zWiSchen erfahrung und zeichen filmtheorie als

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Zwischen Erfahrung und Zeichen
Filmtheorie als Brückenschlag
von Malte Hagener
Franziska Heller, Filmästhetik des Fluiden. Strömungen des
Erzählens von Vigo bis Tarkowskij, von Huston bis Cameron,
München, Paderborn (Wilhelm Fink) 2010 (Zugleich
Dissertation Ruhr-Universität Bochum 2009).
Thomas Morsch, Medienästhetik des Films. Verkörperte
Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung im Kino, München,
Paderborn (Wilhelm Fink) 2011 (Zugleich Dissertation
Freie Universität Berlin 2008).
Herbert Schwaab, Erfahrung des Gewöhnlichen. Stanley Cavells Filmphilosophie als Theorie der Populärkultur, Münster
(Lit Verlag) 2010 (Zugleich Dissertation Ruhr-Universität
Bochum).
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Wissenschaftliche Entwicklung verläuft nicht linear und
teleologisch, auf immer größere Erkenntnis zu, sondern
eher wellenförmig und intermittierend, von plötzlichen
Richtungswechseln und paradoxen Zeitstrukturen geprägt. Das lässt sich deutlich ausmachen etwa am Verhältnis von Theorie und Geschichte in der filmwissenschaftlichen Forschung der vergangenen Jahrzehnte: Nachdem in
den 1970er und bis in die 80er Jahre hinein die Filmtheorie unter der Überschrift der screen theory die Filmwissenschaft geprägt hatte, dominierte die Filmgeschichte nach
der Wende zur new film history in den 80er Jahren bis Ende
der 90er Jahre den Diskurs. In den letzten zehn Jahren
hingegen ist ein Wiedererstarken der Filmtheorie zu beobachten: Neue Publikationsforen wurden entwickelt und
institutionalisiert, neue Theorieansätze und Denkschulen
erprobt und diskutiert. Es ist in diesem Zusammenhang
uneingeschränkt zu begrüßen, dass auch in deutschsprachigen Qualifikationsarbeiten der Anschluss an internatio-
nale Forschungsfelder und Diskurse gesucht wird. In allen
drei vorliegenden Arbeiten sind der angelsächsische Raum
(vor allem die Vereinigten Staaten) und Frankreich die Bezugspunkte, andere Weltregionen kommen nicht vor.
Ähnlich wellenförmig gegeneinander verschoben wie
die Beziehung von Theorie und Geschichte verlaufen auch
die Konjunkturzyklen von phänomenologischen und formalistisch-semiotischen Ansätzen, die sich in solchen polarisierenden Gegenüberstellungen wie Phänomenologie
und Konstruktivismus, Mimesis und Text oder Erfahrung
und Zeichen finden. Es ist die Frage nach dem Verhältnis
zwischen diesen beiden Polen, die alle drei Arbeiten antreibt, jedoch jeweils in eigenständiger Weise. Tendenziell
geben sie sich versöhnlich: Sie ergreifen nicht Partei für
eine Seite, sondern bemühen sich, Brücken zu bauen und
Kontakt herzustellen. Ganz unterschiedlich sind dagegen
die Ansatzpunkte: Während Franziska Heller von einem
filmischen Motiv ausgeht und hieraus eine Gesamtästhetik des Films entwickeln will, geht es Thomas Morsch um
die Versöhnung von ästhetischer Erfahrung und Medientheorie im Film, und Herbert Schwaab wiederum greift auf
Stanley Cavells Filmphilosophie zurück, um diese für das
Fernsehen fruchtbar zu machen.
Film als Fluss
Das Interesse an filmischen Motiven scheint derzeit groß
zu sein.1 Franziska Heller widmet sich in Filmästhetik des
­Fluiden dem Motiv des Fließens und des Flüssigen, woraus
sie das Strukturmerkmal des Fluiden für die Wahrnehmung des Filmischen insgesamt ableitet. Ausgehend von
der filmischen Narratologie, die Heller dafür kritisiert, allzu stark auf literaturtheoretische Modelle des sprachlichen
Erzählens zu rekurrieren, soll eine Brücke geschlagen wer-
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den zum «wahrnehmungsbildlichen Charakter des Films»
sowie zum «raum-zeitliche[n] Wahrnehmungsprozess der
filmischen Erzählung» (31). Heller knüpft zunächst an französischsprachige Debatten an, die sich im Anschluss an Roland Barthes, Gérard Genette und Christian Metz um Fragen der Enunziation entwickelt haben, und führt diese mit
einem phänomenologischen Subjektbegriff zusammen.
