Forschungsverbund „Desintegrationsprozesse – Stärkung von Integrationspotenzialen einer modernen Gesellschaft“ Projekt 11 Integration und Assimilation im Milieu des Fußballsports Prof. Dr. Hans-Georg Soeffner Dr. Dariuš Zifonun Andreas Göttlich Anna Rain Abschlussbericht Prof. Dr. Hans-Georg Soeffner Universität Konstanz Universitätsstraße 10 Postfach 5560, D 35 78457 Konstanz Tel: 07531/88-2344 [email protected] Integration und Assimilation im Fußballsport 1. 308 Kurze Zusammenfassung der zentralen Fragestellungen und Hypothesen des Projekts und Ausweis des inhaltlichen Bezugs zur Desintegrationsproblematik Das Projekt befasst sich mit der Interaktion zwischen Migranten und autochtoner Bevölkerung im Milieu des Fußballsports. Es fragt danach, mit welchen Deutungsmuster und Handlungspraktiken die beteiligten Akteure dem Kontaktzwang in dieser sozialen Welt begegnen und welche Formen der Integration sich dabei ausbilden. Dem Projekt liegen folgende Annahmen zugrunde: Erstens geht es davon aus, dass sich im interkulturellen Kontakt unterschiedliche Formen der Eingliederung herausbilden. Ziel der Forschung ist es, das Spektrum dieser Eingliederungstypen in einer Typologie zu erfassen und zu ermitteln, wo sich Integrationspotenziale finden, durch deren Stärkung gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen entgegengewirkt werden kann. Zweitens geht das Projekt von der Hypothese aus, dass Prozesse, die einerseits zu Integration führen, gleichzeitig desintegrierend wirken können. So kann beispielsweise die Einbindung in einen ethnischen Fußballverein oder Fanclub die Bindung an den Stadtteil verringern und einher gehen mit politischer Apathie. Ein weiteres Beispiel wäre die gewaltvermittelte Binnenintegration von Gruppen, die im Falle von Fußballmannschaften zum Ausschluss aus der Liga führen kann und bei Fangruppen die Zerstörung von anderen Beziehungszusammenhängen (Familie, Freunde, Cliquen) zur Folge haben kann. Forschungsleitend ist drittens die Annahme, dass unterschiedliche Einbindungstypen auf Seiten der Einheimischen als Reaktionen auf die Wahrnehmung von gesellschaftlicher Desintegration, De-Nationalisierung und kultureller Heterogenisierung im Zuge von Migationsbewegungen gesehen werden kann. Solche Sichtweisen sind in Deutschland seit den 60er Jahren zu verzeichnen. Auf Seiten der Migranten drücken sich in den Einbindungsbemühungen der Verlust gewohnter lebensweltlicher Bezüge und das Bestreben solche wiederherzustellen aus. Erfahrungen von kultureller Differenz und Stigmatisierung können als Antrieb zur Ausbildung unterschiedlicher Integrations- oder Segregationsformen interpretiert werden. Viertens geht das Projekt davon aus, dass im Fußball Gruppenbildung sowohl vorausgesetzt als auch gefördert wird. Fußball schafft sowohl bei denen, die ihn betreiben, als auch bei den Anhängern von Mannschaften und Vereinen Gefühle der Zugehörigkeit und Anerkennung. Er fördert und kanalisiert Gefühle nach innen genauso wie nach außen zum Gegner. Er kann sie anheizen und zum (scheinbar unkontrollierten) Ausbruch kommen lassen. Wie in kaum einem anderen sozialen Bereich treffen in Deutschland im Fußball Deutsche und Einwanderer aufeinander, sei es als Angehörige oder Anhänger unterschiedlicher Vereine oder Fangruppen oder auch als Mitglieder derselben Gruppe. Als gemeinsame Form bildet Sport den Rahmen für (geregelten) Konflikt und ist offen für unterschiedliche Auslegungen, Sinnzuschreibungen und Ausführungsformen. Das Projekt fasst Integration und Desintegration damit als aufeinander bezogene Prozesse auf, die in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit zu analysieren sind. 2. Kurze Darstellung der methodischen Grundlagen des Projekts Das Projekt ist in methodologischer Hinsicht in der hermeneutischen Wissenssoziologie beheimatet (vgl. Soeffner 1989, Hitzler/Reichertz/Schröer 1999. Diese Theorietradition sieht Gesellschaft als von den sozialen Akteuren in Interaktionsprozessen fortlaufend konstruiert an (vgl. Berger/Luckmann 1980). Die Handelnden bedienen sich dafür gesellschaftlicher Wissensbestände, die sie zur Lösung ihrer Handlungsprobleme aufgreifen, modifizieren, Integration und Assimilation im Fußballsport 309 verwerfen und erneuern. Die Handlungs- und Deutungsmuster, nach denen das Projekt fragt, werden in diesem Sinne als Lösungen für Probleme interpretiert, denen in Akteure in der Fußballwelt begegnen. In methodischer Hinsicht folgt aus diesen Grundannahmen, dass diese sozialen Konstruktionen am besten mittels qualitativer Fallstudien rekonstruiert werden können (vgl. Soeffner/Hitzler 1993). Bei der Datenerhebung bedient sich das Projekt der ethnographischen Methode der teilnehmenden Beobachtung von Interaktionsprozessen und räumlichen Milieus. Die Daten werden – soweit möglich – technisch aufgezeichnet (Audio- oder Videoaufnahmen) und in Feldnotizen protokolliert (vgl. Strauss 1994, Knoblauch 2001). Für die Ermittlung biographischer und historischer Daten werden mit den unmittelbar betroffenen Akteuren fokussierte bzw. narrative Interviews durchgeführt (zu den Interviewtypen vgl. Hopf 2000). Strukturdaten der Fußballwelt werden aus amtlichen Quellen, Dokumenten der Verbände, der vorliegenden Fachliteratur und durch Experteninterviews erhoben. Ergänzend wird eine Presseauswertung durchgeführt, um aktuelle Prozesse und ‚Diskurse’ innerhalb der sozialen Teilwelten und ihre öffentliche Bewertung ‚von außen’ genauer zu erfassen. Bei der Datenauswertung bedient sich das Projekt einer Kombination hermeneutischer Verfahren. Der Methodenmix basiert jedoch auf einer einheitlichen methodologischen und theoretischen Konzeption. Die Analyse zielt in allen Fällen auf die Ermittlung der zugrunde liegenden Sinnstrukturen (Deutungs- und Handlungsmuster) und der in sie eingelassenen Strukturprobleme sowie auf die kontrastive Analyse der Ergebnisse und auf deren typologische Zuspitzung. Für die Interpretation größerer Mengen (nicht nur) ethnographischer Daten und für die systematische Fallauswahl dient die von Anselm Strauss entwickelte grounded theory (Glaser/Strauss 1967, Strauss 1994). Ziel dieser Methodologie und Methodik ist es, durch ein dreistufiges Kodierverfahren (offenes, axiales, selektives Kodieren) innerhalb eines Datenkorpus’ Schlüsselkategorien zu identifizieren, um die herum eine empirisch begründete Fallinterpretation formuliert werden kann. Die Auswahl der zu interpretierenden Daten ergibt sich gemäß der Prinzipien des theoretical sampling sukzessive aus dem laufenden Erhebungs- und Analyseprozess (vgl. Strauss/Corbin 1996). Leitend ist dabei das Ziel, andersartige, in vorherigen Interpretationen nicht hervorgetretene Sinndeutungen zu identifizieren und zu interpretieren, um durch diese Kontrastierung das Spektrum der relevanten Deutungen zu ermitteln und letztlich zu einer Typologie zu gelangen. Für die im Rahmen der grounded theory notwendigen Detailinterpretationen von Schlüsselstellen wird das Verfahren der Sequenzanalyse herangezogen (vgl. Oevermann et al. 1979, Soeffner 1989, Soeffner/Hitzler 1993). Bei der Sequenzanalyse handelt es sich um eine Schritt-für-Schritt(Wort für Wort-) Rekonstruktion des Sinngehaltes von Daten: Handlungs- und Deutungssinn entwickelt sich (vgl. auch die Analyse von ‚Um-zu-’ und ‚Weil-Motiven’ bei Schütz (2004: 195ff.) und Schütz/Luckmann (2003: 471ff.)) als Abfolge von Selektionen aus einem zunächst offenen Spektrum möglichen Sinns. Die Sequenzanalyse erlaubt somit die detaillierte Rekonstruktion des Prozesses der Sinngenese. Anhand ausgewählter Schlüsselstellen können so Strukturhypothesen über den Sinngehalt einer Äußerung oder Handlung formuliert werden. Diese Hypothesen werden, immer wieder kontrastiv, anhand der restlichen Daten überprüft. Schließlich kommt das Verfahren der dichten Beschreibung zum Einsatz (Geertz 1987). Es handelt sich dabei weniger um eine Interpretationsmethode, als vielmehr um eine Form der Vertextung ethnographischer Daten, die es dem Feldforscher ermöglicht, jenseits ethnographischer Beobachtungsprotokolle das Datenmaterial in ausgedeuteter Form (eben dicht beschrieben) darzustellen. Integration und Assimilation im Fußballsport 310 Insgesamt wurden mehr als 40 Dokumente der Sportverbände analysiert, 40 Interviews geführt, bei mehr als 150 Spielen bzw. sonstigen Fußballveranstaltungen teilnehmende Beobachtungen durchgeführt (rund 20 davon wurden auf Video aufgezeichnet) und 20 Spiele als Schiedsrichter geleitet. Während des gesamten Forschungszeitraums wurden zudem regelmäßige Interpretationssitzungen der Arbeitsgruppe und Projektpräsentationen im Forschungskolloquium des Projektleiters durchgeführt. 