22 KULTUR NORDWESTSCHWEIZ DONNERSTAG, 3. JULI 2014 Kleider von H&M kommen nicht auf die Bühne Kulturtäter Um an alle Requisiten und Kostümdetails zu denken, braucht Linda Rothenbühler ein gutes Gedächtnis und viele Listen. Die Szenografin und Assistentin der Ausstattung des Theaters Marie in Suhr erzählt ren: «Ich stelle mir vor, was für einen Charakter die Person hat, und dann versuche ich mir ein Bild davon zu machen, was diese Person für Kleidung trägt.» Dass eine Person auf der Bühne vermeintlich normal angezogen ist, gibt es für Rothenbühler nicht: «Auch wenn es kein spektakuläres Kostüm ist, hat es immer eine grosse Wirkung.» Es komme nicht infrage, den Schauspielern etwas anzuziehen, bei dem man auf den ersten Blick sieht, aus welchem Geschäft es kommt. «Wir gehen nicht bei H&M einkaufen. Eher in SecondhandBörsen oder Brockenstuben.» Wenn die Proben für das Stück beginnen, steht ein erstes Bühnenkonzept, und die Probekostüme hängen bereit. «Die Schauspieler sollen sich möglichst schnell in die Situation einleben kön- Menschen hinter den Kulturkulissen VON NOELLE KÖNIG Wenn die Vorstellung beginnt, fiebert Linda Rothenbühler hinter der Bühne mit. Nicht in erster Linie mit den Schauspielern, sondern mit den Requisiten und Geräten, die sie für das Bühnenbild gebaut hat: «Es ist nicht eine Nervosität wie bei den Schauspielern. Aber man ist nie ganz sicher, ob wirklich alles funktioniert, wie es sollte.» Die 26-Jährige ist Szenografieund Ausstattungsassistentin beim Theater Marie in Suhr und zusammen mit Erik Noorlander vom Leitungsteam für die Bühnengestaltung und im nächsten Stück auch für die Kostüme verantwortlich. «Ich lasse mich gerne von bildenden Künstlern inspirieren.» Das Stück weckt Bilder Nachdem das Leitungsteam entschieden hat, welches Stück gespielt wird, beginnt für Linda Rothenbühler die Arbeit. Zuerst wird das Stück, oder im aktuellen Fall, die Novelle, gelesen. «Der Argentinier» von Klaus Merz will die Theatergruppe im Oktober als Uraufführung auf die Bühne bringen. «Man versucht sich in die Geschichte einzudenken, überlegt sich, was für eine Atmosphäre sie bieten könnte. Dann mache ich eine Bildrecherche. Ich lasse mich auch gerne von bildenden Künstlern inspirieren», erklärt Rothenbühler. Diese Recherche sei bei ihr noch ganz frei vom Thema. Wenn man das Stück dann noch einmal liest, kämen einem bei gewissen Wörtern plötzlich bestimmte Bilder in den Sinn. So könne man sich dem Thema vom Buch annähern und es kristallisiere sich eine Idee heraus. Rothenbühler sagt aber: «Es ist eine der grössten Herausforderungen, sich aus diesem Haufen an Ideen für eine Richtung zu entscheiden und konkret zu werden.» Die Tatsache, dass bei den Stücken vom Theater Marie nicht mit eindeutigen Bühnenbildern gearbeitet wird, die zum Beispiel einen Festsaal oder einen Dorfplatz darstellen, ist eine zusätzliche Komponente. «Wir arbeiten mit allgemeinen Elementen. Aber das Publikum soll sich anhand der Erzählung ein Bild machen, etwas vorstellen können», erklärt Rothenbühler. Linda Rothenbühler Szenografin und Ausstatterin nen», erklärt Rothenbühler. Natürlich würden sie auch während der Probearbeiten noch Dinge verändern, aber eine erste Idee stehe schon. Um bis zum Schluss an jedes Detail – an den Stuhl am richtigen Platz und die Kette am richtigen Hals – zu denken, erfordere einerseits ein gutes Gedächtnis, andererseits viele Listen. Neuer Ort – neue Wirkung Normale Kleider gibt es nicht Für die Kostüme lässt sich Rothenbühler in erster Linie von der Figur inspirie- Cartoonmuseum Basel Wilder Westen, auf die Bleistiftspitze getrieben Die mythenbeladene Geschichte des Wilden Westens ist ein unerschöpflicher Fundus für gezeichnete Geschichten. Den Blick des Comics gen Westen dokumentiert nun das Cartoonmuseum Basel mit einer breiten Ausstellung über 100 Jahre Western-Comics. Donald Duck mit Colt und Sheriffstern oder Mickey Mouse, reitend zwischen Cowboyhüten, sind für Kinder heute fast unvermeidliche Leseerfahrungen. Unter der lustigen Oberfläche steckt indes ein wenig romantischer Teil der nordamerikanischen Geschichte: die Landnahme ausgehend von der Ostküste mit vielen blutigen Konflikten. Viele – auch zeitgenössische Comiczeichner – haben sich davon inspirieren lassen. (SDA) Going West! Der Blick des Comics gen Westen. Cartoonmuseum Basel. Bis 2. November. www.cartoonmuseum.ch