSFingerabdrücken in der Gerichtsmedizin und Kriminalistik forderte Professor
McConnell die Teilnehmer auf, über einige Fragen nachzudenken:Wer sollte in diesen
Datenbanken erfasst sein ? Nach welchen Kriterien? Sind Bürgerfreiheiten in Gefahr?
Axel Kahn (Institut Cochin, Paris) bat die Genetiker, „die Gefahr der genetischen
Diskriminierung bei Beschäftigung und Versicherung nicht zu unterschätzen“, und fügte hinzu:
„Wenn wir nicht aufpassen, bereiten wir einer Gesellschaft den Weg, in der die Genrechte an
die Stelle der Menschenrechte treten“. Franck Mulcahy (European Disability Forum)
betonte, man müsse zuhören, was Patientenverbände zum Thema Genetik zu sagen
haben: „Patienten und ihre Familien verfügen über konkrete, eigene Kenntnisse, die zu berükksichtigen sind“. Er erklärte, dass „die Behinderten nur zu gut wissen, dass sie von
Versicherungsgesellschaften schon heute diskriminiert werden“. Henri Faivre (Association
des Paralysés de France) bezeichnete es als „wichtigen Sieg, dass die Nichtdiskriminierung
auf der Basis von Behinderung im Europäischen Vertrag festgeschrieben wurde“. Dieses
Prinzip, so Faivre weiter, müsse unbedingt in die Praxis umgesetzt werden.
Vo r a u s s e t z u n g e n f ü r e i n e D e b a t t e
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Danach ging es um die Frage, wie sich eine europäische Debatte in Gang bringen
ließe. Giuseppe Nisticò, Professor für Genetik und Mitglied des Europäischen Parlaments, erklärte : „Alle sozialen Akteure müssen den Bürgern helfen, die enorme
Bedeutung genetischer Entdeckungen zu begreifen“. Octavi Quintana-Trias fügte
hinzu, dass „die Debatte transparent sein sollte. Interessen dürfen bestehen, aber nicht
verschleiert werden“.
Laut David McConnell haben Wissenschaftler dabei eine Rolle zu spielen: „Sie sollten den Europäern helfen,Wissenschaft und Technologie zu integrieren und in ihr kollektives
Bewusstsein aufzunehmen“. Es wird viel Zeit und Geduld erfordern, um die Wissenschaft „unter die Leute zu bringen“. Nach Auffassung von Bernie Moran (Huntington’s
Disease Association) haben die Experten dies bisher versäumt. Sie forderte sie auf,
„sich klar und für jeden verständlich auszudrücken“.
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Verantwortlicher Umgang mit Gentechnik
HENRI FAIVRE
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Verantwortlicher Umgang mit Gentechnik
GIUSEPPE NISTICÒ
A L A S TA I R K E N T
D i e M e d i e n u n d „ Fa z i l i t at o re n “
Eine wesentliche Frage ist, wie sich wissenschaftliches Wissen an Bürger weitergeben
lässt. Diese Aufgabe wird derzeit fast ausschließlich den Medien überlassen. Ob das der
richtige Weg ist ? Sollten nicht alle Akteure gemeinsam diese Verantwortung tragen? Die
Berichterstattung durch die Medien ist oft von Sensationslust geprägt und auf bestimmte
Themen fixiert. „Die Öffentlichkeit wird mit wissenschaftlichen Informationen von zweifelhafter
Qualität bombardiert“, betonte Giuseppe Nisticò. „Ich habe die Europäische Kommission
gebeten, dafür zu sorgen, dass die Bürger korrekt informiert werden“.
Etienne Magnien (Europäische Kommission) glaubt, im Rahmen dieses Prozesses sollten
die Bürger nicht nur über wissenschaftliche Fortschritte informiert werden. „Es ist wichtig, die Öffentlichkeit zu bilden, und dazu werden ‚Fazilitatoren’ benötigt, die in der Lage sind,
Fortschritte in Biowissenschaften in neue kulturelle Paradigmen zu integrieren. Im Fall von
Genetik könnten Hausärzte, Krankenschwestern, Hochschullehrer, Sozialarbeiter,
Familienplanungsstellen, Vereinigungen usw. diese Aufgabe übernehmen. Dabei kommt es vor
allem darauf an, diesen Fazilitatoren die notwendigen Kenntnisse und Lehrmittel verfügbar zu
machen. Dieser Aspekt wird häufig vernachlässigt“.
John Martin (University College London) beschrieb eine Situation, in der ihm klar
wurde, „dass Strukturen fehlen, die Wissenschaftlern ethischen Rat erteilen können“. Er meint,
dass auch Wissenschaftler Fazilitatoren brauchen. Alastair Kent (Genetic Interest Group)
wies darauf hin, dass Patienten mit genetischen Krankheiten Unterstützungsstrukturen
benötigen, die ihnen helfen, die Bedeutung ihrer Erkrankung zu verstehen und die für sie
interessanten therapeutischen Fortschritte mitzuverfolgen.
