Standesinitiative zur Zusammensetzung von Bundesrat und

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Kanton Bern
Canton de Berne
Parlamentarische Vorstösse
Interventions parlementaires
Vorstoss-Nr:
Vorstossart:
001-2012
Motion
Eingereicht am:
20.12.2011
Eingereicht von:
Zuber (Moutier, PSA)
Weitere Unterschriften:
0
(Sprecher/ -in)
Dringlichkeit:
Datum Beantwortung:
RRB-Nr:
Direktion:
09.05.2012
666/2012
STA
Standesinitiative zur Zusammensetzung von Bundesrat und Nationalrat
Die Berner Kantonsbehörden reichen bei der Bundesversammlung eine Standesinitiative
ein, mit der folgende Änderungen der Bundesverfassung beantragt werden:
1. Der Bundesrat besteht aus 9 Mitgliedern und ist so zusammengesetzt, dass die
sprachliche Vielfalt der Schweiz respektiert wird.
2. Das Wahlverfahren für den Nationalrat sichert den sprachlichen Minderheiten der
mehrsprachigen Kantone (gemäss Amtssprachen) eine bestimmte Anzahl Sitze zu,
die mindestens der Bevölkerungsstärke der betreffenden Minderheit entspricht. Die
Sitze gehen an Kandidatinnen und Kandidaten, die in den Regionen, denen die Sitze
zukommen, wohnhaft sind.
Begründung:
Die kürzliche Wahl des neuen Bundesrats Alain Berset, über die sich der Motionär im Übrigen freut, hat zu verschiedenen Reaktionen geführt, die die Schwächen der ungeschriebenen Regeln, die für die Zusammensetzung des Bundesrats gelten, an den Tag gebracht
haben (Kantonsklausel, sprachliche und regionale Vertretung usw.). Der Präsident der
Konferenz der Kantonsregierungen, Staatsrat Pascal Broulis (VD), hat sich wie folgt geäussert: «Man sollte die Kantonsklausel wieder einführen, um eine ausgewogene Vertretung der Kantone im Bundesrat zu erhalten». Ähnlich hat sich Nationalrat Dominique de
Buman (CVP FR) geäussert: «Wir müssen die Verfassung ändern und die Zahl der Bundesräte von sieben auf neun erhöhen». Und SP-Vizepräsidentin Jacqueline Fehr (ZH)
stellt mit Bedauern fest: «Wir haben heute einen geographisch und soziologisch sehr homogenen Bundesrat, welcher der Vielfalt der Schweizer Bevölkerung nicht gerecht wird».
Mit einer solchen Regierungsreform könnten die Mitglieder des Bundesrats entlastet, eine
ausgewogenere Vertretung aller Landesteile erreicht und die Bundesregierung in ihrem
Handeln innerhalb und ausserhalb der Schweiz gestärkt werden.
Im Kanton Bern haben die Gesamterneuerungswahlen zu einem bedauerlichen und erstmaligen Ereignis geführt: Zum ersten Mal seit 1848 ist eine ganze Bevölkerungsgruppe,
dank der sich der Kanton zweisprachig nennen darf, dank der er eine Brückenfunktion
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spielen und dank der er zum nationalen Zusammenhalt beitragen kann, nicht mehr im Nationalrat vertreten. Es hat sich gezeigt, dass die Bevölkerung des Berner Juras, obwohl sie
in der Kantonsverfassung als solche anerkannt ist, über keinerlei Garantien verfügt, einen
eigenen Vertreter in den Nationalrat zu wählen (was auch die in dieser Region festgestellte
schwache Wahlbeteiligung erklärt). Die französischsprachige Kantonsbevölkerung kann
nur darauf hoffen, dass wahltaktische Schachzüge für sie aufgehen (Kumulieren, Listenverbindungen, aus allen Parteien zusammengewürfelte Regionallisten usw.).
Die Situation ist ernst, nicht nur für den Berner Jura, der unter der Bundeskuppel keine
Stimme mehr hat, sondern auch für den zweisprachigen Kanton Bern, dessen Vertretung
im Bundesparlament nunmehr rein deutschsprachig ist.
Die Zusammensetzung des Bundesrats muss der Vielfalt des Landes Rechnung tragen.
Die Zusammensetzung des Nationalrats aber darf Bevölkerungsgruppen, wie jene des
Berner Juras, die aufgrund ihres geringen demografischen und politischen Gewichts in
ihren jeweiligen Kantonen benachteiligt sind, nicht ausschliessen.