Zusätzlich gestützt auf Gaston Bachelard, Henri Bergson
und Gilles Deleuze entwickelt sie ein eigenständiges Modell davon, wie sich narrative und audiovisuelle Themenkomplexe
berühren und ineinander verschränken.
Das Motiv kann visuell wie auditiv, narrativ wie thematisch sein, und verschafft der
Analyse zugleich ihre Begriffe wie auch einen Resonanzraum, weil – diese Annahme
liegt dem Ansatz implizit zugrunde – ein
Film durch die Evokation eines solchen
Motivs selbst einen Vorschlag unterbreitet, wie er zu verstehen ist. Die ästhetischaudiovisuelle Modellierung des Films, gerade in seiner Mikrostruktur, arbeitet also
aufs Engste zusammen mit der narrativen
Makrostruktur, wodurch sich die für das
Filmische (wie für das Fluide) kennzeichnenden dynamischen Austauschprozesse
und Auflösungen fester Kategorien wie
Subjekt/Objekt, Innen/Außen und Selbst/
Anderer ergeben. Im Kern geht es um jene «unvorhersehbaren, dauerhaften Bewegungsprinzipien […], die dem
Wasser eigen sind […] als strukturbildendes und damit
wahrnehmungsbestimmendes Prinzip» (15). Anders als
in der klassischen Motivforschung geht es jedoch nicht
einfach um ein Motiv in seiner historischen Entwicklung,
sondern um ein strukturelles Grundmotiv – Veränderung,
Fluss und Bewegung – und damit im Kern um die mediale
Form des Films.
Der zentrale Teil der Arbeit (S. 83 – 262) besteht aus einer Reihe theoriegeleiteter Filmlektüren, an die sich ein
kurzes Kapitel (S. 263 – 298) anschließt, das als Apotheose
die «Immersion ins Fluide […] anhand der schwerelosen
Bewegungsform des Gleitens von Licht wie des Kaders»
(263) thematisiert. Betrachtet man das Fluide derart als
Strukturprinzip der bildlichen Wahrnehmung wie der
zeichenhaften Erzählung, so korrespondiert dies mit der
Entgrenzung und Destabilisierung von Bedeutung in der
Filmerfahrung. Das Fluide ist ständiger Veränderung un-
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terworfen, bricht das Licht (als einen zentralen filmischen
‹Baustoff›), erzeugt Durchblicke, aber auch Spiegelungen.
Insofern «wird ein Konzept, das Subjekte wie Objekte als
stabil, also mit einsinnigen, eindeutigen Zuschreibungen
ausstattet, voraussetzt, weitgehend in Frage gestellt.»
(200) Das Fluide wird damit als Moment der Transformation, der Zeitlichkeit und der Bewegung zum grundlegenden medialen Prinzip des Films erklärt. In diesem Zusammenhang erstaunt die Absenz von
Vivian Sobchack, deren Adaption von
Maurice Merleau-Ponty in den letzten
Jahren auf breiter Front rezipiert wurde
und auch jenseits der Filmtheorie Beachtung findet. Gerade angesichts der
Tatsache, dass Heller sich auf MerleauPonty beruft und auch Husserls Leibbewusstsein unter dem Stichwort einer
«doppelten Leiblichkeit» diskutiert
(45 f ), hätte eine Auseinandersetzung
mit Sobchack geholfen, die wechselseitige Verschränkung von subjektiver
Ausdruckserfahrung und objektivierbarem Erfahrungsausdruck zu pointieren.
Die gut lesbaren Filmlektüren, aus
denen das Buch überwiegend besteht,
laufen auf das Argument hinaus, dass
es sich bei dem Fluiden keinesfalls um
ein beliebiges Motiv handelt, sondern
um ein grundlegendes Prinzip des Filmischen. Dies mag
auch in der Wahl der Filmbeispiele begründet liegen, die
aus dem europäischen Kunstkinokanon stammen (Tarkovskij, Fellini und Antonioni tauchen mehrfach auf ), aber
auch postklassische Action- und Mindgamefilme umfassen. Dies erklärt weiterhin, weshalb Heller das Fluide als
eine Form der Medienreflexion sieht, die den Zuschauer
als sinnliche Funktionsgröße der filmischen Gestaltung
denkt. Dass der einzig ausführlich diskutierte Film aus
dem klassischen Hollywood ausgerechnet der Metafilm
Sunset Boulevard (US 1950, Billy Wilder) ist, wirft die Frage
auf, ob dieser Ansatz allgemeine Gültigkeit beansprucht
oder nur auf einen bestimmten Korpus angewendet werden kann.