3. Zentrale wissenschaftliche Ergebnisse der Untersuchung Das Projekt hat auf drei Ebenen wissenschaftliche Ergebnisse erbracht: Auf der Ebene der Einzelfälle, der Typenbildung und der Theorie- und Methodenentwicklung. 3.1 Ergebnisse der Einzelfallstudien Es wurden Einzelfallstudien in insgesamt neun Untersuchungsbereichen durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst werden. 1. ‚Ethnischer’ Verein: FC Hochstätt Türkspor Der FC Hochstätt Türkspor ist ein lokaler türkischer Fußballverein. Gegründet wurde er 1993 von Einwanderern der ersten Generation. Folgende Merkmale sind charakteristisch für diesen Untersuchungsfall: • Die Dominanz der türkischen Sprache: Im Gegensatz zu den oftmals behaupteten Sprachproblemen mit dem Türkischen in der zweiten Generation, konnten wir feststellen, dass diese sehr gutes Türkisch sprechen, in das aber typische Begriffe und Redewendungen der deutschen Fußballsprache eingebaut werden. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: takımımız aufsteigen eder“ – „unsere Mannschaft wird aufsteigen“. • Ein sehr höflicher Umgangston: Gerade zwischen den Generationen, was sich insbesondere an der Verwendung von Anredeausdrücken zeigt (bspw. „Kleiner Bruder“, „älterer Bruder“, „Herren“, „mein Lehrer“). • Die Aufgabe und Ablehnung von als ‚typisch türkisch’ identifizierten Handlungsmustern im Fußball. Das betrifft sowohl die völlige Unterwerfung der Jüngeren unter die Älteren („Diener“) als auch das verächtlich machen von türkischen Fußballidealen („Kümmelgetümmel“, eine überharte Spielweise etc.). • Die Übernahme typischer Deutungs- und Handlungsmuster des Fußballmilieus (z.B. in Mannschaftssitzungen: „Kämpfen bis zum Umfallen, aber fair“, „nicht gut vorbereitet“, „jeder agiert für sich selbst“, „in die Landesliga aufsteigen“, „grottenschlechte Schiedsrichter“). • Der Verein als Knotenpunkt im Mannheimer türkischen Migrantenmilieu und als Heiratsmarkt: Türkische Geschäftsmänner engagieren sich finanziell und in der Organisation des Vereins, der Verein bietet ihnen die Möglichkeit des Prestigeerwerbs und der Statusaufwertung. Der Verein bringt die türkischen Migranten aus dem Stadtteil Hochstätt zusammen ohne Rücksicht auf deren politische oder religiöse Orientierung, deren ethnokulturelle oder regionale Herkunft und Bildungs- oder Sozialstatus. Er fungiert als Heiratsmarkt über diese, die türkische Gesellschaft (in der Türkei) durchziehenden Barrieren hinweg. Im untersuchten Verein zeigt sich damit eine Form ethnische Selbstorganisation, die ‚türkisch’ in neuem Sinne ist: sie entspricht keiner innertürkisch spezifischen lokalen Kultur, sondern ist Ausdruck einer türkischen Migrantenkultur. Besonders bemerkenswert ist, dass sie Integration und Assimilation im Fußballsport 311 einerseits türkischer ist als in der Türkei: sie basiert nicht auf einer lokalen türkischen Kultur, sondern auf türkischer Mainstreamkultur, wie sie so in Reinform in der Türkei nicht vorkommt. Gleichzeitig ist sie aber durchzogen von den in Deutschland erworbenen und deutsch gefärbten Deutungs- und Handlungsmustern der Fußballwelt. Neben den genannten Elementen interner Gruppenformierung ermöglicht der Verein eine Grenzziehung nach außen und die Etablierung eines geregelten Kontaktes zur deutschen Mehrheitsgesellschaft. Das wird erkennbar z.B. bei Spielen: man kennt sich, begrüßt sich, bewegt sich sicher auf fremden Plätzen, wird mit Respekt behandelt. Nach dem Spiel unterhält man sich miteinander über Schiedsrichterentscheidungen, über die mangelhafte Pflege der Sportanlagen durch die Stadt Mannheim u.ä. Auch in die Interaktion mit dem Verband verläuft in geregelten Bahnen: man stellt Schiedsrichter, man geht zur Geschäftsstelle des Fußballkreises, wenn es Probleme zu diskutieren gilt, hält sich an die Vorgaben des Verbandes, unterhält sich mit Verbandsvertretern, wenn diese zu Spielen kommen, entschuldigt sich bei Konflikten etc. Die Türken der Hochstätt haben zusammengefasst keinen reinen Fußballverein gegründet, sondern einen der neben der Ermöglichung fußballerischer Aktivitäten auch eine ganze Reihe anderer Funktionen erfüllen soll: die Sozialisation junger türkischer Männer (die als bedroht wahrgenommen werden: „die wissen nicht, wo sie hingehören“, „die wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen“, „die haben es verdammt schwer hier“), die Gemeindebildung in der Fremde, die lokale Verortung in der Mannheimer Stadtgesellschaft und die Teilhabe am türkischen Migrantenmilieu in Mannheim. Der Verein wird von ihnen als Mittel der Integration im Sinne einer Binnenintegration in die deutsche Gesellschaft als gleichberechtigte Gruppe verstanden. Entsprechend erscheint der Verein und der Zusammenhalt hier als Selbstzweck, er wird nicht in Bezug auf etwas übergeordnetes legitimiert oder transzendiert. Der Verein verfügt nur über eine ‚flache’ Allerweltsphilosophie, wird nicht etwa durch eine türkisch nationalistische Ideologie oder religiösen Extremismus überwölbt. Intern werden zwar alle symbolischen Orintierungen zugelassen, keine von ihnen darf jedoch einen Alleinanspruch reklamieren. Die Vermeidung von internen Konflikten ist entscheidend, weshalb Politik und Religion nicht thematisiert und Streitigkeiten sofort unterbunden werden. Nach außen kann man sich dadurch als geschlossene Einheit darstellen und den eigenen Platz in der Gesellschaft (hier der Fußballwelt) einfordern. Sportlicher Erfolg ist damit für den Verein eine zwiespältige Sache. Einerseits will man ihn, er ist Selbstzweck des Spiels und wichtig, wenn man sich nach außen darstellen und eine respektable Position erlangen möchte. Andererseits drohen mit sportlichem Erfolg die anderen Vereinsziele in den Hintergrund zu geraten, müssen dem Sport andere Ziele untergeordnet werden. 2. Städtischer ‚gemischter’ Verein: SpVgg Sandhofen 03 Die SpVgg Sandhofen 03 ist ein traditioneller Stadtteilverein im Norden Mannheim, der einige türkische Spieler in seinen Reihen zählt. Hinsichtlich ethnischer Selbst- und Fremdzuschreibungen ist das Bild hier uneindeutig: Einerseits spielt im Verein Ethnizität in vielen Situationen und Kontexten keine Rolle. D.h. mit Blick auf unsere Ausgangsfrage: „Mit welchen Deutungsmustern und Handlungspraktiken begegnen Deutsche und Migranten dem interkulturellen Kontakt im Milieu des Fußballsports?“: Nicht jeder Kontakt wird als interkultureller Kontakt kodiert. Integration und Assimilation im Fußballsport 312 Gerade im sportlichen Alltag, im Training, beim Aufwärmen, bei Mannschaftsbesprechungen, im Spiel ist Ethnizität irrelevant. Es herrscht eine Dominanz der Fußballkultur mit ihren Relevanzen und Regeln. Dies erklärt, dass es Migranten möglich ist, in der Mannschaftshierarchie hohe Positionen einzunehmen, wie etwa der Spieler E., der Mannschaftskapitän ist und auch in der informellen Rangordnung weit oben rangiert. Andererseits haben die türkischen Spieler der SpVgg Sandhofen kaum eigene Kontrolle über ihre ethnische Typisierung als Türken. Die Zuschreibungsmacht liegt hier bei der deutschen Seite. Man muss sich als „unser Türke“ bezeichnen lassen, sich anhören man sei „anders als die anderen Türken“, kein „typischer Türke“ oder sich ethnisierte Späße anhören: „Hast du zu viel Döner gegessen?