Das Journal der Staatsoper Hannover seitenbühne 05–07 seitenbühne . Mai bis Juli 2014 PROSZENIUM EIN WUNDER, STRAFF GEPLANT Die Zeit auf der Bühne gibt es nur einmal, und alle müssen sie sich teilen. Zeitgleich arbeiten über 900 Mitarbeiter am Theater dafür, dass unser Produkt pünktlich beginnen kann. Manchmal grenzt das fast an ein Wunder. Zu einem Stück gehören Bühnenbildteile, die in einer bestimmten Reihenfolge angeliefert und mit den richtigen Schrauben zusammengebaut werden müssen, die richtigen Schein­ werfer mit den richtigen Farben, die richtigen Perücken mit der richtigen Frisur, noch vom letzten Mal gepudert und dann wieder sauber gemacht – und wenn um 19.30 Uhr der Vor­ hang aufgeht, ist einfach alles da. Jeden Abend setzt sich dieses unglaubliche Puzzlespiel neu zusammen. Voraussetzung dafür ist, möglichst viel so vorzubereiten und vorzudenken, dass die benötig­ ten Dinge zum richtigen Zeitpunkt da sind. Wie ein Sänger ein Jahr vor der Premiere beginnt, seine Partie einzustudieren, so ist das auch bei uns im technischen Bereich: Anderthalb Jahre vor einer Premiere überlegen wir in der Beleuchtungs- und Videoabteilung mit der Disposition, an welchem Tag was gemacht wird. Ein halbes Jahr vorher wird es dann kon­ kreter: Welches Material benötigen wir wann? Wann finden Umbauten statt? Wie viel Vor­ bereitungszeit haben wir? Wie viel Bühnenzeit brauchen wir? Was können die verschie­ denen Abteilungen parallel arbeiten? In der Woche vor der Premiere herrscht dann ein ganz anderes Zeitempfinden: Man hat alles gut geplant, und dennoch wird es eng. Oder man dachte, dieses oder jenes würde proble­ matisch – und dann löst sich das Problem wie von Zauberhand in Luft auf. Wir reagieren auch kurzfristig auf Änderungen oder individuelle Wünsche: Wenn wir heute nicht fertig geworden sind, beginnen wir morgen zwei Stunden früher mit der Arbeit. So wird eine ganz große Bandbreite an Reaktionsvermögen von uns gefordert, vom Planen und Festlegen anderthalb Jahre im Voraus bis zum kreativen »Jetzt das!«. Diese Offenheit zu behalten, das ist die große Herausforderung. Die Zeiten ändern sich, die Schlagzahl ist höher, die Arbeit verdichtet sich. Aber wer sich am Theater trifft und da bleibt, das hat sich nicht geändert. Das sind – vom Intendanten bis zur Requisiteurin – Menschen, die den Spagat zwischen Definition und Kreativität leben wollen. Für unser Publikum ist die Aufführung ein Live-Erlebnis, und so soll es sein: wie frisch aus dem Geschenkpapier ausgepackt. Dahinter steht ein straff durchgeplantes Raster, das zu­ gleich unglaublich flexibel ist. So dass wir hinter der Bühne an einem Abend denken: Heute ist es aber besonders spannend, es zaubert. Und man dieses Wunder auch nach fünfund­ zwanzig Jahren am Theater gar nicht so genau erklären, aber immer noch genießen kann. Susanne Reinhardt Leiterin der Beleuchtungs- und Videoabteilung 02.03 FOYER DER NEUE SPIELPLAN IST 14/15 DA! »Wer auf frischen Wind wartet, darf nicht verschnupft sein, wenn er kommt.« Mit diesem Zitat des österrei­ chischen Kabarettisten Helmut Qualtinger eröffnet Intendant Dr. Michael Klügl das Spielzeitheft der kommenden Saison, das am 23. April der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Welche Titel der Spielplan für Sie und uns bereithält, zeigen wir Ihnen hier. OPER TOSCA Giacomo Puccini HOW TO SUCCEED IN BUSINESS WITHOUT REALLY TRYING Frank Loesser LOT Giorgio Battistelli . Uraufführung MEFISTOFELE Arrigo Boito . konzertant DIE FLEDERMAUS Johann Strauß WERTHER Jules Massenet JENŮFA Leoš Janáček BALLETT DER KUSS – RODIN UND CLAUDEL Jörg Mannes DER PROZESS Mauro Bigonzetti PARADISO Jörg Mannes JUNGE OPER DIE HOFFMANN SHOW nach Jacques Offenbach . ab 14 Jahren OH, WIE SCHÖN IST PANAMA Stefan Johannes Hanke . Uraufführung . ab 5 Jahren GOLD Leonard Evers . ab 4 Jahren MÜNCHHAUSEN Jan Masanetz . Uraufführung . ab 9 Jahren 04.05 OPER KLAUS ANGERMANN / DOROTHEE HARPAIN VIVA LA LIBERTÀ! Mozarts Meisterwerk Don Giovanni in einer Neuinszenierung von Benedikt von Peter »Don Juan« gehört wie Don Quixote und Faust zu den großen mythischen Gestalten der Weltliteratur, ein Archetypus, der kaum greifbar ist. Kein anderer literarischer Stoff trieb die Deutung in Dichtung und Forschung in solche Extreme: Wer ist er – ein Libertin, ein perfider Verführer, ein zügelloser Triebtäter oder die Verkörperung des Eros selbst? DIE OPER ALLER OPERN Als Lorenzo da Ponte und Mozart nach dem überwältigendem Erfolg des Figaro im Januar 1787 von dem Impresario Pasquale Bondini den Auftrag erhalten, für den Herbst 1787 eine neue Oper für das Gräflich Nostitzsche National-Theater Prag zu schreiben, scheint der Don Juan-Stoff naheliegend: Die Geschichte von dem unwidersteh­ lichen und zugleich unersättlichen Frauenhelden, der am Ende für sein lasterhaftes Leben bestraft wird, wurde erstmals von Tirso de Molina in seinem spanischen Drama El Burlador de Sevilla y convidado de piedra (»Der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast«, 1613) thematisiert, war aber aufgrund unterschiedlicher Bearbei­ tungen, Übersetzungen, Um- und Neugestaltungen – unter anderem von Molière, Corneille, Goldoni – schon längst zu einem populären Bühnenmythos geworden. Da Ponte gelang es in seiner Bearbei­ tung, die verschiedenen Elemente geschickt zusammenzuführen: die Vordergrundstellung Doña Anas aus der spanischen Tradition, von Molière die Rolle der verlassenen Elvira, aus den verschiedenen Nebenbuhlern schuf er die Gestalt des Don Ottavio und vereinigte in Don Juan den Caballero Tirsos mit dem zynischen Realisten Mo­ lières. Zusammen mit der differenzierten Charakterzeichnung durch Mozarts Musik gelang den beiden Meistern mit der am 29. Oktober 1787 uraufgeführten Oper die wohl schönste Version des Mythos vom ewigen Verführer. Durch Mozarts Musik erlangte der alte, popu­ läre Stoff mythischen Rang und entfaltete eine enorme literarische und theatralische Wirkungsgeschichte. Nicht umsonst bezeichnete E.T.A. Hoffmann dieses Werk als die »Oper aller Opern«, und Goethe soll in einem Gespräch mit seinem Freund Eckermann geäußert ha­ ben: »Wie kann man sagen, Mozart habe seinen Don Juan kompo­ niert! – Komposition! – Als ob es ein Stück Kuchen oder Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt! Eine geistige Schöpfung ist es, das Einzelne wie das Ganze aus Einem Geiste und Guß und von dem Hauche Eines Lebens durchdrungen, wobei der Produzierende keineswegs versuchte und stückelte und nach Willkür verfuhr, sondern wobei der dämonische Geist seines Genies ihn in der Gewalt hatte, so daß er ausführen mußte, was je­ ner gebot.« DAS PRINZIP DON GIOVANNI Mit drohenden Akkorden beginnt die Ouvertüre – Akkorde, die spä­ ter mit der Figur des steinernen Komturs assoziiert werden, dem Repräsentanten eines vernunftorientierten Gesetzes, einer Gesell­ schaftsordnung der Aufklärung, die menschliche Beziehungen auf der Basis moralischer Prinzipien von ehelicher Treue und Triebkon­ trolle determiniert. Wie mahnende Monumente stehen diese Ak­ korde im Raum und artikulieren dabei zugleich die Angst vor dem Kontrollverlust, die unterschwellig herrscht, aber nie ganz be­ herrscht werden kann. Denn inmitten eines scheinbar stabilen sozi­ alen Gefüges gibt es immer einen blinden Fleck, der sich der Kon­ trolle entzieht und der wie ein schwarzes Loch die geordnete Welt in seinen Gravitationsstrudel zu ziehen droht. In Benedikt von Peters Inszenierung ist dieser Nicht-Ort, dieser outópos, das Reich des Don Giovanni, ja er ist Don Giovanni selbst, der OPER nicht als fixierbare Person, sondern als anarchisches Prinzip er­ scheint, das weder moralisch noch amoralisch ist. Doch was heißt anarchisch? Es ist die Konfrontation mit einer verdrängten Triebhaf­ tigkeit, durch die Don Giovanni die starre Ordnung des Komturs he­ rausfordert, der er eine dynamische Ordnung der Körper entgegen­ stellt, in der gesellschaftliche Hierarchien irrelevant werden. Don Giovanni ist der Stachel im Fleisch eines Systems, das sich im wol­ lüstigen Schmerz in eine egalitäre Gesellschaft individueller Körper auflöst. Hier gibt es nur eine Herrschaftsinstanz, vor der alle gleich werden: das Begehren, den Trieb, das Leben im Hier und Jetzt, in dem sich die Körper vereinigen – eine Utopie von Freiheit, die von den Figuren allerdings ambivalent aufgenommen wird. Denn den steinernen Komtur, die drohende Angst vor dieser Art von Freiheit, wird man nicht so schnell los. Sein Tod am Beginn der Oper bedeu­ tet keineswegs seine Auslöschung. Als unzerstörbares Monument kehrt er zurück und bildet den Gegenpol zur verwirrenden Dynamik der Giovanni-Welt, und der unaufgelöste Konflikt zwischen dem Denkmal des Vaters und dem Sog des Begehrens durchdringt alle Figuren. Ihre Unternehmungen, dem bösen Verführer den Garaus zu machen, sind bloßer Theaterdonner, denn sie können das Ziel ihres Hasses und ihrer Faszination nicht dingfest machen, weil sie es in sich selbst tragen. Die Verfolgungsjagd ist also in Wahrheit eine ständige Flucht vor dem Prinzip Don Giovanni, von dem die Figuren infiziert sind. So wie sie in ihrer Gegensätzlichkeit scheinbar immer wieder zufäl­ lig aufeinander prallen und doch diese Begegnungen suchen, so sind sie auch selbst von Gegensätzen, von dem Widerstreit zwi­ schen Nähe und Flucht zerrissen. Donna Elvira schwankt zwischen Rachegelüsten und ihrer unerschütterten Liebe, Don Ottavio gibt den ritterlichen Liebhaber und verzweifelt doch an seiner Schwä­ che, Zerlina ist selbst an ihrem Hochzeitstag zu einem Seitensprung bereit, und Masettos Rebellion wird konterkariert von Angst vor dem BENEDIKT VON PETER wurde 1977 in Köln geboren, studierte Musikwissenschaft, Germanistik, Jura und Gesang in Bonn und Berlin und initiierte dort mit Kommilitonen die Akademie Musiktheater Ber­ lin-Salzburg (jetzt »Akademie Musiktheater heute« der Deutsche Bank Stiftung). Mit dem Dramaturgen Benjamin von Blomberg gründete er die Produzentengemeinschaft »evviva la diva«. Von 2003 bis 2005 war Benedikt von Peter Spielleiter an der Hamburgischen Staatsoper und erarbeitete unter anderem die deutsche Erstaufführung von Peter Eötvös’ Angels in America, die von Presse und Publikum gefeiert wurde und 2006 zum Holland Festival eingeladen war. 2006 eröffnete er die Spielzeit am Theater Heidelberg mit Chief Joseph von Hans Zender und erhielt für diese Inszenierung den Götz-FriedrichPreis 2007. Am selben Theater inszenierte er 2008 Eugen Onegin, seitdem arbeitete Benedikt von Peter an der Komischen Oper Berlin (Theseus, Fidelio, Idomeneo), an der Oper Frankfurt (I masnadieri) und am Theater Basel (Les Dialogues des Carmélites, Parsifal). An der Staatsoper Hannover inszenierte er 2010 Luigi Nonos Intolleranza 1960, wofür er mit dem deutschen Theaterpreis DER FAUST 2011 für die beste Regie Musiktheater ausgezeichnet wurde, sowie La traviata. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Benedikt von Peter künstlerischer Leiter des Musiktheaters und Hausregisseur am Theater Bremen. 