EGB-Entschließung zum europäischen Konjunkturprogramm Rettung von Arbeitsplätzen vor Depression und Deflation, Verteidigung der Löhne und Gehälter, Tarifverhandlungen und Pensionen 1. Das Konjunkturpaket der Kommission: ein Schritt in die richtige Richtung, aber weiter offene Fragen angesichts der gemischten Reaktionen der Mitgliedstaaten. Die Kommission hat am 26. November ihren Vorschlag zur Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt. Als zentrale Maßnahme wird die Schaffung von nachfrageseitigen Impulsen in der Höhe von 200 Mrd. Euro bzw. 1,5 % des BIP vorgeschlagen, wobei die Hauptlast (1,2 %) den Mitgliedstaaten zufällt. Die Kommission legt zehn Bereiche fest, wo vorrangiger Handlungsbedarf besteht. Die geplante Ankurbelung der Nachfrage ist begrüßenswert: Die Wirtschaft muss dringend davor bewahrt werden, in eine anhaltende Rezession zu geraten. Es gibt jedoch einige Unzulänglichkeiten. Die Überlegungen sind weiter von der Logik des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der 3% Defizitgrenze bestimmt. Die vorgeschlagene Maßnahme zur Anhebung der Nachfrage um 1,2 % des europäischen BIP soll hauptsächlich von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, die über entsprechenden steuerlichen Spielraum verfügen. Außer Deutschland und den skandinavischen Ländern gibt es jedoch nicht viele Mitgliedstaaten, auf die das zutrifft. Werden Deutschland und die skandinavischen Staaten es auf sich nehmen, die Wirtschaftslokomotive für ganz Europa zu spielen? Eine weitere Schwachstelle ist der einseitige Ansatz hinsichtlich der Lohnbildung. Die Lohnfindungssysteme in Ländern mit hoher Inflation und geringer Wettbewerbsfähigkeit stehen unter Beschuss, während der gegenteilige Fall, Länder, in denen die 1 Entwicklung der Löhne und Gehälter weit hinter den Produktivitätszuwächsen zurückbleibt, mit keiner Silbe erwähnt wird. Grundsätzlich ist nicht es nicht logisch, die Arbeitsmärkte zu deregulieren, wenn eigentlich eine umfassende Neuregulierung der Finanzmärkte erforderlich ist. Außerdem sind die Reaktionen einiger Mitgliedstaaten und Minister als bedauerlich einzustufen. Besonders entmutigend war der Bericht des ECOFIN-Rates. Der Plan der Kommission ist zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, aber immerhin ein Schritt vorwärts. Das Konjunkturprogramm der Kommission muss daher nachgebessert werden. Diese Entschließung, die ein kohärenteres europäisches Konjunkturprogramm umreißen soll, bildet die Grundlage für Interventionen bei der Kommission und dem Rat sowie auf dem von europäischen Sozialpartnern einberufenen dreigliedrigen Sozialgipfel. Die EGB-Entschließung beruht auf folgenden Grundsätzen: 2. • Es ist mittlerweile unbestritten, dass Märkte nicht alles leisten können und wir vor allem in der derzeitigen Lage eine sichtbare öffentliche Hand benötigen, um die Wirtschaft zu lenken und die Solidarität in unserer Gesellschaft, einschließlich starker öffentlicher Dienste, zu organisieren. • Der EGB-Plan geht auch vom Grundsatz aus, dass eine starke europäische Dimension unerlässlich ist. Eine europaweite Koordinierung ist erforderlich, um isolierte Aktionspläne auf nationaler Ebene und eine Rückkehr zu einer „Beggar-thy-neighbour“- oder „Trittbrettfahrer“Politik zu vermeiden. Europäisches Handeln ist auch von entscheidender Bedeutung, um die Finanzierung des europäischen Konjunkturprogramms sicherzustellen. Dafür muss der Zugang zu den globalen Kapitalmärkten zu günstigeren Zinsen verbessert und der Steuerwettbewerb geregelt werden, was gleichzeitig die Steueraufkommensbasis der Mitgliedstaaten stärkt. Die Wirtschaft gerät in den Abwärtsstrudel. Die Finanzkrise schlägt jetzt auf die Realwirtschaft durch. Aufgrund der allgemeinen Kreditkrise bricht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ein. Die Wirtschaft ist bereits in der Rezession und wird voraussichtlich in den nächsten vier Quartalen nicht herauskommen. Während der