Der Aufbau eines aktiven Gehirns: Wie kreatives Spiel die Gehirnentwicklung fördert Aus einer Artikelserie der Autorin und Erzieherin Elizabeth Slade Heute beobachtete ich meine dreijährige Tochter Bella dabei, wie sie ein Raumschiff – oder sagen wir, etwas, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Raumschiff aufwies – aus LEGO Steinen zusammensetzte. Sie ging dabei sehr geschickt mit den einzelnen Teilen um, fügte sie genau aufeinander und drückte sie zusammen. Ich hielt verwundert inne und fragte mich, seit wann sie nicht mehr nur einfache Mauern baute, bei denen ein Steinchen auf das andere gesetzt wurde. Und wann hatte sie überhaupt ihre DUPLO Kollektion links liegengelassen und die Welt der kleineren LEGO Steine erobert, die ihre zwei Brüder bereits entdeckt hatten? Ich erinnere mich noch daran, wie sie mit zwölf Monaten zwischen den großen, bunten, quadratischen und rechteckigen QUATRO Steinen ihres ersten LEGO Sets saß. Sie warf sie nicht umher wie ihr Bruder Isaac, der damit Versuche zur Schwerkraft durchführte. Sie schlug sie auch nicht gegeneinander, um damit „Musik“ zu machen, wie Jasper in ihrem Alter. Stattdessen befühlte sie sie. Sie drehte und wendete sie in ihren kleinen Händen und betrachtete sie. Was interessierte sie daran? Die Größe, die Form, die Farbe, die Knöpfe an der Oberseite oder die Löcher an der Unterseite? Da ihre Ausdrucksfähigkeit damals noch sehr begrenzt war, konnte sie es uns nicht mitteilen. Neueste Erkenntnisse aus der Hirnforschung weisen jedoch darauf hin, dass ihr all diese Dinge durch den Kopf gingen, während sie mit den Steinen spielte. Das Spielen förderte sogar die Entwicklung ihres Gehirns. Eine der faszinierenden Eigenschaften des Gehirns besteht darin, dass es als einziges Organ bei der Geburt noch nicht voll ausgebildet ist. Vielmehr beginnt die Entwicklung erst, wenn wir auf die Welt kommen. Bei einem Neugeborenen sind nur die wichtigsten Lebensfunktionen, wie Atmen, Schlafen und der Kreislauf aktiv, die über das so genannte „Nachhirn“ gesteuert werden. Der Großteil der Gehirnentwicklung eines Babys steht noch bevor und wird weitgehend von seiner Umgebung und Erfahrungen beeinflusst. Dr. Lise Eliot, Neurobiologin, Mutter von drei Kindern und Autorin des Buches „Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten fünf Lebensjahren“, weist auf einen interessanten Aspekt des Vergleichs des menschlichen Gehirns mit einem Computer hin. Ihrer Erkenntnis zufolge gibt es bei diesem Computer keinen Programmierer. Die „Verkabelung“ erfolgt schon in der „Werkstatt“, also im Mutterleib. Hier spielen die Gene, die Natur und die „Rohkonstruktion“ des Gehirns eine Rolle. Nach der Geburt des Babys wird der Computer gewissermaßen angeschlossen und beginnt, sich selber zu programmieren. Die erforderliche Software und die Anschlüsse für Faxgeräte, 1 Drucker und Lautsprecher richtet dieser Spezialrechner dann ganz von allein ein. Dieser Teil der Entwicklung wird von Umwelteinflüssen bestimmt. „Die Gehirne von Babys sind wahre Lernmaschinen. Sie setzen sich selbst zusammen und passen sich an die jeweilige Umgebung an.