06.07 OPER Stärkeren. Am prägnantesten offenbaren sich die Widersprüche in der Figur des Leporello, dem Pendler zwischen den Welten, der dem Reich des Don Giovanni mit einer Mischung aus genüsslichem Sadis­ mus und ehrlichem Abscheu dient. Er will selbst ein Don Giovanni sein, aber er bleibt doch ein Mensch und Diener, der nur als Zu­ schauer, als Voyeur Anteil an Don Giovannis Welt hat und uns Zuschauern daher am nächsten ist. Und so bedeutet Don Giovannis »Höllenfahrt«, die alles andere als die Bestrafung eines amoralischen Bösewichts ist, die Auflösung ei­ ner Utopie, die gleichwohl in den Figuren nachwirkt und sie in die Hölle eines nunmehr inneren Konflikts schickt. Das in die Körper gefahrene Prinzip Don Giovanni höhlt das Vertrauen in die be­ währten Lebenskonzepte aus: Donna Anna hat in der Begegnung mit Don Giovanni das Begehren erfahren, das den Glauben an eine bürgerliche Ehe mit Don Ottavio erschüttert. Donna Elvira scheitert an dem Versuch, beides zu vereinen, und zieht sich resigniert in ein Kloster zurück. Für Zerlina und Masetto tritt das Ideal von Ehe und Treue ohnehin zurück hinter der Vorstellung eines genussreichen Lebens im Hier und Jetzt, ohne an morgen zu denken. Und Leporel­ lo wird der ewige Diener bleiben, der von der Existenz als Don Gio­ vanni weiterhin nur träumen wird und sich deshalb auf die Suche nach einem neuen Herrn begibt. Wenngleich Mozart musikalisch eine außerordentlich differenzierte Charakterisierung aller Figuren gelingt, vom aristokratischen Pathos der Donna Elvira bis zum volkstümlichen Tonfall des bäuerlichen Paares Zerlina/Masetto, so gilt dies merkwürdiger Weise nicht für die Titelfigur. Und doch repräsentiert die Musik auf paradoxe Weise die Perspektive der nicht fassbaren und doch allgegenwärtigen Hauptfigur in ihrer Unrast und Dämonie, selbst in den unbe­ schwertesten Momenten der Komposition. Auch in der Partitur er­ scheint Don Giovanni kaum als fest umrissene Figur und ist als Prin­ zip somit musikalisch zumeist nur unterschwellig präsent. Bezeich­ nenderweise hat er – abgesehen von der vorüberrauschenden kurzen Champagner-Arie und seiner kleinen Canzonetta – keine wirklich große Solonummer im Stück. So wird eben auch durch die Musik klar, dass Don Giovanni der perspektivische Fluchtpunkt des Geschehens ist, der im Unendlichen immer ungreifbar bleibt. DON GIOVANNI Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart Libretto von Lorenzo da Ponte In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln MUSIK ALISCHE LEITUNG Katrin Wittig Zander LIVE-K AMERA Dan Ratiu Benjamin Reiners INSZENIERUNG Benedikt von Peter BÜHNE KOSTÜME Geraldine Arnold Jonas Schmieta DRAMATURGIE LICHT Susanne Reinhardt KLANGWERKER VIDEO Bert Tamer Fahri Özgönenc CHOR Klaus Angermann Chor der Staatsoper Hannover Niedersächsisches Staatsorchester Hannover DON GIOVANNI lah Lasri Brian Davis KOMTUR Shavleg Armasi Michael Dries MASETTO EINFÜHRUNGSMATINEE PREMIERE DONNA ANNA Dorothea Maria Marx DONNA ELVIRA Daniel Eggert ZERLINA DON OTTAVIO Monika Walerowicz Abdel­ LEPORELLO Heather Engebretson Sonntag, 11. Mai 2014, 11.00 Uhr, Laves-Foyer Samstag, 17. Mai 2014, 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN So, 25.05.14 (18.30 Uhr) | Di, 27.05.14 | Sa, 14.06.14 | Do, 19.06.14 | Fr, 27.06.14 | Fr, 04.07.14 | So, 20.07.14 (16 Uhr) | Fr, 25.07.14, jeweils 19.30 Uhr (wenn nicht anders angegeben) Mit freundlicher Unterstützung OPER FESTLICHER OPERNABEND EIN MASKENBALL Oper von Giuseppe Verdi (1859) MUSIK ALISCHE LEITUNG Mark Rohde Olivier Tambosi BÜHNE Bengt Gomér Caminati Claus Ackenhausen LICHT Grazyna Przybylska-Angermann DRAMATURGIE MIT INSZENIERUNG KOSTÜME Carla CHOREOGRAPHIE CHOR Dan Ratiu Klaus Angermann Hui He als Amelia und Lado Ataneli als Renato Die bildmächtige Inszenierung von Olivier Tambosi, fulminante Eröffnungspremiere dieser Saison, glänzt am 28. Mai als festlicher Opernabend mit zwei Weltstars: die Sopranistin Hui He singt an den bedeutendsten internationalen Opernhäusern, u.a. Wien, Mailand, Rom, Paris, London, New York, Berlin sowie in der Arena di Verona. Auch der Bariton Lado Ataneli zählt zu den international gefragtesten Interpreten in Opern von Giuseppe Verdi und Giacomo Puccini. Mittwoch, 28. Mai 2014, 19.30 Uhr Julie-Marie Sundal als Ulrica 08.09 OPER KATHARINA ORTMANN DIE ENTDECKUNG DES GEFÜHLS Jean-Philippe Rameaus Castor und Pollux »Unerklärlich lange erinnerte man sich über­ haupt nicht mehr an Rameau: Sein Charme, seine strenge und doch so feine Form sahen sich durch eine Haltung ersetzt, die in der Musik einzig dramatische Haltung sucht. Rameaus immense Hinterlassenschaft, die man nicht hoch genug einschätzen kann, ist die Entdeckung der ›Sensibilität in der Har­ monik‹. Und darum gelangen ihm bestimmte Farben, gewisse Tönungen, Nuancen, von denen Musiker vor ihm nur eine verschwom­ mene Vorstellung besaßen.« Kein geringerer als Claude Debussy spricht hier im Jahre 1912 für Jean-Philippe Rameau. Debussys emphatisches Bekenntnis zu dem damals fast vergessenen Komponisten steht im Kon­ text seines Bestrebens, eine »wahrhaft fran­ zösische Musik« zu erschaffen bzw. wieder­ zubeleben. Bereits 1748 kam Denis Diderot, Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung, zu dem Schluss: Vor Rameau »hat keiner die delikaten Schatten so genau unterschieden, die das Zärtliche vom Üppigen, das Üppige von Leidenschaften, das Leidenschaftliche vom Lasziven trennen.« Bei Rameau und sei­ nem frühen Zeitgenossen Couperin sieht Debussy jene französische Empfindsamkeit und Klarheit, die der Oper des 19. Jahrhun­ derts, allen voran Wagner, diametral entge­ gengesetzt sei und die es wiederzuentde­ cken gelte. Dieser Ruf nach einer eigenen französischen Musik wurde 250 Jahre zuvor schon einmal laut: Kein Komponist, sondern der legen­ däre Sonnenkönig Ludwig XIV. machte die »Erfindung« einer französischen Oper zu ei­ ner wichtigen Aufgabe seiner Herrschaft. Auch auf kulturellem Gebiet wollte das selbstbewusste Frankreich des 17. Jahrhun­ derts seine Unabhängigkeit, Eigenständig­ keit und nationale Größe demonstrieren. Unter Mitwirkung des kunstliebenden und -ausübenden Königs höchstpersönlich wur­ de deshalb ein typisch französisches Äqui­ valent für die unterhaltsamen, prunkvollen italienischen Barockopern geschaffen, mit der der Sonnenkönig gedachte, Italien als Land der Oper zu überstrahlen. Ludwig XIV. beauftragte den Komponisten und Tänzer Jean-Baptiste Lully (1632–1687), den Italie­ ner in Paris, dieses französische Musikthea­ ter zu erschaffen. Dessen Modell der »Tragé­ die en musique« oder »Tragédie lyrique«, wie sie auch genannt wurde, vereinte die verschiedensten Kunstgattungen zu einem Gesamtkunstwerk: die außergewöhnliche Or­ chesterkultur der Franzosen mit dem am Hof überaus beliebten Tanz, das Air de cour – eine von einer Laute begleitete, höchst in­ time Sprechszene – mit den großen Chören der Kirchenmusik. Diese prunkvolle höfische Operngattung diente nicht zuletzt dem Herr­ scherlob, das vor allem im Prolog sowie am Schluss der fulminanten Bühnenwerke sei­ nen Platz hatte. Noch Jahrzehnte nach Lullys Tod wurde mit einer »musique française« die Musik im Stile Lullys gleichgesetzt, er wurde wichtigster Repräsentant einer genuin fran­ zösischen Musikkultur – die jedoch in der er­ sten Hälfte des 18. Jahrhunderts in eben je­ nem Modell zu erstarren drohte. Jean-Philippe Rameau, knapp 50 Jahre jün­ ger als Lully, lebte in einer Zeit des gesell­ schaftlichen Umbruchs: 1683 geboren und 1754 gestorben, stand er auf der Schwelle in eine neue Zeit, war zugleich Vordenker einer neuen (musikalischen) Epoche wie Repräsentant des Zeitalters des Absolutis­ mus, das sich bereits seinem Ende entgegen neigte. Rameau war ein Grenzgänger, bio­ grafisch und ästhetisch. Es ist bezeichnend, dass Debussy sich nicht auf Lully, den ersten Repräsentanten einer genuin französischen Musik, sondern auf den später geborenen, moderneren und radikaleren Jean-Philippe Rameau bezog als es darum ging, zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine eigenständige französische Musiktradition gegenüber dem italienischen Verismo und dem deutschen Wagnerianismus zu behaupten. Rameau war der umstrittenste Komponist seiner Zeit. Er hatte es gewagt, das etablierte Modell Lullys zu erneuern. Die Ästhetik Lullys war ausgerichtet an klassischen Idealen einer »belle et simple nature« und zielte vor allem auf die Darstellung der heiteren, buko­ lischen, pastoralen Seiten der Natur und auf die ausgleichende Sublimierung bzw. Stili­ sierung der menschlichen »passion« (Lei­ denschaft) im Kunstwerk. Rameau stellte diesem klassischen Konzept eine ganz neue, moderne Ästhetik gegenüber, die Zeitge­ nossen wie Christoph Willibald Gluck ent­ scheidend beeinflusste: Um möglichst wahr­ haftig in der Darstellung zu sein, nahm er in seiner Musik gerade die wilde, ungezähmte (menschliche) Natur in den Focus. Rameau übernahm die von Lully entwickelte groß­ räumige Architektur der Tragédie en mu­ sique ohne große Veränderungen, füllte sie jedoch mit Leben durch eine äußere Man­ nigfaltigkeit in der immer neuen Erfindung von Formen, Rhythmen und Harmonien. Dies ermöglichte ihm eine vielschichtige Darstellung von Emotionen, die seinen Wer­ ken bzw. Figuren Menschlichkeit und Glaub­ würdigkeit verlieh. Die stets am drama­ tischen Geschehen orientierte musikalische Gestaltung verlieh mit ihrer besonderen Harmonik und den nahtlosen Übergängen zwischen Rezitativ, Arioso und Arie dem Drama eine bis heute unmittelbar spürbare Sogkraft. Mit seinem Blick auf das Individuum und der radikalen Darstellung gerade auch von des­ sen Widersprüchlichkeit betrat Rameau in der damaligen Musik Neuland – und stieß dementsprechend auf Widerstand. Zwi­ OPER schen den »Lullistes« und »Rameauneurs« (so die Bezeichnung Voltaires), also den Alten und den Modernen, entbrannte in den 1730er Jahren ein heftiger Ästhetikstreit, der als Querelle des Lullistes in die Musikge­ schichte einging. Auch die 1737 in Paris ur­ aufgeführte Tragédie en musique Castor et Pollux fiel in diese Zeit – und der Erfolg dieses Werkes sicher auch den Interventi­ onen der »Lullistes« zum Opfer. Sie waren schockiert über den Reichtum an Modulati­ onen und Dissonanzen, den sie mit »Lärm« gleichsetzten (man beschwerte sich bei Auf­ führungen, die Instrumente seien falsch ge­ stimmt …), über ein Zuviel an Gelehrtheit und Virtuosität, die dem klassischen Gebot der »simplicité« entgegenstand. Der Wider­ stand um die Neuerungen in den Opern Rameaus gegenüber Lullys Musiktheater ist jedoch auch im Kontext einer sich langsam verändernden Gesellschaft zu sehen, näm­ lich in der zunehmenden Einbuße eines na­ tionalen Bewusstsein auf Grundlage eines an Autorität verlierenden repräsentativen Absolutismus. Castor und Pollux stellt ein Stück dar, in der sich die Zerreißprobe einer Zeitenwende widerspiegelt: einer Nation im Übergang zwischen Absolutismus und Auf­ klärung. Der neue König, Ludwig XV., der 1715 den Sonnenkönig abgelöst hatte, inte­ ressierte sich zudem kaum für das Theater, es verlor an Bedeutung im Kontext herr­ schaftlicher Repräsentanz. Schon bald sollte jedoch eine weitere Entwicklung dazu füh­ ren, dass der Streit zwischen den Anhän­ gern Lullys und jenen Rameaus zugunsten einer Verbindung beider Lager beigelegt wurde: Die französische Tonkunst insgesamt musste wieder gegen die Macht der italie­ nischen Opera buffa verteidigt werden. Fort­ an galt Castor und Pollux als Aushängeschild für einen französischen Nationalstil. Rameau brachte 1754 sogar eine zweite, stark überar­ Peter Paul Rubens, Der Raub der Töchter des Leukippos (um 1618) Schicksalhaft verwoben? Die Dioskuren Castor und Pollux rauben die Schwestern Hilaeira (franz. Télaïre) und Phoibe (franz. Phébé). Der sterbliche Castor, der Rossbändiger, trägt eine Rüstung, der unsterbliche Halbgott Pollux, der Boxkämpfer, ist mit freiem Oberkörper dargestellt. Die Bildgestaltung lässt den Eindruck entstehen, dass alle Personen im Ge­ schehen gefangen sind. Unentwirrbar sind die Leiber ineinander verkeilt, Pferde und Menschen bilden einen kompakten Block aus Fleisch und Muskeln, Kraft und Gegenkraft. Die Dynamik des Bildes bestimmen Willen und Widerwillen nicht nur der beiden Schwe­ stern: ein bestechendes Bild für die Aufruhr einer menschlichen Seele – und der Maler hat alle Seiten zu ihrem Recht kommen lassen. 