EGB-Entschließung zum europäischen

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EGB-Entschließung zum europäischen
Konjunkturprogramm
Rettung von Arbeitsplätzen vor Depression
und Deflation, Verteidigung der Löhne und
Gehälter, Tarifverhandlungen und Pensionen
1.
Das Konjunkturpaket der Kommission: ein Schritt in die
richtige Richtung, aber weiter offene Fragen angesichts
der gemischten Reaktionen der Mitgliedstaaten. Die
Kommission hat am 26. November ihren Vorschlag zur
Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt. Als zentrale Maßnahme
wird die Schaffung von nachfrageseitigen Impulsen in der Höhe
von 200 Mrd. Euro bzw. 1,5 % des BIP vorgeschlagen, wobei
die Hauptlast (1,2 %) den Mitgliedstaaten zufällt. Die
Kommission legt zehn Bereiche fest, wo vorrangiger
Handlungsbedarf besteht. Die geplante Ankurbelung der
Nachfrage ist begrüßenswert: Die Wirtschaft muss dringend
davor bewahrt werden, in eine anhaltende Rezession zu
geraten.
Es gibt jedoch einige Unzulänglichkeiten. Die Überlegungen
sind weiter von der Logik des Stabilitäts- und Wachstumspakts
und der 3% Defizitgrenze bestimmt. Die vorgeschlagene
Maßnahme zur Anhebung der Nachfrage um 1,2 % des
europäischen BIP soll hauptsächlich von den Mitgliedstaaten
umgesetzt werden, die über entsprechenden steuerlichen
Spielraum
verfügen.
Außer
Deutschland
und
den
skandinavischen Ländern gibt es jedoch nicht viele
Mitgliedstaaten, auf die das zutrifft. Werden Deutschland und
die skandinavischen Staaten es auf sich nehmen, die
Wirtschaftslokomotive für ganz Europa zu spielen?
Eine weitere Schwachstelle ist der einseitige Ansatz hinsichtlich
der Lohnbildung. Die Lohnfindungssysteme in Ländern mit
hoher Inflation und geringer Wettbewerbsfähigkeit stehen unter
Beschuss, während der gegenteilige Fall, Länder, in denen die
1
Entwicklung der Löhne und Gehälter weit hinter den
Produktivitätszuwächsen zurückbleibt, mit keiner Silbe erwähnt
wird. Grundsätzlich ist nicht es nicht logisch, die Arbeitsmärkte
zu
deregulieren,
wenn
eigentlich
eine
umfassende
Neuregulierung der Finanzmärkte erforderlich ist.
Außerdem sind die Reaktionen einiger Mitgliedstaaten und
Minister als bedauerlich einzustufen. Besonders entmutigend
war der Bericht des ECOFIN-Rates. Der Plan der Kommission ist
zwar nicht der Weisheit letzter Schluss, aber immerhin ein
Schritt vorwärts.
Das Konjunkturprogramm der Kommission muss daher
nachgebessert
werden.
Diese
Entschließung,
die
ein
kohärenteres europäisches Konjunkturprogramm umreißen soll,
bildet die Grundlage für Interventionen bei der Kommission und
dem Rat sowie auf dem von europäischen Sozialpartnern
einberufenen dreigliedrigen Sozialgipfel. Die EGB-Entschließung
beruht auf folgenden Grundsätzen:
2.
•
Es ist mittlerweile unbestritten, dass Märkte nicht alles
leisten können und wir vor allem in der derzeitigen Lage
eine sichtbare öffentliche Hand benötigen, um die
Wirtschaft zu lenken und die Solidarität in unserer
Gesellschaft, einschließlich starker öffentlicher Dienste,
zu organisieren.
•
Der EGB-Plan geht auch vom Grundsatz aus, dass eine
starke europäische Dimension unerlässlich ist. Eine
europaweite Koordinierung ist erforderlich, um isolierte
Aktionspläne auf nationaler Ebene und eine Rückkehr zu
einer „Beggar-thy-neighbour“- oder „Trittbrettfahrer“Politik zu vermeiden. Europäisches Handeln ist auch von
entscheidender Bedeutung, um die Finanzierung des
europäischen Konjunkturprogramms sicherzustellen.
