Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Klassik zum Mitreden 05 Minimal, aber mit viel Aufwand – Das „Tirol Concerto“ von Philip Glass Von Niels Kaiser Erstsendung: 24.04.2017, 14.30 Uhr, hr2-kultur Länge: 07'00" Sprecher: Niels Kaiser Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1 Anmoderationsvorschlag: Die Minimal Music lebt von der Wiederholung und von der Verwendung einfachen musikalischen Materials. Da passt es, wenn Philip Glass sich für sein „Tirol Concerto“ das Tiroler Volkslied „Maria, hilf“ zur Vorlage nimmt, um daraus ein ganzes Klavierkonzert zu zimmern. hr2-Hörer kennen diese Musik von der Sendung „Doppel-Kopf“, die vor 24 Uhr stets mit ihr auszuklingen pflegt. Österreich-Urlauber erleben Glass' Tiroler Klänge in preisgekrönten Werbefilmen über das „Land im Gebirge“, die mit ihnen unterlegt sind. Im „Tirol Concerto“ verbindet Philip Glass seine minimalistischen Kompositionstechniken mit den Formen des klassischen Konzerts. „Maria, hilf“ hilft ihm dabei. O-Ton hr2-kultur Mit diesen Klängen endet allabendlich das Programm von hr2-kultur vor den 24-Uhr-Nachrichten. Österreich-Urlauber hingegen kennen die Musik aus ganz anderen Zusammenhängen. Mit wenigen Klicks lässt sich im Internet ein Film der Tiroler Tourismuswerbung finden. Rauschende Wildbäche sieht man da, dahin gleitende Steinadler und Gipfelkreuze auf schroffen Felsspitzen. Die Musik stammt von einem der bekanntesten Vertreter der so genannten Minimal Music: Philip Glass. Im Jahr 2000 schrieb er im Auftrag der Tiroler Tourismuswerbung das „Tirol Concerto“. Dessen zweiter Satz dient seitdem als Werbemusik für das Urlaubsland in den Alpen. Was aber hat die Musik denn jetzt bitteschön mit Tirol zu tun? Ganz einfach, das hier! Lied: Maria, hilf doch mir So klingt das im ganzen deutschsprachigen Alpenraum gesungene Volkslied „Maria, hilf doch mir“. Philip Glass hat eine Version verwendet, wie sie in Alpbach südwestlich von Innsbruck gesungen wird. Bei ihm klingt das dann so. Satz 1: Anfang Mit der originalen Melodie des Liedes startet der erste Satz des „Tirol Concerto“. Unmittelbar darauf beginnt das Räderwerk der Minimal Music anzulaufen. Aus den repetitiven Klangmustern blitzen immer wieder Bestandteile des Liedes hervor wie in der Durchführung eines klassischen Sonatenhauptsatzes. Das Tirol Concerto stammt schon aus der postminimalistischen Phase von Philip Glass, in der er zunehmend die Arbeitsweisen der Minimal Music mit dem Formenkanon der klassischen Musik verbindet. Auch das Verfahren, ein bekanntes Lied zur Grundlage eines Konzertsatzes zu machen, kommt schon bei Mozart vor. Der zweite Satz ist ein langsamer Variationensatz und bildet das Zentrum des „Tirol Concerto“. Als Grundlage dienen gerade einmal drei Töne aus dem „Maria hilf“-Lied. Das aus den drei Tönen gebildete Motiv wird von Glass zeitlich gestreckt. Unterlegt ist es mit einem viertaktigen Akkordschema, das sich über eine Viertelstunde, so lange dauert der Satz, nicht verändern wird. Das Akkord-Schema zieht sich durch wie ein Teppich mit dem immer gleichen Muster. Man nennt so etwas eine Ostinato-Varitation. Das Motiv aus den drei Tönen aber erklingt in zahlreichen Abwandlungen. Mal im Klavier und mal im Orchester. Alle Methoden der Minimal Music werden hier durchgespielt. Da ist zum Beispiel das Flirren, das entsteht, wenn Zweierrhythmen im Orchester gegen Dreierrhythmen im Klavier gesetzt werden. Dann wird die Melodie akkordisch vom Klavier gespielt. Das klingt fast wie eine Hymne. 2 Wenn danach die Streicher das akkordische Spiel übernehmen, ergeht sich das Klavier in Läufen und den für Philip Glass so typischen aufgelösten Dreiklängen. Das übernehmen dann wiederum auch die Streicher. Die Klangfarben von Klavier und Orchester werden immer opulenter. Bis dann alles wieder zurückgenommen wird und leise verklingt. Der Schlusssatz schließlich ist ein turbulentes tanzartiges Finale. Die Ausgelassenheit alpiner Volkstänze könnte hier Pate gestanden haben. Aus den Abwärtsbewegungen in der Melodie des Marienliedes wird ein abwärts schreitendes Motiv gebildet, das rondo-artig immer wiederkehrt. Klavier und Orchester treten in einen konzertanten Dialog wie im klassischen Konzert und wechseln sich ab mit der Präsentation des Themas und seinen Umspielungen. Die Inspiration durch ethnologische Musik ist für einen Minimalisten wie Philip Glass vom Prinzip her nichts Neues, die ganze Idee der Minimal Music ist schließlich aus der rituellen Musik Westafrikas oder Indonesiens abgeleitet. Glass selbst ist vor allem von der indischen Musik beeinflusst. Im „Tirol Concerto“ aber lässt er sich zum ersten Mal nicht nur von ethnologischer Musik inspirieren, er verwendet ganz konkret ihr Material. Dahinter stehen natürlich auch die Tiroler Auftraggeber, die mit dem Konzert als Werbemusik für eine klare Verquickung von Kunst und Kommerz sorgen. Immerhin aber muss man Philip Glass zu Gute halten, dass sein Tiroler Konzert dann doch deutlich mehr nach amerikanischem Minimalismus klingt als nach alpenländischer Volkstümlichkeit. Satz 2: Schluss Musik: Titel: Komponist: Interpret: CD: Label: LC: Track: Zeit: Tirol Concerto Philip Glass Dennis Russell Davies, The Stuttgart Chamber Orchestra Dennis Russell Davies performs Philip Glass Orange Mountain Music 30601 001-003 6‘34 Titel: Komponist: Interpret: O Maria, hilf doch mir trad. Schulchor der Englischen Fräulein Altötting, Avita Bichlmair Eigenproduktion Bayerischer Rundfunk 0‘26 Zeit: 3