Schuldenabbau der Banken und Privathaushalte in den nächsten Jahren anhalten wird, steht 2 uns höchstwahrscheinlich eine längere Phase mit schwachem Wachstum bevor. Dies alles wirkt sich wiederum auf die Krise des Finanzsektors aus. 3. Zinssenkungen und automatische Stabilisatoren reichen nicht. Die EZB hat endlich eine Zinssenkung eingeleitet und es besteht scheinbar eine gewisse Einigkeit darüber, dass eine krisenbedingte Erhöhung der Haushaltsdefizite gestattet werden sollte. Dieser pragmatische Ansatz ist natürlich begrüßenswert, reicht jedoch nicht aus. Zinssenkungen sind längst überfällig und kommen zu spät, um der Wirtschaft über das harte Jahr 2009 hinwegzuhelfen. Die automatischen Stabilisatoren können diesen Schlag für die Wirtschaftstätigkeit nur teilweise abfedern, die Wirtschaft wieder in Gang bringen, können sie nicht. 4. Um ein Anhalten der trüben Aussichten zu verhindern, müssen im Bereich der Steuerpolitik dringend diskretionäre Maßnahmen ergriffen werden. Ein Aussitzen der Krise wird die Lage nur verschlimmern. Eine massive Umstrukturierung der Beschäftigung und steigende Arbeitslosenzahlen werden den Zukunftspessimismus noch verstärken. Dies wiederum wird den Nachfragerückgang beschleunigen und Disinflation kann somit in Deflation umschlagen, was jedoch verhindert werden muss. Um die aufkeimende Rezessionsangst zu bekämpfen, muss Bewegung in die nachfrageseitige Politik kommen und zwar schnell. 5. Europa muss sich auf gemeinsames Handeln besinnen. Obgleich die politischen Instrumente zur Beeinflussung der Nachfrage großteils in den Händen der nationalen Regierungen liegen, fällt Europa eine Schlüsselrolle zu. Koordinierte und einheitliche Steueranreize werden sich gegenüber einem isolierten Handeln der einzelnen Mitgliedstaaten als doppelt wirksam erweisen. Ein europäischer Staatsfonds, der europäische Anleihen begibt, könnte den Mitgliedstaaten zu niedrigeren Zinsen Zugang zu weltweitem Anlagekapital gewähren. Europa muss auch klarstellen, dass alle durch die Reform des Stabilitätspaktes eingeführten Flexibilitätsmöglichkeiten1 genutzt werden sollen. 1 Bei besonderen Umständen wie einem längeren Zeitraum niedrigen Wachstums erlaubt der überarbeitete Stabilitäts- und Wachstumspakt höhere Defizite und sogar eine Überschreitung des Referenzwertes von 3 %. Das andere im Jahr 2005 in den Pakt aufgenommene Flexibilitätselement ermöglicht eine Abweichung von der strikten Einhaltung des Stabilitätspaktes, wenn Mitgliedstaaten 3 6. Ein Anreizprogramm (2 % des BIP) für Investitionen in Menschen, Innovation und nachhaltige Entwicklung Das europäische Konjunkturprogramm muss auf zwei Grundsätzen beruhen: Kurzfristige Sofortmaßnahmen, um den Zusammenbruch der Wirtschaft zu vermeiden. Um die Wirtschaft in Gang zu halten, sind umfangreiche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in der Größenordnung von 1 % des BIP erforderlich. Dadurch soll einerseits die Sicherheit der Arbeitnehmer allgemein erhöht und anderseits sichergestellt werden, dass das Geld bei denen ankommt, die es am nötigsten haben. Abhängig von der Arbeitsmarktlage in dem jeweiligen Mitgliedsstaat kann dieses Programm zur „Investition in Menschen“ (1 % des BIP) unterschiedliche Formen annehmen: a. Stärkung der Unterstützungssysteme für Arbeitslose – In den Mitgliedstaaten, in denen das Arbeitslosengeld und die Dauer relativ gering und die Kriterien für die Gewährung eher streng sind, sollte einer strukturellen Stärkung des Unterstützungssystems Vorrang eingeräumt werden. b. Mehr Sicherheit für die flexibelsten Arbeitnehmer(innen) – Die Krise führt wieder einmal vor Augen, dass die europäischen Arbeitsmärkte bereits ein hohes Maß an Flexibilität aufweisen: Sobald die Wirtschaftstätigkeit ins Stocken gerät, folgt eine massive Umstrukturierung der Beschäftigung auf den Fuß. Der Sicherheitsaspekt bleibt jedoch unberücksichtigt. Vor allem Arbeitnehmer mit kurzfristigen Arbeitsverträgen wie