10.11 OPER beitete, noch modernere Fassung auf die Büh­ ne, die sich als erfolgreiche Waffe gegen die »Buffonisten« lange auf den Spielplänen hielt. Und heute? Warum bringt Alexander Charim und sein Team Rameaus Castor und Pollux auf die Opernbühne? Mit seinen obligato­ rischen Kampf- und Unterweltsszenen, Visi­ onen des Olymps und dem Tanz des Univer­ sums, mit dem das Stück spektakulär endet, steht Castor und Pollux in der Tradition der Tragédie lyrique. Doch gerade hier erweist sich die Modernität Rameaus. Was im Ge­ wande einer barocken Oper als anrührendes Sinnbild um Bruderliebe erscheinen mag, ist durch die Musik Rameaus die tiefgehende Schilderung einer emotionalen Zerreißpro­ be. Wie Rameaus Zeitgenossen von seiner Musik, so scheinen auch die Figuren über­ fordert von der Intensität der Gefühle, die (musikalisch) aus ihnen herausbrechen. Vier Menschen sind hin- und hergerissen, wer­ den zerrissen zwischen den Rollen, die sie einnehmen sollen oder wollen und ihren Gefühlen, die diesen oftmals entgegenste­ hen. Besonders deutlich wird das anhand der beiden Brüder: Sie stehen zwischen der Liebe zu Télaïre – die Braut Castors – und der Liebe zum Bruder, zwischen Leben und Tod, zwischen Himmel und Hölle, zwischen gesellschaftlicher Rolle und individuellen Wünschen. Das private Schicksal der han­ delnden Figuren wird eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, der wesentlich durch den Chor, aber auch durch die Herr­ scherfigur des Jupiter repräsentiert wird. Rameau leuchtet nicht nur die Gefühlswelt der vier Hauptfiguren Castor, Pollux, Télaïre und Phébé differenziert aus, sondern setzt die Figuren in ein komplexes Gefüge, das die Verflechtung von privaten und gesell­ schaftlichen Handlungsspielräumen ver­ deutlicht. Das Stück endet mit einem Tanz des Universums, das Castor, Pollux und Té­ laïre schließlich als Sterne aufnimmt, erlöst durch die ordnende Macht Jupiters: Sinnbild der Erlösung aus irdischer Orientierungslo­ sigkeit und emotionaler Überforderung in die Transzendenz oder schlicht Vereinnah­ mung durch ein System, das Gefühle negiert und jedem einen klaren Platz vorgibt? Der atemraubende Schluss der Oper ist in jedem Fall eine Einladung an uns heutige Zuhörer in das Reich der Sinnlichkeit und tiefge­ henden Schönheit von Rameaus Musik, die über die zuvor durchlebten emotionalen Verstrickungen zu trösten vermag. CASTOR UND POLLUX Tragédie en musique in fünf Akten von Jean-Philippe Rameau Text von Pierre-Joseph Bernard In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln MUSIK ALISCHE LEITUNG Alexander Charim Lenfert LICHT Ivan Bazak Peter Hörtner TURGIE Katharina CASTOR Howard Arman BÜHNE Dan Ratiu Sung-Keun Park POLLUX TÉLAÏRE JUPITER GRAND PRÊTRE PLANÈTE Stella DRAMA- Francis Bouyer / Ina Yoshikawa Frank Schneiders VANTE D‘HÉBÉ / UNE OMBRE HEUREUSE Marx Aurel Ortmann Christopher Tonkin Rebecca Davis CHOR INSZENIERUNG KOSTÜME Latchezar PHÉBÉ UNE SUI­ Dorothea Maria Pravtchev UNE Motina Chor der Staatsoper Hannover Niedersächsisches Staatsorchester Hannover EINFÜHRUNGSMATINEE Sonntag, 22. Juni 2014, 11 Uhr, Laves-Foyer PREMIERE Samstag, 28. Juni 2014, 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN Di, 01.07.14 | Sa, 05.07.14 | Di, 15.07.14 | Di, 22.07.14, jeweils 19.30 Uhr HOWARD ARMAN, ein ausgewiesener Spezialist für Alte Musik, kommt als Gast für Castor und Pollux an die Staatsoper Hannover. Der Dirigent ist seit August 2011 Musikdirektor des Luzerner Thea­ ters. Seine berufliche Laufbahn begann der Engländer nach dem Studium am Tri­ nity College of Music, London, als Dirigent führender Ensembles seiner Heimat, be­ vor er 1981 nach Deutschland und Öster­ reich wechselte und mit den Chören des NDR, des SWR, des RIAS Berlin sowie mit dem ORF-Chor arbeitete. Von 1998 bis 2013 war er Dirigent und Künstlerischer Leiter des MDR Rundfunkchores Leipzig. Von 1983 bis 2000 leitete Arman zudem den Salzburger Bachchor und von 1991 bis 1996 die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Daneben dirigierte er Pro­ duktionen an Opernhäusern in Deutsch­ land, Österreich, Italien und der Schweiz. Für die Neuformierung des Händel-Fest­ spielorchesters anlässlich der Produktion von Orlando erhielt Howard Arman 1996 den Händel-Preis. In der Spielzeit 2010/11 leitete er als Generalmusikdirektor der The­ater und Philharmonie Thüringen. Eine umfangreiche, mit zahlreichen Preisen be­ dachte Diskographie zeugt zudem vom Wirken des Dirigenten. OPER DISNEY: DIE SCHÖNE UND DAS BIEST GROSSES SOMMERGASTSPIEL Das Musical ist ein Welterfolg und wird in diesem Sommer vom 30. Juli bis 10. August im Opern­haus zu sehen sein – mit opulenter, farbenpräch­ tiger Ausstattung, schwebenden Tanzszenen und fantasievollen Märchenelementen. Vorlage ist der berühmte Disney-Film von 1991, der als erster Zeichentrickfilm eine Oscar-Nominierung als »Bester Film« erhielt, dazu zwei Oscars, zwei Golden Globes und fünf Grammys für die Musik! PREVIEW PREMIERE Mittwoch, 30. Juli 2014, 19.30 Uhr Donnerstag, 31. Juli 2014, 19.30 Uhr VORSTELLUNGEN täglich außer montags 19.30 Uhr, samstags und sonntags auch 15 Uhr In Zusammenarbeit mit 12.13 JUNGE OPER CHRISTOPHER BAUMANN KAFFEE FÜR DEN OPA UND MUSIK FÜR DAS WUNDERBARE Eine besondere Freundschaft zwischen Jung und Alt zeigt Gordon Kampes Kannst du pfeifen, Johanna für alle ab 8 Zwei Jungs spielen: Es sind die Freunde Ulf und Berra. Ulf zählt auf, was er alles hat. Zum Beispiel eine Zahnlücke – ganz hinten im Mund! Aber er hat auch noch andere Sa­ chen, wie einen Tyrannosaurus Rex, vier Golfbälle und zwei Euro. Aber am meisten beneidet Berra Ulf darum, dass er einen Großvater hat. Berra hat nämlich keinen, und das findet er ungerecht. Er möchte auch einen Opa, einen für Schweinshaxe, für Kaf­ fee und Torte mit Sahne, einen Opa, der Pfeife raucht. Ulf hat die Lösung: So einer müsste sich doch finden lassen. Mit diesem einfachen Plan beginnt Gordon Kampes Musiktheater für Kinder ab 6 Jahren nach Ulf Starks Kinderbuch Kannst du pfeifen, Johanna. Die Geschichte erzählt poe­ tisch und ausgelassen heiter zugleich von einer wunderbaren Freundschaft zwischen den beiden Jungs und einem älteren Herrn namens Nils. Zwar mag Nils keine Schweins­ haxen, aber draußen etwas zu unterneh­ men, ist sowieso viel spannender: Drachen­ bauen (auch wenn der Wind noch auf sich warten lässt), das Lieblingslied von Nils pfeifen lernen (was gar nicht so leicht ist), im Nachbarsgarten Kirschenklauen und ein Kernewettspucken veranstalten (und fast vom Nachbarn erwischt werden!) – kein Wunder, dass Berra begeistert ist von sei­ nem Opa. Er will auch unbedingt pfeifen lernen. Er übt und übt. Endlich kann er es. Jetzt heißt es: schnell zu Nils! Doch Nils ist nicht mehr da. Aber ist Nils ganz aus Berras und Ulfs Leben verschwunden? Vielleicht nicht: Jetzt ist Wind. Er rauscht so schön, wie Berra nun dank Nils pfeifen kann. Zwei Jungs spielen: Es sind Ulf und Berra, die endlich den Drachen steigen lassen wollen. Den Drachen, den sie mit Nils ge­ baut haben, dem besten Opa der Welt. FRAGEN AN DEN KOMPONISTEN Christopher Baumann »Kannst du pfeifen«, Gordon Kampe? Gordon Kampe Wenn ich auch nichts kann … aber pfeifen! Ich weiß wirklich noch: Ich saß mit 6 Jahren zuhause auf der Couch und konnte plötzlich pfeifen. Besonders gut fin­ de ich mich dann, wenn mir z. B. die von mir vielgepfiffene Geigenstimme aus Beetho­ vens F-Dur Romanze gelingt, und ich pfei­ fenderweise unterschiedliche Phrasierun­ gen wage und kurz vor Schluss nicht nur trillere, sondern auch sachte vibriere… Baumann Hier spricht ein Profi, merke ich. Wenn ich nicht mangels Opa oder Spontan­ begabung im Internet nachschauen möchte: Was wäre denn dein persönlicher Tipp, um das Pfeifen zu lernen? Kampe Ich glaube ja, dass das ein bisschen so ist, wie beim Singen: Schön in den Bauch einatmen, Stütze stabil. Dann den Mund zu einem O formen. Und zwar zu einem O, das man auch macht, wenn man die lang ver­ schollen geglaubte Tante küssen muss. Da­ bei aber die Oberlippe etwas spießig – als habe jemand beim Kaffeekränzchen mit be­ sagter Tante etwas Unmanierliches gesagt – über die Unterlippe stülpen. Sodann – sehr wichtig! – den Ton vorhören, den zu pfeifen es gilt. Erst dann zart Luft strömen lassen. Baumann Da wir bei lange verschollenen Tanten sind: In Kannst du pfeifen, Johanna geht es um einen Opa, wie er noch nie da­ gewesen ist. Wie hast du die Begegnung zwischen Jung und Alt und die Entwicklung der Freundschaft in Musik dargestellt? Kampe Das geschieht hauptsächlich im En­ semble: Ich habe eine Besetzung gewählt, die schnell zwischen einem gewissen Nos­ talgie-Tanzkapellen-Sound und einer eher leichten, beweglichen Klanggebung wech­ seln kann. Zunächst wollte ich diese Welten GORDON KAMPE wurde 1976 geboren. Nach einer Ausbildung zum Elektriker, 1998– 2003 Kompositionsstudium bei Hans-Joachim Hespos, Adriana Hölszky und Nicolaus A. Huber. Außerdem Studium der Musik- und Geschichtswissenschaften in Bochum. Mehrfache Auszeichnungen, darunter der Folkwangpreis, der Stipendienpreis der Darmstädter Ferienkurse sowie der Stuttgarter Kompositionspreis (2007 und 2011). Er erhielt Stipendien der Berliner Akademie der Künste, für die Cité des Arts Paris, die Künstlerhöfe Schreyahn und Schöppingen sowie für das SWR-Experimentalstudio. Kampe ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Folkwang Universität der Künste. 2008 Promotion mit einer Arbeit über Märchenopern im 20. Jahrhundert. Seit 2012 ist Kampe gewähltes Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften/Leopoldina. JUNGE OPER streng trennen, um Klangchiffren für Jung und Alt zu erfinden. Dann habe ich das aber fast alles wieder verwischt, es schien mir zu didaktisch. Immer muss es Ausnahmen und kleinere Brüche geben, um keine rosa Wölk­ chen zu komponieren. Baumann Kommt der Impuls zur Didaktik aus den Überlegungen, für welches Publi­ kum man schreibt? Gehst du mit einer Kom­ position für Kinder anders um als für Er­ wachsene? Kampe Für Kinder muss ich knackiger und präziser sein: Klare, gestische Kante ist an­ gesagt. Dann kommt es auch nicht auf das kompositorische »Material« an. Wenn das Ti­ ming stimmt, dann sind geräuschhafte Mo­ mente ebenso möglich, wie zerfaserte Songs – so lange am Material das Herzblut des Komponisten klebt, ist alles gut. Vor einigen Jahren hätte ich das Stück si­ cherlich anders komponiert, wäre es mir auch mehr darum gegangen »neue Musik« zu vermitteln – weil ich dachte, ich wüsste, was das ist… Und weil ich mittlerweile nicht mehr recht weiß, was »neue Musik« ist, glaube ich viel freier zu schreiben: Was ich mich in der Kinderoper traue, das traue ich mich auch bei Stücken für Erwachsene – und vice versa. Baumann Ein gewisser Mut gehört sicher­ lich auch dazu, das Thema »Tod« in einer Kinderoper anzupacken… Kampe Als wir auf der Stoffsuche waren, war das natürlich ein Thema. Meine Tochter ist 6. Ich habe mich erst gesträubt, ihr das Buch vorzulesen. Bammel vor den großen Fragen… Und dann habe ich´s doch ge­ macht und es war kein Problem. Es wurde etwas gelernt, Nils lässt etwas auf der Erde zurück. Aber: Ja – Nils stirbt. Wir wollen ein schönes Theatererlebnis gestalten. Wir wol­ len aber auch, dass das Theater am Küchen­ tisch weitergeht, dass das Stück nachwirkt. Baumann Ihr wolltet also, dass zuhause weiter über das Erlebte geredet wird. Allge­ mein heißt es ja, Musik könne mehr sagen als Worte. Wie siehst du das? Kampe Ich habe mir schon in sehr enger und fruchtbarer Abstimmung mit der Libret­ tistin Dorothea Hartmann überlegt, wann welches Wort oder welche Passage gesun­ gen wird, wann gesprochen, und wann wir eine Mischform wählen. Manche Wörter wirken peinlich pathetisch, würde man sie singen. Wenn Berra die Nachricht bekommt, dass der Opa Nils gestorben ist: Hier kann ich keine Kantilene mehr komponieren und keine irgendwie expressive Vokalgeste – das wäre furchtbar. Hier reicht ein gespro­ chener Satz und der sitzt schon tief genug. Wenn es aber heißt: »Hörst du den Zauber­ wald?