1 Antikes Rom WIE AUS ROM EINE REPUBLIK WURDE Im dritten Jahrhundert v. Chr. begann Roms Aufstieg zur militärischen Großmacht mit den punischen Kriegen gegen die Karthager in Nordafrika. Nach dem Tod des wohl berühmtesten römischen Feldherren, Gaius Julius Caesar im Jahr 44 v. Chr., war Rom nicht nur die unangefochtene Weltmacht, sondern es wurde auch zu einem Kaiserreich. Bis zum dritten Jahrhundert v. Chr. war Rom eine Bauernrepublik gewesen. Die Staatsform der Res Publica, also die öffentlichen Aufgaben des Gemeinwesens als die Angelegenheit (= res) aller Staatsbürger (= publica), war eine römische Besonderheit. Keine römische Besonderheit war die Teilung der Bevölkerung in zwei gesellschaftliche Klassen: Die Patrizier (= Väter) und die plebs oder auch die Plebejer, also das gemeine Volk der Handwerker und Bauern. Die Patrizier, wohlhabende Grundbesitzer, hatten ursprünglich ein Monopol auf alle Machtpositionen in der Republik sowie die führenden Stellungen im Heer. Erst durch einen zähen Kampf gelang es den Plebejern, politische Mitbestimmung sowie eine gewisse Rechtssicherheit gegenüber patrizischer Willkür zu erlangen. Der römische Geschichtsschreiber Livius, ein Zeitgenosse des ersten Kaisers Augustus (bis 14. n. Chr.), schildert in seinem Werk Ab urbe condita (= Seit der Gründung der Stadt) sehr anschaulich den sogenannten „Ständekampf", die Geschichte vom Kampf der Plebejer mit den Patriziern und die Einrichtung des Amtes des Volkstribunen, des tribunus plebis. Historiker zweifeln heute nicht nur die Gründung der Stadt Rom im Jahr 753 durch die legendären Zwillinge Romulus und Remus an, sondern es wird auch die Glaubwürdigkeit vieler Darstellungen von Livius für die Zeit vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. angezweifelt. Livius Geschichtswerk ist aber dennoch aussagekräftig, was die großen Linien des sozialen Konflikts zwischen den wohlhabenden Patriziern und den Plebejern betrifft, auch wenn nicht alle dargestellten Fakten, insbesondere was die Zeitangaben betrifft, voll und ganz den Tatsachen entsprechen. Es war kurz nach dem Jahr 500 v. Chr., in Rom herrschte nach mehreren Kriegen gegen benachbarte Völker wie die Sabiner oder die Volsker, eine gewisse Kriegsmüdigkeit. Es war die Zeit, in der die Römer um die Vormachtstellung gegenüber den benachbarten Bevölkerungen und Städten, ihren späteren Bundesgenossen, kämpften. Als abermals Krieg mit den Volskern drohte, herrschte unter den wehrpflichtigen Staatsbürgern Roms Zwietracht, die auch soziale Ursachen hatte. Denn, man glaubt es kaum, immer mehr plebejische Kleinbauern waren verschuldet und davon bedroht, in Schuldknechtschaft 2 Antikes Rom zu geraten. „Es war eine Feindschaft entbrannt zwischen Vätern (= Patriziern) und Volk (= Plebs), vor allem wegen der Bürger, die in Schuldhaft geraten waren“, bemerkt Livius. Denn mancher Plebejer war als Schuldner vor Gericht geführt worden. Im Zwölf-Tafel-Gesetz aus dem 5. Jhd. v. Chr. heißt es: „Wenn er [der Schuldner] das, zu dem er verurteilt ist, nicht tut und niemand dafür vor Gericht als Bürge eintritt, dann soll man ihn mitnehmen und ihn mit Banden [...] oder mit einem Fußgewicht von 15 Pfund fesseln.