Leih- und befristet beschäftige Arbeitnehmer(innen) sind von der wirtschaftlichen Verlangsamung besonders hart betroffen. Gleichzeitig steht den Arbeitnehmern in solchen Beschäftigungsverhältnissen meist nicht das volle Kompendium der Sozialschutzrechte zu und sie haben kaum Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen. Es ist nur gerecht, wenn die große Flexibilität, die diese Arbeitnehmer(innen) an den Tag legen, durch eine zusätzliche Arbeitslosenunterstützung in Form einer Einmalzahlung abgegolten wird. Dies kann auch als ein „Beschäftigungsbonus“ betrachtet werden, den die Strukturreformen unternehmen, die sich auf die öffentlichen Finanzen auswirken. Der Vorschlag, 2 % des BIP in Menschen und den Umweltschutz zu investieren, sollte als eine solche Investition in strukturelle Reformen gelten. 4 betreffenden Arbeitslosen zu Arbeitssuche verwenden könnten. Finanzierung der c. Unterstützung interner Flexicurity – Wenn die Beschäftigten dank interner Flexicurity während des Abschwungs im Unternehmen gehalten werden, stehen beim nächsten Aufschwung wieder qualifizierte und geschulte Arbeitnehmer(innen) zur Verfügung. Diese Modelle für interne Flexicurity werden einerseits durch solide Kündigungsschutzsysteme und anderseits durch die Finanzierung von „technischer“ Arbeitslosigkeit durch die Sozialversicherung gefördert. In diesem Fall behalten die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz und arbeiten Teilzeit. Die Teilzeitgehälter werden von der Arbeitslosenunterstützung aufgebessert. Mitgliedstaaten, die sich für diesen Weg entscheiden, können die 1% für Investitionen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (bzw. einen Teil davon) verwenden, um die interne Flexicurity aufzubauen oder zu stärken. d. Investitionen in Qualifikation und lebenslanges Lernen – Die Unterstützungssysteme für Arbeitslose sollten mit Programmen für Umschulungen und die Verbesserung des Qualifikationsniveaus der Arbeitslosen flankiert werden. Auf diese Weise können Zeiten der Arbeitslosigkeit dazu genutzt werden, die Humankapitalbasis der Wirtschaft zu verbessern und auch Personalengpässe zu vermeiden, die meist mit einer Wirtschaftsbelebung einhergehen. e. Arbeitsbeschaffungsprogramme zur Ankurbelung der Beschäftigung im dritten Sektor – Neben der Weiterbildung von Arbeitslosen ist die Einrichtung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zum Arbeitsmarkt zu wahren und den Verlust von Humankapital zu vermeiden. Die mithilfe dieser staatlich geförderten Programme geschaffenen Arbeitsplätze müssen einen gesellschaftlichen Bedarf wie z. B. in der Altenpflege bzw. für Kinderbetreuungseinrichtungen und Nachbarschaftsbetreuer decken, der andernfalls tendenziell vernachlässigt wird. f. Ausweitung des europäischen Globalisierungsfonds - Diese Aktionen auf nationaler Ebene müssen um Maßnahmen auf EU-Ebene ergänzt werden. Der bestehende Globalisierungsfonds sollte ausgeweitet werden und in einen Fonds zur Unterstützung aller Arbeitnehmer(innen), die von 5 Arbeitsplatzverlusten bedroht sind, umgewandelt werden, unabhängig davon, ob ihr Arbeitsplatz aufgrund der Globalisierung oder der aktuellen Wirtschaftskrise in Gefahr ist. Es sollten mehr Mittel bereitgestellt werden und die Einbindung der Sozialpartner ist auf allen Ebenen sicherzustellen. Investitionen in einen „Grünen new Deal“, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Die Mitgliedstaaten sollten die von dem Programm „Investition in Menschen“ gewährte Atempause nutzen, um weitere Investitionspläne aufzustellen. Sie sollten spätestens Mitte 2009 wirksam sein. Bei entsprechender Ausrichtung trägt ein solches Investitionsprogramm nicht nur zur Überwindung der Wirtschaftskrise, sondern auch zur Stärkung des langfristigen Wachstumspotenzials bei. Es bietet sich die Gelegenheit, die Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise mit einem Plan zur Investition in die Entwicklung neuer Industrien, rationaler Energienutzung und nachhaltiger Energieträger, europäischer Netzwerke und des sozialen Wohnungsbaus zu verbinden. Die Steuerpolitik sollte konkret versuchen, die Investitionen um weitere 1 % des BIP zu erhöhen, und die Aufwendungen zur Wirtschaftsbelebung damit auf insgesamt 2 % des BIP anheben. 