Es besteht kein Zweifel, dass dieser Vorstoss, der auch für andere Kantone von Interesse
sein dürfte, von den politischen Parteien des Kantons Bern, die sich die kantonale Zweisprachigkeit immer wieder auf ihre Fahne schreiben, gut aufgenommen werden dürfte.
Antwort des Regierungsrates
Die Motion verlangt, dass eine Standesinitiative eingereicht wird, mit der Änderungen der
Bundesverfassung betreffend die Zusammensetzung des Bundesrates sowie Modifikationen des Wahlverfahrens für den Nationalrat (Berücksichtigung sprachlicher Minderheiten)
beantragt werden.
Ziffer 1: Zusammensetzung des Bundesrates
Die Stellung und die Zusammensetzung des Bundesrates werden durch Bundesrecht bestimmt: Gemäss Bundesverfassung (BV, SR 101) ist der Bundesrat die oberste leitende
und vollziehende Behörde des Bundes (Art. 174 BV). Er besteht aus sieben Mitgliedern
(Art. 175 Abs. 1 BV).
Das Regierungssystem der Schweiz ist seit 1848 im Wesentlichen unverändert geblieben.
Durch den Aufgabenzuwachs, den Ausbau der Verwaltung und die Zunahme der internationalen Verflechtungen ist die Aufgabenlast des Bundesrates stark gewachsen. Die politische Schweiz beschäftigt sich daher seit langem mit dem Thema «Regierungsreform»
(vgl. BIAGGINI, Zur Regierungsreformdiskussion, ZBl 2011, S. 417 ff.). In den Diskussionen
der 90er Jahre rückten die Stärkung des Regierungskollegiums gegenüber den Departementen sowie die Entlastung der einzelnen Bundesratsmitglieder in den Vordergrund (vgl.
Botschaft zu einem neuen RVOG, BBl 1993 III 997 ff.). Verschiedentlich wurde der Systemwechsel zu einem parlamentarischen Konkurrenzmodell gefordert. Diese Idee wurde
nicht weiter verfolgt. Das von der Bundesversammlung am 6. Oktober 1995 verabschiedete neue Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz sah unter anderem die Einsetzung einer neuen Art von Staatssekretären mit politischer Funktion vor. Das Gesetz scheiterte in der Referendumsabstimmung vom 9. Juni 1996; die unbestrittenen Teile wurden
wieder aufgenommen (RVOG vom 21. März 1997) und konnten am 1. Oktober 1997 in
Kraft treten.
Ein weiterer Reformanlauf wurde Ende 2001 mit der Verabschiedung der bundesrätlichen
Botschaft zur Staatsleitungsreform genommen. Im Zentrum stand ein sog. «Zwei-KreiseModell» für die Regierung (vgl. BBl 2002 2095). Dieses Modell sah vor, dem Bundesratskollegium eine untere Regierungsebene mit sieben «Delegierten Ministern» (oder stellvertretenden Bundesräten) beizufügen. Die Vorlage fand im Parlament nicht genügend Rückhalt. Der Ständerat bevorzugte zunächst eine Erhöhung des Bundesratskollegiums auf
neun Mitglieder. Der Nationalrat hingegen beschloss im März 2004, das Geschäft an den
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Bundesrat zurückzuweisen. Der Ständerat schloss sich im Juni 2004 an. In der Folge leitete der Bundesrat einmal mehr eine Verwaltungsreform ein.
Im August 2009 kam der Bundesrat zum Schluss, dass weiterhin Reformbedarf bestehe
und beschloss, die Arbeiten zur Staatsleitungs- bzw. Regierungsreform wieder aufzunehmen. Er verabschiedete im Oktober 2010 eine Zusatzbotschaft zur Staatsleitungsreform
(vgl. BBl 2010 7811). Im Vordergrund stehen insbesondere die Verlängerung der Amtsdauer der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten (auf zwei Jahre), die Stärkung
der Kollegialregierung sowie Optimierungen in der Vorbereitung und Durchführung der
Regierungssitzungen. Schliesslich sollen zusätzliche Staatssekretärinnen und Staatssekretäre eingesetzt werden können. Diese sollen wichtige und klar definierte Aufgaben im
Bereich der Departemente übernehmen sowie im Verkehr des Bundesrates mit dem Ausland und mit dem Parlament eingesetzt werden (BBl 2010 7813, insbes. 7829). Die Vorlage ist in den Kommissionen beider Räte hängig; das Schicksal dieses Geschäfts ist offen.
