Jahrbuch 2016/2017 | Denzel, Martin S. | W enn die biologische Zeit langsam läuft - w elche Genveränderungen erhöhen die Lebenserw artung? Wenn die biologische Zeit langsam läuft - welche Genveränderungen erhöhen die Lebenserwartung? Decelerating biological time - which gene mutations can extend life span? Denzel, Martin S. Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns, Köln Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Das Altern ist kein zufälliger Verfall, sondern w ird durch metabolische und genetische Prozesse reguliert. Einzelne Genmutationen können die Lebenserw artung von Organismen deutlich erhöhen. So kann die Biologie des Alterns in Hefezellen, Fadenw ürmern und auch in Mäusen untersucht w erden. Genveränderungen, die das Altern verlangsamen, schützen vor altersassoziierten Krankheiten w ie Neurodegeneration, Krebs, HerzKreislauferkrankungen und Diabetes. Ein Verständnis der molekularen Mechanismen der Langlebigkeit eröffnet Ansatzpunkte für Therapien oder zur Vorbeugung dieser schw eren Krankheiten. Summary Ageing is not a random process. Biological ageing processes are instead regulated by metabolic and genetic mechanisms. Single gene mutations can markedly extend the life span of various organisms. The biology of ageing can be investigated in simple yeast cells, flies, round w orms, and also in mice. Gene mutations that extend life span also protect against age-associated diseases such as neurodegeneration, cancer, heart disease, and diabetes. A deeper understanding of molecular mechanisms of longevity can open new avenues for therapies or prevention of these highly relevant diseases. Altern ist plastisch Warum w ir altern ist eine Frage, die sich die Menschen w ohl schon immer gestellt haben. Welche inneren und äußeren Faktoren tragen zum Altern bei und w elche biologischen Prozesse sind vom Altern besonders betroffen? W ichtiger noch: Welche Prozesse definieren die Biologie der Jugend? Ist das Altern vorprogrammiert oder können w ir den Verlauf beeinflussen? Alterungsprozesse sind w ie viele biologische Phänomene Gegenstand der Grundlagenforschung. In zahlreichen Organismen können einzelne Genmutationen die Lebenserw artung erhöhen und sogar mehr als verdoppeln [1]. Dies bedeutet, dass das Altern ein regulierter Prozess sein muss und dass bestimmte Gene direkten Einfluss auf den Verlauf des Alterns haben. In der Natur sind extreme Unterschiede in der © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2016/2017 | Denzel, Martin S. | W enn die biologische Zeit langsam läuft - w elche Genveränderungen erhöhen die Lebenserw artung? Lebenserw artung zw ischen den Spezies zu beobachten, w obei die Lebenserw artung meist mit der Körpergröße korreliert. Hierbei aber gibt es bestimmte outlier. Mäuse zum Beispiel leben etw a drei Jahre, w ährend Fledermäuse bei gleichem Köpergew icht etw a zw anzig Jahre alt w erden. Auch Menschen sind ein s o lche r outlier. Insgesamt ist das Altern also ein plastischer Prozess: Zellen und Organe haben keine festgelegte Lebensdauer. Vielmehr unterliegt das Altern diversen Einflüssen und ist ein Prozess, der genetisch, durch die Umw elt und durch das Verhalten reguliert ist. Das Altern ist ein wichtiger Risikofaktor für viele Krankheiten. Jeder w eiß aus eigener Erfahrung, dass das Altern mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für viele Krankheiten assoziiert ist. Besonders w ichtig erscheinen hier Demenz, Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Diabetes. Viele alte Menschen leiden gleich an mehreren dieser Krankheiten. Diese Multimorbidität ist der Grund dafür, dass sich die menschliche Lebenserw artung nur um durchschnittlich