“ etc. Oder es wird beispielsweise von den türkischen Spielern der SpVgg Sandhofen erwartet, dass sie zum „Kabinenfest“, das den Zusammenhalt der Mannschaft stärken soll, türkisches Essen und Musik mitbringen. Sie müssen sich also dem deutschen Klischee türkischer Kultur fügen. Eine Vielzahl türkischer Spieler bevorzugt Vereine wie die SpVgg Sandhofen und hat kein Interesse, in ethnischen Vereinen zu spielen. Sie sind dann allerdings neben vielfältigen Situationen der ethnischen Stereotypisierung auch dem Zwang zur Teilhabe an deutschen Praktiken ausgeliefert. Hier spielt bei der SpVgg Sandhofen insbesondere die ausgeprägte Vereinkultur eine zentrale Rolle: Der Teilhabe an ‚deutschen’ Formen der Geselligkeit (Gesänge, Stammtisch, Alkoholkonsum) können sich die Spieler nur schwer entziehen. Türkische Spieler, die dies versuchen, werden ausgegrenzt, wie im Untersuchungsfall am Beispiel des Spielers S. deutlich wurde. Neben der Orientierung an den Relevanzen der Fußballwelt und der Vereinskultur ist der Stadtteil von zentraler integrativer Bedeutung. Der Verein definiert sich stark als Sandhofener Verein. Er bemüht sich, Spieler aus dem Stadtteil zu rekrutieren und langfristig an sich zu binden, engagiert sich in stadtteilhistorischen Aktivitäten und ist im sozialen Leben des Stadtteils präsent. Der Verein wird getragen von einer Gruppe alteingesessener Familien, die seit langer Zeit miteinander verbunden sind. Migranten haben bisher noch keine Positionen in die Vereinsorganisation gewinnen können. Aber auch für Spieler von außerhalb, egal ob sie Deutsche oder Migranten sind, ist es schwer, sich im Verein zu etablieren. 3. Ländlicher ‚gemischter’ Verein: SG Hohensachsen Der untersuchte Verein befindet sich in einer Gemeinde, die ihre dörfliche Autonomie im Zuge der Eingemeindung in ein Mittelzentrum verloren hat. Heute stellt der Ort für einen großen Teil der Bevölkerung weder deren Lebenszentrum dar, noch erfüllt er umfassend die sozialen Funktionen einer Gemeinde. Bei der alteingesessenen Bevölkerung entwickelten sich als Folge des Autonomie- und Funktionsverlustes der Gemeinde und des Zuzuges von Neubürgern Gefühle der Identitätsbedrohung und der Marginalisierung. Diesen Personen dient die SG Hohensachsen als Rückzugsraum vor den Anderen und Fremden (Neubürger, Stadtbewohner), die als Eindringlinge und Bedrohung erfahren werden. Im Lokalderby mit dem Nachbardorf bietet sich die seltene Chance, dörfliche Identität darzustellen und diese auf traditionelle Weise zu refigurieren, indem der dörfliche Habitus ausgelebt wird, der sich beim Spiel in Form einer rohen und aggressiven Spielweise und im derben persönlichen Umgang Ausdruck verleiht. Als besonders prekär erweist sich dabei die Position des Schiedsrichters. Wenn dieser sich an den gleichen Handlungsmustern orientiert – aggressiv, maskulin, ‚bodenständig’, hart und autoritär auftritt – wird ihm Regelungskompetenz zugebilligt. Tut er dies nicht (erwartet er Integration und Assimilation im Fußballsport 313 Selbstbeherrschung, Fähigkeit zu Ironie und Distanz, Spaß am Sport; erwartet er, schlicht als Autorität qua Amt akzeptiert zu werden), wird er als Repräsentant einer fremden Ordnung verstanden, der prinzipiell das Dorf benachteiligt. Er wird herabgewürdigt, bedroht, unter Druck gesetzt, man zahlt ihm symbolisch heim, was man tagtäglich als Erniedrigung erfährt. Dieser Vereinstypus ist dazu in der Lage, eine kleine Zahl assimilationsbereiter Migranten aufzunehmen, die sich mit subalternen Positionen begnügen. 4. Die Welt der Schiedsrichter Die Welt der Schiedsrichter liegt quer zu den genannten Fußballmilieus. Schiedsrichter werden zwar von den Vereinen gestellt, sind jedoch unabhängige Regulierungsinstanz. Ihr Milieu verfügt über eine eigene Regel- und Normstruktur, die stark männerbündisch und kameradschaftlich orientiert ist. Weder die Integration von Frauen noch die von männlichen Migranten in dieses Milieu ist weit fortgeschritten. In ihrer Selbstwahrnehmung sind Schiedsrichter ‚die Macht’, sie verfügen über eine hohe Selbstbewertung, sowohl was ihr Leistungsvermögen, als auch was ihre Bedeutung betrifft. Funktionäre und Ausbilder der Schiedsrichtervereinigung bemühen sich, ihren Kollegen ein Image des Schiedsrichters als ‚Amtscharismatiker’ zu vermitteln, der als mit umfangreichen Mitteln ausgestattete und von einer ‚Idee’ vom regelgerechten Sport beseelte Machtperson auftritt. Dabei können zwei ideale Handlungsmodelle unterschieden werden: Im ‚autoritären Modell’ spielt der Schiedsrichter seine Macht aus und stellt sich expressiv als Autorität dar. Er vermeidet verbalen Kontakt zu den Spielern und ‚lässt Karten sprechen’. Zentrale Ordnungskategorie ist ‚Disziplin’. Im ‚diskursiven Modell’ kommuniziert, erklärt, ermuntert der Schiedsrichter. Seine Sanktionsgewalt bleibt im Hintergrund. Er steuert das Spiel im Modus der ‚Fairness’. Deutlich wurde die große Bedeutung von Schiedsrichtern (und bei Veranstaltungen des LSV: ‚Teamern’) für den Verlauf von Fußballspielen. Das Aufkommen einer aggressiven Stimmung sowohl unter den Spielern als auch unter den Fans hängt stark von der Spielleitung durch den Unparteiischen ab. So sind Schiedsrichter oftmals selbst Verursacher von Konfliktsituationen, derer sie in der Folge nicht mehr Herr zu werden in der Lage sind. Dies geschieht insbesondere, wenn Schiedsrichter sich der Spielsituation und den Mannschaften nicht anpassen, sondern umgekehrt versuchen, das Spiel ihrer Regelauslegung zu unterwerfen. In solchen Fällen schlägt das ‚Charisma der Macht’ um in das ‚Stigma des Machtmissbrauchs’. Andererseits impliziert die Position des Schiedsrichters als neutraler Autorität ein Integrationspotenzial, das bisher nicht ausgeschöpft wurde (s. dazu unten die Ausführungen zum Thema ‚Integrationspotenziale’). 5. Schulsport: Uhland-Hauptschule und Integrierte Gesamtschule Mannheim Im Bereich des Schulsports ist die besondere Bedeutung einer sportiven Selbstemblematisierung der Jugendlichen, insbesondere mit Fußballtrikots, für die Zugehörigkeit zum Fußballmilieu und die Anerkennung durch die Gruppe auffällig. Die Emblematisierung mit internationalen Trikots aktueller Fußballikonen (z.B. das brasilianische Nationaltrikot des Spielers Ronaldo oder das Madrider Vereinstrikot des Spielers Zidane) befördert zudem die transkulturelle Integration. Diese sowie sich überkreuzende Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Gruppen (Schulklasse, Klassenstufe, Nationalität, abhängig von der Spielstärke etc.) scheinen zu einer Dämpfung von Konfliktpotentialen beizutragen. Die für den Umgang zwischen männlichen Jugendlichen typische Hänseleien und Beschimpfungen rekurrieren nur in Ausnahmefällen auf ethnische Kategorien und Integration und Assimilation im Fußballsport 314 bewegen sich ansonsten im Spektrum allgemeiner Herabwürdigungsmuster. Insgesamt ist bei den untersuchten Jugendlichen eine ausgeprägte Alltagskompetenz im Umgang mit kultureller Differenz zu beobachten, die sich beispielsweise in ihrer lexikalischen, Sprachgrenzen überschreitenden Offenheit wie selbstverständlich manifestiert. Gestützt wird dies durch eine bei den Lehrern im Laufe der Jahre gewachsene Erfahrung im Umgang mit multiethnischen Gruppen (s. auch hierzu den Abschnitt ‚Integrationspotenziale). 