«, dann ruft das nach einer Melodie… Hier halte ich es mit dem Komponisten Fer­ ruccio Busoni, der meinte, dass die Musik insbesondere dann im Musiktheater seinen Platz hat, wenn das Wunderbare in die Handlung eintritt. KANNST DU PFEIFEN, JOHANNA Musiktheater von Gordon Kampe (2013) Libretto von Dorothea Hartmann nach dem gleich­ namigen Kinderbuch von Ulf Stark Für alle ab 6 Jahren MUSIK ALISCHE LEITUNG Kaling Khouw Markus Michael Tschubert Magdalena Wiesauer Waldowski LICHT DR AMATURGIE MUSIKTHEATERPÄDAGOGIK BERRA Gevorg Hakobjan INSZENIERUNG BÜHNE UND KOSTÜME Thomas Jacob, Mario Christopher Baumann Jonas Egloff ULF Byung Kweon Jun NILS Frank Schneiders Niedersächsisches Staatsorchester Hannover EINFÜHRUNG FÜR FAMILIEN Sonntag, 11. Mai 2014, 15 Uhr, Foyer Ballhof Eins PREMIERE Mittwoch, 14. Mai 2014, 10.30 Uhr, Ballhof Zwei WEITERE VORSTELLUNGEN Mi, 21.05.14 | So, 25.05.14 (15 Uhr) | Mo, 26.05.14 | Mi, 18.06.14 | Mo, 23.06.14 | Mi, 02.07.14, jeweils 10.30 Uhr (wenn nicht anders angegeben) 14.15 JUNGE OPER DIE WILDEN HÜHNER - ROCK IT! FUCHSALARM DAS MUSICAL EINE PRODUKTION DES KINDERCLUBS XS EINE PRODUKTION DES CLUBS XM von Cornelia Funke, bearbeitet von Rainer Hertwig von Martin G. Berger und Jasper Sonne »Nach der Produktion ist vor der Produktion.« Mit dieser Rede­ wendung auf den Lippen begegnet man sich im Opernhaus, wenn es um die Vorbereitungen für die darauffolgende Spielzeit geht. Beim diesjährigen Kinderclub XS lief es etwas anders. Da die Hälfte des Teams wechselte und weil ich als Leiterin des Clubs meine Kolleginnen nicht vor gefällte Entscheidungen stel­ len mochte, haben wir die Stückauswahl auf drei Wochen nach Probenbeginn verschoben. Das hat der Entscheidung in Bezug auf die Auswahl des Stückes gut getan, denn wir hatten Zeit, die neuen Kinder kennen zu lernen. Es gab ein Auftakttreffen des Leitungsteams, bei dem wir Stück­ vorschläge machten. Insgesamt kamen wir auf die genaue An­ zahl von 25 Stücken und gingen nach folgenden Kriterien vor: Grad an Inspiration für Verwendung von Musik und Tanz, Text­ lastigkeit, Anzahl an Figuren, Betonung auf eine einzelne Figur, Aussage des Stückes, technische Umsetzung und vieles mehr. Nach etwa drei Wochen Bedenkzeit blieben drei Stücke für die enge Auswahl übrig: Alice im Wunderland, Die Chroniken von Narnia und Die Wilden Hühner. Nach den letzten, märchen­ haften Produktionen sehnten wir uns nach einem Stück, das dem wahren Leben entnommen ist. Die Mädchen der demokratischen Bande »Die Wilden Hühner« wissen ganz genau, was sie wollen. Sie sind in der Lage, über ihren eigenen Schatten zu springen, um das Leben ihrer Mas­ kottchen, der echten Hühner, zu retten. Selbst die Hilfe der Erz­ feinde, der Pygmäenbande, können sie annehmen. Es geht um eine Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und Mut, die selbst aufgestellten Regeln zu brechen, um das eigentliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Das Ergebnis wird am 17. Mai zu sehen sein. »Wir wollen mehr singen und tanzen!«, lautete der Wunsch der Jugendlichen des Club XM in diesem Jahr. Was lag also näher, als ein Musical zu spielen, das Text, Gesang, Tanz und Musik zu einer Einheit verschmelzen lässt? Mit Rock it! war bald das rich­ tige Stück gefunden: ein Jugend-Musical aus der Feder von Mar­ tin G. Berger und Jasper Sonne, deren Produktion Krawall als Spielzeiteröffnung der Jungen Oper im November uraufgeführt wurde. Eine Jugendherbergskomödie mit pfiffigen Dialogen und Songtexten, die für die Bedürfnisse und Talente der Jugend­ lichen des Club XM bearbeitet und umarrangiert wurden. Die Geschichte der Lehrerin Maria, die von der Bravheit ihrer Schüler entsetzt ist und ihnen von ihrer eigenen wilden Jugend in den 60er Jahren erzählt, wirft mit Witz, Charme und schmis­ siger Musik jugendliche Fragen von damals und heute auf: Lohnt es sich, für etwas zu kämpfen? Wie gehe ich mit der ersten Liebe um? Was bedeutet es, »cool« zu sein? Dabei folgt das Stück den beiden Jungs Rudolf und Robert, die zufällig im Mädchenchorin­ ternat »Bergeshöh« landen, das von der bösen Nonne Innozentia geleitet wird. Dort befreunden sie sich rasch mit Maria und ihrer Clique, gründen eine Rock’n’Roll-Band und beschließen, gegen das rigide System vorzugehen. Als ein Mädchen unter mysteri­ ösen Umständen verschwindet, kommen die Freunde einem dunklen Geheimnis auf die Spur ... Über mehrere Monate treffen sich die Jugendlichen jeden Frei­ tag unter der Leitung von Zuzana Masaryk. Wie man mit einer Stimme umzugehen hat, einen Song einstudiert und auswendig lernt und noch vieles mehr lehrt die musikalische Leiterin Britta Schwartz. Jessica Lüders übernimmt den für ein Musical unver­ zichtbaren tänzerisch-choreographischen Teil. Rock It! – Das Musical birgt viele Herausforderungen. Dank unbeschwertem Spiel, Wille und Ausdauer meistern die Jugendlichen sie – und das mit viel Spaß! MITWIRKENDE 19 Kinder des Clubs XS im Alter von 8 bis 11 Jahren LEITUNGSTEAM Mihaela Iclodean, Mónica Sardón, Rowena Ansell, Annemarie Wybraniec MITWIRKENDE 17 Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren LEITUNGSTEAM Zuzana PREMIERE Masaryk, Britta Schwartz, Jessica Lüders Samstag, 17. Mai 2014, 15 Uhr, Probebühne 2 WEITERE VORSTELLUNGEN So, 18.05.14, 15 Uhr | Mo, 19.05.14, 17 Uhr PREMIERE Samstag, 14. Juni 2014, 17 Uhr, Probebühne 2 WEITERE VORSTELLUNGEN So, 15.06.14 (14.30 Uhr) und Mo, 16.06.14 (17 Uhr) JUNGE OPER ICH SEHE KLANGNICHTS (ARBEITSTITEL) FORSCHUNG EINE PRODUKTION DES JUGENDCLUBS XL EINE PRODUKTION DES OHRLABORS Was wäre wenn: In einer Stadt, vielleicht in Hannover, bricht eine Epidemie aus. Nach und nach verlieren die Menschen ihr Augenlicht. Die Erblindeten werden weggesperrt und müssen sich selber zurechtfinden. Essen wird noch geliefert. Manchmal. Der Club XL nimmt die Grundsituation des Endzeit-Romans Die Stadt der Blinden von José Saramago als Ausgangspunkt für sei­ ne diesjährige Inszenierung. In den Proben wird die Geschichte über Improvisationen, Selbsterfahrung und Gedankenspiele weiterentwickelt: Es entsteht ein Oszillieren zwischen Verzwei­ feln und Hoffen, zwischen bedingungslosem Vertrauen und Ein­ samkeit. Die großen Fragen kommen auf: nach Gemeinschaft, Zusammenleben und Verantwortung. Begeisterung und Skepsis waren am Anfang dieser Reise groß. Immer wieder stoßen die Jugendlichen auf Situationen, die von ihrer aktuellen Situation nicht weit entfernt ist: Sie haben sich ihre Welt nicht ausgesucht, sie wurden hineingeworfen und ste­ hen nun auf der Schwelle, gleichberechtigter Teil dieser Welt, dieser Gesellschaft zu werden. Und diese Welt kann sich nach einem vertrauten Wohnheim anfühlen – oder wie eine Hölle. Die Jugendlichen des Clubs XL schließen ihre Augen. Daran ver­ zweifeln sie und raufen sich zusammen, stehen sich bei und sto­ ßen sich ab, verlieben sich und verraten einander, entwickeln neue Formen des Zusammenlebens und geben sie wieder auf. Sie küssen und kämpfen. Und wollen einfach überleben. Die Musik bietet dabei einen Fluchtort. Wer nichts sieht, hört besser. Archaische Klangrhythmen begleiten den monotonen Alltag, der voller Gefahren bleibt; sehnsüchtige Liebeslieder bie­ ten eine Flucht in eine andere Welt. Am Ende wird jedoch auch die Musik zum Machtinstrument. Nur wer am Klavier sitzt, kann bestimmen, was alle hören müssen. Wer will, kann mitsingen. 2014 jährt sich der Geburtstag Luigi Nonos, einer der wichtig­ sten Komponisten des 20. Jahrhunderts, zum neunzigsten Mal. Zeitlebens bestimmte Nonos Schaffen die Überzeugung einer Untrennbarkeit von Leben und Kunst – zeitweise verstand er seine Musik sogar ausdrücklich als politische Waffe im Kampf für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Mit fortschrei­ tendem Alter ging Nono dazu über, prozesshaft zu komponieren, was beinhaltete, dass er mit seinen Werken Fragen stellte, ihre Beantwortung aber oft nur andeutete, Aussagen ins Utopische weitete und Fragen so an den Rezipienten seiner Werke zurück­ gab – und ihn anregte, in sich selbst nach Haltungen und Ant­ worten zu suchen. Ausgehend von Nonos Komposition La Fabbrica Illuminata für Frauenstimme und Zuspielband (1964), erstellt aus Fabrikgeräu­ ������������ schen, Stimmen und Texten der Fabrikarbeiter der ItalsiderWerke von Genua-Cornigliano, widmen sich die Jugendlichen des Ohrlabors der Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Leben in unserer Gesellschaft. Wo sind Orte, wo Kunst und Leben, Kreativität und Alltag zusammen kommen? Wie klingen diese Orte und wie sehen sie aus? Die Jugendlichen werden dabei selbst zu Klangforschern und greifen dafür Themen des italienischen Komponisten Luigi Nono auf. Unter der Leitung von Vlady Bystrov werden aus konkreten Sounds und Bildern unse­ rer Umgebung Werke entwickelt, für Laptoporchester, Farbbild­ instrumente, Stimme oder Video – die dann im Rahmen von RADIKAL UTOPISCH am 20. Juli aufgeführt werden. RADIKAL UTOPISCH ist ein zweiteiliges Konzertprojekt des hannover­ schen Ensemble Megaphon, das am 11. Juli in der Markuskirche Hannover und am 20. Juli in der Eisfabrik zur Aufführung kommt in Zusammenarbeit mit der HMTM Hannover. MITWIRKENDE Jugendliche im Alter von 16 bis 20 Jahren LEITUNGSTEAM PREMIERE Jonas Egloff, Christoph van Hal, Anna Schlierer Samstag, 19. Juli 2014, 19 Uhr, Probebühne 2 WEITERE VORSTELLUNGEN So, 20.07.14, 17 Uhr | Mo, 21.07.14, 19 Uhr Einen 20-minütigen Trailer der Produktion zeigt der Club XL im Kinder­ TheaterHaus bei der Langen Nacht der Theater: Sa, 10.05.14, 18 Uhr. MITWIRKENDE Jugendliche im Alter von 13 bis 21 Jahren LEITUNGSTEAM Vlady AUFFÜHRUNG Bystrov, Katharina Ortmann, Tamara Schmidt Sonntag, 20. Juli 2014, 20 Uhr, Eisfabrik In Zusammenarbeit mit dem Ensemble Megaphon Das Kinder- und Jugendprogramm wird unterstützt von 16.17 BALLETT UND JUNGE OPER CHRISTOPHER BAUMANN MIT OLIVER AUF DER ZIELGERADEN End- und Höhepunkt der Zusammenarbeit mit der Integrierten Gesamtschule Hannover-Linden: Über 80 Schülerinnen und Schüler tanzen Oliver Twist im Opernhaus. Scharf und bissig wie kaum ein anderer Schriftsteller des viktoria­ nischen England portraitierte Charles Dickens (1812–1870) in den Jahren 1837–1839 die britische Gesellschaft in einer Fortsetzungs­ geschichte in der Zeitschrift Bentley’s Miscellany. Es sollte im deutschsprachigen Raum sein wohl bekanntester Roman werden, zugleich sein erstes Meisterwerk von satirischem Realismus: Oliver Twist, or The Parish Boy’s Progress (Oliver Twist oder der Weg des Fürsorgezöglings). Wie der