Ökologischer Kurs WS 2003/04: Desinfektion Prof. Dr. Peter Heeg Institut für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene [email protected] Prof. Dr. Peter Heeg 1 Desinfektion und Antiseptik Desinfizieren heißt, die Keimzahl auf oder im dem behandelten Objekt soweit zu reduzieren, daß von ihm keine Infektionsgefahr mehr ausgeht (gezielte Entkeimung). Die Desinfektion erfolgt durch irreversible Inaktivierung unabhängig vom Funktionszustand der Mikroorganismen. Es muß eine Abtötungskinetik nachweisbar sein, bei der i.d.R. eine Keimzahlreduktion von 5 log-Stufen gefordert wird. Prof. Dr. Peter Heeg 2 Desinfektion und Antiseptik Unter Antiseptik versteht man die Anwendung antimikrobieller Substanzen am lebenden Gewebe. Ziel ist die Abtötung oder Vermehrungshemmung von Krankheitserregern am Ort oder an der Eintrittspforte einer Infektion (z.B. präoperative Haut- und Schleimhautdesinfektion). Prof. Dr. Peter Heeg 3 Desinfektionsverfahren Physikalische Verfahren • Auskochen (ca. 100 °C, 15 min) • Reinigungs-Desinfektionsgeräte („Spülmaschine“, 80-95 °C) • strömender Dampf, Niederdruckdampf (105 °C) • Verbrennung • Ultraviolette Strahlen (UV-C) Chemisch Verfahren Chemisch-thermische • Tauchverfahren Verfahren • Spülmaschine (z.B. chemisch-thermische Verfahren bei 40-65 °C) Prof. Dr. Peter Heeg • (Scheuer-)WischVerfahren • Sprühdesinfektion 4 Anforderungen an Desinfektionsmittel (1) 1. Mikrobiologische Wirksamkeit • Breites Wirkungsspektrum (ausg. bakterielle Sporen) • kurze Einwirkzeit • Irreversible Wirkung • Zuverlässige Wirkung, auch bei Belastung 2. Anwendungseigenschaften • Materialverträglichkeit • Reinigungskraft, Hartwasserstabilität • Sicherheit (z.B. Flammpunkt) • Dosierbarkeit • Akzeptanz (z.B. Geruch, Hautgefühl o.ä.) Prof. Dr. Peter Heeg • Wirtschaftlichkeit 5 Anforderungen an Desinfektionsmittel (2) 3. Toxikologie • Haut- bzw. Schleimhautverträglichkeit • Niedrige akute orale Toxizität • Niedrige dermale Toxizität • Niedrige Inhalationstoxizität 4. Umweltverhalten • Biologische Abbaubarkeit • Geringe Abwassertoxizität Prof. Dr. Peter Heeg 6 Desinfektionswirkstoffe (1) Alkohole Ethanol, Isopropanol (2-Propanol), n-Propanol (1Propanol) aromatische Alkohole (z.B. Phenoxyethanol) Aldehyde Formaldehyd, Glutardialdehyd, Succindialdehyd, 2Ethylhexanal, Glyoxal Phenole o-Phenylphenol, Tetrabrom-o-Kresol, p-Chlor-mKresol Oxidanzien Ozon , Wasserstoffperoxid, Persäuren (Peressigsäure) Prof. Dr. Peter Heeg 7 Desinfektionswirkstoffe (2) kationaktive und amphotere Verbindungen quaternäre Ammoniumverbindungen = QAV (Benzalkoniumchlorid) Guanidine (Biguanide z.B. PHMB; Chlorhexidin, Octendin), Amphotenside Amine Glucoprotamin (Umsetzungsprodukt aus L-Glutaminsäure und Cocosprophylendiamin) Halogene Chlor, Hypochlorite, Chloramine Iod, Iodophore (Polyvinylpyrrolidon-Iod = PVP-Iod) Metallsalze Silber, Kupfer, Quecksilber Prof. Dr. Peter Heeg 8 Wirkungsspektren bei der Desinfektion 1. Geringe – mäßige Resistenz: Lipophile Viren, vegetative Bakterien (Leitorganismen: E. faecium, S. aureus, P. aeruginosa), Pilze einschl. Sporen (Leitorg.: A. niger) 2. Mäßige – hohe Resistenz: Mykobakterien, Hepatitis B-Virus, hydrophile Viren (Leitvirus: Polio) 3. Hohe - sehr hohe Resistenz: bakterielle Sporen, Prionen Prof. Dr. Peter Heeg 9 Wirkungsspektrum von „reaktiven“ Wirkstoffen Halogene Gramneg. B. Grampos. B Mykobakt. Hefen Schimmelpilze Unbehüllte V. Bakt. Sporen Aldehyde Peroxide ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ ++ (+) ++ ++ ++ ++ (+) (+) (+) Prof. Dr. Peter Heeg 10 Wirkungsspektrum von „nicht-reaktiven“ Wirkstoffen Alkohole Phenole QAV/ Amine Biguanid Säuren Amphotenside Gram - ++ ++ (+) (+) ++ (+) Gram + ++ ++ ++ ++ ++ ++ Myko ++ ++ (+) ++ (+) 0 Hefen ++ ++ ++ ++ (+) ++ Schimm. (+) (+) (+) (+) (+) (+) Hydro V. (+) 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Sporen Prof. Dr. Peter Heeg 11 Wichtige Anwendungsgebiete der Desinfektion in der Humanmedizin 1. Antiseptik: Hände, Haut, Schleimhaut, Wunden 2. Chemische Desinfektion: Medizinprodukte, Gegenstände, Flächen 3. Thermische Desinfektion: Medizinprodukte (Instrumentarium, Anästhesie- u. Beatmungszubehör, Ausscheidungsbehälter) 4. Chemisch-thermische Desinfektion: Flexible Endoskope, Wäsche Prof. Dr. Peter Heeg 12 Händedesinfektion Hygienische Händedesinfektion: Reduktion der transienten Flora, Ausschaltung des Übetragungswegs Chirurgische = präoperative Händedesinfektion: Reduktion der transienten und residenten Flora, Ausschaltung von Übertragungsweg u. Infektionsquelle Prof. Dr. Peter Heeg 13 Händedesinfektion Hygienische Händedesinfektion: Alkoholisches Einreibepräparat, 30 Sekunden einreiben Chirurgische = präoperative Händedesinfektion: Alkoholisches Einreibepräparat, 3 Minuten einreiben Prof. Dr. Peter Heeg 14 Händedesinfektion Hygienische Händedesinfektion: - vor aseptischen Maßnahmen - nach Kontamination Chirurgische = präoperative Händedesinfektion: - vor operativen Eingriffen Prof. Dr. Peter Heeg 15 Ignaz Philip Semmelweis (1848) Prof. Dr. Peter Heeg 16 Wirksamkeit der hygienischen Händedesinfektion (Rotter u. Koller 1997) Verfahren (1 min) log Reduktion bei künstlicher Kontamination Händewaschen mit Seife 3.0 70% Isopropanol gem. EN 1500 4,1 „Chlorwasser“ entspr. Semmelweis‘ Rezeptur 5,5 Prof. Dr. Peter Heeg 17 Wirksamkeit verschiedener Verfahren zur chirurgischen Händedesinfektion lg-Reduktionsfaktor Nach Vorreinigung (5 min) Vorreinigung mit Bürste Desinfektion mit Nagelbürste Vorreinigung ohne Bürste Desinfektion ohne Nagelbürste Keine Vorreinigung Nach Desinfektion (5 min) Nach 3 h 2,42 1,90 2,41 1,93 2,28 1,99 2,34 2,27 0,14 *) 0,42 *) - Desinfektion mit Nagelbürste Desinfektion ohne Nagelbürste (Präparat: 2-Propanol, Chlorhexidin, Wasserstoffperoxid) *) Differenz signifikant Prof. Dr. Peter Heeg 18 Präoperative Händeantiseptik (Chirurgische Händedesinfektion) Alkoholpräparat 3 Minuten lang einreiben: • 1 min Hände und Unterarme • 1 min Hände auf Handschulänge • 1 min Hände und Nagelbereiche Die Hände müssen über die gesamte Einwirkzeit feucht gehalten werden. Desinfektion nach kurzen Eingriffen: • Handschuhe ausziehen • Händedesinfektion 1 - 2 min Prof. Dr. Peter Heeg • frische Handschuhe anlegen 19 Randbedingungen für die Chirurgische Händedesinfektion 1. Sterile Handschuhe sind kein Ersatz für eine chirurgische Händedesinfektion. Die durchschnittliche Perforationsrate von OPHandschuhe beträgt 25 – 30%! 2. Händewaschen ist nicht obligater Bestandteil des Desinfektionsrituals: bei Programmbeginn, bei Handschuhdefekt und Verunreinigung, zur Entfernung von Schweiß 3. Hände bürsten verursacht Hautschäden. Handbürste – wenn überhaupt – nur zur Nagelreinigung verwenden. „Sterile“ Bürsten sind überflüssig. Prof. Dr. Peter Heeg 20 Wirkstoffe für Hautantiseptik • Alkohole: Ethanol, 2-Propanol, 1-Propanol • PVP-Iod • Octenidin • Chlorhexidin • Triclosan Prof. Dr. Peter Heeg 21 Prof. Dr. Peter Heeg 22 Korrekte Hautantiseptik • Reinigung oder Haarentfernung nur bedingt nötig • Bevorzugt Präparate auf Alkoholbasis verwenden • Haut vollständig benetzen (Auftrag mit Tupfer, Kompresse oder Spray) • Einwirkzeit (talgdrüsenarme Haut) mindestens 15 Sekunden + Sicherheitszuschlag 1 min 1) • Einwirkzeit an talgdrüsenreicher Haut (Stirn, Axillen, Sternalu. Inguinalregion, Rücken median) 10 Minuten; Haut muss über gesamte Einwirkzeitzeit benetzt sein 1)Punktion von großen Gefäßen, Gelenken, sterilen Körperhöhlen und Organen; Operationen; Abnahme von Blutkulturen Prof. Dr. Peter Heeg 23 Hinweise zur Instrumentendesinfektion I Verfahren der Wahl für die Reinigung und Desinfektion von •Operationsinstrumenten •Endoskopen •Anästhesie- und Beatmungszubehör •Pflegeutensilien u. v. a. m. ist die Behandlung in Reinigungs-DesinfektionsGeräten („Waschmaschinen“). Für thermostabile Objekte Desinfektion bei: 93 °C u. 10 min Haltezeit (RKI-Empfehlung 1989) oder 90 °C u. 5 min Haltezeit ( E-DIN EN ISO 15883) Prof. Dr. Peter Heeg 24 Hinweise zur Instrumentendesinfektion II Die maschinelle Aufbereitung ist dem Einlegen in Desinfektionlösung, bzw. Durchspülen, ist aus hygienischer und forensischer Sicht vorzuziehen. Die chemische Eintauchdesinfektion ist von beschränkter Wirkung und hat erhebliche toxikologische, werkstofftechnische und ökologische Nachteile. Entscheidend für den Desinfektions- oder Sterilisationserfolg ist eine wirksame Reinigung. Sterilisation ist kein Ersatz für Sauberkeit. Prof. Dr. Peter Heeg 25