“ Die Richter waren Patrizier, also Standesgenossen der Gläubiger und entsprechend war die Rechtsprechung nicht unbedingt zu Gunsten der plebejischen Schuldner. Auch wenn man sich mit einigem Recht fragen mag, wie ein buchstäblich Gefesselter als Soldat in den Krieg ziehen soll, so beharrten die Patrizier doch darauf, dass die Plebejer für Rom Kriegsdienst zu leisten hatten: „Diese empörten sich darüber, dass sie auf den Schlachtfeldern für die Freiheit und Herrschaft Roms ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten, zu Hause aber von den eigenen Mitbürgern in Haft und Bande gehalten würden“, so Livius. Die verschuldeten Plebejer forderten nichts weniger als eine größere Beteiligung an der Kriegsbeute. Als Auslöser für den Ausbruch des offenen Konflikts zwischen Patriziern und Plebejern schildert Livius folgende Begebenheit: „Auf das Forum kam ein alter Mann, […] seine Kleider waren zerschlissen und sein Aussehen ausgezehrt. Die Menge erkannte ihn aber trotz seines Aussehens. Es hieß, er sei in der Armee Hauptmann gewesen, und man erzählte voller Mitleid im Volk, was er für Heldentaten im Krieg vollbracht habe.“ Im Schicksal dieses Mannes sind die großen sozialen Probleme des Alten Rom sinnbildlich vereint: Als Soldat im Krieg gegen die Sabiner hat er nicht nur seine Ernte eingebüßt, es wurde auch sein ganzer Besitz geplündert. In dieser Zeit wurde auch noch eine Kriegssteuer erhoben, die er nur bezahlen konnte, indem er Schulden machte. Um die hohen Zinsen für den Kredit zu bedienen, musste er schließlich seinen ganzen verbliebenen Besitz, Haus und Hof, als Sicherheit geben. Schließlich sei er in ein Arbeitshaus gesteckt worden, wo man ihn folterte. Nach diesem Bericht erhob sich ein „allgemeiner Aufruhr: Alle Schuldpflichtigen, mit und ohne Fesseln, stürzten von allen Seiten ins Freie und erflehten den Schutz ihrer Mitbürger.“ Die amtierenden Konsuln, die zwei höchsten, jährlich neu aus dem Stand Patrizier gewählten Regierungsbeamten, denen auch die Führung des Heeres oblag, wollten nun „den Aufruhr dämpfen“. Sie waren sich über das weitere Vorgehen aber nicht einig. Der eine, Appius, riet dazu, die Sache mit konsularischer Amtsgewalt zu Ende zu bringen. Man solle den einen oder anderen aus der Menge herausgreifen und bestrafen, dann würden sich die übrigen schon beruhigen. Der andere, Servilius, der mehr zu milderen Maßnahmen neigte, hielt es für sicherer und auch leichter, den Groll der Menge zu besänftigen statt zu unterdrücken. Als die Volsker auf die Stadt marschierten, löste diese Nachricht zwei vollkommen unterschiedliche Reaktionen bei Patriziern und Plebejern aus: Während die Patrizier zur Kriegsmobilmachung riefen, machte sich unter den Plebejern eine apokalyptische Stimmung breit. Der Untergang des ungerechten Gemeinwesens wurde als Strafe der Götter für den Hochmut der Väter gesehen. Die Plebejer weigerten sich, „sich zu den Fahnen zu melden: Sollen doch diejenigen, die die Kriegsbeute einheimsen, zu den Waffen greifen.“ Der Konsul Servilius beschwört vor der Volksversammlung eine ‚heilige Allianz’ im Angesicht des Krieges: „Wenn Livius, ein Zeitgenosse des ersten römischen Imperators Augustus (bis 14 n. Chr.), schildert in seinem Buch „Ab Urbe Condita“ den Kampf zwischen Patriziern und Plebejern. der Feind fast vor den Toren steht, könne unmöglich etwas anderes wichtiger sein als der Krieg.