Dafür muss der Zugang zu den globalen Kapitalmärkten
zu
günstigeren
Zinsen
verbessert
und
der
Steuerwettbewerb geregelt werden, was gleichzeitig die
Steueraufkommensbasis der Mitgliedstaaten stärkt.
Die Wirtschaft gerät in den Abwärtsstrudel. Die
Finanzkrise schlägt jetzt auf die Realwirtschaft durch. Aufgrund
der allgemeinen Kreditkrise bricht die gesamtwirtschaftliche
Nachfrage ein. Die Wirtschaft ist bereits in der Rezession und
wird voraussichtlich in den nächsten vier Quartalen nicht
herauskommen. Während der Schuldenabbau der Banken und
Privathaushalte in den nächsten Jahren anhalten wird, steht
2
uns höchstwahrscheinlich eine längere Phase mit schwachem
Wachstum bevor. Dies alles wirkt sich wiederum auf die Krise
des Finanzsektors aus.
3.
Zinssenkungen und automatische Stabilisatoren reichen
nicht. Die EZB hat endlich eine Zinssenkung eingeleitet und es
besteht scheinbar eine gewisse Einigkeit darüber, dass eine
krisenbedingte Erhöhung der Haushaltsdefizite gestattet
werden sollte. Dieser pragmatische Ansatz ist natürlich
begrüßenswert, reicht jedoch nicht aus. Zinssenkungen sind
längst überfällig und kommen zu spät, um der Wirtschaft über
das harte Jahr 2009 hinwegzuhelfen. Die automatischen
Stabilisatoren können diesen Schlag für die Wirtschaftstätigkeit
nur teilweise abfedern, die Wirtschaft wieder in Gang bringen,
können sie nicht.
4.
Um ein Anhalten der trüben Aussichten zu verhindern,
müssen
im
Bereich
der
Steuerpolitik
dringend
diskretionäre Maßnahmen ergriffen werden. Ein Aussitzen
der Krise wird die Lage nur verschlimmern. Eine massive
Umstrukturierung
der
Beschäftigung
und
steigende
Arbeitslosenzahlen werden den Zukunftspessimismus noch
verstärken. Dies wiederum wird den Nachfragerückgang
beschleunigen und Disinflation kann somit in Deflation
umschlagen, was jedoch verhindert werden muss. Um die
aufkeimende Rezessionsangst zu bekämpfen, muss Bewegung
in die nachfrageseitige Politik kommen und zwar schnell.
5.
Europa muss sich auf gemeinsames Handeln besinnen.
Obgleich die politischen Instrumente zur Beeinflussung der
Nachfrage großteils in den Händen der nationalen Regierungen
liegen, fällt Europa eine Schlüsselrolle zu. Koordinierte und
einheitliche Steueranreize werden sich gegenüber einem
isolierten Handeln der einzelnen Mitgliedstaaten als doppelt
wirksam erweisen. Ein europäischer Staatsfonds, der
europäische Anleihen begibt, könnte den Mitgliedstaaten zu
niedrigeren Zinsen Zugang zu weltweitem Anlagekapital
gewähren. Europa muss auch klarstellen, dass alle durch die
Reform
des
Stabilitätspaktes
eingeführten
Flexibilitätsmöglichkeiten1 genutzt werden sollen.
1
Bei besonderen Umständen wie einem längeren Zeitraum niedrigen Wachstums
erlaubt der überarbeitete Stabilitäts- und Wachstumspakt höhere Defizite und
sogar eine Überschreitung des Referenzwertes von 3 %. Das andere im Jahr 2005
in den Pakt aufgenommene Flexibilitätselement ermöglicht eine Abweichung von
der strikten Einhaltung des Stabilitätspaktes, wenn Mitgliedstaaten
3
6.