Linda Rothenbühler findet die besonderen Kleidungsstücke für die Bühne im Secondhand-Shop. CHRIS ISELI Dieser Engel kann auch fauchen und kratzbürstig sein Boswiler Sommer Quadro Nuevo spielt alles – und das mit atemberaubender Intensität VON ELISABETH FELLER Wenn Engel ein Instrument spielen, dann Harfe, so das erste Klischee, dem sogleich das zweite folgt: Die Harfe ist lieblich. Ach ja? Vergessen wir das alles und wenden wir uns Evelyn Huber zu. Die zierliche Musikerin sitzt an diesem betörenden Instrument und spielt und bearbeitet es so, dass dieses kaum je Gehörtes generiert – und damit zum zirpenden, fauchenden, kratzbürstigen und überdies noch fantastischen Rhythmusinstrument wird. Irre ist das, wenn Evelyn Huber in die Saiten greift, daran energisch zupft oder diese schlägt; irre, wie die Musikerin Glissandi rauschhaft steigert und jäh verebben lässt. In solchen Momenten blickt die Harfenistin kurz ins Publikum: Vergnügt und voller Freude auf das, was um sie herum geschieht – ein Aufeinanderhö- ren und ein Zusammenspiel, das seinesgleichen sucht. Aus dem Erwähnten nun abzuleiten, dass Huber die Hauptrolle in Quadro Nuevo spielt, wäre falsch. Es ist schlicht so, dass die Harfe im Verbund mit Saxofon (Mulo Francel), Kontrabass (D. D. Lowka), Akkordeon und Bandoneon (Andreas Hinterseher) sowie Piano (Chris Gall als Gast) exotisch anmutet. Dieser Eindruck verfliegt jedoch rasch. Was wird gespielt? Zum Einstieg das französische Stück «Still, die Nacht ist voller Sterne», das auf den Boswiler Sommer massgeschneidert erscheint. An Sternen mangelte es in den nächsten drei Stunden nicht: Auf Entspannung folgt Spannung; auf langsame folgen rasante Werke, die – ineinander gleitend – den Eindruck eines sowohl klanglich wie stilistisch und rhythmisch ungemein «farbigen» Klangteppichs festigen. Dem Klezmer zollen die vier mit einer traurigen Ballade Reverenz, dem Walzer und dem argentinischen Tango aber genauso. Die Soli sind im Ausreizen der virtuosen und klanglichen Möglichkeiten des jeweiligen Instrumentes beispiellos. Nichts wirkt aufgesetzt, alles – ob bitter, feurig, pikant oder süss – ist organisch eingebettet in den Fluss einer Musik, die der Inspiration des Augenblicks zu gehorchen scheint. Mit «End of The Rainbow» hat Quadro Nuevo das Programm betitelt. Ans Ende will keiner denken. Doch plötzlich ist es da. Woher Trost nehmen? Beim Gedanken, dass der Regenbogen noch bis zum Sonntagabend zu sehen ist – bis der letzte Ton von Brahms’ Deutschem Requiem den Boswiler Sommer 2014 ins «Paradies» der kostbaren Erinnerung befördert. Da das Theater Marie keine Werkstatt hat, die die Requisiten baut, machen Linda Rothenbühler und Erik Noorlander so viel wie möglich selber. Lediglich für grössere Stücke oder Schweisserarbeiten hätten sie Kontakte, bei denen sie Arbeiten in Auftrag geben können. Die Tatsache, dass das Theater Marie ein Tourneetheater ist, sei beim Bühnenbau eine weitere Herausforderung. Immer wieder auf anderen Bühnen zu spielen, erfordere, dass man flexibel auf jede neue Situation reagieren könne. Zudem müssen die Bühnenelemente so gebaut sein, dass sie gut transportiert werden können. «Das Tourneetheater ist eine Herausforderung für mich. Es ist auf der einen Seite sehr zeit- und energieaufwendig. Auf der anderen Seite ist es spannend, an einem neuen Ort zu sein und zu sehen, wie das Stück und unsere Arbeit dort wirken», erklärt Rothenbühler. Klassik in Baden Kulturleben abseits der Festivalorte Es gibt auch ein kulturelles Sommerleben abseits der Festivalorte: Idylle, hochkarätige Musiker und spannende Programme gibt es aber auch dort – heute Donnerstag etwa im stimmungsvollen Gartensaal der Villa Boveri in Baden. Dort spielen die Badener Stadtorganistin Antje Maria Traub und der junge amerikanische Pianist Jason Paul Peterson Werke, die für Klavier zu vier Händen komponiert wurden. Von Wolfgang Amadeus Mozart gibt es die selten anzutreffende Sonate G-Dur KV 357 und dann das kleine, hochspannende Andante mit Variationen KV 501 zu hören. Zwei französische Suiten folgen: «Petite Suite» von Claude Debussy sowie die Dolly Suite von Gabriel Fauré. Ein Kehraus der vergnüglichen und bekannteren Sorte erklingt aus Johannes Brahms’ Feder: Aus dem Heft I der Ungarischen Tänze spielt das Duo Traub/Peterson fünf Werke. (BEZ) Baden Villa Boveri, Gartensaal, Do 3. Juli, 19.30 Uhr.