“ Doch erst ein Versprechen, das zukünftig auch die gemeinen, plebejischen Soldaten an der Kriegsbeute beteiligt werden, löst einen Stimmungsumschwung beim Volk aus. Den Kriegsdienst leistenden Plebejern wird von den Patriziern auch eine prinzipielle Freiheit von Knechtschaft versprochen, auch soll das Hab und Gut der Soldaten soll vor Beschlagnahme sicher sein. Nach diesem Versprechen leisteten die Plebejer einen begeisterten Fahneneid, der Krieg gegen die Volsker, und kurz darauf der Krieg gegen die Sabiner endeten mit absoluten Siegen Roms. Senat und Konsuln hielten ihre Versprechen aber nicht ein, sie bestanden stattdessen„mit äußerster Härte [auf dem] Recht der Gläubiger nach Schuldklage“. Die Plebejer setzen ab diesem Zeitpunkt auf ihre eigene Kraft, denn „auf die Hilfe der Konsuln und des Senats hofften sie nicht mehr.“ Die Proteste der Plebs verlagerten sich in die Gerichtsgebäude: Sobald ein Schuldner vorgeführt wurde, strömte die Menge zusammen und es erhob sich ein solch lautes Geschrei, dass man den Spruch des Konsuls nicht hören konnte. Die Konsuln beschlossen abermals eine Truppenaushebung: „Das Nichtstun mache das Volk so übermütig.“ Doch als die Konsuln die Namen der Wehrfähigen einzeln aufriefen, antwortete niemand. Die Menge wählte die Strategie der Befehlsverweigerung. Es wurde Schuldfreiheit gegen Wehrdienst gefordert. Für das Vaterland und die 3 Antikes Rom Mitbürger wollte man kämpfen, aber nicht als Schuldknechte. Auf Grund der wenig kompromissbereiten Patrizier drohte aber ein blutiger Zusammenstoß mit dem Volk. Manche sprachen sich zwar für einen Schuldenerlass aus, andere für ein hartes Durchgreifen: an diesen Unruhen sei nicht das Elend des Volkes schuld, sondern „sein Übermaß an Freiheit. Das Volk sei eher zügellos als erbittert.“ Als die Volsker abermals Rom militärisch bedrohen, wurde schließlich ein den plebejischen Forderungen gegenüber wohlwollend eingestellter Diktator mit erweiterten Vollmachten eingesetzt. Dieser schaffte zwar den militärischen Sieg gegen die Volsker, er konnte sich aber im Inneren nicht gegenüber den Gläubigern und Kreditgebern durchzusetzen, und legte seine Position als Diktator zurück, als er einsehen mustes, dass es zu neuerlichem Aufruhr auf Grund der ungelösten Schuldenfrage kommen würde. Da die Macht der kompromisslosen Kreditgeber offenbar stärker war als die eines Diktators, wählte die Plebs im Jahr 494 v. Chr. eine neue Methode des Widerstands: Sie verließen die Stadt und zogen auf den Heiligen Berg, also eine Art Exodus, wie er aus der Geschichte des Nahen Ostens schon bekannt war. Nach Livius soll es dem Senator Agrippa mit seiner Fabel vom menschlichen Körper gelungen sein, die Plebs zur Rückkehr in die Stadt zu bewegen und sie davon zu überzeugen, Teil des römischen Gemeinwesens zu bleiben. Agrippas Fabel erzählt, wie sich einst die verschiedenen Glieder des menschlichen Leibes gegen den Magen verschworen hätten, weil dieser allein alles verzehrte. Die Glieder hätten aufgehört, ihm ihre Dienste zu leisten, seien aber alsbald durch ihre eigene Entkräftung belehrt worden, wie notwendig der Magen im gemeinsamen Haushalt des menschlichen Körpers sei. Shakespeare lässt in seinem Stück „Corolian“ den Agrippa auftreten mit