Ethisches Dilemma
Wissenschaftler und Ärzte, Philosophen und Soziologen, Patienten und Behinderte,
Unternehmer, Volksvertreter, Bürgerverbände, Journalisten – an der kollektiven Debatte
über den verantwortlichen Umgang mit Gentechnik müssen viele Akteure teilnehmen.Auf
welchen Prinzipien sollte der Dialog beruhen? Octavi Quintana-Trias berichtete über
seine Erfahrung in der Europäischen Gruppe für Ethik in Wissenschaft und Technologie
und betonte, dass es „zuerst einmal notwendig ist, die gesellschaftlichen Probleme zu ermitteln
und die Ängste, Erwartungen und Wertvorstellungen der Öffentlichkeit zu erkennen. Erst dann
können wir Instrumente zur Analyse der Probleme vorschlagen und Empfehlungen zur Klärung
der Debatte aussprechen. Fertiglösungen kommen nicht in Frage“. In seinem Bericht über die
Arbeit des Europäischen Parlaments auf dem Gebiet von Embryonenstammzellen unterstrich Giuseppe Nisticò, dass „sich über einen Dialog immer ein Kompromiss finden lässt“.
Andere Teilnehmer teilten die Auffassung, im Hinblick auf die Schaffung von Gesetzen
und Rechtsvorschriften sei zwar ein Kompromiss wichtig, betonten aber, dass individuelle
ethische Entscheidungen einer anderen Logik gehorchten. „Ethische Fragen sind immer in
ihrem jeweiligen Kontext zu sehen“, erklärte David McConnell, „da jedes Dilemma, mit dem wir
konfrontiert sind, je nach Hintergrund eine andere Reaktion erfordern kann“ (zum Beispiel die
Mutter-Kind-Beziehung, die Stellung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft, das
Verhältnis von einer Kategorie von Mitspielern zu einer anderen, von einer Generation zu
den kommenden Generationen). Dies veranlasste Lord Kennet (British House of Lords)
zu der abschließenden Feststellung: „Dieses Forum hat drei Konfliktebenen herausgestellt: zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit, zwischen nationalen und internationalen Interessen
sowie zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen. Vielleicht sollte die Europäische
Kommission einen neuen Posten einrichten, und zwar den eines ‚Chefdramaturgen’, der die verschiedenen Konflikte in eine konkrete Form fassen und so zu ihrer Klärung beitragen würde“.
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Bü d i
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Philippe Busquin, Forschungskommissar der Europäischen
Union, zieht seine Schlussfolgerungen aus dem Forum
„Genetik und die Zukunft Europas“.
Warum haben Sie dieses Forum, eine Art „freie Versammlung“, organisiert, in dem die Gesellschaft aufgefordert wurde, erstmals auf europäischer Ebene mit Experten und Entscheidungsträgern einen Dialog über
alle Aspekte des Fortschritts in der Gentechnik zu führen ?
Ich bin der festen Überzeugung, dass in allen Bereichen, wo der technologische
Fortschritt sich beschleunigt, ein Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stattfinden und zur künftigen Wissenschaftspolitik beitragen muss. Die Gentechnik mit
ihren atemberaubenden Leistungen ist ein beispielhafter Fall. Wenn es uns in Europa
nicht gelingt, eine funktionierende Kommunikation zwischen Wissenschaft und industrieller Entwicklung einerseits und der Gesellschaft im Ganzen andererseits herzustellen, wie können wir dann ernsthaft daran denken, eine wissensbestimmte, durch
wirtschaftliche und zugleich technologische Globalisierung geprägte Gesellschaft aufzubauen ?
SCHLUSSFOLGERUNG
Was haben Sie aus diesen zweitägigen Diskussionen gelernt ?
Diese rege Debatte hat beispielsweise gezeigt, dass Wissenschaftler sich die Zeit für
eine wirksamere Kommunikation mit der Außenwelt nehmen sollten, auch wenn Zeit
kostbar ist. Außerdem ist deutlich geworden, dass technologischer Fortschritt einen
solchen Dialog erforderlich macht. Sporadisch mag eine Debatte über eine besonders
spektakuläre gentechnische Anwendung aufkommen, aber ein breiterer Dialog, der
auch Forschungsgebiete umfasst, über die weniger gesprochen wird, ist von entscheidender Bedeutung. Er sollte unserem kollektiven Denken Einsicht in den vernünftigen
Umgang mit unserem genetischen Erbe vermitteln.