Untertitel andeutet, zeichnet Dickens in Oliver Twist das Schicksal eines Jungen nach, der in ärmsten Verhältnissen nach dem Tod seiner Mutter im Kindbett als Waisenjunge aufwächst. Zu­ nächst in einem Armenhaus, wo schwere körperliche Arbeit und mangelnde Ernährung an der Tagesordnung, die Kinder der Willkür der Autoritäten ausgeliefert waren – und den Launen ihrer Altersge­ nossen: Es galt das Recht des Stärkeren, ein System, in dem be­ kanntlich jeder sich selbst der Nächste ist. Aus diesem »Paradies« der staatlichen Fürsorge wird Oliver jedoch bald vertrieben: So be­ stimmt das Los Oliver dazu, eines Tages um mehr Essen zu bitten mit den ebenso berühmten wie schicksalshaften Worten: »Please, Sir, I want some more« – was ihm eine Isolierhaft in einer dunklen Zelle einbringt, ihm aber auch aus der Sicht der Heimleitung genügend Zeit zum Gebet und geistlicher Erbauung verschafft. Mit unverkenn­ barer Ironie bezeichnet Dickens viele der schicksalhaften Ereignisse in Olivers Leben als glückliche Fügungen. Oliver wird beim SargTischler Sowerberry in Anstellung gegeben, aber Oliver flieht nach einer Schlägerei mit dem Lehrjungen Noah, der Olivers Mutter belei­ digt, nach London. Diese Flucht ist der Auftakt zu einer entbeh­ rungs- und wendungsreichen Reise, auf der Oliver schillernde Fi­ guren kennenlernt, wie den Straßenjungen Jack Dawkin (besser bekannt als »Artful Dodger«), eine Horde junger Taschendiebe unter Leitung von Fagin, den undurchsichtigen und gefährlichen Bill Sikes und die mit sich selbst und ihrer Beziehung zu Sikes hadernde Nan­ cy. Beständig ist Olivers Leben in Bewegung, meist als Spielball zwischen entgegenstrebenden Kräften hin- und hergeworfen, nur sein unerschütterlicher Glaube an das Gute und die Hoffnung, eines Tages Geborgenheit zu finden, halten ihn am Leben. So ist Oliver Twist kein Bildungsroman im klassischen Sinne, doch auch seine Geschichte nimmt entgegen aller Wahrscheinlichkeit nach den Be­ gegnungen mit Mr. Brownlow und den Maylies doch ein gutes Ende. Auf die Zielgerade biegt nun auch das TANZFONDS PARTNER Projekt der Jungen Oper und des Balletts der Staatsoper Hannover mit Schü­ lerinnen und Schülern der IGS Linden. Wie die Schüler in dieser Saison mit Oliver mitwachsen, ist das auf drei Jahre angelegte Pro­ jekt mit ihnen mitgewachsen: 2012 startete es mit Stress und 25 Schülern im Ballhof Eins; 2013 folgte Herr der Fliegen, zwei weitere Schulklassen kamen dazu, so dass insgesamt über 60 Schüler auf der Bühne des Schauspielhauses tanzten. Doch damit nicht genug: Seit Beginn des Schuljahres 2013/14 arbeiten nunmehr vier Schul­ klassen mit dem Choreograph Mathias Brühlmann, der Tanzpädago­ gin Emma Jane Morton und dem Komponisten Andreas Tiedemann in wöchentlichen Trainings und an Projekttagen daran, Oliver Twist in Bewegung und Musik zu versetzen. Als Höhepunkt und gleichzei­ tig Abschluss des Projekts werden im Juli 2014 über 80 Schüler mit Mitgliedern des Ballettensembles tanzend die Geschichte über BALLETT UND JUNGE OPER Olivers Aufwachsen in Hannovers Opernhaus bringen und zeigen, was das viktorianische England und dieser schicksalsgebeutelte Junge mit unserer heutigen Lebensrealität gemeinsam haben. Christopher Baumann Oliver Twist – das letzte der drei TANZ­ FONDS PARTNER Projekte – tritt in die heiße Phase. Zeit für einen Einblick in Eure Werkstatt: Charles Dickens zeigt in Oliver Twist ein Kaleidoskop verschiedener Gesellschaftsschichten des viktoria­ nischen Englands, verknüpft mit dem Schicksal eines einzelnen Jun­ gen. Auf welche Aspekte des Romans habt ihr Euch bei der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern der IGS Linden konzentriert? Mathias Brühlmann Im Roman spielen die Themen der Zugehörig­ keit und Geborgenheit eine wichtige Rolle – oder besser: das Fehlen dieser Faktoren. In Oliver Twist geht es um die Lebensverhältnisse von Kindern, die früh durch Kinderarbeit für ihr eigenes Auskom­ men sorgen müssen. Sie haben kein Zuhause, sind auf sich alleine gestellt, haben ohne Hilfe von Außen keine Chance, aus diesen Ver­ hältnissen herauszukommen. Insofern geht es auch um das Thema soziale Mobilität: Schaffe ich den Aufstieg aus meinen Verhältnissen – und mit wessen Hilfe? Helfer entpuppen sich in Oliver Twist in den meisten Fällen als Kriminelle. Diese »heimatlosen« Kinder machen perfiderweise gute Erfahrungen in diesem kriminellen Milieu, denn sie finden dort einen Familienersatz. Wie dauerhaft dieses Glück ist, das ist jedoch fraglich. Baumann Olivers Reise aus der Misere zum Glück ist eine lange und etappenreiche. Wie geht ihr auf der Bühne mit dieser Vielzahl der Abgründe und Verheißungen um? Magdalena Wiesauer Das Spiel mit den gesellschaftlichen Ebenen machen wir zu unserem Bühnenprinzip, indem wir die räumlichen Trennungen zwischen den Schichten zeigen: Wir beginnen in der Unterwelt im Orchestergraben mit einer großen Treppe als erste Aufstiegsmöglichkeit. Von dort gelangt man auf die Bühnenebene, und im hinteren Bereich der Bühne lockt die feinere Welt auf einem großen Podest, das über weitere Treppen erreichbar ist. Allerdings führen Treppen nicht nur nach oben – sie führen genauso auch nach unten, also werden wir durchaus auch Abstiege zeigen. Das nimmt auch Bezug auf die Situation der Jugendlichen, die in unserer Produktion mitwirken: Wie gefährdet ist ihre gesellschaftliche, ihre familiäre Situation? Das Leben kann viele Richtungen einschlagen. Baumann Welche Entsprechung für die viktorianischen Gesell­ schaftsverhältnisse findet ihr bzw. finden die Jugendlichen in ihrer heutigen Lebensrealität wieder? Brühlmann Das ist zum Beispiel der Umstand, in einem bestimmten Stadtteil geboren zu werden und vorwiegend nicht aus einer deut­ schen Familie zu stammen. Die Kinder müssen sich mit ihrer ent­ sprechenden Sozialisierung in zum Teil materiell einfachen oder schwierigen sozialen Verhältnissen in der Mehrheitsgesellschaft zu­ recht finden. Sie stehen vor der Herausforderung, die Schule zu schaffen und unter ihren Mitschülern eine adäquate Position zu er­ reichen. Später werden sie mit ihren Berufswahlperspektiven kon­ frontiert sein. Sie stehen wie Oliver vor den Fragen: »was können wir«, »was wollen wir«, »was wollen wir können« und ganz ent­ scheidend: »was können wir überhaupt wollen«. Baumann Sind alle Kinder also in gewisser Weise Olivers? Emma Jane Morton Für unsere Jugendlichen war Oliver Twist auf jeden Fall ein greifbarer Stoff, sie konnten sich in die Welt von Oliver einfühlen. Viele fanden aber auch den Artful Dodger den cooleren Typen. Eine Klasse fand es interessant, Herrn Brownlows Familie nachzuspielen, so zu tun als sei man ganz nobel. Brühlmann Wir werden möglichst viele Möglichkeiten suchen, um Olivers »auszutauschen«. Ich finde es reizvoll, wenn Oliver verschie­ dene Profile hat: wenn er mal ein Mädchen ist, mal ein Junge; mal schüchtern, mal vorlaut. Das macht die Geschichte von Oliver Twist universeller, allgemeingültiger. Wir wollen schließlich die Geschichte 18.19 BALLETT UND JUNGE OPER nicht nur als Handlungsabfolge erzählen, sondern suchen nach ei­ ner Entsprechung in unserer Zeit. Baumann Das Schicksal von Oliver, wie von Kindern heute, ist na­ türlich maßgeblich von Erwachsenen geprägt. Wie wirkt sich das auf den Einsatz der Tänzerinnen und Tänzer des Ballettensembles in Oliver Twist aus? Brühlmann Im Gegensatz zu den vorhergehenden Projekten sollen die Tänzer konkrete Rollen übernehmen, um zentrale Konflikte der Geschichte – wie das Ausgeliefertsein der Kinder, die kontrastie­ renden gesellschaftlichen Welten – plastischer zu erzählen. Fagin ist zum Beispiel ganz explizit eine erwachsene Person, eine Figur, die sich von den Kindern abheben soll. Herr Brownlow und Haus­ hälterin bilden einen Gegenpol. Möglicherweise wird sich ein Tän­ zer die Rolle des Dodger mit einem Schüler teilen; das entwickelt sich noch. Und dann gibt es noch Bill Sikes und Nancy. Baumann Nancy ist eine sehr ambivalente Figur. Sie hat den Aus­ stieg aus dem kriminellen Milieu nicht geschafft, ist eine Schicksals­ gemeinschaft mit Sikes eingegangen. Vielleicht versucht sie deswe­ gen, Oliver zu helfen – und wird dabei vernichtet. Wie wichtig ist diese mütterliche Zuwendung für Oliver? Brühlmann Im Buch kennt Oliver seine Mutter nur als Portrait, das ihn fasziniert. Sie wird bei uns auch als Figur auftreten. Oliver braucht eine Vertraute, die Teile seiner Gedankenwelt repräsentie­ ren könnte. Obwohl er sie nie kennengelernt hat, fühlt er, dass sei­ ne Mutter die Person ist, die ihm am nächsten steht. Sie ist Teil sei­ ner Identität, sie darf nicht von anderen beschädigt werden. Das ist eine wichtige Frage für das Projekt und die Jugendlichen, die viel­ leicht nur Kontakt zu einem Elternteil haben, die sich fragen, nach wessen Vorbild sie die Persönlichkeit werden können, die sie sein möchten. Baumann Oliver Twist bildet den Abschluss des auf drei Jahre an­ gelegten TANZFONDS PARTNER Projekts – und mit über 80 Schüle­ rinnen und Schülern im Opernhaus auch den Höhepunkt. Natürlich ist es für eine längerfristige Prognose, was die Kinder von den drei Produktionen »mitnehmen« werden, noch zu früh. Könnt ihr den­ noch in einzelnen Aspekten schon erste Auswirkungen der gemein­ samen Arbeit erkennen? Morton Für die Jugendlichen der Klassen, die bereits in den Vorjah­ ren dabei waren, ist es ganz selbstverständlich geworden, bei den Projekttagen intensiv mit den Tänzern des Ensembles zu arbeiten. Die Tänzer sind, wie sie selbst, Teil des Stückes – sie nehmen die Tänzer nicht mehr als abgegrenzte Gruppe wahr. Eine Klasse ist neu dabei – aber die Schüler werden sicher rasch »aufholen«. Brühlmann Insgesamt haben die Jugendlichen weniger Ängste und sind bereiter, mit den Tänzern – auch wenn sie fremdsprachig sind – zu kommunizieren. Das ist viel selbstverständlicher für sie geworden. Steven Markusfeld Diese Selbstverständlichkeit auf der kommuni­ kativen Ebene zu erreichen, war ein von uns erhoffter Effekt für die Kinder. Man darf nicht vergessen, dass die Schüler in eine Situation hineingeworfen werden, in der sie selbstständig lernen müssen, wie man damit umgeht. Tänzern im Besonderen und fremden Men­ schen im Allgemeinen auf Augenhöhe zu begegnen, sehe ich als großen Lernfaktor und möglicherweise Lernerfolg in diesem Projekt. OLIVER TWIST Tanztheater-Projekt nach Charles Dickens Ein TANZFONDS PARTNER Projekt mit der IGS Hannover-Linden CHOREOGRAPHIE Wiesauer Mathias Brühlmann MUSIK Andreas Tiedemann BÜHNE Magdalena KOSTÜME TANZPÄDAGOGIK TURGIE Christopher MIT Birgit Klötzer VIDEO Emma Jane Morton Philipp Contag-Lada MUSIKTHEATERPÄDAGOGIK LICHT Peter Hörtner Jonas Egloff DRAMA- Baumann Schülerinnen und Schülern der IGS Hannover-Linden UND Rowena Ansell, Cássia Lopes, Charlotte Lazzari, Lauren Murray, David Blázquez, Demis Moretti, Francisco Baños Díaz, Sergio Carecci PREMIERE Dienstag, 8. Juli 2014, 18 Uhr WEITERE VORSTELLUNG Mittwoch, 9. Juli 2014, 11 Uhr Die Projektarbeit mit der IGS Hannover-Linden wird gefördert von TANZFONDS PARTNER – Fonds für Partnerschaften zwischen Tanzinstitutionen und Schu­ len. Eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. BALLETT »Ein restlos überzeugender Ballettabend.« Cellesche Zeitung »Sissi tanzt sich in alle Herzen.