“ In ihrem Artikel „Early Brain Development: What Parents and Caregivers Need to Know“ („Frühe Gehirnentwicklung: Was Eltern und Erzieher wissen sollten“) hebt Phyllis Porter hervor, dass sich das Gehirn von Kindern in einem Zeitraum von vier Jahren – von der Empfängnis bis zum Ende des dritten Lebensjahres – entwickelt. Nach dieser Zeit gehen nicht genutzte Gehirnverbindungen verloren. Dies unterstreicht die Bedeutung frühkindlicher Erfahrungen, da diese eine direkte Auswirkung auf die Entfaltung des Gehirns haben. Porter führt aus, dass „Berühren und Sprechen sowie das Sehen und Riechen von Dingen zum Aufbau von Gehirnverbindungen führt. Werden diese nicht verwendet, so verkümmern sie. Wenn keine Erfahrungen gemacht werden, ‚verdorren‘ die Verbindungen gewissermaßen und das Gehirn bleibt relativ klein.“ Durch das Spiel mit ihren DUPLO Steinen erlebte Bella farbenfrohe, mehrdimensionale und taktile interaktive Sinneseindrücke, die ihre Neugierde zusätzlich anregten. Die Autoren des Buches „The Scientist in the Crib“ („Die Forscher in der Wiege“) stellen die Behauptung auf, dass die Gehirne von Babys wie die von Wissenschaftlern funktionieren, wenn sie kontinuierlich die Umwelt erforschen, mit der sie in Kontakt stehen. Das Gehirn stellt Theorien auf und die Hände führen Experimente durch. Mit zunehmender Erfahrung verfeinert das Gehirn die Theorien. Vielleicht ging folgender Gedankengang in Bellas kleinem Gehirn vor: Dieses Ding hier ist glatt. Moment mal, diese Stelle ist uneben. Dieses Ding ist glatt und uneben. Aber was ist das hier? Hier unten ist es hohl. Dieses Ding ist glatt und hat unebene und hohle Stellen. All diese Gedanken können mit der Entwicklung von Nervenbahnen gleichgesetzt werden, und je mehr Zeit Babys damit verbringen, ihre Umwelt mit allen Sinnen zu erkunden, desto mehr Nervenbahnen entwickeln sie. So schreibt Eliot: „Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Umwelt den größten Einfluss in einem Alter hat, in dem das Gehirn am formbarsten ist. Dies bedeutet, dass wir als Eltern dafür sorgen müssen, dass unsere Kinder genug Anreize erhalten und Beziehungen zu Menschen und Dingen aufbauen, um Theorien darüber aufstellen zu können, wie die Welt funktioniert. In diesem frühen Zeitraum, wenn sich ihre Gehirne buchstäblich selbst einrichten, ist das, was wir ihnen mit auf den Weg geben, das Baumaterial für die Konstruktion. Heute ist Bella eine selbstbewusste Dreijährige, die sowohl über die feinmotorischen Fähigkeiten verfügt, ihre Fantasien zu verwirklichen, als auch über die Sprachfähigkeit, diesen Vorgang zu beschreiben: „Mama, ich hab eine Mondrakete gebaut!“, ruft sie. Ich bin froh, dass sie damals inmitten ihrer DUPLO Steine gesessen, ihre Brüder bei ihren Weltraumexpeditionen beobachtet und dabei ihre eigenen Theorien darüber entwickelt hat, wozu 2 diese bunten Steine da sind und was man mit ihnen alles Kreatives anfangen kann. Jetzt ist sie eifrig dabei, diese Theorien zu überprüfen. Quellen: Eliot, Lise. Was geht da drinnen vor? Die Gehirnentwicklung in den ersten fünf Lebensjahren. New York: Bantam, 1999. Porter, Phyllis. Early Brain Development: What Parents and Caregivers Need to Know. In: Educarer. 2006. Gopnik, Alison, Meltzoff, Andrew, Kuhl, Patricia. The Scientist in the Crib. New York: Perennial, 2001. Elizabeth Slade ist als Autorin und Erzieherin tätig und hat das Arbeitsbuch „How to Raise a Peaceful Child in a Violent World“ mitverfasst. Des Weiteren war sie Co-Autorin der Kolumne „Ask Bess & Bubby“, die in der Zeitschrift „Spirit of Change“ erschien und Erziehungsratschläge für Eltern gab. Sie hat selbst drei kleine Kinder und ist als Erziehungsberaterin an diversen Schulen in New England tätig. Sie hat zwei Romane veröffentlicht und arbeitet im Moment an einem Sachbuch zum Thema Kindererziehung. 3