6. Integrationsvorstellungen der Dachverbände: DSB und DFB Grundlegend für die Konstellation ist die dilemmatische Situation des Deutschen Sportbundes (DSB), der einerseits die vorbehaltlose Zusammenarbeit mit der Politik scheut, da er sich selbst in Abgrenzung zu Staat und Gesellschaft definiert. Andererseits ist der Verband angewiesen auf Zuwendungen aus der Politik sowie auf anhaltenden Mitgliederzulauf aus der Gesellschaft, um seine Größe und damit seinen gesellschaftspolitischen Einfluss aufrecht zu erhalten. Der DSB versucht dieses Problem zu lösen, indem er seine Unersetzbarkeit für das Gemeinwesen zum Ausdruck bringt, und zugleich betont, dass er sich ohne äußeren Zwang oder politischen Auftrag, allein auf der Grundlage seiner Ideale, zur Erfüllung seiner nützlichen Funktion entschlossen hat. Insofern der DSB vor diesem Hintergrund die Partnerschaft mit Politik und Gesellschaft als spezifische Form der Interessenvertretung (im Gegensatz etwa zum Lobbying) wählt, kommt es nicht von ungefähr, dass sich viele der ausgewerteten Dokumente einer Sprache bedienen, wie sie in der Werbebranche üblich ist. Dies gilt auch für diejenigen Dokumente, in denen der DSB zum Thema Integration Stellung nimmt. Integration, so der DSB, stellt einen der wesentlichen, sozial nützlichen Aspekte des Sports dar. In den Dokumenten des DSB nimmt die Behauptung, dass Sport integriere, fast schon den Status eines Allgemeinplatzes ein. Die Äußerungen sind durch ein hohes Maß an Diffusität und pathetischer Aufladung gekennzeichnet (z.B.: „Ziel ist es, bestehende Spannungen zwischen sogenannten sozialen Problemgruppen abzubauen und das Verständnis untereinander zu fördern“; „Angesichts zunehmender Vereinzelung und des Rückgangs wertevermittelnder Erziehung kommt dem Sport eine immer größere Bedeutung zu“; „Sport spricht alle Sprachen“), während über den spezifischen Modus dieser integrativen Leistung vergleichsweise wenig zu finden ist. Letztlich lassen sich in dieser Hinsicht zwei Positionen des DSB extrapolieren: 1) Die pädagogisch orientierte Annahme, dass im Sport – ‚per se’ – spezifische Werte vermittelt würden, die den Umgang miteinander erleichterten. Dieses Moment rekurriert auf Regelkenntnis und Regelanerkennung, also auf eine rationale, bewusste Ebene von Sozialität. Im Gegensatz hierzu steht 2) die Sichtweise, dass beim gemeinsamen Sporttreiben eine Art körperlicher, irrationaler Vergemeinschaftung stattfinde, die potentieller Eingliederung Vorschub leiste. Speziell die Ausführungen zu 2) sind – quantitativ wie qualitativ – beim DSB wenig ausgearbeitet. Aus soziologischer Sicht liegt die Vermutung nahe, dass die inhaltliche Unterbestimmung der behaupteten Integrationsleistung selbst eine vergemeinschaftende Funktion erfüllt. Mit der plakativen Darstellung des Integrationsvermögens des (organisierten) Sports (z.B. „Sport tut Deutschland gut“) können sich potentiell mehr Personen identifizieren als mit einer detailliert ausgearbeiteten. Insgesamt beinhalten die Integrationsvorstellungen der Spitzenverbände, gerade aufgrund des erwähnten Fehlens von schlüssigen Aussagen zum Integrationsmodus, kaum handlungsrelevante Vorgaben für die Ebene des Vereinssports. 7. Integrationskonzepte auf Landesebene: LSV Baden-Württemberg Integration und Assimilation im Fußballsport 315 Es lassen sich zwei Strukturmomente unterscheiden, an welchen die Trennlinie zwischen den offiziellen Integrationsvorstellungen des Deutschen Sportbundes (DSB) und der Landessportverbände festgemacht werden kann: Zum einen zeichnen sich die Texte der Landesebene durch einen stärkeren Praxisbezug aus, zum anderen wechselt mit dem Adressaten der Texte zugleich deren Legitimationsstrategie. Beides lässt sich beispielhaft an einem Moment verdeutlichen, das in der Selbstdarstellung des DSB eine zentrale Rolle spielt, in den Dokumenten der Landesebene jedoch in den Hintergrund rückt: der Wertebezug des Sports. Weder definieren sich die Landesverbände als Wertegemeinschaften, noch stellen sie den Aspekt der Wertevermittlung im Sport besonders heraus. Das ist einerseits durch eine vergleichsweise pragmatische Sichtweise zu erklären, welche aus Erfahrung um das ausschließende und gerade nicht integrativ wirkende Potential einer Betonung kulturspezifischer Werte weiß, und andererseits darauf zurückzuführen, dass die Landesverbände dem eigenen Dachverband gegenüber ihre moralische Integrität nicht unter Beweis zu stellen haben, sondern vielmehr ihre finanziellen Ansprüche durch den Verweis auf konkrete Erfolge ihrer Integrationsmaßnahmen vor Ort legitimieren müssen. Für die Theorieebene bedeutet dieser empirische Befund, dass die Rede von einer „Integrationsideologie“, wie sie für den DSB zutrifft, nicht ohne weiteres auf die Landesverbände übertragen werden kann. Nach der gewählten Definition bezeichnet „Ideologie“ 1) eine von einer sozialen Gruppe geteilte Wirklichkeitsbestimmung, welche 2) von einer sozialen Elite typischerweise praxisfern ausformuliert wird und 3) zum Zwecke der internen wie externen Legitimierung und somit der Durchsetzung gesellschaftspolitischer Machtinteressen 4) die Realität auf eine spezifische, eigene Art und Weise widerspiegelt. Offenbar treffen die Aspekte 2) und 3) dieser Definition bloß bedingt auf die LSVe zu, so dass hier – mit Hinblick auf die durchaus bestehenden Gemeinsamkeiten mit dem DSB besser von „ideologischen Zügen“ in den Integrationsvorstellungen zu sprechen ist. 8. Integrationspolitik auf lokaler Ebene: ‚Modellprojekt Mannheim’ Die vom LSV Baden-Württemberg initiierte Etablierung eines Mannheimer Modellprojekts ‚Integration durch Sport’ stößt auf Probleme. Verantwortlich dafür sind die unterschiedlichen Interessen und Orientierungen der Akteure (städtische Dienststellen, Polizei, LSV, Caritas, Sportverband etc.). So lassen sich das Interesse an Kriminalprävention, sozialer Integration, Ressourcenbeschaffung und Rekrutierung von Sportlern nicht einfach im Rahmen der selben Maßnahmen konzipieren, geschweige denn verwirklichen. Ausgeprägte Besitzstandswahrungsinteressen und divergierende Situationseinschätzungen erschweren zudem bei den beteiligten städtischen und parastaatlichen Institutionen die Einsicht in die Notwendigkeit neuer Maßnahmen. Gemeinsam ist diesen Akteuren jedoch die Ablehnung ethnischer Vereine, die insgesamt als integrationshemmend erachtet werden. Zudem ist ein geringer Wirkungsgrad dieser Integrationsförderungsmaßnahmen zu konstatieren. Hauptgrund dafür dürfte die Eigenständigkeit des Milieus Fußball sein, das sich gegen äußeren Zugriff sperrt. Die Handlungslogik der Akteure zielt auf die Integration in den Sport und die symbolische Integration des Milieus, nicht auf ‚Integration durch Sport’ in die Gesellschaft. Man kann bei diesem Fall insofern von „erfolgreichem Scheitern“ (Seibel 1996) sprechen, als den beteiligten Institutionen zwar einerseits – aufgrund der Steuerungsresistenz des Fußballmilieus – die Integrationsförderung weitgehend misslingt, es andererseits den korporativen Akteuren jedoch gelingt, ihre organisationale Stabilität, ihren Rang und die Ressourcenzufuhr sicherzustellen. Möglich ist dies, weil die Öffentlichkeit vor allem an einer Integration und Assimilation im Fußballsport 316 ‚symbolischen’ (Schein-)Lösung des Integrationsproblems im Fußballmilieu interessiert ist und an einer Offenlegung der Integrationsprobleme in dieser scheinbar ‚heilen Welt’ nur geringes Interesse hat. 9. Fanszenen: Hooligans und Ultras beim SV Waldhof Mannheim Die Fanszenen der Hooligans und (in wachsendem Maße auch) der Ultras werden i.d.R. mit Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit – d.h. Phänomenen der Desintegration – in Verbindung gebracht. Der journalistisch wie wissenschaftlich gestützte ‚Hooligandiskurs’ nimmt in moralisierender und skandalisierender Weise Bezug auf diese Gruppen. Gestützt auf ethnographische Feldforschungen beim SV Waldhof Mannheim vertreten wir dagegen die Auffassung, dass im Zentrum dieser Fankulturen vielmehr ein agonaler Lebensstil steht, der auf mediale Selbstinszenierung und die Darstellung von Männlichkeit zielt (vgl. auch Armstrong 1998, Kersten 2001). So ist nicht etwa die Gewaltanwendung per se Motivation oder Ziel von Hooligans, sondern die Erniedrigung und Bloßstellung des Gegners, der Gewalt nur als eines von mehreren Mitteln dient. Entsprechend wird Gewalt von Hooligan rational geplant eingesetzt sowie beschränkt und als Mittel der Herstellung von Ekstase kontrolliert eingesetzt. Hooligans