« Bild SISSI Ballett von Jörg Mannes Musik von Gustav Mahler, Arthur Honegger und Johann Strauß MUSIK ALISCHE LEITUNG Siegmund Weinmeister CHOREOGRA- PHIE Jörg Mannes BÜHNE Florian Parbs KOSTÜME Alexandra Pitz LICHT Elana Siberski VIDEO Philipp Contag-Lada Ballett der Staatsoper Hannover Niedersächsisches Staatsorchester Hannover MEZZOSOPRAN Khatuna WIEDERAUFNAHME Mikaberidze Dienstag, 20. Mai 2014, 19.30 Uhr WEITERE VORSTELLUNGEN Sa, 07.06.14 | So, 15.06.14 (16 Uhr) | Fr, 20.06.14 | Fr, 11.07.14, jeweils 19.30 Uhr (wenn nicht anders angegeben) Cássia Lopes als Elisabeth von Österreich 20.21 KANTINENPLAUSCH BIANCA BENDER LEIDENSCHAFT FÜR TANZ UND KÜCHE Mit der Tänzerin Debora Di Giovanni Die Italienerin Debora Di Giovanni scheint das Kochen genauso im Blut zu haben wie das Tanzen: Die Küche ist für sie fast ein zweites Zuhause, ihr Vater hat eine Pizzeria in Palermo. Dort in der sizilia­ nischen Hauptstadt ist Debora aufgewachsen, und dort hat sie auch ihre Liebe zum Tanz entdeckt. Im Alter von sechs Jahren begann sie mit klassischem Ballettunterricht an der Ballettschule vor Ort; ihr Vorbild dabei war ihre große Schwester, die ebenfalls tanzte und Deboras Interesse am Tanz weckte. Die Lehrer in Palermo schlugen ihr vor, sich an der La Scala Ballet School zu bewerben, und Debora folgte nur allzu gern diesem Rat, denn inzwischen wollte sie unbedingt professionelle Tänzerin wer­ den. Mit 13 Jahren begann sie an der Scala-Schule in Mailand und machte dort ihr Diplom in Tanz und Sprachen im Alter von 19 Jahren. Nach Engagements in Mailand und Palermo und einigen Gastauftrit­ ten in New York, von denen sie bis heute noch ganz aufgeregt schwärmt, kam sie schließlich 2011 an die Staatsoper Hannover. »Hannover und Palermo sind sehr ähnlich – groß, aber nicht zu groß. Und sehr schön«, erzählt Debora mit einem Lächeln und erklärt, das sei der Grund, warum sie sich hier von Anfang an so wohl gefühlt habe. Nur das gute Wetter in Sizilien vermisst sie manchmal und ein wenig auch die gute italienische Küche. Kochen ist eine ihrer Leidenschaften, wann immer ihr voller Termin­ kalender es erlaubt, dann stellt sie sich auch gerne stundenlang für aufwändige Gerichte und Menüs in die Küche. »Weil es mich ent­ spannt«, erklärt sie. Und das nimmt man ihr sofort ab: mit solch einer Leichtigkeit erzählt sie von Rezepten und Gerichten, dass man meint, der Kochlöffel sei ihr in die Wiege gelegt worden. Kein Wun­ der, wenn ihr Vater ein eigenes Restaurant hat, in dem auch die Mutter arbeitet. Neugierig hat Debora schon als Kind immer in der Küche zugesehen und immer wieder nachgefragt, und so hat sie viel von ihrem Vater gelernt. Die sizilianische Küche aber, so fügt sie hinzu, hat sie sich bei ihrer Großmutter abgeschaut. Sie bedauert es sehr, dass der Tänzeralltag ihr oft zu wenig Zeit lässt, um selbst zu kochen – die vielen täglichen Proben und abend­ lichen Vorstellungen lassen meist wenig Zeit für eine große selbst gekochte Mahlzeit. Deswegen muss es manchmal dann eben doch eine gelieferte Pizza oder das Kantinenessen sein. »Deutsche Küche mag ich, ehrlich gesagt, nicht so sehr«, gesteht die Tänzerin zö­ gernd, lenkt dann aber sofort ein: »Aber das Brot hier ist sehr gut, und ich liebe Kartoffeln!« Für Würstchen und Kraut kann sie sich nur wenig begeistern, nichts geht ihr über Pasta – »aber Spätzle sind auch nicht übel.« In Wirklichkeit schlägt ihr Herz aber für Süßspeisen. Kuchen, Torten, Biskuit, alles probiert sie aus. Am liebsten mag sie Crostada: kleine Tartes aus Mürbeteig, gefüllt und belegt mit Obst, Sahne, Marmelade oder Schokolade. Als Rezept hat sie aber etwas anderes mitge­ bracht: Klassisch italienischen Tiramisu, natürlich komplett aus dem Kopf. »Sehr einfach, geht schnell und fast jeder mag es!« TIRAMISU 500 g Mascarpone, 4 Eier, 100 g Zucker, ca. 250 ml Kaffee (z.B. Mokka oder Espresso), 500 g Löffelbiskuit Kakao (zartbitter) Mascarpone, Zucker und Eigelb in einer Schüssel mischen. Eiweiß fest schlagen, dann in die Schüssel geben und langsam per Hand verrühren. Kaffee vorbereiten und in eine flache Form geben. Die zuckrige Seite der Löffelbiskuits kurz in den Kaffee legen und dann in die Tiramisu-Form geben. Nun immer abwechselnd eine Schicht Biskuits und eine Schicht Creme in der Form anrichten. Einige Stun­ den kühlstellen und zuletzt mit einem feinen Sieb den Kakao auf der Creme verteilen. Buon appetito! AUS DEN ABTEILUNGEN JONAS EGLOFF UNTER JEDEM SCHREIBTISCH Aus den Abteilungen: Bei der EDV Zwei von vier Kollegen der EDV: Ingo Volles und Michael Mraczny Ihre Arbeit bleibt unbemerkt. Der Computer läuft, wir speichern Do­ kumente, surfen im Internet, verschicken E-Mails. So lange alles gut läuft, wählen wir ihre Nummer nicht. Bis etwas passiert. Zum Bei­ spiel, wenn ein »schwarzes Tableau« auf dem Desktop erscheint. Wissen Sie, lieber Leser, was gemeint ist? Der Schreiber dieses Ar­ tikels wüsste es nicht. Die Kollegen von der EDV auch nicht. Aber sie hätten – und das ist ihr Beruf – mehrere Vermutungen. »Wir lernen die Leute tatsächlich immer dann kennen, wenn etwas nicht läuft«, meint Michael Mraczny. Seit dreizehn Jahren arbeitet er bei der EDV-Abteilung des Staatstheaters. Die Anzahl der Computer habe sich seither etwa verfünffacht. Die gespeicherte Datenmenge … verhundertfacht vielleicht. Obwohl die Dimensionen im Compu­ terbereich im letzten Jahrzehnt nahezu explosionsartig gewachsen sind, ist die Anzahl Mitarbeiter in der EDV-Abteilung nur moderat gestiegen. Technologischer Fortschritt soll es möglich machen, dass diese immensen Datenmengen von nur vier Personen gewartet werden können: Bert Söhngen, Michael Mraczny, Ingo Volles und Christian Beer sorgen dafür, dass die elektronischen Geräte im Schwung bleiben. Ihre Aufgaben sind dabei einem ständigen Wan­ del unterworfen, Großprojekte werden über Monate hinweg gep­ lant und realisiert. Die Datenmengen existieren nicht nur in der virtuellen Welt: Der zentrale Speicher für das gesamte Staatstheater lagert gut gekühlt in den Kellergemäuern des Opernhauses. Wenn dort ein Problem auftritt, wissen es die vier meist innerhalb weniger Minuten: »Wir haben sofort eine Meldung auf unseren Schirmen – und ein paar Sekunden später kommt meist der erste Anruf, dass etwas nicht funktioniert.« Der Server wird daher auch geschützt: Die Türen sind verriegelt, Angriffe aus dem Internet müssen sich erstmal durch Firewall und Virenabwehr kämpfen. Große Probleme gab es bisher noch nie. Das ist auch gut so: Das Chaos, das bei einem kompletten Serverabsturz allein an der Kasse entstehen würde, stellt man sich lieber gar nicht vor. Das Büro der EDV liegt im Opernhaus. »Ich konnte mit der Oper frü­ her eher weniger anfangen, aber mittlerweile gefällt es mir sehr«, erzählt Mraczny. Durch die Fenster können sie die Sänger üben hören – so bekomme man einen leichten Zugang. Die Aufgaben von Söhngen, Mraczny, Volles und Beer umfassen ne­ ben Instandhaltung der gesamten Computer- und Server-Infrastruk­ tur auch die sogenannte Enduser-Betreuung. Das heißt, Lösungen zu finden, wenn Mitarbeiter Probleme mit ihren Geräten haben. Die Anzahl origineller Anrufe, dass etwa Begriffe wie »Maus«, »Fenster« und »Schreibtisch« missverstanden werden, habe in den letzten Jahren abgenommen. »Die Leute sind routinierter im Umgang mit Computern geworden«, meint Mraczny. Gerade neu eingestellte jun­ ge Kollegen seien ja mit der Technologie aufgewachsen. Verwun­ dert sind sie manchmal eher über den Anspruch gewisser Anrufer, dass bei der EDV Allwissenheit herrsche. »Wir haben auch nicht alle Funktionen von Word und Excel im Kopf. Oft müssen wir selber auch einfach ausprobieren. In einigen Fällen würde wohl schon die Hilfe des Programmes, Google oder der Kollege nebenan weiterhelfen.« Sie seien auch nicht für jede Frage zuständig. »Aber«, fügen sie sofort hinzu, »die Leute dürfen schon anrufen. Wir wollen uns nicht beklagen – und wenn mal ein lustiger Anruf dabei ist … darüber können wir dann schon lachen.« Da mittlerweile in jeder Abteilung des Staatstheaters mindestens ein Computer steht, lernen die vier nahezu alle Mitarbeiter kennen. »Ich war schon fast unter jedem Schreibtisch«, erzählt Mraczny. Auf die Frage, wie sich die Abteilungen in ihren Anfragen unterschei­ den, wer zum Beispiel die dümmsten Fragen stelle, geben die Kolle­ gen der EDV keine Auskunft. »Klar gibt es Unterschiede …«, lässt sich Volles dann doch noch entlocken. Über den Rest wird ge­ schwiegen. Bei der EDV sind Gentlemen am Werk. 22.23 KONZERT SWANTJE KÖHNECKE KEINE KUNST? Das 7. Sinfoniekonzert widmet sich dem Kontrapunkt Till Fellner Der Kontrapunkt entstand als mittelalter­ liche Satzlehre des »punctus contra punc­ tum« (Note gegen Note). Er beschäftigt sich mit der linearen Bewegung mindestens zweier selbständiger Stimmen, während die Harmonielehre sich mit dem Zusammen­ klang innerhalb eines musikalischen Gefü­ ges auseinandersetzt. Auch wenn im Barock die vertikale Ausrichtung der Musik die Vor­ herrschaft über die horizontale übernahm, gehört der Kontrapunkt bis in die heutige Zeit zur Grundausbildung jedes Musikers, und die Fuge galt lange Zeit als Königsdiszi­ plin des kompositorischen Handwerks. Von Ludwig van Beethoven ist das selbstbe­ wusste Zitat überliefert, »eine Fuge zu ma­ chen« sei »keine Kunst, ich habe deren zu Dutzenden in meiner Studienzeit gemacht.« Doch seine Skizzen und Werke bezeugen, dass er zeitlebens mit dem Kontrapunkt gerungen hat, mit der Einbindung des ge­ lehrten Handwerks in seinen kompositori­ schen Ausdruckswillen. Bei Johann Seba­ stian Bach ist von diesem Ringen noch nichts zu spüren, allein 136 abgeschlossene Fugen weist sein Werkverzeichnis aus, ganz zu schweigen von den Fugen in Sonaten, Suiten, Kantaten- und Messsätzen. Sein Ira Levin Alterswerk Die Kunst der Fuge gilt als letztes Kompendium des Kontrapunkts, in der er als finales Fugenthema seinen eigenen Namen einführte: B-A-C-H. Nicht wenige Kompo­ nisten nach ihm nahmen die Herausforde­ rung dieses Themas aus vier Tönen an – als Reverenz vor dem großen Meister des Kon­ trapunkts. Franz Liszt schrieb 1855 seine Fantasie und Fuge über B-A-C-H für Orgel und überarbei­ tete sie 15 Jahre später für Klavier. Als Pia­ nist hat Ira Levin drei Jahrzehnte lang die Klavierfassung aufgeführt, zum Gedenkjahr 2011, anlässlich des 200. Geburtstages von Franz Liszt, hat er seine Orchestration des Werkes vorgestellt. Als Dirigent eröffnet er hiermit das 7. Sinfoniekonzert des Nieder­ sächsischen Staatsorchesters: »Das Werk dehnt die Grenzen der Tonalität, vor allem in der Fuge, in einem Maß, das zu seiner Zeit noch nicht erreicht worden war, außer in manchen Werken von Chopin und von Liszt selbst. So ist es ein Vorläufer von Wagners Tristan und Isolde wenige Jahre später und letztlich der Auflösung der Tonalität durch Schönberg. Zugleich ist das Werk bei weitem nicht nur von musikhistorischem In­ teresse, sondern vielmehr eine wilde, leiden­ schaftliche Tondichtung mit Momenten ru­ higer Betrachtung und einem triumphalen Schluss.