Ästhetische Medienerfahrung
Während Heller von der Filmanalyse ausgeht, nähert sich
Thomas Morsch dem Spannungsfeld von körperlicher
Wahrnehmung und textueller Struktur, die grundlegend
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für alle Facetten der Rezeption – von der affektiven Reizung bis zur komplexen Bedeutungsgenerierung – ist, vor
allem über die Theorie. Man könnte hier auch von induktiver und deduktiver Vorgehensweise sprechen. Während
bei Hellers Induktion die Detailanalyse des filmischen Materials im Vordergrund steht, sind es bei Morsch theoretische Positionen und Argumente – nicht zufällig ist Hellers
Arbeit reich illustriert und sogar mit einer Reihe von Farbtafeln versehen, während bei Morsch sich selbst das Titelbild als einzige bildartige Erscheinung einer eindeutigen
Identifikation entzieht.
Der Titel Medientheorie des Films, der auf den ersten Blick
täuschend deskriptiv wirken mag, ist programmatisch gemeint, will er doch die oft getrennten, wenn nicht gar schematisch gegenübergestellten Ansätze der Medientheorie
(mit ihrer Apriorisierung des Technischen) und der ästhetischen Theorie in Beziehung zueinander setzen. Die Arbeit
versucht also, «die technischen, dispositiven und diskursiven Apriori, die in Medien eine apparativ verfestigte Form
erlangen, auf ihre ästhetisch-kommunikativen Konsequenzen hin zu befragen, ohne die ästhetische Kommunikation eines Mediums als bloße Konsequenz dieses Apriori
misszuverstehen. Umgekehrt beanspruchen die auskristallisierten ästhetischen Parameter eines Mediums nicht den
Charakter von definierenden Eigenschaften, sondern benennen Potenziale, die genutzt werden können – oder eben
nicht.» (135) Der Körper wird dabei zum Ort des Kontakts,
Konflikts oder Austausches zwischen den ästhetischen Potenzialen und den medialen Rahmenbedingungen.
Die Studie besteht aus drei Abschnitten, die sich inten-
siv mit einem breiten Angebot an Theorien auseinander
setzen. Der erste Teil versammelt poststrukturalistische
Positionen, die Körperlichkeit betrachten als «Überschreitung des Symbolischen, Repräsentationalen und Semantischen, und damit […] Überschreitung derjenigen Schichten des Filmischen, die primär Verstand und Bewusstsein
des Betrachters adressieren» (50). Der mittlere Teil, der
(nicht nur vom Umfang her) als Zentrum der Studie gelten kann, fokussiert über phänomenologische Positionen das Actionkino und den Schock als genuin filmische
Ausdrucksformen, ja als «strukturelles ästhetisches Programm des Mediums» (212). Der Körper wird dabei weder
empiristisch auf messbare Daten reduziert noch als etwas
dem Sinn Entgegenstehendes konzeptualisiert; vielmehr
kommt dem Somatischen «ein eigener Sinn zu, der in wesentlichen Teilen auf der präkognitiven und vorindividuellen Beziehung des Körpers zu seiner Umwelt beruht.»
(166) Eine Analyse von Takashi Miikes Audition (JP 1999),
die die Körperlichkeit des Rezipienten als produktive Kraft
ästhetischer Erfahrung herausarbeitet, bringt dann nach
über der Hälfte der Arbeit endlich einen konkreten Film
ins Spiel. Gerne hätte man die Theorie in stärkerer Interaktion mit den häufig evozierten, aber nie eingehend diskutierten Beispielen aus dem Mainstream gesehen.