Ein Anreizprogramm (2 % des BIP) für Investitionen in
Menschen, Innovation und nachhaltige Entwicklung
Das europäische Konjunkturprogramm muss auf zwei
Grundsätzen beruhen:
Kurzfristige Sofortmaßnahmen, um den Zusammenbruch der
Wirtschaft zu vermeiden. Um die Wirtschaft in Gang zu halten,
sind umfangreiche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen in der
Größenordnung von 1 % des BIP erforderlich. Dadurch soll
einerseits die Sicherheit der Arbeitnehmer allgemein erhöht
und anderseits sichergestellt werden, dass das Geld bei denen
ankommt, die es am nötigsten haben. Abhängig von der
Arbeitsmarktlage in dem jeweiligen Mitgliedsstaat kann dieses
Programm zur „Investition in Menschen“ (1 % des BIP)
unterschiedliche Formen annehmen:
a. Stärkung
der
Unterstützungssysteme
für
Arbeitslose – In den Mitgliedstaaten, in denen das
Arbeitslosengeld und die Dauer relativ gering und die
Kriterien für die Gewährung eher streng sind, sollte
einer strukturellen Stärkung des Unterstützungssystems
Vorrang eingeräumt werden.
b. Mehr
Sicherheit
für
die
flexibelsten
Arbeitnehmer(innen) – Die Krise führt wieder einmal
vor Augen, dass die europäischen Arbeitsmärkte bereits
ein hohes Maß an Flexibilität aufweisen: Sobald die
Wirtschaftstätigkeit ins Stocken gerät, folgt eine
massive Umstrukturierung der Beschäftigung auf den
Fuß.
Der
Sicherheitsaspekt
bleibt
jedoch
unberücksichtigt.
Vor
allem
Arbeitnehmer
mit
kurzfristigen Arbeitsverträgen wie Leih- und befristet
beschäftige
Arbeitnehmer(innen)
sind
von
der
wirtschaftlichen
Verlangsamung
besonders
hart
betroffen. Gleichzeitig steht den Arbeitnehmern in
solchen Beschäftigungsverhältnissen meist nicht das
volle Kompendium der Sozialschutzrechte zu und sie
haben
kaum
Zugang
zu
betrieblichen
Weiterbildungsmaßnahmen. Es ist nur gerecht, wenn die
große Flexibilität, die diese Arbeitnehmer(innen) an den
Tag
legen,
durch
eine
zusätzliche
Arbeitslosenunterstützung in Form einer Einmalzahlung
abgegolten
wird.
Dies
kann
auch
als
ein
„Beschäftigungsbonus“ betrachtet werden, den die
Strukturreformen unternehmen, die sich auf die öffentlichen Finanzen auswirken.
Der Vorschlag, 2 % des BIP in Menschen und den Umweltschutz zu investieren,
sollte als eine solche Investition in strukturelle Reformen gelten.
4
betreffenden
Arbeitslosen
zu
Arbeitssuche verwenden könnten.
Finanzierung
der
c. Unterstützung
interner Flexicurity – Wenn die
Beschäftigten dank interner Flexicurity während des
Abschwungs im Unternehmen gehalten werden, stehen
beim nächsten Aufschwung wieder qualifizierte und
geschulte Arbeitnehmer(innen) zur Verfügung. Diese
Modelle für interne Flexicurity werden einerseits durch
solide Kündigungsschutzsysteme und anderseits durch
die Finanzierung von „technischer“ Arbeitslosigkeit
durch die Sozialversicherung gefördert. In diesem Fall
behalten die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz und
arbeiten Teilzeit. Die Teilzeitgehälter werden von der
Arbeitslosenunterstützung
aufgebessert.
Mitgliedstaaten, die sich für diesen Weg entscheiden,
können
die
1%
für
Investitionen
in
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (bzw. einen Teil
davon) verwenden, um die interne Flexicurity
aufzubauen oder zu stärken.
d. Investitionen in Qualifikation und lebenslanges
Lernen – Die Unterstützungssysteme für Arbeitslose
sollten mit Programmen für Umschulungen und die
Verbesserung des Qualifikationsniveaus der Arbeitslosen
flankiert werden. Auf diese Weise können Zeiten der
Arbeitslosigkeit
dazu
genutzt
werden,
die
Humankapitalbasis der Wirtschaft zu verbessern und
auch Personalengpässe zu vermeiden, die meist mit
einer Wirtschaftsbelebung einhergehen.