7. Vermeidung des Dominoeffekts einer deflationären Tendenz bei den Löhnen und Gehältern Die „Realwirtschaft“ (Wachstum und Arbeitsplätze) ist kein isolierter Dominostein. Durch die in Europa um sich greifende Wirtschaftskrise besteht die Gefahr, dass die Lohnentwicklungen so niedrig ausfallen, dass die Preisstabilität von der Abwärtsbewegung in Mitleidenschaft gezogen wird. Wenn Disinflation in Deflation umschlägt, ist mit einer Verschärfung der Lage zu rechnen. Um sich gut gegen eine Deflation abzusichern und zu verhindern, dass eine Abwärtsspirale der Löhne und Gehälter einen Dominoeffekt auslöst, sollte die Kommission, aufbauend auf den integrierten Leitlinien der Lissabon-Strategie2, einen neuen politischen Prozess vorschlagen: Die Mitgliedstaaten sollten gemeinsam mit den nationalen Sozialpartnern ersucht werden, politische Maßnahmen auszuarbeiten, um eine Untergrenze für Lohnentwicklung einzuführen bzw. diese zu stärken, die mit 2 Die europäischen integrierten Leitlinien legen den Mitgliedstaaten nahe, eine Lohnentwicklung anzustreben, die „mit der Preisstabilität und der Produktivitätsentwicklung in Einklang steht“. Dies schließt ein Null- oder negatives Wachstum der Löhne aus. 6 dem Anstieg der Trendinflation und dem Trendwachstum der Produktivität in Einklang stehen. Dadurch soll u. a. sichergestellt werden, dass: • jedes Land im unteren Arbeitsmarktbereich eine Lohnuntergrenze einführt und der Wettbewerb auf der Grundlage von Armutslöhnen vom Markt verbannt wird; • die Tarifverträge eine große Reichweite aufweisen; • die Hierarchie von eingehalten wird; • Lohnund Arbeitsbedingungen gemäß den Kollektivverträgen und/oder dem Arbeitsrecht eingehalten und tatsächlich umgesetzt werden. Tarifabkommen im Allgemeinen Diesbezügliche Instrumente wie gesetzliche Mindestlöhne, Mindesteinkommen des Sozialversicherungssystems, Unterstützung für einen hohen Organisationsgrad der Gewerkschaften, die gesetzliche Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und die Förderung von Tarifvereinbarungen durch das öffentliche Beschaffungswesen gibt es bereits in großer Zahl. Es obliegt den nationalen Sozialpartnern, zu entscheiden, welches Instrument der nationalen Tarifverhandlungstradition am besten entspricht. 8. Verteilungsgerechtigkeit, Steuerpolitik und nachhaltige öffentliche Finanzen - Die Zunahme von Ungleichheiten und exorbitante Schuldenlasten sind eng miteinander verbunden. Die Kapitaleinkünfte (Betriebsgewinne, Wohnungsmieten, Wertsteigerungen von Vermögensgütern) und die Vergütungen der Topverdiener sind in den letzten Jahrzehnten sprunghaft angestiegen, während die Reallöhne der gewöhnlichen Arbeitnehmer(innen) fast keine Zuwächse verzeichneten. Um die Nachfrage und die Wirtschaft in Schwung zu halten, werden die Privathaushalte trotz der Anhäufung von Reichtum in den Händen der Spitzenverdiener in die Verschuldung getrieben. Dieses Modell der wachstumsgetriebenen „Vermögenswert- und Schuldenblase“ hat keine Zukunft und jetzt wird versucht zurückzurudern. Die Privathaushalte und Banken bauen nun ihre extrem hohe Verschuldung ab, was jedoch die Wachstumsprognose für die nächsten Jahre eintrüben könnte. Um zu vermeiden, dass dieser Schulden-Deflations-Prozess zu einer anhaltenden Wirtschaftskrise führt, muss sich die Steuerpolitik einer Umverteilung der Zuwächse der Einkommen aus Kapital und Vermögen zu den Mittelklasse-Arbeitnehmern 7 und Privathaushalten verschreiben. Angesichts der wirtschaftlichen Integration und des Steuerwettbewerbs in Europa müssen die Steuerkoordinierung, der Kampf gegen Steueroasen, Minimaloder Nullsteuersysteme und Einheitssteuersysteme