den Worten: „Roms Senatoren sind der gute Bauch, in des Leibes Mitte, arbeitslos und müßig, Ihr [seid] die empörten Glieder. “ Nach Livius erhielten die Plebejer noch im selben Jahr das Zugeständnis, Männer aus ihrer Mitte zu wählen, sogenannte Volkstribunen, die sie gegen die Willkür der patrizischen Beamten schützen sollten. Historiker sind in der Zwischenzeit der Auffassung, dass es sich bei den tribunus plebis, den Volkstribunen, zunächst nicht um offiziell anerkannte Beamte gehandelt hatte. Sie waren vielmehr von der Plebs gewählte Vertreter, die sich auf keine gesetzliche Grundlage stützten, dafür umsomehr auf den Eid der Plebejer, die sich schworen, dass jeder, der einen Volkstribunen attackierte, sofort vom Volk getötet werden sollte. Mit dieser Unterstützung im Rücken schritten die Volkstribunen gegen Entscheidungen und Maßnahmen patrizischer Beamter und des Senats ein, wenn sie der Ansicht waren, dass sie den Interessen der Plebejer widersprachen. Im 5. Jahrhundert wurden die bis dahin nur mündlich überlieferten rechtlichen Grundsätze wohl auch auf Wunsch der Plebejer erstmals auf zwölf Tafeln schriftlich festgehalten und öffentlich zugänglich gemacht. Das Zwölf Tafel Gesetz enthielt vor allem zivilrechtliche Bestimmungen, so die Rechte des Gläubigers gegenüber seinen Schuldnern, aber auch das Verbot der Eheschließung zwischen Patriziern und Plebejern sowie die Bestimmung: „Wenn ein Patron seinen Klienten betrogen hat, soll er verflucht sein.“ In den folgenden Jahrhunderten wurde das Eheverbot aufgehoben und die Befugnisse der Volkstribunen als Veto-Recht (von lateinisch veto = ich verbiete) festgeschrieben, damit konnten sie alle Entscheidungen der Konsuln und des patrizischen Senats beeinspruchen. Schließlich konnte das Concilium Plebis, eine Versammlung nur der Plebejer unter Ausschluss aller Patrizier, die von den Volkstribunen einberufen werden konnte, Gesetze beschließen, sogenannte Plebiszite. In der Praxis musste sich diese Versammlung aber oft in zähem Ringen gegen den patrizischen Senat durchsetzen, dessen Beschlüsse, Senatus Consultum, zwar theoretisch keine Gesetze waren, praktisch dafür von umso größerer Bedeutung. Bis zur Zeit der Punischen Kriege stiegen einige Plebejer in die Nobilität auf, einer neu entstandenen politischen Führungsschicht. Mitglieder angesehener Plebejerfamilien konnten für alle Ämter, auch als Konsuln, kandidieren und gewählt werden. Begriffe und Fragen Siehe auch das Schema zur Verfassung in Zeitbilder S. 33: 1. Was war die Res Publica? 2. Wer waren die Bundesgenossen? 3. Was war ein tribunus plebis (= Volkstribun)? 4. Wer waren die Konsuln? 5. Was war ein Diktator? 6. Was war der Senat? 7. Was war das Concilium Plebis (Plebiszit)? 8. Was war das Zwölf Tafel Gesetz? 9. Wie äußerte sich die Kriegsmüdigkeit der Plebejer? Warum waren sie um 500 v. Chr. wenig motiviert, in den Krieg zu ziehen? 10. Was löste den offenen Konflikt zwischen Patriziern und Plebejern aus? 11. Wie gelang es den Patriziern dennoch, die Plebejer dazu zu bewegen den Kriegsdienst zu leisten? 12. Wie agierten die Plebejer 494 v. Chr., nachdem selbst der eingesetzte Diktator die Gläubiger nicht zu einem Kompromiss bewegen konnte? 13. Wie ist das Amt des Volkstribunen (tribunus plebis) entstanden?