e. Arbeitsbeschaffungsprogramme zur Ankurbelung
der Beschäftigung im dritten Sektor – Neben der
Weiterbildung von Arbeitslosen ist die Einrichtung von
Arbeitsbeschaffungsprogrammen
eine
weitere
Möglichkeit, den Kontakt zum Arbeitsmarkt zu wahren
und den Verlust von Humankapital zu vermeiden. Die
mithilfe dieser staatlich geförderten Programme
geschaffenen
Arbeitsplätze
müssen
einen
gesellschaftlichen Bedarf wie z. B. in der Altenpflege
bzw.
für
Kinderbetreuungseinrichtungen
und
Nachbarschaftsbetreuer
decken,
der
andernfalls
tendenziell vernachlässigt wird.
f. Ausweitung
des
europäischen
Globalisierungsfonds - Diese Aktionen auf nationaler
Ebene müssen um Maßnahmen auf EU-Ebene ergänzt
werden. Der bestehende Globalisierungsfonds sollte
ausgeweitet werden und in einen Fonds zur
Unterstützung aller Arbeitnehmer(innen), die von
5
Arbeitsplatzverlusten
bedroht
sind,
umgewandelt
werden, unabhängig davon, ob ihr Arbeitsplatz aufgrund
der Globalisierung oder der aktuellen Wirtschaftskrise in
Gefahr ist. Es sollten mehr Mittel bereitgestellt werden
und die Einbindung der Sozialpartner ist auf allen
Ebenen sicherzustellen.
Investitionen in einen „Grünen new Deal“, um die Wirtschaft
wieder in Gang zu bringen. Die Mitgliedstaaten sollten die von
dem Programm „Investition in Menschen“ gewährte Atempause
nutzen, um weitere Investitionspläne aufzustellen. Sie sollten
spätestens Mitte 2009 wirksam sein.
Bei
entsprechender
Ausrichtung
trägt
ein
solches
Investitionsprogramm nicht nur zur Überwindung der
Wirtschaftskrise, sondern auch zur Stärkung des langfristigen
Wachstumspotenzials bei. Es bietet sich die Gelegenheit, die
Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise mit einem Plan
zur Investition in die Entwicklung neuer Industrien, rationaler
Energienutzung und nachhaltiger Energieträger, europäischer
Netzwerke und des sozialen Wohnungsbaus zu verbinden. Die
Steuerpolitik sollte konkret versuchen, die Investitionen um
weitere 1 % des BIP zu erhöhen, und die Aufwendungen zur
Wirtschaftsbelebung damit auf insgesamt 2 % des BIP
anheben.
7.
Vermeidung des Dominoeffekts einer deflationären
Tendenz
bei
den
Löhnen
und
Gehältern
Die „Realwirtschaft“ (Wachstum und Arbeitsplätze) ist kein
isolierter Dominostein. Durch die in Europa um sich greifende
Wirtschaftskrise
besteht
die
Gefahr,
dass
die
Lohnentwicklungen so niedrig ausfallen, dass die Preisstabilität
von der Abwärtsbewegung in Mitleidenschaft gezogen wird.
Wenn Disinflation in Deflation umschlägt, ist mit einer
Verschärfung der Lage zu rechnen. Um sich gut gegen eine
Deflation abzusichern und zu verhindern, dass eine
Abwärtsspirale der Löhne und Gehälter einen Dominoeffekt
auslöst, sollte die Kommission, aufbauend auf den integrierten
Leitlinien der Lissabon-Strategie2, einen neuen politischen
Prozess vorschlagen: Die Mitgliedstaaten sollten gemeinsam
mit den nationalen Sozialpartnern ersucht werden, politische
Maßnahmen auszuarbeiten, um eine Untergrenze für
Lohnentwicklung einzuführen bzw. diese zu stärken, die mit
2
Die europäischen integrierten Leitlinien legen den Mitgliedstaaten nahe, eine
Lohnentwicklung anzustreben, die „mit der Preisstabilität und der
Produktivitätsentwicklung in Einklang steht“. Dies schließt ein Null- oder
negatives Wachstum der Löhne aus.
6
dem Anstieg der Trendinflation und dem Trendwachstum der
Produktivität in Einklang stehen.