In der zentralen Frage nach der Beziehung von Kognition und Affekt, von Narration und Spektakel, von Sinn und
präsubjektiver Körperlichkeit schlägt sich Morsch nicht auf
eine der Seiten, sondern betrachtet die Spannung zwischen
beiden Polen als konstitutiv für das Medium. Es ist aber
schließlich die Phänomenologie Sobchack’scher Prägung,
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die im Anschluss an Merleau-Ponty die Unhintergehbarkeit
leiblicher Erfahrung zum Horizont des Medialen erklärt:
«Sinngebung ist im Medium des Films nur mittels der
Herstellung von Wahrnehmungen – als Gegenstände
der Wahrnehmung – möglich. Der ästhetische Kern
des Mediums liegt […] in der prozessualen und performativen Herstellung von Wahrnehmung, die nicht
allein ‹kommuniziert›, sondern im ästhetischen Bild
zum Ausdruck gebracht und damit zum Gegenstand
einer weiteren Wahrnehmung wird, einer Wahrnehmung zweiter Ordnung, die zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmung im Rahmen der eigenen
Wahrnehmung des filmischen Bildes unterscheiden
kann. […] Im Kino machen die Zuschauer nicht nur
eine Wahrnehmungserfahrung, sondern sie werden
gleichzeitig des Ausdrucks einer Wahrnehmungserfahrung ansichtig.» (260f.)
Im dritten Teil rückt dann die ästhetische Erfahrung ins
Zentrum der Aufmerksamkeit, ehe Deleuze fast als eine
Art deus ex machina auf den Plan tritt, der über die Defizite
von Phänomenologie, Konstruktivismus und philosophischer Ästhetik hinausführt zur «Möglichkeit eines körperlichen Verstehens, einer viszeralen Sinnbildung und einer neben
der Sprache herlaufenden sinnlichen Semantik» (277). Man
könnte dieser Arbeit mangelnde Originalität vorwerfen,
weil sie sich immer wieder an bestehenden Positionen
abarbeitet und die seit der Jahrtausendwende geführte
Debatte so synthetisiert, dass die Reichweite und Produktivität semiotischer wie phänomenologischer Ansätzen
herausgearbeitet wird. Sie tut dies jedoch mit so großer
Präzision und sprachlicher Genauigkeit, dass, wer einen
hervorragenden Überblick mit nuanciert-ausgewogenen
Theoriedarstellungen sucht, hier fündig wird. Neuland allerdings erschließt die Arbeit nicht.
Erfahrung des Gewöhnlichen
Will Heller den Abgrund zwischen Deleuze und den Narratologen überbrücken, geht es Morsch um den Anschluss
von ästhetischer Theorie und Medientheorie, so verbindet
Herbert Schwaab Positionen des US-amerikanischen Philosophen Stanley Cavell mit Ansätzen aus der Populärkulturforschung. Auch hier wiederum spielt der Abstand
zwischen Erfahrung und Textualität eine Rolle: Die Cultural Studies waren – trotz der Rede von Aneignung und
oppositionellen Lesarten – lange Zeit auf den Text fixiert,
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während Cavell sich von seiner eigenen Erfahrung und
Position aus schreibend den Dingen näherte. Prinzipiell
hat es Schwaab abgesehen auf eine «Kulturwissenschaft,
die sich stärker mit Einzelgegenständen beschäftigt und
dabei auch die eigene Beteiligung oder Subjektivität
mitthematisiert.» (289) Über lange Strecken liest sich die
Arbeit zunächst wie ein kritischer Literaturüberblick: Die
ersten 250 Seiten fassen detailliert und kompetent Cavells
wichtigste Schriften zum Film zusammen, daran schließt
sich ein längerer Abschnitt an, der Haupterkenntnisse der
Cultural Studies Revue passieren lässt. Immer wieder gibt
es dabei Einschübe, die Aspekte des Alltäglichen und Gewöhnlichen unterstreichen, doch erst auf den letzten 90
Seiten wird anhand einiger Fernsehserien ein zusammenführendes Modell skizziert. Dieses kann jedoch aufgrund
der Kürze nur eine (durchaus inspirierende) Andeutung
bleiben, denn was ließe sich schon auf 10-20 Seiten über
eine Serie mit vielen Stunden Laufzeit sagen.
Zentral ist bei Schwaab der Begriff des ‹Gewöhnlichen›,
unter dem nicht das ‹Alltägliche›, sondern das, was sich
dem wissenschaftlichen Zugriff entzieht, zu verstehen ist:
«Es ist ein Rest, der nicht zur Projektion unseres Wissens
wird und so unsere Selbstgewissheit erschüttert.» (329)
Anders als in ideologiekritischen Lesarten geht es jedoch
nicht darum, Medientexte aus einer Position der Macht
darüber aufzuklären, was ihr ‹eigentlicher› Gehalt sei: «die
Populärkultur [weiß] von ihrer seltsamen Exterritorialität
[…] und [erforscht…] deswegen die Bedingungen dieses
Raumes» (407). Über Cavell werden (der späte) Wittgenstein sowie die US-amerikanischen Transzendentalisten
Emerson und Thoreau in Stellung gebracht als Kronzeugen für eine Zuwendung zu den Dingen, die ­normalerweise
aufgrund ihrer Unauffälligkeit unsichtbar bleiben.