etw a zw ei bis drei Jahre verlängern w ürde, w enn Krebs heilbar w äre. Somit ist es besonders w ichtig, das biologische Altern als solches zu verstehen, denn w enn das Altern verlangsamt w ird, sinkt die Wahrscheinlichkeit für alle altersassoziierten Krankheiten. Die Biologie des Alterns kann in einfachen Tieren untersucht werden Da das Altern ein fundamentaler biologischer Prozess ist, können zugrundeliegende Mechanismen in w enig komplexen Organismen untersucht w erden. So w urde in Hefezellen eine Klasse von Genen entdeckt, die auch w ährend des Alterns von Säugetieren eine w ichtige Rolle spielen [2]. Im einfachen Fadenw urm Caenorhabditis elegans w urden viele Gene identifiziert, die das Altern beeinflussen. So konnte gezeigt w erden, dass einzelne Mutationen innerhalb des Insulinrezeptors die Lebensspanne vervielfachen können (Abb. 1; [1]). © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2016/2017 | Denzel, Martin S. | W enn die biologische Zeit langsam läuft - w elche Genveränderungen erhöhen die Lebenserw artung? A bb. 1: Lichtm ik rosk opische Aufna hm e von dre i C. elegans Ne m a tode n. Die Tie re sind tra nspa re nt, soda ss m a n le icht O rga ne e rk e nne n k a nn. Link s ist e in junge s a dulte s Tie r m it we nige n gut sichtba re n Eie rn zu se he n. In de r Mitte und re chts sind je 24 Stunde n ä lte re Tie re a bge bilde t. Auch de r Ve rda uungsk a na l ist gut sichtba r. © Ma x -P la nck -Institut für Biologie de s Alte rns/Ma yr Insulin ist im W urm, genauso w ie beim Menschen, ein Hormon, das den Zellen die Verfügbarkeit von Nahrung, also Energie, signalisiert. Dies deutet auf ein w ichtiges Prinzip der Altersbiologie hin: Ist die Verfügbarkeit oder die Wahrnehmung von Energie aus der Nahrung gestört, w erden Schutzprozesse ausgelöst, die das Altern verlangsamen. Dies findet sich auch in der Kalorienrestriktion bestätigt, nämlich derjenigen Intervention, die scheinbar universell die Lebenserw artung erhöht: Reduktion der Nahrungsaufnahme hat bisher in allen untersuchten Organismen zu erhöhter Lebenserw artung geführt. Beim Menschen kann dies natürlich nicht systematisch untersucht w erden, doch scheint auch bei uns Kalorienrestriktion zu verbesserter Gesundheit zu führen [3]. Genetische Screens können neue Langlebigkeits-Gene identifizieren Um die Regulation des Alterns zu untersuchen, können genetische Screens in C. elegans durchgeführt w erden. © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2016/2017 | Denzel, Martin S. | W enn die biologische Zeit langsam läuft - w elche Genveränderungen erhöhen die Lebenserw artung? Hierbei w erden zunächst zufällige Mutationen in der DNA der W ürmer herbeigeführt. Die Mehrheit dieser Mutationen hat keinerlei Effekt oder w irkt sich eher negativ aus. Da in C. elegans aber Hunderttausende individuelle Genome gleichzeitig untersucht w erden können, lassen sich die seltenen Mutationen identifizieren, die die Lebenserw artung erhöhen. So konnte gezeigt w erden, dass aktivierende Mutationen in einem Enzym des Zuckerstoffw echsels die Lebenserw artung steigern können [4]. Der Hexosamin-Synthesew eg beispielsw eise nutzt Intermediate der Glykolyse, um komplexere Zuckermoleküle herzustellen, die nicht verstoffw echselt, sondern in Syntheseprozessen eingesetzt w erden. Das Produkt des Hexosamin- Synthesew egs ist UDP-N-acetylglucosamin, und dessen Synthese kann durch aktivierende Mutationen im Schlüsselenzym oder durch Zugabe von N-acetylglucosamin gesteigert w erden. Dies führt in C. elegans nicht nur zu erhöhter Lebenserw artung, sondern auch zu besonderem Schutz vor toxischen Proteinen. Diese toxischen Proteine spielen speziell bei