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Geteiltes Wissen – ein neues Bündnis
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Geteiltes Wissen – ein neues Bündnis
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Die Debatte konzentrierte sich oft auf die Akteure – wer sind sie, auf
welche Weise sollten sie eingreifen ?
Alle Akteure sollten teilnehmen, aber jeder Mitspieler in der Gesellschaft sollte dies
entsprechend seiner eigenen Identität, seiner jeweiligen Rolle und Verantwortung tun.
Dieser Punkt ist äußerst wichtig. Wissenschaftler bringen Daten und Wissen hervor.
Die Industrie setzt das Wissen in Reichtum und Vorteile um. Öffentliche Dienste helfen mit, diese Vorteile an alle Bürger weiterzugeben. Der Gesetzgeber reguliert den
Einsatz von Technologie und legt fest, wie weit potenzielle Risiken zu akzeptieren sind.
Bildungseinrichtungen und Medien verbreiten Wissen, das so unser kulturelles Erbe
bereichert.Vereinigungen machen auf Anwendungen aufmerksam, die dank bestimmter technologischer Fortschritte möglich scheinen, um die Interessen von
Minderheiten oder schwachen Bevölkerungsgruppen zu schützen.
Der Dialog muss alle Elemente der Gesellschaft in einen kollektiven Lernprozess
einbeziehen. Ein Hindernis dabei ist die traditionelle Struktur der öffentlichen
Debatte, die in der Regel eher polarisiert wird, anstatt offen und pluralistisch zu sein.
Wir müssen neue Wege erfinden, um die Bürger zu informieren und zur Mitwirkung
anzuregen. „Konsenskonferenzen“ sind ein gutes Beispiel für diesen neuen Ansatz.
In unserem Diskussionsforum wurde die Debatte natürlich nicht erschöpfend
geführt, aber es hat dazu beigetragen, dass einige objektive Kriterien für die Eröffnung
eines klaren, fairen und umfassenden Dialogs über die Frage, was bei der Gentechnik
eigentlich alles auf dem Spiel steht, festgelegt werden konnten.
Und der nächste Schritt ?
Ich habe Rückmeldungen von Teilnehmern des Forums erhalten, und Empfehlungen
von der kürzlich gebildeten Hochrangigen Gruppe für Biowissenschaften, die wesentlich zu der Debatte beiträgt. Dies veranlasst mich, europäische Wissenschaftler und
ihre Organisationen aufzufordern, gemeinsam mit Vertretern der Gesellschaft engagiert über die Zukunft der Genetik nachzudenken.
Da diese Initiative die aktive Mitwirkung aller Protagonisten voraussetzt, scheint sie
eine neue Offenheit und Kreativität zu versprechen. Ihre Auswirkungen werden sich
vervielfachen, wenn andere Gruppen sich von diesem Ansatz überzeugen lassen und
beschließen, ihn nachzuahmen und – in allen nur denkbaren kulturellen und institutionellen Rahmen – ähnliche Debatten organisieren. Ich wünsche mir eine lange Reihe
künftiger Veranstaltungen, die uns ermöglichen, auf unserer Lernkurve schneller voranzukommen.
Nur wenn Erfahrungen und bewährte Praktiken immer wieder miteinander geteilt
werden, lassen sich „ethische Fragen“ der Genomforschung unter einem europäischen Gesichtspunkt beantworten. Ich stimme mit der Hochrangigen Gruppe für
Biowissenschaften darin überein, dass der Europäische Forschungsraum eine Reihe
von Maßnahmen auf den Weg bringen sollte, um diesen Prozess zu unterstützen. Ein
Beispiel ist die Ausschreibung, die vor Kurzem im Rahmen des Programms
Lebensqualität veröffentlicht wurde. Diese Ausschreibung betrifft insbesondere die
Finanzierung von Aktivitäten, die auf die Förderung einer Debatte zwischen
Wissenschaft und Gesellschaft abzielen. Verschiedene neue Initiativen, die durch
Gemeinschaftsmaßnahmen unterstützt werden, sollten dieses Jahr zum Jahr des
Dialogs machen.
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KI-NB-19-442-DE-C
Weitere Informationen finden Sie
auf der Website „Genetics and the Future of Europe“ auf dem Server Europa:
http://europa.eu.int/comm/research/quality-of-life/genetics.html
Die Diskussionsplattform Genetik und die Zukunft Europas bildete den Ausgangspunkt für einen
Dialog, an dem sich jeder beteiligen kann, der an den bedeutsamen Veränderungen im Zuge des
Fortschritts der Biowissenschaften interessiert ist. Ideen, Aktionsvorschläge und andere
Kommentare senden Sie bitte an:
[email protected]
Preis in Luxemburg (ohne MwSt.) : EUR 14 (Band 1 + Band 2)
AMT FÜR AMTLICHE VERÖFFENTLICHUNGEN
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
L-2985 Luxembourg
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