interpretieren sich als aktive Teilnehmer an der Welt des Fußballsports, die das sportliche Geschehen nicht nur passiv rezipieren. Statt mediale Inszenierungen von Fußball zu konsumieren, inszenieren sie sich selbst als Akteure im ‚Drama Fußball’. Dabei handelt es sich um eine dezidiert männliche Inszenierung, die es erlaubt, ein maskulines Selbstbild in der symbolischen Sinnwelt des Sports zu generieren, das in vielen anderen Bereichen der Lebenswelt (post-)moderner Gesellschaften (so) nicht (mehr) aufrecht erhalten werden kann. Überblick Projekt 11: Integration und Assimilation im Milieu des Fußballsports Integration und Assimilation im Fußballsport 317 Leitfrage: Mit welchen Deutungsmustern und Handlungspraktiken gestalten Einheimische und Migranten ihr Aufeinandertreffen im Fußballmilieu? Generalhypothese: Im interkulturellen Kontakt etablieren sich eine Reihe unterschiedlicher Ordnungsmuster, mittels derer die Akteure ihre Interaktion im Fußballmilieu organisieren. Ziel: Ermittlung dieser ‚Eingliederungsfigurationen’, ihre Erfassung in einer Eingliederungstypologie und – darauf aufbauend – Formulierung von Vorschlägen zur Stärkung von Integrationspotenzialen. Untersuchungsort und -gegenstand: In Mannheim werden Zuschauerverhalten, aktiver Sport und außersportliches Vereinsleben untersucht. • Qualitativer Methodenmix aus Ethnographie, Grounded Theory & Sequenzanalyse; wechselseitige Ergänzung & Kontrolle quantitativer & qualitativer Forschung im Projektverbund • Projektkooperation mit P2, P4, P7, P9 • Praxiskooperation mit LSV • Verbundarbeit in der AG Methoden, im Mannheimer Verbund, bei Workshops, in der Außendarstellung • Internationale Literatur & Kooperation Verfahren Typisierungen auf der Ebene der Untersuchungsfälle bzw. –bereiche Integrationsvorstellungen des DSB und DFB ● Wertegemeinschaft (fair, gleich, gewaltfrei) schafft Integration Programm ‚Integration durch Sport‘ des LSV ‚Modellprojekt Mannheim‘ des LSV Erfolgreiches Scheitern ● Regelwerk ● Gender ● Integrationsnetzwerk ● Lokale Integrationspolitik Mobilisierung durch ‚Integration‘ ● Mobilisierung von Ressourcen durch Darstellung des sozialen Nutzens der Verbände Schulsport städtischer ‚gemischter‘ Verein ‚ethnischer‘ Verein Die Welt der Schiedsrichter ländlicher ‚gemischter‘ Verein Fanszene Emblem & Interaktion ● Jugendliche ● Gender ● Ethnizität ● Aggression Stadtteil ● Ethnizität ● Vereinskultur ● Spieler ‚S.‘ ● Spieler ‚E.’ Avancierende Fremde ● Ethnizität ● Generation ● Stadtteil ● Gewalt Charisma & Stigma ● Autoritäres Modell ● Diskursives Modell ● Konflikt & Gewalt Bedrohte Dorfgemeinschaft ● Lokale Integration ● Abgrenzung ● Gewalt ● Selbstinszenierung ● Gewalt ● Männlichkeit ● Medien Gesamtmilieu Eingliederungsfigurationen Integrationspotenziale Theorieentwicklung Methodenentwicklung ● relativ niedriges Niveau ‚expressiver‘ Gewalt ● geringe Eskalations- und Skandalisierungsneigung ● interkultureller Kontakt basiert wesentlich auf (geteilten) Stereotypen ● ‚stillschweigende‘ Integration in Schule und Verein ● Konfliktarena: Dauerkonflikt und formalisierte Stoppregeln ● Migrantenmilieu: Integration und Segregation ● Assimilationsmilieu: Hegemonie und Anerkennung ● Marginalisierungsmilieu: Partikularismus und Integrationsverweigerung ● Vor allem im Bereich des Schulsports ● Vereine ● Schiedsrichter ● Wissenssoziologische Integrationsforschung ● Soziologie sozialer Welten ● Stereotype der Interkulturalität ● Kombination hermeneutischer Verfahren ● Analysematrix Fußball ● Sport und Stil Integrationsperspektiven ● Integration als Assimilation ● Segregation, Binnenintegration und Anerkennung ● Sektorale Integration Integration und Assimilation im Fußballsport 318 Zusammenfassung Gesamtmilieu Das Mannheimer Fußballmilieu lässt sich zusammenfassend folgendermaßen charakterisieren: Insgesamt zeichnet es sich durch ein relativ niedriges Niveau ‚expressiver‘ Gewalt aus, d.h. der Einsatz von Gewalt zur Herstellung und Darstellung individueller Identität oder kollektiver Zugehörigkeit ist nicht stark ausgeprägt. Dies paart sich mit einer eher geringen Eskalations- und Skandalisierungsneigung innerhalb des Milieus: Wo es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen oder anderen Formen ‚abweichenden Verhaltens’ kommt, wird dieses von den Akteuren der Fußballwelt nicht in moralisierender Weise gegen die betroffenen Personen oder Gruppierungen gewendet, sondern in seiner Bedeutung eher verharmlost oder gar ignoriert. Kennzeichnend ist ein ausgeprägtes Harmoniestreben, gerade in ‚interethnischen’ Beziehungen. Gleichwohl basiert der ‚interkultureller’ Kontakt im Mannheimer Fußballmilieu ganz wesentlich auf (geteilten) Stereotypen. Die Mannheimer Fußballwelt ist weniger von dramatischen Desintegrationsprozessen, als vielmehr von einer ‚stillschweigenden‘ Integration (insbesondre in Schule und Verein) bestimmt. Die verbandlichen Akteure stehen der ostentativen Thematisierung von Integration eher skeptisch gegenüber, erachten individuelle Assimilation in Regelvereine als Königsweg der Integration, tolerieren und akzeptieren ethnische Binnenintegration jedoch. Das Mannheimer Fußballmilieu ließe sich mit einem Begriff als Konfliktarena bezeichnen. In ihm ist der Dauerkonflikt institutionalisiert und zugleich durch formalisierte Stoppregeln (Regelwerk des DFB, Absprachen im Fußballkreis) sowie geteilte Deutungsmuster (‚Harmonie’) begrenzt. 3.2 Typologie sozialer Welten Innerhalb des Fußballmilieus lassen sich – typologisch zugespitzt – drei soziale Welten unterscheiden, die wir als Migrantenmilieu, Assimilationsmilieu und Marginalisierungsmilieu bezeichnen. Migrantenmilieu Mit dieser Bezeichnung soll zum Ausdruck gebracht werden, dass diese soziale Welt ihren Angehörigen als Mittel zur Bewältigung der Migrationssituation und ihrer Folgen dient und zwar auf spezifische Weise: nicht durch absolute Schließung nach außen, sondern durch den Aufbau durchlässiger Grenzen. Die Grenzziehung ist einerseits Voraussetzung für die Bildung eines eigenethnischen Milieus. In Migrantenmilieus schaffen sich Einwanderer neue Institutionen (Verein als Kern der sozialen Welt), die eine interne soziale Differenzierungen mit eigenen Status- und Rangordnungen aufweisen, die zu einer Stabilisierung dieser sozialen Welt führen. In Migrantenmilieus werden überkommene Sozial- und Kulturmuster transformiert und angepasst, genauso wie neu erworbenes Wissen umgeformt und eingepasst wird. Migrantenmilieus sind nun, wie alle soziale Welten, keine statischen, geschlossenen Welten. Sie weisen über sich hinaus (vgl. Soeffner 1991: 6ff.). Ihre Angehörigen sind zugleich Mitglieder anderer sozialer Welten, denen sie ebenfalls Loyalität schulden und zu deren Gunsten sie ihr milieuspezifisches Engagement ruhen lassen oder gar beenden können. Durch solche Austauschprozesse werden die Migrantenmilieus ständig mit neuem Wissen versorgt. Migrantenmilieus können so die in den Mehrfachmitgliedschaften ihrer Mitglieder angelegte Dynamik aufgreifen und den Wandel vollziehen (sich also letztlich selbst überwinden) oder sie können auf diese zentrifugalen Kräfte mit Schließung reagieren. Im exemplarischen Fall Integration und Assimilation im Fußballsport 319 des FC Hochstätt Türkspor erscheint beides möglich. Die Mitglieder der ersten Generation gehen davon aus, dass ihre Enkel oder spätestens deren Kinder sich nicht mehr als Türken identifizieren, sondern Deutsche geworden sind. Sie verstehen ihre Arbeit in dieser Hinsicht als den Aufbau einer zukünftigen Erinnerungskultur, die es nachfolgenden Generationen ermöglichen wird, sich und anderen zu erklären, wie sie nach Deutschland gekommen und schrittweise Deutsche geworden sind. Zum zweiten würde man sich wünschen, so die Aussagen der Vorstandsmitglieder, dass die deutsche Bevölkerung aus dem Stadtteil zum Verein kämen, man beklagt sich, dass das nicht geschieht, man sei doch schließlich ein Stadtteilverein und der