Dadurch soll u. a. sichergestellt werden, dass:
•
jedes
Land
im
unteren
Arbeitsmarktbereich
eine
Lohnuntergrenze einführt und der Wettbewerb auf der
Grundlage von Armutslöhnen vom Markt verbannt wird;
•
die Tarifverträge eine große Reichweite aufweisen;
•
die Hierarchie von
eingehalten wird;
•
Lohnund
Arbeitsbedingungen
gemäß
den
Kollektivverträgen und/oder dem Arbeitsrecht eingehalten
und tatsächlich umgesetzt werden.
Tarifabkommen
im
Allgemeinen
Diesbezügliche Instrumente wie gesetzliche Mindestlöhne,
Mindesteinkommen
des
Sozialversicherungssystems,
Unterstützung für einen hohen Organisationsgrad der
Gewerkschaften, die gesetzliche Allgemeinverbindlicherklärung
von Tarifverträgen und die Förderung von Tarifvereinbarungen
durch das öffentliche Beschaffungswesen gibt es bereits in
großer Zahl. Es obliegt den nationalen Sozialpartnern, zu
entscheiden,
welches
Instrument
der
nationalen
Tarifverhandlungstradition am besten entspricht.
8.
Verteilungsgerechtigkeit, Steuerpolitik und nachhaltige
öffentliche Finanzen - Die Zunahme von Ungleichheiten und
exorbitante Schuldenlasten sind eng miteinander verbunden.
Die Kapitaleinkünfte (Betriebsgewinne, Wohnungsmieten,
Wertsteigerungen von Vermögensgütern) und die Vergütungen
der Topverdiener sind in den letzten Jahrzehnten sprunghaft
angestiegen, während die Reallöhne der gewöhnlichen
Arbeitnehmer(innen) fast keine Zuwächse verzeichneten. Um
die Nachfrage und die Wirtschaft in Schwung zu halten, werden
die Privathaushalte trotz der Anhäufung von Reichtum in den
Händen der Spitzenverdiener in die Verschuldung getrieben.
Dieses Modell der wachstumsgetriebenen „Vermögenswert- und
Schuldenblase“ hat keine Zukunft und jetzt wird versucht
zurückzurudern. Die Privathaushalte und Banken bauen nun
ihre extrem hohe Verschuldung ab, was jedoch die
Wachstumsprognose für die nächsten Jahre eintrüben könnte.
Um zu vermeiden, dass dieser Schulden-Deflations-Prozess zu
einer anhaltenden Wirtschaftskrise führt, muss sich die
Steuerpolitik einer Umverteilung der Zuwächse der Einkommen
aus Kapital und Vermögen zu den Mittelklasse-Arbeitnehmern
7
und
Privathaushalten
verschreiben.
Angesichts
der
wirtschaftlichen Integration und des Steuerwettbewerbs in
Europa müssen die Steuerkoordinierung, der Kampf gegen
Steueroasen,
Minimaloder
Nullsteuersysteme
und
Einheitssteuersysteme auf die europäische Agenda gesetzt und
Themen wie der Mindeststeuersatz und eine harmonisierte
Steuerbemessungsgrundlage für Unternehmensgewinne und die
Besteuerung
von
Kapitalgewinnen
und
Großvermögen
angegangen werden.
Gleichzeitig kann im Rahmen der Koordinierung der
europäischen Steuerpolitik auch die Frage der Nachhaltigkeit
der öffentlichen Finanzen behandelt werden. Um zu verhindern,
dass der Schulden-Deflations-Prozess unsere Volkswirtschaften
und Gesellschaften in den Ruin treibt, muss der öffentliche
Sektor die wirtschaftlichen Geschicke in die Hand nehmen und
viel stärker eingreifen, was wiederum die Haushaltsdefizite und
Staatsverschuldung in die Höhe treibt. Zur Wahrung der
Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen, einschließlich einer
angemessenen Altersversorgung, müssen neue Steuerquellen
erschlossen werden. Dafür kommen die Einkommen und
Vermögen infrage, die bis vor Kurzem in großem Maße vom
Kasinokapitalismus profitiert haben. Es muss auch daran
erinnert werden, dass Staatsverbrauch und öffentliche
Investition für die Wiederbelegung der Nachfrage viel
wirksamer sind als Steuerkürzungen, die höchstwahrscheinlich
nur zu einer Erhöhung der Spareinlagen führen.