Demenzkrankheiten eine w ichtige Rolle, da bestimmte körpereigene Proteine mit der Zeit unlöslich w erden und toxische Aggregate akkumulieren. Die Amyloidplaques in den Hirnen von Alzheimer-Patienten oder die Glutaminpeptide im Gehirn von Huntington-Patienten sind Beispiele dafür. In transgenen W ürmern können heterolog exprimierte humane toxische Proteine untersucht w erden, da diese w ie beim Menschen auch im W urm zu Lähmungen führen. Eine Aktivierung des Hexosamin-Synthesew egs schützt vor den Ausw irkungen verschiedener Demenz-assoziierter toxischer Proteine. Der Hexosamin-Synthesew eg ist ein essenzieller Prozess. Alle Zellen benötigen UDP-GlcNAc beispielsw eise für die Synthese und Modifikation von Proteinen. Dies trifft auch auf die Zellen höherer Organismen zu und in diesem Zusammenhang spricht man von Konservierung, w enn ein biologischer Prozess im Laufe der Evolution zw ischen entfernt verw andten Spezies erhalten bleibt. Der Hexosamin-Synthesew eg ist tatsächlich hoch konserviert und seine Enzyme sind beim Vergleich von W urm und Mensch beinahe identisch. Schützt UDPGlcNAc auch in menschlichen Zellen vor toxischen Proteinen und könnte dies im Zusammenhang mit Demenzkrankheiten von Bedeutung sein? Toxische Proteine konnten in Zellkultur untersucht w erden und tatsächlich reduzierte eine GlcNAc-Gabe die Ansammlung von toxischen Glutamin Peptiden in kultivierten neuronalen Zellen. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass Erkenntnisse aus genetischen Screens mit C. elegans auf die Biologie des Menschen übertragbar sein könnten. Genetische Screens erlauben die systematische Befragung des gesamten Genoms nach altersrelevanten Genen. Dies führte zum Auffinden überraschender Kandidaten, so w ie hier vorgestellt zur Identifikation aktivierender Mutationen. Besonders w ichtig scheint hier, dass die Funktion einzelner Gene nicht mithilfe von KO-Mutationen, die ein Gen komplett ausschalten, untersucht w erden muss. Vielmehr kann auf der Ebene der einzelnen Bausteine der Proteine, der Aminosäuren, schon untersucht w erden, w elche Veränderungen zur Langlebigkeit führen; diese können dann in Zellen höherer Tiere oder in Mäusen validiert w erden. Ausblick Aus ethischen w ie auch praktischen Gründen w ird die menschliche Lebenserw artung nicht durch gezielte Mutation von bestimmten Genen erhöht w erden können. Die Untersuchung von Langlebigkeits-Genen in Modellorganismen kann vielmehr diejenigen molekularen und genetischen Prozesse identifizieren, die in der biologischen Regulation des Alterns relevant sind. Mit diesem W issen könnten dann Medikamente gegen altersassoziierte Krankheiten entw ickelt w erden. Literaturhinweise © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2016/2017 | Denzel, Martin S. | W enn die biologische Zeit langsam läuft - w elche Genveränderungen erhöhen die Lebenserw artung? [1] Kenyon, C.; Chang, J.; Gensch, E.; Rudner, A.; Tabtiang, R. A C. elegans mutant that lives twice as long as wild type Nature 366, 461-464 (1993) [2] Kaeberlein, M.; McVey, M.; Guarente, L. The SIR2/3/4 complex and SIR2 alone promote longevity in Saccharomyces cerevisiae by two different mechanisms Genes and Development 13, 2570-2580 (1999) [3] Rizza, W.; Veronese, N.; Fontana, L. What are the roles of calorie restriction and diet quality in promoting healthy longevity? Ageing Research Review s 13, 38-45 (2014) [4] Denzel, M. S.; Storm, N. J.; Gutschmidt, A.; Baddi, R.; Hinze, Y .; Jarosch, E.; Sommer, T.; Hoppe, T.; Antebi, A. Hexosamine pathway metabolites enhance protein quality control and prolong life Cell 156, 1167-1178 (2014) © 2017 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5