« Am Ende des Konzerts erklingt ein Orgel­ werk von Bach selbst, in der Orchesterfas­ sung des italienischen Komponisten Ottori­ no Respighi: Passacaglia und Fuge c-Moll BWV 582. Kunstvoll überträgt Respighi die Schattierungen der Orgelregister in Orche­ sterfarben und überhöht diese von der Fra­ gilität der Solo-Flöte bis zum Pathos des spätromantisch besetzten Orchestertutti. Dem Kontrapunkt widmet sich auch Joseph Haydn in seiner Sinfonie Nr. 70. Der zweite Satz trägt den Untertitel »Specie d’un cano­ ne in contrapunto doppio« (nach Art eines Kanons im doppelten Kontrapunkt) und zeigt Haydn als Meister der Polyphonie. Das kontrapunktische Spiel wird im Finale mit gleich drei verschiedenen Themen in einer Fuge mit doppeltem Kontrapunkt fortgesetzt. Beide Sätze stehen in d-Moll und einer ge­ raden Taktart, während erster Satz und das Menuett als brillante, vorwärts treibende Sätze in D-Dur und im 3/4-Takt gehalten sind. So stehen sich in der Sinfonie gelehr­ ter und galanter Stil, Ernst und Leichtigkeit einander gegenüber. KONZERT AUF DIE INSEL! Zum Schluss: ein englisches Konzertfest Ein Ausnahmewerk auch ohne kontrapunk­ tische Experimente ist Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 482. Pa­ rallel zum Figaro entstanden, gehört es zu den großen Wiener Konzerten, die Mozart für seinen Eigenbedarf als Pianist kompo­ niert hat. Schon die ersten Takte, eine Or­ chesterfanfare gefolgt von dem kammermu­ sikalischen Trio aus Hörnern und Fagott, etablieren den Kontrast zwischen Opulenz und Intimität, Festlichkeit und Privatheit, die das Konzert auszeichnen. Der österrei­ chische Pianist Till Fellner, in dieser Saison Artist in residence der Bamberger Sympho­ niker, ist nach zwanzigjähriger Konzert­ tätigkeit erstmals als Solist beim Nieder­ sächsischen Staatsorchester zu erleben und kehrt mit dem Mozart-Konzert doch zugleich an seine Anfänge zurück: KV 482 war 1994 das erste Klavierkonzert, das der Pianist auf CD eingespielt hat, zusammen mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne. 7. SINFONIEKONZERT FRANZ LISZT/IRA LEVIN Fantasie und Fuge über B-A-C-H (1855–70/2011) WOLFGANG AMADEUS MOZART Klavierkonzert Es-Dur KV 482 (1785) JOSEPH HAYDN »Die Engländer sind das einzige Kulturvolk ohne eigene Musik«, stellte im Jahre 1866 der deutsche Musikforscher Carl Engel in ei­ ner Studie über nationale Musik fest. Diese These hatten die Engländer zu diesem Zeit­ punkt jedoch schon selbst widerlegt: Kom­ ponisten wie Arthur Sullivan oder Edward Elgar hatten erfolgreich die englische Opernund Konzertbühne bestiegen. Gustav Holsts kosmische Orchestersuite Die Planeten wur­ de nach ihrer Uraufführung 1918 über die Grenzen Englands hinaus berühmt. Karen Kamensek und das Niedersächsische Staatsorchester Hannover zeigen im 8. Sin­ foniekonzert die Vielfalt der englischen Mu­ sik. In Anlehnung an ein traditionell in der Royal Albert Hall gefeiertes Konzertereignis erklingt nach den Planeten von Gustav Holst in der zweiten Konzerthälfte ein Programm, das dem englischen Sinn für Humor und Un­ terhaltung im besten Sinne entsprechen. Zwischen beiden Konzerthälften lädt eine lange Pause dazu ein, englische Kultur jen­ seits des großen Konzertpodiums kennen zu lernen: mit Kammermusik, Gesang und Kuli­ narischem. So geht eine lange Spielzeit am Opernhaus mit dieser »Last Night« auf schönste Art zu Ende – feiern Sie mit, denn auch über das Feiern kann man von Englän­ dern bekanntlich so manches lernen! Sinfonie D-Dur Hob. I:70 (1779) JOHANN SEBASTIAN BACH/OTTORINO RESPIGHI Passacaglia und Fuge c-Moll (nach BWV 582) P 158 8. SINFONIEKONZERT (1706–13/1930) Konzertfest »Last Night« SOLIST Till Fellner (Klavier) DIRIGENT Ira Levin GUSTAV HOLST Die Planeten (1914–16) sowie Werke von William Walton, Arthur Sullivan, Henry Wood und Edward Elgar Sonntag, 1. Juni 2014, 17 Uhr Montag, 2. Juni 2014, 19.30 Uhr DIRIGENTIN Karen Kamensek Kurzeinführungen mit Ira Levin jeweils 45 Minuten vor dem Konzert Samstag, 26. Juli 2014, 19.30 Uhr Sonntag, 27. Juli 2014, 17 Uhr 24.25 KONZERT SWANTJE KÖHNECKE VON DER MAGIE DES TAKTSTOCKS Das Niedersächsische Staatsorchester spielt ein Werkstattkonzert mit jungen Dirigenten Dirigieren ist eine rätselhafte Kunst. Nur durch seine Mimik und Ge­ stik im Konzert und Worte in den Proben bringt der Dirigent (die weiblichen Exemplare der Gattung sind hier und im Folgenden im­ mer inbegriffen!) eine Vielzahl verschiedenster Menschen zum Mu­ sizieren und formt den Klangkörper Orchester nach seiner Vorstel­ lung. Dabei soll er steuern und spielen lassen, zügeln und motivieren zugleich. Er muss Experte für die unterschiedlichsten Instrumente und ihre Spielweisen sein und zugleich die hohe Fachkenntnis und künstlerische Individualität seiner Musiker respektieren. Der Diri­ gent ist Spezialist und Generalist, General und Pädagoge. Im Glücks­ fall bündelt er alle individuellen Erwartungen im Schlag seines Diri­ gierstabes und bringt das Kollektiv zum Klingen. Im Glücksfall erlebt ihn das Publikum als »Klangmagier«, der mitunter wie durch Zau­ berhand das Orchester zu Höchstleistungen anspornt. Doch wie ist dieses Zauberhandwerk zu erlernen? Wie erwerben junge Dirigenten neben dem Handwerk einfacher bis komplexer Schlagfiguren, neben Instrumentenkunde und Gehörbildung umfas­ sende Erfahrung mit dem Kollektiv des Orchesters? Erfahrungen mit seinem Klang und wie man ihn formen kann, mit seiner Psychologie und wie man sie für sich nutzen kann? Musikhochschulen bieten fortgeschrittenen Studierenden Arbeitsphasen mit ihren Hochschul­ orchestern oder kleinen Profiorchestern an, doch ab dem Berufsein­ stieg heißt es im Wesentlichen »Learning by doing« im Theater- und Orchesteralltag. Hier sah der Deutsche Musikrat Handlungsbedarf und hat 1991 das Dirigentenforum geschaffen, ein Förderprogramm für junge Dirigier­ talente. Ein wesentlicher Aspekt der Förderung ist die künstlerische Begegnung der jungen Dirigentengeneration mit international renommierten Dirigentenpersönlichkeiten in Meisterkursen, bei de­ nen die Stipendiaten unter Anleitung mit professionellen Klangkör­ pern proben und Konzerte leiten. Vor sechs Jahren war das Niedersächsische Staatsorchester Hanno­ ver zum ersten Mal Partner des Dirigentenforums. Anfang Juni sind wieder vier junge Dirigenten aus dem Stipendiatenprogramm vier Tage lang in Hannover zu Gast und arbeiten unter Anleitung von Marc Albrecht zunächst in Klavierproben, dann mit dem Orchester. Am Ende steht ein Werkstattkonzert im Opernhaus mit attraktivem Programm – und wechselnder Besetzung am Dirigentenpult. Marc Albrecht, in Hannover aufgewachsen und seit langem gern gese­ hener Gast bei den großen Orchestern und an den Opernhäusern europaweit, wird wie vor sechs Jahren das Konzert moderieren. Als Solistin ist die in Salzburg geborene Geigerin und Gewinnerin des Deutschen Musikwettbewerbs 2009 Byol Kang mit Mendelssohns Violinkonzert e-Moll erstmals in Hannover zu hören. Wer beim ersten Werkstatt-Konzert im März 2008 war, erinnert sich an einen spannenden Abend mit jungen Dirigenten – unter denen sich die heutigen Chefdirigenten der Münchner Symphoniker und der Hamburger Camerata sowie der amtierende Osnabrücker Gene­ ralmusikdirektor befanden. Am 6. Juni wird die nächste junge Diri­ gentengeneration im Opernhaus zu erleben sein. WERKSTATTKONZERT MARC ALBRECHT ROBERT SCHUMANN Ouvertüre zu Die Braut von Messina op. 100 (1850/51) FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Violinkonzert e-Moll op. 64 (1845) RICHARD STRAUSS Don Juan op. 20 (1889) Till Eulenspiegels lustige Streiche op. 28 (1895) DIRIGENTEN Joongbae Jee, Chin-Chao Lin, Alexander Merzyn, Leslie Suganandarajah SOLISTIN Byol Kang (Violine) MODERATION Marc Albrecht Freitag, 6. Juni 2014, 18 Uhr In Kooperation mit dem Dirigentenforum des Deutschen Musikrats ORCHESTER NADINE BOKOP REINGEHÖRT: HANA LIŠKOVÁ Mit dem Horn hat sich Hana Lišková für kein leicht zu erlernendes Instrument entschie­ den. Das Blechblasinstrument erfordert zur Erzeugung eines Tons eine spezielle Lippen­ technik durch den Einsatz vieler kleiner Muskeln im Mundbereich. Oft müssen viele Stunden investiert werden, bevor einem der erste Ton gelingt. Diese Zeit liegt bei Hana Lišková lange zu­ rück, doch sie erinnert sich noch genau da­ ran, wie unglücklich sie war, als sie das er­ ste Mal ein Horn in den Händen hielt. Zu dem Zeitpunkt erhielt die gebürtige Tsche­ chin Blockflötenunterricht. Ihr Flötenlehrer, ein passionierter Blechbläser, drückte ihr entschieden das Horn in die Hand. Es flos­ sen bitterliche Tränen über das ihr so frem­ de Instrument. Doch schon bald wurde Lišková für ihre aufkeimende Hartnäckigkeit belohnt: Sie gewann einen Wettbewerb der Musikschule und trat ins Blechbläser-Orche­ ster ihrer tschechischen Heimatstadt ein. Dort spürte sie ihre enge Verbundenheit zur Musik und zu anderen Musikern. »Jeder muss etwas für sich finden, womit man sich wohl fühlt. Bei mir ist das zwischen Musi­ kern und mit Musik selbst.« Im Alter von 15 Jahren erfüllte sich Hana Lišková ihren großen Wunsch, das Konser­ vatorium in Prag zu besuchen, wo sie ihr Abitur auch im Unterrichtsfach Horn ab­ schloss. Ein großes Ziel motivierte sie: Sie wollte an der Universität der Künste (UdK) in Berlin studieren. Ein Jahr vor ihrem Ab­ schluss hatte sie dort ein HornensembleKonzert besucht, wo sie spontan für einen Studenten der UdK-Hornklasse einsprang. Der Auftritt beflügelte sie derart, dass sie in Tschechien deutsche Sprachkurse belegte, ein Jahr später die Aufnahmeprüfung absol­ vierte und schließlich im Alter von 21 Jah­ ren in die deutsche Hauptstadt zog. In der Spielzeit 2010/11 ergatterte Lišková eine Praktikantenstelle beim Brandenbur­ gischen Staatsorchester in Frankfurt sowie 2012/13 eine Akademiestelle bei der Tsche­ chischen Philharmonie in Prag. Schließlich führte ihr Weg nach Hannover, wo sie das Probespiel als stellvertretende Solo-Hornis­ tin gewann. Doch Lišková bleibt beschei­ den: »Es ist nichts selbstverständlich. Man muss sich alles hart erarbeiten!« Nun möchte sie ihr einjähriges Probejahr nutzen, um ih­ ren Platz im Orchester zu finden und um sich als Solistin zeigen zu können. Diese Heraus­ forderung sei immer auch mit einem Krib­ beln im Bauch verbunden: »Ich bin vor mei­ nen Soli natürlich sehr aufgeregt, aber es ist ein gesundes Lampenfieber. Es zeigt meinen Respekt vor der Musik, den Instrumenten und den Kompositionen.« Eine Komposition, die Hana Lišková beson­ ders am Herzen liegt, ist Bedřich Smetanas Má Vlast (Mein Vaterland), eine Sammlung sechs verschiedener sinfonische Dichtungen über ihr Heimatland Tschechien, darunter das populäre Stück »Die Moldau«. Sie gerät ins Schwärmen: »Ich kann die Musik sehen! Wenn sie spielt, sehe ich die Natur, die Flüs­ se, die Berge!« Die Komposition bringt sie mit ihrem bisher größten Konzert-Erlebnis in Verbindung: Jährlich eröffnet ein ProfiOrchester mit dem Zyklus Mein Vaterland das Prager Frühlingsfestival. Das Konzert wird vom tschechischen Präsidenten be­ sucht und live im Fernsehen und Rundfunk übertragen. Im Jahr 2011 durften erstmals Studenten des Prager Konservatoriums das Festival eröffnen. Lišková wurde als Ehema­ lige eingeladen mitzuwirken. Gemeinsam ging es in eine Art Musik-Camp. »Es wurde wahnsinnig viel geprobt! Wir hatten einen fantastischen Dirigenten und man spürte den Willen, den Ehrgeiz und die Freude der Studenten. Man spürte ihre Energie«, erzählt sie. Beim Festival hätten sich die Emotionen aller in der Musik entladen. »Ich hatte durchgehend eine Gänsehaut!