9.
Auch für kohärente Industriepolitik und nachhaltige
Entwicklung muss gesorgt werden. Die Finanzkrise und die
Krise der Realwirtschaft werfen auch die Frage auf, welche
Rolle der europäischen Industrie in Zukunft zufällt.
Die europäische Industrie erwirtschaftet 20 % des BIP und
stellt 40 Mio. direkte Arbeitsplätze, die jetzt zusammen mit
Millionen anderer Arbeitsplätze, die von den Kernindustrien
abhängen, durch die Finanz- und Wirtschaftskrise bedroht sind.
Die europäischen Umweltnormen gelten als die strengsten der
Welt und dienen daher als Maßstab für künftige globale
Maßnahmen. Die europäischen Unternehmen, die auf den
internationalen Märkten tätig sind, bekommen neben vielen
anderen Belastungen den gestiegenen Wettbewerbsdruck
aufgrund der EU-Umweltschutzvorschriften bereits zu spüren.
Auf der Habenseite stehen jedoch die europäische FuE,
technologische Innovation und die Reaktion der Unternehmen
auf Umweltnormen, um den Klimawandel und andere
8
Herausforderungen zu bewältigen, die eine neue Dynamik
geschaffen haben.
Die Kommission hat den neuen Schwung zum Teil für den
Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft genutzt und
umweltfreundliche Technologien bzw. Systeme sowie „grüne“
Produkte gepusht. Die Nachfrage der Verbraucher ist jedenfalls
schon vorhanden. Für die Kaufentscheidung ist zunehmend die
Umweltfreundlichkeit ausschlaggebend, daher steigt auch der
Umstellungsdruck. Der EGB hat von der französischen
Präsidentschaft die Zusage erhalten, einen beratenden
Ausschuss der Sozialpartner zum Klimawandel einzurichten.
Wenn wir die Erderwärmung wie von der EU vereinbart bis
2050 unter 2 °C halten möchten, ist ein gemeinsamer Ansatz
unerlässlich, um den Übergang zu schaffen. Hier könnte die
Umsetzung schwieriger - u. a. beschäftigungsrelevanter Maßnahmen diskutiert werden. Europa hat die Verpflichtung,
hier mit gutem Beispiel voranzugehen, da wir zu einem sehr
großen Teil für den heutigen atmosphärischen CO2-Gehalt
verantwortlich sind. Andere Länder wie China und Indien haben
uns bei den Emissionen zwar inzwischen überholt, aber unter
den Folgen leiden wir alle. Wenn wir ihnen helfen, helfen wir
uns letztlich auch selbst.
Der EGB unterstützt daher nachdrücklich die Initiative für
umweltgerechte Kraftfahrzeuge, das europäische Programm für
energieeffiziente Gebäude und die Initiative „Fabrik der
Zukunft“ für FuE. Zur Erreichung des 2-Grad-Ziels müssen wir
Nachhaltigkeit in Produktion wie auch Verbrauch sicherstellen.
Der EGB ist der Auffassung, dass die Revolution der
umweltfreundlichen Technologie nicht mehr aufzuhalten ist und
auch in Zeiten der Kreditknappheit fortgesetzt werden muss.
Zusammen mit anderen Maßnahmen kann dies mithelfen,
bestehende Arbeitsplätze zu sichern, strenge Umweltnormen
einzuhalten
und
eine
Reihe
neuer
Exportprodukte,
insbesondere im Metallsektor und dem verarbeitenden
Gewerbe, anzubieten. Wir können bereits voraussehen, dass
die Wirtschaften, die eine ökotechnologische Führungsrolle
einnehmen, gestärkt aus der weltweiten Krise hervorgehen und
zur Rettung des Planeten beitragen werden. Die Krise kann
eine neue Vision entstehen lassen, einen „Grünen New Deal“,
um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.