auf die europäische Agenda gesetzt und Themen wie der Mindeststeuersatz und eine harmonisierte Steuerbemessungsgrundlage für Unternehmensgewinne und die Besteuerung von Kapitalgewinnen und Großvermögen angegangen werden. Gleichzeitig kann im Rahmen der Koordinierung der europäischen Steuerpolitik auch die Frage der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen behandelt werden. Um zu verhindern, dass der Schulden-Deflations-Prozess unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften in den Ruin treibt, muss der öffentliche Sektor die wirtschaftlichen Geschicke in die Hand nehmen und viel stärker eingreifen, was wiederum die Haushaltsdefizite und Staatsverschuldung in die Höhe treibt. Zur Wahrung der Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, einschließlich einer angemessenen Altersversorgung, müssen neue Steuerquellen erschlossen werden. Dafür kommen die Einkommen und Vermögen infrage, die bis vor Kurzem in großem Maße vom Kasinokapitalismus profitiert haben. Es muss auch daran erinnert werden, dass Staatsverbrauch und öffentliche Investition für die Wiederbelegung der Nachfrage viel wirksamer sind als Steuerkürzungen, die höchstwahrscheinlich nur zu einer Erhöhung der Spareinlagen führen. 9. Auch für kohärente Industriepolitik und nachhaltige Entwicklung muss gesorgt werden. Die Finanzkrise und die Krise der Realwirtschaft werfen auch die Frage auf, welche Rolle der europäischen Industrie in Zukunft zufällt. Die europäische Industrie erwirtschaftet 20 % des BIP und stellt 40 Mio. direkte Arbeitsplätze, die jetzt zusammen mit Millionen anderer Arbeitsplätze, die von den Kernindustrien abhängen, durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bedroht sind. Die europäischen Umweltnormen gelten als die strengsten der Welt und dienen daher als Maßstab für künftige globale Maßnahmen. Die europäischen Unternehmen, die auf den internationalen Märkten tätig sind, bekommen neben vielen anderen Belastungen den gestiegenen Wettbewerbsdruck aufgrund der EU-Umweltschutzvorschriften bereits zu spüren. Auf der Habenseite stehen jedoch die europäische FuE, technologische Innovation und die Reaktion der Unternehmen auf Umweltnormen, um den Klimawandel und andere 8 Herausforderungen zu bewältigen, die eine neue Dynamik geschaffen haben. Die Kommission hat den neuen Schwung zum Teil für den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft genutzt und umweltfreundliche Technologien bzw. Systeme sowie „grüne“ Produkte gepusht. Die Nachfrage der Verbraucher ist jedenfalls schon vorhanden. Für die Kaufentscheidung ist zunehmend die Umweltfreundlichkeit ausschlaggebend, daher steigt auch der Umstellungsdruck. Der EGB hat von der französischen Präsidentschaft die Zusage erhalten, einen beratenden Ausschuss der Sozialpartner zum Klimawandel einzurichten. Wenn wir die Erderwärmung wie von der EU vereinbart bis 2050 unter 2 °C halten möchten, ist ein gemeinsamer Ansatz unerlässlich, um den Übergang zu schaffen. Hier könnte die Umsetzung schwieriger - u. a. beschäftigungsrelevanter Maßnahmen diskutiert werden. Europa hat die Verpflichtung, hier mit gutem Beispiel voranzugehen, da wir zu einem sehr großen Teil für den heutigen atmosphärischen CO2-Gehalt verantwortlich sind. Andere Länder wie China und Indien haben uns bei den Emissionen zwar inzwischen überholt, aber unter den Folgen leiden wir alle. Wenn wir ihnen helfen, helfen wir uns letztlich auch selbst. Der EGB unterstützt daher nachdrücklich die Initiative für umweltgerechte Kraftfahrzeuge, das europäische Programm für energieeffiziente Gebäude und die Initiative „Fabrik der Zukunft“ für FuE. Zur Erreichung des 2-Grad-Ziels müssen wir Nachhaltigkeit in Produktion wie auch Verbrauch sicherstellen. Der EGB ist der Auffassung, dass die Revolution der umweltfreundlichen Technologie nicht mehr aufzuhalten ist und auch in Zeiten der Kreditknappheit fortgesetzt werden muss. Zusammen mit anderen Maßnahmen