« So überrascht es nicht, dass sich unter ihren Lieblings-CDs auch eine Interpretation zu der Komposition Má Vlast befindet. CD-EMPFEHLUNGEN + Bedřich Smetana: Má Vlast. Czech Phil­ harmonic Orchestra. Ltg: Sir Charles Macker­ ras. Supraphon (2000) + Richard Strauss: Also sprach Zarathustra, Ein Heldenleben, Eine Alpensinfonie, Don Juan, Till Eulenspiegel. Ltg: Sir Georg Solti. Decca (1994) + Concerto Grosso. The American Horn Quartet, Sinfonia Varsovia. Ltg: Dariusz Wis­ niewski. Red Button Recordings (2003) + Benjamin Britten: Serenade for Tenor, Horn and Strings. Scottish Chamber Orche­ stra. Neil Mackie (Tenor), Barry Tuckwell (Horn). Ltg: Steuart Bedford. EMI (2009) 26.27 GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES OPERNHAUSES Prof. Dr. Nils Grosch GFO-TANZWORKSHOP CHAPLIN Am 16. März 2014 lud Choreographieassistent und Probenleiter Mathias Brühlmann zu einem an das Ballett Chaplin angelehnten Tanzworkshop für spätbewegte GFO-Mitglieder in den kleinen Ballettsaal des Opernhauses ein. Diese Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen mit dem Musiktheater um eine völlig neue körperliche Erfahrung zu erweitern, stand in dieser Spielzeit erstmalig auf dem Programm. Von diesem besonderen Erlebnis berichten die Teilnehmer: »Der Tanzworkshop mit Mathias Brühlmann am 16. März im Bal­ lettsaal des Opernhauses war einfach super. Toll, wie er uns alles nähergebracht hat. Am meisten haben mich die Tanzschritte aus dem Ballett Chaplin begeistert, die er versucht hat, uns beizubrin­ gen und so die enorme Schwierigkeit bewusst machte, nur annä­ hernd die Reihenfolge zu behalten und im Tempo auszuführen. Ich werde die Aufführung auf der Bühne nochmal mit ganz anderen Augen sehen. Vielleicht gibt es irgendwann eine Wiederholung für eine andere Ballettaufführung.« D. Jouran, 74 Jahre »Noch ist die Erinnerung frisch! Die Erfahrung, sich nach vorgege­ bener Musik im Sinne einer ‚Aussage‘ zu bewegen hat mich sehr beeindruckt. Wie viel Phantasie ist nötig! Wie wichtig ist gekonnte Körpersprache, die deutlich, aber nicht übertrieben ist! Wie unter­ schiedlich haben die verschiedenen Teilnehmer die Aufgabe ange­ packt! Wie schwer ist es, die vorgegebenen Bewegungen so exakt auszuführen und sich zu merken, dass es bei 30 Personen einheit­ lich aussieht! Herr Brühlmann hat das sehr nett gemacht. So wird mir das Ballett Chaplin sicher mehr sagen, da ich mehr über Cha­ plin weiß. Aber was machen ahnungslose Besucher? Ich bin ge­ spannt! Es war jedenfalls ein wichtiges Erlebnis für mich! Vielen Dank!« K. Neugebauer »Für mich war dieser Workshop eine völlig neue Erfahrung und be­ reitete gleichzeitig großes Vergnügen. Er brachte mir viele Einblicke in die Arbeit der Choreographen und Tänzer und zeigte, was für eine harte Arbeit hinter der Entstehung einer Ballettproduktion steckt. Vielen Dank an Mathias Brühlmann, der uns so vieles gezeigt hat.« S. Weisgerber, 56 Jahre »Die Möglichkeit ›hinter die Kulissen‹ zu schauen und sich für einige Stunden als Teil des Theaterlebens zu fühlen, ist etwas ganz beson­ deres und bereichert. Ich freue mich auf weitere spätbewegte Be­ wegung – auch wegen der liebevollen Betreuung der GFO und aus dem Opernhaus. Bei einem nächsten Mal könnte noch etwas mehr getanzt werden.« G. Krüger, 32 Jahre »Gleich vorneweg ein besonderer Dank an die GFO, die dieses in­ tensive Tanzerlebnis ermöglicht hat! Charlie Chaplin: seine Filme waren in den 60ern Kult, sein Aussehen und seine Bewegungen, vor allem die Kunstfigur des Tramp haben sich tief eingeprägt. Nicht zuletzt auch Freude am Tanzen waren meine Beweggründe für die Teilnahme. In dem Tanzworkshop habe ich durch Mathias Brühlmann einen facettenreichen und kurzweiligen Einblick in dieses Künstlerleben bekommen. Er hat uns außerdem behutsam GESELLSCHAFT DER FREUNDE DES OPERNHAUSES an bestimmte Tanzschritte herangeführt durch eigene Bewegung­ simprovisationen bis hin zum Erlernen von kurzen choreogra­ phischen Versatzstücken aus dem aktuellen Ballett. Das war dann ›harte konzentrierte Arbeit‹, die mir durch ihren Anspruch beson­ ders Spaß machte. Anschließend konnten wir in Filmsequenzen die Profis bewundern. Die Möglichkeit in eine Welt einzutauchen, die man sonst nur auf der Bühne erlebt, war für mich die schönste Erfahrung. Zudem bin ich gut vorbereitet auf die neue Ballett­ choreographie, die ich mir natürlich ansehen werde.« H. von Dreising, 69 Jahre »Der zeitliche Rahmen war genau richtig. Die Mischung aus Infor­ mationen und aktivem Mitwirken sorgte für eine spannende At­ mosphäre. Interessant war auch das geschichtliche Feedback verbunden mit kinematischen Vorführungen. Mathias Brühlmann hatte sichtlich Spaß und gab sich viel Mühe, uns das Stück nicht nur verständlicher sondern auch fühlbar zu machen. Für mich persönlich war es sehr spannend, das Gebäude mal aus einer an­ deren Perspektive kennenzulernen. Ich bin dankbar für diesen Einblick in die Entstehung eines Balletts. Kurz gesagt: SUPER!!!« A. Haase, 47 Jahre »Zunächst herzlichen Dank der GFO und Frau Schlömer für diese rundum gelungene Veranstaltung! Mathias Brühlmann bot mit sei­ ner lebendigen und humorvollen Art eine Mischung aus Informa­ tionen über Charlie Chaplin, die Choreographie des Balletts von Mario Schröder und die praktische Umsetzung einiger typischer, chaplinesker Bewegungsabläufe durch die GFO-Mitglieder. Bitte mehr solcher ›aktiven‹ Veranstaltungen!« U. Kugel, 69 Jahre »Der Tanzworkshop war ein sehr lehrreiches Erlebnis. Man hat ei­ nen Eindruck von der aufwendigen Arbeit der Choreographie be­ kommen und sieht die Ballettaufführung mit anderen Augen. Für mich war das Tanzen eine neue Erfahrung, ich habe es genossen.« I. Koch, 78 Jahre »Von dem Workshop war ich total begeistert. Vor allem von der Art und Weise wie Mathias Brühlmann uns die Aufführung des Balletts Chaplin näher gebracht hat. Die Abwechslung zwischen Bewegung und Erklärung und selbst auch mal etwas kreativ sein zu müssen, machte mir sehr viel Spaß. Außerdem hat es die Bewunderung für die Tänzerinnen und Tänzer, was Konzentration und Leichtigkeit be­ trifft, noch gesteigert. H. Uhlig, 75 Jahre WERDEN AUCH SIE EIN FREUND DES OPERNHAUSES – JEDER IST HERZLICH WILLKOMMEN! Gesellschaft der Freunde des Opernhauses Hannover e.V. | GFO-GESCHÄFTSSTELLE Geschäftsstelle DUNG VORSTANDS­V OR­S ITZENDER Christoph Trestler | POSTANSCHRIFT DER der GFO, c/o Nord/LB, Zuleitung 5371, Friedrichswall 10, 30159 Hannover | BANK VERBIN- IBAN: DE33 2505 0000 0101 4247 37, BIC: NOLADE2HXXX | Die jährlichen Beiträge für eine Mitgliedschaft betragen für eine Einzelperson 40€, für jedes weitere Familienmitglied 20€, für Schüler und Studenten 10€, für Firmen 100€. Fragen zur Mitgliedschaft und zu den Veranstaltungen richten Sie bitte an unsere Ansprechpartnerin Friederike Schlömer (friederike. [email protected]) oder an die Geschäftsstelle der GFO. Weitere Informationen unter www.gfo-hannover.de 28 FUNDUS DAS ERBE ZWEIER TÄNZER SEIT DER GEORGI-ÄRA GASTIERUNGEN Zwei langjährige Solisten des Staatsballetts Hannover sind verstor­ Auch in dieser Spielzeit waren Mitglieder unseres Ensembles wie­ ben: Die Tänzerin Gisela Rochow im Alter von 80 Jahren und der der fleißig unterwegs. Ballettdirektor Jörg Mannes hat im März in Tänzer und Choreograph Gregor Leue im Alter von 77 Jahren. Karlsruhe sein neues Ballett Spiegelgleichnis herausgebracht. 2. Ka­ Gisela Rochow, die bereits in Düsseldorf eine herausragende Solis­ pellmeisterin Anja Bihlmaier dirigierte im April sowohl in Pader­ tin gewesen war, wurde von der Ballettmeisterin Yvonne Georgi born als auch in Minden Konzerte mit der Nordwestdeutschen Phil­ von dort nach Hannover mitgenommen. Ihr zehnjähriges Engage­ harmonie Herford. Der 1. Kapellmeister Mark Rohde leitete im April ment auf der Ballettbühne Hannover brachte ihr zahllose Erfolge im Stadttheater Flensburg mehrere Vorstellungen Das Land des Läein, und ihre Bühnenpräsenz und ihr persönlicher Stil machten sie chelns. Bariton Francis Bouyer übernahm, ebenfalls im April, die beim Publikum beliebt. Als sie sich in den frühen 60er Jahren von Rolle des Riccardo in I Puritani im Gastspiel des Meininger Theaters der Bühne und von Hannover verabschiedete, um zu heiraten und in Ingolstadt. Tenor Gevorg Hakobjan von der Jungen Oper trat am in die Türkei auszuwandern, konnte sie auf eine ruhmreiche Karri­ 12. April in Bilthoven (Niederlande) und am 19. April in Amsterdam ere zurückblicken. Sie lebte bis zuletzt in Istanbul und unterrichtete auf. Am Theater Duisburg wirkte Josefine Weber als Helmwige in dort Tanz. der Wiederaufnahme von Die Walküre mit. Nach Norden zog es Per Auch Gregor Leue begann seine Arbeit in Hannover aufgrund einer Bach Nissen. Am 29. April trat er in Vejle (Dänemark) im Opern­ Einladung von Yvonne Georgi. Sie hatte den jungen Tänzer, der zu­ konzert des dortigen Sinfonieorchesters auf. vor bereits Engagements in der DDR und in München zu verzeichnen hatte, bei einem Gastspiel in Hildesheim entdeckt und ihn sofort nach Hannover geholt. Dort tanzte er fast alle Rollen des klassischen Repertoires und war vor allem gefeiert für den Part des Franz in Coppélia, den er insgesamt sechs Das gesuchte Ballett ist wohl eines der be­ Mädchen, das von einem Familienmitglied Mal tanzte. Leue blieb dem Ensemble über liebtesten Märchen der Ballettgeschichte. ein außergewöhnliches Geschenk erhält. vierzig Jahre lang treu, erlebte die Grün­ Seine Uraufführung hatte es bereits 1892 in Gesucht werden der Name des Balletts und dung des Choreographenwettbewerbs und St. Petersburg und war für den Komponisten des Komponisten. choreographierte schließlich auch selbst; er eines von mehreren Auftragswerken. Dieser schuf unter anderem Choreographien für die ließ sich durch ein Märchen von Ernst Theo­ Ihre Antwort schicken Sie bitte bis zum 31. Verdi-Opern Ein Maskenball und Aida in dor Amadeus Hoffmann inspirieren, welches Mai 2014 per Postkarte an die Staatsoper den 90er Jahren. Wir hatten die Ehre, Leue dem Stück als Vorlage diente. Inzwischen Hannover: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. persönlich kennenzulernen, als er 2009 zur gibt es zahlreiche Variationen des Balletts, Opernplatz 1. 30159 Hannover, oder per Email ersten Ausstellung der »Tanzstadt Hannover« teilweise unter dem Titel des gleichnamigen an [email protected]. ein Interview zur Dokumentation der Zeit­ Märchens Hoffmanns. Seit 1986 wurde das Vergessen Sie nicht Ihren Absender! Unter zeugen gab. Dort erinnerte er sich lustvoll, Stück ganze 105 Mal in der Staatsoper Han­ allen richtigen Einsendungen verlosen wir 5 mit Humor und vielen Anekdoten an seine nover getanzt, sowohl in der traditionellen x 2 Karten für die Neuproduktion von Wolf­ Zeit beim Staatsballett. Seine letzten Jahre Fassung als auch als Neuinszenierung. Die gang Amadeus Mozarts Don Giovanni am verlebte Gregor Leue in Nürnberg, wo er Originalversion besteht neben der Ouvertüre Freitag, den 25. Juli 2014, 19.30 Uhr. schließlich auch starb. lediglich aus zwei Akten, die Neuinszenie­ Beide Tänzer prägten den Tanz in Hannover rung von Jörg Mannes hingegen wurde Im Rätsel der seitenbühne 03/04.2014 und waren beeindruckende Persönlichkeiten durch die Rokoko-Variationen des Kompo­ suchten wir die Oper Die Soldaten von Bernd in der Geschichte des Balletts der Staatsoper. nisten ergänzt. Hauptfigur ist ein kleines Alois Zimmermann. OPERNRÄTSEL ORCHESTER IMPRESSUM HERAUSGEBER Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH, Staatsoper Hannover, Opernplatz 1, 30159 Hannover INTENDANT Dr. Michael Klügl Dr. Swantje Köhnecke TEXTE Dramaturgie, Öffentlichkeitsarbeit, Musiktheaterpädagogik TYPOGRAFISCHES KONZEPT María José Aquilanti, Birgit Schmidt GESTALTE­ RISCHE UMSETZUNG María José Aquilanti DRUCK Steppat Druck FOTOS Gert Weigelt (Titel, 19, 26/27), Thomas M. Jauk (4–6, 7, 20, 21), Ingo Höhn (10), Stefan Malzkorn (11), Ben Ealovega (22: Fellner), Marco Borggreve (24), Thomas Huppertz (25) und privat TITELBILD Chaplin mit Catherine Franco (Tramp) REDAKTION seitenbühne . Mai bis Juli 2014