einzige zumal, man sei für alle „auf der Hochstätt“ offen. Schließlich sehen gerade manche unter den Jüngeren den Verein als Rückzugsraum an, den man mit einer nationalistischeren Orientierung klarer nach außen abschließen sollte. Assimilationsmilieu Im Gegensatz zum Migrantenmilieu hat das Assimilationsmilieu nicht primär die Bewältigung von Migrationsfolgen zum Gegenstand. In diesem Milieu vollzieht sich Assimilation im Sinne einer Übernahme des vorhandenen Wissensvorrates der Mehrheitsgesellschaft durch die Migranten bei gleichzeitigem Ausbleiben eines Eindringens von Wissen aus dem Wissensvorrat der Einwanderer in die Aufnahmegesellschaft. Voraussetzung für die Etablierung solcher Assimilationsmilieus ist, dass nur einer verhältnismäßig geringen Zahl von Migranten Zugang gewährt wird und dass wirksame Abwehr- und Kontrollmechanismen eingerichtet werden, die das Eindringen ‚fremden Wissens’ verhindern. Selbst in diesem Fall verändert sich jedoch der Wissensvorrat, da ihm zumindest Wissen darüber zugeführt wird, welche Formen fremden Wissens existieren und welche Migrantentypen assimilierbar sind (also: ‚das ist ein Fundamentalist’ etc.). Voraussetzung für die Teilhabe von Migranten an einem solchen Assimilationsmilieu ist die Aufgabe ethnisch-kulturell kodierten Alltagspraktiken bei gleichzeitiger Bereitschaft zur Teilhabe an deutschen Kulturstereotypen. Marginalisierungsmilieu Das Marginalisierungsmilieu kontrastiert nicht nur mit dem Migrantenmilieu, sondern auch mit dem Assimilationsmilieu. Das Marginalisierungsmilieu ist sozial dezidiert partikularistisch, so dass die kulturelle Assimilation ins Milieu einher geht mit dem sozialen Ausschluss von zentralen Stellen des Positionensystems. Assimilation zieht also nicht Integration nach sich. Im Gegensatz dazu eröffnete sich im Fall des Assimilationsmilieus durch die kulturelle Anpassung der Migranten an die universalistische Kultur der Fußballwelt auch die Möglichkeit der strukturellen Assimilation, d.h. die Übernahme von gehobenen Positionen und Funktionen in der Vereins- und Mannschaftshierarchie. Während Migrantenmilieus auf die Bewältigung von Migration zielen und Assimilationsmilieus die Irrelevanz kultureller Differenz zumindest anstreben, sind Marginalisierungsmilieus dezidiert auf den Erhalt partikularistischer, als ‚deutsch’ kodierter Kultur ausgerichtet und daher Migranten gegenüber kaum aufgeschlossen. 3.3 Theorie- und Methodenentwicklung Theorieentwicklung Integration und Assimilation im Fußballsport 320 Dem Forschungsprojekt ist es gelungen, auf der Grundlage der empirischen Forschungen Grundzüge einer wissenssoziologische Integrationsforschung und einer Soziologie sozialer Welten zu formulieren sowie einen Beitrag zur Stereotypeforschung zu leisten. Integration, zunächst ganz allgemein verstanden als Teilhabe an ‚der Gesellschaft’ und Einfügung in gesellschaftliche Ordnungen, ist dem Menschen gattungsmäßig auferlegt. Mit Berger und Luckmann muss Integration dementsprechend als umfassendes soziales Phänomen verstanden werden. Sie stellt sich keineswegs als passive Aufnahme vorgegebener Strukturen (Normen, Werte etc.) dar, sondern wird im doppelten Prozess der Externalisierung und Internalisierung von Wissen epi-prozessual mit der Konstruktion von Wirklichkeit vollzogen. Mit Berger und Luckmann kann zwischen zwei Ebenen der Integration unterschieden werden. Integration in die und innerhalb der Welt des Alltags vollziehe ich fortlaufend im Handeln: (1) Personal integriere ich mich in die Gesellschaft, indem ich dem gesellschaftlichen Wissensvorrat Lösungen für meine Probleme entnehme und mein Wissen dem gesellschaftlichen Wissensvorrat einfüge. (2) Positional integriere ich mich, indem ich soziale Rollen einnehme, die die Gesellschaft zur Verfügung stellt. (3) Sozial integriere ich mich, indem ich mein Handeln mit dem anderer – durch die Anwendung geteilten Wissens – abstimme. Symbolische Integration dagegen entzieht sich zu gutem Teil meinem persönlichen Tun. Symbolisches Wissen dient zur Erklärung und Rechtfertigung der institutionellen gesellschaftlichen Ordnung und liegt in verschiedenen Graden der Abstraktion und Reichweite vor. Auf niedriger Stufe finden sich „theoretische Postulate in rudimentärer Form“, etwa in Form von „Lebensweisheiten, Legenden und Volksmärchen“ (Berger/Luckmann 1980: 101). Darüber sind explizite Legitimationstheorien angeordnet, die einen größeren Ausschnitt der institutionellen Ordnung umfassen. Zu ihrer Formulierung etablieren sich nun eigene Expertenkreise und es entstehen eigenständige Institutionen, die dieses Wissen tradieren und verwalten. Von den vorausgegangenen Stufen lässt sich die Ebene symbolischer Sinnwelten unterscheiden. Auf ihr vollzieht sich die Integration der verschiedenen Sinnprovinzen und die Überhöhung der institutionellen Ordnung als „symbolische Totalität“ (Berger/Luckmann 1980: 102). Symbolische Integration stellt die Ereignisse im Leben des Einzelnen ebenso wie gesellschaftliche Tatsachen in den Zusammenhang einer umfassenden Ordnung: (1) Die Integration meiner Biographie, meine symbolische Sinnwelt, lässt mein Leben insgesamt sinnvoll erscheinen, meine Teilhabe an unterschiedlichen, nicht zusammengehörenden Tätigkeiten genauso wie Brüche in meinem Lebenslauf. (2) Die Integration der Gesellschaft als ganzer in ein umgreifendes Sinnsystem legitimiert soziale Unterschiede und Ungleichheiten zwischen verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft und die Existenz von Sonderwissensbeständen und institutionellen Zugangsbeschränkungen zu diesen. Die Trennung von Alltag und symbolischen Sinnwelten ist, dies muss betont werden, eine analytische. Tatsächlich erfährt der Mensch Wirklichkeit in der ‚Lebenswelt’, verstanden als „das Insgesamt von Sinnwelten“ (Honer 1999: 64). Die Lebenswelt wird vom Einzelnen nie in ihrer Totalität erfasst. Er lebt vielmehr in unterschiedlichen ‚sozialen Welten’ (Anselm Strauss) oder ‚kleinen sozialen Lebens-Welten’ (‚Small Life-Worlds’, Benita Luckmann), in Figurationen aus Alltagswelt und symbolischen Sinnwelten. Das Ensemble dieser Figurationen wird von ihm als Wirklichkeit erfahren. Bei sozialen Welten handelt es sich um „relativ dauerhafte, durch relativ stabile Routinen ‚arbeitsteilig’ abgesicherte, d.h.: ‚institutionalisierte’ Wahrnehmungs- und Handlungsräume“ (Soeffner 1991: 6), die sich als Integration und Assimilation im Fußballsport 321 verhältnismäßig eigenständige Sonderwissensbereiche darstellen. Soziale Welten sind keineswegs notwendigerweise territorial organisiert, sondern können ein hohes Maß an „geographischer Streuung“ (Strauss 1994: 194) aufweisen. Entscheidend für ihre Konstitution ist die Teilhabe ihrer Mitglieder an einem gemeinsamen Interaktionszusammenhang, nicht die Festsetzung territorialer Grenzen. An der institutionellen Ordnung der Gesellschaft teilzuhaben, bedeutet für die Individuen nicht allein, Handlungs- und Deutungsmuster zu übernehmen und im Rollenspiel der Institutionen mitzuwirken, sondern auch am affektiven Haushalt der Gesellschaft zu partizipieren. Die Integrationsbemühungen kommen dabei nie zum Abschluss. Denn zum einen geht der Einzelne nie auf in der Gesellschaft: Alltagsweltlich bleibt eine Differenz zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen subjektivem und gesellschaftlichem Wissensvorrat immer erhalten (vgl. Berger/ Luckmann 1980: 144). Zum anderen bilden symbolische Sinnwelten immer widersprüchliche Einheiten: In ihnen werden strukturelle Widersprüche symbolisch harmonisiert, aber nicht ‚aufgehoben’(vgl. Soeffner 2000b). Entsprechend ist die Spannung zwischen Integration und Desintegration kennzeichnend für menschliches Zusammenleben. Von einer ‚integrierten Gesellschaft’ zu sprechen ist letztlich eine unzulässige Verdinglichung von prinzipiell dynamischen Zuordnungsprozessen, mit der dieser Zusammenhang unsichtbar gemacht wird. Gesellschaftliche Differenzierung