10. Die Neuregulierung der Finanzmärkte muss beschleunigt
werden, damit sich eine solche Krise nicht wiederholen
kann. Die Finanzkrise ist eine ernsthafte Bedrohung für die
Realwirtschaft.
Neben
der
zügigen
Umsetzung
eines
europäischen Konjunkturprogramms zur Unterstützung der
9
realen Wirtschaft müssen der europäische Aktionsplan für
Finanzdienstleistungen
sowie
die
Modernisierung
des
Gesellschaftsrechts und der Unternehmensführung konkrete
Formen annehmen und sofort umgesetzt werden. Der EGB wie
auch UNI Europa haben präzise Vorschläge für eine wirksamere
Regulierung der Finanzmärkte (siehe EGB-Positionspapier,
Oktober 2008, und Forderungen von UNI Europa, Mai 2008)
vorgelegt. Die Europäische Union muss auf internationaler
Ebene im Rahmen der G20 gemeinsam handeln und mit einer
Stimme sprechen, um den Finanzsektor wieder in den Dienst
der Realwirtschaft zu stellen. Wir benötigen Reformen, die eine
grundlegende Änderung der Struktur und Anreize der
Finanzarchitektur herbeiführen. Die Erklärung der Staats- und
Regierungschefs der G20 anerkennt, dass es im globalen
Finanzsystem Regelungslücken gibt. Ferner wurde ein Fahrplan
mit einem Zeitrahmen für Maßnahmen bis März 2009 und eine
Liste der anzugehenden Kernthemen aufgestellt. Andere von
der internationalen Gewerkschaftsbewegung aufgeworfene
Schlüsselfragen wie die öffentliche Rechenschaftspflicht der
Zentralbanken,
die
Sicherung
der
Rentensysteme,
internationale
Steuern
und
Einschränkungen
für
den
Spekulationshandel wurden jedoch nicht berücksichtigt.
Außerdem wird die Notwendigkeit der Beteiligung der
Gewerkschaften und der Internationalen Arbeitsorganisation
(IAO) an den laufenden Verhandlungen nicht anerkannt. Der
EGB wird die Zusammenarbeit mit dem IGB, Global Unions und
TUAC fortsetzen und weiter für die „Washingtoner Erklärung“
eintreten.
11. Sicherstellung
einer
fairen
Behandlung
der
Arbeitnehmer(innen)
und
Stärkung
der
Arbeitnehmerrechte - Nicht zuletzt muss darauf hingewiesen
werden, dass die Wirtschaftskrise nicht zu einer Schwächung
der Arbeitnehmerposition führen darf. Eine Stärkung der
Arbeitnehmerrechte ist das richtige Rezept, um der
Wirtschaftskrise und einer weiteren Segmentierung der
Arbeitsmärkte
entgegenzutreten.
Die
Tarifverhandlungsinstitutionen müssen unterstützt werden, um
eine Nominallohnuntergrenze durchzusetzen. Der EGB fordert
Europa daher auf, sich für Arbeitnehmerrechte, gerechte und
angemessene Entlohnung, dauerhafte Arbeitsplätze und ein
starkes Tarifverhandlungssystem einzusetzen, das unabhängig
und nicht den Richtern bzw. dem Europäischen Gerichtshof
unterstellt ist.
Infolge
der
Krise
wurde
eine
Welle
von
Umstrukturierungsplänen
zahlreicher
Unternehmen
angekündigt
und
Leihbzw.
befristet
beschäftigte
10
Arbeitnehmer(innen)
werden
rasant
abgebaut.
Anstatt
struktureller Reformen, die auf eine Lockerung des
Kündigungsschutzes und Arbeitszeitverlängerungen (AZR)
setzen, benötigen wir jetzt Reformen, die den Unternehmen
Anreize zur Entwicklung von Strategien wie interne
Weiterbildung und interne funktionale Flexicurity bieten, die
dauerhafte Arbeitsplätze fördern. Außerdem müssen die
Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer(innen) (wie z.B. in
europäischen Betriebsräten (EBR)) gestärkt werden, um den
Wandel zu bewältigen und sowohl die Arbeitsbedingungen als
auch die Produktivität zu verbessern.
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