Was die Zusammensetzung des Bundesrats mit Blick auf die sprachliche Vielfalt anbelangt, so hat die Bundesversammlung bei der Wahl der Mitglieder des Bundesrates auch
Rücksicht darauf zu nehmen, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind (vgl. Art. 175 Abs. 4 BV). Dieses Rücksichtnahmegebot trat 1999 an die
Stelle der 1848 geschaffenen Kantonsklausel, derzufolge nur ein Mitglied aus dem gleichen Kanton Einsitz in den Bundesrat nehmen konnte. Mit dem Verzicht auf die Kantonsklausel wollte man auf die bisherige Tradition (vier bis fünf Vertreterinnen oder Vertreter
der deutschsprachigen Schweiz; zwei bis drei Vertreterinnen oder Vertreter der übrigen
Landesteile) aber nicht grundsätzlich verzichten. Zudem sind die Mitglieder der Landesregierung nicht den Interessen «ihrer» Landesgegend oder Sprachregion verpflichtet, sondern dem Gesamtinteresse.
Die Ausführungen zu den Diskussionen zur Staatsleitungsreform zeigen, dass die künftige
Ausgestaltung der Regierung primär ein Problem der Bundesebene ist. Der Kanton Bern
ist davon nicht in besonderer Weise betroffen. Die Berücksichtigung der sprachlichen Vielfalt innerhalb des Bundesrates gilt gemäss geltendem Verfassungsrecht bereits heute.
Ziffer 2: Nationalratswahlen
Die Motion verlangt weiter, dass das Wahlverfahren für den Nationalrat den sprachlichen
Minderheiten der mehrsprachigen Kantone eine bestimmte Anzahl Sitze zusichern müsse.
Das Wahlverfahren und die Zusammensetzung des Nationalrates richten sich nach den
Vorgaben des Bundesrechts (BV und Bundesgesetz über die politischen Rechte [BPR, SR
161.1]). Die Bundesverfassung schreibt vor, dass das Volk die 200 Mitglieder des Nationalrates in direkter Wahl nach dem Grundsatz des Proporzes bestimmt, wobei die nähere
Ausgestaltung des Proporzes dem Gesetzgeber überlassen bleibt (Art. 40 und 41 BPR)
Die Gesamterneuerung findet alle vier Jahre statt (Art. 149 Abs. 1 und 2 BV). Als Ausdruck
der föderalistischen Struktur des Landes bildet jeder Kanton einen Wahlkreis (Art. 149
Abs. 3 BV).
Die Sitzverteilung erfolgt nach der Bevölkerungszahl; abgestellt wird auf die in- und ausländische Wohnbevölkerung (Art. 149 Abs. 4 Satz 1 BV). Die Verfassung schreibt weiter
vor, dass jeder Kanton Anspruch auf mindestens einen Sitz hat. Diese Regeln erklären
sich aus der föderalistischen Struktur der Schweiz und tragen dazu bei, dass auch die Parteien in der Schweiz sehr föderalistisch organisiert sind (vgl. LANZ, St. Galler Kommentar
zu Art. 149 BV, Rz. 6). Was die Berücksichtigung sprachlicher Minderheiten in mehrsprachigen Kantonen betrifft, so es in erster Linie Aufgabe der politischen Parteien in den einzelnen Kantonen, mit der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten und mit der Ausgestaltung der Listen dafür zu sorgen, dass alle Teile des Kantons und auch die sprachlichen
Minderheiten eine Chance haben, einen Sitz im Nationalrat zu erhalten.
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Wie der Motionär erwähnt, hätte die Bevölkerung im Berner Jura an sich die Möglichkeit,
sich durch die gezielte Einflussnahme auf die Gestaltung der Listen aus eigener Kraft eine
Vertretung in den eidgenössischen Räten zu sichern. Überdies hätten es insbesondere die
grossen Parteien in der Hand, Kandidatinnen und Kandidaten aus dem Berner Jura durch
die Gestaltung der Listen hohe Chancen für eine Wahl in die eidgenössischen Räte einzuräumen. Diese Wege scheinen in der Praxis nicht einfach begehbar zu sein.
Aus einer grundsätzlichen staatspolitischen Sicht hat der Regierungsrat Verständnis für
das Anliegen des Motionärs. Eine direkte Vertretung des Berner Juras im Bundesparlament ist anzustreben. Der Regierungsrat beantragt deshalb dem Grossen Rat, Ziffer 2 des
Vorstosses sei als Motion zu überweisen. Wenn der Grosse Rat der Standesinitiative in
diesem Punkt zustimmt, wird es Sache der Bundesversammlung sein zu prüfen, auf welcher Stufe der Rechtsetzung das Anliegen umgesetzt werden könnte. Möglicherweise wäre eine Änderung von Artikel 149 der Bundesverfassung erforderlich.
Anträge:
Ziffer 1: Ablehnung
Ziffer 2: Annahme
An den Grossen Rat
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