und Komplexitätssteigerung sind ganz wesentlich nicht nur Produkte ‚interner’ gesellschaftlicher Prozesse, sondern geprägt von ‚äußeren’, ‚globalen’ Einflüssen. Insgesamt ist die Vorstellung einer geschlossenen gesellschaftlichen ‚Binnenlage’ fragwürdig geworden. Diese Sichtweise wird zunehmend verdrängt durch eine Situation, die noch am treffendsten mit dem Begriff ‚Interkulturalität’ zu beschreiben ist (vgl. Soeffner 2000a). Frühere Epochen waren gekennzeichnet durch einen begrenzten Kontakt zwischen Kulturen, zu dessen Bewältigung, wenn es nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen kam, ein klar definiertes, rituelles Kontaktwissen (insbesondere in Form des Gastrechts) existierte. Der weltumspannende Zusammenschluss von Medien und Verkehrsmitteln, der internationale ‚Umschlag’ von Massenwaren und Massentouristen durch übernationale Konzerne, die Bildung supranationaler politischer Organisationen und Zusammenschlüsse, die weltweite Standardisierung der Fertigungs- und Verwaltungstechniken und schließlich die globale Arbeits- und Elendsmigration haben die universellen Kontaktmöglichkeiten in einen universellen, permanenten Kontaktzwang zwischen den Kulturen überführt, der vielfältige Folgen zeitigt. Als Reaktion auf diesen Kontaktzwang haben sich die unterschiedlichsten Formen der Interkulturalität ausgebildet. Alfred Schütz ging davon aus, dass – aus der Perspektive des ‚normalen’ Alltagshandelnden – im menschlichen Leben vier Grundannahmen in aller Regel Gültigkeit besitzen: dass alles bleibt, wie es ist; dass wir uns auf das überlieferte Wissen verlassen können; dass Wissen über den allgemeinen Typus von Ereignissen ausreichend ist; schließlich, dass ein von allen geteiltes Allgemeinwissen existiert, das die zuvor genannten Grundannahmen einschließt (vgl. Schütz 1972: 58f.). Schütz sah die Lage des Fremden dadurch definiert, dass diese vier Grundannahmen für diesen als ‚Außenseiter’ keine Gültigkeit besitzen. ‚Interkulturelle’ Gesellschaften scheinen nun aber das Schützsche Konzept zu sprengen und geradezu durch eine „Generalisierung der Fremdheit“ (Hahn 1994: 162) gekennzeichnet zu sein: der Bestand an gemeinsamem Wissen, mit dessen Hilfe Interaktion routinemäßig bewältigt werden könnte, wird für alle Gesellschaftsmitglieder zunehmend prekär; es treten vermehrt ‚Wissensasymmetrien’ auf, deren Überwindung sich zusehends schwierig gestaltet (vgl. Günthner/Luckmann 2002); es kommt zu einer Ausdehnung der Zonen, über die ich nichts Integration und Assimilation im Fußballsport 322 weiß, bei gleichzeitig gegebenen (oder zumindest potentiellen) vielfältigen Abhängigkeiten und Verflechtungen; ich suche immer öfter vergebens im gesellschaftlichen Wissensvorrat nach Lösungen für meine Probleme und finde dabei widersprüchliche Lösungen. Als Reaktion auf die dadurch ausgelösten Desintegrationserfahrungen haben sich innerhalb und an den Rändern sozialer Welten vielfältige alltagsweltliche und symbolische Ordnungsmuster und personale Bewältigungsstrategien entwickelt, die in unterschiedlichen Graden der Öffnung und Schließung die Probleme der Integration neu formulieren und bisweilen auch schon beantworten. Die Mitglieder – idealtypisch gefasster – weithin vergangener ‚einfacher’ Gesellschaften bewohnten eine einzige solche ‚soziale Welt’, mit einem gemeinsamen Relevanzsystem und geteiltem Wissen. Moderne Gesellschaften dagegen gliedern sich in eine Vielzahl von verselbständigten sozialen Welten, in deren Zentrum zumeist eine Tätigkeit oder soziale Rolle steht. „Instead of being a full-time member of one ‚total and whole’ society, modern man is a part-time citizen in a variety of part-time societies. Instead of living within one meaningful world system to which he owes complete loyalty he now lives in many differently structured ‚worlds’ to each of which he owes only partly allegiance” (Luckmann 1978: 282). Meist wählen Menschen eine soziale Welt aus als „nucleus around which his other life-worlds can be arranged“ (Luckmann 1978: 285). Integration und Assimilation im Fußballsport 323 Mit der Beschreibung des Phänomens der Stereotype der Interkulturalität konnte ein Beitrag zur Stereotypeforschung erbracht werden. Im direkten Austausch zwischen türkischen und deutschen Vereinen sind geteilte Stereotype am bedeutendsten. Diese interkulturell geteilten Stereotype dienen der Aufrechterhaltung von fixen Bildern vom anderen und sich selbst sowie der Aufrechterhaltung klarer ‚ethnischer’ Grenzen in Situationen mit kontinuierlicher Interaktion, wechselnden und mehrfachen Zugehörigkeiten und wechselseitiger Abhängigkeit, wie dies für das (städtische) Amateurfußballmilieu typisch ist. Im Falle der ethnischen Selbstund Fremdwahrnehmung von Angehörigen südeuropäischer Vereine (gemeint sind Türken, Spanier, Griechen, Portugiesen) spielt das Stereotyp vom „heißblütigeren Südeuropäer“ eine zentrale Rolle. Diese Stereotypisierung weist einige bemerkenswerte Strukturelemente auf: (1.) Die Differenz, die hier aufgemacht wird, wird als eine graduelle klassifiziert (heißblütigere hier, weniger heißblütige da) und nicht als eine kategoriale (heiße im Gegensatz zu kalten). Damit wird eine Ungleichheit der Interaktionspartner, jedoch keine Ungleichwertigkeit nahe gelegt (vgl. Neckel 2003, Neckel/Sutterlüty 2005. (2.) Die Differenz wird als natürliche, nicht als soziale formuliert. Damit wird sie einerseits naturalisiert und für unveränderlich erklärt. Zugleich aber wird sie als für das soziale Zusammenleben nicht unmittelbar relevant behandelt, da sie keine direkte Aussage über das soziale Verhalten impliziert. (3.) Auto- und Heterostereotyp fallen hier zusammen. Das Stereotyp wird von der stereotypisierten Seite angenommen und selbst formuliert. Es herrscht ein geteiltes Wissen über ethnische Differenzen. (4.) Eng damit hängt zusammen, dass das Stereotyp in Kontaktsituationen kommuniziert wird und nicht allein unter Abwesenheit von Mitgliedern der stereotypisierten Gruppe. (5.) Schließlich steht diese Stereotypisierung – empirisch – in einem interessanten Verhältnis zu anderen Stereotypisierungen: Zuschreibung wie ‚aggressiv’, ‚brutal’, ‚gewalttätig’ (also Handlungskategorien) werden vermieden und durch das Stereotyp ‚heißblütiger’ überdeckt. Andererseits werden Verhaltenszuschreibungen wie ‚die ziehen sich zurück’, ‚die halten immer zusammen’ u.ä., die nicht vom Stereotyp ‚heißblütiger’ gedeckt sind, sondern ethnisch-kulturelle Differenzen betreffen, von deutscher Seite durchaus artikuliert. Die damit bezeichneten kulturellen Unterscheidungspraktiken und ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühle (z.B. die ‚türkische Solidarität’) werden als problematisch erachtet und kritisiert. Wie lässt sich erklären, dass es zu dieser eigentümlichen Form der Stereotypisierung kommt? Aufschluss gibt der soziale Kontext, innerhalb dessen das Stereotyp kommuniziert wird und der sich wie folgt darstellt: Das Milieu ist geprägt durch einen ständig wiederkehrenden Kontakt zwischen den beteiligten Gruppen, wo diese sich als Gruppen organisieren. Darüber hinaus ist die Fußballwelt gekennzeichnet durch wechselnde Mitgliedschaften. Ein südeuropäischer Spieler, der heute noch beim Gegner spielt, kann morgen Teil der eigenen Mannschaft sein. Der Erfolg der Mannschaft kann somit von dessen Kooperation abhängen. Charakteristisch sind auch überschneidende Mitgliedschaften in den Subwelten des Milieus: Mitglieder südeuropäischer Vereine sind zugleich z.B. als Schiedsrichter Mitglied der Schiedsrichtervereinigung. Es besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zur erfolgreichen Durchführung der Kernaktivität der sozialen Welt. Man ist darauf angewiesen, dass die ethnische bzw. deutsche Mannschaft auch tatsächlich am nächsten Sonntag antritt, wenn das Spiel angesetzt ist. Aber auch intern sind die deutschen Vereine abhängig von Migranten: viele Vereine könnten keine Mannschaften stellen ohne ausländische Spieler. Schließlich ist man auch auf Verbandsebene (und kommunaler Ebene) auf die ausländischen Vereine und Spieler angewiesen: Der Spielbetrieb würde ohne Ausländer zusammenbrechen. Kennzeichnend ist außerdem, dass Migranten innerhalb des Milieus prestigeträchtige Positionen einnehmen: Migranten sind erfolgreiche Sportler, sie sind in ihren Mannschaften wichtige Spieler. Ethnische Mannschaften sind erfolgreich, steigen auf, gewinnen Pokale und Integration und Assimilation im Fußballsport 324 Meisterschaften. Schließlich erlaubt die relative Ressourcenstärke, ihre über die Jahre gewachsene Position im Milieu und die Kenntnis der formellen und informellen Regeln des Milieus den Außenseitern in Krisensituationen die Gegenwehr: die Gegenstereotypisierung wurde bereits genannt, erwähnt werden soll noch, dass bei Konflikten auch juristischen Auseinandersetzungen von Seiten der Migranten nicht aus dem Weg gegangen wird. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass das geteilte Stereotyp in einer Situation potentieller und aktueller wechselseitiger Relevanz und relativer Interaktionsdichte und sozialer und personaler Nähe auftritt, bei gleichzeitig aufrechterhaltener ethnischkultureller Selbstorganisation und -zuschreibung von Differenz. Methodenentwicklung Das Projekt hat in der empirischen Forschung eine Kombination hermeneutischer Verfahren vorgenommen und sich dem in der Literatur bislang stiefmütterlich behandelten Problem der Analyse von Sportstilen gewidmet. Von besonderer Bedeutung war dafür die Entwicklung einer Analysematrix Fußball. In methodischer Hinsicht bietet Sport als in wesentlichen Bestandteilen nonverbales, körperliches Handeln ein hervorragendes Forschungsfeld für die immer noch ausstehende Formulierung einer sozialwissenschaftlichen „Hermeneutik nichtsprachlichen Ausdrucks“ (Plessner 1982: 461). Ausgehend von der empirischen Projektarbeit wurde ein exemplarisches Verfahrensmodell für die Auswahl, kontrastierende Interpretation und Integration von nonverbalen und verbalen Daten entwickelt. Jedes ethnographisch verfahrende Forschungsprojekt ist mit der Problematik konfrontiert, die Fülle lebensweltlicher Erfahrungen, die die Forscher als Teilnehmer am Forschungsfeld machen, in ein begrenztes Sample sozialwissenschaftlich interpretierbarer Daten umzuwandeln. Ein erster Schritt der Datenreduktion ergibt sich aus den methodischen Implikationen der oben dargestellten Theorie sozialer Welten. So gilt es, statt den Versuch zu unternehmen, den ‚whole way of life’ einer Gruppe zu rekonstruieren, eine umgrenzte soziale Welt auszuwählen, die dann – als Teilzeitwelt mit Teilzeitzugehörigkeiten – von ihrer Kernaktivität her, auch in ihren Beziehungen zu angrenzenden oder übergreifenden Welten, rekonstruiert werden kann. Im konkreten Fall unseres Forschungsprojektes bedeutet dies, einzelne Teilmilieus der Fußballwelt zu untersuchen und als Ausgangspunkt der Interpretation die Kernaktivität Fußballspiel in ihren beiden Dimensionen des ‚aktiven’ und ‚rezeptiven’ Sports zu wählen. Den nächsten Arbeitsschritt bildet die Auswahl des ersten Untersuchungsfalls, an die sich die Erstellung einer Heuristik falltypischer Handlungssituationen anschließt. Diese Handlungssituationen werden audio-visuell aufgezeichnet, getrennt voneinander analysiert und anschließend kontrastiv interpretiert. Schließlich wird die Heuristik am Gesamtdatenmaterial überprüft, um festzustellen, ob die Situationen tatsächlich falltypisch sind oder ob z.B. weitere Situationen zusätzlich aufgenommen werden müssen. Anhand der exemplarischen Heuristik eines Teilfalls kann dies genauer dargestellt werden: Im Fall des untersuchten ‚ethnischen’ Vereins erwies es sich in einer frühern Phase der Feldforschung als sinnvoll zu unterscheiden zwischen Handlungen, die sich vor allem auf die Binnenbeziehungen, die interne Struktur und das Selbstbild des Teilmilieus beziehen und solchen, die primär Rückschlüsse auf das Außenverhältnis des Teilmilieus erlauben. Entsprechend wurden Situationsheuristiken für beide Handlungsfelder erstellt. Im Integration und Assimilation im Fußballsport 325 Binnenverhältnis wurden die Situationen ‚Angriffsspielzug’, ‚Streit auf dem Spielfeld’ und ‚Zuschauerzurufe’ unterschieden, im Außenverhältnis ‚Umgang mit Gegenspielern’, ‚Umgang mit dem Schiedsrichter’ und ‚Verhalten gegenüber gegnerischen Zuchauern’. Diese Kernaktivitäten wurden mithilfe sequenzanalytischer und anderer hermeneutischer Interpretationen ausgewertet. Zur Interpretation wurden theoretische Konzepte und Ergebnissen anderer Studien hinzugezogen. Nachdem die zentralen Deutungs- und Handlungsmuster erschlossen worden waren, wurden zusätzliche Daten herangezogen, darunter Beobachtungen im Vereinsheim, bei Mannschafts- und Vereinsbesprechungen, beim Training und auf Fahrten zu Spielen. Ergänzt wurden diese ‚natürlichen’ Daten durch Hintergrundinformationen, die in Interviews abgerufen wurden. (…) 6. Publikationen aus dem Projektkontext Hans-Georg Soeffner: Mittendrin im Abseits: Ethnische Zuschreibungen im lokalen Kontext (mit Sighard Neckel, Ferdinand Sutterlüty und Dariuš Zifonun). Wiesbaden: VS Verlag (i.V.) Hans-Georg Soeffner: ‘Methodological Cosmopolitanism – How to Maintain Cultural Diversity despite Economic and Cultural Globalization’. In: Tong, Chee Kiong (Hrsg.): Cultural Diversities and Nation-states in a Globalizing Age. Leiden: Brill Academic Publishers (i.V.) Hans-Georg Soeffner/Dariuš Zifonun (2005): Integration – eine wissenssoziologische Skizze (). In: Heitmeyer, Wilhelm/ Imbusch, Peter (Hrsg.): Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag, S. 391-407 (erscheint auch in: Cappai, Gabriele/Shimada, Shingo/Straub, Jürgen (Hrsg.): Kulturvergleich als kulturelle Analyse. Relationale Hermeneutik in den Sozial- und Kulturwissenschaften) Hans-Georg Soeffner/Dariuš Zifonun: Die soziale Welt des FC Hochstätt Türkspor. Dieser Aufsatz wird im Winter 2005 bei der Zeitschrift ‚Sport und Gesellschaft’ zur Begutachtung eingereicht. Hans-Georg Soeffner/Dariuš Zifonun: Integration – An Outline from the Perspective of the Sociology of Knowledge. Erweiterte englische Fassung von Soeffner/Zifonun (2005). Der Aufsatz wird im Winter 2005 bei einer Zeitschrift zur Begutachtung eingereicht. Dariuš Zifonun (2004): Segregation oder Integration? Die soziale Welt eines ‚türkischen’ Fußballvereins in Mannheim (mit İbrahim Cındark). In: Deutsche Sprache. Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation, Jg. 32, H. 3, S. 270-298 Dariuš Zifonun (2005): The Cultural Significance of the Hooligan Discourse and Everyday Racism in Football. In: Busset, Thomas (Hrsg.): Supporters et extrémisme de droite: qu’en est-il? Neuchâtel: Ed. du Centre International d'Etude du Sport (i.E.) Dariuš Zifonun (2005): Rezension zu: Weiß, Anja (2001): Rassismus wider Willen. Ein anderer Blick auf eine Struktur sozialer Ungleichheit. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. In: Soziologische Revue, Jg. 28, Sonderheft ‚Wissenssoziologie’ (i.E.) Dariuš Zifonun: Stereotype der Interkulturalität: Geteiltes Wissen über ethnische Differenzen. In: Rehberg, Karl-Siegbert (Hrsg.): Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede. Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004. Frankfurt a.M., New York: Campus (i.V.) Integration und Assimilation im Fußballsport 326 Dariuš Zifonun: Imagined Diversities: Migrant Cultures in Germany. In: Tong, Chee Kiong (Hrsg.): Cultural Diversities and Nation-states in a Globalizing Age. Leiden: Brill Academic Publishers (i.V.) Literatur Armstrong, Gary (1998): Football Hooligans: Knowing the Score. Oxford Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1980): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M. Geertz, Clifford (1987): Dichte Beschreibung. Frankfurt a.M. Glaser, Barney G./ Strauss Anselm L. 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