Wenn Schwaab derart das Moment des Gewöhnlichen
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für das Fernsehen in Stellung bringt, so fragt sich, ob er das
nicht eben zu jenem Zeitpunkt tut, zu dem sich Cavell dem
klassischen Hollywoodkino zuwandte – nämlich just, als
diese spezifische mediale Form ihre Dominanz und Hegemonie verloren hatte. Und so ist es nur konsequent, wenn
neue Verbreitungs- und Rezeptionsformen – von illegalen
Downloads bis zu DVD-Boxen – negativ bewertet werden,
weil so «das kulturelle Forum des Fernsehens zu einer
Einöde wird» (392). Anders gesagt: Ist eine Cavell’sche
Haltung überhaupt nur solchen Ausdrucksformen gegenüber möglich, deren Historizität wir erkennen, eben weil
sie nicht länger als stabil erscheinen, sondern als kontingente und kulturell-historisch spezifischen Umständen
geschuldete Artefakte? Die derzeitige Blüte der US-Serie
wäre dann ein Anzeichen dafür, dass das Fernsehen in seiner Gewöhnlichkeit nicht länger mehr existiert. Schwaabs
Arbeit, gerade in ihrer Konzentration auf nicht diesem
(HBO-)Kanon zugehörigen Serien (24, King of Queens) bietet wertvolle Ansatzpunkte für eine theoretisch avancierte
Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen.
filmaffinen Philosophen von Jacques Rancière bis Slavoj
Žižek – zu einer zentralen Bezugsgröße geworden. Was
bedeutet dies für die Filmtheorie – einen ultimativen Triumph, die Musealisierung oder gar eine feindliche Übernahme? Wohl von allem ein wenig, wobei die Filmwissenschaft gut beraten wäre, diese Entwicklungen nicht nur
im Auge zu behalten und darauf zu reagieren, sondern sie
vielmehr aktiv mit voranzutreiben. Die Erinnerung daran,
dass das Weltkino mehr zu bieten hat als den Cahiers du
Cinéma-Kanon (Deleuze) oder klassische Hollywoodgenres
(Cavell), wäre nur ein notwendiger erster Schritt, auch die
Geschichte der Filmtheorie müsste noch einmal systematisch neu gelesen werden angesichts der Begegnung mit
der Philosophie.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen könnte
man die Frage stellen, ob sich die Filmwissenschaft in
‹splendid isolation› zurück ziehen sollte oder ob das Kino
nur noch in Bezug auf philosophische Fragestellungen seine Relevanz behaupten kann. Doch vielleicht gibt es noch
einen dritten Weg, der sich in den hier diskutierten Arbeiten andeutet und der anhand solcher Fragen wie der nach
der Beziehung von Textualität und Erfahrung eine Brücke
eröffnet, über die Filmtheorie und Philosophie miteinander in produktiven Kontakt treten können.
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1 Siehe dazu etwa den Schwerpunkt ‹Motive› der Zeitschrift für
Medienwissenschaft 1/2009, und
Christine N. Brinckmann, Britta
Hartmann, Ludger Kaczmarek
(Hg.), Motive des Films. Ein kasuistischer Fischzug, Marburg (Schüren)
2011.
Film als Philosophie?
Es fällt auf, dass sich Philosophen allerlei Couleur derzeit intensiv mit dem Kino auseinandersetzen: US-amerikanische Pragmatisten (Stanley Cavell, Robert Pippin),
französische Postalthusserianer und Postheideggerianer
(Gilles Deleuze, Alain Badiou, Jacques Rancière, Jean-Luc
Nancy), italienische Postoperaisten (Maurizio ­Lazzarato,
Giorgio Agamben) und auch deutsche Philosophen
­suchen Anschluss an den Film als Medium (Martin Seel,
Joseph Früchtl). Fast scheint es, als würde die moderne ­Philosophie, von Kant bis Heidegger, von Hegel bis
­Bergson inzwischen den Fluchtpunkt der Filmtheorie bilden. Insbesondere der deutsche Idealismus ist dabei – bei
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