C Y TO L O G I E V E R H A LT E N HORMONE Das Nervensystem bildet zusammen mit den Sinnesorganen und den Muskeln ein schnelles informationsverarbeitendes System. Durch den Besitz eines Nervensystems unterscheidet sich der größte Teil der Tiere von den Pflanzen. Unter den vielzelligen Tieren fehlt es nur bei den Schwämmen. Man kann sagen, dass das Nervensystem das Organsystem ist, das einen vielzelligen Organismus erst zum »typischen« Tier macht. Das Nervensystem enthält Nervenzellen und Gliazellen. Die Nervenzellen oder Neurone sind für die Aufnahme, Weiterleitung und Verarbeitung von Informationen zuständig. Die Gliazellen bilden eine Isolationsschicht um Nervenzellen, sorgen für eine gleich bleibende Zusammensetzung der Zwischenzellflüssigkeit, dienen als mechanische Stützelemente und übernehmen zahlreiche weitere Aufgaben, z. B. während der Entwicklung des Nervensystems. Das Gehirn des Menschen besitzt etwa 100 Milliarden Nervenzellen und 10- bis 50-mal so viele Gliazellen. Zusammen bilden sie das mit Abstand komplexeste Organsystem des Menschen. Aufgabe der Neurobiologie ist es, den Aufbau und die Arbeitsweise der verschiedenen Nervensysteme im Tierreich zu verstehen und herauszufinden, wie beispielsweise das Gehirn Lernvorgänge steuert, Erinnerungen abruft oder Gefühle erzeugt. ENTWIC KLU NGSB IOLOGI E EVOLUTION 1 Bau und Funktion von Nervenzellen 1.1 Bau einer typischen Nervenzelle Nervenzellen können sehr unterschiedlich aussehen (Abb. 196.1). Bei den meisten Nervenzellen kann man drei Bereiche unterscheiden: Der Zellkörper enthält den Zellkern und wichtige Organellen. Er sorgt vor allem für den Stoffwechsel und für die Synthese der von der Zelle benötigten Makromoleküle. Die Dendriten sind kurze, meist stark verästelte Fortsätze. Über sie empfängt das Neuron Informationen. Das Axon ist ein langer, verzweigter oder unverzweigter Fortsatz, der Informationen aktiv über große Entfernungen weiterleitet und an seinem Ende an andere Zellen übermittelt. Der Aufbau eines Neurons lässt sich am Beispiel einer motorischen Nervenzelle des Rückenmarks (a-Motoneuron) beschreiben (Abb. 197.2 und 197.3). Sie steuert die Kontraktion von Skelettmuskeln. Der Durchmesser des Zellkörpers eines a-Motoneurons beträgt bis zu 0,25 mm. Das Axon kann sehr lang sein, beim Menschen über 1 m, z. B. vom Rückenmark zum Fuß. Die Axone im peripheren Teil des Nervensystems (s. 5.2.3) sind bei Wirbeltieren oft von bestimmten Gliazellen, den Schwann- Abb. 197.2: Isolierte motorische Nervenzelle aus dem Rückenmark des Rindes (Vergrößerung 200fach) aus einem mit Methylenblau gefärbten Quetschpräparat. Dendrit Zellkern Kern der Schwannschen Zelle Axon Plasmareste Axon Axon Dendriten Axone zweier anderer Nervenzellen Zellkörper Markscheide um Axon Axon IMMU N B IOLOGI E GENETIK N E U R O B I O LO G I E schen Zellen, umgeben. Solche Wirbeltieraxone sind von vielen hintereinander liegenden Schwannschen Zellen umhüllt. Diese wickeln sich während der Embryonalzeit mehrmals um die Axone, sodass eine Hülle von lamellenartigem Aufbau entsteht. Man bezeichnet diese als Myelinscheide oder Schwannsche Scheide (Abb. 197.1 und 197.3). An den Stellen, wo zwei Schwannsche Zellen zusammentreffen, liegt die Axonmembran über eine kurze Strecke frei. Diese freien Abschnitte tragen nach ihrem Entdecker die Bezeichnung Ranviersche Schnürringe, weil sie im Lichtmikroskop als Einschnürungen der Myelinscheide erkennbar sind. Myelinscheiden gibt es nur bei Wirbeltieren und auch dort nur bei etwa der Hälfte aller Axone. Im Zentralnervensystem (s. 5.2) werden die Myelinscheiden von einer anderen Art Gliazellen gebildet. Ein Bündel parallel laufender Axone bezeichnet man als Nerv. Die zahlreichen Berührungsstellen zwischen zusammengeschalteten Nervenzellen sowie zwischen Nervenzellen und Muskelfasern oder Drüsenzellen heißen Synapsen. Sie übertragen Informationen von einer Zelle auf die andere. Eine einzelne Nervenzelle kann bis zu 150 000 Synapsen aufweisen. Dendriten Dendriten Entwicklung der Markscheide während der Embryonalzeit: die Schwannsche Zelle umwickelt das Axon Synapse Markscheide Ranvierscher Schnürring Zellkörper Dendriten Zellkörper a) Axon Zellkörper Synapse Muskelfasern b) Axon Axon Axon c) d) Abb. 196.1: Verschieden gebaute Nervenzellen. a) Gefärbte Nervenzelle im Gehirn der Maus; b) und c) Nervenzellen mit wenigen Dendriten; d) Nervenzelle mit vielen, stark verzweigten Dendriten, die die Aufnahme von Informationen von zahlreichen Nervenzellen ermöglichen (b bis d schematisch). 196 motorische Endplatte Zellkörper Abb. 197.1: Teil eines Querschnitts durch einen Nerv mit drei Axonen mit Myelinscheide. Am mittleren Axon erkennt man sowohl im Inneren als auch im Äußeren Plasmareste der Schwannschen Zelle, welche die Myelinscheide hervorgebracht hat. Links unten ist ein Axon ohne Myelinscheide zu sehen, das in eine Schwannsche Zelle eingesenkt ist. Abb. 197.3: Motoneuron des Rückenmarks, schematisch. Der Durchmesser des Axons beträgt 5 bis 20 mm. Die roten Pfeile zeigen die Richtung des Erregungsflusses an. Aus dem Axon ist in der Mitte ein etwa 70 cm langes Stück herausgeschnitten. Bei dem gewählten Maßstab (1 : 60) wären das etwa 40 m. 197 N EU ROBIOLOGI E N EU ROBIOLOGI E S TO F F W E C H S E L + E N E R G I E H A U S H A LT Ö KO LO G I E Bau und Funktion von Nervenzellen