kann dies mithelfen, bestehende Arbeitsplätze zu sichern, strenge Umweltnormen einzuhalten und eine Reihe neuer Exportprodukte, insbesondere im Metallsektor und dem verarbeitenden Gewerbe, anzubieten. Wir können bereits voraussehen, dass die Wirtschaften, die eine ökotechnologische Führungsrolle einnehmen, gestärkt aus der weltweiten Krise hervorgehen und zur Rettung des Planeten beitragen werden. Die Krise kann eine neue Vision entstehen lassen, einen „Grünen New Deal“, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern. 10. Die Neuregulierung der Finanzmärkte muss beschleunigt werden, damit sich eine solche Krise nicht wiederholen kann. Die Finanzkrise ist eine ernsthafte Bedrohung für die Realwirtschaft. Neben der zügigen Umsetzung eines europäischen Konjunkturprogramms zur Unterstützung der 9 realen Wirtschaft müssen der europäische Aktionsplan für Finanzdienstleistungen sowie die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und der Unternehmensführung konkrete Formen annehmen und sofort umgesetzt werden. Der EGB wie auch UNI Europa haben präzise Vorschläge für eine wirksamere Regulierung der Finanzmärkte (siehe EGB-Positionspapier, Oktober 2008, und Forderungen von UNI Europa, Mai 2008) vorgelegt. Die Europäische Union muss auf internationaler Ebene im Rahmen der G20 gemeinsam handeln und mit einer Stimme sprechen, um den Finanzsektor wieder in den Dienst der Realwirtschaft zu stellen. Wir benötigen Reformen, die eine grundlegende Änderung der Struktur und Anreize der Finanzarchitektur herbeiführen. Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G20 anerkennt, dass es im globalen Finanzsystem Regelungslücken gibt. Ferner wurde ein Fahrplan mit einem Zeitrahmen für Maßnahmen bis März 2009 und eine Liste der anzugehenden Kernthemen aufgestellt. Andere von der internationalen Gewerkschaftsbewegung aufgeworfene Schlüsselfragen wie die öffentliche Rechenschaftspflicht der Zentralbanken, die Sicherung der Rentensysteme, internationale Steuern und Einschränkungen für den Spekulationshandel wurden jedoch nicht berücksichtigt. Außerdem wird die Notwendigkeit der Beteiligung der Gewerkschaften und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) an den laufenden Verhandlungen nicht anerkannt. Der EGB wird die Zusammenarbeit mit dem IGB, Global Unions und TUAC fortsetzen und weiter für die „Washingtoner Erklärung“ eintreten. 11. Sicherstellung einer fairen Behandlung der Arbeitnehmer(innen) und Stärkung der Arbeitnehmerrechte - Nicht zuletzt muss darauf hingewiesen werden, dass die Wirtschaftskrise nicht zu einer Schwächung der Arbeitnehmerposition führen darf. Eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte ist das richtige Rezept, um der Wirtschaftskrise und einer weiteren Segmentierung der Arbeitsmärkte entgegenzutreten. Die Tarifverhandlungsinstitutionen müssen unterstützt werden, um eine Nominallohnuntergrenze durchzusetzen. Der EGB fordert Europa daher auf, sich für Arbeitnehmerrechte, gerechte und angemessene Entlohnung, dauerhafte Arbeitsplätze und ein starkes Tarifverhandlungssystem einzusetzen, das unabhängig und nicht den Richtern bzw. dem Europäischen Gerichtshof unterstellt ist. Infolge der Krise wurde eine Welle von Umstrukturierungsplänen zahlreicher Unternehmen angekündigt und Leihbzw. befristet beschäftigte 10 Arbeitnehmer(innen) werden rasant abgebaut. Anstatt struktureller Reformen, die auf eine Lockerung des Kündigungsschutzes und Arbeitszeitverlängerungen (AZR) setzen, benötigen wir jetzt Reformen, die den Unternehmen Anreize zur Entwicklung von Strategien wie interne Weiterbildung und interne funktionale Flexicurity bieten, die dauerhafte Arbeitsplätze fördern. Außerdem müssen die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer(innen) (wie z.B. in europäischen Betriebsräten (EBR)) gestärkt werden, um den Wandel zu bewältigen und sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Produktivität zu verbessern. 11